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Reststrahlung
Weit draußen in einem großen, dunklen, leeren All ohne Orientierungspunkte schwebt eine kleine antike Sonde. Unter ihrer Karbonitpikororöhrenhülle zucken noch vereinzelt elektrische Impulse durch die Supraleiter und lassen in regelmäßigen Abständen einen Sender elektromagnetische Wellen im Ultrakurzwellenbereich aussenden.
Die Nachricht ist Platz sparend in Elementarer Standardsprache kodiert und damit in der Sprache, deren Grammatik und Vokabular für jedes Wesen mit Grundkenntnissen in Wahrscheinlichkeitslinguistik ohne größere Probleme verstanden werden muss. Sie erzählt eine Geschichte. Die Geschichte des Raumreisenden Taléadas, dessen Weisheit geschätzt und dessen Erfolge berühmt waren.
Die Legenden erzählten von seinem kleinen schnellen Schiff, mit dem er zur Zeit des Skepsiskrieges eine Kolonie der Existenzliga bei einem Angriff durch die Idealhüter verteidigte, so dass einige Existenzialisten überlebten bis ihre Flotte eintraf. Erzählungen der Idealhüter sprachen von einem heiligen Artefakt, das er nur Sekunden vor der Implosion eines Neutronensternes vor der Vernichtung, durch die entstandene Gravitationstrahlung bewahrte. Die Gesellschaft der Realisten sprach von seinem bedeutenden Forschergeist der das Ende der Zivilisation um viele Jahrtausende heraus gezögert haben soll. Doch alle dies sind Geschichten aus besseren Zeitaltern als dem heutigen.
Ich, Taléadas, letzter Wächter des Freien Kreises, hinterlasse diese Sonde dem All, damit sie Zeugnis ablegen kann, wie alles endet, was vor mehr als neunzig Milliarden Jahren begann. Ein letztes Mal habe ich meinen Antrieb an den elektrischen Niveaus eines Neutronensterns aufgeladen, bevor ihn die Kraft des schwarzen Loches zerriss, das er in immer engeren Bahnen umkreiste und ihn schließlich über die Grenze der Raumzeitblase sog, über die schon so viele vor ihm gegangen waren. Dunkelheit umgibt mich.
Kein Stern leuchtet mehr hell in der Galaxie. Kein schwaches Glimmen eines braunen Zwerges erreicht mehr die Sensoren. Es ist viel Zeit vergangen seit die Milchstraße vom Licht Abermillionen hell leuchtender Sterne durchdrungen war. Nach und nach sind sie verbrannt und erloschen. Die Sternleichen eine nach der anderen von schwarzen Löchern gefressen. Einzig das schwache Licht weniger Sterne einer vier Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie erreicht noch die Kollektoren meines Schiffes Paran.
Aber es genügt bei weitem nicht mehr um die Energiereserven stabil zu halten.
Es ist lange her seit ich das letzte Mal mit vollen Antriebs-Akkus fliegen konnte. Ich hatte sie an dem erlöschenden Stern Gorgonea Terza aufgeladen bevor ich ins Zentrum der sterbenden Galaxie geflogen war. Seitdem sind bereits über eine halbe Milliarde Jahre vergangen.
Von da an ging es nur noch bergab. Vor vierhundert Millionen Jahren ist die letzte Dyson-Sphäre um einen künstlichen Stern wegen Energiemangels in das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße gestürzt. Ich hatte bei der Evakuierung einiger Siedler der Gesellschaft auf einen ihrer Kreuzer geholfen. Sie hatten bis zuletzt an einer Lösung des Energieproblems geforscht aber ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört.
Seitdem treffe ich nur noch selten jemanden. Einmal habe ich einige Idealhüter-Pilger in einem Konvoi getroffen. Sie planten sich in eines der schwarzen Löcher zu stürzen um ihren Geist von der niederen Materie und Raumzeit zu lösen und eins mit dem Multiversum zu werden. Das hatten vor ihnen schon viele getan, also versuchte ich gar nicht erst sie aufzuhalten. Das niemand von denen sich je zurück gemeldet hatte, war für sie nur eine Bestätigung. Es ändert jetzt vermutlich sowieso nicht mehr viel. So lange sie nicht wie zur Zeit des Krieges andere dazu zwingen mit ihnen zu kommen, störe ich mich nicht großartig daran.
Nur einmal war ich danach noch jemandem begegnet. Ein schnelles Schiff flog am Rande meiner Sensorreichweite vorbei. Wir unterhielten uns nur kurz um Energie zu sparen. Er war sehr in Eile. Er meinte er habe eine Botschaft von der fernen schwach leuchtenden Galaxie decodiert. Sie arbeiteten an einer neuen Technologie der Energiegewinnung, die aus einer Entzerrung des Raumes Vakuumenergie ziehen könne. Leider wären die zur Aktivierung erforderlichen Energiemengen so gewaltig, dass sie bislang noch keine großen Erfolge erzielt hätten. Aber da die Nachricht vier Milliarden Jahre im All unterwegs war, besteht eine Chance darauf, dass sie mittlerweile eine Lösung gefunden haben. Wenigstens die Leuchtkraft eines künstlichen Sternes mit Fusionsreaktionen am Leben erhalten können. Genug für einen kleinen Hoffnungsschimmer.
Aber ich hatte vorher noch etwas zu erledigen. Ich bin ein wenig altmodisch, sentimental, wenn man so will. Deshalb schleppe ich auch noch diesen Körper im Cockpit Parans mit mir herum. Ein guter Freund, der schon kurz nach dem Krieg den Sektor verlassen hat, hatte einmal behauptet, ich alter Greis würde ihn behalten, weil er mich an die organischen Wesen erinnern würde, von denen wir Forschungen zufolge abstammen. Aber das stimmt nicht. Ich habe nie eines lebend gesehen. Sie starben vor meiner Zeit. Auf ein holographisches Abbild aus dieser Zeit hatte ich einmal einen Blick werfen können und es sind wahrlich seltsame Wesen. Zerbrechliche Wesen, aus heutiger Sicht, aber vermutlich zweckmäßig.
In Wirklichkeit schleppe ich diesen Körper mit mir herum, weil ich einmal viel für ihn bezahlt habe. Ich finde ihn sehr schön, elegant. Er ist sehr filigran gearbeitet.
Als es noch vereinzelt Asteroidenfelder gab, hatte ich mir hin und wieder eine Pause gegönnt und meinen Geist aus dem Zentralcomputer in diesen Körper transferiert. Es gibt kaum etwas schöneres, als in der leichten Hülle eines mechanischen Körpers auf einem Asteroiden zu wandern und das Prickeln von Neutronenstrahlung auf den ultraempfindlichen Sensoren der Titanfaserhaut zu spüren. Wenn man mit seinen optischen Sensoren die Umgebung betrachtet, vergisst man alle Energiesorgen und gerät ins Schwärmen. Das Leuchten eines Pulsares durch einen roten Nebel, wie ich es aus meinen jungen Jahren kenne, ist mit nichts in der Welt zu vergleichen. Man fühlt sich klein. Aber man beginnt die die Welt auf eine metaphysische Weise zu fühlen, wie es kein Algorithmus erklären kann.
So ist es auch mit der Schrift, die ich einmal gefunden hatte. Die Pilger hatten sie für heilig erklärt und wollten sie mir unbedingt wegnehmen. Ich hatte sie in dieser Sonde versteckt.
Eine dünne Schrift, kaum fünfzig Seiten lang, gedruckt auf Cellulosefasern. Verfasst von einem Lukas. Eine Geschichte voller Könige, Geister, höherer Wesen, Freundschaft und Verrat. Die Geschichte eines Mannes, der Gutes in die Welt bringen wollte, sein Leben, von der Geburt bis zu seinem Tod. Die Seitenzahlen stimmen nicht überein, scheint also nur Teil eines größeren Werkes zu sein, das die Zeit vergessen hat.
Ich habe mich nie großartig damit beschäftigt, trotzdem hat sie mich berührt. Wenn ich mich jetzt aufmache für die nächsten vier Milliarden Jahre an der Grenze zur Lichtgeschwindigkeit auf diese Galaxie zu zufliegen und zu beobachten wie die Sterne einer nach dem anderen erlöschen, bevor ich sie erreiche, werde ich sie analysieren. Vielleicht ist dies das Ende.
Wenn jemand diese Nachricht erhält, wünsche ich ihm viel Glück. Es sind harte Zeiten in denen wir Leben, aber wir werden nicht aufgeben. Vielleicht bedeutet euch diese Botschaft etwas.
Weit draußen in einem kalten, leeren All ohne Orientierungspunkte schwebt eine kleine antike Sonde. Unter ihrer Karbonitpikororöhrenhülle zucken noch vereinzelt elektrische Impulse durch die Supraleiter als sie in den Gravitationsstrudel des schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße gerät, wo sie in ihre Molekularstruktur zerfällt und in eine Welt jenseits von Raum und Zeit gezogen wird.