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Nikolaus

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09.12.2004
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Nikolaus

Hoffentlich sitzt du auch bequem auf meinem Schoß. Du sollst wissen, dass, wenn du dich erhebst und glücklich in die Arme deiner Mutter läufst, es sich der nächste Balg auf meinem Oberschenkel bequem machen wird. So geht das schon den ganzen Tag und bis zum Abend wird sich an diesem Bild nicht viel ändern. Jungen, Mädchen strahlen mich entzückt an, starren auf meinen falschen Bart, zupfen daran, schnäuzen sich in meine rote Kutte und greifen in meinen prallgefüllten Sack. Nichts an mir ist echt.

Aber dass merkt keiner und vor allem will es keiner wahrhaben. Meine Geschichte interessiert auch niemanden. Einzig was aus mir gemacht wurde, das Klischee um meine Person, lässt Kinderherzen höher schlagen.
Ja, schau mich ruhig erwartungsvoll an. Du wirst schon deine Nüsse, deine Schokolade und die Geschenke, die mir deine Mutter vor einer Minute – unauffällig – untergeschoben hat bekommen. „Und warst du auch brav, ähh“ – Wo ist der Spickzettel, ah, hier – „Robert? Der Nikolaus hat dich das ganze Jahr über beobachtet. Und er hat auch mit deiner Mama gesprochen. Also, hast du dir die Geschenke auch verdient?“

Was will sich denn schon so ein kleiner Balg verdienen. Immer wieder diese ökonomische Ausdrucksweise. Hast du dir das verdient, in die Beziehung investieren – möchte wissen, wer sich diese Redeweisen ausgedacht hat.
„Ja? Also deine Mama hat mir da was anderes erzählt. Sie sagt, dass du einen Blumentopf umgeschmissen hast und zum Schlafen immer noch den Schnuller brauchst. So ein großer Junge wie du.“ Oh Gott, ist mir übel. Schau nur wie blöd deine Mama grinst und wie ihre Augen voll Stolz strahlen.

Soll ich dir mal die Wahrheit über meine Kutte verraten? Ich bin nicht immer so herumgelaufen. Um ehrlich zu sein, keinen einzigen Tag habe ich so ein rotes Bischofsgewand getragen. Dieses tolle Outfit habe ich Coca Cola zu verdanken. Ein findiger Marketingtyp hat um die letzte Jahrhundertwende dafür gesorgt, dass der Nikolaus auch schön brav die Firmenfarben seiner Company verwendet, damit man ihn auch schön kommerziell für die Produktwerbung engagieren kann. Das ist die traurige Wahrheit meines schönen, kindgerechten Äußeren.

Ja, Knecht Ruprecht, auch du siehst nicht glücklich aus. Wir sind beide schon zum Inventar eines alljährlich wiederkehrenden Zirkus verkommen. Gezähmt, da kann auch dein gefährliches Äußeres und dein Kettengerassel nichts daran ändern. Die matten Augen lügen nicht.

Seit fast 1000 Jahren ziehen wir diese Nummer nun schon durch. Viele Kinder haben sich auf diesem Schoß ausgeheult, Tränen der Freude, aber auch Tränen der Furcht. Viele Epochen hat mein Heiligenbild überstanden. Kaum zählbar, wie viele Diktatoren und Friedenspreisträger sich in meine Kutte geschnäuzt haben.

Seit fast 1000 Jahren beschenke ich nun schon die Kinder. Früher hat Obst genügt um die Kinder zufrieden zu stellen. Das ist heute nicht mehr vorstellbar.

„Was meinst du Robert? Können wir Knecht Ruprecht deinen Schnuller schenken?“

Was für Wundertaten habe ich vollbracht! Ja, Robert, auch wenn ich nicht den Anschein erwecke, aber ich gelte als Helfer in fast allen Schwierigkeiten. Als Retter in aussichtlosen Situationen. Und jetzt sieh mich an: Ich kann mich nicht einmal mehr selbst aus diesem Schauspiel befreien.

Weißt du eigentlich, was für Legenden man sich über mich erzählt?
Nur so viel zu meiner Person: Vor langer Zeit habe ich einmal drei zu Unrecht zum Tode Verurteilte gerettet. Interessanterweise auf zwei Versionen: Erstere besagt, dass ich mich in die Träume des Kaisers geschlichen und um die Begnadigung der Todesaspiranten gebeten habe; in der zweiten Darstellung durfte ich noch mehr Heldenmut beweisen. Darin befanden sich die drei Unschuldigen schon vor dem Henker, ihr Haupt auf einem Holzstock gebettet und den Tod erwartend. Just als der Henker sein Schwert auf die Häupter fallen ließ, ergriff ich dieses und wehrte den Todesschlag ab.
Ein anderes Mal rettete ich ein in Seenot geratenes Schiff. Natürlich nicht irgendeines, sondern jenes Schiff, dass drei Pilger und heiliges Öl aus dem Tempel der Diana an Bord hatte, das für eine christliche Kapelle bestimmt war. Zur Errettung des Schiffes begab ich mich an Bord, stillte den Sturm und brachte daraufhin das Schiff sicher in den Hafen. Ja, so bin ich. Ein Retter der Unschuldigen.

Eine letzte Wundertat gebe ich dir noch mit auf den Weg: Diese betraf drei Jungen, die in etwa deinem Alter waren, mein lieber Robert. Also, diese drei Jungen waren auf der Suche nach Arbeit – schön, sie waren doch etwas älter als du, Robert – in die wurstigen Fänge eines Metzgers geraten, der sie in ein Pökelfass steckte und auf dem besten Wege war, sie zu Wurst zu verarbeiten. Als ich davon erfuhr, machte ich mich unverzüglich auf den Weg. Sie waren bereits zerteilt, als ich eintraf. Denn och gelang es mir, mit der Hilfe des christlichen Gottes, sie wieder zum Leben zu erwecken und dem Metzger auf ewig den Appetit auf Menschenwurst zu vergrämen.

Wenn ich auf diese Taten zurückblicke, frage ich mich immer nach dem Mythos, den die Zahl Drei in meiner Historie spielt. Drei Jungen, drei Unschuldige, drei Pilger. Was es wohl damit auf sich hat? Aller guten Dinge sind drei? Beruft sich dieser Volksspruch auf meine Heldentaten? War zuerst das Ei oder die Henne da?

Du gähnst? Ich sehe, meine Geschichten interessieren dich nicht, Robert.
„Hoho, mein lieber Robert. Bleib weiterhin so brav, damit deine Mami auch auf immer und ewig stolz auf dich sein kann. Putz dir die Zähne nach den vielen Süßigkeiten“ – und mach Platz für das kleine Mädchen, dass so artig in der Reihe steht.

Mein Gott, dass sind ja Zwillinge. Und sie tanzen alle beide an. Meine armen Oberschenkel. „Ja, wer seid denn ihr beiden Engel?“ - Los, Mama, steck mir den Schummelzettel zu – „Ja, da haben wir Angela und Nicola. Wart ihr den auch immer brav während des letzten Jahres? Habt ihr Mama und Papa auch keine Schande gemacht?“

Keine Antwort, dafür haltet ihr mir gleich eure Rot-Weiß-Rot gestreiften Socken unter den weißen Bart. Also schön, ein kleines Rätsel: Wisst ihr, wie die Mähr um die gefüllten Socken entstanden ist? Wisst ihr, warum man die Socken an den Kaminsims hängt und warum sie am nächsten Morgen gefüllt sind? Ihr wisst es nicht? Am liebsten würde ich euch die Socken um die Augen binden, so blind wandelt ihr und wandeln eure Eltern, die es ja so gut mit euch meinen, durch die Welt. Aber stattdessen belohne ich euch mit sündteuren Geschenken von euren Eltern. Gut, dann kläre ich euch auf: In meinem Ort gab es eine sehr arme Familie. Der Vater brachte das Geld nicht auf, um seine Frau, seine drei Töchter (schon wieder die mystische Drei) und sich selbst, durchzufüttern. Deshalb warf ich heimlich Geld durchs Fenster und durch den Kamin. Hinter dem Fenster und auf dem Kaminsims hatte die Familie Socken aufgehängt. Mit meinen Geldgeschenken konnte ich verhindern, dass der Vater seine drei Töchter in die Prostitution schicken musste. Ja, da schaut ihr. Verstanden habt ihr nichts. Hätte es diese verarmte Familie nicht gegeben, wären eure Socken heute nicht mit Schokolade, Erdnüssen und sonstigen Zutaten gestopft.

So, und jetzt verlasst meinen erhitzten Schoß, denn die Kinderschar nach euch, will auch noch bedient werden.

„Frohes Fest wünsche ich euch und euren Eltern. Gesundheit und Friede.“ – doch Geschenke sind euch wichtiger, ich weiß.

 

Hallo stoeberl,

nein, deine Geschichte hat mir nicht gefallen. Zum einen ist die Kernbotschaft fad: "Nur Geschenke, nur Konsum, keiner kennt länger die geschichtlichen Hintergründe". Um sich diesem alten Nikolaus/Weihnachtsthema anzunehmen, sollte es irgendwie neu und/oder lustiger und/oder bissiger verpackt werden. Hier wird ein Kind(!) sozusagen als Sündenbock für die Eltern dafür verantwortlich gemacht, dass Nikolaus/Weihnachten nur auf den Kommerz reduziert ist. Alle sind gierig geworden und keiner interssiert sich mehr für den "echten" Mythos. Dabei ist doch viel wichtiger, dass die Kinder ehrfürchtig und mit leuchtenden Augen vor dem Nikolaus stehen und seinen Zauber erleben dürfen.

Stilistisch gefällt mir nicht, dass du die verschütteten Mythen lahm in deine "Geschichte" einflechtest. Eigentlich ist es nur ein innerer Monolog, der aber nicht den richtigen Biss bekommt, um gut zu unterhalten. Mehr Zynismus oder Ironie, der auch in der Wortwahl und der Sprache des 1000 Jahre alten Mannes zum Ausdruck kommen sollte.

So kann ich mich letzten Endes diesem Satz anschließen:

Du gähnst? Ich sehe, meine Geschichten interessieren dich nicht, Robert.
;)


LG

Dante :xmas:

 

thanks, dante. kann mit deiner kritik viel anfangen und werde sie für weitere geschichten berücksichtigen.

LG
stoeberl

 

Hallo stoeberl,

freut mich ja. :) Wenn du noch Detailfragen zur Geschichte hast, kannst du mich gerne jederzeit anhauen. Dafür bin (sind) ich (wir) schließlich da.

Weihnachtliche Grüße

Dante :xmas:

 

Hallo Stoeberl,

leider muss ich mich Dante anschließen.

Auch mir hat deine Geschichte nicht allzu gut gefallen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen hat mich gestört, dass du die Kinder indirekt für den Kommerz des Weihnachtsfestes verantwortlich machst, obwohl die am Wenigsten dafür können.
Auch die alten Mythen um den Nikolaus sollten ihnen die Eltern erzählen, was sie aber leider nicht tun. (Ich hab sie allerdings in der Schule kennen gelernt.)

Die Idee diese Mythen einzuflechten fand ich nicht schlecht, aber wie du es gemacht hat, fand ich wieder nicht so gelungen. Das wirkt zu sehr wie ein erhobener Zeigefinger und das nervt mich als Leser ein bißchen.

LG
Bella

 

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