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Quiero
Das Schönste sind die schwarzen Augen. Mir erscheint jetzt diese kupferbraune Hautfarbe als die natürlichste und schönste; unsere ausgebleichte Farbe ist mir fast unangenehm. Hier bei den Singhalesen habe ich ganz den Ekel verloren, den ich bisher mehr oder minder doch gegenüber allen Nichtweißen empfunden habe. Vielmehr fühlte ich mich auch physisch zu ihnen hingezogen.
Leopold von Wiese, Briefe aus Asien, 1912.
I.
Ich legte die Mangos in die Auslagen meines Marktstandes und drehte jede einzeln so, daß ihre reife, rote Seite nach vorn zeigte. Dazu tat ich weitere Früchte, Wurzeln, Nüsse, Gewürze. Die Morgenröte begann, die Häuser gegenüber in ihr warmes Licht zu tauchen; bald werden die Menschen auf die Straße quellen und einkaufen. Vijaya, mein Mann, breitete an seinem Stand nebenan die Waren aus: Kämme, Scheren, Feilen, Messer und Rasierklingen.
Ein warmes Gefühl ließ mich aufblicken: Sarasvati schritt die Straße entlang und ging in das gegenüberliegende Haus, wo sie jeden Morgen für einen amerikanischen Gast den Kübel leerte. Dem Zauber der jungen Tamilin konnte sich mein Mann nicht entziehen; ich ertappte ihn, als er Sarasvati errötend mit seinen Blicken verfolgte. Wir sahen uns an. Das warme, glückliche Lächeln Vijayas sagte mir, daß ich mir seiner Liebe sicher sein konnte. Ein reifer Mann weiß zwischen seiner Frau und Mutter seiner Kinder und einem fremden Mädchen zu unterscheiden. Etwas anderes beunruhigte mich: Sarasvatis Gang war heute zögernd gewesen. Ich sandte ihr einen guten Wunsch nach und packte die letzte Kiste Obst aus.
Als Sarasvati mit dem Kübel zurückkam, durchfuhr mich ein Blitz: würdig und stark ging sie ihren Weg, aber ihre Augen! Ihre leuchtenden Sterne waren erloschen. Ich fühlte, wie Vijaya eine Erregung befiel und ging langsam zu ihm. Als ich hinter ihm stand, zitterte Vijaya und seine rechte Hand schloß sich um ein Messer auf dem Tisch. Ich umfing ihn mit beiden Armen und flüsterte ihm ins Ohr: „Mein geliebter Vijaya, etwas Schreckliches ist geschehen und wir können es nicht heilen. Laß sich die Götter ihrer annehmen und zerstöre nicht unser aller Leben. Alles wird gut.“ Langsam ließ Vijaya das Messer los und schmiegte sich an mich. So standen wir einen Augenblick; dann ging ich zurück.
II.
Ich hatte gerade den Stand fertig aufgebaut und packte nun die Scheren aus, als Sarasvati die Straße herunterkam. Gleich wird sie wieder im Haus des Amerikaners verschwinden, um seinen Kübel zu entsorgen! Es ist nicht recht, daß eine so schöne Frau für einen Fremden arbeitet. Zorn regte sich in mir, wenn ich an den unförmigen Mann mit seinen gierigen Blicken dachte. Gestern hatte er bei mir eine Schere gekauft und mich angesehen, als wäre ich sein Diener – als wären wir alle hier seine Diener!
Sarasvatis Sari raschelte leise über dem Pflaster. Ich konnte meine Augen nicht beherrschen; sie folgten ihr, wie sie mit ihrem schwebenden Gang, ihrem blauschwarz glänzendem Haar und ihrem reinen Gesicht näherschritt. Das glitzernde Gold der Ringe an ihren Fesseln und das leuchtende Dunkelrot ihrer Rubine verliehen ihr einen überirdischen Zauber. Sinhasivali warf mir einen Blick zu; recht hat sie, meine Liebe, Gefäß meiner Kinder, meine Seele! Als ich meinen Blick von ihr löste, war Sarasvati verschwunden. Ich ordnete unaufmerksam meine Waren, um mich abzulenken. Etwas stimmte heute nicht. Sie hätte schon wieder heraus sein müssen. Ungeduld überkam mich – ich schämte mich wegen dieser Gefühle für eine fremde Frau, dazu einer Hindi.
Ich blickte zum Haus. Plötzlich stand sie in der Tür und ich erstarrte. Ich sah sie nicht genau, weil meine Augen tränten, aber ich wußte. Ein Feuer drang in mir empor, wie in einem ausbrechenden Vulkan. Sarasvati schloß die Tür und ging vorbei – wie eine schöne, leere Hülle. Hatte er es doch gewagt … zwei Hände legten sich auf meine Hände, zärtlich, aber bestimmt, die warme Stimme meiner Frau flüsterte singend zu mir und meine innere Hitze löste sich. Langsam kam ich zu mir. Sinhasivali hatte mich gerettet.
III.
Die Sonne lugte schon über den Horizont, als ich in die Straße bog. Die Leute bauten ihre Marktstände auf. Gleich werden sie ihren Handel beginnen und ein lebhaftes Treiben wird einsetzen. Dann werde ich wieder weg sein. Vijaya und Sarasvati hatten ihre Stände schon fertig; sie bauten immer nebeneinander auf. Möge auch mir einmal ein Mann wie Vijaya zukommen! Ein Mann kann das größte Glück des Lebens sein, aber auch das schlimmste Verhängnis.
Der Amerikaner legt immer noch Geschenke aus und spricht mich an, unflätig wie ein Tier. Wenn man keine Liebe für Menschen fühlt, sollte man seine Worte und Blicke für sich behalten. Hoffentlich reist er bald ab und es kommen neue, angenehmere Gäste!
Als ich durch den Flur ging, wartete er lechzend und geifernd. Er packte mich, riß mir den Sari vom Leib und warf mich mit aller Gewalt auf das Bett. Oh Shiva, töte mich, nimm meinen Körper, aber erhalte meine reine Seele!
Als es vorüber war, stand mein Körper auf, legte den Sari um und setzte den Kübel auf den Kopf. Mein Körper schritt zur Straße und schloß die Tür. Wie lange hatte diese Hölle angedauert? Es war dunkel geworden, der Himmel schwarz, trotzdem standen die Menschen an den Marktständen. Der Mond war dicht über dem Horizont und brannte feurig auf meinen Armen. In welche Welt hast du mich entführt, oh Shiva! Ein Dämon sandte glühende Blicke, oder war es Vijaya? Er meinte nicht mich; sein Haß tobte gegen die Bestie hinter mir im Haus. Eine golden leuchtende Göttin bändigte ihn – jede Welt hat ihre Sarasvati!
Oh Shiva, mein Körper wandelt einher, aber meine Seele gibt es nicht mehr; oh Shiva, warum hast du mich nicht erhört?
IV.
Der Kübel war jeden Morgen sauber, ohne daß ich merkte, wie sein Inhalt verschwand. Eines Morgens stand ich früher als gewöhnlich auf. Und sah mit Staunen, was geschah.
Wie eine dunkle schreitende Statue betrat das Haus durch den Hintereingang die schönste Frau, die ich bisher in Ceylon gesehen hatte, von tamilischer Rasse, von der Kaste der Parias. Sie trug einen rotgoldenen Sari aus gröbstem Stoff. Ihre nackten Füße umspannten schwere Spangen. An beiden Nasenflügeln funkelten zwei rote Pünktchen. Es waren vermutlich gewöhnliche Glasperlen, an ihr freilich glichen sie Rubinen. Feierlichen Schrittes ging sie auf das Klosett zu, ohne mich anzublicken, ohne von meiner Anwesenheit Notiz zu nehmen, und verschwand mit dem scheußlichen Behälter auf dem Kopf, sich mit dem Gang einer Göttin entfernend.
Sie war so schön, daß ich trotz ihres niedrigen Amtes betroffen zurückblieb. Als sei sie ein dem Dschungel entsprungenes, menschenscheues Tier, gehörte sie einem anderen Lebenskreis an, einer abgesonderten Welt. Vergeblich rief ich sie an. Dann ließ ich gelegentlich ein Geschenk für sie liegen, ein Stück Seide oder eine Frucht. Ohne zu hören, ohne zu blicken, ging sie vorbei. Die elende Wegstrecke war von ihrer dunklen Schönheit in die Pflichtzeremonie einer gleichgültigen Königin verwandelt worden.
Zu allem entschlossen, packte ich sie eines Morgens herrisch am Handgelenk und blickte ihr ins Gesicht. Ich wußte keine Sprache, in der ich sie hätte ansprechen können. Ohne Lächeln ließ sie sich von mir führen, und schon lag sie nackt auf meinem Bett. Ihre schlanke Taille, ihre vollen Hüften, die überquellenden Becher ihrer Brüste machten sie den tausendjährigen Skulpturen Südindiens gleich. Die Begegnung war die eines Mannes mit einer Statue. Die ganze Zeit hielt sie die Augen offen, ungerührt. Sie verachtete mich mit Recht. Die Erfahrung wiederholte sich nicht.
Pablo Neruda
Epilog
Der Text unter IV. stammt aus den Erinnerungen von Pablo Neruda: Confieso que he vivido, Madrid 1974, (deutsch: Ich bekenne, ich habe gelebt, in der Übersetzung von Curd Meyer-Clason, 1975) und beschreibt seine Eindrücke in Colombo während seines Aufenthaltes in Ceylon im Jahre 1934. Pablo Neruda erhielt 1971 den Nobelpreis für Literatur.