Was ist neu

Milo und Franziska und Lucie

Seniors
Beitritt
14.08.2012
Beiträge
2.274
Zuletzt bearbeitet:

Milo und Franziska und Lucie

Milo starrte auf seine Hände. An der Linken eine Brandwunde auf dem Handrücken, da und dort kleine Kratzer, der Daumennagel blauschwarz und am Handgelenk der Rechten eine kaum verheilte Abschürfung. Ziemlich zerschunden, die armen Pfoten. Ganz zu schweigen von dem traurigen Stummel des rechten Ringfingers. Er drehte die Hände und betrachtete die schwieligen Handflächen. Für einen Augenblick war er von einer verrückten Vorstellung fasziniert: Was wäre, fragte er sich, hätte er die unzähligen kleinen Verletzungen, die er sich im Laufe des Lebens zugezogen hatte, jetzt alle auf einmal? Von den aufgeschlagenen Knien der Kindheit über die blutigen Lippen nach den jugendlichen Raufereien bis zu dem abgerissenen Finger im vorletzten Winter. Wie sähe er aus? Wohl kaum wie ein Held der Arbeit, vermutlich eher wie das Folteropfer eines Irren, wie ein lebender Toter aus einem Zombiefilm. Wäre die Summe aller je erlittenen Schmerzen überhaupt zu ertragen? Oder würde er brüllen wie am Spieß?
Milo mochte seine Hände. Sie sähen aus, wie von Egon Schiele gezeichnet, hatte Franziska oft gesagt und war dabei mit ihren Fingern sanft die Venen auf seinem Handrücken nachgefahren. Und Lucie hatte als kleines Kind gemeint, seine Fingerkuppen fühlten sich an wie Baumrinde.
„Du bist so kratzig wie ein Baum, Milo“, hatte sie gesagt.
Aber war er auch so stark wie ein Baum, so standhaft?
Mal sehen, wie stark er wirklich war. Noch könnte er einfach aufstehen und sich aus dem Staub machen, sich in den Fiat setzen und weiß Gott wohin verschwinden. Im Kofferraum hatte er seine Schweißgeräte und in der Hosentasche gut viertausend Euro. Arbeit fände er überall, Männer wie er wurden immer gebraucht. Er starrte in die Baumkronen.
In dem Eisenkäfig neben der Parkbank kickten ein paar Türkenbuben, sie droschen einen Fußball gegen die Gitterstäbe, als ginge es um ihr Leben, und das höllische Scheppern jagte Milo Schauer über den Rücken. Ein Geräusch …
… wie das eines schleudernden Wagens, der sich funkenstiebend unter den Motorblock eines Fernlasters schiebt …
… ein Geräusch wie aus einem Alptraum.
Der Tormann, ein höchstens zwölfjähriges Bürschchen, qualmte eine Zigarette und blickte Milo herausfordernd an.
„'s guckst‘n deppat, Alda, he?“
„Warum soll ich nicht dumm gucken, wenn ich in so einer Welt leben muss, du Klugscheißer, ha?“
Außerdem hängt an allem ein Preiszettel dran in dieser Welt, wirst früh genug draufkommen, kleiner Blödmann. Das sagte Milo nicht mehr laut, es lohnte sich nicht. Er steckte sich eine Zigarette an und sah auf die Uhr. Jetzt müsste sie jeden Augenblick auftauchen. Er rauchte und beobachtete nervös den Hauseingang.
Als er endlich den struppigen Blondschopf entdeckte, stockte ihm für einen Moment der Atem. Verhalten pfiff er ihre Melodie. Lucie hob den Kopf, sah verwirrt um sich und erblickte ihn. Sie ließ den Geigenkoffer fallen, rannte auf ihn zu und flog ihm in die Arme.
„Milo!“ Tränen liefen ihr übers Gesicht und sie klammerte sich an ihn, als wolle sie ihn nie mehr loslassen.
„Wo warst du so lange?“, schluchzte sie.
„Da und dort. Aber jetzt bin ich ja da.“
„Und wie lange?“
„Ganz kurz nur …“
Sie blickte ihn entsetzt an.
„… wir fahren nämlich weg, wir zwei.“
„Was? Wohin? … Zum Opa nach Wien?“
„Willst du?“
„Na ja … weiß nicht. Müssen wir?“
„Nein. Du sagst mir, wo du hin willst.“
„Und wie lange fahren wir weg?“
„Solange du willst.“
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und versuchte zu grinsen.
„Aber ich muss doch zur Schule.“
„Ach mein Schatz, Schulen gibt’s doch überall.“


Eine Spazierfahrt waren die siebenhundert Kilometer wahrhaftig nicht. Noch bevor sie die slowenische Grenze erreichten, setzte Regen ein. Und dann goss es in Strömen, Stunde um Stunde ohne Unterbrechung, eine wahre Sintflut, als stünde das Ende der Welt bevor.
Milo schlich dahin wie ein Fahrschüler, konzentriert und mit zusammengekniffenen Augen, und der kleine Fiat schlingerte durch die Gischt wie ein Boot, mehr als achtzig Sachen waren beim besten Willen nicht drin. Manchmal hielten ihn Fernlaster auf, und Milo hasste es, sie zu überholen. Hätte Lucie nicht pausenlos gequasselt und ihn mit ihren Späßen abgelenkt, wäre er übergeschnappt, er hätte eine Kippe an der anderen angesteckt und an den Fingernägeln gekaut oder sich die Lippen blutig gebissen.
Andererseits, wenn er es recht besah, rettete ihnen dieses Hundewetter womöglich das Leben, bei trockener Straße hätte es kein Halten für ihn gegeben, vermutlich wäre er gerast wie ein Irrer, als säßen ihm alle Dämonen der Hölle im Nacken. Der Wagen wäre vielleicht schon längst aus einer Kurve geflogen, wäre in einem Abgrund zerschellt oder hätte sich unter den Motorblock eines entgegenkommenden 36-Tonners gebohrt …
… und sich mit dem zu einer untrennbaren Einheit vermählt, eine bizarre Metallskulptur erschaffend in einem winzigen Augenblick, in so lächerlich kurzer Zeit, wie eine Haselmaus braucht, um mit der Wimper zu zucken. Sekundenbruchteile nur. Franziska aus dem Wrack zu schneiden, hatte beinahe eine Stunde gedauert, eine halbe Ewigkeit, die Feuerwehrmänner fuhrwerkten mit der Bergeschere herum und fluchten leise vor sich hin, während er die ganze Zeit ihre Hand hielt und sie ihn anschaute. „Du passt mir auf Lucie auf“, sagte sie, „immer, versprich mir das.“ Und das war keine Bitte, kein flehentlicher letzter Wunsch, das war eine Feststellung. Bis zuletzt hatte sie ihn angeschaut …
… Milo strich sich die Haare aus der Stirn und kaute auf der Zigarette, die seit Stunden zwischen seinen Lippen baumelte. Eine Rauchpause war längst fällig, aber er fühlte sich, als säße er auf glühenden Kohlen. Die Sache war nun mal kein Ladendiebstahl, da gab es nichts zu beschönigen. Entführung wäre wohl das Mindeste, das sie ihm vorwerfen würden. Wenn nicht gar Schlimmeres, da konnte ihn Lucie hundertmal Papa nennen, sich an ihn klammern und heiße Tränen vergießen. Er wusste nur zu gut, dass mit Franziskas Vater nicht zu spaßen war, dass man sich nicht ungestraft mit Leuten wie ihm anlegte. Herr Ministerialrat Hofinger, diese Säule der Gesellschaft, ein Kavalier alter Schule, in Wahrheit ein Pharisäer wie aus dem Buche, ein erbärmliches, seelenloses Arschloch, und derart arrogant, dass er Milo das Du-Wort entzogen hatte, kaum dass Franziskas Grab zugeschaufelt war. Und der ihm kurzerhand Lucie weggenommen hatte und sie ins Internat steckte, nicht weil ihm ihr Wohlergehen am Herzen lag, sondern einzig, um Milo zu quälen, diesen dahergelaufenen kroatischen Handwerker, diesen langhaarigen Tunichtgut, der sich erfrechte, sich Lucies Ziehvater zu nennen. Der alte Hofinger konnte einem wie ihm das Leben zur Hölle machen, ohne auch nur einen Fuß vor die Türe seines Büros zu setzen, der brauchte nur zum Telefon zu greifen und die Kavallerie setzte sich in Marsch. Nein, das war keine Spazierfahrt, die ganze Sache war wirklich kein Witz.
Sie erreichten den kilometerlangen Tunnel unter dem Velebit und Lucie war ganz aufgeregt, weil sie in einer Viertelstunde das Meer sehen würde. Als sie die andere Seite des Gebirges erreichten, schlief sie tief und fest. Vor ihm lag das Meer, honigfarben und glitzernd.


Onkel Josip war vollkommen aus dem Häuschen, als sie plötzlich vor seiner Bude standen. Erst starrte er sie an wie Gespenster, dann fiel er Milo um den Hals, drückte Lucie und wollte sie nicht mehr loslassen. Tränen kullerten ihm übers Gesicht wie einem Kind, er wischte sie lachend weg und holte eine Flasche Travarica aus dem Bootsschuppen.
„Milo, Milo, heiliger Strohsack, heiliger Himmel! Und Lucie, mein kleiner Liebling, Lucie! Jessas, was bist du groß geworden, und so hübsch, noch hübscher als deine Mama, das gibt’s ja nicht!“
Der alte Zausel tanzte umher und führte sich auf wie ein Verrückter, dann füllte er die Gläser. Entschlossenen Widerstand vermochte er, Milo, ihm nicht entgegen zu setzen, nicht nach so einem Tag, nicht an solch einem Abend. Der Abend war außergewöhnlich schön, die Wolken hatten sich verzogen und der Himmel dehnte sich endlos. Lucie jagte die Katzen durch den Garten und Josip grillte Lammkeulen, goss den Travarica über die Dinger und bespritzte sie mit Öl und der Himmel wurde rot wie das Feuer. Milo tat nichts anderes, als im Liegestuhl zu lümmeln, selig vor sich hin zu grinsen und Josips Geschimpfe über Franziskas Vater, diesen gottverfluchten Hurensohn, den vermaledeiten, zu lauschen. Das Feuer knisterte hinter Josip und sein Kopf schien in Flammen zu stehen.


Ob sie mit Josip aufs Meer rausfahren dürfe, fragte sie, kaum dass sie ihn wachgerüttelt hatte.
„Hmm? Was?“, knurrte er.
„Darf ich? Wir wollen angeln, hat er mir versprochen gestern.“
„Was? Mitten in der Nacht? Seid ihr verrückt?“
Milo vergrub das Gesicht im Kissen. Er wollte zurück in seinen Traum, er wollte Franziska noch ein wenig festhalten.
„He, wach auf, du Schlafmütze!“
„Ja ja … äh, was wollt ihr machen?“
Er streckte sich und rieb sich die Augen fast aus dem Kopf.
„Krebse fangen. Perlenmuscheln, Seesterne, solche Sachen halt.“
„Mit der Angel, soso.“
„Hat Josip gesagt, ja … Borgst du mir deinen Pullover?“
Milo setzte sich auf und blinzelte ins Sonnenlicht. Lucie stand neben dem Bett und hatte seinen grauen Pullover an. Das alte Ding reichte ihr bis zu den Knien, die Ärmel hatte sie hochgekrempelt und auf dem Kopf trug sie Josips Wollmütze. Sie grinste ihn an, nein, sie lächelte, sie strahlte. Ein Anblick von herzzerreißender Schönheit. Milo betrachtete sie, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und biss sich auf die Lippe. Er schluckte und schloss für einen Moment die Augen. Mit jedem Tag sah sie Franziska ähnlicher.
„Schau ich nicht aus wie ein richtiger Matrose, Milo?“
„Na ja, mehr wie ein kleiner Landstreicher. Komm her.“
Lucie hüpfte aufs Bett, schlang die Arme um ihn und rieb das Gesicht an seiner Wange.
„Milo Stoppelbart, mmh.“ Sie kicherte.
„Schau mal.“ Sie drehte ihm die linke Schulter zu und schob den Ärmel hoch. Auf ihrem Oberarm prangte ein dunkelblauer Anker.
„Teufel, du hast ja eine Tätowierung! Wie ein echter Seemann.“
„Nur Kugelschreiber. Komm doch mit, Papa. Bitte.“
„Meinst du etwa, ich bin auf Urlaub, mein Schatz?“
Sie packte ihn an den Ohren und drückte ihre Nase an seine. „Bitte bitte bitte!“
„Mal sehen, du kleine Nervensäge. Jetzt machst du dem dummen Milo erst mal einen Kaffee, einen richtig starken.“
„Ay ay, Käpt’n Stoppelbart.“ Sie sprang vom Bett und flitzte aus dem Zimmer.
„Squornhöllischvierstark!“, rief er ihr nach und ließ sich wieder auf die Matratze sinken.
Er schnappte sich die Sonnenbrille vom Nachtkästchen, setzte sie auf die Nase und machte sich eine Zigarette an. Er stieß eine Rauchwolke unter die Decke, kratzte sich über die Bartstoppeln und gähnte, dass er den Kiefer knacken hörte. Er hustete und grinste in die Luft.
„Wir sind nicht auf Urlaub, mein Schatz", murmelte er, „wir sind zu Hause.“

 

Servus Offshore,

Oha! Ein Text vom lieben Offshore. Ich war sehr gespannt.

Ein Anblick von herzzerreißender Schönheit.
Ja, das könnte man deinem Text auch nachsagen. Ein Witwer der an dem einzig großen Glück, seiner Tochter, festhalten will und sie promt zu Onkel Josip entführt. Melancholisch, schön. Am Besten an der Geschichte gefielen mir die Charaktere. Die waren einfach total greifbar. Milo, der etwas zynische Sack, der sich aber dank seiner Tochter einen butterweichen Kern erhalten hat. Die Vorstellung, alle Wunden würden auf einmal in Erscheinung treten, finde ich auch lustig. Ich schwöre, die gleiche Vorstellung hatte ich auch schon mal, ja.
Die Geschichte liest sich so unbeschwert, obwohl es da auch um den Tod und Entführung geht. Ich denke, würde die Geschichte noch weitergehen, würden irgendwann auch die Probleme über sie hereinbrechen. Aber das möchte ich gar nicht erfahren.
Man könnte natürlich auch meinen, Milo sei ziemlich egoistisch, schließlich riskiert er somit die Zukunft seiner Tochter. So schnell würde sie wohl nicht wieder auf eine Schule gehen. Aber das neue Trio wirkt einfach so glücklich, dass sich solche Bedenken einfach im Verborgenen bleiben.

Es gab nicht viel, aber hier:

In dem Eisenkäfig neben der Parkbank kickten ein paar Türkenbuben, sie droschen einen Fußball gegen die Gitterstäbe, als ginge es um ihr Leben und das
Ist für mich eine Wiederholung, die einfach zu vermeiden ist. In dem Eisenkäfig neben der Parkbank drochen ein paar Türkenbuben einen Fußball gegen die Gitterstäbe, als ginge es ...

Sie grinste ihn an, nein, sie lächelte, sie strahlte.
Mit diesem Klimax konnte ich mich auch nicht anfreunden. Sie grinste, lächelte, strahlte. Das "lächelte" war mir keine wirkliche Steigerung. Vielleicht beschreibst du noch, dass sich das Strahlen auch in ihren Augen spiegelte.

Das war´s auch schon mit den Vorschlägen.

Ansonsten ein wirklich schöner Text, den ich gern gelesen habe.

Viele Grüße
Hacke

 

Hallo lieber ernst,

eine kleine, berührende Geschichte, die ein Anfang zu einem großen Roman sein könnte. Mir hat sie sehr gut gefallen. Du hast einen tollen Erzählton, der nah am Menschen ist, und noch viel wichtiger - einen tolle Erzählhaltung. Die ist sehr oldschool, sehr emotional, du versteckst nichts. Ich mag das. Kein Geschwurbel, manche Dinge muss man klar benennen, und dies tust du. Eine deutliche Haltung, die deine, und das finde ich sehr gut, weil es dies heute fast nicht mehr gibt, heute drücken sich viele um eine erkennbare Haltung.

Aufgefallen sind mir Wortdoppler im ersten Absatz, viel mit "Händen", vielleicht geht da noch was, mich hat es etwas rausgehauen.

Der Hofinger bleibt mir ein wenig zu blass. Ich hätte mir da einen echten Disput gewünscht, sei es eine Rückblende, oder, passender: Eine Traumsequenz, wie es vielleicht mit Hofinger und Lucie weitergehen könnte, ein echter Alptraum, wie sie sich immer weiter entfernt, und eben nicht mehr seine kleine, süße Tochter ist, sondern sich immer mehr dem alten Hofinger angleicht, arrogant und vermessen wird. Der Alptraum jedes Vaters, oder? Mir fehlt hier ein wenig dieses Profil, das ist mir noch zu unpersönlich, für eine so starke, emotionale Handlung. Ich meine, der Milo reißt ja jede Brücke ab, ein Outlaw, und da finde ich, braucht es auch Zunder, und zwar volles Rohr.

Also, meine Meinung: Die kannst du auf 50 DIN A4 Seiten auswalzen, da steckt so viel drin, ich würde es lesen. Da sind so viele Fragen impliziert, so viel Konfliktpotential, das ist schon Hammer.

Besonders mochte ich die Hände, die sich wie Baumrinde anfühlen, hat fast was von Ralf Rothmann, großartig.

Hat mich sehr gut gefallen, ernst.

Gruss, Jimmy

 

hey mister offshore,

mir gefiel deine story gut; besonders, wie du den vorhang der vorgeschichte langsam fallen lassen hast, und wie du die beziehung von vater und tochter erzählst. diese verbundenheit ist einfach klasse geschildert, finde ich, sehr authentisch, man spürt den tiefen bund zwischen vater und tochter.
diese kleinen absätze, die mit
...
beginnen, haben mich zugegeben beim ersten lesen etwas verwirrt. ich dachte nach dem zweiten einschub

Der Wagen wäre vielleicht schon längst aus einer Kurve geflogen, wäre in einem Abgrund zerschellt oder hätte sich unter den Motorblock eines entgegenkommenden 36-Tonners gebohrt …
… und sich mit dem zu einer untrennbaren Einheit vermählt, eine bizarre Metallskulptur erschaffend in einem winzigen Augenblick, in so lächerlich kurzer Zeit, wie eine Amsel braucht, um mit der Wimper zu zucken. Sekundenbruchteile nur.
kurze zeit, die einschübe zeigen so eine art "was wäre wenn"-universum, was wäre, wenn der prot hier sterben würde, was wäre, wenn er vor der schule gestorben wäre. die idee hielt natürlich nicht lange, nur so lange, bis mir auffiel, dass seine tochter gar nicht franziska hieß. versteh mich nicht falsch, diese gedankeneinschübe des prots, die den tod der frau aufdecken, finde ich gut, meine falsche annahme hat daraus resultiert, dass ich einfach scheiße in namenmerken bin ;) die gedankendrifte haben auf jeden fall etwas, vielleicht war es ja sogar deine absicht, die leser erstmal auf eine falsche fährte zu schicken, vielleicht bin ich auch einfach nur ein komischer leser. auf jeden fall wecken sie interesse an der story.

was mir noch auffiel: die charaktere sind allesamt gut gezeichnet, allen voran natürlich die tochter, die konnte ich mir am besten vorstellen, danach milo und der großvater. alle sehr sympatische figuren, allerdings fehlt mir etwas tiefe beim eigentlich gegenspieler deines prots, diesem fiesen hofinger. jimmy hat das schon angesprochen, da könnte man was durch einen traum machen; oder du zeigst einfach eine kurze frequenz, wo milo und hofinger in der vergangenheit aneinander geriet, eine situation, die die (hass-)beziehung der beiden beschreibt, du weißt schon.

alles in allem eine schöne story, kurz und dicht, das scheint so dein ding zu sein ;)

grüße!
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo ernst

Das ist in der Tat ein berührendes Thema - der Mann, der erst seine Frau bei einem schrecklichen Unfall verliert und dem dann auch noch das Kind weggenommen wird. Wobei ich den Text so lese, dass es nicht seine leibliche Tochter ist:

um Milo zu quälen, diesen dahergelaufenen kroatischen Handwerker, diesen langhaarigen Tunichtgut, der sich erfrechte, sich Lucies Ziehvater zu nennen

Ich sehe das eher so, dass Lucie ein Kind ist, das Franziska vielleicht aus erster Ehe hatte oder so. Andernfalls dürfte es selbst einem Ministerialrat schwerfallen, dem leiblichen Vater die Tochter zu entreißen. Also für mich klingt das eher so, als hätte Milo Lucie schon als Baby kennengelernt, für ihn war sie immer der "Papa", wenn er auch nicht der leibliche Vater ist.

Ich kann trotzdem verstehen, wie er reagiert, dass er sie mitnimmt, auch, dass sie mit ihm mitkommen will - aber eine Lösung ist das sicherlich nicht.

Ich zitiere mal den letzten Satz:

„Wir sind nicht auf Urlaub, mein Schatz", murmelte er, „wir sind zu Hause.“

Man möchte das gerne glauben, aber wie lange wird das halten? Wenn ich das richtig sehe, sind sie in Kroatien, also innerhalb der EU, und ich denke, da wird Franziskas Vater Mittel und Wege kennen, Lucie zurückzuholen - vor allem, wenn Milo nicht der leibliche Vater ist.

Diesen Kampf um Lucie - den Kampf gegen ihren Opa - den hätte ich gerne ausführlicher gesehen in der Geschichte. Dazu müsste sie aber entweder früher einsetzen oder länger gehen. Du zeigst zwar Milos Machtlosigkeit, auch die Skrupellosigkeit von Lucies Opa schimmert durch, aber immer nur fragmentarisch, in einzelnen Sätzen. Ähnlich wie bei Franziskas Tod - da finde ich es gelungen, diese eingestreuten Rückblicke, aber den Konflikt mit Lucies Opa, das wäre sicher spannend gewesen, den detaillierter zu schildern. Ich finde nämlich, das ist ein starkes Thema.

Man ahnt hier, wie groß Milos Verzweiflung ist, um diese - seien wir ehrlich, ziemlich hoffnungslose - Tat zu begehen und das Mädchen in sein Heimatland mitzunehmen. Aber ich denke, mit ein, zwei Szenen zu Beginn, hättest du diese Verzweiflung noch greifbarer machen können.

Abgesehen davon ist das sehr gut geschrieben, flüssig, dicht und emotional. Mir haben da viele Stellen gut gefallen, gleich der Anfang zum Beispiel, wie du Milo einführst und am Beispiel seiner Hände und seinen Verletzungen einen Einblick in sein Leben gibst. Das ist klug gemacht, weil es zum einen ein greifbares Bild über die Figur vermittelt und zum anderen sie auch sympathisch macht. Da wird gleich klar, er ist ein Macher, einer, der mit den Händen arbeitet, praktisch veranlagt ist - es ergibt sich das Bild eines Mannes, der sein Leben selbst in die Hand nimmt. Umso schrecklicher ist es dann, wenn ihm von außen die Kontrolle über seine "Tochter" entzogen wird - und das genau von dem gegenteiligen Typ, einem sturen Bürohengst, der das Gesetz "für sich arbeiten lässt". Da sind die Rollen sofort verteilt - ja, etwas einseitig vielleicht. Wobei man auch sagen muss, obwohl du nur kurz darauf eingehst, wird klar, was die Motive von Lucies Opa sind:

diesen dahergelaufenen kroatischen Handwerker, diesen langhaarigen Tunichtgut, der sich erfrechte, sich Lucies Ziehvater zu nennen

Konsequent ist es dann, dass Milo das Mädchen mitnimmt - eben, er ist jemand, der sein Leben selbst in die Hand nimmt und die Dinge selbst regelt. Und man sieht auch, wie stark die emotionale Bindung zwischen beiden ist. Das kommt alles gut rüber, ist greifbar, deshalb muss ich auch sagen, dass dir die Figurenzeichnung vor allem bei Milo wirklich schön gelungen ist.

Der Stil hat mir, wie gesagt, gut gefallen, er wird auch dem Thema der Geschichte gerecht, folgende Dinge möchte ich trotzdem anmerken:

Du hast oft so "Doppler" drin, wo du ein- und denselben Sachverhalt mit ähnlichen Formulierungen beschreibst, schau mal hier:

Wohl kaum wie einHeld der Arbeit, vermutlich eher wie das Folteropfer eines Irren, wie ein lebender Toter aus einem Zombiefilm.

(Leerschlag vor Held)

Oder würde er wimmern und heulen wie ein Kind, würde er brüllen wie am Spieß?

Und dann goss es in Strömen, Stunde um Stunde ohne Unterbrechung, eine wahre Sintflut, als wäre der jüngste Tag angebrochen, als stünde das Ende der Welt bevor.

Ich finde das ok, aber du solltest darauf achten, dass du es nicht zu exzessiv einsetzt. Im letzten Beispiel würde ich es rausnehmen. Manchmal verstärkt es den vorhergehenden Satz, aber manchmal schwächt es die Gesamtwirkung auch ab - das letzte Beispiel ist so ein Fall, da wäre der Satz stärker, wenn er früher enden würde. Entscheide du, ist auch Geschmackssache.

„Du bist gekommen, Papa! Endlich! Du hast mich nicht vergessen! Mein Milo!“

Klingt irgendwie nicht realistisch. Würde ein Kind so sprechen? Zumindest dieses "Du hast mich nicht vergessen" würde ich streichen.

in so lächerlich kurzer Zeit, wie eine Amsel braucht, um mit der Wimper zu zucken.

Amsel - Wimper - fand ich eine komische Verbindung. Wenn es um kurze Zeit geht und du schon einen Vogel als Vergleich herannimmst, warum dann nicht was mit Flügelschlag oder so? Finde ich naheliegender als die Wimper einer Amsel zu erwähnen.

Entführung wäre wohl das Mindeste, was sie ihm vorwerfen könnten.

Ich würde das nicht im Konjunktiv schreiben. Entführung ist das Mindeste, was sie ihm vorwerfen können.

Viele Stellen fand ich auch stark, bspw. diese hier:

Herr Ministerialrat Hofinger, diese Säule der Gesellschaft, ein Kavalier alter Schule, ein Pharisäer wie aus dem Buche, in Wahrheit ein erbärmliches, herzloses Arschloch, und derart arrogant, dass er Milo das Du-Wort entzogen hatte, kaum dass Franziskas Grab zugeschaufelt war.

Lucie jagte die Katzen durch den Garten und Josip grillte Lammkeulen, goss den Travarica über die Dinger und bespritzte sie mit Öl und der Himmel wurde rot wie das Feuer.

Oder auch die Autofahrt, Milos Nervosität - die hast du gut eingefangen. Ununterbrochen der Regen, und am Ende schimmert dann das "honigfarbene" (gut!) Meer - das war schön.

Insgesamt ist dir ein schöner, berührender Text gelungen. Für meinen Geschmack dürfte aber der Konflikt zu Lucies Opa ausführlicher beschrieben sein.

Grüsse,
Schwups

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber offshore,

was treibt Milo an? Sein Versprechen, das er Franziska gegeben hat? Die Nähe von Lucie, ihr Aussehen, dass an Franziska erinnert? Es ist sicher besser, der Hoflinger gibt Lucie in ein Internat, anstatt sich nicht richtig mit ihr auseinanderzusetzen (Internate sind heutzutage keine Strafe mehr, offshore!)

Das ganze ist eine Seifenblase, das tut mir als Leser weh und Milo tut mir so leid. Er wird als so emotionsgeladener Mensch aufgezeigt, der alles für das gibt, was ihm wichtig ist, ohne Wenn und Aber.

Im Gegensatz zu den Anderen brauche ich nicht mehr Hoflinger, denn man weiß ja im Grunde der Dinge, wie so Typen ticken, da braucht es keine Szenerie dafür, die würde Milo nur erniedrigen, und wir wollen ihn ja als sentimentalen, naiven Held hier haben.

Ich könnte den dreien nicht einmal alles Gute wünschen, denn in der alten Heimat gibt es nun Menschen, die sich Sorgen um Lucie machen, so wie sich Milo Sorgen um sie gemacht hat.
Von daher, und das wäre für mich so ein Kompromiss, hätte ich es gut gefunden, wenn Milo Kontakt mit irgendjemand aufnimmt und sagt, dass es Lucie bei ihm gut geht. So wissen die anderen nicht mal, WER sie mitgenommen hat. Könnte ja auch sonst ein Triebtäter sein - und wollen wir, dass alle, die Lucie mögen, in dieser Ungewissheit leben?

offshore, du schreibst so nah am Leben, das ist schön.

So, hier nun noch ein paar Anmerkungen zum Text selbst:

Milo starrte auf seine Hände. An der Linken waren eine Brandwunde auf dem Handrücken, da und dort ein kleiner Kratzer, der Daumennagel blauschwarz und am Handgelenk der Rechten eine kaum verheilte Abschürfung.

"da und dort kleine Kratzer"
Ziemlich zerschunden, die armen Dinger.
Arme Dinger für Hände passt für mich hier nicht. Damit verbinde ich kleine Mädchen oder Tiere, aber keine von viel Arbeit mitgenommene Hände.

abgerissenen Finger
ich kenne abgesägte, abgequetschte, abgetrennte, abgehobelte Finger - aber das abgerissen liest sich so, als hätte Milo ihn selbst abgerissen, da bin ich etwas dran hängengeblieben.


vermutlich eher wie das Folteropfer eines Irren, wie ein lebender Toter aus einem Zombiefilm
War Milo im Krieg? Ich mein, das muss man sich mal vorstellen, wie viele Wunden er da schon gehabt haben muss, wenn er wie oben beschrieben aussehen müsste. Ich kann nicht mal schreiben, dass es übertrieben ist, denn Milo denkt sich das ja nur. Raffiniert.

Arbeiten könnte er überall, Männer wie er wurden immer gebraucht. Er starrte auf seine Hände.
Den Satz würde ich streichen. Die Hände hatten genug Aufmerksamkeit.


In dem Eisenkäfig neben der Parkbank kickten ein paar Türkenbuben, sie droschen einen Fußball gegen die Gitterstäbe, als ginge es um ihr Leben und das höllische Scheppern des Gitters jagte Milo Schauer über den Rücken.
WW - höllische Scheppern des Zaunes

Ein Geräusch …

... wie das eines wild kreiselnden Wagens, der sich funkenstiebend und mit ohrenbetäubendem Knirschen unter den Motorblock eines entgegenkommenden Lasters bohrt …
… ein Geräusch, wie aus einem Alptraum.


Tagtraum oder Erinnerung - da muss ich mich als Leser erst einmal orientieren. Das machst du aber noch mal richtig zusätzlich schwer mit der Anhäufung der Adjektive.

Ich würde das Komma hinter Geräusch wegnehmen.


Der Tormann, ein höchstens zwölfjähriges Bürschchen, qualmte eine Zigarette und blickte Milo herausfordernd an.
„‘s guckst‘n deppat, Alda, he?“
„Warum soll ich nicht dumm gucken, wenn ich in so einer Welt leben muss, du kleiner Klugscheißer, ha?“

Das ist gut.


Das sagte Milo nicht mehr laut, es stand sich nicht dafür.
es gehört sich nicht? - passte nicht? Ich kenne den Ausdruck so nicht.


Sie ließ den Geigenkoffer fallen, raste auf ihn zu und flog ihm in die Arme.
Das mit dem Geigenkoffer tat mir weh. Wenn du damit die Riesenfreude und Verblüffung ausdrücken wolltest, die sie hatte - gut. Ansonsten hütet jedes Kind normalerweise seinen Instrumentenkasten mit aller erdenklichen Sorgfalt.


„Du bist gekommen, Papa! Endlich! Du hast mich nicht vergessen! Mein Milo!“
Mein Milo? Habe meine Jungs ihr Lebtag nie so reden gehört, das hört sich an, als würde sie ( mit dem "Mein Milo") ein Haustier begrüßen.


„Nein. Du sagst mir, wo du hin willst.“
„Und die Schule?“
„Scheiß auf die Schule. Schulen gibt’s doch überall.“

Bei dieser Passage werden für mich zwei Erwartungshaltungen vermischt.
Wieso geht Lucie davon aus, dass sie irgendwo hingehen, wo sie länger als einen Nachmittag sind und die Frage nach der Schule relevant wird? Sie scheint ja zu wissen, dass Weggehen gleichzeitig bedeutet, die Heimat zu verlassen.
Das: sag mir, wo du hin willst würde normalerweise eine Antwort wie Zoo, Kino, Eisessen ... mit sich ziehen.
Gab es da schon Vorgespräche?

in so lächerlich kurzer Zeit, wie eine Amsel braucht, um mit der Wimper zu zucken.
Also Vogel (außer dem Strauß) und Wimpern - bekomme ich nicht zusammen. Das Bild ist etwas sehr umständlich, zumal sind da eh Wiederholungen drin, die die Kürze beschreiben. Schwups hat das schon angesprochen, die Doppler. Die finde ich manchmal auch grenzwertig.

Franziska aus dem Wrack zu schneiden dauerte beinahe eine Stunde, eine halbe Ewigkeit,
das recherchiere ich heute Abend direkt bei ein paar Feuerwehrleuten, mir kommt das mit der Stunde extrem lang vor, das darf solange gar nicht gehen, sag ich mal.

Und der ihm kurzerhand Lucie weggenommen hatte und sie ins Internat steckte,

die Szenerie vorher mit den Türkenbuben und das Warten auf Lucie war von einer normalen Schule ausgehend - wäre Lucie im Internat, würde sie nicht nach Schulschluss mit dem Geigenkasten aus der Schule laufen, da wäre die Geige bei ihr im Zimmer oder im Musikraum.


Milo vergrub das Gesicht im Polster. Er wollte zurück in seinen Traum, er wollte Franziska noch ein wenig festhalten.
Schön.


„Meinst du etwa, wir sind auf Urlaub, mein Schatz?“
Die Frage kommt zu zielgerichtet auf das Ende bezogen.


Er schnappte sich die Sonnenbrille vom Nachtkästchen, setzte sie auf die Nase und machte sich eine Zigarette an.
zündete sich


So ganz war mir auch nicht klar, wie alt Lucie sein soll. Sie wirkt manchmal verschieden in ihrem Reifegrad.

Ganz liebe Grüße nach Wien
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Ernst,

An der Linken waren eine Brandwunde auf dem Handrücken, da und dort ein kleiner Kratzer, der Daumennagel blauschwarz und am Handgelenk der Rechten eine kaum verheilte Abschürfung.

Den Satz finde ich sehr schräg, lang und unverständlich. Wenn Dinge „sind“, ist das außerdem immer etwas öde zu lesen. „Eine Brandwunde verunstaltete den Handrücken, Kratzer umkreisten sie und blablabla


Ziemlich zerschunden, die armen Dinger.

lächerlichen Stummel

„die armen Dinger“ und „lächerlich“ würde ich rausschmeißen.


Er drehte die Hände und betrachtete die schwieligen Handflächen.

Das ist ein Fall von „Er ging zur Tür, legte die Hand an den Knauf, drehte ihn und öffnete sie.“ Einfach: Er studierte die Schwielen an seinen Händen.


„Du bist wie ein richtiger Baum, Papa“, hatte sie gesagt, „so groß und so stark und so kratzig.“

Das klingt nach einem Autor, nicht nach einem Kind.


als ginge es um ihr Leben und das höllische Scheppern des Gitt

Du machst sehr lange Sätze. In denen solltest du das „und“ dann ruhig durch ein Komma abtrennen, das ist eine Option und verhindert diesen Atemlos-Effekt.


„‘s guckst‘n deppat, Alda, he?“
„Warum soll ich nicht dumm gucken, wenn ich in so einer Welt leben muss, du kleiner Klugscheißer, ha?“

Das klingt wie eine Rachefantasie. Der Spruch ist zu ausgeklügelt, zu lebensfern. Zu „Das hätte ich sagen sollen!“


„Und die Schule?“
„Scheiß auf die Schule. Schulen gibt’s doch überall.“

Gilt auch hier, finde ich. Ich mag die Figur an der Stelle nicht, die ist mir zu anbiedernd cool.


Eine Spazierfahrt waren die siebenhundert Kilometer wahrhaftig nicht.

Das ist redundant, weil du vorher was von apokalyptischem Regen schreibst.


er hätte eine Kippe an der anderen angesteckt

Das fand ich ganz gut, obwohl ich drüber gestolpert bin. Man denkt an die ausgelutschte Formulierung „eine nach der anderen“, und dann ist es aber doch etwas anderes.


„Du passt mir auf Lucie auf“, sagte sie, „immer, versprich mir das.“ Und das war keine Bitte, kein flehentlicher letzter Wunsch, das war eine Feststellung. Bis zuletzt hatte sie gelächelt …

In so melodramatischen Momenten würde ich in die indirekte Rede gehen, da wirkt es gleich ein bisschen weniger kitschig.


das Mindeste, was sie ihm vorwerfen

„was“ als Relativpronomen? => das


in Wahrheit ein erbärmliches, herzloses Arschloch

Da fehlt etwas, und ich verstehe „in Wahrheit“ nicht – die Pharisäer kommen ja nun in der Bibel nicht eben gut weg.


als sie plötzlich vor seiner Bude standen, erst starrte er sie an wie Gespenster, dann fiel er Milo um den Hals, drückte Lucie und wollte sie nicht mehr loslassen. Tränen kullerten

Du schreibst halt längere Sätze, das muss man akzeptieren. Hier finde ich es aber definitiv unabhängig von Geschmäckern bezüglich der Länge schöner, wenn ein Punkt vor dem „erst“ … punktet.

„Ay ay, Käpt’n Stoppelbart.“

Das klingt wieder nicht wie ein Kind.

Mir ist das alles ein bisschen zu kitschig, ein bisschen zu unproblematisch, ein bisschen zu fernsehfilmmäßig. Das zuckersüße Kind, die wunderbare Mutti, die viel zu früh von uns ging, der bitterböse Bürokrat, der herzensgute Vati, der crazy Onkel. Das ist alles so einfach, die Konflikte sind Pseudokonflikte, eher so Märchendinger – nur da, damit am Ende alles gut ausgehen kann. Ich glaube, am ehesten ließe sich da noch eine Kindergeschichte draus machen, wenn es sprachlich angepasst und die Erzählperspektive geändert würde. Das meine ich jetzt gar nicht frotzelnd, es ist nur: Als Geschichte für Erwachsene ist mir das definitiv zu eingleisig, in der Charakterisierung ebenso wie im Storyverlauf. Allein dieses dicke fette Happy End, „Wir sind nicht auf Urlaub, mein Schatz", murmelte er, „wir sind zu Hause.“, muah.

Als Eskapismus in Richtung „Keinohrhasen“ oder so funktioniert es wohl. Ist ja nichts Verwerfliches. Musst du halt wissen, was du willst.

Beste Grüße
JC

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Hacke, Jimmy, Zigga, Schwups, bernadette, Proof,

erst mal möchte ich euch allen für eure vorwiegend wohlwollenden Kommentare danken.

Und obwohl eure Meinungen doch einigermaßen auseinandergehen, müsst ihr mir nachsehen, dass ich nicht chronologisch auf jeden einzelnen Kommentar eingehe, sondern eher so eine Art (durcheinandere) Sammelantwort an euch alle schreibe. Hat glaub ich mehr Sinn, weil einige Dinge ohnehin von mehreren angesprochen wurden.

Ein paar grundsätzliche Dinge zur Geschichte, bzw. zu meinem Schreiben überhaupt möchte ich noch vorausschicken:

Mit meinen ersten vier Geschichten hier im Forum (meinen ersten Schreibversuchen überhaupt) erntete ich überwiegend positive Reaktionen und das fand ich irgendwie angemessen, weil sie mir selbst wirklich gut gefallen haben, jedenfalls war ich motiviert, weiterzuschreiben. Bei dieser Geschichte war es anders, ich war furchtbar unsicher und konnte die möglichen Reaktionen einfach nicht abschätzen.

Proof schrieb:
Musst du halt wissen, was du willst.

Tja, wenn ich das nur wüsste, Proof!
Ich muss euch gestehen, dass mir der Begriff des „Plot-Entwickelns“ zwar kein Fremdwort ist, ich allerdings vollkommen unfähig dazu bin. Ich bewundere und beneide jeden, der sich eine Geschichte ausdenken kann, und dann zu schreiben beginnt. Bei mir geht es in aller Regel ganz anders. Ich zäume das Pferd sozusagen von hinten auf, ich schreibe ein paar Sätze, einfach weil sie mir gefallen.
Die letzte Szene dieser Geschichte z.B. schrieb ich irgendwann im Jänner oder Februar binnen dreier Flaschen Bier, strich sie in den folgenden Tagen radikal zusammen und versuchte, sie für meinen Geschmack perfekt zu machen. Da hatte ich also eine einzige Szene, und absolut keine Ahnung, was ich mit der nun machen sollte. Mir wollte ums Verrecken keine Story dazu einfallen.
Im Frühling dann (Kroatien war offiziell noch gar nicht in der EU) schrieb ich die Autofahrtepisode, ohne sie anfangs in Beziehung zu der anderen Szene zu sehen, einfach weil mir gewisse Formulierungen gefielen (die verdammte Amsel, hihi, ursprünglich war’s sogar ein Zeisig, jetzt wird’s wohl wieder die Haselmaus werden. Hat die Wimpern? Egal.)
Und dann versuchte ich halt, diese beiden Szenen irgendwie zusammenzufügen. Wochenlang, Monatelang.
Wie auch immer, es war ein elender Kampf, und ich war knapp dran, den Hut drauf zu hauen. Das wird nix mehr mit meinem Schreiben, dachte ich mir, scheiß drauf, hab ich halt wieder mehr Zeit zum Bergsteigen …)

Aber dann besann ich mich auf die eigentliche Funktion des Forums, nämlich Textwerkstatt zu sein, und ich dachte mir, ich werfe diesen Knochen der Meute jetzt einfach mal vor die Füße, mal sehen, vielleicht bekäme ich ja nicht nur Prügel, sondern auch konstruktive Verbesserungsvorschläge.
Natürlich war das voreilig, vielleicht sogar überstürzt, na ja, aber alles, was ihr zum Text zu sagen habt, ist mir nun eine wirklich große Hilfe, ihr gebt mir das Gefühl, dass die Geschichte es wert ist, mich noch mal dran zu setzen.
Schon allein dafür möchte ich mich bedanken, und ich bin jetzt wirklich froh, die Geschichte gepostet zu haben, obwohl ich mir wie gesagt sehr unsicher war.


Schwups schrieb:
Wobei ich den Text so lese, dass es nicht seine leibliche Tochter ist [ … ] Ich sehe das eher so, dass Lucie ein Kind ist, das Franziska vielleicht aus erster Ehe hatte oder so. Andernfalls dürfte es selbst einem Ministerialrat schwerfallen, dem leiblichen Vater die Tochter zu entreißen. Also für mich klingt das eher so, als hätte Milo Lucie schon als Baby kennengelernt, für ihn war sie immer der "Papa", wenn er auch nicht der leibliche Vater ist.

Das hast du absolut richtig gelesen, Schwups. Nachdem in den Kommentaren vor deinem immer nur die Rede von Vater & Tochter war, befürchtete ich schon, ich hätte das wahre Verhältnis zwischen Milo und Lucie zu ungenau beschrieben. Es kommt ja wirklich nur einmal das Wort Ziehvater vor. Aber genau dieser Umstand ist natürlich ganz wichtig für die Handlung, dass also der Großvater der nächste Familienangehörige von Lucie und quasi Vormund ist und Milo, nie verheiratet mit Franziska und obendrein nicht leiblicher Vater von Lucie, vollkommen rechtlos ist.
Aber vielleicht muss man den Text einfach nur genauer lesen …

zigga schrieb:
vielleicht bin ich auch einfach nur ein komischer leser.
danach milo und der großvater. alle sehr sympatische figuren,
(Tschuldige zigga, das war jetzt aufgelegt. Dein Lob hat mich natürlich wahnsinnig gefreut.)

Und wahnsinnig gefreut hab ich mich auch über alles was ihr und vor allem du, Schwups, zur Figur des Milo schreibt. Dass es mir offenbar mit wenigen Sätzen gelungen ist, seinen Charakter so rüberzubringen, wie er mir vorschwebte. Ich mein, „Figurenzeichnung“ ist mir zwar auch kein Fremdwort, aber …

Hacke schrieb:
Man könnte natürlich auch meinen, Milo sei ziemlich egoistisch, schließlich riskiert er somit die Zukunft seiner Tochter.

Schwups schrieb:
Ich kann trotzdem verstehen, wie er reagiert, dass er sie mitnimmt, auch, dass sie mit ihm mitkommen will - aber eine Lösung ist das sicherlich nicht.

bernadette schrieb:
Es ist sicher besser, der Hoflinger gibt Lucie in ein Internat, anstatt sich nicht richtig mit ihr auseinanderzusetzen (Internate sind heutzutage keine Strafe mehr, offshore!)
Das ganze ist eine Seifenblase, das tut mir als Leser weh und Milo tut mir so leid

Verdammt, da hatte ich in der Urfassung noch eine Passage drin (während Milo auf Lucie wartet), in der es genau um diese Problematik geht. Milo ist sich total unsicher ob er das Richtige tut, er ist sich des schieren Aberwitzes seines Vorhabens durchaus bewusst und er grübelt darüber nach, ob es wirklich Lucies Wohlergehen ist, das ihn antreibt oder vielleicht doch eher sein eigenes Glück, weil er die Kleine einfach so verdammt gern hat.
Na ja, und um dann seine Motivation nachvollziehbarer zu machen, hätte ich natürlich auch die Rolle von Hofinger mehr ausarbeiten müssen, und überhaupt …

Schwups schrieb:
Du hast oft so "Doppler" drin, wo du ein- und denselben Sachverhalt mit ähnlichen Formulierungen beschreibst, schau mal hier:
Ich finde das ok, aber du solltest darauf achten, dass du es nicht zu exzessiv einsetzt.

bernadette schrieb:
Das Bild ist etwas sehr umständlich, zumal sind da eh Wiederholungen drin, die die Kürze beschreiben. Schwups hat das schon angesprochen, die Doppler. Die finde ich manchmal auch grenzwertig.

Proof schrieb:
Das ist redundant, weil du vorher was von apokalyptischem Regen schreibst. [ … ] Du machst sehr lange Sätze. In denen solltest du das „und“ dann ruhig durch ein Komma abtrennen, das ist eine Option und verhindert diesen Atemlos-Effekt. [ … ] Du schreibst halt längere Sätze, das muss man akzeptieren. Hier finde ich es aber definitiv unabhängig von Geschmäckern bezüglich der Länge schöner, …

Usw.
Ja ich weiß, das ist eine offshoresche Marotte, dieses exzessive Anhäufen von vermeintlich schönen Sprachbildern und Formulierungen. Möglicherweise schlägt da meine mündliche Erzählweise durch, ich quatsche halt für mein Leben gern, aber vielleicht kompensiere ich mit dieser Stilverliebtheit auch einfach meine eklatanten Schwächen beim Story-Entwerfen.

Proof schrieb:
Wenn Dinge „sind“, ist das außerdem immer etwas öde zu lesen. „Eine Brandwunde verunstaltete den Handrücken, Kratzer umkreisten sie und blablabla
Hier allerdings finde ich meine karge Wortwahl weit besser. Das ist halt wirklich Geschmacksache.

Proof schrieb:
Da fehlt etwas, und ich verstehe „in Wahrheit“ nicht – die Pharisäer kommen ja nun in der Bibel nicht eben gut weg.
Das ist natürlich nicht Geschmacksache, sondern ein eindeutiger Fehler von mir. Ich muss den Satz nur umstellen, dann passt es.


Ganz besonders hab ich mich natürlich über dein Lob gefreut, Jimmy, du weißt ja, dass du einer meiner Lieblingsautoren hier im Forum bist. Das macht mich schon ein bisschen stolz und dass du, Hacke, die Story gar als herzzerreißend schön bezeichnest ist einfach der Hammer.

Mein Resümee: Eure vielen kleinen Textbeanstandungen werde ich mir alle zu Herzen nehmen, eure Anregungen zum Inhalt in Ruhe überdenken und im besten Falle in eine Überarbeitung der Geschichte einfließen lassen.

Motiviert habt ihr mich allemal.

Ganz vielen Dank euch allen!

offshore


PS @ Schwups

(Leerschlag vor Held)

??? Den Leerschlag muss dein Computer geklaut haben, Schwups. Sowohl in meiner Originaldatei als auch im geposteten Text ist der nämlich drin.
(Ich schwör’s, die letzten Änderungen am Text machte ich gestern zu Mittag, also lange vor deinem Kommentar.)

PPS
Ursprünglich wollte ich Milo Albaner sein lassen, einen richtigen EU-Ausländer eben, aber dann wäre sich die Autofahrt zwischen Schulschluss und Sonnenuntergang am Meer einfach nicht ausgegangen ...

PPPS @ bernadette
Und über Schule/Internat/Geigenunterricht werde ich mir auch noch einmal den Kopf zerbrechen.

 

Kurze Ergänzung:

Hab heute einen Feuerwehrmann gefragt wegen der Stunde zum Rausschneiden. Das könnte rein theoretisch so passieren, besonders, wenn der Notarzt immer wieder Einhalt gebietet oder neue Anweisungen gibt, wie was wegzufräsen/schneiden ist oder er zwischendurch Maßnahmen ergreifen muss, also am Patient arbeitet, obwohl dieser noch eingeklemmt ist.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich hab jetzt schon mal ein paar Veränderungen vorgenommen, vor allem in der ersten Dialogszene bei Milos und Lucies Wiedersehen habe ich Schwups', bernadettes und Proofs Einwände beherzigt. Mir gefällt’s jetzt auch besser.

Und auch Proofs Kritik

„Du bist wie ein richtiger Baum, Papa“, hatte sie gesagt, „so groß und so stark und so kratzig.“

Das klingt nach einem Autor, nicht nach einem Kind.

habe ich Rechnung getragen und die Stelle geändert.
Proofs Einwand, „Ay ay Käpt’n Stoppelbart“ klänge nicht nach Kindermund, ignoriere ich allerdings weiterhin. Proof scheint keine Kinder zu haben …

Und noch einige von bernadettes und Proofs Verbesserungsvorschlägen habe ich übernommen, wobei mir allerdings auffiel, dass ich immer wieder mal umgangssprachliche Austriazismen verwende, ohne mir viel dabei zu denken. ( „was“ als Relativpronomen z.B., oder nicht dafürstehen für es lohnt nicht) Das müsst ihr mir einfach nachsehen.
Ein paar der grenzwertigsten Redundanzen sind weg und die dämliche Amsel ist auch rausgeflogen, auch wenn’s mir schwerfiel. (Dabei konnte ich nachvollziehen, wie es dem armen HollywoodOny gehen muss, dessen schräger Humor auch von kaum jemandem verstanden wird. Tja, das Gefühl, in Wahrheit ein verkanntes Genie zu sein, kennen wir wohl alle.)

Ach ja, und noch was, bernadette:

„Meinst du etwa, wir sind auf Urlaub, mein Schatz?“

Die Frage kommt zu zielgerichtet auf das Ende bezogen

Den Einwand verstehe ich nicht recht. Milos Frage ist doch berechtigt, weil er sich, im Gegensatz zu Lucie, eben nicht wie im Urlaub fühlt. Er ist einfach wieder einmal woanders. Und wie soll er in diesem Moment wissen, was er fünf Minuten später denkt?

Inhaltlich habe ich noch nichts geändert, da will ich mir wirklich Zeit nehmen dafür.

Noch mal Dank an alle.

offshore

 

“Blackbird singing in the dead of night …
Blackbird (L.-McCartney)​

…, eine bizarre Metallskulptur erschaffend in einem winzigen Augenblick, in so lächerlich kurzer Zeit, wie eine Amsel braucht, um mit der Wimper zu zucken.
hieß es noch Samstag, als ich hier nix lebensgefährlich, aber doch immerhin abgestürzt bin ... äh, eigentlich nur diese Rechenmaschine im Internetcafé. 'n kühles Pilzken half da auch nicht mehr. Aber die Amsel gefällt mir besser als'en Mäusken (die mir eh nur als Meisje gefallen).

Hallo ernst,

da steckt mehr im Verborgenen, als man vordergründig im Unterschied zwischen biologischem und soziologischem Vater und folglich hier auch in den grand-pères - mag einer auch "Onkel" genannt werden - erkennen mag, hier der machtbewusste Hofrat sel’gen Angedenkens als Ministerialrat und dort Josip. Alles wird nur angetippt, nicht mal angestoßen: Kunst im Straßenverkehr (s. o.) und durch die Hände eines Malers

Er habe Egon Schiele-Hände, hatte Franziska oft gesagt und war dabei mit ihren Fingern sanft die Venen auf seinem Handrücken nachgefahren …

Ich kenn die Hände Egon Schieles nicht (1890 – 1918 - fiele also auch schwer), aber seine Kunst, die Malerei, die da gemeint sein muss, kreiste auch ums Thema Tod. Darum hab ich mir auch die Amsel = Blackbird erlaubt …

Und da gibt’s dann noch eine biblische Andeutung

…, eine wahre Sintflut, als wäre der jüngste Tag angebrochen, …

Ist nicht jeder neue Tag der „jüngste“?
Der „Jüngste Tag“ meint ohne jede Ironie den letzten und zugleich den Gerichtstag für alle (was hier ja auch andedeutet wird) … Was mich dann pietätlos, wie ich halt bin, zu – wenig genug für eine dürstende Kleinkrämerseele – direkt zur Zeichensetzung führt.

Hastu bestimmt schon tausendmal in Variationen gelesen (will mir jedenfalls so erscheinen und will da auch nicht langweilen): Sätze, ob Haupt- oder Neben- voll- oder unvollständig, sind wie das richtige Leben mit Anfang und Ende beglückt – wie hier beim Vergleich

In dem Eisenkäfig neben der Parkbank kickten ein paar Türkenbuben, sie droschen einen Fußball gegen die Gitterstäbe, als ginge es um ihr Leben[,] und das höllische Scheppern des Gitters jagte Milo Schauer über den Rücken.
& hier ist’s die Infinitivgruppe
Franziska aus dem Wrack zu schneiden[,] dauerte beinahe eine Stunde, …
Hier ist’s die bloße Aufzählung m. E. gleichrangiger Adjektive
…, diesen dahergelaufenen[,] kroatischen Handwerker, …
selbst wenn der Kleinbürger den "dahergelaufenen" in Abhängigkeit von seiner Herkunft sehen wird.

Womit ich ganz kurz doch noch’n Konjunktiv zu verschärfen trachte, indem ich anfrag, ob nicht in den verglichenen Händen der irrealis besser anzuwenden wäre, also

Er [hätte] Egon Schiele-Hände, hatte Franziska oft gesagt

Das Verborgene sollte ich dann auch noch finden, neben Sintflut (als einem verhinderten jüngsten Gerücht, wie's Wolfgang Neuss einmal ausdrückte) und der Lebensfreude, um mit der Arche hinauszufahren, um zu angeln.

Grund zu einem zwoten Besuch!
Bis dann –

Friedel

 

Hallo Offshore,
Du erzählst in einer angenehm unprätentiösen Sprache eine durchaus berührende Geschichte. Bereits die ersten zehn Zeilen fand ich grandios. Auf die Frage nach dem Ausmaß aller jemals durchlittenen Schmerzen gleichzeitig muß man erstmal kommen. Die handelnden Personen kommen symphatisch rüber und Milos Motive sind so nachvollziehbar, dass es einem so ziemlich egal ist, was für Folgen sein Handeln haben wird. Seine Zufriedenheit, die du im letzten Satz zum Ausdruck bringst, hat sich auch auf mich übertragen. Einige der Änderungen, die Du vorgenommen hast, haben der Geschichte gut getan (das scheppernde Gitter etwa), aber ob der Wimpernschlag einer Haselmaus besser rüberkommt als der einer Amsel - ich wag's zu bezweifeln. Wie lange die Feuerwehr nun wirklich braucht, um jemanden aus einem Unfallwagen zu schneiden ist mir, offen gesagt, ebenso egal wie die Frage, wie lange man auf einer Zigarette herumkauen kann, oder ob das Meer honigfarben aussehen kann. Die Atmosphäre stimmt, und das ist mir (Anderen mag es anders gehn), wichtiger als etwaige Logigfehler.
Mein Lieblingssatz:'Das Feuer knisterte hinter Josip und sein Kopf schien in Flammen zu stehen'. Wunderbar.
Auch die Länge, bzw. Kürze der Geschichte fand ich passend. Kurzum: sehr angenehm zu lesen.
Schöne Grüße
Harry

 
Zuletzt bearbeitet:

Friedrichard schrieb:
Aber die Amsel gefällt mir besser

harrytherobot schrieb:
aber ob der Wimpernschlag einer Haselmaus besser rüberkommt als der einer Amsel - ich wag's zu bezweifeln.

Servus Friedel, servus Harry,

Ich ahnte es doch, dass es den einen oder anderen Leser gibt, dem die Amsel fehlen wird, weil er einer klitzekleinen Prise symbolistischer Absurdität in einer ansonsten eher realistischen Geschichte durchaus etwas abgewinnen kann. Bei dir, Friedel, hab ich sowieso nichts anderes erwartet, und bei dir, Harry, überrascht es mich auch nicht wirklich, kenne ich doch mittlerweile einige deiner aberwitzigen Geschichten. Aber weil ich ein elender, wankelmütiger Opportunist bin, und aus Rücksicht auf die Mehrheit der Leserschaft, die offenbar auf naturwissenschaftliche Korrektheit Wert legt, lass ich einstweilen mal die Haselmaus drin, ist ja auch ein recht possierliches Tierchen.

Friedrichard schrieb:
Ich kenn die Hände Egon Schieles nicht (1890 – 1918 - fiele also auch schwer), aber seine Kunst, die Malerei, die da gemeint sein muss, kreiste auch ums Thema Tod.

Also Schieles eigene Hände kenne ich auch nicht, auch wenn er im Gefängnis meines Geburtsortes wegen der dubiosen Entstehungsgeschichte eines Mädchenakts eine dreiwöchige U-Haft absitzen musste. Aber das war 1912. Natürlich meinte ich die Hände auf seinen teilweise wirklich morbiden Bildern.
Mit der von dir zitierten Stelle („Er habe Egon Schiele-Hände, …“) bin ich allerdings noch nicht recht zufrieden. Das will ich noch ein wenig anders formulieren, schon um die Wortwiederholung zu vermeiden. Mal sehen, ob da bei deinem nächsten Besuch nicht eh schon was anderes steht.
Und was die fehlenden drei Kommata betrifft, tja, was soll ich groß sagen, außer: „Verdammter Mist.“ Und mit den Zähnen knirschen. Wobei mir das dritte (diesen dahergelaufenen[,] kroatischen Handwerker, …) ehrlich gesagt nicht recht gefällt.
Aber ich schwör’s dir, Friedel, irgendwann wirst du eine Geschichte von mir lesen, in der deine Kleinkrämerseele nicht einen einzigen amselwimpernkleinen Fehler entdecken kann, wollen wir wetten?


harrytherobot schrieb:
Bereits die ersten zehn Zeilen fand ich grandios.

Vielleicht stimmt es ja doch, dass das Leben die besten Geschichten schreibt. Der Beginn war der letzte fehlende Puzzlestein zur Geschichte, und der entstand erst Freitagnachmittag, wie von selber, während einer Arbeitspause. Dafür, dass ich die Geschichte dann am selben Abend noch postete (die Begründung dafür findet sich in meiner ersten Kommentarantwort) bin ich mit der Anfangsszene eigentlich auch recht zufrieden.

harrytherobot schrieb:
… ist mir, offen gesagt, ebenso egal wie die Frage, wie lange man auf einer Zigarette herumkauen kann, oder ob das Meer honigfarben aussehen kann. Die Atmosphäre stimmt, und das ist mir [ … ] wichtiger als etwaige Logigfehler.
Mein Lieblingssatz 'Das Feuer knisterte hinter Josip und sein Kopf schien in Flammen zu stehen'. Wunderbar..

Na ja, Harry, da hab ich mit dir offenbar den idealen Leser gefunden, einen Leser, wie ihn sich wohl jeder Autor wünscht, einen Leser, der die Geschichten genauso liest und versteht, wie der Autor wünscht, dass sie gelesen und verstanden werden. Scheinst mir ein ähnlich hoffnungsloser Romantiker zu sein wie ich. Ist nichts schlechtes, sag ich mal. Und dass du zielsicher einen Satz zitierst, der auch zu meinen Lieblingen gehört, überrascht mich schon gar nicht mehr.
Dass das Meer allerdings wirklich jede nur erdenkliche Farbe haben kann, je nachdem, welcher Himmel drüber ist, bzw. wie die Sonne halt steht, kannst du mir als Segler glauben. (Gib mal in der Google-Bildersuche „Sonnenuntergang am Meer“ ein)

Tja, ihr zwei, vielen Dank für euer Lob.
Und auf deinen nächsten Besuch freue ich mich schon, Friedel.


offshore

 

Hey offshore,

das ist hübsch, das fließt so sachte dahin, obwohl ich schon das Gefühl habe, es handle sich hier gar nicht um ein Bächlein, sondern eher um einen Strom. Und da stimme ich jimmy und Proof zu, wenn der eine sagt, es wäre ein toller Romananfang und der andere, ja, da drückt sich aber einer. Während Du mich hier so sanft durch die Geschichte führst, wirfst Du rechts und links des Weges immer wieder hübsche Konflikte aus - die Beziehung von Milo und Franziska, der Unfall, die Zeit danach, der Schritt der Entscheidung, sich dem Kind widmen zu wollen und dann die "Entführung" und klar, man denkt als Leser ja weiter, dass es nun eigentlich erst los geht, mit den Schwierigkeiten. Das wird hier alles nur erwähnt, wirklich ausgeführt wird keiner der Punkte und so bleibt es eine laue Sommergeschichte die man gut und gern liest, die unterhält, die hat ein Sommerende, und die Problemchen rechts und links des Weges nimmt man als lausiger Tourist natürlich nicht wahr. Es wäre sicher auch Stoff genug einen Roman zu füllen, den ich gern lesen würde, wo mich die Figuren auch interessieren und die Geschichte die zu ihnen gehört und das ist natürlich zu viel Material für eine Kurzgeschichte. Schönes Dilemma haste da als Autor ;).

Außerdem hängt an allem ein Preiszettel dran in dieser Welt, wirst früh genug draufkommen, kleiner Blödmann.

Wo kommt das her? Ein wirklich sehr schlauer Satz. Habe ich gleich auswendig gelernt :).

„Milo! Endlich!“ Tränen liefen ihr übers Gesicht und sie klammerte sich an ihn, als wolle sie ihn nie mehr loslassen.
„Wo warst du so lange?“, schluchzte sie.
„Da und dort. Aber jetzt bin ich ja da.“

Da, guck, da will man doch wissen, wo er solange war und Du hier - ach so hier und da - reicht natürlich erst mal aus, um schlicht zu wissen, er war eben nicht da und jetzt schon, aber die Geschichte dahinter ... wat wäre das schön zu wissen ;).

Eine Spazierfahrt waren die siebenhundert Kilometer wahrhaftig nicht. Noch bevor sie die slowenische Grenze erreichten, setzte Regen ein. Und dann goss es in Strömen, Stunde um Stunde ohne Unterbrechung, eine wahre Sintflut, als stünde das Ende der Welt bevor.
Milo schlich dahin wie ein Fahrschüler, konzentriert und mit zusammengekniffenen Augen, und der kleine Fiat schlingerte durch die Gischt wie ein Boot, mehr als achtzig Sachen waren beim besten Willen nicht drin. Manchmal hielten ihn Fernlaster auf, und Milo hasste es, sie zu überholen. Hätte Lucie nicht pausenlos gequasselt und ihn mit ihren Späßen abgelenkt, wäre er übergeschnappt, er hätte eine Kippe an der anderen angesteckt und an den Fingernägeln gekaut oder sich die Lippen blutig gebissen.

Ja, solche Absätze sind dann natürlich wirklich schön. Da wird eine feine Atmospähre aufgebaut, man spürt die Anstrengungen der Fahrerei, und gleichzeitig ist natürlich hübsch, so richtig schnell kommt man eben nicht von einem ins andere Leben.

Und der ihm kurzerhand Lucie weggenommen hatte und sie ins Internat steckte, nicht weil ihm ihr Wohlergehen am Herzen lag, sondern einzig, um Milo zu quälen, diesen dahergelaufenen kroatischen Handwerker, diesen langhaarigen Tunichtgut, der sich erfrechte, sich Lucies Ziehvater zu nennen.

Und hier stecken in einem einzigen Satz, zwei Geschichten. Das nenne ich mal verdichtet :baddevil:.

Und im letzten Absatz verbreitest Du eigentlich nur noch Atmosphäre, da wird kaum noch was erzählt, bis auf den letzten Satz der mal so richtig als Paukenschlag gesetzt ist. Also, den könnte man durchaus noch mit Inhalt aufpeppen, um dann etwas leiser aus der leisen Geschichte auszusteigen. Mein Empfinden, also jetzt irre subjektiv.

So, jetzt schreib mal den Roman dazu :). Ich kauf den dann auch.

Beste Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Fliege

Fliege schrieb:
Das wird hier alles nur erwähnt, wirklich ausgeführt wird keiner der Punkte und so bleibt es eine laue Sommergeschichte die man gut und gern liest, die unterhält, die hat ein Sommerende, und die Problemchen rechts und links des Weges nimmt man als lausiger Tourist natürlich nicht wahr. Es wäre sicher auch Stoff genug einen Roman zu füllen, den ich gern lesen würde, wo mich die Figuren auch interessieren und die Geschichte die zu ihnen gehört und das ist natürlich zu viel Material für eine Kurzgeschichte. Schönes Dilemma haste da als Autor.

Wieso ich? Das Dilemma habt doch ihr Leser …
Nein, im Ernst jetzt, Fliege, natürlich bin ich mir dieses Dilemmas bewusst. Also ich empfinde es schon als Kompliment, wenn du und Jimmy sagt, dass meine Story Stoff für einen Roman bietet, aber gleichzeitig bin ich mir der Schwächen bewusst, die sich daraus ergeben.

Friedrichard schrieb:
„Alles wird nur angetippt, nicht mal angestoßen, …“

schrieb Friedel in seinem Kommentar und dazu fiel mir ein Satz ein, den er unter meiner Debütgeschichte schrieb:

Friedrichard schrieb:
„Die wahre Kunst besteht allemal in der bloßen Andeutung, …“

Jetzt könnte ich das natürlich ganz nonchalant so interpretieren, dass es genügt, dem Leser Puzzlesteinchen hinzuwerfen, auf dass er sich das Bild dann selbst zusammensetze …
In Wahrheit ist es allerdings so, dass mir, wie ich schon weiter oben geschrieben habe, das Entwerfen eines Plots, einer komplexen Handlung, furchtbare Schwierigkeiten macht. Das Schreiben stilistisch schöner Sätze ist dagegen beinahe ein Kinderspiel.
Ja, und dann reicht es halt einfach nur für hin und wieder mal eine Kurzgeschichte. Das liegt weniger an meinem Mangel an Fabulierlust, als vielmehr am Mangel an storytauglichen Ideen. Ja, und auch daran, dass mir mein wirklich anstrengender und zeitaufwändiger Handwerksberuf momentan noch dermaßen viel Freude bereitet, dass ich das Schreiben daneben als schieren Luxus betrachte.

Auf jeden Fall empfinde ich deinen Kommentar als positiv, Fliege, und freue mich entsprechend darüber, schon alleine dieses wunderbaren Schlusssatzes wegen:

So, jetzt schreib mal den Roman dazu. Ich kauf den dann auch.

Na ja, mal sehen. In so fünfzehn, zwanzig Jahren vielleicht, wenn mich meine Frau endgültig aus der Werkstatt zerrt, absperrt und den Schlüssel wegschmeißt („Genug geschuftet, offshore!“), und ich mich dann nach einem altersgerechten Zeitvertreib umsehen muss …


offshore


PS

Außerdem hängt an allem ein Preiszettel dran in dieser Welt, wirst früh genug draufkommen, kleiner Blödmann.

Wo kommt das her? Ein wirklich sehr schlauer Satz. Habe ich gleich auswendig gelernt

Ach Fliege, jetzt bin ich beinahe ein Jahr hier bei euch, da müsstest du doch schön langsam gemerkt haben, dass ich ein ziemlich schlaues Kerlchen bin. Natürlich ist der Satz von mir, aber ich schenke ihn dir gerne.
(dafür verzeihst du mir meinen offshoreschen … äh, sprachlichen Ästhetizismus? Gibt’s das Wort überhaupt? Egal.)

 

Bei dir, Friedel, hab ich sowieso nichts anderes erwartet, ...

Kann es sein,

lieber ernst,

dass Proofs Beitrag die kleine Lucie hat altern lassen? Wie soll es anders gedeutet werden, wenn der kindliche Lalllaut „Papa“ durch den Vornamen ersetzt wird. Sagte sie vordem

Du bist wie ein richtiger Baum, Papa […], so groß und so stark und so kratzig“,
spricht sie nun eine Kurznachricht (keine SMS, die wäre zwar modisch und modern, doch das, was sie spricht und Du niedergeschrieben hast, ist alles andere als Pidigin)
„Du bist so kratzig wie ein Baum, Milo“, hatte sie gesagt.
…, obwohl doch beteuert wird
Die Sache war nun mal kein Ladendiebstahl […], da konnte ihn Lucie hundertmal Papa nennen, sich an ihn klammern und heiße Tränen vergießen.

Und ein letztes Mal
„Schau ich nicht aus wie ein richtiger Matrose, [alt: Papa/neu: Milo]?“
Bedeutet die lange Fahrt in den Süden das Ende der Kindheit?

Aber genau in proof’schen „Vorwürfen“ (= Problemen)

… bisschen zu kitschig, … unproblematisch, … fernsehfilmmäßig. … Pseudokonflikte … eingleisig …
oder zusammenfassend
… eher so Märchendinger …
find ich eine vorläufige Lösung, denn ist nicht jede gute „Kindergeschichte“ eher für ein erwachsenes Publikum als für die lieben Kleinen, die heute in political correctness –

in Sachsen gibt’s seit dieser Woche nur noch Professorinnen mit Fußnote!, warum wird da nicht der Einfachheit halber gleich verordnet, dass die Bewohner Sachsens Sächsinnen zu heißen wären?, ob mit oder ohne Fußnöte -

wattegebäuscht und am besten per Pkw bis vor die Tür der Erziehungsanstalt gebracht und damit im Wirtschaftssystem i. S. eines Piaget eingegliedert, zu ordentlichen Konsumenten erzogen werden und laaaangsaaam verblöden? Da sollte man mal die ursprünglichen (Kinder- und) Hausmärchen lesen, vor allem aber deren Quellen. Das Publikum, vor allem aber der mainstream verlangte nach Mäßigung und gutem Ende.

Nennen wir’s also wie unsere Alten eine Mär (= Nachricht, Kunde, Erzählung) einer Heimkehr.
Wir verdanken die Ouvertüre dieser Mär einigen buchstäblich fußballernden Türkenblagen und dem Requiem scheppernder Eisenstäbe

… wie das eines schleudernden Wagens, der sich funkenstiebend unter den Motorblock eines Lasters schiebt …
… ein Geräusch wie aus einem Alptraum,
und der Albdruck erst auf der Heimfahrt aufgelöst wird, wenn das vorgeschoben Hundewetter, nicht das lahme Fahrzeug die vorsichtige und relativ langsame Fahrweise begründen muss.
Der Wagen wäre vielleicht schon längst aus einer Kurve geflogen, wäre in einem Abgrund zerschellt oder hätte sich unter den Motorblock eines entgegenkommenden 36-Tonners gebohrt …
[/QUOTE]Aber nun sind wir am (eigentlichen) Anfang der Geschichte angekommen:
… und sich mit dem zu einer untrennbaren Einheit vermählt, eine bizarre Metallskulptur erschaffend in einem winzigen Augenblick, in so lächerlich kurzer Zeit, wie eine Haselmaus [Anm.: sie ist in Europa und Kleinasien daheim] braucht, um mit der Wimper zu zucken. Sekundenbruchteile nur. Franziska aus dem Wrack zu schneiden, dauerte beinahe zwanzig Minuten, eine halbe Ewigkeit, die Feuerwehrmänner fuhrwerkten mit der Bergeschere herum und fluchten leise vor sich hin, während er die ganze Zeit ihre Hand hielt und sie ihn anlächelte. „Du passt mir auf Lucie auf“, sagte sie, „immer, versprich mir das.“ Und das war keine Bitte, kein flehentlicher letzter Wunsch, das war eine Feststellung. Bis zuletzt hatte sie gelächelt …
womit auch das mutmaßliche Kidnapping begründet wäre.

Warum fang ich so umständlich an?
Es ist eine – wenn auch verkürzte und modernisierte, gesamt-europäische Mär von der Heimkehr, wenn ein größerer Held gar nicht so weit weg von der heutigen kroatischen Küste aufgewachsen ist und ein anderer Kampf der Kulturen in sein Endstadium getreten ist. Gemeint ist der berühmteste Rumtreiber und – kann es anders sein? – Ithaker, dessen Geschichte weniger im Krieg auf den Straßen Mitteleuropas als in den Trümmern einer konkurrierenden Handelsmetropole am Hellespont beginnt – aber auch nur als Erinnerung.
Die Odyssee beginnt nach den Gesängen der Telemachie auf Ogygia – weiß jetzt wieder keiner was mit anzufangen, aber ich behaupte mal, da wird Odysseus nicht sieben Jahre lang den Calypso getanzt haben ...

Die nymphengleiche Kalypso verspricht ihm im verflixten siebenten Jahr des Zusammenseins die Unsterblichkeit, wenn er denn bei ihr bliebe. Aber Odysseus glaubt so wenig an die Unsterblichkeit wie an einen Götterhimmel, der sich kleinlicher gibt als es Spießbürger, Hofräte und die ganze Ministerialbürokratie je könnten, was Homer gegenüber dem „mainstream“ seiner Zeit zu verbergen wusste, hinwieder in der Telemachie gar nicht nötig ist: hier mischt sich die Oberhofrätin Athena persönlich ein, aus dem Knaben einen Helden zu machen … Und - suchte und wartete nicht auch Telemachos auf seinen „Papa“?, freilich zwanzig Jahre lang …

„Die wahre Kunst besteht allemal in der bloßen Andeutung, …“
gilt allemal,

lieber ernst,

und bevor's ausufert noch was zu einem Namen der Franziska: Die fränkischen Stämme nannten ihre Streitaxt liebevoll Franziska nach ihrem eigenen Namen, der "die Freien" (manche vermuten auch "die Tapferen" dahinter) bedeuten mochte wie heute noch in der Redwewendung "frank und frei". (Das Postwesen hat daraus natürlich parodiert im frankieren und freimachen ...)

Gruß

Friedel

 

Hallo Offshore,

der Stil hat mir auch gefallen. Hab da tatsächlich an Stephen King denken müssen, vielleicht weil ich gerade was von ihm gelesen hab … aber auch so, ich finde wirklich, ... das liest sich spannend, und gleichzeigt lässt du dir aber Zeit mit Betrachtungen und Gedanken - diese Idee, alle Verletzungen des Lebens auf einmal - finde ich gut und anschaulich und natürlich auch ein bisschen in der Spannung/Gruselschiene drin. (Wobei fast alles was extrem "anschaulich" ist, in dieser Schiene drin ist)
King Schreibt übrigens auch so wie du, jedenfalls behauptet er das, der macht nicht viel mit Plotting, der denkt sich eine gute Ausgangssituation mit viel Konfliktpotential aus - und dann steigert er sich quasi rein und lässt sich gehen und "die Story setzt sich an die Steuer". So sagt er das jedenfalls. Ob das wirklcih generell empfehlenswert ist ... weiß ich jetzt nicht. Manche Geschichten kann man vielleicht so schreiben, Schritt für Schritt, andere muss man sicher planen. Aber du hast hier auf jeden Fal eine gute Ausgangssituation mit viel Konfliktpotential und es ist gut geschrieben - und ja ... also wenn du King wärst oder einfach ein Autor mit dem Auftrag: Schreib mal was Spannendes. Drei Monate Zeit. Der Weg ist hier klar: Die Polizei kommt irgendwann. Man flieht. Es kommen Selbszweifel auf, irgendwas Unerwartetes in der Mitte ... packendes herzerreißendes Drama zum Schluß .. Happy End ..Ja? Nein? das ist keine "neue" Geschcihte, aber vielleicht kannst du dem unterwegs was Neues hinzufügen.
Ich mein, ich will dein Werk als solches nicht schmälern, das ist eine angenehme Lektüre, aber ... es liest sich halt wie "der Anfang", oder? Also es muss jetzt auch nicht gleich EIN ROMAN sein, aber mit solchen Ideen ... da kann man sich auch richtig in den Konflikt hineinwagen und sich dann auch mal akut über den Plot den Kopf zerbrechen, und zwar so, dass der Leser das auch erkennen kann, dass es eine schwierige Situation ist und verdammt, wie funktioniert das eigentlich? Und die Figuren müssen dann auch überlegen: Scheiße wie geht's weiter? Die sitzen dann rum und rauchen und beraten sich und kratzen sich am Schädel. Und der Leser dann auch: Ja fuck, gute Frage, wie kommt man raus aus so ner Situation? Was macht man da? Es ist gut, wenn der Leser sich solche Fragen stellt. Und ich glaube, wenn man als Autor auf originelle Lösungswege kommt und dem Leser einen Schritt voraus ist, (was man normalerweise auch ist, schließlich hat der Leser nicht so viel über das Problem nachgedacht wie du als Autor) und dann noch ein bisschen Erzähltalent - so können auch richtig gute Geschichten entstehen. Und dann so die vier- oder acht- oder sechszehn-fache Länge vielleicht.
Naja.. nur so ne Idee von mir. :)

Mir war übrigens auch nicht ganz klar, wie genau Milo mit Lucie und dann Franziska in Verbindung steht. So was kann man auch deutlicher machen, find ich.

Ist auf jeden Fall ein schöner Text.

MfG,

JuJu

 

@ Friedel und JuJu

Warum fang ich so umständlich an?

fragst du gegen Ende deines Kommentars, lieber Friedel, und deutest damit implizit an, dass es sich bis hier her bloß um den Prolog gehandelt habe …
Nun ja, ich bin mittlerweile lange genug im Forum und habe genug Beiträge von dir gelesen, um imstande zu sein, aus deinen aus- und überufernden, ab- und drumherumschweifenden, zitierwütigen und wortdrechselnden, kurz friedrichardesken Fabulierkunstwerken nicht nur ein gerüttelt Maß an Amüsement zu ziehen, sondern obendrein das für mich als Autor Wesentliche zu destillieren.

Nun denn:

Kann es sein, dass Proofs Beitrag die kleine Lucie hat altern lassen? Wie soll es anders gedeutet werden, wenn der kindliche Lalllaut „Papa“ durch den Vornamen ersetzt wird.

Nein, nicht Proofs Beitrag veranlasste mich zu diesen Änderungen, sondern meine eigenen Bedenken, dass ich Lucies und Milos Verhältnis zueinander möglicherweise zu missverständlich dargestellt hätte. Wenn sie ihn ausschließlich Papa nennt, befürchtete ich, legt das für viele Leser vielleicht den Schluss nahe, er sei ihr wirklicher Vater.

…, obwohl doch beteuert wird

… da konnte ihn Lucie hundertmal Papa nennen, sich an ihn klammern und heiße Tränen vergießen.

Damit will ich ausdrücken, dass sie ihn allerdings als solchen betrachtet. Aber ob nun leiblicher Vater, Ziehvater, Stiefvater, großer Freund, whatever, im Grunde geht es ja nur um ihre kindliche Liebe und ihr grenzenloses Vertrauen zu Milo.
(Ihr leiblicher Vater darf Milo ja nur deshalb nicht sein, weil sonst der Story die Grundlage entzogen wäre. Das hat ja auch schon Schwups in seinem Kommentar sehr scharfsinnig dargelegt.)

Und ein letztes Mal:

„Schau ich nicht aus wie ein richtiger Matrose, [alt: Papa/neu: Milo]?“

Aber unmittelbar danach nennt Lucie ihn nun erstmals in der Geschichte wirklich Papa:

„Nur Kugelschreiber. Komm doch mit, Papa. Bitte.“

Ein letzter Hinweis darauf sozusagen, wie scheißegal ihr der offizielle Status von Milo eigentlich ist. Immerhin war er ja beinahe ihr ganzes Leben lang neben Franziska die wichtigste Bezugsperson für sie, und nur das zählt.

womit auch das mutmaßliche Kidnapping begründet wäre.

Bedeutet die lange Fahrt in den Süden das Ende der Kindheit?

… oder zusammenfassend […] find ich eine vorläufige Lösung, denn ist nicht jede gute „Kindergeschichte“ eher für ein erwachsenes Publikum als für die lieben Kleinen, die […] bis vor die Tür der Erziehungsanstalt gebracht und damit im Wirtschaftssystem i. S. eines Piaget eingegliedert, zu ordentlichen Konsumenten erzogen werden und laaaangsaaam verblöden?


Na ja, und damit sprichst du einiges an, was mir beim Schreiben der Geschichte ohnehin im Kopf herumgegeistert ist, und die Tatsache, dass ich diese Ideen nicht weiter ausführte, haben mir auch den Tadel so mancher anderer Kommies eingebracht (z.B. von Fliege: „Schreib einen Roman, offshore!“)

Milo ist ja nicht nur ein gefühlsduseliger Kindskopf, sondern er zerbricht sich durchaus den Kopf darüber, was für das Wohlergehen (das Seelenheil?) Lucies am besten sei.
Unter der Obhut des lieblosen Karrieristen Hofingers aufzuwachsen, in einer, weiß der Teufel, vielleicht sogar Eliteschule bestmöglich auf den Ernst(!) des Lebens vorbereitet zu werden, oder mit ihm, Milo, dem romantischen Outlaw, die Welt zu entdecken?
Hätte sie etwas später, als Teenager dann, nicht ohnehin die Möglichkeit, sich für einen eigenen Weg zu entscheiden? Und wäre sie für solch eine Entscheidung durch das aufregende Leben mit Milo vielleicht sogar besser vorbereitet?

Scheiß drauf, ich werde einen Roman aus der Story machen. Und ihn Fliege und Jimmy widmen.
Und vielleicht auch dir, Friedel. Und natürlich auch bernadette und …

Vielen Dank für deine intensive (friedrichardeske) Auseinandersetzung mit dem Text.

Servus JuJu,


Und dann so die vier- oder acht- oder sechszehn-fache Länge vielleicht.

… und Jimmy hätte gerne 50 A4 Seiten und Fliege am liebsten überhaupt gleich einen Roman … Aarghh, ihr macht mich noch wahnsinnig.
Äh, wir reden aber schon von einer Kurzgeschichte, oder?

Aber mal im Ernst. Abgesehen davon, dass ich zu dieser Story wirklich noch einiges im Kopf hätte und das darin schlummernde Potential möglicherweise noch einiges hergibt, frage ich mich doch, ob die Geschichte mit ihrem jetzigen Format und in ihrer jetzigen Form nicht einfach genügen kann? Als „eine angenehme Lektüre“ halt, ganz unabhängig davon, auf welche Art der Plot entstanden ist. Oder wirkt sie wirklich zu fragmentarisch? Also, na ja, halt dem Leser Appetit machend und dann kommt nix mehr, alles verbleibt irgendwie in Andeutungen, was weiß ich.
Ich selbst kann sie natürlich nicht mehr unbefangen lesen, ich weiß auch nicht wie’s dem Leser geht, der all das nicht weiß, was ich weiß …
Das beste wird wohl sein, dass ich jetzt einfach mal darauf beharre, ohnehin nicht mehr gewollt zu haben, als ein kleines sentimentales, schönes Sommergeschichtchen zu schreiben.
Und mir insgeheim die Option offenhalten, das Ding zu einem 600 850-Seiten Schmöker auszuarbeiten. Später. Irgendwann.


der Stil hat mir auch gefallen.

In Wahrheit geht’s mir doch nur darum, Juju, nur das will ich hören, mehr brauch ich gar nicht, um glücklich und stolz zu sein.
Mir geht es nur um Stil und Sprache, weil ich keine Message habe, die ich weitergeben will.“ Das sagte Philippe Djian, dessen Bücher mich seit gut dreißig Jahren durchs Leben begleiten. (Dafür kenne ich keine einzige Zeile von Stephen King.)
Und dem kann ich nicht viel hinzufügen.

Vielen Dank, JuJu, für deine wirklich tollen Worte!

offshore

PS
Natürlich werde ich auch dich in der Widmung erwähnen, noch vor meinem Friseur.

 
Zuletzt bearbeitet:

Also offshore,

ich habe deine Geschichte jetzt nach deinen Änderungen noch einmal genau gelesen. Mir war nicht - und wäre jetzt immer noch nicht - klar, dass Lucie quasi vom Opa erzogen wird, weil diese Abholaktion von der Schule so aussieht, als ginge sie in eine normale Tagesschule. (Da musst du was ändern, unbedingt).

Damit habe ich natürlich verbunden, der Opa, der in Wien wohnt, ja ganz weit weg und halt nicht besonders sympathisch ist, aber wie soll man am Anfang aus deinem jetzigen Text herauslesen, dass er eigentlich der Erziehungsberechtigte ist? Da würde ich den Leser nicht so lange im Unklaren lassen, das verwirrt nur unnötig. Ein konkreter Satz reicht ja schon aus, um Klarheit zu bringen.

Ja, und eigentlich zielt diese Geschichte im Kern daraufhin ab, dass ein Lebensabschnittspartner, egal, wie lange er das ist, keine Rechte am Kind hat. Hätte Milo Lucie adoptiert, wäre alles in Ordnung. Es ist also falsch, den Groll gegen den Opa zu richten, sondern der Mißstand ist in den Gesetzen zu suchen. Das ist auch das Perverse daran: trockene Justiz contra Menschlichkeit.

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo ernst offshore,

an deinem Stil ist - wie immer - nichts auszusetzen. Es gab zwei, drei Stellen, da machst du es dir unnötig schwer.

Beispiele:

1. so lächerlich kurzer Zeit, wie eine Haselmaus braucht, um mit der Wimper zu zucken.

Das passt irgendwie nicht. Da willst du vermutlich ein Darling retten, aber dieser Vergleich passt nicht zu dem, was du drum herum erzählst, und deshalb stört es mich als Leser. Warum soll ich während einer tragischen Unfallsituation an eine Haselmaus denken?

2. Franziska aus dem Wrack zu schneiden, dauerte beinahe zwanzig Minuten, eine halbe Ewigkeit, die Feuerwehrmänner fuhrwerkten mit der Bergeschere herum

Das braucht es nicht. Weder eine exakte Zeitangabe noch ein halbiertes Empfinden. Das liest sich dann so eingeengt und unentschlossen. Viel besser fände ich:

Franziska aus dem Wrack zu schneiden, dauerte eine Ewigkeit. Die Feuerwehrmänner fuhrwerkten mit der Bergeschere herum ...

Die literarische Ewigkeit ist so herrlich subjektiv, aber für jeden Leser klar und eindeutig verständlich. Eine Ewigkeit wird hier zu einer exakten Zeiteinheit, weil mein Kopf sie mit ganz vielen tragischen und schrecklichen Bildern füllt. Aber zwanzig Minuten oder eine halbierte Ewigkeit, das begrenzt dieses Freiheit!

Tja, dein Text schafft etwas Erstaunliches. Er steckt voller Konfliktpotential und du lässt das völlig ungenutzt. Es ist eine (fast zu) liebenswerte Geschichte, die sich (fast zu) glatt und reibungslos auf ihren Schluss zubewegt, der kein Ende ist, sondern ein Anfang von Etwas, das mich noch viel mehr interessiert, als das, was du bereits erzählt hast.

Mir ist das zu wenig. Und das soll ein Kompliment sein, denn ich fühle mich gut beim Lesen deiner Texte und folge deinen Worten gern. Du hättest mich also als Leser bzw. mir als Leser

a. in der erzählten Geschichte ruhig emotional abwechslungsreicher "rannehmen" können. Mehr Ecken und Kanten und mehr Dramaturgie zwischen Vater und Tochter, vielleicht fremdelt sie zunächst, oder vielleicht ist er erst unbeholfen und, und, und ...
b. nicht den besten Teil der Story vorenthalten dürfen, denn der mächtige Großvater wird diese Entführung nicht so einfach durchgehen lassen. Das dicke Ende kommt also noch, und das fände ich spannend und interessant.

Fazit meiner Kritik (die ich auch häufig auch bei meinen eigenen Kurzgeschichten anwenden könnte):

Aus Feigheit und/oder Faulheut opfern wir so manche Romanidee und beschneiden sie so stark, bis sie mehr oder weniger in das Kurzgeschichtenformat passen. Aber es sieht immer so aus, als hätte man ein viel größeres Gemälde als Ausschnitt in einen zu kleinen Rahmen gezwängt.

Tja. So kam das bei mir an.

Rick

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom