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Nach dem Tod
Es lag eine bedrückende Stille über dem zwei Meter tiefen Loch.
Darvin stand, in leicht gebeugter Haltung da, nur fünf weitere Leute waren mit ihm am Grab.
Die Sonne brannte Darvin auf den Rücken und da er eine schwarze Weste und Hose trug, schwitzte er fürchterlich. Sein Gesicht fühlte sich an als würde es von den Tränen, die hemmunglos über seine Wangen rannen brennen. Sie sammelten sich an seinem Kinn und tropften in den Kies. Er trat an den Rand des Grabes. Kurz verharrte er, dann bewegte er langsam seinen rechten Arm nach vorne und öffnete seine Hand.
Eine weiße Blume fiel ihm aus der Hand und segelte in kreisenden Bewegungen auf das polierte Holz des Sargdeckels. Eine Träne tropfte neben der Blume auf das dunkel braune Holz des Sarges, das bald darauf von schwarzer Muttererde völlig verdeckt werden würde. Ein paar Sekunden verharrte Darvin noch in seiner gebeugten Stellung, schließlich wischte er sich mit dem linken Handrücken die Augen trocken und stand auf.
„Entschuldige bitte, aber ich habe noch was zu tun“, sagte er dann zum Grab gewandt und verließ den Friedhof. Hinter ihm verabschiedeten sich noch die anderen Leute von dem Toten. Der Pastor stand stumm daneben.
Als Darvin den Parkplatz erreicht hatte, war nichts mehr von den Tränen auf seinem Gesicht zu sehen.
„Mist!“, fluchte er. „Das hat mich jetzt viel zu lange aufgehalten.“
Er stieg in einen schwarzen Porsche Boxter und startete ihn. Mit dem für einen Porsche typischen Röhren, erwachte das Auto zum Leben. Kurz darauf verließ der Sportwagen den Friedhofsparkplatz.
Aus dem halb geöffneten Fenster des Porsches schallte laut Nur zu Besuch von den Toten Hosen und Zigarettenrauch wirbelte im Fahrtwind davon.
„Scheiße, ich hab ja genauso viel geheult wie beim Begräbnis meiner Mutter. Ich bin immer noch nicht ganz ruhig“, wunderte Darvin sich, während er auf seine zitternden Hände starrte.
„Wo genau muss ich denn jetzt hin?“ Aus einer Tasche auf dem Beifahrersitz kramte er ein kleines, in schwarzes Leder eingebundenes Notizheft. Abwechselnd achtete er auf die Straße und dann wieder auf das Notizheft, und las so, sehr langsam, was dort stand.
22.06.11
ungefähr 15 Uhr
Mariannenstr. 6
drei-, evtl. vier Personen
1. Frau (Tochter): Ermordet vom Vater
2. Frau: Ermordet vom Ehemann
1.Mann: Erst die 1. Frau (Tochter), dann die 2. Frauen, evtl. den Sohn ermordet dann Selbstmord
EVENTUEL: 2.Mann (Sohn): Ermordet vom Vater
so leise wie möglich
Bezahlung: 100.000 pro Person (Sohn auf eigene Kosten)
Als Darvin sich die wichtigsten Informationen gemerkt hatte, klappte er das Heft wieder zu und warf es genau in die offene Tasche auf dem Beifahrersitz.
Fünf Minuten später bog der schwarze Porsche langsam in die Mariannenstraße ein. Darvin beugte sich tief übers Lenkrad, um die Hausnummern lesen zu können.
„84, 82, 80, so ein Mist, falsches Ende der Straße.“
Darvin lugte auf die Uhr im Armaturenbrett. „14.57“, stand da in schwarzen Ziffern.
„Auch noch spät dran.“
Er drückte ein wenig aufs Gaspedal und augenblicklich beschleunigte das Sportauto auf knappe 70 km/h.
Schnell hatte er das andere Ende der Mariannenstraße erreicht, und da erblickte er auch schon das Haus mit der Nummer 6. Sie hing mehr schlecht als recht an einem Haus, das nicht mehr als Haus zu identifizieren war, es sah eher aus wie ein in die Jahre gekommener Schuppen. Zwei der drei Fenster der Front waren mit halb verfaulten Brettern vernagelt, das andere war mit einer Plane verschlossen. Auch die Backsteine, mit denen das Haus errichtet worden war, waren nicht mehr im besten Zustand. An manchen Stellen hatte Efeu sich an der Mauer hochgearbeitet und die restliche Frontwand war von zwei riesigen Rosenbüschen eingenommen. Die Haustür sah auch aus, als könne sie jeden Augenblick nach vorn aus ihren Angeln kippen.
„Ach du Scheiße, da leben doch nur noch Ratten und Vögel, aber keine Menschen, geschweige denn eine Familie“, dachte Darvin sich angewidert, als er sein Auto am Bordstein parkte.
Nachdem er ausgestiegen war, verweilte er noch ein paar Sekunden vor dem halb offen stehenden Gartentor, zuckte schließlich mit den Schultern und setzte sich in Richtung Haustür in Bewegung.
„Hoffentlich bricht die Bude nicht zusammen, während ich drinnen bin.“
Im Inneren des Hauses war es dunkel und es roch stark nach erbrochenem und anderen unschönen Dingen, die sich Darvin lieber nicht vorstellen wollte.
Als er durch einen weiteren leeren Türrahmen ging, fiel er fast über eine Katze, die wie tot auf der Türschwelle lag.
„Mistvieh.“
Als Darvin den Blick von dem Tier hob, erblicke er eine Frau um die 40, die mit dem Rücken zu ihm am Herd stand.
„Ah, das hier ist die Küche, oder besser, soll sie sein.“
Auf dem Tisch zu seiner linken sah Darvin ein ungewaschenes Gemüsemesser liegen. An der Klinge waren noch die bereits verkrusteten Überreste irgendeiner nicht mehr zu erkennenden Mahlzeit. Leise hob er es auf und bewegte sich dann in relativ forschem Tempo auf die Frau zu und ohne zu zögern stach er der Frau ins Genick. Von einem schmatzenden Geräusch begleitet zog er das Messer wieder aus der Frau und diese sackte leblos über dem Herd zusammen. Darvin bemerkte erst jetzt, dass es ein Gasherd war.
"Oh, ich glaube mein Auftrag beinhaltet nicht das Abfackeln des Hauses" Vorsichtshalber drehte er das Gas ab und die Flammen, die unter dem von der Leiche verdeckten Topf hervorzüngelten erstarben, kurz bevor sie die Schürze der Frau in Brand stecken konnten.
Mit dem blutbeschmierten Messer in der Hand lief er dann, quer durch das alte Haus und suchte die andere Frau, er fand sie im Wohnzimmer wo sie auf einem Sofa saß, das den Anschein machte als wäre es dem Sperrmüll nur knapp entkommen, vor zehn Jahren.
Darvin näherte sich auch dieser Frau unbemerkt und erstach dann auch sie, ohne jegliches Zögern.
Just in dem Moment, als Darvin das Messer gerade wieder aus dem Hals der Frau ziehen wollte, kam der 1. Mann in das Zimmer.
Erst war er erstarrt, und wollt gerade anfangen etwas zu schreien, allerdings ließ Darvin es nicht soweit kommen. Darvin ließ das Messer im Hals der Frau stecken und sprang den Mann, der gute fünf Meter entfernt in der Tür stand an. Mit einer Hand packte er dem Mann in den weit aufgerissenen Mund und schleuderte ihn mit einer wuchtigen Bewegung gegen die hinter ihm liegende Wand. Der Mann fiel zu Boden und blieb benommen liegen. Darvin ging erneut ins Wohnzimmer zur toten Frau und zog ihr das Messer aus dem Genick. Mit dem Messer ging er zurück zum Mann und hockte sich vor ihn. Dieser lehnte mit weit aufgerissenen Augen an der Wand und starrte auf das Messer. "Wie..., wieso schwebt das Messer?", hauchte er. Darvin ignorierte ihn und zwang ihm die Klinge so in die Hände zu nehmen, dass sie dessen eigene Brust zeigte, und stieß zu. Dann richtete er sich auf und begutachtete sein Werk.
"Nicht das Beste, aber fürs erste Mal nicht schlecht. Denke ich."
Mit einem gar nicht mal so schlechtem Gefühl verließ er die Bruchbude.
Vor dem Haus erwartete ihn eine Frau.
„Haben Sie Ihren ersten Auftrag ohne Probleme erledigt?“, fragte sie sobald sie ihn sah.
Er nickte nur stumm.
Sie betrachtete ihn kurz. „Es ist beim ersten Mal immer etwas verstörend, aber mit der Zeit werde sie sich daran gewöhnt haben und nichts mehr fühlen.“
„Ich habe aber immer noch nicht verstanden, warum wir das machen müssen, das Töten meine ich“, sagte Darvin kleinlaut.
„Sie und ich sind Todesengel, soviel wissen sie?“, frage dir Frau Darvin. Dieser nickte.
„Also, wir Todesengel töten die Menschen, die in Zukunft durch ihre Handlung eine Menge Menschen töten würden. Sie retten dadurch, dass sie heute drei Menschen getötet haben, acht Menschen das Leben, da diese acht jetzt nicht in einem Verkehrsunfall sterben, den diese drei verursachen würden, weil sie bei Tempo 180 auf der Autobahn rumalbern. Falls in diesem Verkehrsunfall allerdings nur zwei Leute sterben würden, dann hätten sie diese Drei heute nicht töten müssen.“, erklärte die Frau geduldig. Darvin nickte wieder nur.
„Und wieso hätte ich eventuell auch den Sohn ermorden müssen?“, fragte er dann.
„Weil, falls der Sohn das Messer im Raum hätte schweben sehen können. Und wenn das passiert wäre, hätten Sie ihn auch umbringen müssen. Und das können Sie sich gleich mal merken, immer wenn jemand uns bei der Arbeit sieht, der nicht tot ist, muss dieser Jemand sterben, ohne Ausnahme, auch wenn es Ihre eigene Mutter ist“, sagte sie in eindringlichem Ton. Darvin nickte wieder nur.
„Können Sie eigentlich noch etwas anderes als nicken?“, fragte die Frau ihn, als sie auf dem Weg zum Porsche waren.
Darvin antwortete mit einem Nicken und musste grinsen. Auch die Frau begann zu grinsen, schließlich fingen beide an zu lachen.
Als sie am Porsche angelangt waren, blieben beide noch mal stehen. Erst schwiegen beide, dann fragte Darvin unvermittelt: „Wie bekommt ihr es eigentlich hin, dass das Auto unsichtbar und durchlässig wird?“
Die Frau zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung.“, antwortete sie.
„Na ist ja, auch egal. Rufen Sie an, wenn Sie einen neuen Auftrag für mich haben“, sagte Darvin und stieg in den nur für Tote Wesen sichtbaren Porsche. Darvin hob zum Gruß noch mal die Hand, dann fuhr er davon, begleitet von den Bloc Partys The Prayer. Im Rückspiegel sah er wie die Frau von einer Sekunde auf die andere einfach verschwand.
Bald darauf fuhr Darvin wieder auf den Parkplatz des Friedhofes, er parkte den Porsche, stieg aus und betrat den Friedhof zum Zweiten Mal an diesem Tag.
Es war immer noch heiß, doch diesmal hatte Darvin seine Weste im Auto gelassen und stand nun in seinem weißen Hemd vor dem jetzt zugeschaufelten Grab, nur die fünf Blumenkränze und das nagelneue Holzkreuz wiesen darauf hin, dass hier erst vor ziemlich kurzer Zeit jemand begraben wurde. Darvin richtete den Blick erst auf die frische Erde, dann schaute er auf und fixierte die schwarze Inschrift auf dem hellen Holz des Kreuzes:
Darvin Klein
geb.: 04.09.83
ges.: 17.06.11