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Nein
Ich sollte singen und ich sang. Vorsichtig stimmte ich mein Lied an. Ich hatte mir Junimond ausgesucht, obwohl sich die Jury wohl einen amerikanischen Titel statt einen Rio-Reiser-Hit gewünscht hätte. Es war mir egal, ich liebte dieses Lied und so kamen die ersten Zeilen von meinen Lippen. Schon nach dem ersten "Bye, Bye" unterbrach mich jemand aus der Jury und ich erwartete eine Wiederholung der zwei Wörter.
"Du bist in der Band!"...
Warum? Warum sagte er das?
Könnte er nicht einfach sagen wie scheußlich ich singe und das ich nicht für einen Popstar geschaffen war?
Stattdessen sagte er so etwas. Aber ich wollte nicht so eine Veränderung.
Ich passte dort doch gar nicht hinein.
"Du passt einfach gut in die Rolle des Schüchternen. Das ist perfekt."
Eigentlich sollte ich mich jetzt doch freuen, aber mir war nicht danach.
"Nein. Ich möchte nicht in die Band."
Anstatt zu meinen Freunden zu rennen und mit ihnen zu feiern kam so etwas aus mir heraus.
"Bist du dir da sicher? Diese Chance ist einmalig. Du kannst nicht wiederkommen. Komm in die Band und wir machen dich reich und glücklich." - "Nein."
Ich flüchtete aus dem Castingraum, es war einfach zu viel für mich. Ich hatte eben einen Sechser im Lotto und hatte dann den Glücksboten Schmitz nicht die Tür aufgemacht. Ich wusste nicht was mit mir los ist.
"Hey Paul. Was ist denn mit dir los?" - Plötzlich bemerkte ich, dass ich mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht komplett in eine andere Welt verschwunden war. Die Anderen konnten erkennen, was ich fühlte.
"Das ist doch nicht der Weltuntergang. Viele von uns wurden nicht genommen."
Jetzt begriff ich noch mehr. Sie sahen meine Gefühle, aber interpretierten sie so wie es am wahrscheinlichsten war. Ich war durchgefallen. Niemand würde je davon erfahren, das war mir jetzt klar. Selbst wenn ich es erzählen würde, würden es alle für einen Witz halten. Verdammt!
"Und gleich gibt es einen Looser mehr.", behauptete Edgar.
Er war ein guter Freund von mir und anscheinend als nächstes an der Reihe.
Edgar nahm das Casting genauso wenig Ernst wie ich am Anfang allerdings ging er mit einer viel positiveren Einstellung in den Castingraum, was man schon an seiner Körperhaltung erkennen konnte.
Während er nun der Jury "Feel" von Robbie Williams vorträllerte, setze ich mich auf die Bank zwischen die enttäuschten männlichen Gesichtern, die herüber zu den erwartungsvollen, fröhlichen Mädchen schauten, die an der Tür zu dem Raum standen, wo ich eben so eine Dummheit begangen hatte. Sie hofften es würde irgendwann heute ein Star aus der hinauskommen, den sie dann anhimmeln konnten, die Anderen, also bisher alle, wurden noch getröstet und dann nicht weiter beachtet.
Irgendwie war ich hier doch fehl am Platz. Warum war ich auf der Verliererbank? Ich hatte nichts verloren, ich hatte immer noch alles was ich wollte, alle Träume, einfach alles.
Nach wenigen Minuten stürmte Edgar in die Wartehalle, allerdings nicht so wie ein flüchtender, enttäuschter Versager. Nein, wie jemand, der gerade Mitglied einer Band geworden war, die höchstwahrscheinlich demnächst die Charts erobern würde. Hatte er es etwa geschafft? Oder tat er nur so? Er konnte gut aus einer Niederlage den Hauptpreis machen.
"Ich komm' in die Band!" - Nein das war nicht gespielt, man konnte es an seiner Stimme erkennen. außerdem schimmerten seine Augen vor Glück, jeden Moment würde eine kleine Träne sein Auge verlassen und über seinen linken Wangenknochen laufen.
Dann liefen noch mehr Tränen, allerdings nicht bei Edgar sondern bei den Mädchen. Ihre Gefühle spielten verrückt und sie wurden vollkommen hysterisch. Sie himmelten ihn nun an und waren wahrscheinlich für immer seine Fans und er hätte jede von ihnen haben könne. Auch Mira. Sie waren nun alle Kletten und hingen an ihm wie an einem wolligen Pullover. Aber warum sie? Es hatte sich doch nichts verändert, Edgar war immer noch derselbe. Mira und ich hatten uns in letzter Zeit immer weiter angenähert, wir waren schon fast zusammen und nun war sie so weit weg. Ich verließ die Halle, ich hatte hier nichts mehr zu suchen. Langsam trottete ich nach Hause, ich war niedergeschlagen. All das hätte ich auch haben können und noch viel mehr. Ich kam an der "Feuerstein" vorbei, einer alten gemütlichen Kneipe vorbei, kurz war mir danach hineinzugehen um mir das alles schön zu trinken, aber mir war nicht danach. Stattdessen schlenderte ich weiter und sah auch kurz darauf meine Haustür, wobei Haustür zuviel gesagt ist, es war eine Tür, die über ein Treppenhaus zu meiner Wohnung führte. Neben der Tür war ein kleiner Zeitungskiosk und ich schaute noch kurz auf die Titelseite der Bildzeitung, die dort auslag. Sie machte mich ausnahmsweise etwas glücklicher, denn ich so dort einen Grund, der mir sagte, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Mit einer weit aus fröhlicheren Miene steckte ich den Schlüssel ins Schloss. Ich öffnete gerade die Tür als ich eine vertraute Stimme hinter mir hörte. "Warum bist du denn so schnell weggelaufen?", es war Mira. Es war schön sie wieder zu riechen anstatt sie zu beobachten. "Ich war dort einfach fehl am Platz." - "Nein das warst du nicht. Ich habe dich gesucht nachdem ich Eddie gratuliert habe." Ich spürte, dass es ihr Ernst war, es interessierte mich auch nicht warum sie Edgar plötzlich Eddie nannte. Sein zukünftiger Manager fand es wäre ein passender Name für einen Popstar wie ich später erführ, durch das Fernsehen. Ich ging mit Mira nach oben in meine Wohnung, ich hatte mir ein falsches Bild von ihr gemacht, sie war nicht wie die anderen Mädchen dort. In dem Augenblick wusste ich schon, dass sie nun zu mir gehört. Ich hatte eine feste Freundin gewonnen und einen guten Freund verloren.