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Rote Rosen
Rote Rosen
„Darf es noch etwas sein?“, fragte Frau Amon die alte Dame, die bereits jetzt für rund 30 Euro Wurst, Braten und andere Fleischwaren gekauft hatte.
„Nein. Nein, danke. Ich glaube das reicht.“ Die Alte nahm den, ihr von Monika Amon zurecht gemachten Beutel, der auf dem Tresen stand. Nachdem sie bezahlt hatte, setzte sie ihre Mütze auf und verließ, schleichend den Laden.
Es war kalt geworden. Herbst. Die Blätter starben ab, und sanken zu Boden, verrotteten über die Zeit. Der Regen schien sich durch die dichte Wolkendecke zu kämpfen, und überzog schlussendlich alles, mit einem glitschigem Film. Monika hoffte das die Alte nicht auf dem nassen Laub ausrutschte, und sich etwas brach. Sie war eine der besten Kunden.
Monika schloss den Laden, steckte den Schlüssel in ihre Manteltasche, und spannte ihren Schirm auf.
Sie ging los, und sah sich dabei noch ein wenig, bei den Schaufenstern die an der Straße lagen um. Hüte, Kleider, Spielwaren. Es gab kaum etwas neues. Die Stadt war einfach zu klein, und die meisten Bewohner hatten ihre besten Jahre hinter sich. Meist zogen die Jugendlichen, sobald es ihnen möglich war, in eine größere Stadt. Oft in den Westen. Mehr Arbeitsplätze, mehr Geld. Monikas Tochter, war vor fünf Jahren ausgezogen. Sie war froh als sie endlich einen Ausbildungsplatz, und eine Wohnung gefunden hatte. „Die Leute hier machen mir Angst. Sie sind alle nicht ganz richtig. Besonders der Rosengärtner.“, sagte ihre Tochter immer, wenn man sie fragte, weshalb sie sich nicht in der Stadt eine Arbeit suchte. Diese Bemerkung passte Monika nicht und sie sah Steffi, ihre Tochter, mit einem verkniffenem, alles sagendem Ausdruck in den Augen an. „Er ist ein guter Kunde und er bezahlt seine Rechungen. Was ist dein Problem?“ Trotzdem musste sie zugeben, das der Kerl etwas anders war als der Rest der Kunden, der bei ihr kaufte... Und auch ihr, machte er Angst.
Monika kam an der Kreuzung, am Rande der Stadt an und blieb stehen. Die Ampeln blinkten gelb. An, aus, an, aus, an, aus, an... Auf der Bundesstraße, die aus dem Ort führte, fuhr sich im Monat, durchschnittlich ein Jugendlicher zu Tode. Überhöhte Geschwindigkeit, Alkoholeinfluss – Es war immer das gleiche.
Sie sah nach links den unbeleuchteten Weg entlang. Er führte unter den Bäumen durch, einen kleinen Hang hinauf, dann wieder bergab. Das Gras wurde nie gemäht, der Weg war total verkommen und wenn man läuft: „Muss man aufpassen, das man nicht im Morast versinkt und ein das Monster holt.“, scherzten die Leute. Man läuft etwa zehn Minuten, heißt es. Da oben wohnt der Rosengärtner. Die Leute hier machen mir Angst. Sie sind alle nicht ganz richtig. Besonders der Rosengärtner. Steffis Worte. Wahre Worte.
Sie schüttelte den Gedanken ab wie eine zweite Haut, und begann in die andere Richtung zu laufen. Nach Hause; den Schritt beschleunigt.
Zu Hause machte sie sich einen Tee, fütterte ihre Katze und ließ sich ein heißes Bad ein. Danach setzte sie sich vor den Fernseher und ging die Programme durch. Es lief nicht viel, für sie interessantes; außer einer Reportage über Gartenpflege. Gern hätte sie einen Garten gehabt, konnte es sich aber zeitlich, und finanziell nicht leisten. Schon gar nicht nach dem ihr Mann, Franz verschwunden war.
Als sie fast auf dem Sofa eingeschlafen war, stand sie auf, und ging zu Bett. Die schwarze Katze lag zusammengerollt auf dem Sessel, und schlief.
Das waren schöne, rote Rosen. , dachte sie, als sie die Schuhe auszog und unter die Decke kroch.
***
Sie wollte gerade den Laden schließen, als er kam.
Draußen hatte es wieder zu nieseln begonnen, der Himmel war fast schwarz. Der Dunkelheit jedoch, wurde der Eintritt in die Fleischerei durch kaltes Neonlicht verwehrt. Man sah die toten Insekten: Fliegen, Wespen und anderes Getier, in den Röhren liegen. Sie würden nie mehr das Fleisch der Kunden umschwirren.
Die dreckverkrusteten Stiefel wirkten befremdlich auf den reinlich prangenden Fliesen. Schlamm und Grashalme umrandeten die schwarze Gummisohle, der bis zu den Knien reichenden Schuhe. Er trug ein langes, graues Regencape und hatte die Kapuze über seinen Kopf gezogen; dennoch ragten, ein paar nasse Haarsträhnen unter ihr hervor, als wollten sie Hallo sagen.
„Ein Kilo, und das andere!“, Monika hatte Schwierigkeiten ihn zu verstehen, was aber auch nicht wirklich nötig war, da er immer das gleiche bei ihr kaufte. Mit dem Kilo war Hackfleisch, mit dem anderen, Schlachtabfälle gemeint. Dazu zählten: Knorpel, Augen, Knochen und Fleisch, was nicht mehr für den Verzehr geeignet war. Monika bestellte sie beim Schlachthaus immer dazu; eine Sonderleistung für ihn. Kurz nachdem der Laden eröffnet wurde, hatte er angefragt ob es möglich wäre Schlachtabfälle zu bekommen.
Monika reichte ihm den Eimer und das Hackfleisch, auf zwei Beutel verteilt, über die Theke. Er knallte das Geld auf die selbe, und verließ den Laden ohne ein weiteres Wort.
Einmal hatte sie geträumt, wie er in seinem Haus, im Wohnzimmer, der Boden übersäht mit verwesendem Fleisch lag. Er tot, wie das tierische Gewebe um ihn herum.
Sie wachte auf und musste sich übergeben...
Monika wartete noch eine halbe Stunde und machte dann Schluss. Heute würde niemand mehr kommen.
Sie ging raus in die dichte Nebelwand. Man konnte kaum noch etwas sehen, schon gar nicht andere Mitbürger. Nur im Sommer sah man den ein oder anderen, nach achtzehn Uhr auf der Straße umherwandeln. Wenn hier mehr junge Leute Leben würden, wäre nicht alles so tot, so langweilig.
Sie war angeödet, von den immergleichen Arbeitstagen, und Wochen. Nichts passierte, wie man so schön sagt.
Bevor Steffi ausgezogen war, gab es noch Abwechslungen. Als sie klein war, fuhren Steffi, Monika und ihr Mann in einen Freizeitpark. Sie standen früh auf, frühstückten gemeinsam und hatte am Nachmittag viel Spaß. Einer der wenigen schönen Tage, an die sich Monika in den letzten Jahren erinnern konnte. Kurz darauf war Franz verschwunden...
Die Leute in der Stadt sagten, die Rosen seien sehr schön. Niemand ging je zu seinem Haus, aber trotzdem wurde es behauptet. „Als er noch nicht so wunderlich war, und noch keiner Angst zu haben brauchte, bin ich mit meinem Mann spazieren gegangen, durch den Wald, und da bin ich an den Beeten vorbei. Es ist ziemlich versteckt, zwischen Büschen und Bäumen. Sie sind um das ganze Haus angelegt. Wunderschöne, rote Rosen. Ich habe niemals prächtigere gesehen. Ich an seiner Stelle würde aber etwas anderes anpflanzen, ein wenig Abwechslung muss doch sein. Die Hütte in der er wohnt, sieht allerdings absolut verkommen aus. Na ja, was will man denn anderes erwarten?!“, erzählte Frau Wieland, immer wenn man sie darauf ansprach, was sich denn hinter dem Hügel, im Wald befand.
***
Monika saß auf dem Sofa. Sie hielt ein Glas Whiskey in der rechten Hand, nippte ab und zu daran und schenkte wieder nach. Mit ihrer linken Hand, an der sie immer noch ihren Ehering trug, streichelte sie Pinky, den schwarzen Kater. Er schnurrte, und blinzelte ab und zu, mit seinen hellen Augen.
Der Alkohol hatte bereits begonnen sie zu beruhigen, und alles vor ihr, in ein leicht verschwommenes Bild zu pressen. Trotzdem war sie noch nicht betrunken; jedoch war es zu viel für diesen Abend...
Sie hatte ihren braunen Mantel und ihre dunkel-blauen Turnschuhe angezogen. Ich muss lächerlich aussehen. Monika hatte den Schirm vergessen, wollte ihn auch nicht mehr holen gehen, da sie bereits, zu weit von ihrem Haus entfernt war. Es regnete nicht, nur der Nebel war genauso dicht wie am frühen Abend. Jetzt war es kurz vor 23 Uhr.
Monika stolperte den Weg hinauf, durch das hohe Gras. Sie hatte sich umgesehen, ob ihr auch niemand folgte oder ob sie beobachtet wurde.Wieso mach ich mir eigentlich Sorgen? In diesem Kaff schlafen sowieso schon alle.
Sie ging weiter, wäre zweimal fast gestürzt, konnte sich aber immer wieder abfangen. Monika merkte recht bald, dass andere Schuhe bei einem Spaziergang durch dieses Gebiet angebracht waren, als der Schlamm und die Feuchtigkeit sich einen Weg in die Turnschuhe bahnten. Monika war am höchsten Punkt des Hügels angelangt und ging jetzt abwärts. Ich muss aufpassen, das ich mich nicht auf die Nase lege. Einen Schritt nach dem anderen. Sie hielt sich an hohen Grasbüscheln fest um nicht auf dem glitschigem Boden auszurutschen. Trotzdem, ein Augenblick der Unachtsamkeit reichte aus: Sie blieb mit ihrem linkem Fuß im tiefem Morast stecken, und fiel vornüber in den Schlamm, rollte ein Stück den Abhang herab.
„So ein verdammter Mist“, sie schrie laut auf, erschreckt über sich selbst. Sie fragte sich, ob der Gärtner es gehört hatte. Monika stand, mit einem schmatzendem Geräusch auf, und besah ihren verdreckten Mantel.
Nach einer kleinen Verschnaufpause ging sie weiter, wusste nicht die genaue Richtung, sondern folgte einem Pfad durch das nasse Gras. Der Nebel tat sein übriges, ihr die Orientierung zu erschweren.
Dann sah sie schwaches Licht durch die Bäume vor ihr. Sie hockte sich neben einen Holunderbusch, und riss sich dabei den Mantel ein. Das ist heute nicht mein Tag, dachte sie als ein schwerer Gegenstand auf ihren Kopf hieb.
***
Monika wachte, mit schweren Kopfschmerzen auf. Die einzigste Lichtquelle war ein schmaler Spalt unter der Tür, die sich offenkundig vor ihr befand. Sie versuchte sich zu bewegen, merkte aber schnell, dass sie auf einem Stuhl saß, und dies gefesselt.
Sie sah sich um, konnte aber nichts erkennen, außer einem Eimer der neben der Tür stand und zwei Eisenketten die von der Wand, links neben ihr hingen. Der Raum schien schmutzig. An den Wänden und auf dem Boden konnte man dunkle Flecken erkennen.
Nach kurzer Zeit, wurde sie wieder ohnmächtig.
„Wach auf!“, jemand leuchtete Monika mit einer, starken Taschenlampe ins Gesicht, so dass ihre Augen anfingen weh zu tun.
„Was wollen sie?“, fragte sie, „Und hören sie auf mir ins Gesicht zu leuchten!“
„Was willst du? Was hast du auf meinem Grundstück verloren, hm? Außerdem stell ich hier die Fragen.“, kam es schroff zurück. Die Lampe hielt er jetzt nicht mehr direkt vor ihr Gesicht, so das sie sehen konnte. Er war hässlich und stank
„Ich bin Monika Amon. Mir gehört die Fleischerei.“
„Das sehe ich auch.“
„Ich wollte nur... wollte nur sehen. Ich weiß nicht, warum ich hierher gekommen bin. Ich hatte etwas getrunken... und da bin ich einfach spazieren gegangen, und kam an der Kreuzung vorbei, da dachte ich mir, warum gehst du nicht einfach mal da hoch.“
„Ziemlich spät für einen Spaziergang. Und auch nicht gerade das beste Wetter, oder? Versuch nicht mich zu verscheissern!“
„Das tue ich nicht. Ich...“
„Schnauze!“, er schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Hast du schon einmal meine Rosen gesehen?“, fragte er schließlich.
„Nein. Man sagt sie seien sehr schön. Ich persönlich konnte sie leider noch nie betrachten.“
„Oh ja, schön sind sie. Ich investiere meine ganze Zeit, in die Pflege dieser Pflanzen. Sie sind sehr schön und bald wirst du sie auch sehen. Das wirst du...“
„Aber jetzt im Herbst. Sie wachsen doch jetzt gar nicht.“
„Dumm bist du, das hab ich schon immer gewusst. Rosen können, unter guten Bedingungen bis zum ersten Frost blühen. Die längste Dauer war... hm, lass mich nachdenken! Bis zum 19. November. Das war... 1978. Ja, ein gutes Jahr.“
„Was machen sie im Winter? So ganz ohne Rosen, mit was beschäftigen sie sich hier draußen?“, Monika versuchte ihn abzulenken. Wozu das gut sein sollte wusste sie nicht. Es gab keine Chance zu fliehen.
„Ich züchte sie hier drinnen. In einem speziellen Raum. Meine Stromrechung ist zwar immer sehr hoch aber es lohnt sich, hehe.“ Er lachte, wie ein Schwein grunzte, und stank widerlich aus dem Mund. Monika wich, so gut es ging auf dem Stuhl zurück.
„Und weißt du warum sie so besonders schön sind?“, fragte er sie in einem Ton, der Monika zurückweichen ließ. Er flüsterte fast und rückte noch näher heran.
„Ich verrate dir mein Geheimnis. Die Schlachtabfälle die ich bei dir Kaufe, geben einen exzellenten Dünger ab. Noch besser ist es aber, wenn das Fleisch noch richtig frisch ist. Oh, und bevor du fragst: Das Hackfleisch ist gut für die Haut. Ich bereite mir damit sehr gesunde Bäder zu. Die Menschen heutzutage, wissen so etwas aber nicht mehr zu schätzen.“
Monika wurde übel und schwindelig zu gleich. Sie musste bei der Vorstellung eine starken Brechreiz unterdrücken.
„Und weißt du warum ´78 so ein gutes Jahr war? Das Fleisch war frisch. Sehr frisch.“, er lachte ihr ins Gesicht und der Gestank aus seinem Rachen war fast unerträglich.
Zuerst verstand sie nicht was er meinte, doch dann kam das Verstehen, schneller als ihr lieb war.
„Nein. Nein, das ist nicht wahr. Er hat mich verlassen. Sicher hatte er eine Affäre. Eine andere Frau, genau so war es. Genau so und nicht anders...“, Monika spürte wie alle Kraft sie verließ, ihr Magen sich aber, immer weiter nach oben bewegen zu schien. Franz war 1978 verschwunden.
„Doch, doch, hehe. Das war der beste Dünger den ich jemals hatte. Und weißt du was; sie werden wieder so schön.“ – Bei dieser Bemerkung begann sie zu schreien.
„Ich sehe schon, du kannst es überhaupt nicht abwarten meine Rosen zu sehen. Aber das wirst du bald, sehr bald sogar.“
Er nahm ein Rasiermesser aus seiner Hosentasche, und klappte es auf.
Monika liefen Tränen die Wangen hinab. Sie dachte an Franz und...an die roten Rosen.