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Thema des Monats Salzwasser

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24.01.2004
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Salzwasser

Der Himmel lag wie ein Betonklotz auf den Dünen, die das Ferienhaus umgaben, es bedrängten. Windböen streiften durch vergilbtes Gras, bogen die Halme, trampelten sie nieder. Möwen kreisten über dem herbstleeren Strand, ihr Kreischen durchschnitt das Zwielicht, das sich heranwälzte, über die Sandhügel hinweg, dem Haus entgegen, sich langsam zur Nacht verdichtete.
Richard hatte seine Ellenbogen auf die Fensterbank gestützt und beobachtete den fahlen Finger eines Leuchtturms, der den Horizont betatschte. Hinter ihm blubberte der Whirlpool. Ein Plastikbecher knisterte. Hans lallte.
„Komm rein. Is’ schön warm.“
Richard schüttelte den Kopf. Das Meer rauschte. Wellen tauchten wie ergraute Schwimmer aus der dunkelgrünen Brühe auf und schleppten sich an den Strand.
„Na los.“ Der Becher streifte Richards Ohr und traf die Scheibe. Wodkatröpfchen imitierten den Regen, der über das Glas lief.
„Nee. Lass mal. Später vielleicht.“ Richard wandte sich vom Fenster ab, ließ ein verkrampftes Lächeln auf Hans’ aufgeblähte Badehose fallen, die ihm dieser mit wild hüpfenden Zeigefingern präsentierte, entschlurfte dem Poolbereich, betrat das Wohnzimmer und warf seine Bierdose in den Mülleimer.
Er hörte ihre Stimmen. Leise. Aneinandergeschmiegt. Ein wenig dumpf. Wie in eine Decke gewickelt. Sarah lachte. Vermutlich über einen seiner schlechten Witze. Sie schien anspruchslos zu sein. In jeder Beziehung.
Die Hitze des Ofens streifte Richards Arm. Am Anfang hatte er sich noch nicht für Sarah interessiert. Wie schnell alles gegangen war. Ein Blick. Ein Lächeln. Sie hatte sich neben ihn gesetzt. Gesten. Zeichen, die er gedeutet hatte. Falsch gedeutet. Das war ihm inzwischen klar geworden. Er hatte Zuneigung in ihnen gesehen. Interesse. Er hatte sich getäuscht. Wie ein Verdurstender, der in einer schlammgetrübten Salzwasserpfütze eine frische Quelle zu erkennen glaubte. Weil die Begierde hinter seinen Augen saß. Und er hatte getrunken. Die Pfütze leergesoffen.
Richard ließ sich auf das Sofa fallen. Sie hatte ihm natürlich geschmeichelt, diese Zuneigung, die nie existiert hatte. Es war angenehm gewesen. Er hatte nicht mehr gewusst, wie es sich anfühlte, begehrt zu werden. Ein Don Juan war er nie gewesen.
Richard griff nach einer halbleeren Whiskeyflasche und warf ihren Verschluss in den Aschenbecher. Die Schatten der Möbel tanzten im Feuerschein. An den Wänden, an der Decke, auf dem Boden tanzten sie, zuckten sie, epileptische Schemen, die sich ineinander schoben, sich überlagerten, verknoteten, ihre Konturen der Ekstase opferten. Richard trank einen Schluck aus der Flasche.
Am Anfang hatte er sich noch nicht für sie interessiert. Am Anfang. Wie lange war das jetzt her? Wie lange waren sie hier? Noch nicht lange genug. Er wollte hier weg. Verschwinden. Aus dieser beschissenen Hütte. Das alles vergessen. Der Whiskey gluckerte. Richard schluckte.
Sie hatte ihn nicht interessiert. Doch dann. Später. Sein Irrtum hatte alles verändert. Er hatte sich dazu entschlossen, sie attraktiv zu finden. Hatte nach Gründen gesucht und Gründe gefunden. Die Schönheit musste man nicht finden. Sondern erfinden. Sie erschaffen. Man musste es sich einfach einreden. Autosuggestion. Oder so.
Der Fusel brannte in Richards Hals. Die Stimmen entschwebten der Küche und ließen sich am Esstisch nieder. Waren vorbeigezwitschert, ohne ihn zu beachten. Richard versank im Polster des Sofas. Der Alkohol entzündete sich am Ofenfeuer. Sein Kopf glühte.
Er hatte sich verliebt. Hatte sich voller Begeisterung in die Scheiße geschmissen. Dann war er gekommen. Arthur. Blicke. Lächeln. Er hatte sich neben sie gesetzt. War ihr nicht mehr von der Seite gewichen. Sie hatten sich abgesondert. Als wären sie alleine hier. Als wären alle Anderen unwichtig geworden.
Der Flaschenhals bohrte sich in Richards Mund. Unwichtig. Alleine. Die Stimmen lachten. Eine Beziehung entwickelte sich. Eine Romanze. Sie wucherte wie ein Krebsgeschwür. Hier. Direkt vor seinen Augen. Welch ein Spektakel. Er saß in der ersten Reihe. Ein Zuschauer. Angekettet. Musste es mit ansehen. Er ging leer aus. Wie immer. Ein verdammtes Spektakel. Sie redeten. Jedes Wort war wie ein Tritt in die Eier. Die Zeit, die sie miteinander verbrachten. Wie Säure. Jede verdammte Sekunde ein Tropfen. Richard trank. Er fühlte sich überzählig. Überflüssig. Haltlos trieb er in der Bedeutungslosigkeit. Blicke konnten Anker sein. Verliebte Blicke. Sie trafen ihn nicht. Er schwamm. Verschwamm. Löste sich auf. Er trank. Hans sang. Sie redeten. Die Flasche verschmolz mit Richards Hand. Er spürte das Glas nicht mehr. Die Flasche. Schritte. Schatten brannten. Die Flasche? Hitze. Wortfetzen schwirrten. Die Beiden faselten. Laberten. Im Höllenfeuer. Diese Hitze. Er war aufgestanden. Schwebte. Der Raum rauschte. Wellengeschüttelt. Raus hier. In die Kälte. Richard versank im Sandboden. Der Wind heulte. Gras zwischen seinen Füßen. Die Sterne. Sie kreisten. Ein Strudel. Jemand hatte den Stöpsel gezogen. Der Himmel floss ab. Das Meer schwoll an. Stemmte sich gegen die Dünen. Der fahle Finger des Leuchtturms. Er durchzuckte die Salzluft. Richard spuckte Sand auf seine Hände. Rappelte sich auf. Alleine. Die Sterne. Altersschwaches Licht. Dort unten. Die Wellen. Sie schleppten sich an den Strand. Wie ergraute Schwimmer. Schleppten sich ihm entgegen. Ihr nasses Haar glänzte im Mondschein. Sie schlurften. Bleiche Leiber. Geschlossene Augen. Die Münder geöffnet. Dunkle Löcher. Sie kamen näher. Füllten den Strand. Immer mehr stiegen aus dem Wasser. Sie murmelten. Flüsterten. Salzverkrustete Lippen. Wie versteinerte Würmer. Erstarrt. Laute krochen aus zahnlosen Grotten. Richard lief. Der Strand war überall. Die Dünen. Wo waren die Dünen? Diese Stimmen. Wie das Meer, das sich an Felsen rieb. Hab keine Angst. Sie sprachen im Chor. Etwas hatte Richards Arm gepackt. Schlammweich und kalt wie die Tiefe. Er riss sich los. Es platschte. Fürchte dich nicht. Diese Körper. Sie schlurften nicht mehr. Standen reglos vor der Brandung. Die dürren Arme an die Hüften gepresst. Haut wie nasse Pappe. Ihre Köpfe kippten nach hinten. Die starren Gesichter. Himmelwärts. Der Regen füllte ihre Münder. Sie gurgelten. Hier. Diese Stimmen. Sieh her. Sie hoben ihre Arme. Entfleischten sie. Es rutschte herunter. Fiel ihnen vor die Füße. Knochige Zeigefinger zerstachen die Nacht. Lenkten Richards Blick. Ein Kopf. Dort hinten am Meer. Sie reichten ihn weiter. Er wanderte von Hand zu Hand. Wir wissen, wer du bist. Ein Kopf. In Knochenhänden. Wir wissen, was du dir wünscht. Dieses Gesicht. Er kannte es. Wir wissen, wer du sein möchtest. Arthurs Gesicht. Verwandele dich. Arthurs Kopf. Augenlos. Monddurchschimmerte Haut. Hinter den geöffneten Lidern. Werde zu ihm. Hohl. Wie eine Maske. Wir wissen, dass du es willst. Er wollte es. Sei er. Nur für eine Nacht. Für immer. Für immer. Knie nieder. Er kniete. Auf den Algen. Die ihnen aus den Ohren quollen. Unablässig. Den Schwimmern. Sie lachten. Wie zerbrechende Planken. Arthurs Gesicht. Über ihm. Unter dem Schweigen der Möwen. Es schwebte. Senkte sich. Herab. Sie lachten. Die Maske. Berührte seinen Kopf. Sei er. Für immer.

*

„Wo ist Richard?“ Sarah gähnte.
„Ich weiß nicht“, murmelte Richard.
Wo war Arthur? Er war es. Er war es nicht. Er war nicht Arthur. Es war eine Maske. Mehr nicht. Aber eine schöne Maske. Sie gefiel ihm. Und sie gefiel Sarah. Sie gefiel vielen Frauen. Arthur hatte ausgiebig Gebrauch davon gemacht. Über kurze Affären waren seine Beziehungen selten hinaus gekommen. Er war von Frau zu Frau gesprungen, von Leidenschaft zu Leidenschaft, weil er vermutlich nie lange genug einsam gewesen war, um die Liebe zu einem Ideal zu überhöhen, zu einer ewigen und wahren Liebe, zu einer Kitschromanfantasie. Sobald die anfängliche Hitze sich etwas abgekühlt hatte, war er weiter gezogen. An Beständigkeit hatte er offensichtlich nie geglaubt, sondern an Abnutzung. Für ihn war nur das Neue wertvoll gewesen. In seinem Keller stapelten sich unzählige CDs, an denen er nach ein paar Durchläufen das Interesse verloren hatte, Kisten mit Postern und Bildern, die er aufgrund ihres von der Gewohnheit ausgewaschenen Reizes gegen andere ausgetauscht hatte. Sein Leben war Bewegung gewesen, Veränderung, so unberechenbar und wechselhaft wie seine Launen. Er war einer der Menschen gewesen, die fröhlich pfeifend aufs Klo gingen und bei ihrer Wiederkehr gestimmt waren, als hätte ihnen ihre Scheiße die Apokalypse prophezeit. War gewesen. Vielleicht war er immer noch ein solcher Mensch. Das kam ganz darauf an, was mit ihm geschehen war.
„Der taucht schon wieder auf.“ Hans stocherte mit einer Kuchengabel in seiner Kaffeetasse herum. Der Geschirrspüler brummte.
„Hoffentlich.“ Sarah hatte Richards Hand ergriffen. Ihre Haut war warm und feucht.
„Ist gestern bestimmt rausgegangen und irgendwo eingepennt.“ Hans legte die Gabel beiseite und nippte an seiner Tasse. Die Kaffeemaschine röchelte.
„Gut möglich.“ Sarahs Finger streichelten Richards Handfläche. Ihre Nägel kitzelten. Kratzten.
„Zigarette?“ Hans hielt Richard eine geöffnete Schachtel hin.
„Nein. Ich rauche nicht.“
Hans runzelte die Stirn.
„Seit wann?“
„Ich ...“ Richard zwang ein Grinsen auf Arthurs Gesicht. „War nur ein Scherz.“. Er pulte eine Zigarette aus der Schachtel und stopfte sie in die Brusttasche. „Später.“
Hans legte den Kopf schräg und zupfte an seinem Ohrläppchen, dann zuckte er mit den Schultern.
„Hat sich gestern ordentlich abgeschossen“, sagte er.
„Richard?“ Sarahs Haar hatte sich in Shampooduft aufgelöst, der durch den Raum schwebte, Richard umwickelte. Ihr nasses Haar.
Hans nickte träge.
„Ich glaube, er hat ein Problem mit euch beiden.“
„Inwiefern?“ Sarahs Schulter berührte die von Richard.
„Hast du nicht gemerkt, wie er dich anstarrt?“
„Du meinst, er ...“
„Ja.“
Sarah sah zum Fenster hinüber, auf dem ihr transparentes Spiegelbild klebte. Ein Lächeln zerrte für Sekundenbruchteile an ihrem Mundwinkel.
„Wenn er das Zeug säuft, dann kann er sich auch daran beteiligen“, sagte sie.
„Du weißt, dass er nicht viel Geld hat.“ Hans schob seine Kaffeetasse von einer Hand zur anderen. „Es ist zurzeit nicht einfach ...“
„Trotzdem. Kann ja nicht angehen, dass wir alles ...“
„Vielleicht sollten wir ihn suchen“, unterbrach Richard sie und sah ihr dabei in die Augen, mit festem Blick. Ein Blick, den er vor der Verwandlung nicht gekannt hatte. Er war selbstsicherer geworden. Die Scham hatte sich hinter der Maske verkrochen.
„Ja.“ Hans griff in die Brötchentüte. „Nach dem Frühstück.“
Nach dem Frühstück. Das Fressen ging natürlich vor. Man vermisste ihn vermutlich, wie man ein Ding vermisste. Wie einen gestohlenen Gartenzwerg. Oder einen Pantoffel, den der Hund im Garten verscharrt hatte. Würden Sarah und Hans die Wahrheit kennen, würden sie wissen, wer wirklich verschwunden war, sie wären schon längst da draußen, in den Dünen, und würden Arthurs Namen brüllen. Warum sollte Richards Abwesenheit sie auch bekümmern? Sarah kannte ihn erst seit ein paar Tagen und Hans, nun, Hans und er waren zwar befreundet, seit Kindertagen, aber in der Hierarchie stand er eindeutig hinter Arthur, der Hans’ Liebling war, obwohl er erst vor zwei oder drei Jahren den Freundeskreis betreten hatte, sein bester Kumpel, auch wenn er es vermutlich nie zugeben würde. Richard war stets derjenige, den man zuletzt benachrichtigte, wenn man etwas unternahm. Auf ihn kam es nicht an. Er war der Ersetzbare, den man duldete, weil man sich an ihn gewöhnt hatte. Gewohnheit. Das war das Stichwort. Gewohnheit, keine Sympathie. Die Gewohnheit, die man oft mit Freundschaft verwechselte. Er war absolut austauschbar.
„Sieht nach Regen aus“, sagte Hans und rammte sein Messer in ein Brötchen.

*

Richard starrte an die niedrige Decke. Sarahs leises Schnarchen lag neben ihm, auf den zerwühlten Laken. Die Luft war stickig, roch nach Schweiß, Staub und den Überresten von zwischen zwei Körpern zerriebenen Deodorant. Richard hustete. Der Mief war unerträglich. Er strich mit den Fingerspitzen über Sarahs Stirn, dann schälte er sich vorsichtig aus der Bettdecke und schlüpfte in seine Klamotten, die Arthur gehörten.
Die Dielen knarrten, die Tür quietschte. Richard schlich durch das dunkle Wohnzimmer, schlich hinaus, hinein in die Nacht, die kalt war und klar. Der Sturm war zu einer lauen Brise verkümmert, die das Klagen einer Heulboje herantrug. Hinter den Dünen grummelte das Meer. Es klang wie ein schlafendes Tier.
Richard stapfte durch den Sand, durch das Gras. Er hatte seine Hände in die Hosentaschen gestopft und den Kopf im hochgestellten Kragen von Arthurs Jacke versenkt. Der Mond war in unzählige Stücke zerbrochen, die auf dem Wasser trieben, auf der schwarzen Brühe, die in der Ferne mit dem Nachthimmel verschmolz.
Richard ließ die Ferienhäuser hinter sich, diese Bretterhaufen, die wie weggeworfen im hohen Gras lagen. Die Nacht vor ihm war unberührt. Sie hatte den Leuchtturm verschluckt. Irgendwo da draußen, auf einer der felsigen Inseln vor der Küste. Seinen Lichtfinger hatte man abgeschnitten wie den Schwanz des Uranos. Er war im Meer versunken.
Richard lehnte sich an einen verrottenden Holzpfahl, den man am Fuße der großen Düne in den Sand gerammt hatte. Vermutlich um ein Schild daran anzubringen. Ein Schild, das nicht mehr existierte. Er lehnte sich an den Pfahl und sah zum Meer hinunter. Eine Gestalt stand in der Brandung, die träge den Strand leckte. Ein nackter Mann. Aufrecht stand er da, wie eine archaische Statue, wie ein Kouros aus Marmor. Er hatte die Hände gehoben und auf sein Gesicht gelegt, verbarg sein Antlitz hinter schmalen Fingern.
Richard beobachtete ihn. Der Mann rührte sich nicht. Das Meer umspülte seine Füße, die nicht im Schlamm versunken waren. Richard kniff die Augen zusammen. Diese Hände. Die weißen Finger. War da ein Spalt? Ein Sehschlitz? Blickte er hindurch? Starrte ihn diese Gestalt an? War da vielleicht Mondlicht, das sich in einem Auge spiegelte? War ...
„Eine seltsame Erscheinung, nicht wahr?“
Richard zuckte zusammen. Ein Mann war neben ihn getreten und tippte mit dem Zeigefinger kurz gegen die breite Krempe eines Strohhutes. Lederriemen, die sich in seine schmalen Schultern gegraben hatten, trugen einen Bauchladen, der mit einem weißen Laken bedeckt war.
„Die Touristen mögen ihn, wissen Sie?“ Der Mann hob langsam den linken Arm, deutete auf die Erscheinung am Meer. „Sie mögen Dinge, die sie nicht verstehen. Verleihen der Welt wieder ein wenig Tiefe. Lücken in der erdrückenden Banalität, die man mit Träumen und Hoffnungen füllen kann.“
„So?“ Richard hauchte in seine hohlen Hände, dann steckte er sie wieder in die Hosentaschen.
„Die Touristen sind ganz verrückt nach Souvenirs, wissen Sie?“ Der Mann packte das Laken und riss es herunter, zerknüllte es, warf es in den Sand. „Die Geschäfte gehen gut. Ich kann mich nicht beklagen. Ganz sicher nicht. Die Leute kaufen. Sie kaufen viel.“
„Souvenirs?“
Der Hutträger wühlte in dem Krempel herum, der seinen Bauchladen füllte, kramte eine kleine Figur heraus, einen nackten Plastikmann, der sein Gesicht hinter Plastikhänden verbarg.
„Diese Dinger sind bei meinen Kunden sehr beliebt“, sagte er. „Der Herr dort hinten, der im Strandkorb, hat vor ein paar Minuten zehn Stück gekauft.“
„Welcher Strandkorb?“ Richard betrachtete das rundliche Gesicht des Mannes, das starre Grinsen, die roten Wangen, die glänzten wie ein polierter Apfel.
„Sie sehen ihn nicht?“
„Nein.“
Der Strandverkäufer schob die Hand unter seinen Hut, während er an Richards Kopf vorbei stierte, seinen Blick irgendwo in den feuchten Sand bohrte.
„Ich habe auch Tassen mit seinem Bild. Und Schlüsselanhänger“, sagte er schließlich.
Richard schwieg. Der Strandverkäufer dünstete einen schweren, süßlichen Gestank aus. Der Geruch von Menschen, die versuchten, die Minderwertigkeit ihres Parfüms zu überdecken, indem sie es sich literweise hinter die Ohren kippten. Oder etwas verstecken wollten, das schlimmer war als billiges Duftwasser.
„Hier geschehen seltsame Dinge, wissen Sie?“, flüsterte der Mann.
„Ja. Ich weiß.“
„Das ist das Meer, wissen Sie? Das Meer ist dafür verantwortlich.“ Der Verkäufer breitete die Arme aus. Der Ramsch in seinem Bauchladen klapperte bei jeder noch so kleinen Bewegung. „Dies ist ein seltsamer Ort, wissen Sie? Ein paradoxer Ort. Alles hat im Wasser begonnen. Wasser ist ein Symbol des Lebens. Aber dieses Wasser hier ist grausam. Es verschlingt einen. Saugt einen aus. Leben und Tod liegen hier dicht beieinander. Anfang und Ende berühren sich. Die Grenze ist hier sehr schmal. Sehr schmal.“ Er rieb an der Krempe seines Hutes. Und grinste. Selbst wenn er sprach, grinste er. Seine Mundwinkel flohen voreinander, entblößten weiße Zahnreihen, die hinter den dicken Lippen aufblitzten, wenn er grinsend sprach, mit einer Stimme, die zu leise schien für ein derart breites Maul. „Seltsame Dinge, wissen Sie?“
„Ja. Seltsame Dinge“, sagte Richard und löste sich von dem Holzpfahl.

*

„Hast du mit den Bullen gesprochen?“, fragte Hans, der zitternd im abgeschalteten Whirlpool hockte. Zigarettenkippen und Plastikbecher schwammen auf dem Wasser.
„Ja. Sie durchsuchen immer noch die Dünen.“ Richard hockte auf dem Rand der Wanne. Durch die geöffnete Terrassetür drang gedämpftes Hundegebell herein.
„Eine verdammte Scheiße ist das.“ Hans leerte seine Rumflasche und ließ sie ins Wasser fallen. „Ein Horrortrip.“
„Ja.“ Richard erhob sich. „Komm da raus. Das ist viel zu kalt.“
„Verdammte Scheiße.“ Hans schüttelte den Kopf.
„Komm“, sagte Richard und legte ihm seine Hand auf die Schulter.
„Gleich.“
„Die werden ihn schon finden.“
„Ein Horrortrip“, murmelte Hans, während die Rumflasche zwischen seinen Beinen versank.
Richard griff nach der Klinke der Wohnzimmertür.
„Arthur?“, rief Hans.
„Ja?“
„Du verhältst dich ...“ Er verstummte, wühlte im Wasser herum, als würde er darin nach den richtigen Worten suchen, spritzte es auf die Fliesen. „Ich weiß nicht. Merkwürdig. Irgendwie merkwürdig.“
„Das liegt an der Situation“, sagte Richard und drückte die Klinke herunter. „Schau dich an. Du hockst seit Stunden in einem kalten Whirlpool. Ist das etwa normal?“ Er öffnete die Tür. „Diese Sache ist für keinen von uns angenehm.“
Richard betrat das Wohnzimmer, ließ Hans’ unverständliches Gebrabbel hinter sich. Er durchquerte den Raum, eilte an Sarah vorbei, die auf der Couch lag, mit einem Buch in der Hand, und ihm zulächelte, den kleinen Finger vom Einband abspreizte, ihn hüpfen ließ. Richard erwiderte ihren Gruß mit einem Nicken und warf sich in den Sessel. Federn quietschten. Sarah klappte ihr Buch zu und legte es auf den Tisch.
„Wie geht es ihm?“, fragte sie.
Richard zuckte mit den Schultern.
„Und dir?“ Sarah war aufgestanden und hatte sich neben ihn gesetzt, auf die Armlehne des Sessels.
„Es geht.“
„Die finden ihn. Keine Sorge.“ Sarahs Finger krabbelten über Richards Oberschenkel, ließen sich auf seinem Knie nieder.
Arthurs Knie. Sie ließen sich auf Arthurs Knie nieder. Richard schüttelte ihre Berührung ab, indem er die Beine übereinander schlug. Die Maskerade hatte an Reiz verloren. Sarahs Zuneigung betraf Richard nicht. Diese Liebesgeschichte handelte ausschließlich von Arthur. Ihre Blicke, ihre Küsse, ihre Worte, all das durchdrang die Maske nicht, blieb an ihr hängen, an diesem Fleischklumpen, der auf seiner Identität lag. Er liebte sie noch immer, genoss die gemeinsamen Nächte. Aber etwas fehlte. Er fehlte. Er: Richard. Er wollte geliebt werden. Wegen dem, was er war, nicht wegen dem, was er vorgab, zu sein. Nicht wegen dieser Hülle.
„Was liest du da?“, fragte Richard, stand auf, ging zum Tisch, griff nach dem Buch und setzte sich auf die Couch. „Kreatives Schreiben?“ Er blätterte kurz darin herum, ohne eine einzige Zeile zu lesen, dann legte er es zurück. „Du bist Schriftstellerin?“
„Nein, ich ...“ Sarah rutschte von der Sessellehne auf die Sitzfläche und strich ihr Haar zurück. „Ich habe noch nichts veröffentlicht. Das ist nur ... ein Hobby.“ Sie räusperte sich. „Schriftsteller ist man erst dann, wenn man gelesen wird. Die Leute, die Leser, die machen einen ... durch ihre Anerkennung. Durch ihre Anerkennung wird man zum Schriftsteller.“ Sarah fummelte an ihrem Ohrring herum. „Was ist mit dir?“
„Was soll mit dir sein?“
„Magst du ... magst du Bücher? Liest du gerne?“
„Ich?“ Richard erinnerte sich daran, dass Arthur viel gelesen hatte, um nach hübschen Zitaten zu suchen, für Frauen, die sich von bildungsbürgerlichen Angebereien beeindrucken ließen. „Ja. Natürlich.“
„Wer ist dein Lieblingsschriftsteller?“
„Wer mein Lieblingsschriftsteller ist?“ Richard runzelte Arthurs Stirn. „Gute Frage. Eine sehr gute Frage. Da gibt es zu viele, um ...“ Er täuschte einen Hustenanfall vor. „Weißt du, ich bin kein Freund von Ranglisten. Die werden der ... den individuellen Qualitäten eines Künstlers nämlich nicht gerecht.“ Richard verschränkte die Arme vor der Brust.
„Aber ...“
„Worüber schreibst du eigentlich?“
„Über alles mögliche. Über Dinge, die mich beschäftigen. Dinge, die ich erlebt habe. Über Erfahrungen, die ich gemacht habe. Und so weiter.“
„Klingt eher nach Tagebuch“, sagte Richard.
„Ich finde es halt faszinierend, dass man all dem, was einem zustößt, einen Sinn geben kann. Egal wie lächerlich oder traurig es ist. Man erlebt etwas, um darüber zu schreiben. Nichts ist vergeblich. Kein Augenblick kommt, nur um einfach wieder zu verschwinden.“ Sarah betrachtete ihre Finger, die sich ineinander verknoteten. „Das Leben eines Schriftstellers, die Summe seiner Erfahrungen, ist sein Kapital. Und je mehr Leute ihn lesen, desto bedeutender wird dieses Leben. Denke ich jedenfalls.“
„Das ist ein Beruf wie jeder andere.“
„Das ist kein Beruf, sondern eine Berufung“, sagte Sarah. „Zumindest wird es zu einer, sobald man ein neues Werk von dir erwartet. Sich darauf freut. Es von dir fordert.“
„Wenn du meinst.“ Richard nickte matt. Anerkennung. Letztendlich ging es immer um Anerkennung. Auch in der Liebe, die nicht weniger war, als das Verlangen nach Berufung, nach einer Rechtfertigung der eigenen Existenz. Nach der höchsten Form von Anerkennung. Man wollte geliebt werden, um sich selbst lieben zu können. Und daher verliebte man sich: um die Liebe des Anderen zu wollen, um ihr einen Wert zu verleihen, sie für das Bild, das man von sich selbst hatte, maßgeblich werden zu lassen.
Richard hatte sich in Sarahs Augen gesucht. Und Arthur gefunden. Dieses aufgesetzte Verführerlächeln.
„Die Sache hier ...“ Sarah beugte sich vor und sprach leiser weiter. „Die Sache hier hat mich auch schon auf ein paar Ideen gebracht. Ich glaube, ich werde ein Buch darüber schreiben.“
„Die Sache hier?“
„Du weißt schon.“
„Ein paar Ideen. Ein Buch“, rief Richard. „Da ist jemand verschwunden. Vielleicht ist er tot. Im Meer ersoffen, oder was weiß ich, und du denkst tatsächlich daran, inwiefern dir diese Scheiße nützt? Ein Buch. Er ist da draußen vielleicht verreckt. Verreckt. Verstehst du?“ Richard war aufgesprungen. „Er ist dir wirklich scheißegal, oder?“
„Nein. Natürlich nicht.“ Sarah presste ihren Oberkörper gegen die Rückenlehne und hob die Hände. „Ich mach mir auch Sorgen. Glaub mir. Ich ...“
„Ist ein großartiger Stoff. Wirklich großartig.“ Richard stürmte ins Badezimmer und verschloss die Tür. Sarah klopfte und rief Arthurs Namen. Sie klopfte und klopfte und klopfte. Dann klopfte sie nicht mehr.
Richard stützte sich auf das Waschbecken, blickte in den Spiegel. Und erschrak. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt. Sein Ich verschmolz nicht mit diesem Gesicht. Es floh vor ihm, verkroch sich in der hintersten Ecke dieses Kopfes, der nicht der seine war. Außen und Innen stießen sich ab. Es zerriss ihn.
Richard senkte hastig seinen Blick, griff in die Hosentasche und zog Arthurs Armeemesser heraus. Er drehte das Wasser auf. Der Boiler knackte. Eine Klinge entschwang sich knirschend dem weißbekreuzten Plastikgehäuse. Richard hielt das Messer in den Wasserstrahl und spülte den Sand aus den Fugen. Dampf stieg auf. Der Spiegel beschlug.

*

Richard schleuderte den morschen Pfahl ins sturmzerzauste Dünengras und begrub das Loch, das er im Sandboden hinterlassen hatte, unter der Sohle von Arthurs Schuh, während die Wellen sich am Rücken der Gestalt brachen, die sich entfernt hatte, bis zum Bauchnabel im Wasser stand, das verborgene Gesicht dem Strand zugewandt.
Der Verkäufer trug sein Grinsen durch die Nacht, blieb hier und da stehen, gestikulierte, als würde er stumm auf Unsichtbare einreden, griff ab und an in seinen Bauchladen, wedelte mit Plastikfiguren herum, legte sie zurück, tippte gegen die Krempe seines Strohhutes, zog weiter.
Richard ging ihm ein paar Schritte hinterher, dann pfiff er. Der Verkäufer fuhr herum. Richard winkte ihn heran.
„Was wünschen Sie? Wollen Sie etwas kaufen?“
„Nein. Danke.“
„Vielleicht für die Kinder?“ Der Verkäufer marschierte weiter, obwohl er Richard bereits erreicht hatte, drängte ihn zurück, trieb ihn vor seinem klappernden Bauchladen her.
„Ich habe keine.“
„Wollen Sie welche?“ Das Apfelgesicht des Mannes wackelte im Takt seiner Schritte.
„Ja. Irgendwann.“
„Für Ihre zukünftigen Kinder?“ Er wollte nach seinem Ramsch greifen, doch Richard hob rasch die Hand, hielt ihn davon ab.
„Kennen Sie die Schwimmer?“, fragte er,.
„Die Schwimmer?“ Der Verkäufer blieb stehen.
„Die Grauhaarigen, die aus dem Meer auftauchen.“
„Die Grauhaarigen?“
„Ja.“
„Was wollen Sie von diesen ... Grauhaarigen?“
„Etwas zurück geben, das ich von ihnen bekommen habe.“
„Eine Reklamation, ja?“
„Ich weiß nicht, ob ich es so ...“
„Reklamationen werden nie gerne gesehen, wissen Sie? Nirgendwo.“ Der Verkäufer hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, schob Richard über den Strand, den Dünen entgegen. „Ich weiß nicht, wie es diese Grauhaarigen halten, aber ich für meinen Teil dulde so etwas nicht. Keine Reklamationen, wissen Sie? Niemals“ Der Geruch des Mannes verstopfte Richards Nase. „Glauben Sie nicht, dass es mir dabei um das Geld gehen würde. Ich bin nicht gierig, wissen Sie?“ Der Strand erhob sich unter Richards Füßen. Sie hatten die große Düne erreicht. Er stolperte, rutschte, fiel, landete auf dem Hintern. Der Bauchladen schwebte über ihm. „Es geht mir nicht um das Geld, wissen Sie? Es geht mir dabei um mehr. Um viel mehr.“ Der Verkäufer stützte den Bauchladen mit seinem Knie ab, fummelte an den Riemen herum, löste sie, stellte die rotlackierte Holzkiste im Sand ab und ließ sich neben Richard nieder. „Es geht mir um Erziehung, wissen Sie? Die Menschen müssen lernen, mit den Konsequenzen ihrer Handlungen zu leben. Man kann seine Entscheidungen nicht einfach ungeschehen machen.“ Der Mann rückte näher an Richard heran, legte ihm seinen Arm um die Schulter. „Man kann die Dinge nicht einfach zurückgeben und so tun, als wäre nichts geschehen. Die Zeit lässt sich nicht überwinden. Sie läuft immer nur in eine Richtung, wissen Sie?“ Die Finger des Verkäufers gruben sich in Richards Jacke. Er konnte ihre Kälte durch den Stoff hindurch spüren. „Man muss lernen, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Wenn man diese Verantwortung akzeptiert, dann akzeptiert man seine Freiheit. Aber diese Freiheit kann beängstigend sein, nicht wahr?“ Die Finger des Verkäufers lösten sich, der Arm rutschte herunter. Richard hörte, wie die kalte Hand hinter ihm ins Gras fiel. „Keine Reklamationen. Niemals.“
Richard erhob sich und klopfte den Sand von seiner Hose. Eine große Welle klatschte gegen den Rücken der Gestalt im Wasser, die den Schlag hinnahm, ohne zu wanken.
„Und?“, fragte er.
„Was?
„Kennen Sie die Grauhaarigen? Wissen Sie, wo ich sie finden kann?“
„Nein“, sagte der Verkäufer und zog seinen Bauchladen zu sich heran. „Nie von ihnen gehört.“

*

Dieser Fleischklumpen, der auf seiner Identität lag. Auf seinem Ich. Es war verborgen. Vergraben. Unter diesem aufgesetzten Verführerlächeln. Richard kniff seinem Spiegelbild, das Arthur war, in die Wange. Er kniff. Quetschte. Zerrte an der Maske. Mit beiden Händen. Wollte sie zerreißen. Doch das Fleisch widerstand. Zerreißen. Mit Hakenfingern. Dieses Lächeln. Lippen verblassten. Es widerstand. Speichel verklebte Haare zu Spitzen. Sie fielen. Büschelweise. Irgendwo darunter. Vergraben. Er wühlte. Mit dem Messer. Zerschnitt die Haut. Fand sickerndes Blut. Schnitt tiefer. Es quoll heraus. Irgendwo darunter: Er. Richard. Seine Identität. Sein Wesen. Er musste es freilegen. Er schnitt. Teilte das Fleisch. Zerstach Arthurs Wangen. Zerstörte sie. Es musste da sein. Irgendwo. Darunter. Die Klinge durchtrennte Muskelfasern. Sie hackte und bohrte. Die Mimik verreckte. Arthurs Unterkiefer sackte herab. Arthur. Sein Gesicht im Spiegel. Dämlich sah es aus. Wie es ihn anglotzte. Mit aufgerissenem Sabbermaul. Wie ein Schwachsinniger. Blutüberströmt. Wie hässlich es war. Seine Lippen flossen über die Klinge. Über Richards Hände. Tropften ins Waschbecken. Sein Mund. Ein feuchtroter Ring. Wie hässlich er war. Arthurs Zunge. Diese umschmeichelnde Stimme. Er streckte sie heraus. Er schnitt sie ab. Arthurs Stimme. Sie war nicht verstummt. Er hörte sie noch immer. Die Zunge zuckte. Zwischen seinen Fingern. Zuckte sie. Arthurs Stimme. In seinem Kopf. Seine Gedanken. Das war Arthur. Er dachte mit seiner Stimme. Ich denke, dachte er. Nicht er. Ich. Nicht er. Das Messer hüpfte. Das Messer tanzte. Blut spritzte. Wo war es? Dieses Ich? Irgendwo. Darunter. Das Fleisch fiel. Klumpenweise. Stahl rammte Knochen. Wo war es? Wo? Verdammt. Das Messer klirrte im Waschbecken.
Nirgendwo. Er hatte sich gesucht. Und Fleisch gefunden. Nichts als Fleisch. Ein roter Fleck auf dem Spiegel. Ich denke, dachte er. Arthur dachte. Wer dachte? Das Ich? Dachte das Ich? Oder wurde es gedacht? Brachte das Denken das Ich hervor? Immer wieder? Mit jedem Gedanken? War das Ich mehr als Denken selbst? Nichts als Fleisch. Er hatte nach Individualität gesucht. Unter der Oberfläche. Und das Allgemeine gefunden. Da unten waren alle gleich. Unter der Oberfläche. Ein Klumpen Fleisch. Nichts weiter.

*

„Kommen Sie näher“, sagte der Verkäufer. „Es ist zu kalt, um Körperwärme zu verschwenden.“
Richard schüttelte den Kopf. Er blickte zum Meer hinunter. Die Gestalt hatte sich weiter zurückgezogen. Ihr Kinn, das unter den Händen hervorlugte, berührte das Wasser. Wellen überrollten ihren Kopf, sie verschluckten ihn und schieden ihn wieder aus, dann schien er sekundenlang auf dem Wasser zu treiben wie eine bleiche Boje, bis ihn die nächste Welle erreichte.
„Der Mensch ist alles, was dem Menschen geblieben ist“, fuhr der Verkäufer fort. Er hockte grinsend im Schneidersitz, hinter seinem Bauchladen und trennte mit einer kleinen Säge die Plastikköpfe von den Rümpfen seiner billigen Skulpturen, warf die Köpfe zurück in die Holzkiste und verscharrte die Rümpfe im Sand. „Der Mensch ist des Menschen höchste Instanz. Man muss zusammenrücken, um in der leeren Kälte des Alls nicht zu erfrieren.“
„Was tun sie da?“
„Ich passe mein Sortiment an.“ Die Säge des Verkäufers fraß sich durch einen der Plastikhälse. „Wollen Sie einen Kopf kaufen? Einen schönen Kopf? Ein kleines Andenken an den Mann ohne Gesicht?“
„Nein.“
„Das ist schade.“ Der Verkäufer sägte. Und grinste. Sägte und grinste. „Erinnerungen sind flüchtig, wissen Sie? Man vergisst schnell.“ Er warf einen Kopf in seinen Bauchladen, dann hob er mit zwei Fingern eine kleine Grube aus. „Dabei besteht ein Mensch doch zum größten Teil aus Erinnerungen.“
„Ich will Ihren Schund nicht.“ Richard ging ein paar Schritte, dem Wasser entgegen, dann blieb er wieder stehen. „Lassen Sie mich endlich in Ruhe.“
Die Säge hallte durch die Dunkelheit. Es klang, als würden Wände den Schall reflektieren. Höhlenwände. Als bestünde die Nacht, die sie umgab, aus Felsgestein.
„Was ist mit Ihrer Reklamation? Hatten Sie Erfolg? Sind diese Grauhaarigen wieder aufgetaucht?“
„Nein. Sind sie nicht.“
„Das tut mir leid.“ Die Säge verstummte. Ihr Nachhall schwebte kurz über dem Rauschen der Wellen, dann versank er darin. „Man kann ihn kaum noch erkennen. Er ist zu weit draußen.“ Richard sah aus dem Augenwinkel, dass der Mann aufgestanden war und die flache Hand gegen seine Augenbrauen gepresst hatte. „Vielleicht sollte ich Ferngläser in mein Sortiment aufnehmen. Was meinen Sie?“

*

Er taumelte ins Wohnzimmer. Eine kalte Herbstsonne schien durch die Terrassentür herein, füllte den Raum mit Licht. Es hatte die Schatten verdrängt, hatte sie aus allen Ecken gespült, aus den Fugen, war unter die Möbel geflossen, unter Tische und Stühle, hatte jeden Winkel enthüllt.
Sarah starrte ihn an. Sie stand hinter Hans, der zusammengesunken auf einem Stuhl hockte, zog ihre Hände aus den Hosentaschen und legte sie ihm auf die badetuchbedeckten Schultern. Hans hob langsam den Kopf. Seine Haare waren nass. Die Augen geschlossen. Zwischen seinen nackten Füße hatte sich eine Pfütze gebildet. Tropfen hingen an seinem Kinn. Er öffnete die Augen. Und starrte ihn an. Beide starrten ihn an. Sie glotzten. Ohne zu blinzeln.
„Die Polizei hat aufgegeben“, sagte Sarah. „Die Hubschrauber sind weggeflogen. Die Schiffe sind im Hafen.“
„Die Hunde bellen nicht mehr.“ Hans flüsterte. Seine Lippen zitterten.
„Die Polizei hat aufgegeben“, wiederholte Sarah.
Richard tastete hinter seinem Rücken nach der Klinke der Badezimmertür. Sarah und Hans beobachteten ihn. Ließen ihn nicht aus den Augen. Er schloss die Tür. Ihre Blicke klebten in seinem Gesicht.
„Arthur“, sagte Sarah.
Ihre Blicke. Er spürte, wie das Blut gerann. Wie das Fleisch wucherte. Sich die Muskelfasern verbanden. Er spürte es. Sah es in ihren Augen. Wie sein Mund sich bewegte. Sich die Wunden schlossen. Die Haare wuchsen. Er sah es.
„Arthur“, sagte Hans.
Arthur. Er sah ihn in ihren Augen. Er sah sich in ihren Augen. Wie real war ein Wesen, eine Seele, oder wie immer man es nennen wollte, wie real war er, Richard, wenn er sich nicht offenbarte? Er sah aus wie Arthur. Er handelte, wie man es von Arthur erwartete, versuchte es zumindest. Er hatte sich an die Rolle gewöhnt.
„Arthur“, sagten Beide.
Er lehnte sich gegen die Badezimmertür. Das Ich. Es floss. Man war, was man tat. Nur Handlungen waren real. Richard? War eine Fiktion. Nichts weiter.
„Arthur.“
Er spürte die Last ihrer Blicke. Die Last ihres Urteils. Es war gefällt.
„Arthur.“
Er nickte. Arthur.

*

Die Silhouette des Leuchtturms zeichnete sich gegen den anbrechenden Morgen ab, der am Horizont aus dem Wasser aufzusteigen schien. Richard betrachtete den dunkelblauen Streifen, der langsam breiter wurde, betrachtete das Meer, das die Tiefe, die den Mann ohne Gesicht verschluckt hatte, wie ein windzerknittertes Tuch überspannte. Seltsame Dinge waren hier geschehen. Seltsame Dinge.
Er wandte sich vom Meer ab. Der Hut des Verkäufers lag auf einem Strandstück, das wie umgegraben aussah, ein rechteckiges Strandstück, übersäht mit Schlammbrocken und den roten Köpfen der Plastikmännchen, die um den Bauchladen herum den Sand verpickelten. Man hatte die Holzkiste ausgeräumt, ihren Inhalt verstreut, die Lederriemen zerrissen. Man hatte Platz geschaffen. Für dieses Ding, dieses rundliche Ding, das in ein weißes Laken eingewickelt war. Die Säge des Verkäufers steckte im Sand. Ungefähr dort, wo der Pfahl gestanden hatte.
Richard ging den Dünen entgegen, stapfte durch den Sand, durch das Gras. Er hatte seine Hände in die Hosentaschen gestopft und den Kopf im hochgestellten Kragen von Arthurs Jacke versenkt. Hinter ihm grummelte das Meer. Es klang wie ein schlafendes Tier. Vor ihm tauchten die Ferienhäuser auf, diese Bretterhaufen, die wie weggeworfen im hohen Gras lagen.

*

„Kinder? Nein, auf keinen Fall.“
„Warum nicht?“
„Die Kinder von heute sind die Alten von morgen. Und die Toten von übermorgen.“ Arthur hatte sich einen Schritt zurückfallen lassen. Er öffnete seine Jacke, fingerte eine Zigarette aus seiner Hemdtasche und stopfte sie sich zwischen die Lippen. „Kennst du diese Geschichte, diesen Mythos, den Nietzsche in einem seiner Bücher erwähnt hat?“, fuhr Arthur fort. „Den Mythos vom weisen Silen, der König Midas enthüllt, was das beste für den Menschen ist?“
„Nein.“ Sarah betrachtete ihre Füße, die durch die Brandung pflügten. „Und was ist das beste für den Menschen?“
„Nicht geboren zu sein“, sagte Arthur. Die Zigarette wippte. Er hatte nicht vor, sie zu rauchen, sondern liebte die nuschelnde Lässigkeit, die eine Kippe seinen Worten verlieh.
„Das ist lächerlich. Wie verbittert muss man sein, um so etwas zu glauben?“ Sarah wich einer Qualle aus. „Im Großen und Ganzen ist das Leben nicht übel.“
Arthur schüttelte den Kopf, obwohl er wusste, dass sie es nicht sah. Obwohl er ihr zustimmte. Das Leben war tatsächlich nicht übel. Ganz und gar nicht. Wir lieben das Leben, nicht, weil wir an's Leben, sondern weil wir ans Lieben gewöhnt sind. Auch das stammte von Nietzsche. Arthur sah das ähnlich. Er hatte sich ans Lieben gewöhnt, an die Leidenschaft.
„Wenn unsere Eltern so gedacht hätten, dann hätten wir uns nicht kennen gelernt“, sagte Sarah und warf einen Blick über ihre Schulter.
Arthur kaute auf seiner Zigarette herum. Eigentlich hatte er keine moralischen Bedenken gegen die Fortpflanzung. Das einzige, was ihn an Kindern störte, waren die Verbindlichkeiten, die sie mit sich brachten. Er wusste nicht genau, warum er die Weisheit des Silen erwähnt hatte. Vermutlich war es die Situation gewesen, die ihn dazu verleitet hatte, der menschenleere Strand, der graue Himmel, die Nieselregenschwaden, die über dem Meer hingen, das Ende des Urlaubs, das Verschwinden eines Freundes. Das alles stimmte ihn melancholisch. Zumindest glaubte er, dass eine solche Situation ein gewissen Maß an Melancholie erforderte. Er hielt das schlicht und ergreifend für angemessen.
Der menschenleere Strand, der graue Himmel, die Nieselregenschwaden, die über dem Meer hingen, das Ende des Urlaubs, das Verschwinden eines Freundes. Das Verschwinden eines Freundes. Arthur zuckte mit den Schultern. Eigentlich war er darüber nicht sonderlich betrübt. Er vermisste ihn nicht. Menschen kamen, Menschen gingen. So war das Leben.
Arthur verscheuchte diese Gedanken und blickte zu Boden. Sarah war stehen geblieben.
„Werden wir uns wiedersehen, wenn wir wieder zu Hause sind?“, fragte sie.
Arthur griff nach ihrer Hand. Eine routinierte Geste, die bereits zum Ritual verkommen war. Die Spontaneität war daraus entwichen, das Begehren. Es war lediglich ein Zeichen, das Liebe bedeutete. Wenn die Realität verschwand, tauchten die Symbole auf, um die Lücke zu schließen. Die Gewohnheit hatte sich eingeschlichen. Die Gewohnheit, die man irgendwann, wenn eine Beziehung sich selbst überleben sollte, zu einer reiferen Form der Liebe verklärte.
„Nein“, sagte er. „Ich glaube nicht.“

 

Hi Potato!
Freut mich, mal wieder von dir zu lesen. :)

Leider bin ich von der Geschichte selbst nicht so begeistert. Du schreibst viel zu kompliziert, so viele anstrengede Wörter und zu wenig Absätze. Das Thema selbst ist ja geil, aber der Handlung ist extrem schwer zu folgen, man muss sich einfach so stark konzentrieren, in den Sätzen nicht den Faden zu verlieren.

Was auch den Lesefluss deutlich beeinflusst, sind die dauernden Wiederholungen. Spärlich gesetzt können Wiederholungen ja hin und wieder dem Leser eine Botschaft besser vermitteln, aber mMn übertreibst du es etwas. ;)


Sie schien anspruchslos zu sein. Anspruchslos.
Am Anfang hatte er sich noch nicht für Sarah interessiert. Am Anfang.
Zeichen. Zeichen, die er gedeutet hatte. Falsch gedeutet.
Sie hatte ihm natürlich geschmeichelt, diese Zuneigung. Diese Zuneigung, die nie existiert hatte.
Na, du verstehst sicher, was ich meine. Dadurch ziehst du den Text unnötig in die Länge, man könnte ein Drittel an Wiederholungen ersatzlos streichen. Sie durchbrechen den Lesefluss und auch wenn einige schöne Bilder darunter sind, täte etwas weniger der Geschichte schon gut. Das Ganze ist etwas zu sehr Lovecraft, auch die vielen, vielen kurzen Hauptsätze machen die Geschichte sehr abgehackt. Bei den Dialogen jedoch merkt man, dass du was drauf hast, da beschränkst du dich (meistens) auf das Wesentliche. Der Bauchladen-Verkäufer z.B. ist toll. Der Leser lernt ihn kennen, sogar fast besser als den Protagonisten


Wie gesagt, das gewählte Thema finde ich toll, ich denke nur, es würde um einiges besser ankommen, wenn du nicht so dick auftragen würdest. Ich persönlich würde auch ein Drittel der Geschichte Hops gehen lassen. :)

Noch ein paar Kleinigkeiten:

Richard hatte seine Ellenbogen auf die Fensterbank gestützt und beobachtete den fahlen Finger eines Leuchtturms, der den Horizont betatschte.
Ein einzelner Finger kann nicht tatschen, sondern eher nur tasten.

Vermutlich über einen seiner schlechten Witze. Sie schien anspruchslos zu sein. Anspruchslos. In jeder Beziehung.
Kurze, treffende Charakterisierung, sehr cool. Aber ich würde das alleinstehende Anspruchlos streichen.

Die Säge hallte durch die Dunkelheit.
Eine Säge kann nicht hallen, nur das Geräuscht, das sie macht.


Ich hoffe, du magst mich trotzdem noch. :shy:
Und lass dich wieder öfter mal blicken!

Tamira

 

Hi Tamira,

Freut mich, mal wieder von dir zu lesen.

Und mich freut es, mal wieder von dir kritisiert zu werden. :D

[...] zu wenig Absätze. [...] die vielen, vielen kurzen Hauptsätze [...]

Klar, ich kann verstehen, dass man sich an diesem Stil stößt, aber ich habe ihn halt verwendet, um einen Zustand des Protagonisten darzustellen - den Rausch. Strukturierende Absätze und lange, klar aufgebaute Sätze passen mMn einfach nicht zu einem wirren, alkoholgetränkten Albtraum. Oder zu einer Wahnvorstellung, in der sich der Prot das Gesicht zerhackt.

Was auch den Lesefluss deutlich beeinflusst, sind die dauernden Wiederholungen.

Ja, da muss ich dir Recht geben. Ein paar dieser Wiederholungen können wohl gestrichen werden.

Ein einzelner Finger kann nicht tatschen, sondern eher nur tasten.

Der Unterschied zwischen "tatschen" und "tasten" war für mich bislang eher ein qualitativer, also die Art, wie man etwas berührt, nicht mit wievielen Fingern man dies tut. Vielleicht irre ich mich, aber da "tatschen" anders konnotiert ist als "tasten", würde ich dazu tendieren, es nicht zu ändern. "Tasten" ist ein neutraler Begriff. "Tatschen" nicht.

Aber ich würde das alleinstehende Anspruchlos streichen.

Ja, das gehört tatsächlich zu den überflüssigen Wiederholungen. Das sehe ich ein ...

Eine Säge kann nicht hallen, nur das Geräuscht, das sie macht.

Schon klar. Aber ich halte es für zulässig, ein Geräusch, das ein Gegenstand verursacht, durch den Gegenstand zu ersetzen, der das Geräusch verursacht.

Ich hoffe, du magst mich trotzdem noch.

:anstoss:

Und lass dich wieder öfter mal blicken!

Mal sehen. Momentan hat die Arbeit an meinem Roman natürlich höchste Priorität. "Salzwasser" war nur ein kleines (und offensichtlich nicht ganz ausgereiftes :Pfeif:) Intermezzo. Manchmal braucht man halt eine Pause, ein wenig Abstand, etwas Abwechslung ... :D

Danke für deine Kritik.

Grüße,

MrPotato

 

Hallo,

Möwen kreisten über dem herbstleeren Strand, ihr Kreischen durchschnitt das Zwielicht, das sich heranwälzte, über die Sandhügel hinweg, dem Haus entgegen, sich langsam zur Nacht verdichtete.
Der Satz kommt mir wie ein Kartenhaus vor, dem man immer noch eine Etage draufbaut, obwohl’s nach der Hälfte schon wackelt. Und das „sich langsam zur Nacht verdichtete“ liest man auf die Möwen bezogen und nicht aufs „Zwielicht“. Das ist schon arg üppig.

Sarah lachte. Vermutlich über einen seiner schlechten Witze. Sie schien anspruchslos zu sein. In jeder Beziehung.
Hier stört der parallele Satzbau mit der Anfügung.

Wie ein Verdurstender, der in einer schlammgetrübten Salzwasserpfütze eine frische Quelle zu erkennen glaubte.
Würde ohne die Adjektive stärker wirken.

die sich ineinander schoben, sich überlagerten, verknoteten, ihre Konturen der Ekstase opferten.
Ist mir zu manieriert.

Noch nicht lange genug. Er wollte hier weg. Verschwinden. Aus dieser beschissenen Hütte. Das alles vergessen. Der Whiskey gluckerte. Richard schluckte.
Hier wieder, Manierismen.

„Das ist das Meer, wissen Sie?
Nur dadurch, dass jemanden so übertrieben oft eine Phrase wiederholen lässt, gibt man ihm noch keine eigene Stimme. Zumal dieses „wissen Sie“ eher ein Anglizismus ist und im Deutschen wie ein Fremdkörper wirkt.

„Zumindest wird es zu einer, sobald man ein neues Werk von dir erwartet. Sich darauf freut. Es von dir fordert.“
Sogar die Figuren sprechen in diesem furchtbaren Stilmittel.

Der Text hat zwei furchtbare Manierismen. Die Asthma-Sätze und diese Akkumlationsbeiklatschungen. Und eine davon würde schon reichen, um den Text nachhaltig zu killen
Der Plot, soweit ich ihm folgen konnte, ist ein altes literarisches Motiv, ein Mann nimmt die Identität eines anderen an, um mit dessen Frau zu schlafen (Artus-Sage taucht das auf, glaub ich), das ist spannend, aber ich hab nach der Hälfte des Textes, als es dann zum dritten Mal Punkte hagelte, nur noch quer gelesen, ich finde das ist wirklich ein furchtbar auf „Besonderheit“ getunter Text. Da graust es mich. So ein Stilmittel wie dieser Asthma-Stil zum Beispiel, das kann man machen, dann muss man die Passagen aber wie ein Irrer bearbeiten, damit sie nicht lächerlich klingen und einen gewissen Sound haben. Und man muss sie ganz dosiert einsetzen.
Dieses andere Stilmittel, die Häufung da, wenn man einfach immer weiter schreibt, ist des Teufels, des Luzifers, des Satans. Nein, so schlimm ist das nicht, aber das muss wirklich ganz dosiert eingesetzt werden, sonst ist das eine furchtbare Marotte, die jeden Text zerschießt. Nur weil es „irgendwie poetisch“ klingt. Ganz schlimm.
Und auch den Dialogen konnte ich nicht folgen, weil ich überlegt habe, ein Trinkspiel zu veranstalten, bei dem man jedes Mal einen kippt, wenn der Typ „Wissen Sie?“ sagt. Das ist so … aus dem Baukasten. Wir geben einer Figur eine individuelle Dialogstimme. So. Und dann gibt man ihm entweder einen Sprachfehler oder einen Dialekt oder man lässt ihn die immer gleiche Phrase wiederholen. Und du hast dich für Möglichkeit 3 entschieden, aber es furchtbar übertrieben. Also man kann – und sollte auch – Figuren einen eigenen Ton geben, aber das erfordert mehr Arbeit, als alle 2 Zeilen einmal „Wissen Sie?“ ans Satzende zu hängen.

Aber ist nur meine Meinung, sicher sehen es andere anders.
Gruß
Quinn

 

Hallo MrPotato,

du kannst schreiben, das muss man dir lassen, hast eine Tendenz zu Philosophie, du hast auch einen guten Wortschatz und weißt mit ihm umzugehen, dafür keine Rechtschreibfehler (zumindest ich habe keine gefunden), das Story-Motiv mag jetzt nichts neues prickelndes sein, aber was soll's, bei so vielen Jahrhunderten Schriftsprache

Trotzdem hat mir deine Geschichte nicht wirklich gefallen. Zu lang, streckenweise zu kompliziert, die Tempiwechsel sind nicht immer gelungen, manchmal war die Reihenfolge nicht nachvollziehbar (aber vielleicht liegt es an mir), dein Sanso Pansa des Strandes war zwar irgendwie originell, doch dann wieder störend. Ein bisschen weniger wäre vermutlich mehr gewesen.

lg
lev

 

Hi Quinn, hi Lev,

vielen Dank für eure Kritiken. Inzwischen - mit ein wenig Abstand - seh ich es ähnlich wie ihr: ich habe übertrieben. Manchmal geht es halt mit einem durch. Der Versuch, eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen, ist gründlich nach hinten los gegangen. Häufig ist weniger tatsächlich mehr, das stimmt, auch wenn es noch so abgedroschen klingt.
Die "Rauschsequenzen" scheinen ebenfalls eher nervig als rauschhaft zu sein (vermutlich stand ich noch zu stark unter dem Einfluss von Célines zerhackten Sätzen. :D). Als Autor kennt man den Text natürlich zu gut, um zu stolpern. Die GEwohnheit glättet die Übergänge, alles wirkt flüssig. Und dann kommt ein Leser und fällt prompt auf die Fresse. :D

Die Reihenfolge sollte übrigens auch nicht nachvollziehbar sein. Durch den Verzicht auf eine herkömmliche Chronologie wollte ich die "Unwirklichkeit" des Szenarios steigern, den zeitlichen Rahmen verwischen.

Nochmals danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, den Text zu lesen und zu kommentieren. Es ist wirklich sehr hilfreich, die eigene Schreiberei mal wieder durch die Augen eines unvoreingenommenen Lesers zu betrachten. Wenn man monatelang einsam an einem Roman werkelt, stumpft der kritische Blick irgendwann ein wenig ab. :D

Grüße,

MrPotato

 

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