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Satellit
Noch im Dunkeln packten sie zusammen; der anbrechende Tag war nicht mehr als ein schwaches Licht am kalten Horizont, als sie bereits unterwegs waren.
In den letzten Tagen hatte Routine eingesetzt, sie daran gewöhnt, stundenlang zu marschieren. Reine Notwendigkeit, durchgeführte Bewegung, gedankenlos, maschinengleich. Sie umgingen Hauptstraßen, Kreuzungen, Siedlungen; oder vielmehr: Menschen, über die sie nichts wussten.
Der Himmel war nahezu wolkenfrei, doch ein kühler Wind linderte die Hitze. Nach Mittag machten sie eine kurze Pause, kochten über einem kümmerlichen Feuer eine der letzten Konservensuppen, füllten ihre Flaschen an einem schlammigen Bachlauf und ruhten sogar für eine Weile aus, ohne viel Worte, den Horizont beobachtend. Später zogen einige Wolken auf, und am Nachmittag regnete es schwach für eine halbe Stunde.
Bei Dämmerung fanden sie ein verlassenes Haus, das abseits eines reglosen Dorfes stand; es schien lange nicht bewohnt zu sein. Durch die schmutzigen Fenster sahen sie Hausrat auf dem Fußboden liegen, doch obwohl die Tür aufgebrochen war, traten sie nicht ein, sondern legten ihre Schlafsäcke neben der Rückwand ins dürre Gras. Wenn er später daran zurückdachte, war er nicht sicher, aber erklärte es sich mit der Furcht vor dem Verlust zivilisatorischer Grundlagen - auch wenn er es nicht so ausgedrückt hätte. Dann wiederum war da eine unerklärbare Scheu. Und es kam ihm vor, als ob der erste Gedanke, das hohe Bild der Zivilisation, nur ein Schleier wäre für etwas, dass weit hinter den Worten in jedem läge.
Während der ersten Wache starrte er in die anbrechende Nacht. Er zog seine Jacke fester über die Schultern, als eine Brise ein Geräusch wie einen fernen Schrei herantrug. Aber er war sich nicht sicher, und egal wie angestrengt er lauschte, es blieb still. Das gleichmäßige Atmen seiner schlafenden Begleiter wirkte unverhältnismäßig laut. Ab und an spielte die Müdigkeit ihm einen Streich; er vernahm dann im Wind, der durch einen nahen Baum ging, das Geräusch eines Tieres oder eines sich anschleichenden, gesichtslosen Schreckens. Außer solchen kurzen Adrenalinschüben blieb er regungslos, kaum atmend, nahezu schlafend.
Die letzten Minuten bis elf zogen sich, doch er schaffte auch sie. Seine Glieder schmerzten, als er sich aufraffte, um Somar zu wecken. Nachdem er es endlich geschafft hatte und sicher war, dass Somar nicht sofort wieder einschlafen würde, fiel er schnell in einen tiefen Schlaf.
In seinem Traum war er Seemann auf einem rostigen Frachter voller Sand. Plötzlich verloren sie mitten auf See an Fahrt, und als sie sich über die Reling beugten, war das Meer um sie herum von einer Art Haut überzogen. Sie bewegte sich, als sei sie Teil eines großen Wesens, schüttelte das Schiff, als wolle es den Rumpf zerdrücken und sie in die Tiefe reißen. Der Gedanke versetzte ihn in Angst, als er plötzlich bemerkte, dass er nicht mehr schlief, aber das Schiff sich noch immer bewegte.
Er riss die Augen auf, sein Oberkörper schnellte hoch, aber da war kein Schiff mehr, nur der Mond, der alles mit schwachem Weiß beleuchtete, und ein leichtes Schaukeln. Jemand legte ihm die Hand auf die Schulter, es war Somar, er flüsterte: „Nur ein kleines Erdbeben. Keine Sorge“, doch während seine Stimme ruhig blieb, waren seine Augen ein großes Weiß.
Nach ein paar Sekunden war alles vorbei; die anderen waren nicht einmal aufgewacht. Eine Weile saß er noch da, beruhigte sich, spürte Hunger. Er lehnte sich zurück und sah, um sich abzulenken, zu den Sternen. Der Himmel war klar; trotz der Frische schwitzte er. Dann sah er eine schnelle Bewegung, wohl einen Satelliten, über sich, und dachte darüber nach, über die Einsamkeit von Satelliten. Darüber glitt er in einige wirre Traumszenen, in denen er verfolgt wurde. Er wachte wieder auf, es war noch vor Dämmerung, sah sich um und bemerkte, dass Somar verschwunden war.