Was ist neu

Mondschlaf

Empfehlung
Wortkrieger-Team
Seniors
Beitritt
31.01.2016
Beiträge
2.228
Zuletzt bearbeitet:

Mondschlaf

Vivien lauscht den Äpfeln, die vom Baum fallen. Sie streifen trockenes Laub und Äste. Und während sie tagsüber diesen Vorgang kaum wahrnimmt, hört es sich nachts an, als lösen sie sich vom Zweig, um hinabzustürzen. Sie hört, wie sie im Hof auf den Boden treffen. Manche springen einmal auf, wie in einem gespenstischen Tennismatch. Sonst ist im Hinterhof kein Laut zu vernehmen. Möwen, Krähen und die Nachbarn bevölkern den Garten erst später am Tag und machen sich über das Obst her. Vivien könnte einen langen und tiefen Schlaf gebrauchen. Sie würde aufwachen, wenn all das Schwere vorüber wäre. Sie führt eine offene Beziehung mit dem Tod, der seit Jahren allgegenwärtig ist. Vivien lächelt, denn sie stellt sich vor, wie der Tod Ansprüche stellt und grollt, sie solle gefälligst zu ihm stehen, sich bekennen. Ihre Bettseite steht zum Fenster gewandt, sie kneift die Lider zu, bis ihr die Anstrengung dafür auffällt. Als sie die Augen öffnet, legt der beinah runde Mond das Licht durchs Fensterglas auf sie wie ein Scheinwerfer: Hier liegt Vivien im Mondschlaf; die Vorhänge sind originalverpackt im Schrank verstaut. Georg kann sich nicht dazu bewegen, sie vor dem Fenster anzubringen.

Die Hausbewohner stellten sich in der ersten Woche nach dem Einzug bei ihnen vor. Manche klingelten direkt an der Tür, boten ihr die Falläpfel aus dem Garten oder Hilfe an, indem sie Pakete annehmen würden. Andere fingen sie im Kellergang ab, wenn sie die leeren Umzugskartons hinuntertrugen, und verwickelten sie in ein Gespräch. Überraschenderweise endeten sie meist einheitlich mit dem Satz: Wir sind im Grunde ein sehr ruhiges Haus. Vivien gab gerade so viel preis, dass die Neugier der Nachbarn gestillt wurde und sie das Gefühl hatten, etwas über sie zu wissen, über die freundliche, schweigsame Frau an der Seite eines noch schweigsameren Mannes. Aber vermutlich konnten sie ihm sowieso ansehen, wie wenig er für Nachbarn übrig hatte, wenn er leicht gebeugt an ihnen vorbeiging, nur einen Mundwinkel verzog, in der Annahme, es würde als ein Lächeln durchgehen. Würden sie bemerken, dass er die fünfzig gerade erst überschritten hatte? Der Apfelbaum, dessen oberste Früchte von ihrem Fenster aus zum Greifen nah schienen und die Nähe zum Mond, waren für Vivien die Gründe, die Wohnung im Dachgeschoss zu beziehen. Für Georg war es die Ruhe. Sein Bedürfnis danach wuchs schneller als der Tumor in seinem Bauch. Er befreite sich von Dingen genauso wie von Menschen und ihr gemeinsamer Alltag wurde stiller und stiller, die Anrufe von Freunden weniger. Hin und wieder kamen seine Schwester oder Viviens Mutter. Doch diese Stille in der Wohnung war für beide schwer zu ertragen und mehr als ein Pflichtbesuch wurde nie daraus.

Sie haben sich dann auch mühelos eingefügt und führten Gespräche an den Mülltonnen über den nahenden Winter und beantworteten Fragen über die Familie. Es war keine echte Entscheidung, das Haus auf dem Land zu verkaufen und in die Stadt zu ziehen. Es war ein Reflex von Georg, nach und nach Ballast abzuwerfen. Seine Kraft reicht nicht für das Leben in einem Haus mit Garten. Die reicht gerade, um den Tod auf Abstand zu halten und sich selbst zu ertragen.
„Du schläfst nicht.“ Er spricht heiser, zerschneidet die nächtliche Stille. Nach jedem gefallenen Apfel wartet Vivien auf den nächsten. Sie zählt die Sekunden dazwischen.
„Du auch nicht.“
Wie ein Wal ist Georg mit einer Hirnhälfte immer wach. Wachsam. Als erwarte er jeden Moment das Ungeheuer und könnte es daran hindern, ihn hinterrücks zu erschlagen. Aber es schleicht sich leise und langsam an. Viviens Wachsein in hellen Mondnächten ist ein anderes als das am Tag. Wenn sie auch nicht schläft, fühlt sie sich nicht in der Lage, irgendetwas zu tun; in einigen Momenten ist es so, als würde sie traumwandlerisch zurückblicken, auf die Zeit, als sie Georg das erste Mal sah. Er stand wie aus dem Nichts vor ihr auf dem Steg im Hafen und bot seine Hilfe an, weil sie damit beschäftigt war, den Proviant für eine längere Tour auf das Boot zu verfrachten. Georg sah aus, als hätte er mit bloßen Händen Seeungeheuer töten können. Er nahm mit der Selbstverständlichkeit eines Arbeiters die Kisten mit den Lebensmitteln und trug sie an Bord. Und während Vivien munter plapperte, hörte er zu und machte den Eindruck, als würde er dafür bezahlt, kein Wort zu sagen. Mit einer Freundin wollte Vivien den Sommer auf der Ostsee verbringen und vier Wochen später bei ihrer Rückkehr stand Georg an derselben Stelle, als hätte er sich seit ihrer Abreise nicht vom Fleck gerührt. Vivien könnte augenblicklich niemanden dazu bewegen, für sie ein Boot zu beladen, mit dem sie fortsegeln könnte, denn es scheint, als würde die Lebendigkeit auch aus ihr weichen.

„Ich koch Tee. Willst du auch?“ Vivien muss nicht auf die Uhr sehen. Sie hat ein Gefühl für die Zeit in der Nacht, mehr als für die am Tag, wenn sie damit beschäftigt ist, Essen zuzubereiten, das ihm bekommt, ihn nicht anwidert, nicht im Rachen brennt oder im Magen, wenn sie mehrmals am Tag die Betten frisch bezieht. Die Waschmaschine ist permanent in Betrieb. Auch sie ist leise. Georg richtet sich auf. Nun sitzen sie beide auf der Bettkante, wenden sich gegenseitig den Rücken zu und der Raum dazwischen ist weit und kalt und dunkel wie der Ozean.
„Ich bin so müde“, sagt Vivien leise zum Mond. Sie sagt nicht, dass es ihr nicht nur an Schlaf mangelt. Schmerzhafter ist der Mangel an Hoffnung und an Glück. Sie fühlt diese lähmende Leere und wüsste nicht, womit die zu füllen wäre. Mit zwei Tassen Tee kommt sie ins Schlafzimmer zurück. Georg sitzt noch immer auf der Bettkante, der Kopf hängt herab, als wäre er im Sitzen eingeschlafen und Vivien stellt den Becher leise auf den Nachttisch.
„Wann hast du den Termin?“ Der Wal schläft eben nie ganz.
„Ich werde nicht hingehen.“
„Du solltest aber.“ Alles, was er sagt, klingt gleich. Ob er nach einer Tasse Tee verlangt, über den aufziehenden Sturm spricht oder Helene fragt, wie ihr Tag war. Es sind Herbstferien und Helene ist mit Freunden ins Sommerhaus gefahren. Es wird nur noch selten genutzt. Ballast, sagt Georg. Die Wohnung scheint nun wie ausgestorben. Vivien hat sie minimalistisch eingerichtet, Vieles neu gekauft. Nicht, weil es schick ist. Sie haben sich als Familie nicht mitnehmen können. Es ließen sich lediglich die Möbel transportieren. Die meisten lagern im Keller und finden in den Räumen auch keinen Platz. Im Esszimmer hallt es, wenn sie bei den Mahlzeiten mit dem Besteck das Porzellan berühren.

„Wie geht’s deinem Kopf?“ Er spricht leise.
„Nicht so schlimm. Nur ein … Streifschuss.“
„Ich fahre später zu Nils; der repariert ihn wieder.“
„Soll ich ihn abschrauben oder dich im Stück begleiten?“ Er lacht nicht. Für Vivien ist Humor oftmals die einzige Rettung, einen Sinn zu sehen, um einzuschlafen und wieder aufzuwachen, den Tag zu überstehen, überhaupt zu reden.
„Nils ist ein guter Tischler. Der wird den Stuhl hinkriegen.“
Hätte Vivien auf dem Teppich gelegen, inmitten ihres eigenen Blutes und alles wäre vorüber gewesen, würde im Obduktionsbericht stehen: Bei der Tatwaffe handelt es sich um einen Designstuhl aus geweißter Eiche. Georg hatte ihn nicht nach ihr geworfen. Er warf ihn einfach. Sie stand in der Schusslinie. Wie letzten Sommer, als er mit der Faust gegen die Tür schlug, sie bei der Rückwärtsbewegung hinter ihm stand und der Ellenbogen ihren Brustkorb traf. Eine Rippe wurde dabei gebrochen, sie schützte erfolgreich das Herz und wuchs wieder zusammen. Georgs Leid würde kein Ende nehmen.
„Könntest du dann bitte auf dem Weg unten bei Herrn Stegmann klingeln. Mein Schuh liegt in seinem Garten. Ich habe gerufen und gewinkt, nachdem er ihm beim Laubharken beinahe auf den Kopf gefallen wäre. Der Schuh fiel mir einfach aus der Hand, als ich ihn auf das Fensterbrett stellen wollte.“ Georg fragt nicht. Er wundert sich nicht mehr über die Dinge, die geschehen.
Über seine Schmerzen spricht er auch nicht, nicht über die Infektionen, die die Therapie mit sich bringen, die tauben Füße, die ihn immer wieder taumeln lassen und ihm den Ausdruck eines alten Mannes geben. Nur die Salben, Dosen, Becher und Schachteln, die überall verteilt in den Räumen griffbereit stehen, weisen darauf hin, dass Georg immerzu etwas zu bekämpfen hat.
Georg verlässt das Schlafzimmer; den Tee hat er nicht angerührt. Sie weiß längst nicht mehr, was er macht, wenn er nicht bei ihr ist. Er füllt seine Zeit auf eigene Weise. Vivien sieht ihn sitzen, an die Wand sehen, oder den Kopf auf die Hände gestützt auf das Parkett blickend, auf den Fernsehbildschirm. Tagsüber erledigt er kleinere Einkäufe, unternimmt Spaziergänge, nimmt Arzttermine wahr. Manchmal bleibt er mehrere Tage weg. Es ginge ihm gut, schreibt er dann in einer Kurzmitteilung. Erschöpft kommt er von seinen Ausflügen zurück.

An die Wand gelehnt sitzt Vivien im Bett und der Mond ist weitergezogen, erhellt die Wolkenfetzen am dunklen Himmel und verleiht ihm etwas Dramatisches. Der Tee in Viviens Tasse ist kalt geworden, während die Müdigkeit unaufhaltsam sämtliche Empfindungen dämpft. In zwei Stunden wird die Sonne aufgehen und Vivien wird wieder nicht wissen, womit sie den Tag füllen kann, um sich lebendig zu fühlen. Sie wird zum Gespräch mit einem Psychologen erwartet. Leise zieht sich Vivien an und geht mit einem Eimer in der Hand durch die Wohnung. Im Vorbeigehen sieht sie Georg im Wohnzimmer auf dem Sofa liegen. Sie kann nicht erkennen, ob er schläft. Vorsichtig zieht sie die Wohnungstür hinter sich zu.
Die aufgehende Sonne erhellt den Innenhof nicht und Vivien beginnt, die Äpfel aufzuheben, die verstreut auf dem vertrockneten Rasen liegen, legt sie vorsichtig in den Eimer, als könnte sie ihnen keinen weiteren Schlag zumuten. Sie nimmt alle auf, macht keinen Unterschied in welchem Zustand sie sind. Wie viel Zeit dabei vergeht, vermag sie nicht zu sagen. Die Sonne geht ihren üblichen Weg am wolkenlosen Himmel, fällt nach und nach auf jeden einzelnen Apfel am Boden. Unbeirrt füllt Vivien den Eimer. Als er voll ist, legt sie die weiteren in eine Holzkiste.
Sie hat Georg nicht kommen hören. Als würde sie sich in einem Traum bewegen, vollführt sie immer und immer wieder dieselbe Bewegung. Seine Hände berühren ihre flüchtig, als er auch Äpfel in die Kiste legt, und Vivien durchfährt ein zärtliches Gefühl. Gierig nimmt sie es auf, möchte es verwahren wie dieses Obst, kann es nicht halten und es hinterlässt nichts weiter. Schweigend sammeln sie gemeinsam die Früchte in die Kisten. Georg hat nichts gespürt.
„Du kannst Saft daraus machen.“
„Und Apfelmus.“
„Apfelkuchen.“
„Mit Streuseln. Wir könnten die Nachbarn …“
„Wann kommt Helene zurück?“
„Samstag“, antwortet Vivien.

Im Wartezimmer sieht sich Georg etwas auf dem Display seines Telefons an. Vivien zupft an ihrer Nagelhaut. Die Stellen sind ausgefranst. Immer wieder streicht sie sich die Haare aus dem Gesicht. Sie will keine Zeit verschwenden und hat sich angewöhnt, immerzu etwas zu tun. Auch Sinnloses.
„Was könnte er mir schon sagen?“, flüstert Vivien in Georgs Ohr, obwohl sie alleine sind. Der legt eine Hand auf ihr Bein, die Kälte dringt durch den Stoff ihrer Hose. Nur selten sind seine Hände warm. Er sieht unentwegt auf das Telefon.
Bevor sie ihres ausschaltet, wirft sie einen Blick auf die Nachrichten. Georg hat ihr eben ein Foto geschickt. Er macht viele Aufnahmen, immer vom Himmel, von den Wolkenformationen, den Farben und vom Licht. Vivien wird aufgerufen und während sie zögernd aufsteht, bleibt Georg sitzen. Sie lässt ihn zurück, verschwindet hinter der doppelten und gepolsterten Tür.
„Was führt Sie zu mir?“ Vivien hat diese Eröffnungsfrage erwartet, ärgert sich dennoch darüber.
„Das wissen Sie doch. Ich sagte es ja auch schon am Telefon und ihrer Kollegin …“
Der Arzt nickt und seine Miene ist eine erprobte Mischung aus angedeutetem Lächeln, Verständnis und Nachsicht. Vivien schweigt. Sie weiß wirklich nicht, was sie sich von diesem Gespräch erhofft hat. Ihrer Stimme ist es anzuhören, dass sie sich zwingt, angemessen zu sprechen, ruhig zu bleiben, als sie sagt: „Ich weiß nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Alles, was ich bin, was ich weiß, reicht nicht aus. Seit vier Jahren ist das Leben eine einzige Lüge. Der Tod lauert überall.“ Sie hatte sich einen anderen, weniger emotionalen Text zurechtgelegt. Der Arzt nickt.
„Ich kenne die Diagnose Ihres Mannes und den Krankheitsverlauf.“
Vivien runzelt die Stirn.
„In meiner langjährigen Tätigkeit ist mir kein Fall untergekommen, der in einer Heilung geendet hätte. Ich möchte, dass Sie davon ausgehen, es wird nicht mehr allzu lange dauern. Er hat bereits sehr viel Zeit gewonnen.“ Während Vivien noch versucht zu verstehen und überlegt, was mit gewonnener Zeit anzufangen wäre, fährt er fort.
„Sie sollten sich darauf vorbereiten.“
„Ich vergesse aber dabei zu leben. Ich kenne die Prognose, weiß um jedes geschenkte Jahr“, sprudelt es aus hier heraus. Sie erkennt ihre Stimme in diesem Zustand nicht wieder. „Ich bin nicht hier, um es mir wieder und wieder sagen zu lassen. Ich kenne das Wunder, weiß nur nicht mehr, wie ich mit diesem Wunder leben soll. Ich bin hier, weil …“ Weil sie nicht länger das Ventil seiner Wut sein will. Mit Angst kann sie gut umgehen. Vivien kennt sie. Georg ist lieber wütend. Oder deprimiert. Sie weiß nicht, was gesagt werden muss. Sie sagt nichts und fürchtet, dass sie müsste. Dass die Zeit drängt und nichts ungesagt bleiben darf.
„Sie können jederzeit mit mir reden, zu mir kommen.“
„Ich weiß, danke.“
„Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Termin bei meiner Frau geben. Sie ist Psycho-Onkologin.“
„Das ist nicht nötig. Danke.“ Vivien nimmt ein Taschentuch vom Tisch und schnäuzt hinein bevor sie den Raum verlässt. Georg sitzt nicht auf seinem Platz. Er ist nicht mehr da. Mechanisch nimmt sie ihre Jacke vom Kleiderständer und verlässt die Praxis.
„Ihr Mann wollte ein bisschen an die Luft“, ruft ihr die Dame an der Anmeldung hinterher.

„Du wirst sterben, sagt er." Georg sitzt auf einer Bank in der Sonne. Sie sind zu müde zum Lachen, aber sie stoßen beide Luft durch die Nase aus und es könnte ein verhaltendes Lachen sein.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej du nachaktiver @erdbeerschorsch ,

zum Glück hab ich schon geschlafen, denn sonst hätten mich deine Bemerkungen Teile meines Schönheitsschlafes gekostet.
Du bist mit einem sehr scharfen Skalpell und Samthandschuhen an meinen Text :D gegangen, als wüsstest du genau, wie es am besten funktioniert, ich funktioniere. :shy:

Und - ich bin dummerweise zu ungeschickt, um über eine übergreifende Würdigung nachzudenken;

übergreifende Würdigung *schluck* - Is’ schon okay so :kuss:

Ich bin zwar kein Erster-Satz-Fetischist, aber dieser:
-- "Vivien lauscht den Äpfeln, die vom Baum fallen."
- gefiele mir trotzdem besser.

Mir ist nur gut, sehr gut und schon lange bekannt, dass du ein feines Gespür für Worte hast, für deren Wirkung, wenn sie Sätze bilden und etwas im Leser auslösen können. Und deswegen werde ich mit großer Sicherheit in Erwägung ziehen, was du für mich gedacht hast.

Als Zweites will ich versuchen, dir Kopfzerbrechen zu bereiten, indem ich dir sage, dass ich hier
-- "wie der Tod Ansprüche stellt und grollt und sauer wäre"
- den Konjunktiv ("stellte", "grollte") spontan vermisst habe,

Kopfzerbrechen ist schon fies, but so. Und gerade der Konjunktiv, mein geheimer Liebling. Der stand nämlich dort, kam aber so lasch daher wie ein Präteritum. :hmm:

den ich womöglich lieber streichen würde, das ist dieser:
-- "Sie denkt an einige Wochen oder Monate."

Gut gewählt. Ich setze an.

Hier eine winzige Uneindeutigkeit:
-- "Aber vermutlich konnten sie ihm sowieso ansehen, wie wenig er für sie übrig hatte"
- für die Frau oder die Nachbarn?

Gut, geh ich bei. (sagt man hier oben so)

Die
-- Gespräche an den Mülltonnen"
- sind ja sehr hübsch, könnte sein, dass die noch besser herauskommen, wenn weniger drum herum steht. (Beispielsweise gleich der vorangehende Satz nicht:
-- "Sie haben sich dann auch mühelos eingefügt und ebenfalls Pakete für die Nachbarn angenommen, denn keiner von beiden verließ das Haus für eine längere Zeit." Brauchst du den?)

Skalpell angelegt

Da:
-- „Du schläfst nicht.“
- hab ich den Mann gleich vor Augen.
Hier:
--"Er spricht heiser, zerschneidet mit krächzender Stimme"
- würde mir wahrscheinlich eins reichen: "heiser" oder "krächzend".

Das @Kellerkind monierte die Zuordnung der wR auch - ich schaue es mir an - Blödsinn, du meinst ja was anderes und ich hab das Gekrächze weggelassen.

-- "immer wach. Wachsam"
- Wirkt verstärkend und das kannst du so wollen, schien mir aber im Zweifelsfall nicht so günstig.

Ich finds eigentlich schön, weil wachsein nicht unbedingt wachsam impliziert

auch die Vorhänge würde ich eher nicht wiederholen
(-- "Jetzt bringt er nicht einmal mehr Vorhänge vor dem Fenster an")
- sondern einfach:
"Vivien könnte augenblicklich niemanden dazu bewegen, für sie ein Boot zu beladen, mit dem sie fort segeln könnte."

Das wirst du ganz sicher rechthaben

Auch diese Stelle finde ich überdeutlich:
-- "wenn sie mehrmals am Tag die Toilette reinigt oder die Betten frisch bezieht. Die Waschmaschine ist permanent in Betrieb."
- eins von beiden dürfte reichen, meinst du nicht?

wenn ich erst mal beim Aufzählen bin ... :Pfeif:

Und noch ein Streichkandidat:
-- "Sie sagt nicht, dass es ihr nicht nur an Schlaf mangelt."

Och, ich bin nicht sicher. Ich fand Hoffnungs- und Glückmangel so fein

-"Ein Wal schläft eben nie ganz."
- Vielleicht auch: "Der Wal"?

du bist so ... feinfühlig :herz: und dann noch um diese Uhrzeit

„Du wirst sterben, sagt er."
- Bumm. Schön, wie lakonisch sie das sagt und vor allem, wie er das aufnimmt. Sagt unterschwellig viel Gutes über die zwei aus, finde ich.

Gell! Ich fand auch, das sagt doch viel über das, was sie hatten bisher. Schön, dass du es erwähnst.

So, das war's. Etwas kurz angebunden. Aber dafür hab ich's mal wieder geschafft, überhaupt was dazulassen ...

Ich hätt dir noch eine Weile zuhören mögen, bin aber froh, dass du überhaupt Zeit für mich gefunden hast.

Vielleicht wirst du heute einen powernap brauchen.

Auf jeden Fall danke und lieber Gruß, Kanji

 

Hey Kanji,

Wow! Ich bin begeistert. Aber so was von! Da schreib ich doch gestern noch der @TeddyMaria, dass ich mich hier oft schwer tue mit Texten die so große Themen angehen, und dann lese ich abends den deinen, und ja, dies ist für mich einer der ganz wenigen Texte hier im Forum, (von denen, die ich gelesen hab), die diesem Thema (für mein Empfinden) gerecht werden. Anderen ist es zu wenig Handlung, mir ist es genug, und v.a. ist es ein ganz wunderschönes und umfassendes Psychogramm einer Ehe, die mit dieser verdammten Diagnose Krebs umzugehen versucht und daran scheitert. Da ändert auch das blöde "optimistische" Ende nichts dran, aber dazu später.

Vivien lauscht den Äpfeln, die vom Baum fallen. Sie streifen trockenes Laub und Äste. Und während sie tagsüber diesen Vorgang kaum wahrnimmt, hört es sich nachts an, als wäre es eine bewusste Handlung der Äpfel, sich vom Zweig zu lösen und hinabzustürzen.

:rolleyes: na ja ...
Und während sie tagsüber diesen Vorgang kaum wahrnimmt, hört es sich nachts an, als würden sich die Äpfel vom Zweig zu lösen, nur um sich hinabzustürzen.
Apfelselbstmord finde ich dagegen mega cool

Sie würde aufwachen, wenn all das vorüber wäre.
Was?
In dieser Zeit führt sie eine offene Beziehung mit dem Tod, der ohnehin seit Jahren allgegenwärtig ist.
In welcher Zeit? Nachts oder generell?
Vivien lächelt, denn sie stellt sich vor, wie der Tod Ansprüche stellt und grollt und sauer wäre, sie solle gefälligst zu ihm stehen.
Warum sollte sie das?

Was auch immer du hier erzählen willst, mir erzählt das gar nix, und ich kann verstehen, wenn dir hier die ersten Leser aussteigen, was total schade ist. Wenn der Mond sie ins licht setzt, weil die Vorhänge noch verpackt im Schrank sind, das dagegen erzählt mir was.

Es war keine echte Entscheidung, das Haus auf dem Land zu verkaufen und in die Stadt zu ziehen. Es war ein Reflex von Georg, nach und nach Ballast abzuwerfen. Seine Kraft reicht nicht für das Leben in einem Haus mit Garten. Die reicht gerade, um den Tod auf Abstand zu halten und sich selbst zu ertragen.
Oh ha.

Wie ein Wal ist Georg mit einer Hirnhälfte immer wach. Wachsam, als erwarte er jeden Moment das Ungeheuer und könnte es daran hindern, ihn hinterrücks zu erschlagen. Aber es schleicht sich langsam und stetig an.
Schön.

Vivien könnte augenblicklich niemanden dazu bewegen, für sie ein Boot zu beladen, mit dem sie fort segeln könnte.
Hä? Muss sie doch auch gar nicht. Will sie gar nicht, was soll das?

Nun sitzen sie beide auf der Bettkante, wenden sich gegenseitig den Rücken zu und der Raum dazwischen ist weit und kalt und dunkel wie der Ozean.
Brutal und sensibel und so voll mit Dingen, die zwischen ihnen liegen.

„Ich bin so müde“, sagt Vivien leise zum Mond. Sie sagt nicht, dass es ihr nicht nur an Schlaf mangelt. Schmerzhafter ist der Mangel an Hoffnung und an Glück. Sie fühlt diese lähmende Leere und wüsste nicht, womit die zu füllen wäre. Mit zwei Tassen Tee ...
Hilflosigkeit ist ein zermürbendes Gefühl. Das hast du hier schön eingefangen. Und auch, dass man sie durch so was wie Teekochen versucht zu überlisten und man weiß, es ist blöd, und trotzdem tut man es, weil man eben überhaupt etwas tun will, aber die Befriedigung bleibt aus, weil Tee eben nicht hilft, nie helfen wird.

Sie haben sich als Familie nicht mitnehmen können. Es ließen sich lediglich die Möbel transportieren. Die meisten lagern im Keller und finden in den Räumen auch keinen Platz. Im Esszimmer hallt es, wenn sie bei den Mahlzeiten mit dem Besteck das Porzellan berühren.
Toll.

Für Vivien ist Humor oftmals die einzige Rettung, einen Sinn zu sehen, um einzuschlafen und wieder aufzuwachen, den Tag zu überstehen, überhaupt zu reden.
Kann ich so gut verstehen.

Georg hatte ihn nicht nach ihr geworfen. Er warf ihn einfach. Sie stand in der Schusslinie. Wie letzten Sommer, als er mit der Faust gegen die Tür schlug, sie bei der Rückwärtsbewegung hinter ihm stand und der Ellenbogen ihren Brustkorb traf. Eine Rippe wurde dabei gebrochen, sie schützte erfolgreich das Herz und wuchs wieder zusammen.
Ja. ich finde du fängst den Totkranken echt gut ein. Die Verzweiflung, die Angst, die Wut, die eigene Hilflosigkeit, das in sich selbst zurückziehen - all die Facetten, die es eben mit sich bringt

Über seine Schmerzen spricht er auch nicht, nicht über die Infektionen, die die Therapie mit sich bringen, die tauben Füße, die ihn immer wieder taumeln lassen und ihm den Ausdruck eines alten Mannes geben. Nur die Salben, Dosen, Becher und Schachteln, die überall verteilt in den Räumen griffbereit stehen, weisen darauf hin, dass Georg immerzu etwas zu bekämpfen hat.
Wenn man nicht drüber redet, ist es weniger da, oder so. Oder er will ihr eben nicht noch mehr aufbürden, er weiß, er verlangt viel, was irgendwie doch ein Zeichen von Liebe wäre.

Tagsüber erledigt er kleinere Einkäufe, unternimmt Spaziergänge, nimmt Arzttermine wahr. Manchmal bleibt er mehrere Tage weg. Es ginge ihm gut, schreibt er dann in einer Kurzmitteilung. Erschöpft kommt er von seinen Ausflügen zurück.
Sie gibt ihm den Raum, den er scheinbar braucht. Allerdings auch Raum, der sie ausschließt, sie noch hilfloser macht, als sie eh schon ist. Verdammte Zwickmühle das.

In zwei Stunden wird die Sonne aufgehen und Vivien wird wieder nicht wissen, womit sie den Tag füllen kann, um sich lebendig zu fühlen.
Das auch noch. Sie sollte da dringend was für sich suchen, etwas, was ihr gehört, so wie dem Mann die Ausflüge gehören.

Seine Hände berühren ihre flüchtig, als er auch Äpfel in die Kiste legt, und Vivien durchfährt ein zärtliches Gefühl. Gierig nimmt sie es auf, möchte es verwahren wie dieses Obst, kann es nicht halten und es hinterlässt nichts weiter. Schweigend sammeln sie gemeinsam die Früchte in die Kisten. Georg hat nichts gespürt.
Och, Mensch! Wie tragisch. Wie groß ihre Sehnsucht, wie sehr er mit sich zu tun hat. Ich glaube ja nicht, dass das böse Absicht ist, es fehlt einfach die Kraft dazu.

„In meiner langjährigen Tätigkeit ist mir kein Fall untergekommen, der in einer Heilung geendet hätte. Ich möchte, dass Sie davon ausgehen, es wird nicht mehr allzu lange dauern. Er hat bereits sehr viel Zeit gewonnen.“ Während Vivien noch versucht zu verstehen, worauf er hinauswill, fährt er fort. „Sie sollten sich darauf vorbereiten.“
Ja, das sollte sie.

Ich weiß nur nicht mehr, wie ich mit diesem Wunder leben soll. Ich bin hier, weil …“
Dieser eine Satz beschreibt sie sehr gut. Sie hat da ein Leben, das keines mehr ist. Und natürlich will sie mit dem Abschnitt abschließen, aber das würde bedeuten, sie wünsche sich den Tod, das darf sieman aber nicht und lässt solche Gedanken deswegen auch gar nicht erst zu, weil sie einem so egoistisch vorkommen, während man dem Kranken allen egoismus zugesteht, die waagschalen hängen hier echt ungleich hoch, aber so wie es jetzt ist, stirbt sie jeden Tag ein bisschen mit.

„Du wirst sterben, sagt er." Georg sitzt auf einer Bank in der Sonne. Sie sind zu müde zum Lachen, aber sie stoßen beide Luft durch die Nase aus und es könnte ein verhaltendes Lachen sein.
Und Ende. Geh hier raus, der Satz hat Kraft.

„Klingt gut. Vorher bringen wir den Stuhl zu Nils.“
Nee, das ist viel zu rosa, er hat sofort alles kapiert und nun sind wir ab sofort ein feines Ehepaar, so von jetzt auf gleich, und machen es uns eben noch bisschen schön. Wenn du mit deinem großen Herzen gern etwas Versöhnliches hättest, lass sie seine Hand nehmen und er lässt sie. Das ist dann auch ein Motivfaden den du wieder aufnimmst, da muss gar kein neuer gewoben werden.

Toll! Wäre auch ein guter Text zum Thema "Stille" und ein sehr guter für die Challenge. Warum ist er nicht da gelandet?

Liebe Grüße, Fliege

 

Hej @Fliege ,

gut, dass du reingeguckt hast, denn durch dich hab ich die Geschichte noch mal so wie neu gelesen. Die Fragen, die du gestellt hast, mir selbst gestellt. Das war cool. Das lief deswegen so leicht, weil ich merkte, du liest den Text, wie ich ihn gelesen haben wollte, wie er beabsichtigt war und dann wurde mir auch zum ersten Mal so richtig bewusst, wie sehr ich das unter Kontrolle haben kann, wie sehr es eben wirklich darauf ankommt, die Intention so zu verpacken, dass es fast nur diese eine Möglichkeit, es zu lesen. Also im Großen und Ganzen (auf die eine Stelle komm ich gleich noch) Eine wirklich gute Einsicht. Danke dir.

Anderen ist es zu wenig Handlung, mir ist es genug, und v.a. ist es ein ganz wunderschönes und umfassendes Psychogramm einer Ehe, die mit dieser verdammten Diagnose Krebs umzugehen versucht und daran scheitert.

Das ist ja das Thema. Die Handlung muss ich benutzen, um darzustellen, aber um Aktion geht es hier nicht. Meine Herausforderung bestand darin, die beiden zu zeigen. Nie war ich mir darüber mehr im Klaren. Wenn ich mehr Handlung eingebaut hätte, wäre es mir wie verwaschen vorgekommen.
Das Scheitern ist ein Punkt, den ich so nicht sehen kann. Meiner Meinung nach, tun sie es nicht. Denn sie stehen/sitzen zusammen. Sie hätte auch gehen können, aber sie bleibt. Nichts ist wie es wohl mal gewesen sein mag zwischen den beiden, aber jetzt leben sie in dieser Form. Nicht schön, aber vermutlich würde es, wäre es ein größeres Format, an diesem Punkt noch besser, als in der Zukunft. Das ist das Leben der von Georg und Vivien. Es ist nämlich trotz allem eines.

:rolleyes: na ja ...
Und während sie tagsüber diesen Vorgang kaum wahrnimmt, hört es sich nachts an, als würden sich die Äpfel vom Zweig zu lösen, nur um sich hinabzustürzen.
Apfelselbstmord finde ich dagegen mega cool

Und diesen von dir markierten Nebensatz habe ich entfernt. Aus später Einsicht. :D :kuss:
Hocherfreut bin ich über die Erwähnung des Apfelselbstmordes. War mir nicht ganz klar, dass es bemerkt werden könnte.

Sie würde aufwachen, wenn all das vorüber wäre.


Okay. Versuch ich besser.

In welcher Zeit? Nachts oder generell?

Das auch.

Vivien lächelt, denn sie stellt sich vor, wie der Tod Ansprüche stellt und grollt und sauer wäre, sie solle gefälligst zu ihm stehen.

Warum sollte sie das?

Weil der Tod ein Macho ist. Der will alles oder nichts. Der komatöse Schlaf, den Vivien andenkt, käme ihm wie eine Konkurrenz vor. Aber das muss man wohl so nicht sehen. Weiß nicht, ob ich das besser hinkriegen kann. Ich lass das erst mal so.

Vivien könnte augenblicklich niemanden dazu bewegen, für sie ein Boot zu beladen, mit dem sie fort segeln könnte.

Hä? Muss sie doch auch gar nicht. Will sie gar nicht, was soll das?

Es sollte zeigen, dass es für Vivien auch den Gedanken gibt, von all dem wegzugehen. Sie segelt eben. Auf dem Meer, auf einem kleinen Boot fühlt sie sich positiv isoliert. Dort gibt es keinen Krebs und überhaupt nur die Probleme, die unmittelbar mit dem Segeln zu tun haben.

„Du wirst sterben, sagt er." Georg sitzt auf einer Bank in der Sonne. Sie sind zu müde zum Lachen, aber sie stoßen beide Luft durch die Nase aus und es könnte ein verhaltendes Lachen sein.

Und Ende. Geh hier raus, der Satz hat Kraft.

Erwischt. :shy:

Wenn du mit deinem großen Herzen gern etwas Versöhnliches hättest, lass sie seine Hand nehmen und er lässt sie.

Das habe ich gestern gleich versucht, aber das funzte nicht. Dennoch werde ich weiter darüber nachdenken. :kuss:

Toll! Wäre auch ein guter Text zum Thema "Stille" und ein sehr guter für die Challenge. Warum ist er nicht da gelandet?

Sehr glücklich und zufrieden bin ich darüber, dich begeistern zu können und für all die Stellen, die du zitiert und für gut befunden hast. ;)
Thema Stille ging an mir vorbei. Ich konnte mich nicht durchringen, dem Tod so eine große Aufmerksamkeit zu geben und ihm der Challenge und den Teilnehmer zumuten.

Liebe Fliege, hab herzlichen Dank für deine Hilfe und deine aufbauenden Worte.
Lieber Gruß, Kanji

 

Liebe Kanji,

nur ganz kurz,

Kanji schrieb:
Es sollte zeigen, dass es für Vivien auch den Gedanken gibt, von all dem wegzugehen. Sie segelt eben. Auf dem Meer, auf einem kleinen Boot fühlt sie sich positiv isoliert. Dort gibt es keinen Krebs und überhaupt nur die Probleme, die unmittelbar mit dem Segeln zu tun haben.

Verstehe. Der Gedanke dahinter ist gut. Kam bei nur überhaupt nicht so an. Für mich ging es in der Szene um das Kennenlernen der beiden, und wenn sie nun daran denkt, es gibt gerade niemanden, der ihr ein Boot beladen würde, dann denke ich doch, sie will wen, der ihr das Boot belädt, also einen neuen Mann. Und das ja eben nicht. Wenn du zeigen willst, dass sie "das Weite" sucht (legitim der Gedankenansatz an so eine "Insel des Friedens und der Ruhe", dann müsste sie eigentlich allein ihr Boot beladen.
Das nur zum Verständnis und warum mich dein Satz auf die falsche Fährte gebracht hat.

Schönen Sonntag, Fliege

 

Liebe @Kanji,

sie warten auf seinen Tod und die Situation ist ein einziges Aus-und Durchhalten, bis es soweit ist. Ich finde, das ist eine sehr bittere Geschichte, weil einem die Einsamkeit der beiden Protagonisten aus fast jedem Satz entgegenkommt. Schwere Krankheit bietet manchmal die Chance für große Nähe, aber hier treibt sie die beiden noch mehr auseinander. Von außen kommt überhaupt keine Hilfe. Die Familie, die die beiden im Stich lässt, der unbeholfene Arzt am Ende, die Tochter, die wie ein Geist wirkt, das ist schon viel Düsteres auf einmal. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie sauber du das Ganze medizinisch recherchiert hast. Zum Beispiel wundere ich mich, dass sie in seiner Verfassung noch ins Dachgeschoss ziehen. Und dass er mehrere Tage wegbleibt in seinem Zustand kommt mir auch unrealistisch vor. Sprachlich hast du da viele Stellen drin, die schwingen wunderbar, das ist zart und poetisch. Manche Sätze wiederum wirken sperrig auf mich, umständlich.

Vivien lächelt, denn sie stellt sich vor, wie der Tod Ansprüche stellt und grollt und sauer wäre, sie solle gefälligst zu ihm stehen.
Das Fettgedruckte evtl. entbehrlich? Dass sie bei diesem Gedanken, so verspielt er ist, lächelt, kommt mir irgendwie unrealistisch vor.

Als sie die Augen öffnet, trägt der beinah runde Mond das Licht durchs Fensterglas auf sie wie ein Scheinwerfer:
"trägt das Licht auf sie" klingt merkwürdig, finde ich.

Hier liegt Vivien im Mondschlaf.
Schön.

Der Apfelbaum, dessen obersten Früchte von ihrem Fenster aus zum Greifen nah schien und die Nähe zum Mond, waren für Vivien die Gründe, die Wohnung im Dachgeschoss zu beziehen. Für Georg war es die Ruhe. Sein Bedürfnis danach wuchs schneller als der Tumor in seinem Bauch.
Sie träumt sich weg und er will Ruhe.

Hin und wieder kamen seine Schwester oder Viviens Mutter. Doch diese Stille in der Wohnung war für beide schwer zu ertragen und mehr als ein Pflichtbesuch wurde nie daraus.
Mein Gott, da sind wirklich alle depressiv.

Wie ein Wal ist Georg mit einer Hirnhälfte immer wach.
Schönes Bild.

Wachsam, als erwarte er jeden Moment das Ungeheuer und könnte es daran hindern, ihn hinterrücks zu erschlagen. Aber es schleicht sich leise und langsam an. Ihr Wachsein in hellen Mondnächten ist ein anderes als das am Tag. Wenn Vivien auch nicht schläft, fühlt sie sich nicht in der Lage, irgendetwas zu tun;
Ein sehr eindringliches Bild, was diese Starre so spürbar macht. Den letzten Satz finde ich etwas umständlich, zweimal hast du da "nicht" drin. Das Fettgedruckte vielleicht entbehrlich?

Er stand wie aus dem Nichts vor ihr auf dem Steg im Hafen und bot seine Hilfe an, weil sie damit beschäftigt war, den Proviant für eine längere Tour auf das Boot zu verfrachten.
Hier wirkt sie mal ein bisschen handfest. Er schweigt von Anfang an.

Vivien könnte augenblicklich niemanden dazu bewegen, für sie ein Boot zu beladen, mit dem sie fort segeln könnte.
Großartig, der Gedanke. Vielleicht auch etwas einfacher? "Niemand wird jetzt für sie ein Boot beladen ..."

Sie sagt nicht, dass es ihr nicht nur an Schlaf mangelt.
Zweimal "nicht".

Georg sitzt noch immer auf der Bettkante, der Kopf hängt herab, als wäre er im Sitzen eingeschlafen und Vivien stellt den Becher leise auf den Nachttisch.
Da schnürt es einem echt die Kehle zu.

Alles, was er sagt, klingt gleich. Ob er nach einer Tasse Tee verlangt, über den aufziehenden Sturm spricht oder Helene fragt, wie ihr Tag war.
Jetzt kommt Helene ins Spiel. Aber kaum fassbar. Da fehlt mir was.


„Wie geht’s deinem Kopf?“ Er spricht leise.
„Nicht so schlimm. Nur ein … Streifschuss.“
„Ich fahre später zu Nils; der repariert ihn wieder.“
„Soll ich ihn abschrauben oder dich im Stück begleiten?“ Er lacht nicht. Für Vivien ist Humor oftmals die einzige Rettung, einen Sinn zu sehen, um einzuschlafen und wieder aufzuwachen, den Tag zu überstehen, überhaupt zu reden.
„Nils ist ein guter Tischler. Der wird den Stuhl hinkriegen.“
Hier wäre eine Gelegenheit, dass da Nähe entsteht, als er nach ihrem Kopf fragt. Das wehrt sie jetzt witzelnd ab und man ahnt, dass auch er nicht zu ihr durchdringt.

Schweigend sammeln sie gemeinsam die Früchte in die Kisten. Georg hat nichts gespürt.
Das kann sie ja nicht wissen.

„Was könnte er mir schon sagen?“, flüstert Vivien in Georgs Ohr, obwohl sie alleine sind. Der legt eine Hand auf ihr Bein, die Kälte dringt durch den Stoff ihrer Hose. Nur selten sind seine Hände warm. Er sieht unentwegt auf das Telefon.
Wieso geht sie alleine zum Arzt rein?

„In meiner langjährigen Tätigkeit ist mir kein Fall untergekommen, der in einer Heilung geendet hätte.
Soll das heißen, dass der Arzt hier zum ersten Mal die Wahrheit über die Prognose sagt?

„Ich weiß nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Alles, was ich bin, was ich weiß, reicht nicht aus. Seit vier Jahren ist das Leben eine einzige Lüge. Der Tod ist die hässliche Wahrheit. Er lauert, überall.“
Das empfinde ich als maniriert, unnatürlich.

Weil sie nicht länger das Ventil seiner Wut sein will.
Und hier frage ich mich, warum sie das nicht sagt.

„Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Termin bei meiner Frau geben. Sie ist Psycho-Onkologin.“
„Das ist nicht nötig. Danke.“
Und hier bin ich richtig genervt von ihr. Es ist so ein Text der verpassten Gelegenheiten und das wiederholt sich immer wieder.

„Du wirst sterben, sagt er." Georg sitzt auf einer Bank in der Sonne. Sie sind zu müde zum Lachen, aber sie stoßen beide Luft durch die Nase aus und es könnte ein verhaltendes Lachen sein.
Auch wieder verpasst. Lachen ist hier keine angemessene Reaktion.

Anstrengend deine Geschichte. Ein hartes Thema, diese Sprachlosigkeit. Du hast irgendwo geschrieben, dass du das nicht so pessimistisch siehst. Deutlich wird jedenfalls, wie furchtbar beide leiden. Und möglicherweise stirbt er doch, bevor sie einen Weg zueinander finden.

Eine sehr eindringliche Geschichte ist dir da gelungen, Kanji.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hej @Fliege ,

Für mich ging es in der Szene um das Kennenlernen der beiden, und wenn sie nun daran denkt, es gibt gerade niemanden, der ihr ein Boot beladen würde, dann denke ich doch, sie will wen, der ihr das Boot belädt, also einen neuen Mann.

Okay, das ist eine Möglichkeit. Die andere wäre, dass es ein Anknüpfen an die Kennlernszene (in ihrer Gesamtheit mit dem Ozean) ist und auch Vivien davon überzeugt ist, nicht mehr die zu sein, die sie damals gewesen ist, einen eigenen Abbau parallel zu dem von Georg registriert hat, als eine Folge aus den Jahren mit der Krankheit. Aber da erwarte ich wohl echt ein bisschen zu viel vom Leser. :shy:

Vielen Dank fürs Einhaken, Kanji

Hej @Chutney ,

ich freu mich sehr, dass du die Geschichte gelesen hast und kommentierst, denn es war wirklich kein reines Vergnügen, sie zu denken und zu formulieren. Aber ja: such is life and life is hard. Ich wollte mir überlegen, was es jenseits vom bekannten Muster anstellen kann und hangelte mich an dünnen Zeigen entlang.

Schwere Krankheit bietet manchmal die Chance für große Nähe, aber hier treibt sie die beiden noch mehr auseinander.

Hier zum Beispiel. Es ist durchaus üblich, zusammenzuwachsen, entspannt gemeinsam auf das Ende zuzugehen. Aber was, wenn nicht?

Die Familie, die die beiden im Stich lässt, der unbeholfene Arzt am Ende, die Tochter, die wie ein Geist wirkt, das ist schon viel Düsteres auf einmal.

Es scheint unerträglich für die Familie, damit umzugehen. Ist es wirklich immer möglich zu denken: hey, okay, lasst uns nochmal alle glücklich miteinander sein? Was, wenn nicht? Zum Arzt komm ich später. Die Tochter soll lediglich erwähnt sein, um das Konstrukt der Ehe zu untermalen. Dass sie existiert, spielt sicher eine Rolle, aber in dieser Szene an zwei Tagen eher nicht. Dass sie als Katalysator der Düsternis nutzt, war nicht beabsichtigt.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie sauber du das Ganze medizinisch recherchiert hast.

Du kannst davon ausgehen - dass ich die beiden irrational damit umgehen lasse, ist ja beabsichtigt

Sprachlich hast du da viele Stellen drin, die schwingen wunderbar, das ist zart und poetisch. Manche Sätze wiederum wirken sperrig auf mich, umständlich.

Das stimmt wohl - ich merk es direkt beim Schreiben - just Kanji :shy: Umso besser, es hier einzustellen und auf Kommentare wie deine zu setzen.

Das Fettgedruckte evtl. entbehrlich? Dass sie bei diesem Gedanken, so verspielt er ist, lächelt, kommt mir irgendwie unrealistisch vor.

Ich werde es weglassen und umformulieren. Stell dir ihr Lächeln einfach nicht vergnügt vor. Es gibt doch dieses Lächeln, wenn man eigentlich weinen will ...

"trägt das Licht auf sie" klingt merkwürdig, finde ich.

oje, das steht so lange für reflektiert, bis mir was Besseres einfällt. Ich muss mich damit noch einmal auseinandersetzen ... konnte da ja nun keine Lücke lassen :D

Mein Gott, da sind wirklich alle depressiv.

Hm. Oder einfach maßlos überfordert. Jahrelang auf den Tod zu warten, ist wohl kein Pappenstiel.

Wenn Vivien auch nicht schläft, fühlt sie sich nicht in der Lage, irgendetwas zu tun;

Den letzten Satz finde ich etwas umständlich, zweimal hast du da "nicht" drin. Das Fettgedruckte vielleicht entbehrlich?

Das hab ich nicht besser hingekriegt, ohne das Wort zweimal zu schreiben. :confused: Ich werde noch mal bei Gelegenheit drüber nachdenken.

Jetzt kommt Helene ins Spiel. Aber kaum fassbar. Da fehlt mir was.

Wie ich oben schon erwähnte, soll es sie lediglich in deren beider Leben geben. Weil es einen Unterschied macht. Ihr Umgang damit wäre noch einmal eine andere Geschichte, oder eben eine längere, die ich aber anders hätte aufbauen müssen.

Georg hat nichts gespürt.

Das kann sie ja nicht wissen.

Wohl wahr. Sie hat wohl eine Reaktion erwartet, weil sie selbst dazu nicht in der Lage ist.

Wieso geht sie alleine zum Arzt rein?
Soll das heißen, dass der Arzt hier zum ersten Mal die Wahrheit über die Prognose sagt?

Ich werde zuvor einmal bemerken, dass es sich nicht um Georgs Arzt handelt. Es ist ein Termin für Vivien, um sich helfen zu lassen, weiter mit der Situation umzugehen. Er kennt Georg und seinen Krankheitsverlauf nicht.

„Ich weiß nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Alles, was ich bin, was ich weiß, reicht nicht aus. Seit vier Jahren ist das Leben eine einzige Lüge. Der Tod ist die hässliche Wahrheit. Er lauert, überall.“

Das empfinde ich als maniriert, unnatürlich.

Ich höre es auch. Ich versuche, den Inhalt gefälliger zu formulieren.

Und hier bin ich richtig genervt von ihr. Es ist so ein Text der verpassten Gelegenheiten und das wiederholt sich immer wieder.

Und das freut mich. Ich will/kann keine Anleitung zu dieser Situation schreiben, aber ich mag Protagonisten, die irrational handeln, weil es eben manchmal nicht besser geht und es so wenig gibt, was mit Scheitern zu tun hat. Und im Grunde ist es ja nicht mal eins.

Auch wieder verpasst. Lachen ist hier keine angemessene Reaktion.

Ich kenne kein anderes Wort für diesen Laut. Er beinhaltet ja Erleichterung, ein bisschen Ignoranz, ein Einvernehmen, ein Anerkennen der Situation ...

Anstrengend deine Geschichte. Ein hartes Thema, diese Sprachlosigkeit.

Stimmt. Das kann passieren, oder? Schöner wäre anders, but so.

Und möglicherweise stirbt er doch, bevor sie einen Weg zueinander finden.

Ja. Das kann sein. Dann macht es aus Vivien wieder ein Stück weit eine „vollkommenere“ Persönlichkeit, im Sinne von komplex oder so.

Eine sehr eindringliche Geschichte ist dir da gelungen, Kanji.

Danke, dass du sagst.

Lieber Gruß und vielen Dank, du hast sehr viel in mir angeregt, Kanji

 

Liebe @Kanji,

ich bin mir nicht ganz sicher, ob das immer deutlich genug wurde: In meiner Reaktion auf deine Geschichte hat sich so manches Mal die Leserin mit der Kritikerin gemischt und die Beklemmung, die ich angesichts dieser Sprachlosigkeit zwischen den beiden empfunden habe, sehe ich als Stärke des Textes.


Chutney schrieb:
Auch wieder verpasst. Lachen ist hier keine angemessene Reaktion.

Ich kenne kein anderes Wort für diesen Laut. Er beinhaltet ja Erleichterung, ein bisschen Ignoranz, ein Einvernehmen, ein Anerkennen der Situation ...
Ja, das stimmt. Und vielleicht ist das hier sogar eine vorsichtige Annäherung. Es passt zu den beiden und ich finde das gut, wie du das geschrieben hast. Es wirkt so, als bleibe es immer bei diesen kleinen Gesten, die dann wieder versanden. Heute nehme ich beim Lesen stärker die Sehnsucht der beiden nacheinander wahr, interessant.

Übrigens finde ich das Bild mit den fallenden Äpfeln und wie du das weiterentwickelst, wunderschön.
Ja, und die Funktion des Arztes war mir nicht ganz klar, was vielleicht auch daran liegt, dass du vorher einmal schreibst, dass sie einen Termin beim Psychologen hat und später ist es ein Arzt. Und dann ist er aber gar nicht zuständig für das Thema mit dem sie kommt, sondern das wäre seine Frau. Das irritierte mich.

Ich finde den Text wirklich gelungen, Kanji.

Herzliche Grüße von Chutney

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej, liebe @Chutney ,

du gibst dir viel Mühe mit dem Text, was mich sehr berührt.

Heute nehme ich beim Lesen stärker die Sehnsucht der beiden nacheinander wahr, interessant.

Eine schöne und für mich sehr wichtige Aussage. Denn ich gewichte Kommentare oft zu starr, berücksichtige selten, wie stimmungsabhängig er sein könnte und gerate in starke Zweifel. Denn natürlich kann ein Text meist mehr, als dem Leser beim Lesen (gerade hier, wo man ja doch mehrere hintereinander lesen und für Nuancen und Schwingungen nicht immer sensibilisiert sein kann) mitunter auffällt. Und dabei meine ich dich nicht persönlich, sondern so im Allgemeinen, mich auch.

Ja, und die Funktion des Arztes war mir nicht ganz klar, was vielleicht auch daran liegt, dass du vorher einmal schreibst, dass sie einen Termin beim Psychologen hat und später ist es ein Arzt. Und dann ist er aber gar nicht zuständig für das Thema mit dem sie kommt, sondern das wäre seine Frau. Das irritierte mich.

Und wieder erwischst du mich dabei und ich mich, wie ich mich selbst behumst habe, denn ich ahnte es schon beim Schreiben. Aus irgendeinem irrwitzigen Grund, möglicherweise Ungeduld plus Gernervtheit über die Intensität mit dem Text, hab ich diese Stelle dann verdrängt. Jetzt werde ich mich ihm wieder zuwenden und mir alles zur Brust nehmen, was uns an ihm komisch vorkommt.;)

Hab herzlichen Dank und lieber Gruß, Kanji

 

„Diese ist der zweite Bestandteil des Humors, als eines umgekehrten Erhabnen. Wie Luther im schlimmen Sinn unsern Willen eine lex inversa nennt: so ist es der Humor im guten; und seine Höllenfahrt bahnet ihm die Himmelfahrt. Er gleicht dem Vogel Merops, welcher zwar dem Himmel den Schwanz zukehrt, aber doch in dieser Richtung in den Himmel auffliegt. Dieser Gaukler trinkt, auf dem Kopfe tanzend, den Nektar hinaufwärts.“ ...“ aus Jean Pauls >Vorschule der Ästhetik, § 33 Die vernichtende oder unendliche Idee des Humors<

Ich nochmal, wenn ich darf,

liebe Kanji,

bevor der Erste noch der oder das Letzte (da ist es sicherlich noch weithin) zu dieser m. E. gelungenen Endzeitgeschichte werde.

Bin überzeugt, dass das Bewusstsein sich in der Sprache äußert und wenn man wie Schiller sein Vaterland weniger in den engen Landesgrenzen als in der Muttersprache sieht, erkennt man auch, wie einfach Immigration geht, wenn entlehnte Wörter wie von selbst integriert und an den „heimatlichen“ Laut/Klang angepasst werden. Fremdes mag erst befremden, aber wer mag im [‘kaesar] (Caesar) schon den „kaisar“ und „keisar“ germanistischer Schreibkunst (gotisch und althochdeutsch) und Gleichklangs erkennen?

Selbst wenn jemand nicht um die Etymologie der Worte/Wörter wüsste (wer wüsste auf Anhieb um die Bedeutung des Brudermordes, sei es nun Seth und Osiris, Kain und Abel, Loki und Baldr oder Romulus und Remus usw.), der Humus der Muttersprache, selbst ihrer versunkenen und scheinbar vergessenen Schätze (, aus dem wir alle schöpfen,) feiern wir doch demnächst die Frau und Schwester des Osiris, Isis mit ihrem Sohn Horus abendländisch verkitscht zu Madonna und Kind, zu deren Bild der Kindermord des Herodes gerechnet werden muss wie auch die Flucht nach Ägypten – der umgekehrte Exodus zurück zu den Ursprüngen des Monotheismus.

Was hat nun diese Einleitung mit Deiner Geschichte zu tun?

Deine Geschichte vom dreifachen Loslassen (Leben/Liebe, Familie und Besitz) glänzt mit Symbolen wie dem Mond:

Als sie die Augen öffnet, trägt der beinah runde Mond das Licht durchs Fensterglas auf sie wie ein Scheinwerfer: Hier liegt Vivien im Mondschlaf.
Nichts und niemand von den sichtbaren (Himmels-) Körpern verändert täglich seine Form, um nach einem für unsere Begriffe ewigen Zyklus von 28 Tagen einen Kreis zu schließen, der sinnigerweise „Neumond“ genannt wird, wenn er weg oder unsichtbar zu sein scheint, als zeigte er uns seine immer dunkle, der Erde abgewandte Seite, dabei sehen wir da nur die Macht des Erdschattens, der sich asubreitet, wo die Sonne will.
Schon ein „beinah runder Mond“ zeigt das Ende eines Zyklus an, der sich im geschlossenen Kreis vollendet. (Nicht zu verschweigen, dass ganze [historische] Theorien im Spannungsfeld des linearen und des ewiggleichen [des Troglodyten auf technisch höherem Niveau] bewegen und erst recht die Religionen mit Wiedergeburt oder Auferstehung). Modelle, die der Hoffnungslosigkeit des Kommens, vor allem aber des Gehens entgegensetzen und darüber verdrängen, dass das Nichts die Regel, das Leben die Ausnahme ist (siehe Gevatter im Wallenstein), ein Geschenk der irdischen Natur, an dem das Anthropozä(h)n kräftig nagt.

Aber das größte und wohl schwerste/schwierigste Symbol ist ja nicht das einzige, dass Du uns bietest. Los geht es ja mit dem Apfel. Wenn man so will, mit der Genesis, wenn der erste Satz erzählt

Vivien lauscht den Äpfeln, die vom Baum fallen.
Der Apfel verspricht - wie Werbung und PR - Wohlbefinden und Gesundhheit (you know, one apple a day …), dem sein lateinischer Name „malus“ widerspricht.
Fraglich, ob es beim „Sündenfall“ überhaupt des Verführers bedurft hätte und ist es nicht so – wenn wir mal durch Menschenmassen/Schwarm und Schwärmer gehen – erkennen wir, dass er sonders Verstand und (Selbst-)Erkenntnis ist, außer dass die nackten Affen halt ohne Fell geboren werden, nicht Gemeingut sein können.
Aber der Apfel steht auch für – die weibl. Brust, die mancher gerne zu pflücken versucht (schon wieder die Versuchung). Da weiß der Leser zu wenig über Vivien (vivus = lebendig, hier also die Überlebende, wenn man so will, wobei Georg = Landmann, Bauer, eigentlich der Überlebende ist als Kain in der Genesis, baut er doch an in kleineren, als dem historischen bzw. Lebenszyklus –

Eine Zusammenfassung von Apfel und Zeitlichkeit findet sich in dem Bild

Nach jedem gefallenen Apfel wartet Vivien auf den nächsten. Sie zählt die Sekunden dazwischen.
(und seit Einstein wissen wir, dass die „Zeit“ eben nicht so gleichmäßig verläuft, wie uns die Uhr vorgaukelt, was jeder, der auf etwas wartet, als Spannung oder Langeweile spürt, während die glücklichen Momente rasen)

Wie ein Wal ist Georg mit einer Hirnhälfte immer wach. Wachsam, als erwarte er jeden Moment das Ungeheuer und könnte es daran hindern, ihn hinterrücks zu erschlagen. Aber es schleicht sich leise und langsam an.
Liefert uns ein drittes Symbol, den Wal (übrigens, soweit ichs in Erinnerung hab, entstanden aus Schweineartigen, die wieder zurück ins Wasser gingen).

Erinnert mich sehr an die Geschichte des Jonas, der eine negative, göttliche Botschaft nach Ninive bringen sollte, sich dem aber durch Flucht aufs Meer entziehe wollte, einen (göttlichen) Sturm verursacht und sich opfert, um die Schiffsleute, die ihn aufgenommen haben, zu schonen und zu retten vor göttlicher Gewalt. Der Wal spuckt ihn nach drei Tagen (!, bitte merken oder schon gemerkt?) an der Küste Ninives aus … Vorbild der Auferstehung vom Kreuz? Aber wir wissen ja, selbst wenn jeder sein Kreuz tragen muss, nicht jeder schaut nach drei Tagen wieder vorbei … Es bleibt die Erinnerung ...

Wie oben angedeutet – Symbole, die zwischen Trostlosigkeit und Hoffnung pendeln und gegen den fehlenden Trost hilft Humor, wobei er auch in seiner Variante als Ironie zur Waffe werden kann

Ich schließ für heute mit einem Zitat des großen Theatermannes Michael Thalheimer aus dem Zeitmagazin Nr 52, 2013 „Was ist Liebe“

„ Michael Hanekes Film Liebe gehen zwei Menschen so weit, dass ich an die Existenz ihrer Liebe glaube. Diese zwei Menschen geben sich das Versprechen über den Tod hinaus. Aber es ist eben nur ein Film, in der Wirklichkeit kenne ich niemanden. Das finde ich nicht traurig, nur realistisch. Eine solche Liebe in der heutigen Zeit zu leben wäre provokant, denn damit stellt man sich außerhalb der Gesellschaft, des Kontextes. Der Mensch, der glaubt zu lieben, ist schnell in Gefahr, durch die Liebe, die er gibt, etwas einzufordern. Über meine Kinder habe ich eine neue Art von Liebe kennengelernt: Als Vater spüre ich eine viel reinere Qualität. Diese Form von Liebe ist das Selbstloseste, was ich kenne. Weil ich erst mal nichts erwarte. Liebe ist gänzlich altruistisch, sie sollte nur geben und schenken.“

Genug für heute geplaudert, aber sicherlich nicht das letzte Mal hierselbst.

Und vorsichtshalber ein schönes Wochenende (Lilly hat Geburtstag, da wird Friedchen ... Na, Du ahnst es ...) aus'm hochnebelichten Pott vom

Friedel

 

... der sinnigerweise „Neumond“ genannt wird, wenn er weg oder unsichtbar zu sein scheint, als zeigte er uns seine immer dunkle, der Erde abgewandte Seite, dabei sehen wir da nur die Macht des Erdschattens, der sich asubreitet, wo die Sonne will.
Sorry, Friedel, diese Erklärung der Nichtsichtbarkeit des Neumonds mag zwar sehr poetisch klingen, nichtdestotrotz ist sie völliger Unsinn:
Während der Neumondphase steht der Mond zwischen Erde und Sonne, er kann also nicht gleichzeitig im Erdschatten liegen. (Das tut er höchstens bei einer Mondfinsternis.)

Außerirdische Grüße,
offshore

 
Zuletzt bearbeitet:

Sehr aufmerksam,

@ernst offshore,

wollt' nur mal kucken, ob du aufpasst und zeigen, dass ich irre/n bin/kann.

Klar hastu Recht, 'ne Mondfinsternis kann ja nur bei Vollmond auftreten - im Gegensatz zur Sonnenfinsternis, die nur bei Neumond auftreten kann. Bei der Mondfinsternis steht die Erde zwischen Sonne und Mond und der Schatten der Erde verdunkelt den Mond.

Hoffentlich werd ich nicht noch mondsüchtig und heul den alten Jungen nächtens an ...


Unterirdischen Gruß

Vridel

 

Hallo @Kanji
Die Geschichte lässt mich nicht los und ich nahm mir gar die Zeit, durch die Kommentare zu huschen. Da es hier erwähnt wurde, will ich anmerken, dass auch bei mir die Andeutung einer Tochter, die nicht Gestalt wird, zu einer Verstärkung des Gesamteindrucks führte. Wenn auch unbeabsichtigt, passt Ihr Fehlen in das Auseinandergleiten der Familie. Erstaunlich, dass dieser gelungene Kunstgriff dem Zufall geschuldet ist. Vielleicht führte ja auch eine höhere Instanz Deine Feder beim Schreiben der Geschichte.

Kellerkind

 

:anstoss: auf Lilly :herz:

Lieber @Friedrichard, und du weißt, wie doll und verrückt ich mich freu, sobald du unter meiner Geschichte auftauchst, liest du sie doch so wie sie geschrieben ist und erklärst mir sie mir sogar. (so schnell kommt man zu einer Endzeitgeschichte:() und immer wieder geht mir dabei auf, wie mir das Wissen aus dem Buch der Bücher fehlt, nutze eben nur gängige Symbole.

feiern wir doch demnächst die Frau und Schwester des Osiris, Isis mit ihrem Sohn Horus
:herz:

Ich greife gern auf die Prinzipien der Hermetik zurück und schöpfe hin und wieder daraus. Ist eben das gesamte Universum Bewusstsein und geschieht nach Ursache und Wirkung. So auch hier. Ich wollte nichts beschönigen und dramatisieren. Nur annehmen und den Charakteren zu verschulden, reagieren - auf schmalem Weg in diesem Format mit meinen Möglichkeiten. Als Verstärker gilt für mich - auch persönlich - immer wieder der gute alte Erdtrabant und ich werde nicht müde, ihn zu erwähnen.
@ernst offshore, dem Poesiezerstörer, ich hatte wohlmeinend drüber gelesen und hab genommen, was Friedeln meinte. ;) Für mich ist es schön und erfreulich, dass du seinen Kommentar unter dem Mondschlaf gefolgt hast. :kuss:

Eine Zusammenfassung von Apfel und Zeitlichkeit findet sich in dem Bild

... weil eben alles in allem zu finden ist und miteinander zusammenhängt, verbunden ist, sich bedingt. Ich finde Hilfe darin.

Liefert uns ein drittes Symbol, den Wal

Ich sah ihn hier als ein Stützsymbol, der seine Zeit an der Oberfläche beendet und auf den Grund abtaucht. Vivien folgt dem Wal solange es ihr möglich ist und nutzt ihn die Zeit über und er gibt und teilt (s. Einsammeln der Früchte). Sie soll damit eigenes Urvertrauen zurückgewinnen, das ihr in der gemeinsamen Zeit, während der Krankheitsverlaufes verloren ging und versuchen, die Verletzungen (symbolisiert durch die Kopf- und Rippenverletzung) zu heilen, zu sich zurückfinden. Es ging mir also - gemeinerweise - auch gar nicht um die Tatsache, dass Georgs Zeit mit ihr vorüber scheint, sondern vielmehr darum, wie Vivien sich darauf vorbereitet (irdische, medizinische, verkopfte Hilfe in Form von Ärzten und Psychologen von außen zeige ich als unbrauchbar für sie).
"Wale sind das Gedächtnis der Welt und die Hüter der Zeit.“ Geheimnis der Wale, Universum Film 2009.

Mit dem Thalheimer-Zitat hast du mir eine große Freude bereitet. :kuss:

Umarme Lilly von mir und lass sie hochleben :herz:, Kanji

Liebes @Kellerkind ,

es berührt mich ordentlich und motiviert mich enorm, dass der Mondschlaf nachhaltig in dir herumschwirrt. Da tut es mir beinahe leid, ihn nicht hoffnungsvoller klingen gelassen zu haben. Obwohl ich ja nach wie vor finde, dass es zumindest für Vivien Hoffnung gibt, wenn auch nicht mit Georg gemeinsam auf eine glückliche Zukunft, aber auch die Zeit, die bleibt, gemeinsam zu verbringen. Wer auch immer daraus mehr Nutzen ziehen mag.

Da es hier erwähnt wurde, will ich anmerken, dass auch bei mir die Andeutung einer Tochter, die nicht Gestalt wird, zu einer Verstärkung des Gesamteindrucks führte. Wenn auch unbeabsichtigt, passt Ihr Fehlen in das Auseinandergleiten der Familie. Erstaunlich, dass dieser gelungene Kunstgriff dem Zufall geschuldet ist. Vielleicht führte ja auch eine höhere Instanz Deine Feder beim Schreiben der Geschichte.

Dagegen hätte ich etwas - eine höhere Instanz. ;) Und ganz ungewollt ist es ja nicht, denn in der Überlegung und im ursprünglichen Verfassen spielte Helene schon eine Rolle, zeigte sich aber im Verlauf als Irreführung, auch weil ich mich nicht gut in sie versetzen konnte, ihre Position nicht greifbar war für mich. Sie komplett herauszunehmen, schien mir aber auch nicht sinnvoll und sie riss ein Loch, das ich nicht zu füllen in der Lage war.

Ich danke dir vielmals, mich erneut anzusprechen, nur um mir zu sagen, was dir gefällt. :herz:
Lieber Gruß, Kanji

 

Hey @Kanji,
besser spät als nie! (Ha - das reimt sich sogar!)
oje, was für eine traurige Geschichte. Und ich weiß nicht, wer mir mehr leid tut, Georg oder Vivien. Im Prinzip warten sie ja beide darauf, dass er stirbt.

Inhaltlich hab ich nichts zu meckern. Ich finde, du hast die Stimmung gut eingefangen, dieses Trostlose. Sehr berührend. Auch die Kennenlernszene hat mir gut gefallen, und dass Georg immer noch da zu stehen scheint, als Vivien von ihrem vierwöchigen Ausflug zurückkommt. Er war eben immer da. Und jetzt weiß sie, er wird es bald nicht mehr sein, nur nicht wann. Das macht es noch tragischer. Hat mir wirklich gut gefallen.
Die Äpfel als durchgehendes Motiv fand ich ebenfalls sehr stimmig. Wie sie sie vom Baum fallen hört, wie sie am Boden verrotten. Und man fragt sich: Wann fällt Georg?

Krimskrams:

Würden sie bemerken, dass er die fünfzig gerade erst überschritten hatte? Der Apfelbaum, dessen obersten Früchte von ihrem Fenster aus zum Greifen nah schien und die Nähe zum Mond, waren für Vivien die Gründe, die Wohnung im Dachgeschoss zu beziehen.
Vor dem Apfelbaum würde ich einen Absatz machen, sonst wirkt das so angehängt.

Sie haben sich dann auch mühelos eingefügt und führten Gespräche an den Mülltonnen über den nahenden Winter und beantworteten Fragen über die Familie.
Irgendwie klingt das komisch in meinen Ohren: Sie haben sich dann auch mühelos eingefügt. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwas stimmt für mich mit dem Satz nicht. Irgendwie wirkt der so larifari, verglichen mit dem restlichen Stil. Vielleicht durch das dann und haben. Keine Ahnung. Ich fände: Sie fügten sich mühelos ein runder.

Und während Vivien munter plapperte, hörte er zu und machte den Eindruck, als würde er dafür bezahlt, kein Wort zu sagen.
Schöner Satz!

Vivien könnte augenblicklich niemanden dazu bewegen, für sie ein Boot zu beladen, mit dem sie fort segeln könnte.
Der auch.

„Ich bin so müde“, sagt Vivien leise zum Mond.
Sehr berührend.

Vieles neu gekauft
Ich glaube, es heißt: vieles

Nicht, weil es schick ist. Sie haben sich als Familie nicht mitnehmen können.
Auch das gefällt mir sehr.

Vivien zupft an ihrer Nagelhaut.
Huch, jetzt habe ich hier doch glatt Nachgeburt gelesen. :sealed:

Hat mich sehr berührt, Kanji. Hab einen schönen Sonntag und bis bald.

Liebe Grüße,
Chai

 

Hej @Chai ;), wir sind schon zwei Reimer,

und du weißt, wie schön es ist, wenn du meine Geschichte liest und mir davon erzählst.


Auch die Kennenlernszene hat mir gut gefallen, und dass Georg immer noch da zu stehen scheint, als Vivien von ihrem vierwöchigen Ausflug zurückkommt. Er war eben immer da.

Das wollte ich damit darstellen. Was er für Vivien ursprünglich bedeutete.

Vor dem Apfelbaum würde ich einen Absatz machen, sonst wirkt das so angehängt.

Okay. Why not.

Sie haben sich dann auch mühelos eingefügt. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwas stimmt für mich mit dem Satz nicht. Irgendwie wirkt der so larifari, verglichen mit dem restlichen Stil. Vielleicht durch das dann und haben. Keine Ahnung. Ich fände: Sie fügten sich mühelos ein runder.

Wie aufmerksam von dir. Ich habe im Augenblick kaum Zugang zu der Geschichte und muss vor den nächsten Korrekturen mal einen Schritt zurück machen. Weisst?

Ich glaube, es heißt: vieles

echt jetzt? :Pfeif:

Huch, jetzt habe ich hier doch glatt Nachgeburt gelesen. :sealed:

Das ja n Ding :D Man benutzt beide Worte einfach viel zu wenig. :lol:

Hat mich sehr berührt, Kanji.

Dann ist wohl was richtig gelaufen zwischen uns beiden.

Liebe Chai, es ist wie immer ein kostbares Gefühl, wenn du mich bedenkst und deine Empfindungen drunter schreibst. Vielen Dank, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo!


Schöne Geschichte, sehr authentisch und mitreißend. Einige Sätze schlagen ein wie Granaten:

Sein Bedürfnis danach wuchs schneller als der Tumor in seinem Bauch.
Nun sitzen sie beide auf der Bettkante, wenden sich gegenseitig den Rücken zu und der Raum dazwischen ist weit und kalt und dunkel wie der Ozean.
Schmerzhafter ist der Mangel an Hoffnung und an Glück
Sie weiß längst nicht mehr, was er macht, wenn er nicht bei ihr ist
usw.


Hier wurde schon eine ganze Menge zu deiner Geschichte gesagt und ob Ermangelung handfester Kritikpunkte möchte ich zum Inhalt jetzt nichts sagen.

Ich bin selbst kein orthografisches Wundermittel und habe noch ein paar Fragen in persönlichem Interesse.

Der Apfelbaum, dessen obersten Früchte von ihrem Fenster aus zum Greifen nah schien
Also: "..., dessen obersten Früchte..." Wo kommt hier dieses "n" her? Es klingt nicht richtig in Verbindung mit "Früchte" bzw. "schienen"?
Und das Zweitere: Wenn sich "schien" auf die Früchte bezieht, ist es falsch konjugiert.

mit dem sie fort segeln könnte.
fortsegeln zusammen? Geht beides?

Schweigend sammeln sie gemeinsam die Früchte in die Kisten.
Und hier das große Mysterium für mich.
Darf man das Wort 'sammeln' auch zu diesem Zwecke gebrauchen?
Ist das die ursprünglich richtige Form/Verwendungszweck?
Ich kenne nur das ugs. "Etwas in den Behältern sammeln."


MfG Putrid Palace

 

Hej @Putrid Palace ,

nett, dich hier zu treffen.

Einige Sätze schlagen ein wie Granaten:

Hoffentlich bis du nicht verletzt worden. :cool:


Reinste Schlachtfeld, wenn du das so sagst :Pfeif:

Aber du bist auch nicht ungefährlich:

Also: "..., dessen obersten Früchte..." Wo kommt hier dieses "n" her? Es klingt nicht richtig in Verbindung mit schienen?
Und das Zweitere: Wenn sich "schien" auf die Früchte bezieht, ist es falsch konjugiert.
fortsegeln zusammen? Geht beides?

Kanji schrieb:
Schweigend sammeln sie gemeinsam die Früchte in die Kisten.

Und hier das große Mysterium für mich.
Darf man das Wort 'sammeln' auch zu diesem Zwecke gebrauchen?
Ist das die ursprünglich richtige Form/Verwendungszweck?
Ich kenne nur das ugs. "Etwas in den Behältern sammeln."

Ich lege mich bei fortsegeln zusammen fest. Danke sehr.

Was den Rest angeht, rufe ich jetzt einfach mal um Hilfe: @Friedrichard, weil ich nicht zufriedenstellend erklären kann, wo das n herkommt, noch warum es in deinen Ohren falsch klingt. Und was das (Ein)sammeln von Früchten angeht ... will ich das so. :D Das klingt jetzt sowohl trotzig als auch unwissend.

Und obwohl du mich in arge Verlegenheit gebracht hast, kann dein genauer Blick ja auch nicht schaden, denn ich schreibe wohl tatsächlich alles andere als grammatikalisch korrekt.

Vielen Dank und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo @Kanji
Bitte meinen Beitrag nicht als klugscheißende Selbstdarstellung missverstehen. Mir macht es Freude, mich mit Sprache zu beschäftigen und darüber auszutauschen.
„Der Apfelbaum, dessen obersten Früchte von ihrem Fenster aus zum Greifen nah schien und die Nähe zum Mond, waren für Vivien die Gründe, die Wohnung im Dachgeschoss zu beziehen.“
„dessen“ leitet einen Relativsatz ein, der am Beginn und am Ende durch Kommas abgetrennt wird. Also: [ , dessen … nah schien, und die … ] Als Ausgleich darf (muss) das Komma nach Mond verschwinden.
Alsdann beziehet sich das Verb „schien“ eindeutig auf „die Früchte“ à Also: Pluralform verwenden [schienen]
Das Problem mit den „obersten“ ist nicht so trivial, wie es erscheinen mag. Erstens ist die Genitiv Form von „dessen“ eigenständig und erfordert nicht die Fortführung des Genitivs im weiteren Satz. „[die] obersten Früchte“ steht hier also im Nominativ Plural.
Für das Folgende finde ich auf die Schnelle keine wirklich sicheren Quellen. Eine kurze Internet-Suche ergab das:
http://canoo.net/blog/2016/01/26/dessen-deren-und-deren-nachfolgende-nachbarn/
https://www.korrekturen.de/flexion/adjektive/ober/superlativ/
Ich übernehme keine Garantie für die Seriosität der Seiten. Aber dort wird bestätigt, was ich selbst gelernt habe: „dessen“ als Relativpronomen erfordert die starke Beugung der folgenden Adjektive. „[die] obersten“ ist die schwache Beugung, „ [ohne Artikel] oberste“ ist die starke. Nach meinem Dafürhalten lautet der korrekte Satz nunmehr:
[Der Apfelbaum, dessen oberste Früchte von ihrem Fenster aus zum Greifen nah schienen, und die Nähe zum Mond waren für Vivien die Gründe, die Wohnung im Dachgeschoss zu beziehen.]
Die Entwicklungsgeschichte von „deren“ und „dessen“ ist übrigens sehr interessant für Fans der Sprachwissenschaft. Deren korrekte Verwendung und Flexion beschäftigt die Gelehrten schon seit Grimms Zeiten.
„fortsegeln“ wird zusammengeschrieben.
„sammeln in die Kiste“ ist syntaktisch … ähm … schwierig. Aber ich habe dich wohl bereits genug geärgert.
So! Jetzt warten wir noch ab, was der Friedrichard dazu sagt! ;)
Schöne Grüße
Kellerkind

 

Liebes @Kellerkind,

niemals würde ich denken, was du zu bedenken gibst. Im Gegenteil bin ich etwas beschämt, mit welcher Intensität du diesen Text und die Kommentare verfolgst. Lediglich die Zeit deines Engagements macht mir Kopfzerbrechen, aber ich rede mir ein, du lebst in einer anderen Zeitzone.

Und nun gebe ich (gerne) zu, dass ich grammatikalisch oftmals die Übersicht verliere. Am liebsten beim Konjugieren und bei Relativsätzen. Und ich setz noch eins drauf: Denn wenn sich bei meinem dilettantischen Sprachgefühl Zweifel einstellen und ich auf Wissen zurückgreifen müsste ... verdräng ich es. Aber auf dieser Forumsseite komm ich damit nicht durch. Zum Glück. Du machst es mir auch noch leicht und erklärst und verweist. Da bin ich froh,

Mir macht es Freude, mich mit Sprache zu beschäftigen und darüber auszutauschen.

das zu lesen.
Ich hab noch einige Hinweise und Verbesserungen einzuarbeiten und werde mich, wenn sich in dieser Adventszeit Langweile einstellen sollte, erst einmal an die formalen und später an die inhaltlichen Baustellen gehen. (Es sei denn, es ist Schlechtwetterzeit :sealed:).

Aber ich habe dich wohl bereits genug geärgert.

Das Gegenteil ist der Fall :kuss:

Lieber Gruß, Kanji

 

Hallo!


Und was das (Ein)sammeln von Früchten angeht ... will ich das so.
Ich finde es sehr interessant, was du hier mit "sammeln" verbrochen hast. Ich befürworte solcherlei Spielereien mit Wörtern und vertrete die Meinung, dass Autoren eine diesbezügliche Freiheit zustehen sollte. Solange nicht die entsprechende Sprache geschändet wird zumindest.

Ich bin mir beinahe sicher, dass da keine profunde Überlegung dahinter steckt, aber etwas hast du dir ja dabei gedacht?

Mich interessiert außerdem:

Wie kamst du auf die Idee dieser Geschichte?
Warum erkrankte der Mann, nicht etwa die Frau oder gar ein Kind?
Welche Rolle spielt das Alter der Protas? Warum nicht viel jünger oder gar älter? Bot es sich einfach am besten an?
Sind diese Fragen inhaltlich Haferbrei?

Erbitte Antwort. (Ich bin natürlich nicht enttäuscht, falls diese Fragerei an einer Stelle auf Stummheit stoßen wird.)

MfG Putrid Palace

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom