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Raben und die Iden des März’ 1246 a. u. c.
oder
Zur Grundlegung des Dreißigjährigen Friedens
“Ach!”, spricht er, “die größte Freud
Ist doch die Zufriedenheit!”
Lehrer Lämpel
zu wissen ist besser als das Gegenteil, aber sich zu entsprechendem Handeln durchzuringen, darauf kommt es an. Wohl wissend, dass die Aufgaben im eigenen Land nicht klein sind, dürfen wir doch in der Solidarität mit den Geplagten dieser Welt nicht versagen.«
Willy Brandt vorm ersten Gesamtdeutschen Bundestag am 20. Dezember 1990 *
»Reden wir nicht nur von der Entschuldung der Ärmsten. Entschulden wir sie. Und nicht die Flüchtlinge, die zu uns drängen,
sind unsere Feinde, sondern die, die sie in die Flucht treiben. […] Die Menschheit kann nur in Solidarität überleben.«
Stefan Heym vorm zweiten Gesamtdeutschen Bundestag am 10. November 1994 *
weihnai namo Þein.
qimai Þiudinassus Þeins.
Wairai wilja Ϸeins,
swe in himina jah ana airϷai ...«
klingt’s im Großen Saal des Kaiserpalastes zu Ravenna und das gebildete Publikum staunt und ist doch insgeheim befremdet - weniger über die Klangkunst dentaler Frikative als über den Grund, warum dieser langhaarige und vollbärtige hunnische Affe ruhig und gelassen in seiner barbarischen Muttersprache spricht, wo doch jeder weiß, dass Flavius Theodericus Rex, Konsul und Dux Byzanz’ und zugleich þiudans (rex, König) der Austrogoti - seit seinem siebenten Lebensjahr zunächst als Geisel und hernach Verbündeter eine zivilisiertere Erziehung und Ausbildung am oströmischen Hof genossen hat als die meisten italischen Patrizier im Saal.
Sollte er da nicht zumindest der griechischen, wenn nicht gar der italischen Zunge mächtig sein?
Als wäre es nicht schlimm genug, ein halbes Jahrtausend nach dem Einfall der knapp einhunderttausend Cimbri Teutonique und erst recht dem vor nur zwei oder doch schon drei Generationen erlittenen nackten Vandalismus durch mehrere zehntausend Tervingi und Visigots nun wieder deren furchtbaren Sprache und Sitten ertragen zu müssen?
Alle „von Haus aus“ Bauern, die es nach mehr als hundertjähriger Wanderschaft aus einem fernen, utopischen Scandia über den Weichselstrand hernach ans Schwarze Meer verschlagen hat, bis 1128 der Hunnensturm über sie hinwegfegte und sie lehrte, Schwert, Lanze und Bogen, vor allem aber das Pferd als Kriegswaffe zu nutzen und sich mit dem eigenen Nachbarclan, der gerade noch Konkurrent und potenzieller Feind war, zu vertragen, zu verbünden und zu einer Gemeinschaft der Bedrohten zusammenzuwachsen.
Und nun steht da dieser etwa Vierzigjährige mit einer wesentlich jüngeren Frau, der seinen vielleicht hunderttausend Leuten, Frauen und Kindern, Bauern und vielleicht dreitausend Kriegern zu Pferd vom Schwarzen Meer über den Balkan ziehend eine neue Heimat verspricht: Italien!, wenn auch unter der Hand gemunkelt wird „im Auftrage Byzanz“ und alle Gäste des Friedensfestes müssen die rauen Laute ertragen in der Gewissheit der Niederlage Roms und vor allem des Dux, dem Skiren oder þüringer, niemand weiß es genau, Odoaker, gewesener Vormund und Mörder des letzten westlichen Kaisers Romulus Augustulus, dem selbst noch zu Lebzeiten manch ein Gast untertänigst das Attribut „Wurstulus“ zugestanden hat.
Theoderich, überzeugter Arianer, denn was - so fragt sich ein Barbar! - nützt dem Menschen auf Erden die Auferstehung eines Gottessohnes, der kommen und gehen kann gleich einer Jahreszeit wie schon die alten Götter!
Denn käme von den Göttern einer zu Tode, hieße er nun Baldr, der Einfältige, oder Ziu, der Vielfältige - der Gläubige schnitzte einen neuen Gott oder bräche geschickt einen Ast mit sich gabelnden Zweigen, die wahlweise die Arme wie zum Gebet dem Himmel entgegen weiteten oder zum Gähnen streckten oder umgekehrt als Beine auf dem festen Boden der Wirklichkeit zu stehen vorgaukeln.
Was ist das Kreuz für ein armseliges Symbol gegen die Kraft eines geheiligten Baumes und seines Zweiges! Denn nur der Mensch kann den Menschen erlösen!, frevelt der Barbar wider die italisch-katholische Seele.
Nach und nach erkennt selbst der Dumpfste unter den geladenen Gästen aus dem Patriziat zu Beginn des feierlichen Friedensschlusses das Gebet, das der Herr den Menschen gelehrt hat
»Hlaif unsarana Ϸana …«
(unser täglich Brot „Laib [Leib & Leben]“)
sinteinan gif uns himma daga. („gib uns heute,“)
jah aflet uns Ϸatei skulans sijaima,
swaswe jah weis afletam Ϸaim skulam unsaraim.
jah ni briggais uns in fraistubnjai,
ak lausei uns af Ϸamma ubilin;
unte Ϸeina ist Ϸiudangardi
jah mahts jah wulϷus in aiwins …«,
denn nach drei Jahren des Schlachtens und der Belagerung – ein Morden und Leiden, dem auch das fünf Tagesmärsche entfernte Venedig sich gerne entzogen hätte – erkennen die katholischen Gäste aus dem städtischen Adel im Großen Saal des Kaiserpalastes zu Ravenna gerne in der barbarischen Sprache ihr Paternoster (und mancher führt es wohl in seiner Zunge leise mit) und selbst der Unbedarfteste erkennt das abschließende, aramäische
„Amen!“
Der Friedensvertrag, der eher einer Kapitulation vor Byzanz als den Barbaren gleichkommt, ist auf Vermittlung des Erzbischofs Johannes Angeloptes ausgehandelt und soll am zehnten Tag, eben heute, unter den Augen der Eliten feierlich unterzeichnet werden. Sein wesentlicher Inhalt sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Goten und Odoaker vor.
Nicht, dass Jubel ausbricht, aber alle Gäste sind froh, dieses erbärmliche, allzu lange schon währende Abschlachten nebst Belagerung ohne größere Hungersnot überstanden zu haben. Die meisten sind bereit, die Macht in Italien mit dem Goten, vor allem aber Byzanz zu teilen, wie es der Erzbischof zwischen den Parteien ausgehandelt hat. Immerhin sollte der Amaler als Geisel Ostroms wissen, wie gute Manieren zu definieren sind und dass Verträge gemeinhin verträgliche Verhältnisse schaffen sollen.
Auf der Cathedra inmitten des Saales sitzt zufrieden mit sich und der Welt der Erzbischof und vor ihm liegt auf einem hohen Hocker, dass niemand allzu sehr sich buckeln muss, der Vertrag – wesentlich durch ihn selbst formuliert - und beide – Johannes A. und Vertrag – harren der Unterschriften, nachdem der geltende Text in beiden Sprachen vorgetragen ist.
»Meine Herren«, flüstert Johannes, »tun Sie Ihre Pflicht des lieben Friedens willen und zuliebe der zumeist unschuldigen Bürger, Ihren Völkern und vor aller Welt und halten Sie, wie es die Tradition erwarten lässt, den Vertrag ein!« und mancher Gast fragt sich, kann der barbarische Gote überhaupt schreiben.
Der Gote setzt tatsächlich als erster sein Zeichen unter den Vertrag und schaut hernach lächelnd (oder doch grinsend?) seine Braut Audofleda an, die vor sieben Tagen mit einem kleinen fränkischen Tross aus der fernen Provinz Belgica eingetroffen ist, denn wie der Amaler Theoderich von einem Bündnis aller Völker germanistischer Zunge träumt, so der Merowinger Chlodwig nur scheinbar eine Nummer kleiner immerhin von der Einigung aller fränkischen Stämme am Rhein.
Aber der Chronist will nicht weiter abschweifen in Privatsphären, denn nun kann Odoaker nur noch folgen, um gegenzuzeichnen. Und in der Folge wird Chlodwig über seine Schwester besser und genauer von dem Ereignis erfahren, von dem gerade eben wir, Leser wie Autor – als wäre es eine sensationell neue Nachricht – über die Springerpresse »Die brutale Welt des Gotenkönigs Theoderich« (Die Welt vom12.11.2018 n. Chr.) erfahren, denn wir glauben nicht, dass die Springerpresse durch die Enkelin Merowechs auch nur mit einer Silbe davon erfahren hat.
Zufrieden lehnt sich Erzbischof Johannes in seinem Stuhl zurück, mehr kann man nicht in diesen unruhigen Zeiten erreichen - als das nicht Erwartete geschieht: Odoaker werde, nachdem er unterschrieben hat, von zwei Goten gepackt und festgehalten, der Waffenmeister (der Hildebrand der Sage[?]– wir wissen es so wenig wie die Welt) reiche dem Goten und künftigen König von Italien ein sehr langes Messer – ob den Eckesax, Mimung oder Nagelring, ob von Wieland dem Schmied oder Mime vom Rhein oder gar Daedalus, wir wissen es nicht, aber nach dem Bericht der Welt packten eben zwei Goten Odoaker und hielten ihn fest. Weitere Bewaffnete eilten herbei, ohne den Wehrlosen anzugreifen. Da – wir wechseln in den Konjunktiv irrealis - träte Theoderich selbst vor und tötete den Kontrahenten mit einem Schwertstreich, der vom Schlüsselbein bis zur Hüfte führte (und damit setzt die Springerpresse auf Ludwig Uhlands Reim „zur Rechten wie zur Linken sieht man einen halben Türken niedersinken“ prosaisch fort) und wir ließen ihn schließen: „Es kann und soll nur einen König geben in Italien!“, und spendet dem Lande nach einem Jahrhundert Wirren und Krieg für eine Generation lang Frieden.
- Quellenangaben
- * beide Zitate aus Achim Engelberg: „Die »Boten des Unglücks«“ in „Blätter für deutsche und internationale Politik“, 6‘21, S. 57 ff., hier S.61
Die brutale Welt des Gotenkönigs Theoderich (https://www.welt.de/geschichte/article183674482/Spaetantike-Die-brutale-Welt-des-Gotenkoenigs-Theoderich.html)
Wolfram, Herwig: Geschichte der Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts, Sonderausgabe, München 1983 -
Standardwerk!, in dem nicht nur die Geschichte, sondern vor allem die Ethnogenese der gotischen Stämme beschrieben wird
im Grunde führt der Text zwo weitere Beiträge von mir fort,
nämlich
Walden 1209 a. u. c. und der Rosengarten der Ildico | Wortkrieger
und
9/11 oder Silvester 406 und der Nibelunge not | Wortkrieger