Meine letzte Party
Früher sehnte ich mich nach diesen gesellschaftlichen Ereig-
nissen, heute entlocken sie mir nicht mal ein müdes Lächeln.
Sie leben in vornehmen Vierteln. Wenn man durchfährt wird man schief angeguckt.
Ich fand die Cliquenmitglieder interessanter und wertvoller als die
Durchschnittsbürger.
Ich war ein einfacher Angestellter, der jede freie Minute in einer Band sang. Tragikomisch erfolglos bis zu einem Dienstag im August vor zwei Jahren.
Eine Studioaufnahme änderte alles. die Schickeria wurde auf mich aufmerksam. Sie schmückten sich mit dem liebenswert verrücktem Künstler. Ich war mindestens so bekannt wie sie und bald genauso gelangweilt.
Wehmütig erinnerte ich mich an die Zeiten, als ich kaum Geld hatte um mir einen guten Urlaub zu leisten. Ich war nachdenklich, uneigennützig und tolerant.
Heute bin ich nur noch zynisch und desillusioniert.
Egal, wir müßen an heute und morgen denken.
Jennifer Jones lädt wieder zu ihrer Jahresfeier ein.
Einige Politkotzbrocken kommen auch. Nach den Drogen- und Sexorgien treibt sie ihr schlechtes Gewissen oder eher der Überdruß zu Wohltätigkeitsfesten.
Am Eingang nimmt ihr Butler mein Päckchen entgegen.
"Schön, daß du kommst Bill, nimm dir einen Drink."
Sie eilt zu einem dicken Senator. Eines ihrer Hausmädchen bringt mir einen Whisky.
Das ist jetzt mein Dritter. Zwei trinke ich immer vor der Heimfahrt. Ich brauche das, um mit diesen Langweilern stumpfsinnig zu schwatzen.
Oft sind es nur Monologe, die ein vollgefressener Snob von sich gibt. Manchmal kann ich sogar über seine Witze lachen.
Das Mädchen gibt mir lächelnd noch ein Glas.
Sie sieht jetzt anders aus, ihr volles Haar ist an den Seiten ergraut und um den Mund zeigen sich erste Falten.
Sie ist doch erst fünfundzwanzig !
Ich fühle mich schrecklich müde, meine Füße schmerzen und mein Rücken sticht.
Kein Sitzplatz mehr frei !
Na gut, dann fahre ich eben nach Hause.
Ich muß aufpassen, daß mich Jennifer nicht sieht. Sie würde mich fragen ob es mir nicht gefällt.
Am Kamin entdecke ich eine Frau, die wie ihre Mutter aussieht.
So ein Quatsch! Ihre Mutter lebt nicht mehr.
Die Band spielt ein brandneues Stück, von mir selbst komponiert.
trotzdem glaube ich, daß sie es schon einige tausendmal gespielt
haben.
Ich sollte mit dem Trinken aufhören.
Ich kann meine Füße nicht mehr bewegen.
Alle stehen wie angewurzelt da. Nur das Personal schafft es noch die Gäste zu bedienen.
Der Blick in die Gesichter läßt mich noch mehr erstarren, alle sehen so greisenhaft aus.
Ich bin auf der falschen Party.
Bestimmt habe ich das Haus verlassen, betrunken wie immer und bin dann in einem Altersheim gelandet, daß wie eine Kopie von Mrs. Jones Wohnhalle aussieht.
Ich stehe in einer Gruppe von Menschen, die wie mein Manager, mein Produzent und der Tontechniker aussehen.Der Politiker ist auch dabei und redet unaufhörlich auf uns ein.
Nein, sie sind es natürlich nicht.Es sind nur einige senile Knacker und ein paar alte Frauen.
Ich kann es nicht mehr ertragen.
Eine Vierzigjährige mit einer Spitzenschürze reicht mir einen Drink.
Besorgt fragt sie mich :"Ist es nicht Zeit nach Haus zu fahren , Mr. Miller ?"
Ohne eine Antwort abzuwarten läßt sie mich stehen.
Ich schaue auf die Uhr. Mitternacht.
Na also! Bin noch keine drei Stunden hier und schon so besoffen.
Entschließe mich in einer Viertelstunde zu gehen, muß mich nur aufraffen.
Der nächste Blick auf die Uhr schockiert mich. Es ist Samstagnacht zwölfuhrdreißig. Aber das Datum!
Zwanzigster August zweitausendundfünf.
Halte die Armbanduhr an mein Ohr, sie tickt ganz normal.
Dank modernster Technologie läuft sie mindestens fünf Jahre ohne Batteriewechsel.
Ich bin wütend unnd schüttele sie. Doch sie läuft ungerührt weiter und fühlt sich unschuldig, da sie ja nur die Zeit anzeigt und nicht macht.
Ich weiß nicht wieviele Jahre seit dieser schrecklichen Erkenntnis
vergangen sind, meine Uhr ist irgendwann stehen geblieben.
Ich bin allein, alle anderen sind gestorben.
Starben ohne Schmerzen, hörten einfach auf zu reden und blieben an ihren Plätzen stehen.
Mary , das Hausmädchen, ist die einzige Person, die ich vermisse
Es ist sehr still und durch die dicken Spinnweben sehe ich die Gestalten nur verschwommen.
Will endlich raus hier, habe keine Lust mehr Texte und Melodien zu ersinnen, die ich nicht niederschreiben kann.
Ich schreie : "Ich will hier raus!"
Meine Schmerzen lassen nach und ich erwache auf dem Sofa in meinem Wohnzimmer.
Schaue auf die Uhr. Schade, ich habe Mrs. Jones Party verschlafen.
Am nächsten Morgen, beim Frühstück fällt mir die Zeitung aus der Hand.
Meine lieben Bekannten sind alle tot!
Mrs. Jones und ihre, sozial engagierten Freunde, die Stützen unserer Gesellschaft sind von uns gegangen.
Bei einem Bombenattentat in ihrer Villa mußten alle ihr Leben lassen.
Das kann doch nur ein Verrückter gewesen sein.
Mir fehlen die Worte!
Was soll ich denn nur ohne sie tun!
[ 09.06.2002, 04:08: Beitrag editiert von: Hot Soul ]