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Revenge - 27.7.1943

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23.10.2008
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Revenge - 27.7.1943

Seine junge Frau sitzt vor einer Palme in einem Sommerkleid mit ihrem gemeinsamen Sohn auf dem Arm. Das Bild ist an den Rändern schon ausgefranst. Er steht daneben, stolz, mit der Uniform und der silbernen Schwinge auf der Brust.

Er streicht mit dem Daumen über die drei Gesichter, dann steckt er das Bild umständlich zurück in die Kartentasche, denn die gefütterten Lederhandschuhe vermitteln kaum Gefühl in den Fingerspitzen.

„20 Minuten bis zu Abwurf, Jungs!“, knarrt die Stimme des Piloten in seinem Kopfhörer.

Vor sich hat er das klobige Bombenvisier, er liegt dahinter auf dem Bauch. Durch die Plexiglas-Fenster links und rechts im Rumpf und durch die große, rundliche Nase sieht er weit unter sich die dunkle Landschaft schemenhaft dahingleiten. Man kann Wälder, Straßen und Gewässer erahnen, Fabriken und Ortschaften, denn der Mond taucht alles in ein schwaches, aber gleichmäßiges Licht. Wolkenfetzen unterbrechen diesen Anblick immer wieder für ein paar Momente.

„15 Minuten bis zum Abwurf!“, tönt es in seinen Ohren und er schreckt hoch.

In der Maschine vermischen sich die Gerüche aus Benzin, Öl und Abgasen. Das Flugzeug schaukelt, bewegt sich auf und ab in unsichtbaren Luftlöchern, aber die vier Propeller fressen sich weiter unaufhörlich durch die eisige Luft. „Zum Glück noch keine Flak. Hoffentlich bleiben uns heute die verfluchten Jäger von Hals.“, denkt er und versucht zur Ablenkung die anderen Bomber draußen zu erkennen, die zu Hunderten mit ihnen in der Luft sind. Mit etwas Glück sieht man kleine, bläuliche Flammen, die aus den Auspuffrohren der 12-Zylindermotoren züngeln. Dabei fällt ihm trotz der Dunkelheit auf, dass die runde Plexiglas-Nase vor ihm viele feine Risse außen an der Oberfläche hat, durch die kleine Wassertropfen wie in Bahnen laufen. Der Fahrtwind presst sie blitzschnell nach hinten, bis sie verschwunden sind. „Ein schönes Bild“, sagt er leise. Ihm ist kalt.

„Noch zehn Minuten bis zum Abwurf!“

Die Motoren dröhnen weiter sonor, er kann ihre Kraft förmlich hören. In der Ferne ziehen Leuchtspurgeschosse am Himmel entlang. „Nicht für uns“, geht es ihm durch den Kopf und er muss lächeln. „Heute Nacht nicht, ihr Banditen.“

Unterhalb des Horizonts ist mittlerweile die Stadt zu erkennen. Das heutige Ziel ist eigentlich nur eine unregelmäßige Fläche aus lauter kleinen, hellen Feuern. Manche haben sich offenbar schon zu größeren Bränden vereint. Dazwischen kann man im Wiederschein der Flammen einen Fluss erahnen, der sich durch das Inferno schlängelt. Die erste Welle muss ganze Arbeit geleistet haben, außerdem braucht man so auch gar keine Zielmarkierungen mehr.

Er sieht plötzlich Bilder seiner Tante vor sich, wie sie mit ihrem ausgefallenen Hut neben der Glasschale mit den Bonbons steht. Aus dieser Schale auf dem Tisch im Wohnzimmer hatte er sich als Kind mit ihrem lächelnden Segen immer so gerne und reichhaltig bedient. Man hat sie erst Tage nach einem Luftangriff aus ihrem eingestürzten Haus gezogen. Stolz, wie sie war, hatte sie sich immer entgegen der offiziellen Anordnung geweigert, in den halbwegs sicheren Schutzkeller zu gehen.

Von draußen kommt mittlerweile Brandgeruch hinein, wie von schwelenden Holz. Trotz der Sauerstoffmaske kann er das deutlich riechen.

"Da unten sind vermutlich überall Frauen und Kinder. Die Stadt ist schließlich groß. Ob sie dort im Luftschutzkeller sitzen, zusammengekauert in ihrer Angst, hinter meterdickem Beton? Oder ob sie wie meine Tante unerschütterlich in ihren Häusern und Wohnungen ausharren, bis der ganze Spuk vorbei ist?" Er will diesen Gedanken schnell wieder vergessen, denn er ärgert ihn. „Sollen die da unten doch sterben, was kümmert es mich denn? Sie sind ja auch mit Schuld am Tod meiner Tante“, murmelt er von sich hin.

„Noch fünf Minuten bis zum Abwurf!“

Plötzlich explodieren Granaten. Kleine orange-rote Flecken verteilen sich über den ganzen Nachhimmel, blitzen kurz auf und verschwinden dann wieder. Die krachenden Explosionen der Flak in der Nähe schütteln das behäbige Flugzeug immer wieder durch. Er hatte zuvor die ganzen Maschinen am Boden gesehen, die von den Splittern getroffen wurden und auch die anderen Besatzungsmitglieder, die man oft genug aus den Wracks herausgeholt hatte, die es gerade noch so zurückgeschafft hatten – blutüberströmt und leblos, in 20000 Fuß Höhe zerfetzte Überreste von jungen Männern in gelben Schwimmwesten und grauen Uniformen, mit dicken Handschuhen und Stiefeln. Manchmal fehlten auch ganze Teile der Flieger und die armen Teufel waren durch große Löcher im Aluminium einfach in die kalte Nacht herausgerissen worden. Die galten dann wenigstens als vermisst und nicht als tot. Er denkt sofort an seinen Vater. Handelsmarine, schon vor dem Krieg. Sein Kohledampfer war vor fast zwei Jahren auf eine Seemine gelaufen; sein Vater gilt seit diesem Tag auch als vermisst. Für ihn und seine Mutter macht das aber keinen Unterschied – vermisst oder tot. Dad ist weg und kommt nie wieder. Er robbt etwas nach vorne, blickt direkt nach unten am Bombenzielgerät vorbei und brüllt in die Plexiglasnase hinein: „Auch daran seid ihr schuld! Fahrt zur Hölle! Meinetwegen könnt ihr alle verbrennen, verdammte Bastarde!“ Die Worte verhallen ungehört im Motorenlärm.

„Zwei Minuten bis zum Abwurf! Bombenschütze, übernehmen Sie!“. Die Stimme im Kopfhörer klingt nervös.

Die Bomben fallen kurz darauf aus dem Rumpf und das Flugzeug macht einen spürbaren Satz nach oben, erleichtert um das Gewicht von ein paar Tonnen todbringender Last. Der Pilot dreht ab und fliegt eine lang gestreckte Linkskurve. Unten sieht man die ganzen Brände noch deutlicher, Abertausende weiß-gelbe Tupfen vor einem schwarzen Hintergrund. Der Brandgeruch, der sich in seiner Nase festsetzt, ist jetzt unangenehm und intensiv.

Das Feuer der Flugabwehr wird schwächer. Sie fliegen nun über dem offenen Meer. Lange blickt er auf die sich bewegenden Spiegelungen des Mondes im Wasser unter sich. Er schüttelt dann mit dem Kopf und sagt langsam: „Was – für – ein - Wahnsinn.“

Währenddessen schiebt sich unbemerkt ein Nachjäger von hinten an den schweren Bomber heran. Auch der Heckschütze hat keine Ahnung von der grauen Maschine mit den dunklen Punkten auf dem Rumpf und den Flächen. Wie ein Schatten verfolgt sie ihr Opfer. Bei Tageslicht sieht dieses Flugzeug fast aus wie ein Haifisch, wäre da nicht die große, stachelige Antenne an der Nase. Geduldig hatte der Pilot des Jägers den Himmel abgesucht, nachdem auf dem Radar Feindflugzeuge zu sehen waren. Er sieht jetzt klar die kleinen, bläulichen Flammen vor sich, zum Greifen nah.

Auch der feindliche Flieger hat ein Foto an sein Instrumentenbrett geklemmt. Darauf ist er selbst zu sehen, zusammen mit seiner Frau und ihren beiden Töchtern. Sie alle stehen vor einer kleinen Holzhütte auf einer Wiese und halten frisch gepflückte Blumen in den Händen.​

 

Hallo @Torqueflite =)

wahrscheinlich wird jeder aus seinem "Lese-Grund" deinen Text wahrnehmen und Verschiedenes schätzen und gewichten. Mir scheint es, dass du die Tragik des instrumentalisierten Menschen im Krieg darstellen möchtest; Menschen, die sich doch so ähnlich sind, und doch töten sie einander, zerstören ihre Städte gegenseitig. Sie machen es einfach (oder auch schwierig) ohne dass es eine logische, sinnvolle, ethisch widerspruchsfreie und menschenfreundliche Erklärung gibt, warum sie es tun. Nur, dass sie Teil eines Systems sind, das Töten honoriert und für notwendig hält, warum auch immer. Ein Thema, mit dem sich, denke ich, schon jeder auseinandergesetzt hat. Am Ende bleibt ein Akzeptieren dieser Sinnfreiheit. Diese Resignation vor der Reduktion des Menschen auf Freund, Feind, Töten und Getötet werden.

Was mir aber ein bisschen fehlt, ist das Ungewöhnliche. Du beschreibst viel, aber du bestätigst das Bild, das ich mir vorstelle, wenn ich Bombenangriff lese. Wie gesagt, mag bei anderen anders sein. Das macht deinen Text nicht schlecht, ich kann das auch nicht bewerten, überhaupt nicht. Aber er enthält eben (für mich) nicht die Tiefe oder die Tragik, die Form schafft nicht das, was du, glaube ich, willst. Ich hoffe, ich klinge nicht zu hart. Und wie gesagt: Es ist meine Meinung, nur meine, nicht die der anderen.

Das Bild ist an den Rändern schon ausgefranst. Darauf sitzt vor einer Palme seine junge Frau in einem Sommerkleid mit ihrem gemeinsamen Sohn auf dem Arm. Er steht daneben, stolz, mit der Uniform und der silbernen Schwinge auf der Brust. Er hat seinen Arm um sie gelegt.
Ja, so stellt man sich das eben vor. Oder so, glaube ich, stellt sich das jeder vor. Das "Darauf" kannst du streichen, ich weiß ja, es geht um das Bild. Ein Satz wie "Er hat seinen Arm um sie gelegt" brauchst du, denke ich, auch nicht erwähnen. Das "stolz" ist sehr wichtig, weil du damit die Haltung des Piloten zu seiner Arbeit beschreibst. Ist er wirklich stolz? Oder gibt es vielleicht in seinem Gesicht ein Detail, das verrät, dass hier jemand schauspielert oder etwas vorgibt? Etwas vortäuscht? Hier beginnt, glaube ich, das Ungewöhnliche, das Unscharfe. Dein Text ist sehr klar geschrieben, die Bilder sind gesetzt. Spontan hätte ich mit dem zweiten Satz begonnen, ohne "Darauf". Oder du bleibst bei der jungen Frau, beschreibst ihre Wirkung, ihren Ausdruck, irgendein Detail. Erst dann, achso, erfährt der Leser, dass ein Foto ist betrachtet wird.
Behutsam streicht er mit dem Daumen über die drei Gesichter, dann steckt er das Bild umständlich zurück in die Kartentasche, denn die gefütterten Lederhandschuhe vermitteln kaum Gefühl in den Fingerspitzen.
Scheint für mich widersprüchlich; kaum Gefühl und doch behutsam? Also versucht er, behutsam zu streicheln?
Vor sich hat er das klobige Bombenvisier, er liegt dahinter auf dem Bauch. Durch die Plexiglas-Fenster links und rechts im Rumpf und durch die große, rundliche Nase sieht er weit unter sich die dunkle Landschaft schemenhaft dahingleiten. Man kann Wälder, Straßen und Gewässer erahnen, Fabriken und Ortschaften, denn der Mond taucht alles in ein schwaches, aber gleichmäßiges Licht. Wolkenfetzen unterbrechen diesen Anblick immer wieder für ein paar Momente.
Ja, leider stelle ich mir das so vor. Das stimmt alles, klar, aber es geht hier nicht ums Stimmen. "Die Sonne ist heiß" ist so ein Satz, der einfach nichts aussagt. Er beschreibt die Hitze der Sonne. Wenn ich aber in einem Planetensystem lebe, in dem Sterne grundsätzlich kalt sind, wird "Die Sonne ist heiß" für die Leser dieses Planetensystems ein interessanter Satz. Okay, jetzt bin ich sehr albern, entschuldige.
"Da unten sind vermutlich überall Frauen und Kinder. Die Stadt ist schließlich groß. Ob sie dort im Luftschutzkeller sitzen, zusammengekauert in ihrer Angst, hinter meterdickem Beton? Oder ob sie wie meine Tante unerschütterlich in ihren Häusern und Wohnungen ausharren, bis der ganze Spuk vorbei ist?" Er will diesen Gedanken schnell wieder vergessen, denn er ärgert ihn. „Sollen die da unten doch sterben, was kümmert es mich denn? Sie sind ja auch mit Schuld am Tod meiner Tante“, murmelt er von sich hin.
Leider klingt dieser Abschnitt für mich sehr schulisch und pädagogisch. Auf der anderen Seite sind also auch Menschen. Aber die Menschen sind ja Schuld am Tod der Tante. Also ist es in Ordnung, diese Menschen zu töten. Aber was kann denn ein kleines Kind für das politische System, das den Krieg begonnen hat? Leider haben solche moralischen Dilemmata einen großen Nachteil: Sie sind, glaube ich, schulisch abgenutzt. Man kennt sie einfach. Man hat sich vielleicht auch mal gefragt, wie man selber handeln würde, aber ist man je zu einer befriedigenden Antwort gelangt? Nein, nicht wirklich. Irgendwann akzeptiert man die eigene Instrumentalisierung durch andere und anderes.

Ich habe mich hier an Schlachthof Nummer 5 von Kurt Vonnegut erinnert gefühlt (er war ein us-amerikanischer Soldat, der im Dezember 1944 in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet, im Dresdner Schlachthof Zwangsarbeit leisten musste und von dort die Zerstörung der inneren Stadt überlebte). Er erwähnt auch das Dilemma, das du ansprichst. Er beschreibt es aber anders, er beschreibt das Öffnen der Bunker und provisorischen Luftschutzkeller durch Kriegsgefangene, in denen Frauen und Kinder starben. Er beschreibt, wie sie starben, nicht wodurch oder wofür. Nicht durch Bomben, sondern durch einen Sauerstoffentzug in der Dunkelheit, er beschreibt das Kochen von Körperteilen und den Geruch frisch siedenden Urins über glühendem Backstein, am Mittag nach der Bombennacht. Er erwähnt Kalk und eine frühe Mittagspause (worüber sich die Gefangenen freuen), weil das Kopfsteinpflaster noch zehn, zwölf Stunden ausglühen muss. Er beschreibt schwarzes Glas, das sich in Textilfasern verfängt (ich hoffe, ich erinnere mich richtig). Das ist sehr intensiv geschildert, viel zu intensiv. Ich glaube, dass diese intensiven Details einfach für ein Thema wie deines sehr wichtig sind. Das exakte Auge, das Detailauge, das nicht nur Bomben und Feuer sieht. Und erst recht keine Zerstörung, denn Zerstörung verlangt nach etwas, das zerstört wird, und das könntest du beschreiben.

Lieber (oder liebe?) @Torqueflite,

das war wirr und kritisch, eine sehr doofe Mischung. Wie gesagt, jeder liest den Text anders. Ich hoffe, ich war nicht zu hart.

Lg aus Leipzig
kiroly

 
Zuletzt bearbeitet:

@kiroly

Vielen lieben Dank für die sehr ausführliche Auseinandersetzung mit meinem Text. :thumbsup:

Nein, zu hart ist/war das nicht, Du hast es ja treffend beschrieben - jeder liest es vor dem Hintergrund eigener Konzepte und Erwartungen. Du hast Deine nachvollziehbar dargelegt und ich werde durchaus Aspekte abändern, schließlich "brodelt" man ja immer nur im eigenen Saft und sieht vieles gar nicht.

Und ja, es ist ein komplexes und schwieriges Thema, das stimmt absolut. Ich habe mich schon seit meiner Jugend immer wieder mit dem Thema Krieg auseinander gesetzt (und vieles verschlungen, was es an Literatur gibt) und war zudem für einige Jahre selber Soldat, daher habe ich für den Bereich halt ein Faible, wenn man das so sagen darf.

Mal schauen, was das Setting noch so zulässt.

Grüße

DER T. :D

 

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