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Quiero

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31.08.2008
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Quiero

Das Schönste sind die schwarzen Augen. Mir erscheint jetzt diese kupferbraune Hautfarbe als die natürlichste und schönste; unsere ausgebleichte Farbe ist mir fast unangenehm. Hier bei den Singhalesen habe ich ganz den Ekel verloren, den ich bisher mehr oder minder doch gegenüber allen Nichtweißen empfunden habe. Vielmehr fühlte ich mich auch physisch zu ihnen hingezogen.
Leopold von Wiese, Briefe aus Asien, 1912.

I.
Ich legte die Mangos in die Auslagen meines Marktstandes und drehte jede einzeln so, daß ihre reife, rote Seite nach vorn zeigte. Dazu tat ich weitere Früchte, Wurzeln, Nüsse, Gewürze. Die Morgenröte begann, die Häuser gegenüber in ihr warmes Licht zu tauchen; bald werden die Menschen auf die Straße quellen und einkaufen. Vijaya, mein Mann, breitete an seinem Stand nebenan die Waren aus: Kämme, Scheren, Feilen, Messer und Rasierklingen.

Ein warmes Gefühl ließ mich aufblicken: Sarasvati schritt die Straße entlang und ging in das gegenüberliegende Haus, wo sie jeden Morgen für einen amerikanischen Gast den Kübel leerte. Dem Zauber der jungen Tamilin konnte sich mein Mann nicht entziehen; ich ertappte ihn, als er Sarasvati errötend mit seinen Blicken verfolgte. Wir sahen uns an. Das warme, glückliche Lächeln Vijayas sagte mir, daß ich mir seiner Liebe sicher sein konnte. Ein reifer Mann weiß zwischen seiner Frau und Mutter seiner Kinder und einem fremden Mädchen zu unterscheiden. Etwas anderes beunruhigte mich: Sarasvatis Gang war heute zögernd gewesen. Ich sandte ihr einen guten Wunsch nach und packte die letzte Kiste Obst aus.

Als Sarasvati mit dem Kübel zurückkam, durchfuhr mich ein Blitz: würdig und stark ging sie ihren Weg, aber ihre Augen! Ihre leuchtenden Sterne waren erloschen. Ich fühlte, wie Vijaya eine Erregung befiel und ging langsam zu ihm. Als ich hinter ihm stand, zitterte Vijaya und seine rechte Hand schloß sich um ein Messer auf dem Tisch. Ich umfing ihn mit beiden Armen und flüsterte ihm ins Ohr: „Mein geliebter Vijaya, etwas Schreckliches ist geschehen und wir können es nicht heilen. Laß sich die Götter ihrer annehmen und zerstöre nicht unser aller Leben. Alles wird gut.“ Langsam ließ Vijaya das Messer los und schmiegte sich an mich. So standen wir einen Augenblick; dann ging ich zurück.

II.
Ich hatte gerade den Stand fertig aufgebaut und packte nun die Scheren aus, als Sarasvati die Straße herunterkam. Gleich wird sie wieder im Haus des Amerikaners verschwinden, um seinen Kübel zu entsorgen! Es ist nicht recht, daß eine so schöne Frau für einen Fremden arbeitet. Zorn regte sich in mir, wenn ich an den unförmigen Mann mit seinen gierigen Blicken dachte. Gestern hatte er bei mir eine Schere gekauft und mich angesehen, als wäre ich sein Diener – als wären wir alle hier seine Diener!

Sarasvatis Sari raschelte leise über dem Pflaster. Ich konnte meine Augen nicht beherrschen; sie folgten ihr, wie sie mit ihrem schwebenden Gang, ihrem blauschwarz glänzendem Haar und ihrem reinen Gesicht näherschritt. Das glitzernde Gold der Ringe an ihren Fesseln und das leuchtende Dunkelrot ihrer Rubine verliehen ihr einen überirdischen Zauber. Sinhasivali warf mir einen Blick zu; recht hat sie, meine Liebe, Gefäß meiner Kinder, meine Seele! Als ich meinen Blick von ihr löste, war Sarasvati verschwunden. Ich ordnete unaufmerksam meine Waren, um mich abzulenken. Etwas stimmte heute nicht. Sie hätte schon wieder heraus sein müssen. Ungeduld überkam mich – ich schämte mich wegen dieser Gefühle für eine fremde Frau, dazu einer Hindi.

Ich blickte zum Haus. Plötzlich stand sie in der Tür und ich erstarrte. Ich sah sie nicht genau, weil meine Augen tränten, aber ich wußte. Ein Feuer drang in mir empor, wie in einem ausbrechenden Vulkan. Sarasvati schloß die Tür und ging vorbei – wie eine schöne, leere Hülle. Hatte er es doch gewagt … zwei Hände legten sich auf meine Hände, zärtlich, aber bestimmt, die warme Stimme meiner Frau flüsterte singend zu mir und meine innere Hitze löste sich. Langsam kam ich zu mir. Sinhasivali hatte mich gerettet.

III.
Die Sonne lugte schon über den Horizont, als ich in die Straße bog. Die Leute bauten ihre Marktstände auf. Gleich werden sie ihren Handel beginnen und ein lebhaftes Treiben wird einsetzen. Dann werde ich wieder weg sein. Vijaya und Sarasvati hatten ihre Stände schon fertig; sie bauten immer nebeneinander auf. Möge auch mir einmal ein Mann wie Vijaya zukommen! Ein Mann kann das größte Glück des Lebens sein, aber auch das schlimmste Verhängnis.
Der Amerikaner legt immer noch Geschenke aus und spricht mich an, unflätig wie ein Tier. Wenn man keine Liebe für Menschen fühlt, sollte man seine Worte und Blicke für sich behalten. Hoffentlich reist er bald ab und es kommen neue, angenehmere Gäste!

Als ich durch den Flur ging, wartete er lechzend und geifernd. Er packte mich, riß mir den Sari vom Leib und warf mich mit aller Gewalt auf das Bett. Oh Shiva, töte mich, nimm meinen Körper, aber erhalte meine reine Seele!
Als es vorüber war, stand mein Körper auf, legte den Sari um und setzte den Kübel auf den Kopf. Mein Körper schritt zur Straße und schloß die Tür. Wie lange hatte diese Hölle angedauert? Es war dunkel geworden, der Himmel schwarz, trotzdem standen die Menschen an den Marktständen. Der Mond war dicht über dem Horizont und brannte feurig auf meinen Armen. In welche Welt hast du mich entführt, oh Shiva! Ein Dämon sandte glühende Blicke, oder war es Vijaya? Er meinte nicht mich; sein Haß tobte gegen die Bestie hinter mir im Haus. Eine golden leuchtende Göttin bändigte ihn – jede Welt hat ihre Sarasvati!

Oh Shiva, mein Körper wandelt einher, aber meine Seele gibt es nicht mehr; oh Shiva, warum hast du mich nicht erhört?

IV.
Der Kübel war jeden Morgen sauber, ohne daß ich merkte, wie sein Inhalt verschwand. Eines Morgens stand ich früher als gewöhnlich auf. Und sah mit Staunen, was geschah.

Wie eine dunkle schreitende Statue betrat das Haus durch den Hintereingang die schönste Frau, die ich bisher in Ceylon gesehen hatte, von tamilischer Rasse, von der Kaste der Parias. Sie trug einen rotgoldenen Sari aus gröbstem Stoff. Ihre nackten Füße umspannten schwere Spangen. An beiden Nasenflügeln funkelten zwei rote Pünktchen. Es waren vermutlich gewöhnliche Glasperlen, an ihr freilich glichen sie Rubinen. Feierlichen Schrittes ging sie auf das Klosett zu, ohne mich anzublicken, ohne von meiner Anwesenheit Notiz zu nehmen, und verschwand mit dem scheußlichen Behälter auf dem Kopf, sich mit dem Gang einer Göttin entfernend.

Sie war so schön, daß ich trotz ihres niedrigen Amtes betroffen zurückblieb. Als sei sie ein dem Dschungel entsprungenes, menschenscheues Tier, gehörte sie einem anderen Lebenskreis an, einer abgesonderten Welt. Vergeblich rief ich sie an. Dann ließ ich gelegentlich ein Geschenk für sie liegen, ein Stück Seide oder eine Frucht. Ohne zu hören, ohne zu blicken, ging sie vorbei. Die elende Wegstrecke war von ihrer dunklen Schönheit in die Pflichtzeremonie einer gleichgültigen Königin verwandelt worden.
Zu allem entschlossen, packte ich sie eines Morgens herrisch am Handgelenk und blickte ihr ins Gesicht. Ich wußte keine Sprache, in der ich sie hätte ansprechen können. Ohne Lächeln ließ sie sich von mir führen, und schon lag sie nackt auf meinem Bett. Ihre schlanke Taille, ihre vollen Hüften, die überquellenden Becher ihrer Brüste machten sie den tausendjährigen Skulpturen Südindiens gleich. Die Begegnung war die eines Mannes mit einer Statue. Die ganze Zeit hielt sie die Augen offen, ungerührt. Sie verachtete mich mit Recht. Die Erfahrung wiederholte sich nicht.
Pablo Neruda

Epilog
Der Text unter IV. stammt aus den Erinnerungen von Pablo Neruda: Confieso que he vivido, Madrid 1974, (deutsch: Ich bekenne, ich habe gelebt, in der Übersetzung von Curd Meyer-Clason, 1975) und beschreibt seine Eindrücke in Colombo während seines Aufenthaltes in Ceylon im Jahre 1934. Pablo Neruda erhielt 1971 den Nobelpreis für Literatur.

 
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Hallo Setnemides,

es war der spanische Titel, der mich bewogen hat, die Geschichte zu lesen - auch wenn ich ob des Schauplatzes zunächst verwirrt war. Das Ende hat mich dann überrascht - ich bin in die alte Falle getappt, mit "Amerikaner" zunächst einen US-Amerikaner zu halten.

"Confieso que he vivido" habe ich sogar selbst gelesen, konnte mich aber an diese Szene gar nicht mehr erinnern - von daher kam das Verstehen erst mit deinem Auflösungstext.

Mir hat es sehr gut gefallen, wie du diese Neruda-Episode aus drei neuen Perspektiven erzählt hast. Sprachlich fand ich vor allem die äußerliche Beschreibung Sarasvatis gelungen, die das Pärchen in den beiden ersten Abschnitten macht. Was mir ein wenig zu kühl rüberkam, war die Perspektive von Sarasvati selbst, wenigstens am Anfang, wenn sie die Straße herunterkommt. Da geht die Lebendigkeit verloren, die du in den ersten beiden Perspektiven besser umsetzt, und hier könntest du vielleicht noch nachlegen, um den Kontrast zum "danach" stärker werden zu lassen.

Insgesamt sehr gerne gelesen - flüssig geschrieben, sodass ich nicht auf Textkram geachtet habe.

Confieso que, sin embargo, los poemas de Neruda me gustan ;)

Liebe Grüße, ciao
Malinche

 

Hallo Set,

eine sehr schöne Geschichte und eine besondere Herangehensweise an ein Thema.

Eigentlich gefällt es mir nicht so gut, wenn die Erzählperspektive innerhalb einer Geschichte wechselt, aber hier ist das etwas ganz anderes.
Eine Szene mit vier Personen aus der Sicht aller vier Personen zu schildern, das hat mir gut gefallen. Dadurch hat man als Leser einen sehr intensiven Einblick in die Gefühle aller Beteiligter, sehr interessante Sichtweise.

Auch die fremde Kultur bringst Du mir nahe, das gefällt mir ohnehin immer gut. Bei manchen Deiner Geschichten habe ich schon mit der Länge gehadert ;), diese hätte gerne etwas länger sein dürfen. Ich war fast traurig als sie fertig war. :(.

Es wirkt auf mich jedenfalls sehr authentisch.

Sehr, sehr gerne gelesen und liebe Grüße

Giraffe :)

 
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Hallo Malinche,

danke, und für den Gefallen an Nerudas Gedichten braucht man nichts zu "gestehen" - es war ja Teil meiner Absicht, auf diese Diskrepanz zwischen Autor und Werk hinzuweisen. Neruda ist für seine Liebesgedichte berühmt, und Liebe hat ja etwas mit Empathie zu tun, sollte man meinen - seine Erinnerungen haben bei mir Zweifel geweckt.

Die Fröhlichkeit zu Beginn paßt für die Erzählerin in III. nicht, denn sie ahnt ja schon seit Tagen, was kommt. In dem Sinne habe ich ja auch die anderen fühlen lassen, daß etwas bevorsteht.

Danke Giraffe, auch für das "authentisch", was ich mir nicht anziehe, denn ich war noch nicht mal jetzt in Sri Lanka, geschweige denn vor siebzig Jahren in Ceylon. Habe mir ein halbes Dutzend Bücher über Sri Lanka reingezogen, um mich in Stimmung zu bringen.

Hallo Webmaster und Brother Kane,

danke für die Mühe mit der Urheberrechtsproblematik. Es ist natürlich nicht zu erwarten, daß Ihr das Risiko eingeht, rechtlich belangt zu werden, und sei das Risiko auch noch so klein. Um so etwas etwas großzügiger anzugehen, bräuchte es eine Vereinsstruktur, in die alle einzahlen und die dann als juristische Person dafür einsteht. Mit der jetzt erreichten Lösung ist es wohl ziemlich abgesichert.

Gruß an alle,

Set

 

Hallo Set,

da setztu uns gekonnt - wie ich finde - ein Ereignis von wenigen Minuten in vier Kapiteln aus Sicht unterschiedlicher Personen vor: dort sind Sinhasvati und ihr Gatte Vijaya (I f.), welche die junge Tamilin Sarasvati beobachten -

bei deren Anblick V. schon einmal warm ums Herz werden kann -

wie sie ein Haus betritt und sichtlich als eine andere wieder verlässt.

Da ist die junge Tamilin (III.), der ein Unglück widerfährt,
während der Amerikaner (IV.; Iberoamerikaner in diplomatischem Dienst, muss man korrekt sagen),
dem die junge Frau jeden Morgen "den Kübel leerte",
um seines kleinen Glückes willen animalischen Trieben nachgibt und der Tamilin das Unglück beschert,
wozu er sich vierzig Jahre später bekennt.

Nun sind Personen von Rang - sei's im diplomatischen Dienst oder im Dienste der Lyrik - trotz aller zivilisatorischen Errungenschaften noch die gleichen Neanderthaler/Cro Magnon Menschen, wie es der Sammler und vor allem Jäger in der Jüngeren Steinzeit war und dem späteren Nobelpreisträger wird es eine lebenslange Last/Schuld gewesen sein. Was keine Entschuldigung sein will/kann.

Aber an einer Stelle kommt mir ein anderer Gedanke: >Ein Dämon sandte glühende Blicke, oder war es Vijaya? Er meinte nicht mich; sein Haß tobte gegen die Bestie hinter mir im Haus. Eine golden leuchtende Göttin bändigte ihn – jede Welt hat ihre Sarasvati!<, wobei der "Dämon" mich an "Rashomon" (Kurosawa, 1950) erinnert, dessen Handlung im "Wald der Dämonen" spielt -
in Wirklichkeit ein ruhiges Fleckchen Erde -
und worin jeder der Betroffenen einen Vorfall aus seiner Sicht schildert -
und jeder anders. Aber wozu Kurosawa sich 1 1/2 Stunden Zeit lässt, das erarbeitestu auf zwo Seiten Manuskript (keine zehn Minuten).

So wenig für heute vom

Friedel

 

Hallo Set,

ich bin ja total empfänglich für diese Art der Erzählung, verschiedene Blickrichtungen auf ein Geschehen. Ich mag das sehr.
Insofern kann ich Deine Geschichte nur mögen :).

Beeindruckt hast Du mich durch Deine Sprache. Mit jedem Erzähler gewinnt die Geschichte an inhaltlicher Intensität und auch sprachlich gelingt es Dir (empfinde ich jedenfalls) dieser Entwicklung zu folgen. Vom anfänglich zärtlich liebenden Ton Sinhasivalis bis zu Nerudas erschreckend nüchterndem Geständnis.

Schön, dass die Geschichte im Forum geblieben ist, sonst hätte ich sie nicht lesen können, und das hätte ich doch sehr schade gefunden.

Sehr gern gelesen
Beste Grüße Fliege

 

Hallo Setnemides,

zu deinem Text ist schon alles gesagt. Habe so ziemlich alles in der Originalsprache gelesen, was P. Neruda geschrieben hat, konnte mich aber an diese Szene auch nicht erinnern.

Chapeau!

Gruß

Kurtchen

P.S. Habe lange Zeit in Chile gelebt und führe immer an, was Neruda über die chilenischen Frauen gesagt hat. (sanft etc.)
Er hat aber eine Russin geheiratet!

 

Hallo Friedrichard, Fliege und Kurtchen,

vielen Dank für die Blumen, wann kommt denn mal der Gegenwind auf? Freut mich, daß die Geschichte Resonanz findet.
Eigentlich hat jeder diese Stelle überlesen, sogar die Lektoren bei Luchterhand. Der Ruhm mag dazu beigetragen haben. Es gibt auch andere Echos (War das denn überhaupt eine Vergewaltigung? Sie hat sich doch nicht gewehrt), die deutlich machen, daß der "Cultural Clash" anhält. Eine Tamilin kann sich nicht gegen einen arrivierten Ausländer wehren, es hätte keine Aussicht auf Erfolg, körperlich nicht und gesellschaftlich erst recht nicht. Auch deswegen habe ich sie "Sarasvati" getauft: Göttin der Weisheit und der Liebe.
Der Prolog des bedeutenden deutschen Soziologen soll zeigen, daß es hier um eine gesellschaftliche Strömung geht: eben noch Ekel empfunden, kommt plötzlich das Begehren. Achtung bleibt fern.
Und damit zu Friedrichard: mich hat es geärgert, daß Neruda sich eben nicht Vorwürfe macht, das wäre anders zu lesen, wahrscheinlich hätte er nicht darüber geschrieben, wenn er begriffen hätte. Er bedauert ja auch nicht das Schicksal des Opfers, sondern seines, irgendwie war es nicht richtig schön, und "die Erfahrung wiederholte sich nicht", "no se repitió la experiencia". Von der passiven Form, die sein eigenverantwortliches Handeln zurückstellt, einmal abgesehen.
Und beleidige mir die Neandertaler nicht: diese Umgangsformen sind in der Evolution jünger, davon bin ich fest überzeugt. Gorillas, Schimpansen und Bonobos kennen nur zärtlichen Sex, drum laß mir den Glauben an die edlen Wilden. Der Machismo kam später, zur Zeit Gilgameshs (2600 v.Chr.) war er schon voll entwickelt, wie sich nachlesen läßt, aber im Paläolothikum?

Zur Sprache, Fliege: ich habe gezögert, die Tempuswechsel in Teil III. zu lassen, alternativ habe ich überlegt, den gesamten Teil III. in das Präsens zu setzen. Das wäre dann noch ein Bruch.

Zu Nerudas Schicksal, Kurtchen: hoffentlich hat wenigstens die Russin ihn bändigen können.

Gruß Set

 

Hallo Setnemides!

Ich frage mich, wozu werden hier die verschiedenen Perspektiven gezeigt, wo doch jede nur die gleiche Ordnung zeigt, nur die jeweils andere bestätigt, es gibt keine neue Sichtweise auf die Dinge. Und es gibt keine Brüche in dieser Ordnung der Einheimischen, in der alles seinen Platz hat und alles offensichtlich gut ist. Es klingen Konflikte an, ja, dass der Mann einer anderen, jüngeren Frau nachsieht, dass es religiöse Differenzen gibt, dass sie der jungen Frau danach nicht beistehen, aber jeder kennt hier seinen Platz genau, und daher sieht die Ehefrau ihm sein Interesse an einer anderen Frau nach und die junge Tamilin sieht ihnen ihre reservierte Reaktion nach, sie wissen alle genau, was sie zu tun haben. Und daher kommen diese Konflikte nicht zum Tragen, alle auf der Seite der Einheimischen handeln richtig, jeder spelt seine Rolle richtig im sozialen System. Nur der Fremde ist der Böse, der Zerstörer dieser Ordnung, die Rollen sind klar verteilt, ja, und damit bestätigt er diese Ordnung doch auch eigentlich erst.

So bekommt das Ganze etwas ungemein Ästhetisches und doch auch Abgezirkeltes, es wirkt ein bisschen bühnenhaft, eher wie ein Tableau mit schönen Bildern, was aber nicht heißt, dass es schlecht ist.
Die Textstelle von Neruda wirkt nicht wie ein Fremdkörper, du hast das gut ausgebaut, meine Einwände sollen nicht bedeuten, dass ich es nicht gerne gelesen habe.

bald werden die Menschen auf die Straße quellen und einkaufen
bald würden ...
du hast später nochmals einige Stelle im Präsens, aber da geht es als innerer Monolog durch, hier aber nicht, hier finde ich es störend, so zwischen lauter Präterita
wie sie mit ihrem schönen Gang, ihrem blauschwarz glänzendem Haar und ihrem wunderschönen reinen Gesicht näherschritt
Wortwiederholung, und "schöner Gang" gefällt mir sowieso nicht
zwei warme Hände legten sich auf meine Hände, die warme Stimme meiner Frau flüsterte singend zu
Wortwiederholung

Gruß
Andrea

 
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Hallo Andrea,

richtig, alles hat seine feste Ordnung, die ich nicht bewerten möchte - es geht ja nur um die geringfügig unterschiedlichen Perspektiven der Einheimischen und die grundsätzlich andere des Fremden. Böse ist er nicht, aber er handelt, und er "will", wobei im spanischen ja die Worte von möchten, mögen, wollen und lieben alle im "quiero" verschwimmen, das "lieben" ohne Begehren ist hier sprachlich nicht vorgesehen, jedenfalls nicht im "quiero". Und so zerstört er, ohne zu begreifen.

bald werden die Menschen auf die Straße quellen und einkaufen

bald würden ...

"Würden" heißt doch, daß es daran Zweifel gibt, oder?

So bekommt das Ganze etwas ungemein Ästhetisches und doch auch Abgezirkeltes, es wirkt ein bisschen bühnenhaft, eher wie ein Tableau mit schönen Bildern, was aber nicht heißt, dass es schlecht ist.

Na ja, immerhin...Du könntest ja auch schreiben, daß es romantisierender Sozialkitsch ist...es ist eben weit weg.

Gruß Set

 

Hallo Andrea,

Deine Frage scheint darauf zu zielen, dass in zehn Minuten das geleistet werden könn(t)e, wozu "Rashomon" sich als Film 1 1/2 Stunden Zeit nimmt.

Und zum Wiese Zitat,

Set,

sind wir nicht alle von Haus aus Farbige - seit unserem Spaziergang "out of Africa" - , die sich halt den klimatischen Bedingungen nach & nach anpassten?

Gruß

Friedel

 

Friedel,

na ja, mehr oder weniger. Vielleicht sind wir als letzte out of Africa gekommen, und Africa deshalb am nächsten. Interessant finde ich den genetischen Befund, daß der Teil der Menschheit innerhalb Afrikas eine erhebliche größere genetische Vielfalt birgt als der Teil außerhalb Afrikas. Wir sind also nur die paar Tropfen, die gelegentlich aus dem Topf schwappen. Das europäische Tröpfchen scheint das einzige zu sein, das sich selbst für die erlesene Suppe hält und alles andere unterordnet. Das ist das eigentliche Problem, auch in der Geschichte.

Gruß Set

 

Hej Setnemides,

mir gefällt Deine Sprache.
Und ich finde den Aufbau gut, die Geschichte beginnt alltäglich und gewinnt mit jeder neuen Perspektive an Dramatik, bis zum Pablo-Nerudea-Text als passenden Schlussakkord (übrigens finde ich es mutig, ihn mit Deinem Text zu kombinieren, ist Dir mMn ganz gut gelungen).

Paar Kleinigkeiten:

bald werden die Menschen auf die Straße
müsste es in der Zeitform nicht heißen, "bald würden"?

Das warme, glückliche Lächeln Vijayas
Hier habe ich das Gefühl, weniger Adjektive wären mehr. Nur sein Lächeln.

Alles wird gut
Der Satz passt für mich nichts in Bild. Sie sind doch nicht direkt betroffen, oder?

flüsterte singend zu mir
ich stelle es im Kopf automatisch um: flüsterte mir singend zu

Viele Grüße
Ane

 

Hallo Ane,

vielen Dank, alles eingesehen bis auf:

Hallo Andrea, Ane und Friedrichard!

Andrea H.:
bald werden die Menschen auf die Straße quellen und einkaufen

bald würden ...

Ane:
Zitat:
bald werden die Menschen auf die Straße
müsste es in der Zeitform nicht heißen, "bald würden"?
du hast später nochmals einige Stelle im Präsens, aber da geht es als innerer Monolog durch, hier aber nicht, hier finde ich es störend, so zwischen lauter Präterita

Friedrichard schrieb mir unter eine andere Geschichte:
Es folgt die z. T. nicht notwendige Verwendung des Konjunktivs. Warum müsssen diese "würde"-Konstruktionen sein? " Nachher würde er sich darum kümmern. So fuhr er fort, bis er alle Boote, es waren etwa ein Dutzend, auf die Alster befördert hatte. Ein Ruderboot blieb am Steg. Damit würde er die Boote zurückholen, wenn der Alarm vorbei ist.
Eigentlich war es nicht wirklich nötig, die Boote zu lösen."
Ich will Dir hier keinen Vortrag über Bildung und Verwendung des Konjunktivs II halten, aber ist es denn in irgendeiner Weise zweifelhaft, dass Felix die angesagten Arbeiten nicht verrichten (könnte/würde)? Reichte es hier nicht, das Futur zu verwenden? Wäre das nicht "Möglichkeit" genug?

Gibt es hier einen Germanisten, der das entscheiden kann? Nach meinem Sprachgefühl hat Friedrichard recht und so habe ich es hier angewandt. Was für mich auch in Ordnung wäre: Gleich beginnen sie ihren Handel und ...

Gruß Set

 

Hallo Setnemides!

Von mir erstmal ein Lob für die erzeugte Atmosphäre! Außerdem passen die Abschnitte wirklich gut zur Passage von Neruda. Fazit: Ich hab's gern gelesen!

Aber Kritik habe ich auch! Das größte Potential der Geschichte, da wir schon bei "Gesellschaft" sind, hast du leider verschenkt. Und zwar indem die Tatsache, dass Sarasvati eine Paria ist, sogut wie keine Rolle spielt, und indem das beobachtende Pärchen muslimisch ist. Was für einen tragischen Konflikt hätte es gegeben, wenn Vijaya und seine Frau Vaishyas gewesen wären! Wenn ihnen ihre Tradition, Religion, die Gesellschaft das Eingreifen auch verboten hätten, wenn ihr Mitgefühl, ihre Menschlichkeit auch in Konflikt zu den Regeln gestanden hätten. -
DAS wäre Stoff für große Tragödie gewesen! So bleibt es bei einem stimmungsvoll erzählten, traurigen Zwischenfall in der Begegnung Okzident-Orient.

Gruß
Kasimir

 
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hallo kasimir,

verschenkt oder nicht - das wäre eine andere Geschichte. Dafür hätte ich auch viel tiefer in die Kultur Sri Lankas eintauchen müssen, als mir möglich ist. Ich war zu sehr darauf fixiert, meine Gefühle zu der Neruda-Passage auszudrücken, und dazu, daß diese so geflissentlich überlesen wird.

Die "Paria" wollte ich nicht herausstellen, weil ich erstens davon ausgehe, daß dies in Sri Lanka nicht dieselbe Bedeutung hat wie in Indien, und zweitens ein Gegengewicht zu den erniedrigenden Beschreibungen Nerudas geben wollte ("es waren vermutlich gewöhnliche Glasperlen") - auch eine Paria hat Würde, auch eine Paria trägt Gold und Rubine, auf jeden Fall hier, wo seit Jahrtausenden Rubine abgebaut werden.

Deine Idee zeigt mir allerdings, wieviele Geschichten hier im Hintergrund liegen, die ich nicht einmal erahne.

hallo Are-Efen,

Dir mag ich diesmal nicht ganz folgen. Sicher leidet der Autor Qualen, sicher liegt sein Bedürfnis in seiner Kindheit - ist nicht ganz viel von der Gewalt dieser Welt in der Kindheit begründet, bzw. der nicht gelebten, vernachlässigten Kindheit? Da sich in unserer Kultur so viele der Täter annehmen und so wenige der Opfer, liegt meine Aufmerksamkeit bei der vergewaltigten Frau. Das mag dem Ort und der Zeit des Geschehens nicht gerecht werden und mißachtet, daß Täter auch Opfer sind. Es stellt die Wahrnehmung dieses Geschehens hier bei uns, wo Neruda gelesen wird, in den Vordergrund.

Ich selbst habe wenig Neigung, ein verletzendes Verhalten zu verstehen, weil es einen kindlichen Ursprung hat. Es mag objektiv so sein, aber es erregt bei mir kein Mitgefühl.
Wie konnte bloß so etwas über ihn kommen? Wäre es doch wenigstens über beide hereingebrochen!
Ich meine, daß Neruda die "göttliche" Zuwendung und Chance, die in der Duldung seines Übergriffes liegen mag, nicht erfaßt hat. Er ist danach nicht geheilt, dazu hätte es mehr bedurft, auch Leiden gehört hier zur Heilung.

Danke Euch beiden für die eingehenden Kommentare,

Gruß Set

 

Hallo Are-Efen,

so iterieren wir uns zum Verständnis; dem kann ich zustimmen. In Deinem Kommentar vom 13.07. steht der Satz:

aber eigentlich ist es etwas ganz Unschuldiges, dem kaum zu widerstehen ist.

Da bin ich angeeckt; aus (s)einer Perspektive stimmt es, aus einer anderen - der Erwachsenennorm - stimmt es nicht. Man kann auch einfach dadurch schuldig werden, daß man nicht beizeiten erwachsen wird. Fehlende Empathie hat ja auch etwas infantiles. Spannend der Kontrast zu dem dichterischen Werk, in dem er so in Gefühlen geschwelgt hat.

Danke, Set

 
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Hi Set

Du hast insgesamt eine sehr exotische und spannende Geschichte geschrieben. Denn man fragt sich die ganze Zeit, was zwischen Sarasviati und Vijaya läuft. Haben die jetzt eine Affäre? Wurde die Ehefrau Viayas betrogen. Näheres erfährt der Leser dann aus der 2. Perspektive von Viaya. Also hast du geschickt die Perspektiven genutzt, um Spannung aufrecht zu erhalten. Allerdings würde ich dir empfehlen deutlicher zu markieren, dass wir es in II plötzlich mit der Männerperspektive Viayas zu tun haben. Ich dachte, dass die Ehefrau weiter ihre innere Welt darlegt und zwangsläufig erschien es mir irgendwie ziemlich seltsam, so dass ich erst so darauf kam, dass es der Mann sein müsste. Danach habe ich die Regeln verstanden. Dann war ja klar, dass III ebenfalls eine andere Perspektive sein müsste.
Besonders hervorstechend ist, dass du diesen Unterschied zwischen zwei Völkern, die Fremdheit und nicht die Zugehörigkeit des Amerikaners einerseits und die Zusammengehörigkeit des indischen Volkes andrerseits gut in Szene gesetzt hast - auch finde ich hast du dieser Geschichte eine enorme Wirklichkeitsaufschub verliehen dadurch, dass du sie mit Tagebucheintragungen eines bereits exisitierenden Schriftstellers vermengt hast.
Dein Stil ist insgesamt schön - noch nicht so ausgereift freilich wie bei einem Profi, aber das geht auch klar mit der Zeit und mit Fleiß. Falls du ihn noch nicht kennst, ich würde dir sehr Ernest Hemmingway empfehlen. Dein Stil hat seinen Charakter.
Schlicht und sehr bildhaft.

Beste Grüsse
Arkadius

 

hallo Arkadius,

danke für das Lob, geht gut runter! Ich habe vor eineinhalb Jahren meine erste Geschichte geschrieben und Hoffnung, mich noch ein bißchen zu entwickeln.
Zur Orientierung über die Erzählerwechsel habe ich die Bezüge zu den Auslagen eingebaut:
Ich legte die Mangos in die Auslagen ... Vijaya, mein Mann, breitete an seinem Stand nebenan die Waren aus: Kämme, Scheren, .....
II. Ich hatte gerade den Stand fertig aufgebaut und packte nun die Scheren aus,....

Das waren die Hinweise, aus denen man auf den ersten Erzählerwechsel schließen sollte...

Zu den Versuchungen: Ich mußte ja irgendwie die Aufmerksamkeit des Mannes herleiten, der in meiner Geschichte beinahe tätlich geworden wäre ( und damit die Gefühle ausdrückt, die ich selbst beim Lesen der Stelle in der Biographie hatte), deshalb die Blicke und Gedanken der Frau unter I.

Natürlich kenne ich Hemingway, er läßt sich für seine Kurzgeschichten manchmal viel Zeit, aber eine "shortstory" muß ja keinesfalls "short" sein. Was von Deinem Vergleich trifft, ist, daß meine Orientierung sehr rückwärts gerichtet ist; die aktuellen Schriftsteller sprechen mich deutlich weniger an als die von vor 30 bis 70 Jahren.

Gruß Set

Habe vier Jahre in Bochum gelebt, grüß mal.

 

Hallo Set,

so ähnlich wie Dir geht's mir (wenn ich auch ein Jahr länger hier bin und gelegentlich der Poesie zuneige). Aber was mich veranlasst, hier nochmals drauf zurückzukommen ist NY, der in <Rust never Sleeps> die Mentalität der Kolonialherren auf den Nenner bringt - selbst wenn Neruda kein Eroberer/Kolonialherr/Imperalist im eigentlichen Sinne gewesen ist (selbst in Marquez' autoBiographie >Leben um zu schreiben< werden solche Tendenzen nicht erwähnt. Aber in <Pcahontas> aus den 70-er Jahren ist alles drin:

<Aurora borealis / The icy sky at night / Paddles cut the water / In a long and hurried flight / From the white man to the fields of green / And the homeland we've never seen. // They killed us in our tepee / And they cut our women down / They might have left some babies / Cryin' on the ground / But the firesticks and the wagons come / And the night falls on the setting sun. //
They massacred the buffalo / Kitty corner from the bank / The taxis run across my feet / And my eyes have turned to blanks / In my little box at the top of the stairs / With my Indian rug and a pipe to share.>

Und die Strophen, die wahrscheinlich auf alle "ganzen Kerle" zutreffen:

<I wish a was a trapper / I would give thousand pelts / To sleep with Pocahontas / And find out how she felt / In the mornin' on the fields of green / In the homeland we've never seen. // And maybe Marlon Brando /
Will be there by the fire / We'll sit and talk of Hollywood / And the good things there for hire / And the Astrodome and the first tepee / Marlon Brando, Pocahontas and me / .... / Pocahontas.>

Soweit zum zumindest gezähmten Neruda in uns allen. Denn glaube keiner, das weibl. Geschl. wäre vor solchen Gefühlen gefeit -

was weder Neruda noch sonstwen entschuldigt.

Gruß

Friedel

 

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