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Ob das gut war?
Die Stadt schien verlassen. Er allein nahm den intensiven Geruch von vergammelten Fisch wahr, er allein hatte sich in die verwinkelten Gassen gewagt. Er war allein mit der Dunkelheit. Allein. Und das war gut so.
Schnellen Schrittes eilte er durch die Gassen. Ja, er kannte sich aus hier, war den Weg...
Eins, zwei, drei, vier... Noch da. Alle. Keiner fehlte. Keiner.
Dutzende Male. Dutzende Male war er ihn gegangen, den Weg. Jetzt musste er abbiegen, links. Vorbei an der Kneipe, vorbei. Dort, wo Giovanni Wirt war, ein prächtiger Kerl. Hatte ihm schon etliche Runden ausgeschenkt. Wirklich nett, der Giovanni, sehr redselig.
Der Weg. Was kam jetzt? Nach rechts? Er musste sich konzentrieren, er durfte sich keinen Fehler erlauben.
Ob sie noch da waren, alle? Neun. Es fehlte keiner. Keiner. Das war gut so. Gut.
Jetzt kam er am Stand vorbei, wo tagsüber solcher Lärm herrschte. Laut. Und der Gestank, Fisch. Er mochte das nicht. Diesen Stand. War zu laut. Zu laut...
Was war das?
Er fuhr herum.
Sie! Sie! Er hätte es wissen müssen, wissen. Dass sie es waren. Die.
Er begann zu rennen, den Weg entlang, den Weg. Er durfte nicht. Sie würden ihn bestrafen. Nicht versagen, durfte er.
Sein Atem ging stoßweiße.
Beobachteten ihn. Musste sie abhängen. Die.
Er war im Eisenbett. Gerade erwacht. Seine Glieder schmerzten. Schmerzten, vom harten liegen. Er öfnete die Augen.
Da sah er ihn. Zum ersten mal. Mit Anzug und Krawatte und Gel in den Haaren, roch diesen Geruch nach Zigarre. Teurer Zigarre. Er setzte sich, ohne zu fragen, der Fremde. Auf den Stuhl an der Wand, an der kahlen langweiligen Wand.
„Guten morgen, signore. Ich bin einer von denen, signore“, so der.
„Einer von denen!“ Er schluckte. Hatte sich nicht geirrt. „Ich, ich es gibt sie also wirklich. Die. Wie sind Sie hier rein...? -Verschwinden Sie, Ich mag nicht gestört werden, wissen Sie. Ich...“
„Keine Fragen, signore.“
Er starrte an die Wand und an die Gitterstäbe am Fenster, die es verrrigelten, das einzige. Ihn ängstigte. Der von denen.
Eins, zwei drei, vier... Neun Stäbe. Am Fenster. „Sie sind alle da. Das ist gut so. Alle Stäbe“
„Konzentrieren Sie sich, signore. Sie drehen durch hier, signore. Das werden Sie nicht gut brauchen, signore. Wir verzeihen nichts.“
„Wissen Sie. Mich verwirrt dieser Raum, er hält mich fest. Ich bin einsam. Schon über zwei Jahre, zwei Jahre. Mein Leben, meine Familie, ich..Wissen Sie. Es bedrückt mich, jagt mich in den Träumen- Neun Stäbe sind es. Alle da.“
Er blickte zur Decke. Pause. Es war still im Raum.
„Ich hole Sie hier raus, signore. Sie müssen dafür etwas erledigen, signore. Für uns“
Bellen. Laut, erschreckend laut. Er kam zu sich. War fort, der Tagtraum, die Erinnerung. Wo war er? Waren sie ihm noch auf den Fersen? Die? Egal.
Er keuchte. Müdigkeit. Müdigkeit überkam ihn. Mühsam schleppte er sich vorwärts. Die dunklen Gassen entlang. Zum Haus.
Eins, zwei, drei... Alle da. Ausnahmslos. Und das war gut so.
Er schüttelte sich. Um die Gedanken loszuwerden, tat er das. Die Gedanken an das Zimmer, das ihn lange Zeit, sehr lange Zeit, gefangen gehalten hatte. An das Zimmer mit der kahlen weißen Wand, dem Stuhl, dem Bett, dem Fenster, dem einzigen, mit den Stäben. Neun. Und alle gab es noch, nichts hatte sich verändert. Nur, dass er fort war, fort. Hatte ihm den Rücken gekehrt, dem Zimmer. Für ewig. Auch das war gut so.
Konzentrieren. Der Auftrag. Er musste alles beenden; jetzt.
Er spürte die Blicke, die auf ihn lasteten, ihn durchdrangen. Er hatte sie nicht abgeschüttelt. Die. Sie würden ihn beobachten. Nichts durfte schief laufen. Nichts. Nein. Sie würden ihn dafür... Er musste seinen Teil erfüllen, das war die Abmachung. „Wir verzeihen nichts.“, hatte er gesagt. Der. Der von denen.
Das Metall. Das Metall, um das sich seine Hand schloss. Es beruhigte ihn. Und das war gut so. War schwer gewesen, daran zu kommen. Hatte viel dafür bezahlt, für die Freiheit. Für die Waffe.
Ein seltsames Gefühl überkam ihn. Sicherheit. Ein Gefühl, das ihm beinahe fremd war. Vielleicht auch Macht. Seine Schritte wurden fester, entschiedener. Es würde nichts schief laufen. Nein. Wieso auch? Er würde sie nicht enttäuschen. Die.
Er war gleich da. 9. Wie die Stäbe, die Stäbe aus einer längst vergangenen Epoche. 9 war die Nummer. Da war es, das Haus. Er war da. Am Ziel. Mit dem Schlüssel zur Freiheit.
Eine Tür wurde geöffnet. Ein Mann trat in die Wohnung. Sagte kein Wort. Nichts.
Dann, ein Schuss, der die Nacht für Augenblicke erschütterte.
Stille, bedrückende Stille, als hätte sich nichts verändert. Im Wohnzimmer war immer noch das Licht angeknipst, das Radio trällerte ein Lied und auf dem Nachttisch lag, wie zuvor, die Zeitung:
„Einem Patienten gelingt die Flucht“, verkündete sie. Doch der Mann, der Mörder, sah dies nicht, war schon verschwunden. Vielleicht war das gut so. Vielleicht.