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Pactum

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13.09.2013
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Pactum

Von allen Seiten her drangen die Orks auf sie ein.
Es waren breitschultrige Kreaturen mit olivgrüner Haut und von beeindruckender Größe. Mindestens zwei Dutzend mussten es sein, und sie alle trugen Waffen in den klobig wirkenden Händen: Streitäxte, Kriegshämmer, schartige Breitschwerter, Keulen und Streitkolben. Die beeindruckenden Körper steckten in alten Rüstungen, die die Horde sich wahrscheinlich irgendwo zusammengeraubt hatte.
»Alle zu mir!«, schrie Arvanor mit panischer Angst, »Bildet einen Kreis, Rücken an Rücken!«
Letzteres war natürlich nicht weiter von Belang, denn sie waren nur zu dritt. Zu dritt gegen zwei Dutzend kriegerische und blutdürstige Orks. Der Elf sah die Chancen auf das nackte Überleben in weite Fernen schwinden. Doch er durfte nicht aufgeben, genauso wenig wie seine beiden Begleiter. Sie waren ebenfalls Elfen, die beiden besten Krieger ihres Volkes. Der hohe Rat selbst hatte sie dazu bestimmt, dem Magier bei seiner Mission zur Seite zu stehen. Eine Mission, von der das Schicksal des ganzen Volkes abhing.
Das Entsetzen ins hagere Gesicht geschrieben schlug Arvanor seinen dunkelgrünen Mantel vorne zur Seite und sah auf seine Brust hinab. Dort hing das Amulett, das der Legende nach von Vyarla, der Göttin des Lebens selbst erschaffen worden war. Ein hellgrüner Smaragd, der ein von innen heraus leuchtete und regelmäßig pulsierte. Trotz des scheinbaren Lebens fühlte er sich eiskalt auf der bleichen Haut des Elfen an. Als er beschützend die Hand darum schloss, konnte er die Magie, die das Artefakt durchströmte, förmlich spüren, doch sie anzutasten wagte er nicht.
Die Macht des Amuletts war das einzige, was die Elfen noch vor dem drohenden Untergang retten konnte. Wenn es ihm nicht gelang, das Amulett zu Drogador, dem Fürsten der Drachen zu bringen – wer wusste, was dann geschehen würde. Er wollte es sich gar nicht vorstellen, zu grauenvoll war es. Genauso grauenvoll wie die Macht, die die Elfen bedrohte. Der schwarze Nebel wurde sie genannt, und tatsächlich zeigte sich diese dämonische Kraft als solche. Überall in den Reichen und Wäldern der Elfen breitete sich der schwarze Dunst aus und machte die Elfen krank oder raffte sie sofort dahin. Und mit dem Nebel kamen andere, schlimmere Kreaturen.
Arvanor hielt das zerbrechliche Schicksal eines ganzen Volkes in Händen, und selbst ihm wurde diese Verantwortung teilweise zu groß. Doch ans Aufgeben hatte er trotzdem noch nie gedacht. Und eine Horde marodierender Orks würde die Elfen nicht vernichten, nicht so lange er lebte und das Amulett verteidigte. Vyarla würde ihm beistehen, und Drogador würde wissen, was mit dem Artefakt zu tun sei. Zumindest hatten die Priester der Göttin prophezeit, dass Arvanor und der Drachenfürst die Rettung bringen würden, wie auch immer diese aussah.
Kryptische Vorhersagen, an deren Wahrheitsgehalt jedoch niemand zu zweifeln wagte.
Arvanor hörte das Schleifen der Klingen, die aus den Scheiden gezogen und zur Verteidigung emporgerissen wurden. Elfenklingen. Waffen, denen die schäbigen Rüstungen der Orks nichts entgegenzusetzen haben würden. Geschmiedet von den besten, geführt von den besten. Sie würden alles zerschneiden, das sich ihnen in den Weg stellte, egal ob Metall, Fleisch, Sehnen oder Knochen. Nichts hielt ihnen stand.

Der Magier besann sich wieder auf das Hier und Jetzt, die unmittelbare Bedrohung, anstatt weiter in Kummer zu schwelgen. Er ließ das Amulett aus seiner Hand gleiten und schlug hastig den Mantel wieder darüber. Niemand würde es bekommen, nur der Fürst der Drachen selbst.
Hastig ließ Arvanor den Blick schweifen. Seinen beiden Kriegern stand die blanke Furcht ins Gesicht geschrieben, doch sie umklammerten krampfhaft die Griffe ihrer Schwerter und schienen bereit zu sein, sich jeder Gefahr zu stellen. Zwischen den düsteren Bäumen mit den ausladenden Ästen und blaugrünen Nadeln quollen immer mehr der grünhäutigen Kreaturen hervor. Der Strom an gewaltigen Leibern schien gar kein Ende mehr nehmen zu wollen. Jeder Ork überragte die Elfen um mindestens einen guten Kopf, und das waren beileibe keine guten Aussichten für einen bevorstehenden Kampf.
Verzweiflung machte sich in dem Magier breit, als er seine Aura ausgreifen ließ. Er war ein Elf, der mit der Natur im Bunde stand und seine Kräfte aus ihr bezog. Im heimischen Wald hätte ihm diese Horde Orks auch alleine nur geringfügige Probleme bereitet, doch hier … Zwar gab es Bäume wie sonst auch, doch diese waren abweisend und düster, nicht so licht und und gefügig, wie er es sonst gewohnt war. Die Elfen hatten ihren Wald mit Zaubern durchwoben, und so hatten es die Druiden hier im Norden scheinbar auch getan, vor Tausenden von Jahren schon. Die dunklen Stämme hatten etwas Abweisendes und Unnahbares an sich. Arvanor strebte davor zurück, ihnen seinen Willen aufzuzwingen und dabei seine Kräfte vielleicht sinnlos zu vergeuden.
Ein Blick auf seine beiden Kameraden belehrte ihn eines besseren. Ihre Rüstungen glänzten im letzten Licht der Sonne, die rötlich irgendwo über den Baumwipfeln niederging. Entschlossen ließen sie ihre leicht gebogenen Klingen wirbeln und verhießen den Orks, die inzwischen heran waren, mit jedem Schlag den Tod. Wenigstens in dieser Hinsicht hatte Arvanor sich nicht getäuscht.
Die Luft war erfüllt von Geschrei und Schnauben, vom Flirren der Klingen in der Luft und vom Stöhnen und Wimmern der Sterbenden. Der abstoßende Geruch von Blut drang ihm in die Nase, dazu kam der Gestank, den die Orks von Natur aus verströmten.
Eine der Bestien schob sich in sein Blickfeld. Ein wahres Monstrum mit bemalten Hauern, das eine martialische Streitaxt in den Klauen hielt. Wo diese schreckliche Waffe niederging, wuchs nie mehr Gras, dessen war sich Arvanor sicher. Rasch riss er seine beiden Schwerter vom Rücken und schnitt dem Ork in einer einzigen Bewegung ein tiefes blutiges Kreuz in die breite Brust. Die Klingen gingen durch den rostigen Harnisch wie durch Butter. Der haarfeine Schnitt war beinahe nicht zu sehen, doch mit einem röchelnden Grunzen ging das Monstrum zu Boden und rührte sich nicht mehr. Die Axt entglitt seinen Klauen, während das erste dunkelgrüne Blut aus den Schnitten sickerte.

Arvanor tötete noch zwei Orks auf dieselbe Weise, dann fand er einige Augenblicke Zeit, seine Aura ausgreifen zu lassen. Zuerst versuchte er, die Orks direkt zu kontrollieren, doch ihre genauso kleinen wie blutrünstigen Verstände widersetzten sich ihm zu hartnäckig. Rasch tastete er weiter und fand schließlich die Aura eines gewaltigen Baumes in direkter Nähe. Das Gewächs hatte mehrere Jahrtausende erlebt und war knorrig und uralt, doch es strotzte geradezu von Kraft.
So seltsam es auch klingen mochte, der Elf führte einen hartnäckigen geistigen Kampf gegen den Baum, dessen Zauber sich unermüdlich gegen seinen Einfluss wehrten. Doch schließlich machte er eine Lücke in dieser Verteidigung aus und ließ einen Teil seiner Aura hindurch fließen. Der Elf spürte den Baum wie ein Teil seines Körpers, nur dass er steif und eingerostet wirkte und nur schwer zu bewegen war. Diese verdammten Druiden – falls sie es denn gewesen waren – hatten wahrlich ganze Arbeit geleistet.
Während er noch versuchte, den Baum irgendwie in Bewegung und unter Kontrolle zu bringen, tauchten plötzlich drei weitere Orks wie aus dem Nichts vor ihm auf. Mechanisch warf sich Arvanors Körper ihnen entgegen und ließ die beiden Klingen durch die Luft schneiden. Etwas anderes trafen sie beim ersten Anlauf tatsächlich nicht, dafür erhielt der Elf einen schmerzhaften Schnitt im linken Oberschenkel, der noch dazu höllisch brannte. Entweder war ein Stück der rostigen Klinge in der Wunde stecken geblieben oder diese Bestien hatten ihre Waffen tatsächlich mit Gift bestrichen. Beides war denkbar, doch er hatte im Moment keine Zeit, sich darum zu kümmern. Beim zweiten Angriff trennte er zwei der Bestien die klobigen Schädel von den Hälsen und machte den dritten mit einem Schnitt quer über beide Kniesehnen kampfunfähig. Das animalische Geschrei hörte er nur gedämpft, wie durch einen Schleier. Kein Wunder, seine Aufmerksamkeit galt im Moment schließlich nicht dem Kampf auf weltlicher Ebene, sondern dem auf der Ebene des Geistes.
Nach scheinbar endlosem Ringen hatte er es endlich geschafft. Zwar waren die Fasern des Baumes noch immer ein wenig widerspenstig, doch ließen sie sich ohne allzu große Mühe bewegen. Aber es musste schnell gehen. Ein Blick durch die Augen seines ursprünglichen Körpers zeigte ihm, dass seine beiden Gefährten sich in arger Bedrängnis befanden. Von allen Seiten her drangen die Orks auf sie ein, während sie Arvanor nicht weiter behelligten. Scheinbar hielten sie ihn für das ungefährlichste Opfer. Diese unglaubliche Fehleinschätzung würde sie noch teuer zu stehen bekommen.
Rasch wählte der Elf einen langen Ast aus und verwendete seine Aura ausschließlich auf ihn. Den sich ihm entgegenstellenden Widerstand schlug er schnell nieder, dann setzte er das Holz mit einem Knarren in Bewegung. Splitter barsten ab und regneten zu Boden, doch der Ast war dick genug und wurde von der Magie gestützt.
Mit bestialischer Kraft schwang er herab und zerschmetterte mehrere Orks auf einmal. In einem Hagel aus Blut und Metall gingen sie zu Boden, wieder splitterte das Holz. Doch noch hielt es. Der Elf beschloss, einen zweiten Angriff zu wagen. Kurz sah er sich mit seinen Elfenaugen um und wählte die nächsten Opfer aus. Ein stämmiger Ork mit einem Beil in jeder Hand stürmte brüllend auf ihn zu und schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.
Arvanors Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln, das Abscheu und Überlegenheit zugleich zum Ausdruck brachte. Eine einzelne Kreatur hatte keine Chance gegen ihn, nicht gegen ihn und die Macht des Waldes zusammen. Doch der Ork war schneller heran als gedacht, aus dem Sprung heraus schwang er seine Beile mit vernichtender Wucht. Erschrocken riss der Elf beide Schwerter hoch und konnte die Waffen des anderen gerade eben noch daran abgleiten lassen.
Verdammt, dieser Gegner war um Längen besser als die, mit denen er es bisher zu tun bekommen hatte. Er konnte nur hoffen, dass dieser Ork eine Ausnahme war, sonst sah es wieder recht düster aus mit dem Überleben. Er musste dieser Kreatur ein Ende bereiten.
Wieder setzte er den Ast in Bewegung, diesmal würde sich – soweit alles gut lief – das Ende um den Hals des Wesens schlingen und ihm das Genick brechen. Die Bewegung begann ruckartig, und der Elf musste einige Kraft aufwenden, um ein völliges Bersten des Holzes zu unterbinden. Es kostete ihn seine gesamte Konzentration, die Bewegung weiterhin unter Kontrolle zu halten. Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner hohen Stirn.

Nur am Rande bekam er mit, wie drei Orks zugleich einen seiner Kameraden attackierten. Der Elf mit dem langen braunen Haar setzte sein ganzes kämpferisches Geschick ein und enthauptete zwei der Angreifer mit einem einzigen Hieb, doch dann war es vorbei. Noch bevor er seine Waffe aus den Wirbeln des Orks gelöst hatte, vergrub sich ein Beil in seiner Kehle. Er röchelte und bekam keine Luft mehr. Wie von Sinnen schlug er um sich und nahm noch zwei Orks mit in den Tod, unter ihnen sein Mörder. Ein Heldentod, wie er ihm gebührte. Er hatte ein viel zu kurzes Leben gehabt, das nicht einmal zwei Jahrhunderte lang angedauert hatte.
Wilder Grimm ergriff Besitz von Arvanor. Er durfte dieser Bande nicht sein gesamtes Volk opfern! Nur weil sie in einen verdammten Hinterhalt geraten und einer Horde Orks vor die Klingen gelaufen waren, durfte er nicht alles aufs Spiel setzen. Noch einmal verstärkte er die magische Kraft auf den Ast. Doch da war der Ork schon wieder heran. Es war abzusehen, dass der Zauber nicht schnell genug sein würde.
Als Arvanor in panischer Angst nach dem Ork hieb und seine Klinge nur durch die Luft schnitt, griff der Zauber der Druiden plötzlich wieder. Mit aller Macht wendete er sich gegen den Elfen, der ihm so zugesetzt hatte, und schleuderte dessen Geist aus dem Körper des Baumriesen. Arvanor war darauf nicht vorbereitet gewesen, er hatte nicht damit gerechnet, seinen Geist so weit in den ursprünglichen Leib ziehen zu müssen. Er war sich nicht einmal sicher, ob das noch etwas geändert hätte, denn diese Urgewalt überstieg jegliche Vorstellungskraft und schien durch nichts aufzuhalten zu sein.
Das Entsetzen in die bleichen Züge geschrieben wandte der Elf sich um – und blickte dem Tod ins Auge. Hinter ihm ein blutrünstiger Ork und vor ihm der Ast, der inzwischen abgesplittert war und direkt auf ihn zu raste. In einer fahrigen Bewegung hob er die Hand und wollte einen Zauber weben, doch da war es schon zu spät.
Der Ork kam gar nicht mehr zum zuschlagen, nur ein zufriedenes Grunzen war von ihm zu vernehmen.
Obwohl Arvanor in einer nutzlosen Bewegung die Schwerter hob, traf ihn der Ast mit voller Wucht und riss ihm den Kopf in den Nacken. Die Wirbel barsten mit vernehmlichem Knacken und das vormals vornehme und schöne Gesicht des Elfen wurde von hölzernen Splittern gespickt und war bald von seinem hellroten Blut geradezu überschwemmt.
Der Baum hatte seine Rache bekommen, selbst nach Jahrtausenden wirkte der Zauber der Druiden noch. Ein Baum hatte das Schicksal aller Elfen in der Welt besiegelt, ein Baum, ein uralter Zauber und die Arroganz eines Einzelnen, der geglaubt hatte, gegen die Macht der Ahnen vorgehen und bestehen zu können.
Mit leeren Augen wurde der Elf zu Boden gerissen, der Ast landete auf ihm. Seine Glieder erschlafften und sein Geist verließ den ihm angestammten Körper. Der riesige Ork sah misstrauisch auf den am Boden liegenden hinab und holte mit beiden Beilen gleichzeitig zum Schlag aus, um ganz sicher gehen zu können. Niemand durfte überleben.

Arvanors Geist trübte sich. Der Elf glaubte zu sehen, wie sich die allgegenwärtige Schwärze um ihn herum langsam zu lichten begann und zu einem dunklen Grau wurde. Er schwebte schwerelos dahin. Das Grau wurde zu einem düsteren Nebel, der in Schlieren um seinen Körper herum im schwarzen Nichts hin und waberte wie etwas lebendiges, das sich ständig veränderte. Er pulsierte.
Tatsächlich besaß der Elf seinen Körper noch, doch nach einem Blick an sich selbst hinab wurde ihm klar, dass er nicht mehr in der Welt der Lebenden weilte. Als ein auf natürliche Weise eigentlich unsterbliches Lebewesen hatte er sich über den Tod noch nicht viel Gedanken gemacht. Jetzt erfuhr er trotzdem, wie dieser aussah.
Er hatte seinen Körper noch, ja, doch das war auch schon alles. Arvanor war splitternackt wie am Tage seiner Geburt. Seine helle Haut zeichnete sich wie das blonde Haar deutlich gegen all die Dunkelheit ab. Kleider trug er nicht mehr am Leib. Doch, welch grausamer Hohn der Götter, das Amulett hing weiterhin um seinen Hals und begleitete ihn in den Tod, auf dass es für die Lebenden nicht mehr zu erreichen sei. Sie waren verloren. Sie alle. Und alle würden in naher Zukunft dasselbe Schicksal erleiden wie er selbst, wenn nicht sogar ein schlimmeres.
Von blindem Hass auf alles um ihn herum erfüllt schlug der Elf um sich. Die Nebelschwaden stoben auseinander, noch bevor sie von seinen schmalen Händen berührt wurden, nur um sich im nächsten Moment wieder an ihn zu schmiegen. Sie begannen, ihn zu umschlingen und zu umschmeicheln wie ein Tier. Ein Raubtier, das sein Opfer einlullte, nur um im nächsten Moment zuschlagen zu können. Wütend trat er um sich, doch keine seiner Bemühungen war von Erfolg gekrönt. Der Elf versuchte zu laufen, doch er hing mitten im Nichts und seine Füße fanden keinen festen Halt.
Grausame Erinnerungen stiegen in ihm auf, Erinnerungen an einen anderen schwarzen Nebel, dem dieser hier in nichts nachzustehen schien. Schwarzer Nebel schien immer für den Tod zu stehen und für Verderben, für Hass und für das Ende. Derjenige in der Welt der Lebenden brachte den Tod, und im Reich des Todes schien er auch zu Hause zu sein.
Der Elf tastete nach dem Amulett und fühlte wieder die eisige Kälte. Es schien sich gegen seinen Griff zu sträuben und insgesamt sehr verängstigt zu sein, als wisse es ganz genau um die Schlechtigkeit, die diesen Ort beherrschte. Ein unbezwingbare Schlechtigkeit. Trotzdem war die Macht des göttlichen Artefakts weiterhin vorhanden. Arvanor wusste nicht, zu was diese magische Kraft im Stande war, doch er konnte sich gut vorstellen, dass er mit seinem Wissen um die Magie und dessen Kraft sein Leben zurückerlangen konnte.
Allerdings würde er es nicht tun. Wo auch immer er sich hier befand, das Amulett musste unangetastet bleiben. Zwar würde er so auf immer und ewig im Tode gefangen sein, doch wenn es so etwas wie Gerechtigkeit gab, dann würde Vyarla selbst dafür sorgen, dass das Artefakt in die Welt zurückkehren würde. Vielleicht fand sich ein glückvollerer Elf als Arvanor, der die Mission letztlich zu einem Ende bringen würde.
Die Hoffnung war klein, doch ganz durfte er sie nicht aufgeben. Oft fand das Schicksal selbst verschlungene Pfade, die einem minderen Wesen wie ihm selbst verborgen blieben.
Der Elf versuchte noch eine Weile, mit Händen und Füßen gegen den schwarzen Nebel anzukämpfen und strampelte und schlug um sich, doch letztlich gab er auch diesen Kampf verloren. Seine Magie konnte er zwar tief in seinem Inneren ertasten, wo sie verborgen schlummerte, doch getraute er sich nicht, sie anzuwenden. Wer wusste, was dann alles geschehen mochte. Auch so war zwar das Wissen um die Anwendung der Zauberei weiterhin in ihm vorhanden, doch fehlte es ihm an magischer Kraft, ohne die er keinen einzigen Zauber würde wirken können.
Arvanor hatte sich selbst aufgegeben. Er wusste nicht zu sagen, ob er von nun an ewiglich hier in dieser grauen Welt des Todes gefangen sein sollte oder ob er irgendwann in eine andere Dimension gelangen würde. Niemand wusste dies, bevor er es nicht selbst erlebt hatte. Und wer einmal durch den Tod gegangen war, kehrte in der Regel nicht zurück und konnte es den Lebenden mitteilen. So würde der Tod auf ewig ein Mysterium bleiben, das niemals gelöst werden konnte. Ihm konnte es herzlich egal sein, solange es überhaupt noch Leben gab.
Der Elf sah sich in alle Richtungen um. Es war mühsam, den Kopf zu drehen, doch er brachte die notwendige Kraft dazu auf. Was sollte er sich noch schonen wollen, jetzt, da er sowieso schon tot zu sein schien? Umgebracht letztlich von seiner eigenen Arroganz, in der Meinung, die jahrtausendealten Zauber einfach bezwingen zu können. Warum sie eben so lange Bestand gehabt hatten, darüber hatte er sich allerdings noch keine Gedanken gemacht.
Überall herrschte dieselbe trostlose Monotonie, die jedoch zugleich etwas ungemein Gefährliches an sich hatte. Der Nebel wallte, pulsierte, zog sich zusammen und driftete auseinander. Er bildete Figuren, die Erinnerungen in dem Elfen wach riefen und ihn an das Leben erinnerten, das er gehabt hatte. Sie sahen aus wie Elfen und Menschen. Manchmal glichen sie auch den Orks, die er zuletzt gesehen hatte. Dann hielten sie meist irgendwelche Waffen in Händen und stürmten mit zu stummen Schreien aufgerissenen Mäulern auf ihn zu, um ihn ein weiteres Mal zu töten. Dass dies keinen Sinn machte, schien ihnen jedoch immer erst im letzten Moment einzufallen, denn kurz bevor sie ihn erreichten, lösten sie sich immer auf und gliederten sich wieder in die Reihen dieser unvorstellbar großen Armee ein, die das ganze Land zu bedecken schien.
Wieder sah der Elf eine Gestalt in der Dunkelheit, die zwar humanoid, jedoch von beeindruckender Größe war und – wie es inzwischen schon beinahe zur Gewohnheit geworden war – direkt auf ihn zukam. Welchen grausamen Streich spielte ihm seine Erinnerung diesmal? Sah er jetzt einen Riesen vor sich, der ihn unter seinen Füßen zertrampeln und zu Brei verarbeiten wollte?
Wohl kaum, im Leben hatte er noch nie einen solchen gesehen, wo sollte dann auch im Tode plötzlich einer herkommen? Er wandte sich ab und schloss, von inneren Schmerzen gepeinigt, die Augen. Warum? Warum tat man ihm dies alles an? Waren etwa das die Qualen der Hölle? Gepeinigt zu sein von seinen eigenen Gedanken und Erinnerungen, anstatt in einem ewigen Feuer zu brennen, wie die Legenden und Mythen es so gern erzählten?

Er wollte sich das alles nicht mehr antun. Vielleicht hatte er doch noch ein unverschämtes Glück im Unglück und es war auch in diesem Reich der Toten noch möglich, sich in einen Zustand des Schlafes oder der Mediation zu versetzen. Doch noch während er versuchte, seinen Geist ganz in sein Innerstes zurückzuziehen, öffnete er unwillkürlich die Augen, als würde ihn eine fremde Macht dazu zwingen, der er sich nicht widersetzen konnte. Als er sich dagegen sträubte, wurden ihm die Lider regelrecht aufgerissen.
Der Schreck fuhr ihm durch alle Glieder wie ein Blitz, nur dass er kalt war wie Eis. Noch kälter, wenn man es recht betrachtete.
Da war diese hünenhafte Gestalt wieder, schmal und hoch aufgeschossen. Sie hatte zwei Arme und zwei Beine, beide filigran und schlank, doch keine genauen Konturen waren erkennbar. Kein Gesicht, nichts. Nur dieser tiefschwarze Umriss, der noch schwärzer war als die Umgebung und die Nebelschwaden um ihn herum. Den Elfen fröstelte und er versuchte, sich ein paar Schritte weit zurückzuziehen, doch wieder strampelte er nur umsonst in der Luft umher.
Seine Hand schoss wie von selbst zu dem grün leuchtenden Amulett an seiner Brust und schoss sich fest darum. Der Stein wirkte wärmer als sonst und pulsierte um ein Vielfaches schneller, als wäre er wirklich aufgeregt. Arvanor zitterte ungewollt. Dieses Wesen war genauso unecht wie echt, doch es bestand, auch wenn es seltsam zweidimensional wirkte, wie ein Loch in der Wirklichkeit anstatt ein Körper in derselben, definitiv nicht aus Nebelschwaden wie all die anderen Kreaturen, mit denen es der Elf bisher zu tun bekommen hatte. Dieses hier war anders, greifbarer und ungleich gefährlicher.
Das Amulett schien sich zwischen seinen Fingern zu winden. Also war er nicht der einzige, der sich vor dem Ding, das ihn um etwa drei Köpfe überragte, fürchtete. Wenn sich das so leicht sagen ließ, denn es war schwer, die Größe von etwas zu bestimmen, das nicht wirklich greifbar war. Der Elf versuchte, einen Zauber zu wirken, um das Wesen zu bannen, doch die letzten Energiereserven in seinem Inneren, die selbst den eigenen Tod überdauert hatten, gehorchten ihm nicht mehr.
Seine feinen Nackenhärchen stellten sich auf. Unwillkürlich hob der Elf den Kopf und blickte geradeaus nach vorne. Da war die Kreatur, sie schwebte auf ihn zu, ohne ein einziges Glied zu bewegen. Vollkommen steif. Auch wenn er nicht nach der Aura tasten konnte, so strahlte sie etwas ungemein eisiges aus, das seine Gedanken zu lähmen schien. Ein Aufschrei kam über seine Lippen, doch er verstummte nach Sekundenbruchteilen. Verschluckt vom Nebel, verschwunden in den Weiten des Totenreiches.
Nur wenige Handbreit vor ihm entfernt blieb das Wesen in der Luft stehen und rührte sich noch immer nicht. Der Elf machte sich zu einem Angriff bereit. Das Amulett lag, bis die Götter selbst endlich eingriffen, noch immer in seiner Verantwortung, und er würde alles geben, es zu verteidigen. Auch sein Leben, ein weiteres Mal. Eine schlimmere Welt als diese konnte es so oder so nicht geben, was machte es da schon aus, ob er hier überdauerte oder woanders hinkam?
Jede Faser seines nackten Körpers spannte sich an, während die Hände verkrampft um das smaragdene Amulett lagen. Nein, er würde es ganz bestimmt nicht hergeben, und kampflos schon gar nicht.
Doch es tat sich nicht.
Arvanor hatte mit einem Angriff gerechnet, mit einer magischen Attacke vielleicht oder einer auf geistiger Ebene, doch all dies blieb aus. Nichts geschah, überhaupt nichts. Der Elf entspannte sich schon wieder, auch wenn das Misstrauen und die Furcht noch in ihm verweilten.
Dann geschah es.

Das unheimliche Wesen schlug die Augen auf, eine plötzliche, vollkommen unerwartete Bewegung, der noch immer keine andere folgte. Doch alleine das reichte schon aus, um Angst und Schrecken zu erregen. Mit dem bloßen Anblick.
Die Augen waren nicht normal, sondern vollkommen unnatürlich. Auch wenn Arvanor nicht sagen konnte, wie sich »unnatürlich« in dieser Ebene des Seins definierte. Vielleicht waren solche Augen hier an der Tagesordnung, auch wenn man nicht zwischen Tag und Nacht unterschied. Es waren zwei in die breite gezogene schmale Ovale, die jedenfalls an der Stelle lagen, wo andere Wesen ihre Augen trugen.
Eine Pupille gab es nicht. Es waren lediglich zwei violett leuchtende Ovale, die zwar strahlten wie zwei unnatürliche kleine Sonnen, die jedoch nur im Auge des Betrachters schmerzten und ansonsten keinerlei Helligkeit verbreiteten. Nicht einmal einen schwachen Schein. Nur dieses grelle Leuchten, das sofort Kopfschmerzen und Übelkeit hervorrief.
Arvanor krümmte sich vor Schmerzen zusammen und wollte die Augen wieder schließen oder wenigstens den Kopf zur Seite drehen, doch die violetten Sonnen hielten seinen Blick gefangen. Völlig gelähmt stand er da und starrte in die Augen des fremden Wesens, das ihn zu mustern schien. Schwer zu sagen, schließlich besaß es keine Pupillen, an denen man die Blickrichtung auch nur hätte abschätzen können.
Auf einmal nahm das Leuchten noch an Intensität zu und ging beinahe in grelles Weiß über, mit nur noch einem winzigen Stich ins Violette hinein. Vor Schmerzen krümmte sich der Elf noch einmal zusammen und gab ein klägliches Winseln von sich, die Hände glitten kraftlos hinab und gaben den Blick auf das leuchtende Amulett frei. So ungeschützt hing es da, so schutzbedürftig. Zerbrechlich und zugleich unglaublich mächtig.
Ausgeliefert. Genau wie er auch.
Arvanor wollte es wieder in die Hände schließen und ihm dadurch den einzigen Schutz gewähren, den zu geben er überhaupt noch in der Lage war, doch es ging nicht. Er konnte sich nicht mehr bewegen. So sehr seine Augen auch brannten und zu tränen begannen, gelang es ihm nicht einmal zu blinzeln.
So machtlos hatte er sich noch nie gefühlt, so schutzbedürftig und gleichzeitig so schutzlos. Sein Herz galoppierte rasend und jeder Schlag sandte neue Schmerzen durch seinen Leib, sowohl seelische als auch körperliche.
Dann erklang die Stimme. Nicht aus dem Mund des Wesens, von dem er nicht einmal wusste, ob es überhaupt einen solchen besaß, sondern direkt in seinem Kopf. Frostig und eiskalt, doch sie hatte eine hypnotische Wirkung und der Elf konnte sich trotz der gegenüber ihr empfundenen Abscheu nicht von ihr losreißen.
»Niedere Kreatur«, wisperte sie und schien mal von der einen Seite zu kommen und mal von der anderen, »du trägst etwas bei dir, das dir nicht zustehen sollte. Das Schicksal deines Volkes und die Macht einer Göttin. Du, ein Sterblicher. Wie ist das möglich?«
»Ich bin kein Sterblicher!«, dachte Arvanor und legte all seine Wut in diese Gedanken. Den Hass auf dieses Wesen, den Hass auf den schwarzen Nebel, auf den Tod und auf so vieles mehr, das er gar nicht alles in Worte fassen konnte. »Ich trage dieses Amulett zu recht, mir ist die Kraft gegeben, mein Volk zu retten. Was auch immer du bist, Dämon, verschwinde sofort!«
Es zischte wütend in seinen Gedanken, das darauffolgende hysterische Kreischen ließ ihn wimmernd einknicken. Die Kreatur bewegte sich noch immer keine Handbreit von der Stelle, als wäre sie dort festgewachsen, wo sie im Moment ihre verderbliche Präsenz hatte.
»Du wagst es, mich anzuzweifeln, niedere Kreatur?«, begehrte sie auf, »Weißt du, was du dir erlaubst? Ein Gedanke von mir, und du bist ein weiteres Mal des Todes. Doch ich habe noch viel schlimmere Qualen für dich bereit, also nimm dich in Acht und hüte deine Gedanken!«
»Nein«, antwortete der Elf aus einer spontanen Eingebung heraus.
»Was heißt nein?«, wisperte es wie von tausend Seelen in seinem Schädel, der sich anfühlte, als würde er im nächsten Moment zerbersten. »Was stehst du dir zu, Unwürdiger?«
»Nein«, antwortete der Elf ohne seine Zunge zu bewegen. Diesmal war seine Stimme fester, »Du kannst mir Qualen bereiten, gewiss, doch du kannst mich nicht vernichten. Es ist dir nicht gegeben.«
»Was macht dich da so sicher?«

»Vyarla«, gab er zurück, diesmal schwang ein aggressiver Unterton in seiner Stimme mit, »Du hast selbst gesagt, dass ich ihre Macht in mir trage! Du kannst sie nicht bezwingen, und mich ebenfalls nicht! Was bist du? Antworte mir, ich gebiete es dir mit der Macht der Göttin!«
Das Kreischen in seinem Kopf war unerträglich und bohrte sich in seinen Geist wie tausend Nadeln aus kältestem Eis, doch er versuchte gar nicht erst, sich dir Ohren zuzuhalten. Zu welchem Zweck? Mit grimmiger Miene und mahlenden Kiefern trotzte er der verstörenden Macht, bis der Ton schließlich abebbte.
»Du kannst mir nicht gebieten!«, kreischte es wieder, »Du hast nicht die Macht dazu!«
»Doch, Dämon. Ich habe die Macht, doch ich muss es gar nicht mehr von dir hören.« Arvanor konnte nicht sagen woher, doch er wusste, dass es sich um einen Dämon handelte. Um einen ungemein mächtigen noch dazu, doch das spielte keine Rolle. Der Macht einer Göttin konnte sich niemand entziehen, so mächtig er auch sein mochte. Und dass er, Arvanor, diese Macht in sich trug, dessen war er sich auch sicher. Und inzwischen glaubte er auch, sein Volk aus eigener Kraft retten zu können. Ohne den Fürsten der Drachen, dessen Hilfe und Unterstützung sowieso alles andere als gewiss waren.
Nur eine Sache fehlte ihm noch dazu. Leben. Doch er wusste, wie er es zurückerlangen konnte, zur Not mit Gewalt. Er würde seinen Willen bekommen, der zugleich auch der Wille Vyarlas war. Der Elf schüttelte die Macht des Dämonen, der nun scheinbar doch in Aufruhr geraten war, Stück für Stück ab und straffte sich mit jedem Augenblick mehr. Das Blatt hatte sich gewendet.
»Ich verlange etwas von dir, Dämon«, sagte er mit fester Stimme, so hart wie Stahl. Arvanor spürte, wie der Geist des Dämonen vor ihm zurückwich, doch er hielt ihn gefangen, nutzte die Macht des Amuletts, ohne sie aufzubrauchen oder auch nur wirklich anzutasten. Sie war unermesslich groß. Die Legenden stimmten also doch. Es war nicht nur irgendein Artefakt, das die Göttin da geschaffen hatte, sondern eines, in dem sie selbst aufgegangen war, in das sie ihre volle Macht einfließen lassen hatte. Wenn er den Mythen nur früher Glauben geschenkt hätte, wäre er gar nicht zum ersten mal gestorben, doch dann wäre auch diese Erkenntnis selbst ausgeblieben. Es war nicht das erste Mal an diesem Tag, dass die Vergangenheit ihn eines Besseren belehrte.
»Und du wirst es mir gewähren, ohne dich zu widersetzen«, fuhr der Elf fort und taxierte den Dämon mit stechendem Blick. Langsam schien der nachtschwarze Körper doch in Aufruhr zu geraten. Wogen breiteten sich in der tintenartigen Konsistenz seines Leibs aus, als zerflösse dieser langsam. Arvanor betrachtete es mit Zufriedenheit.
»Warum sollte ich das tun?«, zischte das Wesen aufgebracht und giftig zugleich.
»Wenn nicht ich, so wird dich doch die Macht Vyarlas dazu zwingen!«, erklärte der Elf und reckte selbstbewusst die Brust vor. »Ich weiß, dass du nicht gegen sie ankommst. Du magst ein Dämon sein, doch Vyarla ist eine Göttin, über deren Macht noch dazu ich gebiete.«
Wieder erklang das schrille Kichern in seinem Kopf, doch der Elf zeigte sich vollkommen unbeeindruckt davon und zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Ich bin ebenfalls mächtiger, als du vielleicht glaubst. Nun, ich reiche nicht an diese Macht heran, die deinem hübschen Amulett innewohnt, doch es wird einen Großteil dieser Stärke bedürfen, mich zu vernichten. Also wäre es nur zu unser beider Nachteil.«

»Das nehme ich gerne in Kauf. Auch so werde ich mein Volk retten können. Du ahnst nicht einmal, wie gewaltig diese Macht doch ist!«, behauptete der Elf stolz und ließ sich von dem Wesen nicht einlullen. »Außerdem gibt es keine andere Möglichkeit als diese.« Er nahm das Artefakt fester zwischen die Hände und hob es langsam, während er den grünen Schein betrachtete. Die Leuchtkraft war stark angewachsen und das Pulsieren wieder ruhig und regelmäßig geworden.
Auch das Amulett war sich seiner Macht wohl bewusst und fühlte die Überlegenheit. Eine Stärke, der nichts und niemand etwas entgegensetzen konnte. Arvanor rief sich viele der mächtigsten Zauber ins Gedächtnis, die er gelernt hatte, um denjenigen zu finden, der sich am besten eignete. Er wollte dem Dämon nicht die geringste Chance lassen und ihn mit möglichst wenig Aufwand für immer vernichten. Doch was war, wenn das Wesen sogar recht hatte mit seinen Worten? Wenn er wirklich die ganze Macht des Amuletts zur Rettung der Elfen benötigte, eben weil es gerade zu diesem Zwecke geschaffen worden war?
Leise Zweifel nagten an ihm. Arvanor rang innerlich mit sich selbst, doch er konnte eine unbedachte Entscheidung nicht riskieren, zu viel stand dabei auf dem Spiel. Alles lag in seinen Händen, das spürte er in diesem Augenblick, und er würde es nicht leichtfertig wegwerfen.
»Doch, es gibt eine andere Möglichkeit«, beharrte das unheimliche Wesen mit den violett strahlenden Augen, »Eine, die uns allen zum Vorteil nur gereichen würde.« Die Stimme in seinem Kopf klang, falls sich das überhaupt sagen ließ, ein wenig angespannt und vielleicht sogar unsicher. Empfand ein solches Wesen Unsicherheit? Ja, jeder fürchtete sich, wenn er dem Tod ins Auge blickte, selbst ein Dämon.
Arvanor konnte sich ein überlegenes Grinsen nicht verkneifen und seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Er hatte ihn in der Hand. »Wie sähe diese Möglichkeit aus?«, erkundigte er sich dann und gab sich Mühe, nicht allzu interessiert zu wirken. Sollte der Dämon nur nicht erfahren, wie sehr er sich in Wahrheit den Kopf über all diese Sachen zerbrach.
»Wie ich sagte, sie sähe gut für uns beide aus. Du müsstest die Macht des Amuletts nicht nutzen. Ich würde dich ohne Widersprüche zurück ins Leben entlassen. Du lässt mich am Leben und versuchst nicht, mir zu schaden.« Nach außen hin gab sich auch dieses fremdartige Wesen gleichgültig, doch Arvanor glaubte, hinter der Fassade nackte Furcht zu erkennen. Doch Furcht wovor? Außerdem klang das Angebot einfach zu verlockend.
»Es hört sich nicht schlecht an«, befand er daher, »doch bin ich sicher, dass irgendwo ein Haken daran ist, eine lauernde Falle, die nur darauf wartet, zuschnappen und ihr Opfer verschlingen zu können. Sag mir genauer, um was es geht, und wisse, dass ich diesem Angebot nicht ganz abgeneigt bin.«
»Das merke ich«, erklang es, dann herrschte für einige Augenblicke merkwürdige Stille in Arvanors Kopf und er fragte sich schon, ob sich der Dämon auf einen Angriff vorbereitete. Das wäre jedoch ein sinnloses Unterfangen gewesen. Doch da begann er wieder zu sprechen: »Tatsächlich gibt es da eine kleine Sache, die ich von dir als Gegenleistung erwarte. Ich verlange ein Pfand von dir, das mit garantiert, dass du deinen Teil der Abmachung einhältst und mich unbehelligt lässt. Sonst kann ich dir kein Vertrauen schenken.«
Misstrauisch kniff der Elf die Augen zusammen und taxierte den Dämon. Die undurchdringliche Schwärze des Leibes waberte aufgeregt, doch sonst war noch immer keine Bewegung zu erkennen. Vollkommen regungslos stand das Wesen da, erstarrt zu einer Statue, wie es schien.
»Du bekommst das Amulett nicht«, sagte Arvanor, »so leicht bin ich nicht zu überlisten. Du solltest dies insgesamt nicht versuchen. Ich bin dir überlegen und finde zur Not auch selbst ins Leben zurück, also verärgere mich nicht und versuche nicht, mich zu hintergehen.«
»Ich verlange nicht das Amulett. Auch nicht dein neu erlangtes Leben, falls du das wissen wolltest. Es ist etwas anderes, das nicht bedeutend ist im Vergleich dazu. Ich will nur die erwähnte Garantie.«
Arvanor lachte auf. »Das ist alles? Die Garantie? Du kannst dem Wort eines Elfen vertrauen.« Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er erleichtert fort: »Nimm dir deine Garantie und schick mich sofort zurück.«
Ein nie gekanntes Hochgefühl erfüllte sein Herz. Er bekam das Leben ein weiteres Mal geschenkt und zog daraus nichts als Vorteile. Wer hätte gedacht, dass ein Dämon, ein mächtiges Wesen aus einer anderen und so fremdartigen Sphäre so leicht zu überlisten war?

»Du brauchst dich nicht so zu eilen. In dieser Dimension vergeht die Zeit ungleich langsamer und spielt eigentlich keine Rolle. Während in dieser Welt Jahrtausende verstreichen, vergeht in deiner ursprünglichen nicht einmal ein Wimpernschlag. Ich bin es nämlich, der hier den Fluss der Zeit kontrolliert.«
»Trotzdem. Tu, was ich dir sage. Auch wenn du die Wahrheit sprichst, kann ich nicht länger warten. Ich will sofort zurück, wenigstens einen meiner Begleiter kann ich noch vor dem drohenden Tode bewahren.«
»So will ich deinem Wunsch genügen. Ich habe deine Erlaubnis, meine Garantie zu nehmen?«
»Die hast du allemal«, sagte der Elf in überschwänglicher Freude und ohne nachzudenken.
»So will ich es tun.«
Während das Wesen aus Arvanors Gedanken verschwand, schloss dieser die Hände noch enger um die Kraft der Göttin, die er bei sich trug. Er bereitete einen Zauber vor, um die restlichen Orks auf einen Schlag zu vernichten. Ohne die Zuhilfenahme irgendwelcher mächtiger geschöpfe der Natur, die sich ihm am Ende doch nur widersetzten. Der Bruchteil der Macht Vyarlas war vernachlässigbar gering und würde nicht einmal bei genauester Betrachtung ins Gewicht fallen.
Plötzlich öffnete der Dämon seine Augen noch weiter und die ganze Welt erstrahlte in einem sonnenhellen Violett, wie der Elf es noch nie zuvor gesehen hatte. Doch er widerstand dem Drang, seine empfindlichen Augen mit dem Handrücken abzuschirmen. Sowieso kam das Strahlen aus allen Richtungen zugleich.
Dann spürte er, wie sein Körper von einem mächtigen Sog erfasst und aus dem Gefüge der Welt gerissen wurde.
Er sah dem Kommenden optimistisch entgegen.

Brutal wurde der Elf zurück in seinen ursprünglichen Leib gerissen, doch er ignorierte den Schmerz und schlug sofort die Augen auf.
Der Dämon hatte ihn nicht belogen, die Zeit schien tatsächlich stillgestanden zu sein. Eben holte der große Ork über ihm zum Schlag aus, mit beiden Beilen zugleich. Doch das würde ihm nicht viel nützen, jetzt, wo Arvanor alle Orks hier auf einmal vernichten konnte. Arvanor entfesselte den Zauber, den er sich schon in der anderen Dimension zurechtgelegt hatte.
Alle Orks vergingen in einem grün lodernden Feuer, dem Feuer der Göttin Vyarla, und sie wanden sich in ihren Qualen und konnten doch nichts dagegen tun.
Zumindest sollte es so sein, denn dies war die Wirkung des Zaubers, den die Macht der Göttin mühelos entfalten sollte. Doch nichts geschah, es war nicht einmal ein grünliches Flimmern von Energie in der Luft zu sehen.
Die Beile fielen herab und gruben sich in den Körper des Elfen, das eine in die Brust, das andere in den Hals. Ein weiteres Mal wurden seine Augen stumpf, doch noch bevor er starb, wurde Arvanor in einem einzigen Augenblick die schreckliche Wahrheit in ihrer ganzen Tragweite bewusst.
Er schwebte hinüber ins Reich des Todes, das er noch nie betreten hatte. Sein Geist hatte sich von dem Körper gelöst, auch das Amulett konnte er auf diese Weise nicht mit sich nehmen. Überhaupt fühlte er sich so machtlos, als sei ein Teil seines eigenen Leibes von ihm genommen worden, das ihn sein Leben lang begleitet und zu ihm gehört hatte.
Und so war es auch.
Wie er in einem kurzen Augenblick gesehen hatte, kämpfte der zweite seiner Begleiter noch immer gegen die heranstürmenden Orks. Ein vergeblicher Kampf. Vergeblich deswegen, weil sie verloren waren, sie alle. Wegen ihm.
Arvanor hatte das Schicksal der Elfen leichtfertig aus der Hand gegeben. Mit einem einzigen unbedachten Versprechen, das einzig und allein seiner Arroganz zuzuschreiben war. Doch jetzt war es zu spät. Vorbei, und es blieb keine Möglichkeit, noch etwas zu ändern.
Arvanors Geist kam schnell im Reich des Todes an. Dort gab es keinen schwarzen Nebel und keine ewig währende Dunkelheit. Nur ein grün loderndes Feuer, das sich von Horizont bis Horizont erstreckte und das seinem nicht stofflichen Körper doch nichts anhaben konnte.
Er hatte versagt und sich täuschen lassen wie ein naives Kind, doch für ihn spielte es keine Rolle mehr.

Traue niemals einem Dämon, sondern töte ihn.
So hieß es seit jeher bei den Elfen, und das nicht nur zum Spaß. Viele hielten sich daran, und der Rest musste es auf die andere Art lernen. Was jedoch in den meisten Fällen auch nichts mehr half. Arvanor durfte sich zu letzteren zählen. Unstofflich in der Unterwelt schwebend, hatte er mehr als genug Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen und über sein Versagen nachzudenken.
Er hatte alles in Händen gehalten und alles verloren, es leichtfertig und ohne Nachzudenken weggeben. Obwohl er nur noch einen kurzen Schritt hätte tun müssen und nah daran gewesen war, ihn zu tun, hatte versagt. Er hatte sich täuschen lassen im eindeutigen Angesicht der Wahrheit. Von einem Wesen, dessen Absichten er von Anfang an gekannt hatte. Nur hatte er etwas anderes in ihm sehen wollen und es somit auch getan. Jetzt hatte er die Konsequenzen zu tragen.
Der schwarze Nebel war das erste Indiz gewesen. Der stoffliche Körper. Ein Amulett, das er mit in eine andere Welt genommen hatte. Das plötzliche Nachgeben des Dämons und seine augenscheinliche Schwäche.
Das Wesen hatte sich auf seine Klugheit verlassen und nicht auf tumbe Stärke wie Arvanor. Es gebührte sich nicht für einen Elfen, doch er hatte es getan und damit alles weggegeben.
Sein Ziel, der Dämon, hatte direkt vor ihm gestanden.
Er hätte keinen Drachenfürsten gebraucht, keine lange und gefahrvolle Reise. Er hätte nur die Wurzel allen Übels und den Herrn des schwarzen Nebels auslöschen müssen, um alle zu retten.
Den Dämon.
Er hatte sich von ihm betrügen lassen. Und somit alle in den Tod und ins Verderben entlassen.
Das Wesen mit den violetten Augen triumphierte sicherlich gerade über die Dummheit des Elfen und über seinen Sieg gegen das gesamte Volk. Ein Sieg, dem nun nichts mehr im Wege stand, niemand, der ihn verhindern konnte oder auch nur versuchte, dies zu tun.
Traue niemals einem Dämon, sonst tötet er dich.

 
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Hallo Arathorn,

Tut mir leid, aber das ist so überhaupt nicht meins. Ich hab gesehen, dass die Geschichte 0 Kommentare hat, was mir immer leid tut, und deshalb angefangen zu lesen, aber nach kurzer Zeit konnte ich den Text nur noch überfliegen. Da ich nun schon mal hier bin, will ich dir wenigstens einen Kommentar schreiben, auch wenn ich für diese Geschichte bestimmt nicht die Zielgruppe bin.

Tolkien hat durchaus einen Platz in meinem Herzen, weil ich den kleinen Hobbit und den Herrn der Ringe gelesen habe, als ich noch klein war und noch nicht wusste, was er im Fantasy-Genre für Unheil angerichtet hat. :)

Ich habe auch nichts dagegen, wenn jemand sagt: Ich will die zehntausendste Geschichte über Elfen schreiben, die gegen Orks kämpfen. Aber wenn ich in dem Text dann überhaupt nichts Originelles entdecken kann, dann frage ich mich doch: Warum will der das? Gut gegen Böse wird immer ein Riesenthema sein, nicht nur in Fantasy-Geschichten. Modernere Geschichten tendieren dazu, mit Grautönen zu arbeiten, und Plots, wo jeder nachvollziehbare Motivationen hat und nicht bloß "ich bin böse und mach alle platt, weil es in meiner Natur liegt". Aber das Schwarz-Weiß hat manchmal etwas sehr Angenehmes, weil es beruhigend und einfach ist, und das wird immer wieder Leser finden, da bin ich sicher.
Aber warum so viele Autoren der Meinung sind, das Gute und das Böse müssten immer und immer wieder dieselben Formen annehmen, die sich ein seit über vierzig Jahren toter britischer Literaturwissenschaftler ausgedacht hat, das will mir nicht einleuchten.

Es ist mir richtig unsympathisch, wie sehr der Text immer wieder mit "Elfen gut, Orks böse" auf mich eindrischt. Ich hab mich immer mehr gefragt, ob Arvanor nicht vielleicht der Schurke sein soll, weil er so ein Rassist ist und so furchtbar arrogant. Aber gut, das ist deine Geschichte. Reden wir lieber darüber, was mir am Stil aufgefallen ist:

Adjektive/Adverbien: Weniger ist mehr. Ich gestehe Fantasytexten in dem Punkt schon ein bisschen mehr Spielraum zu - wenn es darum geht, den Leser in eine andere Welt zu führen, sind manchmal mehr Beschreibungen nötig als üblich. Aber schau dir das mal an:

Es waren breitschultrige Kreaturen mit olivgrüner Haut und von beeindruckender Größe. Mindestens zwei Dutzend mussten es sein, und sie alle trugen Waffen in den klobig wirkenden Händen: Streitäxte, Kriegshämmer, schartige Breitschwerter, Keulen und Streitkolben. Die beeindruckenden Körper steckten in alten Rüstungen, die die Horde sich wahrscheinlich irgendwo zusammengeraubt hatte.
Das ist überfrachtet. Das "beeindruckend" wiederholt sich, und die anderen Adjektiven reiten auch fast alle auf der körperlichen Überlegenheit der Orks herum. Mein Rat: werde präziser in deinen Beschreibungen, dann musst du nicht so viele Worte verlieren. Anstelle der vielen Adjektive würde ein einzelner gut gewählter Vergleich vielleicht schon reichen, um dem Leser ein Bild von den Angreifern zu zeichnen.

Geschwätzigkeit: Das Wort benutze ich immer, wenn eine Geschichte nicht zum Punkt kommt. Wenn man deinen Text liest, fällt auf, dass sich viele Informationen wiederholen: Arvanors zwei Begleiter, die große Zahl der Orks, die ungeheuer wichtige Mission, die abweisende Wirkung der fremden Bäume ... und dabei bleiben die wichtigen Dinge auf der Strecke, zum Beispiel: Warum soll ich mit Arvanor mitfühlen?
Der Text beschreibt unheimlich viel, aber charakterisiert so gut wie gar nicht, und das wenige, was an Charakterisierung passiert, ist nicht sympathisch. Von der Hauptfigur ist mir vor allem das gigantische Ego im Gedächtnis geblieben, und seine beiden Begleiter haben nicht einmal Namen, geschweige denn irgendwelche besonderen Eigenschaften.
Außerdem nimmt meiner Ansicht nach der Kampf gegen die Orks viel zu viel Raum ein. Die Begegnung mit dem Dämon ist das wichtige in der Geschichte. Das Dahinmetzeln von Dutzenden grünhäutiger Statisten sollte nicht so unendlich ausgewalzt werden.

Dialoge: sagte er/sagte sie ist dein bester Freund. Kreischte, behauptete, beharrte, etc. sehen vielleicht aus, als wären sie die coolen Typen, aber das ist alles nur Fassade. Sagte ist das einzige, das zuverlässig den Job erledigt und nicht blöde herumstolziert, um die ganze Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Wenn man sich mit dem Schreiben beschäftigt, ist oft eines der ersten Dinge, die man lernt, dass man Wortwiederholungen vermeiden soll. Das ist eine gute Regel, aber eine mit Ausnahmen. Und die allergrößte Ausnahme ist "sagte". Wenn du Dialoge schreibst, dann interessiert den Leser vor allem, was gesagt wird. Wie es gesagt wird, kann wichtig sein. Aber in den meisten Fällen lenkst du den Leser nur ab, wenn du krampfhaft nach Alternativen zu "sagte" suchst.

Wenn du die Geschichte überarbeiten willst, wäre es ganz wichtig, zu kürzen. Nicht so viel wiederholen, und dem Leser auch zutrauen, dass er sich ein paar Dinge selbst denken kann, ohne dass die explizit gesagt werden.

Der zweite wichtige Punkt wäre, den Leser emotional einzufangen. Verlass dich bitte nicht darauf, dass ich "Elfen" lese und automatisch davon ausgehe, dass ich auf deren Seite sein muss. Ich habe nämlich "Lords und Ladies" von Terry Pratchett gelesen. :)
Mach im Text deutlich, warum es wichtig ist, dass die Elfen überleben und Arvanor mit seiner Mission Erfolg hat. Sorg dafür, dass es mir was ausmacht, wenn er scheitert.
Das ist schwer, ich weiß. Es ist bequemer, wenn man sich darauf ausruhen kann, dass es in Stein gemeißelt ist, wer die Guten sind. Aber wenn etwas bequem ist, sollten immer der innere Alarm losgehen. Schreiben ist harte Arbeit! :)

Grüße von Perdita

 

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