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Ronja
Ich hatte meine braune Bomberjacke angezogen, die abgewetzte, die mit den Patches und dem kaputten Reißverschluss. Am U-Bahnhof Eberswalder Straße stieg ich aus. Ich schüttelte mich vor Aufregung. Wenn das heute klappte, würde aus mir doch noch ein Star werden. Ein Jobpraktikum bei ‚Indigo‘, dem vielleicht coolsten Label der Stadt. Shepheard Will, Thorben Saßnitz und Preload. Meine Helden. Ihr Name, Ronja. Scheinbar war sie Labelchefin, noch nie was von ihr gehört. Wir hatten Mails ausgetauscht und schließlich hatte sie mich eingeladen. Allein das hatte mich gekickt wie sonst was. Betrunken vor Euphorie spazierte ich ins Indigo-Studio – gewöhnliche Büroräume, dunkel, kalt. Wirklich: An einem der Schreibtische saß Preload selbst, das Idol! Ich konnte es kaum fassen, ihn mal woanders als hinterm DJ-Pult zu sehen. Weiter vorne ein Mädchen, lächelnd.
„Theo?“, fragte sie.
Ich nickte. „Bist du Ronja?“
Preload sah kurz in unsere Richtung und wieder auf seinen Bildschirm. Wahrscheinlich schraubte er gerade an einem neuen Track. Er wirkte übellaunig.
„Warum willst du hier Praktikum machen?“, fragte er.
„Also ich mag eure Musik, also Indigo, außerdem … kennt ihr Ulmann Kowicz?“
Beide schüttelten den Kopf. Ronja während sie mich ansah.
„Einer der geilsten Typen. Wir machen so Parties.“
„Aha“, sagte Preload, ohne die Augen vom Bildschirm zu lassen.
„Ihr macht ja auch Parties und so, deswegen …“
„Ja, ich glaube, wir sind da bestens aufgestellt“, sagte Preload.
Ronja lächelte, als könnte das davon ablenken, dass Preload mich wahrscheinlich hasste.
„Wir gehen mal ein bisschen spazieren, Timo“, sagte sie zu Preload.
„Mach dir keine Gedanken. Der ist immer so.“
„Wirklich?“
„Wollen wir uns was zu trinken holen und Sandwiches?“, fragte Ronja.
„Du bist die Labelchefin. Ich mach alles, was du sagst.“
Ronja grinste und ich lächelte.
Wir gingen durch den Kollwitzkiez, kauften Sandwiches und Getränke und setzten uns in irgendeinen Park. Das Ganze war auf eine Art persönlich, die sich weniger nach Bewerbungsgespräch und viel mehr nach Date anfühlte. Seit den ungefähr zwanzig Minuten, die wir unterwegs waren, achtete ich auf jede Bewegung, wollte nur im besten Licht stehen, die Gedanken, die Ronja über mich haben würde, steuern, sie denken lassen, dass ich jemand Besonderes war, jemand seltsam Attraktives, in den sie sich heimlich bei einem Bewerbungsgespräch verknallte.
Ronja erzählte von einer Freundin, die in irgendeinem Laden arbeitete, von der Seltenheit entspannter Momente und der Schwierigkeit mit dem Rauchen aufzuhören. Ich hatte nicht danach gefragt. Fast kam es mir vor, als gäbe Ronja sich absichtlich Mühe, möglichst normal zu wirken, tiefzustapeln. Aber weshalb? Wäre ich in ihrer Rolle gewesen, wahrscheinlich hätte ich die ganze Zeit damit angegeben Labelchefin zu sein. Nichtsdestotrotz verlieh ihr diese Zurückhaltung etwas Anziehendes – dazu kam nicht unwesentlich, dass ich seit einigen Minuten zu verstehen versuchte, warum mir diese Mulde zwischen ihrer Nasenscheidewand und Oberlippe so überaus perfekt erschien. Ronja hatte schwarze, mittig gescheitelte Haare, schwarze Augen, schwarze Augenbrauen und einen fast weißen Teint. Nur ihre blassroten Lippen verliehen dem Gesicht Farbe.
„Wie alt bist du eigentlich?“, fragte ich.
„Neunzehn.“
„Was bitte?“
Ronja grinste.
„Ich fass es nicht. Wir sind gleich alt und du bist eine verdammte Labelchefin.“
„Stimmt. Ist aber nicht so rosig, wie du es dir vorstellst. Ich hatte keinen Abschluss. Bin einfach in die Stadt gekommen, weg von zu Hause, mit nichts. Hätte genauso gut schiefgehen können.“
„Und dann?“, fragte ich.
„Hab ich Timo kennengelernt. Damals war Indigo richtig klein und eigentlich waren das nur eine Handvoll Skater, die eben auch Musik gemacht haben.“
„Und wie konntest du deren Chefin werden?“
„Ich kann eben gut organisieren. Und wer Geld verdienen muss, gibt sich Mühe. Ich bin nicht viel, aber ein bisschen ehrgeizig schon.“
„Ziemlich beeindruckend“, sagte ich.
Wir saßen so nah beieinander, ich konnte das Puder auf ihrer Haut riechen, den Duft ihres Shampoos.
„Darf ich einen Schluck von deiner Cola haben?“, fragte ich. Etwas gab mir das Gefühl, das fragen zu dürfen.
„Klar. Kannst ruhig meinen Strohhalm benutzen. Darf ich einen Schluck von deiner Sprite?“
„Klar.“ Ich ließ mir nichts anmerken, doch die Vorstellung, dass ihre Lippen diesen Strohhalm berührt hatten, erschien mir wahnsinnig erotisch.
Von sich aus erzählte Ronja vom Stress, den es bedeutete, für Shows, Booking und Vertrieb ihrer „musikalisch genialen Riesenbabys“ verantwortlich zu sein. Auch dass sie unter Panikattacken litt, mit siebzehn ein Magengeschwür gehabt hatte und es aktuell mit Entspannungsmusik und Räucherstäbchen versuchte.
„Hatte mal was Ähnliches“, sagte ich. Und dann belaberte ich sie mit meiner scheinbaren Expertise und angeblichen Entspannungstechniken. Ich hätte ihr sonst was erzählt. Sicher nicht zu Unrecht fühlte ich mich neben ihr wie ein Zwerg, wenngleich ich sie um einen Kopf überragte.
An diesem Nachmittag stellte Ronja mich auch Shepheard Will und Thorben Saßnitz in einem Plattenladen vor, wo die beiden abhingen.
„Der neue Praktikant“, sagte sie locker und mir ging einfach die Pumpe. Ronjas Wort in Gottes Ohr! Das wäre der Anfang meines neuen Ichs.
Drei Tage später erfuhr ich, dass es ‚nicht ihre Entscheidung‘ gewesen wäre. Zwar hätte sie das letzte Wort, aber wenn einer der drei kein gutes Gefühl bei der Sache hätte – natürlich verriet sie nicht, wer, lag ja eh auf der Hand – dann wollte sie keinen Ärger anzetteln. Es wäre für alle das Beste, wenn ich mir erst mal woanders ein Praktikum suchte. Muss ich erwähnen, wie sich das anfühlte? Da schloss sich nicht nur eine Tür, genau genommen, waren es zwei.
Eine Woche später fragte ich meinen besten Freund, ob es unfair wäre, sich in ein Mädchen zu verknallen, wenn man eigentlich in einer Beziehung war.
„Ich glaube, dass ist kein Problem“, sagte er.
„Soll ich es Ida erzählen?“, fragte ich.
„Nein, besser nicht. Manchmal muss man was für sich behalten können.“
Drei Jahre behielt ich die Sache für mich. Mittlerweile lebte ich in München und Ida, vor der ich die Sache geheim gehalten hatte, interessierte sich längst nicht mehr für meine Angelegenheiten. Ich war frei, unglücklich und gerade noch Anfang zwanzig. Auf Facebook schrieb ich Ronja eine Nachricht und wie aus dem Nichts waren wir für nächsten Freitag verabredet.
Als ich nach einer Zugfahrt und einigen S-und-U-Bahnstationen im Kollwitzkiez ankam, war es dunkel. Ich stand dort, pustete graue Wolken und schüttelte mich vor Aufregung. Endlich kam sie.
In einem super hippen Restaurant gingen wir eine Suppe essen. Alles hier war bio, besonders der Kellner. Ich nutzte das, um mich über ihn und überhaupt den Prenzlauer Berg lustig zu machen. Das war sicher keine tolle Strategie, aber sie zog. Wir lachten, ich war so aufgeregt und trotzdem fand ich gute Worte.
„Der ist privat auf jeden Fall Birkenstock-Träger“, sagte ich.
„Ach ja? Woran erkennt man das?“
„Hast du nicht den Bart gesehen?“
„Einfach nur ein Schnauzer, oder?“, flüsterte sie.
„Nein! Das ist absolut ein Birkenstock-Bart!“
Ronja zog einen Mundwinkel hoch und dann den anderen.
Irgendwie hatte ich einen Lauf, es klappte, obwohl ich mich wie ein lustiger Barde aufführte, der um die Hand einer Königstochter buhlte. Wie ein Seiltanz. Mit Geschick zu meistern, aber bestimmt kein Dauerzustand. Als die Rechnung kam, zahlte jeder für sich. Ich hatte gehört, dass es beknackt war, Frauen zum Essen einzuladen.
Wir liefen zum Edeka, um Zigaretten und Bier zu kaufen und weil Ronja noch eine Zeitung brauchte, um daraus einen Weihnachtskalender zu basteln – ich verstand nur Bahnhof.
Wir rauchten, tranken und hatten uns – wie das auch gekommen war – untergehakt. Ich war schon länger nicht mehr ich. Nur so ein Typ, bei dem es unwahrscheinlich lief und durch dessen Augen ich nun einmal zufällig die Welt sah. Als wir vor einer Haustür angekommen waren, fragte Ronja, ob ich noch mit hochkommen wolle. So schnell wie mein Kopf nickte, konnte ich das überhaupt nicht mitgeschnitten haben.
Der Raum und die spärlich aufgestellten Designermöbel verrieten, dass Ronja nicht reich, aber doch werktätig war. Keine Studentenbude.
Sie legte ihren Mantel ab, setzte Wasser auf und breitete die Zeitung aus.
„Hilfst du mir?“, fragte sie und nahm meine Hand. Ihre Finger waren kalt und glatt wie polierter Stein. Ich fühlte mich so unwohl wie selten.
Alles an Ronja strahlte Stil und Coolness aus, während alles, was hinter meiner herausgeputzten Fassade steckte, ein etwas zu dicker Bauch und zwei langsam zu riechen beginnende Achseln waren. Der Kalender erschien mir ungefähr das Süßeste zu sein, das ich je gesehen hatte. Er bestand aus etwa zwanzig Zigaretten und ein paar Schokoladentäfelchen, die wir nun Stück für Stück in Zeitungspapier wickelten. Ich hätte heulen können, so sehr berührte mich dieser Kalender auf eine mir nicht erklärliche Weise.
„Mach ich jedes Jahr, seit ich in Berlin bin“, sagte sie, während ich aus unerfindlichen Gründen innerlich starb.
Als sie mir und sich Tee eingegossen hatte, rückte sie ein Stück näher und jetzt sah sie mich aus ihren kaffeeschwarzen Augen an.
„Mit mir ist heute nicht mehr viel anzufangen.“
„Oh, kein Problem“, sagte ich.
„Wir können einen Film schauen, wenn du willst – aber ich glaub, ich schlaf gleich ein. Wenn du magst, kannst du hier übernachten, aber du kannst auch einfach gehen. Wie du willst.“
„Lass uns einen Film schauen“, sagte ich.
Es schien das Natürlichste überhaupt zu sein, dass sie ihre Hose auszog und ich meine Hose auzog, dass sie unter das weiße Federbett stieg und ich unter das weiße Federbett stieg.
„Was wollen wir schauen?“, fragte sie.
„Mir egal“, sagte ich.
Wir schauten einen Thriller. Ronja sagte, sie liebe Thriller. Thriller wären sowieso das Beste zum Einschlafen. Ich war dazu übergegangen, alles was sie sagte, mit einem nervösen Lachen oder irgendeinem Satzfragment zu beantworten. Der Plot war sicher gut und mir unfassbar, also wirklich unbegreiflich egal. Während Ronja immer ruhiger atmete, also gar nicht geblufft hatte, lag ich wach wie ein Erdmännchen, dass auf ein Rudel anderer Erdmännchen aufpasste. Vor allem hatte ich eine ziemliche Erektion. Warum verfolgte ich nicht einfach den scheiß Plot? Ich richtete mich auf, wobei ich die Decke wegzog, entschuldigte mich, zuppelte an meinem T-Shirt und legte mich zurück. Löffelchen, ohne sie mit meinem Ding zu berühren, dann wieder auf den Rücken. Nur einschlafen lassen durfte ich Ronja nicht. Wenn das geschähe, würde sie es sich morgen im Tageslicht besehen noch einmal anders mit mir überlegen. Meine Socken juckten, die Zehen waren kalt, feucht und ganz sicher waschbedürftig. Gerade wurde im Film ein Mann mit einer Axt zerlegt. Wortwörtlich. Ich ahnte, dass Ronja soeben meine Erektion gespürt haben musste. „Sorry“, flüsterte ich. Ungefähr fünfzehn weitere Minuten vergingen und in mir wechselten Hunger, Erregtheit und der unbedingte Wunsch, Ronja am Leben halten zu wollen.
Irgendwann, wahrscheinlich nachdem ihr meine latente Unruhe ausreichend auf die Nerven gegangen war, drehte sie sich zu mir, legte ihre Hand auf meine Brust und küsste mich einfach. Ich fühlte mich wie ein bedürftiger Hund – ihr Kuss kam mir wie ein reiner Akt der Gnade vor. Trotzdem versuchte ich etwas herauszuholen. Während ich die Achselhöhlen möglichst verschlossen hielt, begann ich sie dort zu berühren, wo sie mich berührte. Meine Hand streichelte ihren Hals, durchkämmte ihr Haar. Fast wie ein Schweben. Für einen Augenblick wurde ich ruhiger. Ihre Hand strich über meine Hüfte, daran entlang und legte sich – ohne eine Vorwarnung – mitten auf die Stelle. Während ein Schwarm elektrischer Aale durch meinen Körper zuckte, bewegten ihre Finger sich weiter, ertasteten die Konturen, die sich unter dem Stoff meiner Boxershorts abzeichneten und weiter oben zur Erhebung wurden. Ihre kalten Fingerspitzen schoben sich unter den Stoff. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, wollte nicht, dass sie aufhörte, war nicht mehr in der Position, mich überhaupt zu rühren. Ihre Hand schloss sich, drückte, bewegte sich auf und ab – sie küsste mich, den Hals, die Brust, ich fühlte ihre Zunge auf meiner Hüfte. Soeben hatte ich meinen Namen, meine Postleitzahl vergessen. Nur noch das Schließen ihrer Lippen fühlte ich und wie alles plötzlich warm und weich wurde. Langsame, gleitende Bewegungen, alles, was ich spürte, war unablässige Wärme. Dann unterbrach sie sich, wieder küsste sie mich. Ich wollte meine Hand in ihren Slip stecken, doch sie schob sie beiseite.
„Ich bin echt ziemlich kaputt“, sagte sie. „Vielleicht …“
„Auf jeden Fall“, sagte ich schnell.
Ich lag so wach wie zehn Erdmännchen. Es zog – ein Gefühl zwischen Pinkeln- und Ejakulierenwollen. Unauffällig berührte ich mich selbst. Warm, geschwollen. Bewegte die Hand ein, zwei Mal auf und ab.
„Kann ich noch mal zum Späti und mir ein Bier holen?“, fragte ich. „Bin irgendwie ziemlich aufgekratzt.“
„Klar“, sagte sie.
„Ach egal. Ich lass es.“
„Wie du magst. Aber ich muss jetzt wirklich bald schlafen.“
„Klar“, sagte ich.
Eine ewige halbe Stunde später küssten wir uns wieder. Vielleicht war es doch nicht vorbei. Dieses Mal führte sie meine Hand von selbst zu sich. Eigentlich war ich raus, völlig überspannt, ein Nervenbündel und seidener Faden. Ich rieb ihre Klitoris, hatte alles verlernt – gesetzt, ich hatte jemals etwas gewusst.
„Ich bin irgendwie verloren“, sagte ich.
„Nicht schlimm.“ Sie küsste mich und ich konnte nicht umhin, mich wie ein Vorschüler zu fühlen. Warum war Ronja so verdammt lässig? Im Grunde war das alles vorgegriffen – hätte ich nicht diese scheiß Nacht warten können? Ich kannte Ronja doch nicht mal und fühlte mich bereits so unglücklich verliebt, so unglücklich. Oder war das nur eine Form von Geilheit? Sie ließ mich ihren Slip ausziehen und dann suchte sie wirklich nach einem Kondom. Ihre Finger rissen die Folie auf, legten es vorsichtig an und rollten es gleichmäßig herunter. Ein unkontrollierter Impuls. Ich spürte, ein winziges bisschen, zuckte. Ronja kam über mich. Ich hatte doch nichts getan. Wo kam das her? Warum war sie plötzlich so?
„Warte“, sagte ich.
„Was?“, fragte sie.
Ich drehte sie auf den Rücken. „Ist einfach zu intensiv.“
Sie schwieg, also küsste ich sie, küsste ihre Brust, tiefer, die Innenseiten ihrer Schenkel. So richtig wusste ich nicht, was ich tat. Meine Zunge kreiste, baute Druck auf, drang ein, strich, umspielte, kreiste wieder, baute Druck auf. Ronjas Hand kraulte meinen Kopf. Ihr Körper war zierlich fast, ohne das etwas daran fehlte. Sie zog mich an den Haaren hoch – ich wusste, dass ich mich nicht entziehen konnte.
„Bitte“, sagte sie nur und ich drang in sie und wusste im selben Augenblick, dass die Sache gelaufen war. Alles bäumte sich auf, meine Hände griffen leer. „Warte“, sagte ich noch, aber kam nicht gegen mich an. Ich gab auf, versuchte keine Miene zu verziehen. Endlich schmiss ich mich auf die Seite.
„Sorry, bin übel müde“, sagte ich.
„Wie jetzt?“
„Tut mir leid, ich glaube, ich kann nicht.“
„Okay … also …“
„Tut mir echt leid.“
„Ja. Schon gut.“
Ich spürte, wie ich erschlaffte.
„Soll ich ganz ehrlich sein“, fragte ich.
„Ich weiß nicht. Willst du?“
„Ich bin eben gekommen“, sagte ich.
„Ach so.“
„Tut mir leid. Du bist einfach … so hübsch“, sagte ich.
„Ist das ein Kompliment?“
„Ja. Natürlich.“
„Hmm. Ich fühle mich ein bisschen blöd.“
„Sorry.“
„Weißt du was?“
„Was denn?“
„Ich glaube, es wäre doch besser, wenn du gehst.“
„Wirklich?“
„Ja, schon. Ich glaube, ich krieg sonst heute kein Auge mehr zu.“
„Tut mir leid, dass ich so überdreht bin.“
„Gar nicht schlimm.“
Ronja setzte sich auf.
„Dann fahre ich jetzt nach München.“
„Fährt da denn noch was?“
„Bestimmt“, sagte ich.
Kurz darauf war ich angezogen, sie noch halb nackt und sicher unglaublich warm. Sie führte mich zur Tür.
„Das Label ist bald mal wieder in München.“
„Kommst du mich dann besuchen?“, fragte ich.
„Klar doch.“ Sie gab mir einen Kuss und schob mich aus der Tür. Mit aller Kraft versuchte ich mir ihr Gesicht einzuprägen. Als die Tür zufiel, flimmerte es noch kurz auf der Netzhaut.
Scham ist so ein winziges Ding. Das sitzt nicht zwischen gekräuselten Haaren unterhalb des Bauchnabels – das ist ein Fleckchen im Kopf. Ich hab Ronja noch mal gegoogelt. Sie hat jetzt ein Kind. Zwei, drei Jahre alt, schätze ich. Mal ist Scham ein Instinkt, mal eine Narbe. Mal weiß man gar nicht wofür, nur dass man sich schämt. Scham bleibt und erinnert einen an alles, was man hätte sein können. Hätte dies … Hätte das … hätte – nein – hat jetzt ein Kind. Ist gut und trotzdem schreibst du einen Text drüber, weil es da noch etwas gibt, das dich pikst. Scham ist ein Paradox. Wenn du sie empfindest und pflegst, hilft sie dir dich zu verwandeln. Erst hasst du sie, dann suchst du sie hin und wieder freiwillig auf und irgendwann, wenn richtig Zeit ins Land gegangen ist, fängst du an, die Scham zu zelebrieren wie einen verdammt wertvollen Teil von dir.