Hi arc en cliel!
Ich finde Kurzgeschichten müssen sich von Romanen oder Novellen unterscheiden. Das ergibt sich allein schon durch die Tatsache, dass sie -- nun ja -- kurz sind. Ich glaube, dass Regeln zum Schreiben von Kurzgeschichten nicht erdacht worden sind, bevor diese Form der Prosa existierte. Ich glaube eher, dass sie als Folge der Analyse sehr guter Kurzgeschichten entstanden sind. Damit will ich die oberlehrerhaften Regeln, mit denen dieser Thread begonnen hat, nicht verteidigen. Aber wenn ich die "Schnittmenge" aller Texte zum Thema Kurzgeschichte betrachte, finden sich einige Dinge immer wieder. Diese aber so wie unser Oberlehrer oben einfach hinzuknallen ist so sinnlos, als würde man den zweiten Weltkrieg auf "Hitler", "dreißig Millionen Tote", "kalter Krieg als Folge" reduzieren.
Aber in den meisten Kurzgeschichten, die mir gefallen, finde ich immer einiges aus der "Schnittmenge". Gewiss eine Kurzgeschichte mit Rückblenden, mehreren Protagonisten und mehreren Handlungssträngen kann funktionieren. Aber dann muss jeder Satz stimmen, jede Metapher treffen, das Timnig perfekt sein und so weiter. Ich kenne nur wenige Geschichten die das leisten können und immer noch als Kurzgeschichten zu betrachten sind.
Hier sind einige deiner Zweifel und ein Paar Bemerkungen von mir:
>- abgeschlossene Handlung? geht schon nicht bei offenem Beginn und Ende, was ja eines der möglichen Kriterien für KGs ist.
Wieso geht das nicht? Zwischen Geburt und Tod gibt es doch wohl auch abgeschlossene Episoden. In eine Kurzgeschichte taucht man ein, ist einfach da. Was davor ist, interessiert nicht, man will nur wissen, was die nächsten fünf oder zehn Seiten geschieht. Dann entfaltet sich die Geschichte und ist vorbei. Was danach geschieht wird dich auch nicht interessieren. Dafür gibt's den Roman zur Kurzgschichte. Nichts ist für mich schlimmer, als wenn ich jemanden eine meiner Kurzgeschichten vorlese, und der mich dann fragt:" Und, was haben die Beiden dann gemacht?" Dann weiß ich, dass ich Mist gebaut habe.
>- wenn man so zielgerichet schreibt, daß man alle Nebenhandlungen wegläßt, wird es trocken, arm und farblos - wage ich zu behaupten.
und
>- nur eine Begebenheit schildern... wie man es nimmt.
Ich habe einmal eine Geschichte gelesen, in der es um zwei Männer bei einem Schachspiel ging. Sie war unglaublich spannend. Die freudige Erregung in Erwartung eines sicheren Sieges. Die erschütternde Erkenntnis in eine Falle gelaufen zu sein. Die Wut, im Gesicht des Anderen jenen Ausdruck des Triumphes zu lesen, den man in diesem Moment selbst hatte empfinden sollen.
Ich weiß nicht, ob das Ganze das Endspiel der Weltmeisterschaft war, oder eine Partie im Aufenthaltsraum der geschlossenen Psychatrie. Ich weiß nicht, ob der Eine den Anderen nach der Partie erwürgt hat, oder sie zusammen eine Portion Spaghetti Bolognese essen gegangen sind. Es interessiert mich auch nicht. Aber die Beschreibung des Spiels war perfekt.
So, jetzt hab ich aber genug gelabert.
Gerald