Was ist neu

Nachtleuchten

Ael

Mitglied
Beitritt
02.12.2014
Beiträge
1

Nachtleuchten

Die Nacht leuchtet. Fast lautlos und mit einem verhassten Zischen fliegen die Leuchtkugeln durch den Nachthimmel. Wenn die Dinger wüssten, was für eine Angst sie hier unten verursachen.
Ich atme tief ein, wir liegen in einem Wald. Gott sei Dank. Schatten. Ich schnaube leise, hart - als ob man noch einem Gott vertrauen könnte.
Wender liegt neben mir. Er keucht leise und ich höre die Angst in seinem Atem lauern, wie sie ihm die Kehle zuschnürt. Es ist sein erster Einsatz bei Nacht, und fast will ich ihn ermahnen, liegt uns doch allen der Tod im Nacken. Dann fällt mir mein erster Nachteinsatz wieder ein - ich will gar nicht daran denken. Ich schweige lieber. Ist sowieso besser.
Langsam dringt die Feuchtigkeit der Erde in meine Kleider. Alles riecht modrig. Schlamm, feuchte Erde, umgewühlte Erde, Leichen, Körperteile. All das ergibt einen ekelerregenden Geruch
- aber der Mensch ist ja ein Gewöhnungstier. Fast entfährt mir wieder ein Schnauben.
Ich drücke mich mehr in die Erde, es matscht leise, eine neue Leuchtkugel fliegt über uns hinweg. Es donnert überall, tiefes Grolle, der Unmut der Welt, der Hass Gottes auf den fehlerhaften Menschen, ein versagendes Kaiserreich, Frustration. Die Erde weint.
„Wender.“ flüstere ich. Es dauert eine Weile, bis er reagiert. Er schiebt seinen Kopf in meine Richtung: „Ja?“. Scheint doch ziemlich gefasst.
„Hörst du das?“
„Natürlich.“
„Nein, ich meine das!“
Er lauscht.
Sein Gesicht wirkt erst angestrengt, dann wandelt sich seine Miene. Ein betroffener, angeekelter und mitleidiger Ausdruck tritt in seine Augen. Er kneift seine Augen zusammen, seine Augenbrauen wandern in die Höhe, seine Lippen schieben sich auseinander. Es sieht aus, als wolle er jeden Augenblick weglaufen und gleichzeitig in Tränen ausbrechen.
„Oh Gott.“ haucht er. „Ist das Senner?“
„Ich glaube ja. Er wurde doch vorhin getroffen, nicht? Als wir in das Wäldchen sind.“
„Ja, vorhin… wie lange liegen eigentlich schon hier?“ Er macht kurz wieder ein Gesicht, an dem sich die Welt zu spalten scheint. In Gut und Schlecht. Das hier ist eindeutig Schlecht.
„Wender!“ meine Stimme nimmt einen leicht schrillen Ton an. „Was ist, wenn wir ihm helfen können? Es war doch ein Beinschuss? Sag schon, dass es einer war! Sag schon!“
Wender schaut mich an. Ich kann seinen Blick nicht recht sehen, der Helm wirft einen langen Schatten. „Ja…ja, ich glaube.“
Entschlossen wälze ich mich nach links. Ein Blick über den Grabenrand, ein kleiner nur.
„Senner? Senner?!Bist du das?“
Ein Stöhnen folgt. Es klingt nach Schmerz.
„Senner?“
„Psst, sei doch still!“ funkt Wender dazwischen. Er scheint panisch. Ich ignoriere ihn.
„Ja?“ fragt eine heißere Stimme von drüben. Sie ist schwach, aber deutlich.
„Wo bist du getroffen?“
„Lass das bleiben, Karl. Es bringt nichts mehr.“. Dass er mich bei meinem Vornamen nennt, erschrickt mich mehr, als ich sagen kann.
„Senner, wo ist der Schuss? Sag es mir. Vielleicht können wir dich noch retten?“
„Ist gut, lass bleiben. Es ist nicht das Bein. Nicht nur.“
Mir wird etwas schlecht. Ich habe das Bild von Eingeweiden vor mir, die aus seinem Körper quellen. Aufgeplatzt, blutig, unmenschlich, ekelerregend, mit schlamm bedeckt, dreckig, sie hängen heraus, sie gehören da nicht hin. Und der arme Mensch lebt noch.
„Karl?“ fragt die heißere Stimme wieder. Ich will nicht wissen, was mit ihm ist. Jetzt kommt auch Wender hinzugekrochen.
„Was ist?“ frage ich rüber.
„Ich weiß nicht…“
„Sollen wir es versuchen?“ fragt Wender. Ein Adrenalinstoß durchfährt mich.
„Karl, ich habe Angst.“. Oh Gott, wo habe ich mich da nur hineingeritten?
„Das Leben ist so ungerecht.“ sage ich. Er muss es trotzdem gehört haben, ein leises Keuchen kommt von drüben. „Denk nicht daran. Paul! Es wird schön sein, glaub mir. Denk an deine Frau. Hast du Kinder?“
„Ja, einen kleinen Buben.“
„Stell ihn dir vor. Stell dir vor, wie er auf deinem Schoß sitzt und ihr seid beide glücklich, ja? Und deine Frau kommt zu euch, und es ist Sommer, und sie hat Limonade mitgebracht, hörst du mich? Denk an deine Frau! Und an die Limonade.“
„Hm.“ Es ist ein langes, beschwerliches, klagendes „Hm“. Er klingt wie ein sterbendes Tier.
„Paul?!“ Ich merke, wie mein Sichtfeld verschwimmt, Tränen rinnen mir die Wangen herunter.
„Paul“ flüstere ich noch einmal. Es schüttelt mich, ich muss schluchzen. Wender packt meinen Arm und zieht mich wieder in den Graben. Auch er scheint sehr betroffen.
Ich heule, bis ich nicht mehr kann, Rotz und Wasser. Der kleine Junge! Er hatte einen kleinen Jungen. Und seine Frau. Die Arme. Wender denkt wohl dasselbe. Traurig schaut er mich an. Ich schaue kurz zurück. Und dort drüben liegt ein toter Mann, kein wirklicher Mensch mehr, gestorben wie ein Tier, und zurückgelassen hat er eine Familie.
„Scheiß auf Gott, auf die Welt, auf diesen Krieg! Oh, Scheiß drauf!“ Es ist mir egal, ob uns jemand hört. Wender nickt zustimmend, entschlossen, fast schon rebellisch, er beißt sich auf die Unterlippe, sein Blick ist starr. Dann schauen wir uns beide an. Ich muss wieder an den kleinen Jungen denken. Und dieses „Hm“, dieses stöhnende, fragende, ungewisse „Hm.“, das alle Angst der Welt in sich vereint, dieses „Hm“, das klang wie von einem sterbenden Tier.
„Scheiß drauf.“ sage ich noch einmal, diesmal Wender ins Gesicht. Er nickt.
Und die Nacht leuchtet weiter.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ael,

willkommen!
Deine Geschichte ist schon so lange unkommentiert, was vielleicht an der Schwierigkeit liegt, etwas über sie zu sagen. Sie wirkt auf mich sehr uneinheitlich.
Das Thema ist zwar 'historisch', aber leider immer wieder aktuell. Es gelingt dir größtenteils, seine Ernsthaftigkeit einzufangen.
Es gibt wohlformulierte Passagen darin, aber auch solche, die ungelenk wirken. Nur ein paar Beispiele aus meiner Sicht:

Ich schnaube leise, hart - als ob man noch einem Gott vertrauen könnte.
Wo ist ein Zusammenhang zwischen Schnauben und Gottvertrauen?
, liegt uns doch allen der Tod im Nacken.
Welchen Sinn macht es, die Redewendung 'sitzt im Nacken' hier abzuändern?
All das ergibt einen ekelerregenden Geruch
- aber der Mensch ist ja ein Gewöhnungstier.
Gewohnheitstier
Ich muss wieder an den kleinen Jungen denken. Und dieses „Hm“, dieses stöhnende, fragende, ungewisse „Hm.“, das alle Angst der Welt in sich vereint, dieses „Hm“, das klang wie von einem sterbenden Tier.
Hier finde ich den Anfang es Satzes gut, aber dann kommt - für mich unplausibel - zum 3. Mal der Vergleich zu sterbenden Tier. Unplausibel, weil gerade das 'Hm' zuvor ja Fragen, Ungewissheit einschließen soll, und das ist sicher etwas sehr Menschliches.
Ich meine, die Geschichte sollte noch einmal gründlich überarbeitet werden. Vielleicht auch den konkreten historischen Kontext noch präziser darstellen (außer 'Kaiserreich' fällt dazu kein Wort).
Gut finde ich wieder die letzten drei Sätze.

Einen schönen Advent,

Eva

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom