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Schnee

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02.01.2011
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Schnee

Nachmittags fiel wieder Schnee. Ich stand an der Balkontür und sah gegenüber die Baustelle, den Aushub des Fundaments, den Rohbau, die Bagger und Betonmischer unter einer weißen Schicht versinken. Aus den anderen Wohnhäusern links und rechts der Siedlung sah ich Fenster leuchten, ihre Umrisse vage hinter all dem fallenden Weiß verschwinden. Der Himmel war wie aus einem einzigen Stück dicker, nasser Watte. Kurz dachte ich nach, dann wurde mir klar, dass es diese unglaubliche Stille war, die dort draußen herrschte und die der Schnee immer mit sich brachte, die eine solche Faszination auf mich ausübte; und ich dachte, dass Schneefall das einzige Unwetter ist, das vollkommen geräuschlos daherkommen und eine ganze Stadt lahmlegen und ersticken kann.
Ich ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Ich war acht Wochen krankgeschrieben, und ein Austauschdoktorand aus der Elfenbeinküste übernahm meine beiden quellenkundlichen Seminare montags und mittwochs. Drüben im Schlafzimmer hörte ich Maya atmen, leise und gleichmäßig, und als ich etwas Milch im Topf erhitzt hatte und mit der fertigen Tasse Kaffee im Gang stand, hörte ich, wie sie sich drehte, im Bett, wie sie etwas murmelte, und dann wieder leise ein- und ausatmete, ganz gleichmäßig und still. Im Wohnzimmer setzte ich mich in meinen Sessel, nahm mein Buch in die Hand und sah einen Moment lang wieder aus dem Fenster, auf all den herabfallenden Schnee, auf all die Masse, die sich dort oben, im Himmel, angesammelt hatte. Ich trank vom Kaffee und schlug mein Buch auf. Ich las Willkommen in Wellville von T.C. Boyle, ich war ungefähr in der Mitte. Der Roman handelte von Dr. Kellogg, der mit seinem Bruder die berühmten Cornflakes erfand, allerdings mit der Intention, sie würden sämtliche Verstopfung und somit auch jegliche sexuelle Impulse im menschlichen Körper beseitigen; Sexualität hielt Dr. Kellogg für die Ursache aller geistigen und leiblichen Übel. Ich trank wieder vom Kaffee, als mir plötzlich dieser Fleck rechts oben auf der Buchseite auffiel. Erst schenkte ich ihm keine Beachtung, wollte schon umblättern, aber er kam mir seltsam vor, dieser Fleck; ich kratzte an ihm herum, aber er ließ sich weder entfernen noch verwischen. Das Papier fühlte sich glatt an. Es war ein schwarzer, kleiner, punktförmiger Fleck, wie Tinte, aber doch anders, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wieso.

Maya streckte sich, als sie in die Küche kam. »Ah«, stöhnte sie und fuhr sich durch die Haare. Ich saß am kleinen Küchentisch, gegenüber der Spüle, und aß eine Scheibe Brot, mit dem Buch aufgeschlagen vor mir. Sie trug meinen grauen Oxford-Pulli, der ihr fast bis zu den Knien ging, ansonsten nichts. »Ich liebe Sonntage«, sagte sie, mit dem Blick an mir vorbei, in Richtung Fenster.
»Mhm«, machte ich, lächelte sie an und sah wieder in mein Buch. Sie ging an mir vorbei, fuhr mir durch die Haare, und als ich mich umdrehte, stand sie schon am Fenster; ich sah ihre nackten Beine, ihre nackten Füße. Ihre kastanienbraunen, welligen Haare waren zerzaust. »Was für ein Schnee«, sagte sie und stand am Fenster. Sie sagte: »Sowas hab ich ja noch nie gesehen.«
Ich legte mein Brot auf den Teller und ging auch zum Fenster. »Geht schon die ganze Zeit so«, sagte ich und kaute. Wir schauten hinaus, auf das Viertel und die Baustelle, und dann sagte sie: »Ich liebe Schnee«, und aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie sich zu mir drehte. Ich blickte noch einen Moment aus dem Fenster, und kurz hatte ich das Gefühl, all den Schnee, all die Masse dort draußen auf eine seltsame Art spüren zu können; als sei das ich dort draußen, der sich auf das Viertel legte. Ich drehte mich um zu ihr, fuhr ihr über die Wange. Ich sah die kleine Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen. Wir lächelten uns an, und dann küsste ich sie.

Später saßen wir wieder am Küchentisch und aßen Fleischspieße mit Pellkartoffeln. Sie hatte sich die Haare zum Zopf gebunden, trug noch immer meinen Pulli, und mein Buch lag geschlossen neben der Wasserkaraffe.
»Du hast da was«, sagte ich, sah sie an und tippte mir leicht an die Stirn, an einer Stelle über meinem rechten Auge.
»Hier?«
»Weiter links«, sagte ich.
Sie kratzte sich und sah auf ihre Fingerspitze. »Ich spür nichts«, sagte sie. Ich kniff die Augen zusammen und beugte mich über den Tisch. Ich fuhr ihr mit dem Daumen über die Stelle: ein schwarzer, kreisrunder Fleck; – größer als der in meinem Buch, aber immer noch winzig.
»Jetzt mach mir keine Angst«, sagte sie, setzte sich steif zurück in den Stuhl, warf mir einen Blick zu, stand auf und lief hinaus. Ich hörte sie ins Bad gehen, das Licht über dem Spiegel einschalten. Als sie wieder in die Küche kam, fuhr sie sich über die Stelle an der Stirn und schaute dabei nachdenklich auf den Linoleumboden. Schließlich hob sie ihren Blick zu mir und sagte: »Also ich seh da nichts.« Sie setzte sich wieder und schaute mich an, und ich blickte auf ihre Stirn und dann in ihre Augen.

Nachts hörte ich sie wieder atmen. Das Fenster war gekippt und die Heizung aufgedreht. Sie lag mit der Decke umschlungen neben mir, und draußen sah ich den Schnee fallen. In den Nachrichten kursierte der Begriff »Sibirische Kältefront«. Ich dachte an mein Buch und an Dr. Kellogg, dann an das Fenster in der Küche, und wie wir dort gestanden waren und uns geküsst hatten. Wir waren seit drei Jahren ein Paar. Vor acht Monaten zog sie bei mir ein. Ich war nie woanders gewesen; ich zog mit Anfang zwanzig in diese Stadt. Ich hatte das Studium beendet, und dann die Doktoranden-Stelle angeboten bekommen. Man empfahl mir, die Doktoranden-Stelle anzunehmen, und wir waren erst seit kurzem zusammengezogen. Ich interessierte mich für mittelalterliche Geschichte, und ich liebte meine Freundin. Man hatte mich acht Wochen krankgeschrieben. Es war mir unangenehm gewesen, acht Wochen krankgeschrieben worden zu sein; ich wollte es nicht, aber die Universitäts-Leitung ließ nicht mit sich reden. Sie sagten, ich solle jemanden aufsuchen. Meine Freundin sagte, ich solle jemanden aufsuchen. Ich fuhr mir übers Gesicht und wälzte mich hin und her, legte mich auf den Rücken und schaute hinaus aus dem Fenster, auf einzelne, dicke Schneeflocken, die unter dem Licht der Straßenlaterne vorbeizogen. Ein Auto fuhr vorbei, langsam und knarzend wälzte es sich durch den Schnee. Ich schaltete die kleine Lampe auf meinem Nachttisch an, und dann drehte ich mich rüber zu ihr. Sie lag mit dem Gesicht zu mir, mit der Decke eingerollt in ihren Armen. Ich beugte mich näher zu ihr, sah auf den Fleck und versuchte mich daran zu erinnern, wie groß er am Nachmittag gewesen war. Ich schob mein Gesicht ganz nah an ihres, und es war komisch: Ich hatte das Gefühl, dass sich dort etwas bewegen würde, in dem Fleck auf ihrer Stirn; ich hatte das Gefühl, dass er außen dunkler wäre als innen, und dass im Zentrum irgendeine Art von Bewegung stattfinden würde.

Als ich aufwachte, war sie schon aus der Wohnung. Sie war gerade fünfundzwanzig geworden und in den letzten Zügen ihres Studiums. Sie studierte Innenarchitektur, und manchmal erzählte sie mir, was sie taten, aber immer war mir, als könne ich ihr nicht ganz folgen, als fehlten wichtige Wortgruppen in ihren Sätzen, die erst den Sinn ihrer Aussagen vervollständigt hätten. Den Winter über arbeitete sie halbtags in einem Büro, und sie planten Ausstellungen, Messen und die Innenräume von Krankenstationen. Manchmal erzählte sie mir davon und schickte mir Fotos, aber selten erzählte ich ihr von meiner Dissertation. Ich erzählte allgemein selten Leuten von meiner Dissertation, und oft legte ich in meinem kleinen Büro die Füße auf den Tisch, lehnte mich in meinen Drehstuhl zurück und schloss die Augen. Ich hatte sie auf einer WG-Feier kennengelernt, weil ich als einziger abseits auf einer Couch gesessen war und die Leute beobachtete hatte. Als sie mich ansprach, war mein erster Gedanke, dass sie ein viel zu hübsches Mädchen sei, und mein zweiter, dass ich nicht wüsste, was ich mit einem solchen Mädchen reden könnte. Sie nannte mich »mein Träumer«, und oft bemerkte ich, wie sie mich beobachtete, wenn ich in meinem Sessel saß, las oder aus dem Fenster schaute. In solchen Momenten lag da etwas in ihrem Blick; als ob sie etwas in mir erkennen könnte, das nur sie in mir erkannte, und das womöglich nicht einmal ich selbst in mir sah. Ich liebte sie, und außer ein paar kleinen Streitereien konnte ich mich an nichts Negatives erinnern, was wir durchgemacht hätten; aber ich musste auch an das Fenster denken, und wie wir beide dort gestanden waren und auf den Schnee geblickt hatten.

Ich duschte lange und heiß. Ich zog mir meinen Bademantel über und kochte wieder Kaffee und Milch auf. Als ich mein Buch neben der Wasserkaraffe liegen sah, nahm ich es in die Hand und blätterte darin herum, bis ich den Fleck wieder rechts oben auf der Seite entdeckte. Ich hielt das Buch mit der aufgeschlagenen Seite in verschiedenen Winkeln, drückte ein Auge zu und besah es von der Diagonalen. Er war größer geworden, der Fleck, nur um Haaresbreite, aber dennoch war er von einem kleinen Punkt zu einem winzigen Kreis angewachsen; ich hatte das Gefühl, dass der Rand dunkler wäre als der Rest, und dass sich in der Mitte irgendetwas bewegte. Ich besah das Blatt von der Rückseite. Ich fuhr mit dem Finger über den Fleck, ließ ihn einen Moment darauf liegen. Er war etwas wärmer als der Rest des Blattes, und ich hatte das Gefühl, eine leichte Bewegung unter meiner Fingerkuppe zu spüren.

Ich setzte mich im Bademantel in meinen Sessel, trank von meinem Kaffee und schlug mein Buch auf. Ich las ein paar Sätze, konnte mich aber nicht auf den Text konzentrieren. Ich blätterte zurück zu dem Fleck, die Seite hatte ich oben rechts mit einem kleinen Eselsohr markiert. Aus dem Augenwinkel sah ich draußen wieder Schnee fallen, in dicken Flocken, ganz gleichmäßig und träge, unter einer grau-weißen, nässlich wirkenden Wolkendecke. Ich hielt ein Auge so nah an den schwarzen Fleck oder Kreis, dass meine Wimpern das Papier berührten, das andere drückte ich zu. Im Inneren des Kreises sah ich – wie in einem kleinen TV – weißen Schnee fallen, und ich sah das Küchenfenster, und wie wir davor standen und nach draußen blickten. Ich zog mein Auge weg von dem Buch, klappte es zu und atmete tief ein und aus. Ich spürte mein Herz stark in meiner Brust schlagen, aber auf einer seltsamen Art war ich innerlich ganz ruhig.

Ich ging ins Schlafzimmer, immer noch mit dem starken Schlag meines Herzens in der Brust, und zog die Schubladen unseres Kleiderschrankes auf. Ich nahm mir Socken, Unterwäsche und ein T-Shirt aus meinem Fach. Ich hängte den Bademantel über den Wäscheständer, zog mich an und sah dann auf unser ungemachtes Bett. Ich hatte so ein Gefühl; – aber was war hier schon ein Gefühl? Ich zog die Bettdecke von ihrer Seite der Matratze. Ich sah den schwarzen Fleck auf dem Laken, wie ein öliger, geometrisch korrekter Kreis, auf der Höhe, auf der sie mit ihrer Stirn geschlafen hatte. War er auch schon da gewesen, als ich aufgewacht war? Ich kniete mich auf die Matratze und sah in den Kreis; er hatte ungefähr den Durchmesser des kleinen Topfes, mit dem ich mir immer meine Milch aufkochte. Der äußere Rand des Kreises war schwarz, die Mitte war heller, mit orangenen und weißen Farbtupfen, die sich bewegten. Ich spürte mein Herz schlagen, aber ansonsten war ich seltsam ruhig. Ich ging mit dem Gesicht näher an den Kreis. Ich erkannte unser Schlafzimmer in dem Kreis, und wie wir nachts im Bett lagen, und wie der Schnee am Fenster vorbeizog, das Orange der Straßenlaterne leicht hereinbrach. Ich sah mich in dem Kreis, wie ich mich hin und her wälzte, im Bett, und wie sie neben mir lag und schlief.

Ich sprang vom Bett und lief den Gang entlang. Ich fuhr mir durch die Haare. Ich ging in die Küche, nahm mir ein Glas, hielt es unter den Wasserhahn und trank ein paar kräftige Schlücke. Ich fragte mich, was nicht mit mir stimmte, aber ich fühlte mich seltsam ruhig. Draußen fiel der Schnee. Der Kühlschrank brummte. Meine Füße waren kalt auf dem Linoleumboden. Ich ging ins Schlafzimmer, sah noch einen Augenblick in den Kreis, sah Maya und mich dort in der Dunkelheit im Bett liegen, dann zog ich das Bettlaken von der Matratze, zerknüllte es und warf es auf den Boden. Ich sah die dunkle Stelle im Stoff wie in das Laken eingezogene, schwarze Tinte, aber nichts bewegte sich mehr dort.

Sie pfiff zweimal, als sie durch die Wohnungstür eintrat, so wie sie es immer tat. Ich stand in der Küche am Herd und briet tiefgefrorene Seelachsfilets. Sie kratzte noch einmal mit den Fingernägeln an die Küchentür, bevor sie hereinkam. Die Dunstabzugshaube war auf Stufe 4 und hatte den Geräuschpegel eines Staubsaugers.
»Hey«, sagte sie, und ich sah sie kurz an und dann sofort wieder weg. Ich stocherte mit dem Holzlöffel in der Pfanne herum, dann schaute ich wieder zu ihr. Sie lächelte mich unsicher an und ich sah den kreisrunden Fleck groß wie ein Zwei-Euro-Stück auf ihrer Stirn wie ein seltsames, drittes Auge. Ich sah, dass sich dort irgendetwas Helles bewegte, in dem Kreis, als ob man in einen winzig kleinen TV sehen würde.

»Du bist komisch«, sagte sie. Sie hatte sich einen weiten, weinroten Pulli übergezogen und saß mit einem Fuß unter dem Oberschenkel mir gegenüber am Küchentisch. Ich tröpfelte eine halbierte Zitrone über meinen Fisch, dann schüttelte ich den Kopf, sah sie an und sagte: »Wieso?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie, mit Gabel und Messer in der Hand und schaute mich an. »Du bist so still«, sagte sie. Ich versuchte nicht auf ihre Stirn zu sehen. Ich war mir nicht sicher, was sich dort in dem Kreis bewegte, was man dort sehen konnte, aber ich wollte sie nicht unnötig beunruhigen.

Abends schlief sie ein, lange bevor der Film endete. Ich hatte den Film ausgewählt, und er war ein Cop-Film aus den Neunzigern, ähnlich wie Lethal Weapon, aber ich konnte mir den Titel nicht merken. Sie lag mit dem Rücken zu mir, und das Fernsehbild flackerte auf ihr, und ich sah ihre kastanienbraunen, welligen Haare, ihren Hinterkopf, das Heben und Senken ihres Körpers. Kurz vor Ende des Films stand ich vorsichtig auf. Ich lief um das Bett. Als ich vor ihr stand, sah ich den Kreis oder Fleck wieder, und beinahe ihre komplette Gesichtshälfte war mit ihm bedeckt. Sie schlief und sie atmete ein und aus, mit der Decke wieder in ihren Armen, und aus dem Fernseher schallten Pistolenschüsse und quietschende Reifen. Ich schaute nur kurz in ihr Gesicht. Mein Herz begann wieder stark zu schlagen. Der Kreis leuchtete hell und ich wollte nicht sehen, was ich darin erkennen würde.

Ich lief ins Bad, schloss ab und schaltete das kleine Licht über dem Spiegel an. Ich schaufelte mir ein paar Handvoll Wasser ins Gesicht, streifte es mir in die Haare. Ich blickte mich im Spiegel an, dann drehte ich mich zur Waschmaschine und zog das Bettlaken aus der Trommel. Ich breitete das Bettlaken auf dem Fußboden aus und sah den riesigen, schwarz umrandeten Kreis, der jetzt beinahe das komplette Tuch überspannte. In dem Kreis sah ich mich, wie ich in einer meiner quellenkundlichen Seminare am Dozenten-Pult lehnte, die Arme verschränkt hielt und redete. Ich sah den Seminarraum, die Tische, die vereinzelten Studenten auf ihren Smartphones herumdrücken oder mich anblicken. Ich sah, dass ich dort am Pult stand und redete, aber ich hörte nichts davon, als ob jemand den Ton abgeschaltet hätte. Ich stand da und sah hinunter in den riesigen Kreis auf dem ausgebreiteten Bettlaken auf dem Bad-Boden. Ich weiß nicht, wieso, aber plötzlich versuchte ich, mich mit dem Fuß in den Kreis zu stellen, und erschrak, als ich dort keinen Boden mehr fühlte, sondern hinabzusteigen schien. Die Studenten und ich in dem Kreis starrten jetzt regungslos in meine Richtung, als ob sie etwas aus der Ecke des Raumes, aus der ich sie zu beobachten schien, gehört oder gesehen hätten. Ich hob das Bettlaken auf und hängte es so über den Schrank, dass ich mich und die Klasse direkt vor mir sah. Ich dachte kurz nach, und dann schob ich meine Hand in den Kreis, und wieder starrten meine Studenten und ich in meine Richtung. Ich zog meine Hand zurück und begutachtete meine Finger und Handfläche. Ich wartete einen kurzen Moment und sah, wie ich mich in dem Kreis wieder meinen Studenten zuwendete, wie ich weitererzählte und mich umdrehte und nach einem Blatt auf dem Pult griff.
Dann bückte ich mich und stieg vom Bad durch den Kreis. Mein Herz schlug wieder stark, aber innerlich war ich seltsam ruhig. Ich kam im Seminarraum an, und als ich mich umdrehte, sah ich den großen Kreis hinter mir, und auf der anderen Seite des Loches die Badewanne und den Duschvorhang und das Waschbecken. Als ich mich zurück in den Seminarraum drehte, starrten mich die Studenten und mein anderes, am Dozenten-Pult gelehntes Ich, wieder an; nicht aufgeregt oder erschrocken, sondern wie man jemanden anstarrt, dessen Handy im Kurs klingelt oder dessen Wasserflasche ungünstig umkippt.
Ich sah meinem anderen Ich dort am Pult in die Augen, und das andere Ich sah mir in die Augen. Dann begann mein anderes Ich wieder zu referieren, und ich erinnerte mich an die Sitzung, es ging um christliche Mohammed-Viten im zwölften Jahrhundert, und wie die Übersetzerschule von Toledo diese prägte. Es musste ein paar Wochen vor dem gewesen sein, was die Universitäts-Leitung »meinen Anfall« nannte. Ich sah mich dort stehen und den Kurs halten. Ich sah das große Mädchen mit der Brille und dem Kopftuch in der ersten Reihe sitzen, und den verschlafenen Jungen mit dem Kapuzen-Pulli in der letzten Reihe auf sein Smartphone tippen. Niemand schien sich für mich zu interessieren. Ich hörte immer noch nichts, als ob man mir die Ohren mit Wachs versiegelt hätte. Mein anderes Ich ging jetzt um das Pult herum, klickte im Stehen an seinem Laptop und eine Landkarte des Königreichs von Kastilien erschien auf der Leinwand hinter ihm.

Ich sah, wie mein anderes Ich die Sitzung beendete, und ich stand automatisch mit den Studenten von meinem Platz auf. Mein anderes Ich sah kurz fragend zu mir. Die Sonne brach seltsam orange durch die Fenster herein. Alles schien in einem seltsamen, orangenen Licht. Draußen lag kein Schnee, ich hörte keinen Ton.
Mein anderes Ich winkte mich zu sich ans Pult, er saß dort noch auf dem Stuhl und packte den Laptop und seine Unterlagen in seinen Koffer. Er sagte etwas zu mir, lächelte kurz und stand schließlich mir zunickend auf, mit dem Koffer in der Hand.
Wir nahmen den Weg zu dem kleinen Café schräg gegenüber meiner Fakultät, in dem ich nach den Kursen immer Milchkaffee trank, die Stille genoss und aus dem Fenster dem Treiben auf der Straße folgte. Das andere Ich ging zügig neben mir, redete währenddessen ein paar Sätze, sah mich lächelnd und abwägend dabei an, mit dem Koffer in der Hand. Ich ging in Socken, aber niemand schien sich daran zu stören. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals jemanden mit in mein Café genommen zu haben. Nirgends lag Schnee.
Die Kellnerin kam und nahm unsere Bestellung auf, dann saßen wir schweigend ganz hinten an meinem Tisch. Mein anderes Ich blickte aus dem Fenster, so wie ich es immer tat, mit den Ellbogen abstützend auf dem Tisch und den Händen gefaltet. Ich sah die Müdigkeit und das Bedürfnis zu schweigen im Gesicht des anderen Ichs. Das Lächeln und das Reden von vorhin kam mir wie etwas vor, das nicht zu ihm gehörte. Da war ein seltsam komischer Blick in seinen Augen, aber es war nicht die Müdigkeit.
Plötzlich sah mir das andere Ich prüfend in die Augen.
»Du hast da was«, sagte er und beugte sich skeptisch ein klein wenig über den Tisch zu mir, den Blick noch auf mein rechtes Auge fokussiert. Natürlich erschrak ich, seine Stimme zu hören. Ich hörte jetzt auch das Klappern von Tassen hinter dem Tresen und die Autos und Menschenstimmen dort draußen auf der Straße.
»Was?«, sagte ich und spürte meine Hände feucht werden.

Orange bricht das Licht der Straßenlaterne durch das Fenster ins Schlafzimmer, und ich fahre mir übers Gesicht, wälze mich hin und her. Einzelne, dicke Schneeflocken ziehen dort draußen vorbei. Ein Auto wälzt sich langsam und knarzend durch den Schnee. Ich drehe mich rüber zu ihr. Maya liegt mit dem Gesicht zu mir, die Decke eingerollt zwischen ihren Armen, ihr Geist in einer anderen Welt; vielleicht eine Welt, die nur sie ist, die nur aus ihr besteht. Ihr Gesicht vom Kinn bis zum Haaransatz von einem einzigen, großen Kreis überzogen. In dem Kreis, wie in einem TV, sehe ich sie, wie sie mit ihren dicken Stiefeln und dem Wintermantel durch den schienbeinhohen Schnee vor unserem Haus stapft. Sie lächelt und zieht sich kopfschüttelnd die Mütze gerade. All der dicke, tiefhängende Wolkenhimmel über ihr in einem seltsamen Gelb. All der Schnee dort draußen, vor meinem Fenster, und ich fahre mir übers Gesicht, wälze mich von einer Seite auf die andere.

 

Hallooooo lieber zigga,

nachdem sich die vorigen Kommentare ja mehr aufs "Formale" konzentriert haben, wollte ich mal meinen Senf zum Inhaltlichen dazu geben.

Also, ich fand die Geschichte ja irgendwie ganz nice, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich sie 100pro verstanden hab :D die Story ist natürlich seltsam, aber ich mochte das, ich finde, sie hatte was von Kafka.

Ich persönlich mochte das Erzähltempo, ich finde, es passt zu dem actionarmen und auf das Gefühlsleben des Erzählers konzentrierten Text. Ich finde, du hast trotzdem Spannung aufgebaut, ich habe die Beobachtungen des Erzählers bezüglich des Flecks jedenfalls gebannt verfolgt :D

Nur der Schluss, hm ... Ich muss sagen, ich hätte mir irgendwie eine "Erklärung" gewünscht (bzw. eine, die ich verstehe...). Ich habe zwar eine Vermutung, wofür der Fleck steht, aber das bleibt mir zu vage.
Andererseits ist diese Art von Ende natürlich auch wieder à la Kafka :P

Okay, und dann doch noch bisschen was zum Sprachlichen/Formalen:

Was mich ziemlich gestört hat, war das ständige "Bewegen" in dem Fleck. Erstens wegen der Wortwiederholung, zweitens ist der Begriff so schwammig. Ich fände es besser, du würdest das "Bewegen" konkretisieren. Kreisen, Schlingern, Pulsieren, ... was genau passiert in dem Fleck?

Kurz dachte ich nach, dann wurde mir klar, dass es diese unglaubliche Stille war, die dort draußen herrschte und die der Schnee immer mit sich brachte, die eine solche Faszination auf mich ausübte
Der Satz liest sich holprig, wie wärs, wenn du den mittleren Relativsatz streichst? Braucht es den?

und ich dachte, dass Schneefall das einzige Unwetter ist, das vollkommen geräuschlos daherkommen und eine ganze Stadt lahmlegen und ersticken kann.
:)

Ich liebte sie, und außer ein paar kleinen Streitereien konnte ich mich an nichts Negatives erinnern, was wir durchgemacht hätten;
Das finde ich belanglos. Kann meiner Meinung nach raus.

nässlich wirkenden Wolkendecke
wirkend finde ich immer unglücklich. Schreib doch einfach "nässlich" ;)

nahm mir ein Glas, hielt es unter den Wasserhahn und trank ein paar kräftige Schlücke.
Schlucke?

Die Sonne brach seltsam orange durch die Fenster herein. Alles schien in einem seltsamen, orangenen Licht.
Da schreibst du zweimal das Gleiche. Würde den zweiten Satz streichen.

Joa, alles in allem: das wird nicht meine Lieblingsgeschichte von dir, aber ich habs gern gelesen und du hast mich zum Nachdenken gebracht - von demher: Ziel erreicht ;)

Liebe Grüße!

 

Jo @AWM

merci fürs Reinlesen! Ja schwierig, schon ok, dass das nichts für dich ist. Ich bin, was diese Story angeht, irgendwie sehr neutral und bin einfach mal gespannt was ein paar Leute hier dazu sagen. Es ist für mich oft schwierig einzuschätzen, was Leute gerne lesen und was nicht. Habe das Teil hier mal geschrieben und mal gefällt mir die Idee des Textes, mal sehe ich es als zu behäbig und irgendwie gescheitert an. Ein paar Sachen, die ich hier gepostet habe, hatte ich ein ähnliches Gefühl und sie wurden dann eigentlich ganz beliebte Texte. Deswegen hab ich mich entschlossen, das Teil hier mal an der WK-Versuchsgruppe zu testen. :D

ich sah den kreisrunden Fleck groß wie ein Zwei-Euro-Stück auf ihrer Stirn wie ein seltsames, drittes Auge. Ich sah, dass sich dort irgendetwas Helles bewegte, in dem Kreis, als ob man in einen winzig kleinen TV sehen würde.

Das ist auch ein gutes Beispiel. Warum nicht einfach mal: Irgendetwas Helles bewegte sich in dem Kreis.
In solchen Situationen könnte man sagen: Gut der traut seinen Augen nicht, das hat der zigga extra gemacht, um eine Distanz zwischen dem Prota und dem Gesehenen zu schaffen. Er spürt aber auch, wie sein Herz stark in der Brust pocht. Anstatt: Mein Herz pochte in der Brust. Es gibt sehr viele Beispiele dafür in deinem Text.
Mich haben diese Satzkonstruktionen wirklich gestört und ziemlich aus dem Lesen herausgebracht, weil ich total darauf achten musste, wann wieder eine kommt. Für meinen Geschmack hast du zudem zu viele klassiche Hilfsverben drin.
Jep, 100% zufällig steht das nicht im Text, ich wollte schon eine gewisse Distanz bzw. Erzählart, die zum Prot passt, generieren; ich möchte hier die Story nicht selbst in meinen Antworten deuten oder sowas, wenn das für dich ein störender Part war ist das notiert und ein hilfreicher Hinweis für mich.

Auch finde ich, dass der Text gestrafft gehört und du dir noch einmal Gedanken über die Struktur machen solltest. Er braucht echt lange, bis er in Fahrt kommt. Manche Sachen beschreibst du unnötig ausladend, während andere ganz kurz getellt werden. Ich erfahre was für einen Fisch er wie kocht. Seine Gefühlswelt in den wichtigen Situationen beschreibst du dagegen drei Mal mit
Ok danke fürs Feedback! Klar, ich hab hier mal rumexperementiert, der Text ist sehr langsam und undramatisch, irgendwo; ein wenig ein Experiment halt.

Ja interessante Einschätzung deinerseits, hilft mir jedenfalls weiter und gracie fürs Lesen und Kommentieren natürlich. Entschuldige die peinlichen Schreibfehler, ich bin echt ein furchtbarer Legastheniker was das betrifft, selbst nach einigen Jahren hier und Rechtschreibprogrammen. Danke auch für die Detailanmerkungen, ich habe schon ein paar Dinge übernommen.


@Bea Milana

Hallo! Danke fürs Reinlesen und die sprachlichen Anmerkungen, an die ich mich gleich mal setzen werde.

Ja schwierig, ein Schnellschuss war der Text nicht. Ich denke - so verstehe ich deinen Kommentar - (ja, ich hab den Bindestrich für mich entdeckt! :D), dass dir sprachliche Mätzchen hin oder her, die Langsamkeit zuviel bzw. der Zug zu wenig war. Kann ich nachvollziehen. Was den Text betrifft, lag der schon halb in der Schublade der missglückten Storys, ich hab da schon einige Zeit dran getüftelt und ihn vor ein paar Tagen mal wieder gelesen. Es fällt mir generell immer schwer, einzuschätzen, ob meine Storys funktionieren und gerne gelesen werden oder nicht. Ich denke, das geht einigen so. Mir hat die Story plötzlich wieder gefallen und wusste nicht, ob das Teil nun was ist oder nicht. Deswegen hab ich mir gedacht, Schreibgruppe und sowas, teste ich ihn doch mal am Mann/Frau :D Ich bin mir auch nicht sicher, ob all die "Bilder", die ich bei der Story vor Augen habe, ob ich die hier richtig hinbekommen habe. Jaa ... ich bin mir nach wie vor sehr unsicher mit dem Teil. Wobei mir die Grundidee gefällt. Ich weiß auch nicht. Jedenfalls merci fürs Reinschauen. Ich glaube, ich musste den Text mal vor die Meute werfen, um entweder mit ihm abzuschließen oder zu wissen, dass er etwas ist. Danke dir für dein Feedback!


Hallooooooooo @Tintenfisch

Danke dir fürs Lesen und Kommentieren!

Der Text ist schon ein halbes Jahr alt und gärt seitdem in meiner Schublade der missglückten Storys vor sich hin. Schwer für mich einzuschätzen, ob das Teil etwas ist und jemanden gefallen könnte oder nicht. Manchmal bringt ja zeitlicher Abstand etwas Klarheit, aber hier konnte ich es überhaupt nicht einschätzen und habe ihn deswegen mal hier rausgeballert, um entweder den Text endgültig aus meinem Kopf zu verbannen oder zu wissen, dass er etwas sein könnte!

Also, ich fand die Geschichte ja irgendwie ganz nice, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich sie 100pro verstanden hab :D die Story ist natürlich seltsam, aber ich mochte das, ich finde, sie hatte was von Kafka.
Ach ja, schön! :D Ich hoffe, ich hab das mit den Kreisen/Flecken/Löchern so beschrieben, dass man sich es so vorstellt, wie ich. Dass das zuerst so kleine Löcher sind, dass der Prot glaubt, es ist einfach ein kleiner schwarzer Punkt, aber je größer die Punkte anwachsen, desto mehr sieht er wie in einem TV, dass man dort hineinsehen kann und es eigentlich Löcher sind. Hat man das verstanden?! Schließlich wächst das Kreisloch auf dem Laken halt so weit an, dass er in die Welt, die man dort sieht, reinsteigen kann. Das war die Grundidee davon, die mir nach wie vor gefällt. Ich weiß bloß nicht, ob die Story etwas taugt. Oder ob ich das alles so rübergebracht habe, wie ich es hier jetzt mal ausnahmsweise erklärt habe (um zu sehen, ob es so ankam?)

Ich persönlich mochte das Erzähltempo, ich finde, es passt zu dem actionarmen und auf das Gefühlsleben des Erzählers konzentrierten Text. Ich finde, du hast trotzdem Spannung aufgebaut, ich habe die Beobachtungen des Erzählers bezüglich des Flecks jedenfalls gebannt verfolgt :D
Cool!

Was mich ziemlich gestört hat, war das ständige "Bewegen" in dem Fleck. Erstens wegen der Wortwiederholung, zweitens ist der Begriff so schwammig. Ich fände es besser, du würdest das "Bewegen" konkretisieren. Kreisen, Schlingern, Pulsieren, ... was genau passiert in dem Fleck?
Ok da werde ich noch mal drüber bügeln

Schlucke?
Man darf tatsächlich auch Schlücke sagen!

Joa, alles in allem: das wird nicht meine Lieblingsgeschichte von dir, aber ich habs gern gelesen und du hast mich zum Nachdenken gebracht - von demher: Ziel erreicht ;)
Ja, war ein wenig ein Experiment das Teil! Danke dir für das Feedback :)


Beste Grüße euch allen
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej zigga,

ich versuch mal etwas Konstruktives beizusteuern. Eine Sache, die mich beim ersten Lesen nach einer Weile stört, sind die vielen Satzanfänge mit "Ich". Ich weiß nicht, ob das Absicht war, es liest sich halt monoton. Hier in dem Absatz hast Du von vllt dreizehn Sätzen zwei, die nicht mit "Ich " anfangen.

Ich ging ins Schlafzimmer, immer noch mit dem starken Schlag meines Herzens in der Brust, und zog die Schubladen unseres Kleiderschrankes auf. Ich nahm mir Socken, Unterwäsche und ein T-Shirt aus meinem Fach. Ich hängte den Bademantel über den Wäscheständer, zog mich an und sah dann auf unser ungemachtes Bett. Ich hatte so ein Gefühl; – aber was war hier schon ein Gefühl? Ich zog die Bettdecke von ihrer Seite der Matratze. Ich sah den schwarzen Fleck auf dem Laken, wie ein öliger, geometrisch korrekter Kreis, auf der Höhe, auf der sie mit ihrer Stirn geschlafen hatte. War er auch schon da gewesen, als ich aufgewacht war? Ich kniete mich auf die Matratze und sah in den Kreis; er hatte ungefähr den Durchmesser des kleinen Topfes, mit dem ich mir immer meine Milch aufkochte. Der äußere Rand des Kreises war schwarz, die Mitte war heller, mit orangenen und weißen Farbtupfen, die sich bewegten. Ich spürte mein Herz schlagen, aber ansonsten war ich seltsam ruhig. Ich ging mit dem Gesicht näher an den Kreis. Ich erkannte unser Schlafzimmer in dem Kreis, und wie wir nachts im Bett lagen, und wie der Schnee am Fenster vorbeizog, das Orange der Straßenlaterne leicht hereinbrach. Ich sah mich in dem Kreis, wie ich mich hin und her wälzte, im Bett, und wie sie neben mir lag und schlief.

Was mir auch auffällt, sind die eingeschobenen Erläuterungen, die die Geschichte unnötig lang machen, entweder, weil ich sie schon kenne oder weil sie nicht recht im Zusammenhang stehen, mit der unmittelbaren Handlung.
Wir waren seit drei Jahren ein Paar. Vor acht Monaten zog sie bei mir ein. Ich war nie woanders gewesen; ich zog mit Anfang zwanzig in diese Stadt. Ich hatte das Studium beendet, und dann die Doktorantenstelle angeboten bekommen. Man empfahl mir, die Doktorantenstelle anzunehmen, und wir waren erst seit kurzem zusammengezogen. Ich interessierte mich für mittelalterliche Geschichte, und ich liebte meine Freundin. Man hatte mich acht Wochen krankgeschrieben. Es war mir unangenehm gewesen
Das ist teilweise bekannt und teilweise finde ich es nicht wichtig und für den Fluß der Geschichte sogar störend. Mit der Erwähnung der Krankschreibung rückst Du nach meinem Empfinden wieder näher an Deinen Erzähler heran.
Als ich aufwachte, war sie schon aus der Wohnung. Sie war gerade fünfundzwanzig geworden und in den letzten Zügen ihres Studiums.
Er stellt fest, beim Aufwachen, dass sie schon weg ist. Und dann erzählt er mir, wie alt sie ist, was sie macht und ich sehe nicht den Anlass dafür, dass er so denkt, in dem Moment. Würde ich das tun, oder irgendwer den ich kenne? Ich liege im Bett und mein Freund ist schon vor mir weg und ich denke: Kennengelernt haben wir uns da und da, er macht dieses und ich sage ihm jenes nicht, dieses habe ich damals gedacht.
Ich bräuchte da die Anlässe für seine Gedanken. Oder überhaupt nicht diese Hintergrundinformationen.

Dann hast Du da ein paar Brüche im Text, die ich als sehr stark empfinde.

ich ging jetzt um das Pult herum, klickte im Stehen an seinem Laptop und eine Landkarte des Königreichs von Kastilien erschien auf der Leinwand hinter ihm.
Der Arzt des psychiatrischen
Notdienstes
Vielleicht könnte man das früher bringen, hier wirkt diese Arztbeschreibung auf mich wie ein Klotz an einer unpassenden Stelle. Ich sehe keinen guten Grund dafür, warum mir der Arzt hier und so präsentiert wird, nicht was Deinen Erzähler und nicht, was Dich als Autor betrifft. Hier geht es mir ähnlich:
»Was?«, sagte ich und spürte meine Hände feucht werden. Ich musste an den Anfall denken
Das kommt so aus dem Nichts heraus.

Am Ende denke ich, dass Maja als Figur zu kurz gehalten wird oder eifach nicht die Richtige ist, um Deinen Erzähler weiter auszuleuchten. Sie wirkt kaum besorgt und schläft gut. Für Deinen Erzähler kein Problem, aber insofern ungünstig, weil die beiden dadurch kaum einen Kontakt haben, an dem sich etwas tut. Dein Erzähler muss die Geschichte ganz alleine am Laufen halten.

Die Idee, dass er in sein eigenes Leben steigt, finde ich natürlich interessant, aber ich glaube, das baust Du zu langsam auf. Beim ersten Anzeichen von diesem Kreis ist das okay und steigert die Spannung. Beim zweiten Mal ist es im Nachhinein nicht ganz nachvollziehbar, es sei denn Maya weiß nichts von der Notaufnahme und dem Anfall. Sie macht sich jedenfalls nur Sorgen um ihre Haut. Der dritten Anlauf versandet. Beim vierten sagt Dein Erzähler, dass er sich ruhig fühlt. Als er dann noch später neben Maya im Bett liegt, will er nicht wissen, was sich im Kreis tut, geht dann aber doch ins Bad und erforscht den Kreis. Bis dahin ist viel Zeit vergangen. Die lässt Deinen Erzähler nichtmal unentschlossen wirken, sondern eher untätig.

Vielleicht würde es eine andere Dynamik reinbringen, wenn Du versuchen würdest, genaur zu schildern, was ihn bewegt, wenn er sich den Kreisen nähert oder eben nicht. Das wäre in meinen Augen wichtiger ,als wie lange er mit Maya zusammen ist und was er gedacht hat, als sie sich kennen gelenrt haben.

Noch ein bisschen beim ersten Lesen Rausgeschriebenes:

Ich blätterte zurück zu dem Fleck, die Seite hatte ich oben rechts mit einem kleinen Eselsohr markiert.
Vllt einfacher? Ich blätterte zurück zu der Seite mit dem Fleck.

Ich hielt mein eines Auge so nah an den schwarzen Fleck oder Kreis, dass meine Wimpern das Papier berührten, das andere drückte ich zu.
Es ist selbstverständlich, dass er das tut, oder dass ihn das andere Auge nicht irgendwie daran hindert etwas zu erkennen.

Kurz dachte ich nach, dann wurde mir klar, dass es diese unglaubliche Stille war, die dort draußen herrschte
Für mich könnte das weg, weil da nicht Dein Fokus drauf liegt. Den legst Du auf das, was ihm klar wird: Mir wurde klar ...
Es ist nicht wichtig ob er vorher kurz oder lang oder gar nicht nachgedacht hat.
Oder Du versuchst, dieses Nachdenken konkret zu machen.

Drüben im Schlafzimmer hörte ich Maya atmen, leise
Schon etwas strapaziert wirt es auf mich, dieses Atmen. Wenn er mit ihr in einem Raum wäre, okay. Sonst höre ich eher ein Schnaufen.

Es war ein schwarzer, kleiner, punktförmiger Fleck, wie Tinte, aber doch anders, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wieso.
Wie sollte er auch? Wieder liegt Dein Fokus nicht auf den tiefen Gründen für die Existenz dieses Flecks, sondern auf der Andersartigkeit.

nässlich wirkenden Wolkendecke
Warum wirkend? Wolken sind nass und Dein Erzähler weiß das.

wie in einem kleinen TV
TV irritiert mich, weil ich es gesprochen und deswegen auch gedacht ungewohnt finde. Vielleicht habe ich den Trend verpasst.

Ich zog mein Auge weg von dem Buch, klappte es zu und atmete tief ein und aus.
Ich bin mir da unsicher, ob und welche Emotion mir durch dieses Atmen gezeigt werden soll.

Ich sah, dass sich dort irgendetwas Helles bewegte, in dem Kreis, als ob man in einen winzig kleinen TV sehen würde.
das wiederholt sich

Hätte mir jemand von den Kreisen erzählt, wäre ich wohl in blanke Panik ausgebrochen;
Ich verstehe das sinngemäß nicht. Wenn jemand anderes ihm von den Kreisen erzählt hätte, wäre er für diesen anderen Menschen in Panik ausgebrochen?

oder dessen Wasserflasche ungünstig umkippt.
Wie kippt eine Wasserflasche günstig?

Ihr Gesicht vom Kinn bis zum Haaransatz von einem einzigen, großen Kreis überzogen.
Fehlt hier ein "ist"?

Wirkt auf mich noch etwas zugewachsen und verkrautet, die Geschichte. Bisschen unsortiert, so ähnlich wie mein Kommentar hier. ;)
Sprachlich mochte ich sie.
Ach, und nur mal so aus Interesse, hat "Willkommen in Wellville" thematisch etwas mit Schnee zu tun? Ich hab's gelesen aber ich erinnere mich nicht mehr.

Gruß
Ane

 

Hi @Ane!

ich versuch mal etwas Konstruktives beizusteuern.
Alright

Eine Sache, die mich beim ersten Lesen nach einer Weile stört, sind die vielen Satzanfänge mit "Ich". Ich weiß nicht, ob das Absicht war, es liest sich halt monoton. Hier in dem Absatz hast Du von vllt dreizehn Sätzen zwei, die nicht mit "Ich " anfangen.
Ja war schon beabsichtigt, nicht die Monotonie, aber zumindest der Sound der Story. Na gut, danke jedenfalls für die Rückmeldung, dass dir das zu monoton vorkam!

Wir waren seit drei Jahren ein Paar. Vor acht Monaten zog sie bei mir ein. Ich war nie woanders gewesen; ich zog mit Anfang zwanzig in diese Stadt. Ich hatte das Studium beendet, und dann die Doktorantenstelle angeboten bekommen. Man empfahl mir, die Doktorantenstelle anzunehmen, und wir waren erst seit kurzem zusammengezogen. Ich interessierte mich für mittelalterliche Geschichte, und ich liebte meine Freundin. Man hatte mich acht Wochen krankgeschrieben. Es war mir unangenehm gewesen

Das ist teilweise bekannt und teilweise finde ich es nicht wichtig und für den Fluß der Geschichte sogar störend. Mit der Erwähnung der Krankschreibung rückst Du nach meinem Empfinden wieder näher an Deinen Erzähler heran.
Ja ok, also ich stelle mich ungern neben meinen eigenen Geschichten und erkläre sie dann - ich könnte hier schon zu sagen, was ich mir dabei dachte, aber da es dir redundant vorkam, nehme ich das mal hin und erkenne an, dass das nicht so funktioniert hat, wie ich dachte.
Ist - habe ich den anderen schon geschrieben - wie gesagt ein wenig ein Experiment, eigentlich ganz anders als das, was ich sonst so schreibe. Vielleicht bin ich in diesem "Genre" auch noch etwas zu unterbemittelt oder unerfahren, oder es liegt mir einfach nicht besonders. Naja! ;)

Als ich aufwachte, war sie schon aus der Wohnung. Sie war gerade fünfundzwanzig geworden und in den letzten Zügen ihres Studiums.

Er stellt fest, beim Aufwachen, dass sie schon weg ist. Und dann erzählt er mir, wie alt sie ist, was sie macht und ich sehe nicht den Anlass dafür, dass er so denkt, in dem Moment. Würde ich das tun, oder irgendwer den ich kenne? Ich liege im Bett und mein Freund ist schon vor mir weg und ich denke: Kennengelernt haben wir uns da und da, er macht dieses und ich sage ihm jenes nicht, dieses habe ich damals gedacht.
Ich bräuchte da die Anlässe für seine Gedanken. Oder überhaupt nicht diese Hintergrundinformationen.
Klar, hier hast du schon auf eine Art recht. Aber: Es muss ja nicht die "Erzähl-Perspektive" sein; also ich kenne einige Sachen, z.B. von Murakami, wo er genau so an den Leser kommuniziert; ein wenig so, als ob der Autor dem Lesenden direkt etwas erzählt. Natürlich, gibt beides.

Dann hast Du da ein paar Brüche im Text, die ich als sehr stark empfinde.

Vielleicht könnte man das früher bringen, hier wirkt diese Arztbeschreibung auf mich wie ein Klotz an einer unpassenden Stelle. Ich sehe keinen guten Grund dafür, warum mir der Arzt hier und so präsentiert wird, nicht was Deinen Erzähler und nicht, was Dich als Autor betrifft. Hier geht es mir ähnlich:

Ja, kann ich nachvollziehen. Ich fand es irgendwie ganz interessant, mal mit linearem Erzählen zu brechen. Da draußen in der Welt der Literatur gibt es ganz abgefahrene Erzählarten, die seltsamerweise durchaus funktionieren können, fernab von unserer Wortkrieger-Schablone (sage ich jetzt mal so); gut, vielleicht ein wenig zu viel Experimentelles hier. Ist angekommen ;)

Am Ende denke ich, dass Maja als Figur zu kurz gehalten wird oder eifach nicht die Richtige ist, um Deinen Erzähler weiter auszuleuchten. Sie wirkt kaum besorgt und schläft gut. Für Deinen Erzähler kein Problem, aber insofern ungünstig, weil die beiden dadurch kaum einen Kontakt haben, an dem sich etwas tut. Dein Erzähler muss die Geschichte ganz alleine am Laufen halten.
Ja, ach Mann, der Text klappt leider nicht so, wie er in meinem Kopf klappt. :D Aber damit muss ich klarkommen. Ist ja wunderbar, so schnell und direkt zu erfahren, wie Leser dort draußen die Story lesen.

Die Idee, dass er in sein eigenes Leben steigt, finde ich natürlich interessant, aber ich glaube, das baust Du zu langsam auf. Beim ersten Anzeichen von diesem Kreis ist das okay und steigert die Spannung. Beim zweiten Mal ist es im Nachhinein nicht ganz nachvollziehbar, es sei denn Maya weiß nichts von der Notaufnahme und dem Anfall. Sie macht sich jedenfalls nur Sorgen um ihre Haut. Der dritten Anlauf versandet. Beim vierten sagt Dein Erzähler, dass er sich ruhig fühlt. Als er dann noch später neben Maya im Bett liegt, will er nicht wissen, was sich im Kreis tut, geht dann aber doch ins Bad und erforscht den Kreis. Bis dahin ist viel Zeit vergangen. Die lässt Deinen Erzähler nichtmal unentschlossen wirken, sondern eher untätig.
Ok, ich entnehme deinem Kommentar mal, dass der Text zu langsam daher kommt und dir der Zug fehlt

Noch ein bisschen beim ersten Lesen Rausgeschriebenes:
Danke dafür! :) Werde ich durcharbeiten direkt ...

Ach, und nur mal so aus Interesse, hat "Willkommen in Wellville" thematisch etwas mit Schnee zu tun? Ich hab's gelesen aber ich erinnere mich nicht mehr.
Nein, hat nichts mit Schnee an sich zu tun ... eher von Verdrängung natürlicher Triebe und der Suche nach Wurzeln von Erkrankungen, wenn man so will

Wirkt auf mich noch etwas zugewachsen und verkrautet, die Geschichte. Bisschen unsortiert, so ähnlich wie mein Kommentar hier. ;)
Sprachlich mochte ich sie.
Jaa .. danke. Natürlich auch fürs Vorbeischauen und ausführliche Kommentieren, Ane!

Besten Gruß
zigga

 

Hey zigga,

ich fand es ja schön zu sehen, Du betrittst neues Gelände und wagst Dich in Richtung Seltsam. Mal was anderes zu versuchen ist ja immer gut und ich war echt neugierig. Am Ende der Geschichte war ich so: Echt jetzt, zigga? Der, der zu mir sagt:

zigga schrieb:
Ich schätze ... das Interessante beim Lesen vermindert sich mit der Zeit etwas, weil Nina mich als Leser ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr weiter an sich ran lässt. Es werden viele Dinge angedeutet, ... Aber ab einem gewissen Punkt habe ich das Gefühl, gehst du nicht weiter in Nina rein bzw. öffnest sie mir als Leser nicht weiter ...
... - aber ich als Leser verstehe das nicht, und ich verstehe Nina ab einem gewissen Punkt - ... - einfach nicht weiter. Verstehst du, was ich meine?

Klar ist das jetzt bisschen anders gelagert, aber es trifft schon den Punkt. Dein Prot. sieht wachsende Punkte, am Ende kann er durch sie hindurchgehen und sich selbst ein bisschen beim Leben zugucken. Aber was macht das mit ihm? Ein warmes Gefühl, okay, aber bitte sag, dass da mehr dahinter steckt, als das. Ich sehe es nicht, aber Du hast da schon was in der Hinterhand, ja? Bitte, bitte, bitte! Ich dachte ja noch, da kommt am Ende was zusammen, der Zusammenbruch und sein doppeltes Ich - das sich das irgendwie bedingt, eins zum anderen führt, aber so richtig logisch und zwingend erscheint mir das nicht.
Der Typ ist als Figur jetzt auch so langweilig. Nette Freundin, kleiner Nervenzusammenbruch, er liest, er kocht, er schreibt eine Doktorarbeit. Fein. Es gibt nichts, was ihn angreift, und nichts was er angreift. Also müssen die Punkte/Kreise was reißen. Tun sie auch bis zu einem gewissen Grad, aber dann ... er sieht sich selbst dabei zu, wie er allein im Café einen Milchkaffee trinkt. Tja. Na ja. Was soll ich sagen. Das er am Ende doch hört und sieht und die beiden Ichs sich gegenüber sitzen und dann sagt der eine zu dem anderen: »Du hast da was«, damit der Kreis sich irgendwie schließt ... Ich dachte, jetzt beginnt was, da tut sich was auf, aber nee, war vorbei. Also, entweder ich sehe hier was nicht, oder es ist eben tatsächlich nicht mehr. Und hätte eigentlich nicht ein Punkt gereicht? Warum sind das so viele? Ergibt für mich keinen Sinn.
Du hältst den Leser auf Distanz, auf eine ziemlich große sogar, man erfährt praktisch nix über den Prot. Leider. Die Punkte, die haben durchaus eine Energie, die tragen praktisch den Text (ja die, nicht die Figur!) aber wohin sie ihn tragen, das erschließt sich mir leider ganz und gar nicht.
Ein wirklich ganz untypischer Text für Dich :). Wo Du doch nun wirklich immer und immer den Leser an die Hand nimmst und es in den Kommentaren so schön predigst. Warum verzichtest Du ausgerechnet auf diese Stärke? Nur weil es »Seltsam« ist? Schade. Wirklich schade finde ich das. Schreibst aber ja schon selbst, dass Du ein Zwie-Gefühl zu dem Text hast. Ich kann das gut verstehen :D.

Lieben Gruß!
Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Fliege!

Danke dir für deinen Kommentar - du weißt (wie ich hoffe), dass ich immer etwas auf deine Einschàtzung gebe. Danke auch fürs Kopfwaschen ... :D
Scheiße, manchmal bin ich echt ein prediger in Feedbacks, ein wenig. :D Ist nicht so, dass ich glaube, alles besser zu wissen, aber meistens tippe ich mein Feedback direkt nach dem Lesen relativ aus dem Bauch heraus (natürlich auch mit dem Kopf), und das ist anscheinend mein Ton oftmals. Ich glaube, manchmal spricht man auch unterbewusst irgendwo zu sich selbst und "kritisiert" Dinge in anderen Arbeiten, die man für sich selbst als Wert gesetzt hat, und das fällt dann ganz automatisch bei fremden Texten auf, vielleicht nennt man es auch Geschmack, ich weiß es nicht.
Ja Mist ich hab auf jeden Fall was "Tieferes" gesehen in der Sache und merke, dass das beim Leser nicht durchkommt. Ist aber ok und mir eine Lehre. Was das ist, erwähne ich hier mal nicht, der Text muss schon für sich selbst funktionieren. Mir fiel es hier sehr schwer, mich in den Leser reinzuversetzen und den Text mit neutralen Augen zu lesen, ich hatte sowas schon ein wenig befürchtet, aber irgendwie brauchte ich die Gewissheit,wie der Text sich liest, durch andere Augen, deswegen bin ich nicht drum herum gekommen mir hier mal eine Watsche abzuholen. Aber ist ok, ist neues Terrain und war mir mal wieder eine Lehre. Wie gesagt, ob die Distanz flach wirkt oder ob man den Prot gut vor Augen hat, irgendwie konnte ich es dieses mal gar nicht einschàtzen und ichbin nicht drum herum gekommen (auch aus Neugier), ihn mal Testleser vorzuführen.
Danke dir fürs Lesen und den Lesefeedback! Hat mich auf jeden Fall weitergebracht. Und würde mich natürlich mal wieder freuen, etwas von dir zu lesen!

Beste Grüße
zigga

 

Hallo @zigga,

ich habe hier und da etwas von den bisherigen Kommentaren aufgeschnappt und war verwundert, dass der Haupttenor ein kritischer ist. Da ich bisher immer den Eindruck hatte, dass deine Geschichten fast durchweg positiv aufgenommen werden, wollte ich mal schauen, wo der Hund bei dieser hier begraben liegt - und ob ich selbst überhaupt einen Hund finden kann.

Der Titel hat wohl kaum etwas mit der Hundesituation zu tun, denn der thront in seiner Simpelheit atmosphärisch über dem, was dann folgt.

Ich trank wieder vom Kaffee, als mir plötzlich dieser Fleck rechts oben auf der Seite auffiel.

Vielleicht ging es nur mir so, aber ich bin da kurz ins Stocken gekommen, habe überlegt, welche "Seite" gemeint ist. Klar, die Buchseite, aber beim ersten Lesen hat sich mir das nicht sofort erschlossen.

Erst schenkte ich ihm keine Beachtung, wollte schon umblättern, aber er kam mir seltsam vor, dieser Fleck; ich kratzte an ihm herum, aber er ließ sich weder entfernen noch verwischen. Das Papier fühlte sich glatt an. Es war ein schwarzer, kleiner, punktförmiger Fleck, wie Tinte, aber doch anders, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wieso.

Hier bin ich ein wenig zwiegespalten. Einerseits kann ich das super nachvollziehen, wie oft habe ich das schon erlebt - ich will lesen, aber dann ist da dieser Fleck, und was für ein interessanter Fleck das doch ist! Solche nachvollziehbaren Alltagsbetrachtungen finde ich immer schön in Geschichten.

Gleichzeitig hab ich aber im Hinterkopf, dass ich hier eine Kurzgeschichte lese, und nachdem der Einstieg zwar atmosphärisch, aber doch eher gemächlich vor sich hinplätscherte, fange ich jetzt bereits an, mich zu sorgen. Wie viele Kleinstinformationen wird mir der Autor noch vorsetzen? Muss ich wissen, dass der Protagonist Willkommen in Wellville von T.C. Boyle liest, muss ich wissen, dass der Austauschdoktorant aus der Elfenbeinküste kommt? (Und müsste es nicht von der Elfenbeinküste heißen?) Wird er mich auf jeden kleinen Fleck hinweisen, den er entdeckt, auf Farbe und Größe und Form?

Ich denke, du weißt, worauf ich hinauswill. Ich habe jetzt die Wahl: Entweder akzeptiere ich diese ... (romaneske?) Entschleunigung und lasse mich darauf ein, oder ich suche mir eine andere Kurzgeschichte, eine mit Tempo, eine, die mir gar nicht die Wahl lässt, mir über all das, was ich hier beschreibe, Gedanken zu machen. (Ich wähle den ersten Weg.)

Das Kleinigkeitending geht dann so weiter - der graue, weite Oxford-Pulli, die Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen - ich werde also auch das akzeptieren, aber ich hinterfrage auch, ob es funktioniert. Ich glaube ja, wenn der Text im Präsens geschrieben wäre, würde sich das ganz anders anfühlen. Dann sitze ich im Kopf des Protagonisten-Autors und nehme jeden seiner Eindrücke live wahr. Aber durch die Vergangenheitsform frage ich mich, warum er das alles beschreibt, so rückblickend, das wirkt dann eben sehr ... wie Gedächtnisaufezeichnungen, die er für sich selbst gemacht hat. Für ihn sicher wahnsinnig interessant, das in fünfzig Jahren noch mal zu lesen, all diese Kleinigkeiten wieder vor seinem inneren Auge sehen zu können.

Ich hatte das Studium beendet, und dann die Doktorantenstelle angeboten bekommen. Man empfahl mir, die Doktorantenstelle anzunehmen, und wir waren erst seit kurzem zusammengezogen.

Bei einem so ausgefallen Wort wie "Doktorantenstelle" fällt die Dopplung gleich viel mehr ins Gewicht, wie ich finde.

Man hatte mich acht Wochen krankgeschrieben. Es war mir unangenehm gewesen, acht Wochen krankgeschrieben worden zu sein;

Und hier fühlt es sich schon fast wie eine Verdreifachung an. Die Krankschreibungssache habe ich noch gut im Gedächtnis, ist ja nicht lange her, dass das erwähnt wurde. Und wie ein viel zu aufdringlicher Arbeitskollege kommt es im nächsten Satz gleich wieder - hey, übrigens, ich bin acht Wochen krankgeschrieben worden, schon gehört?

Sie sagten, ich solle jemanden aufsuchen. Meine Freundin sagte, ich solle jemanden aufsuchen.

Na, und erst hier begreife ich dann, dass das wohl Kalkül ist, und verfluche ein bisschen die Art, wie ich mich hier mit Geschichten auseinandersetze. Vielleicht hätte das funktioniert, wenn ich einfach mal gelesen hätte. Vielleicht wäre ich dann schon vorher stutzig geworden, hätte mich gefragt, warum dieser wehmütige Schneebeobachter denn eigentlich acht Wochen krankgeschrieben wurde. Vielleicht doch kein Armbruch und vielleicht doch nicht nur ein wehmütiger Schneebeobachter, sondern einer mit ernsthaften Problemen.

ich hatte das Gefühl, dass er außen dunkler wäre als innen, und dass im Zentrum irgendeine Art von Bewegung stattfinden würde.

Ja, eindeutig.

Als ich mein Buch neben der Wasserkaraffe liegen sah, nahm ich es in die Hand und blätterte darin herum, bis ich den Fleck wieder rechts oben auf der Seite entdeckte.

Weiß nicht waurm, aber fände hier "bis ich wieder den Fleck ..." stimmiger als "bis ich den Fleck wieder ...".

Wie auch immer, ich verstehe den Protagonisten jetzt und endlich auch den Autor. Und seitdem hat die Geschichte unheimlich an Qualität dazugewonnen.

Ich setzte mich im Bademantel in meinen Sessel, trank von meinem Kaffee und schlug mein Buch auf. Ich las ein paar Sätze, konnte mich aber nicht auf den Text konzentrieren. Ich blätterte zurück zu dem Fleck, die Seite hatte ich oben rechts mit einem kleinen Eselsohr markiert. Aus dem Augenwinkel sah ich draußen wieder Schnee fallen, in dicken Flocken, ganz gleichmäßig und träge, unter einer grau-weißen, nässlich wirkenden Wolkendecke. Ich hielt mein eines Auge so nah an den schwarzen Fleck oder Kreis, dass meine Wimpern das Papier berührten, das andere drückte ich zu. Im Inneren des Kreises sah ich, wie in einem kleinen TV, weißen Schnee fallen, und ich sah das Küchenfenster, und wie wir davor standen und nach draußen blickten. Ich zog mein Auge weg von dem Buch, klappte es zu und atmete tief ein und aus. Ich spürte mein Herz stark in meiner Brust schlagen, aber auf einer seltsamen Art war ich innerlich ganz ruhig.

Diesen Absatz hätte ich vor einigen Minuten noch very kritisch betrachtet, jetzt aber lässt er mich nachdenklich werden, lässt mich mitleiden. Du hättest es dir nämlich auch einfach machen können, hättest schreiben können: Ich hatte Todesangst. Ich balancierte auf einem viel zu schmalen Grat, und der Wahnsinn, der alte Drecksack, lädt gerade mit einem hurensöhnischen Grinsem im Gesicht seine Gratverschmalungspistole nach. Stattdessen beruhigst du den Leser sogar, vergräbst die Angelegenheit unter einer dicken Schicht aus Schnee. Und ich begreife: Da liegt gar kein Hund begraben, ich selbst war der Hund mit meinem kritisch-nervigen Denken und Nichtakzeptierenwollen.

Ich sah die dunkle Stelle im Stoff wie in das Laken eingezogene, schwarze Tinte, aber nichts bewegte sich mehr dort.

Na, das will ich aber echt nicht akzeptieren. "Aber nichts bewegte sich mehr dort", das kannst du besser.

ein paar Handvoll Wasser

Don't know, mag mir auch nicht so recht gefallen.

als ob jemand den Ton abgeschalten hätte.

Das ist so ein regionales Ding, oder? Ich glaube jedenfalls, dass es richtig "abgeschaltet" heißen müsste.

Ich weiß nicht, wieso, aber plötzlich versuchte ich, mich mit den Fuß in den Kreis zu stellen, und erschrak, als ich dort keinen Boden mehr fühlte, sondern wie hinabzusteigen schien.

Das erscheint mir etwas unbeholfen, sowohl das "Ich weiß nicht, wieso", als auch das "wie hinabzusteigen schien". Was schade ist, weil das Bild, das du da heraufbeschwörst, eigentlich großartig ist.

Ich hob das Bettlaken auf und hing es so über den Schrank

"hängte", oder?

wie ich mich in dem Kreis wieder meinen Studenten zuwandt

"zuwandt"? Bin mir unsicher ... Nicht zuwendete? Oder zuwandte?

Eine Sache noch, nur so feedbackmäßig, was du daraus machst, musst du selbst wissen: Die "Abstiegsszene" ist unglaublich verwirrend. Ich nehme an, das ist so gewollt, sollte den Kopfwirrwarr verdeutlichen, aber ich überlege, ob es nicht schon zu krass ist, ich habe das nämlich größtenteils überflogen, weil es so unzusammenhängend und ... ja, wirr erschien. Ich hatten nicht das Gefühl, da was zu verpassen, wenn ich eine Zeile auslasse. Ja, auch das ist spannend, wenn man es wohlwollend betrachtet, man kann es auf Gespräche mit psychisch Kranken projezieren und wie man da oft den Eindruck bekommt, man müsse demjenigen gar nicht zuhören, weil ja eh nur Nonsens dabei herumkommt. Wäre aber sicher auch interessant gewesen, hier, wo man dann ja endlich direkt in die Quelle des Übels eintaucht, etwas klarer sehen könnte. Aber vielleicht überlassen wir das lieber den Psychologen.

Wir nahm den Weg

nahmen

und aus dem Fenster dem Treiben auf der Straße folgte.

Vielleicht "und durch das Fenster dem Treiben auf der Straße folgte"? Ein "dem" weniger.

Natürlich erschrak ich, seine Stimme zu hören.

Das "Natürlich" hätte es hier nicht gebraucht, finde ich.

Ich legte mein Gesicht in meine Hände und spürte mein Kinn beben.

:Pfeif:

Orange bricht das Licht der Straßenlaterne durch das Fenster

Weiß nicht ... Das hat mich ein bisschen gestört. "Orangefarben"? Hm ... Egal.

Also, zigga, ich fand das eine sehr, sehr eindrückliche Erfahrung. Man kann den Text hassen, wenn man will, ohne Frage, er bietet nämliche eine Menge Angriffsfläche für das "geschulte Leser-/Schreiberauge". Aber wenn man Lust hat, dahinterzublicken, dann findet man eine fast klaustrophobisch und super spannende Kreis-und-Fleckgeschichte, die einen so unwohl fühlen lässt, weil sie einen einlullt und beruhigt, obwohl in Wahrheit der Mistkerl Dr. Wahnsinn mit seiner Pistole um der Ecke lauert. Fazit: Nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr gerne gelesen!

Bas

 

Hey, @Bas!

Danke dir erstmal, dass du dir das Teil trotz etwas Gegenwind angeschaut hast!

. Da ich bisher immer den Eindruck hatte, dass deine Geschichten fast durchweg positiv aufgenommen werden, wollte ich mal schauen, wo der Hund bei dieser hier begraben liegt - und ob ich selbst überhaupt einen Hund finden kann.
Na jaaa! Ich freue mich natürlich über jeden Leser, der mir ehrlich sagt, dass er etwas gerne gelesen hat, aber unter jeder Story finden sich hier durchaus kritische Leser oder solche, die nichts damit anfangen können. Aber das ist ja auch Sinn und Zweck der Sache hier ;)

Der Titel hat wohl kaum etwas mit der Hundesituation zu tun, denn der thront in seiner Simpelheit atmosphärisch über dem, was dann folgt.
Super

Vielleicht ging es nur mir so, aber ich bin da kurz ins Stocken gekommen, habe überlegt, welche "Seite" gemeint ist. Klar, die Buchseite, aber beim ersten Lesen hat sich mir das nicht sofort erschlossen.
Habe ich gleich geändert, merci!

Hier bin ich ein wenig zwiegespalten. Einerseits kann ich das super nachvollziehen, wie oft habe ich das schon erlebt - ich will lesen, aber dann ist da dieser Fleck, und was für ein interessanter Fleck das doch ist! Solche nachvollziehbaren Alltagsbetrachtungen finde ich immer schön in Geschichten.

Gleichzeitig hab ich aber im Hinterkopf, dass ich hier eine Kurzgeschichte lese, und nachdem der Einstieg zwar atmosphärisch, aber doch eher gemächlich vor sich hinplätscherte, fange ich jetzt bereits an, mich zu sorgen. Wie viele Kleinstinformationen wird mir der Autor noch vorsetzen? Muss ich wissen, dass der Protagonist Willkommen in Wellville von T.C. Boyle liest, muss ich wissen, dass der Austauschdoktorant aus der Elfenbeinküste kommt? (Und müsste es nicht von der Elfenbeinküste heißen?) Wird er mich auf jeden kleinen Fleck hinweisen, den er entdeckt, auf Farbe und Größe und Form?

Ich denke, du weißt, worauf ich hinauswill. Ich habe jetzt die Wahl: Entweder akzeptiere ich diese ... (romaneske?) Entschleunigung und lasse mich darauf ein, oder ich suche mir eine andere Kurzgeschichte, eine mit Tempo, eine, die mir gar nicht die Wahl lässt, mir über all das, was ich hier beschreibe, Gedanken zu machen. (Ich wähle den ersten Weg.)

Ja cool auf jeden Fall, dass du dich drauf einlässt. Ich hab das den anderen schon geschrieben, dass ich hier einfach sehr unfähig bin, wieso auch immer, mich in eine neutrale Leser-Perspektive zu stellen und zu beurteilen, ob das zu behäbig oder so anfängt oder allgemein ist, oder ob das klappen könnte. Schwierig. Ich denke, das ist so, weil es einfach eine andere Art von Text ist, als ich sonst Storys schreibe. Ich bin auch ein wenig angefixt gewesen von Murakami, als ich das hier geschrieben habe. Das war diesen Sommer, als ich gerade einen Storyband von ihm gelesen habe. Anfangs habe ich bei ihm gedacht, Scheiße, wenn einige seiner Texte bei WK.de stehen würde, die würden zerrissen werden. Aber irgendwie fand ich seinen Stil und seine Langsamkeit manchmal einfach toll. Action kann manchmal auch ein Effekt sein, der wie Zucker in Lebensmitteln ist. Aber ich will mich natürlich nicht rausreden hier. Kann gut verstehen, wenn einige damit nichts anfangen können. Vielleicht ist das hier wirklich zu behäbig. Mir hat der Text eine Zeit lang gut gefallen, dann fand ich ihn grausam, vorletzte Woche habe ich ihn wieder entdeckt und habe ihn wieder gerne gelesen. Deswegen war ich dann doch scharf drauf, mal zu hören, was meine gute Textwerkstatt hier zu sagt. Ich dachte tatsächlich kurz an dich, Bas, und dachte mir, das könnte was für dich sein.

Das Kleinigkeitending geht dann so weiter - der graue, weite Oxford-Pulli, die Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen - ich werde also auch das akzeptieren, aber ich hinterfrage auch, ob es funktioniert. Ich glaube ja, wenn der Text im Präsens geschrieben wäre, würde sich das ganz anders anfühlen. Dann sitze ich im Kopf des Protagonisten-Autors und nehme jeden seiner Eindrücke live wahr. Aber durch die Vergangenheitsform frage ich mich, warum er das alles beschreibt, so rückblickend, das wirkt dann eben sehr ... wie Gedächtnisaufezeichnungen, die er für sich selbst gemacht hat. Für ihn sicher wahnsinnig interessant, das in fünfzig Jahren noch mal zu lesen, all diese Kleinigkeiten wieder vor seinem inneren Auge sehen zu können.
Na ja, für "mich" oder "den Erzähler" schreibe ich das nicht; das soll schon leserfreundlich sein, eigentlich.
Die Idee mit dem Präsens ist eine gute. Ich denke da wirklich mal drüber nach.

Na, und erst hier begreife ich dann, dass das wohl Kalkül ist, und verfluche ein bisschen die Art, wie ich mich hier mit Geschichten auseinandersetze. Vielleicht hätte das funktioniert, wenn ich einfach mal gelesen hätte. Vielleicht wäre ich dann schon vorher stutzig geworden, hätte mich gefragt, warum dieser wehmütige Schneebeobachter denn eigentlich acht Wochen krankgeschrieben wurde. Vielleicht doch kein Armbruch und vielleicht doch nicht nur ein wehmütiger Schneebeobachter, sondern einer mit ernsthaften Problemen.
Ach, das freut mich! :D Hätte es auch hingenommen, wenn niemand hier so wirklich was mit anfangen kann, aber dass es schon irgendwo klappen kann, wenn man sich drauf einlässt und die Art Leser ist, dem das taugen könnte, freut mich das.

Wie auch immer, ich verstehe den Protagonisten jetzt und endlich auch den Autor. Und seitdem hat die Geschichte unheimlich an Qualität dazugewonnen.
Super

Diesen Absatz hätte ich vor einigen Minuten noch very kritisch betrachtet, jetzt aber lässt er mich nachdenklich werden, lässt mich mitleiden. Du hättest es dir nämlich auch einfach machen können, hättest schreiben können: Ich hatte Todesangst. Ich balancierte auf einem viel zu schmalen Grat, und der Wahnsinn, der alte Drecksack, lädt gerade mit einem hurensöhnischen Grinsem im Gesicht seine Gratverschmalungspistole nach. Stattdessen beruhigst du den Leser sogar, vergräbst die Angelegenheit unter einer dicken Schicht aus Schnee. Und ich begreife: Da liegt gar kein Hund begraben, ich selbst war der Hund mit meinem kritisch-nervigen Denken und Nichtakzeptierenwollen.
Freut mich, dass du die dicke Schicht Schnee erwähnst. Du weißt, ich hasse es, in Kommentaren irgendetwas Erklärendes abzugeben, weil ein Text aus sich heraus funktionieren muss, aber dass du das ein wenig gespürt hast beim Lesen, das Zuschütten und Verdrängen und den Wahnsinn, freut mich.

Eine Sache noch, nur so feedbackmäßig, was du daraus machst, musst du selbst wissen: Die "Abstiegsszene" ist unglaublich verwirrend. Ich nehme an, das ist so gewollt, sollte den Kopfwirrwarr verdeutlichen, aber ich überlege, ob es nicht schon zu krass ist, ich habe das nämlich größtenteils überflogen, weil es so unzusammenhängend und ... ja, wirr erschien. Ich hatten nicht das Gefühl, da was zu verpassen, wenn ich eine Zeile auslasse. Ja, auch das ist spannend, wenn man es wohlwollend betrachtet, man kann es auf Gespräche mit psychisch Kranken projezieren und wie man da oft den Eindruck bekommt, man müsse demjenigen gar nicht zuhören, weil ja eh nur Nonsens dabei herumkommt. Wäre aber sicher auch interessant gewesen, hier, wo man dann ja endlich direkt in die Quelle des Übels eintaucht, etwas klarer sehen könnte. Aber vielleicht überlassen wir das lieber den Psychologen.
Ja, Scheiße. Wie gesagt, eine neue Art Text und etwas schwierig für mich. Gerade auch surreale Situationen - wie schreibt man die, dass der Leser die gleichen Bilder vor Augen hat, wie ich? Ich befürchte, ich habe mich hier etwas verhaspelt und ich könnte das noch genauer und simpler beschreiben, wie ich es vor Augen habe. So wie ich es vor Augen habe, wie das mit den Kreisen/Löchern/Flecken passiert, ist das - ich kann mich täuschen - irgendwie eine doch schöne Geschichte, meinem Gefühl nach zumindest, und ich glaube, ich bin noch zu uneindeutig geblieben. Ich wollte auf keinen Fall verwirren, wirklich nicht. Ich hasse das bei Geschichten sogar, wenn ich "verwirrt" werde, wenn ich nicht weiß, um was es jetzt geht oder welche Bilder ich mir vorstellen soll. Es kann gerne surreal oder psychedelisch werden, aber die "Anweisung" des Textes, was ich mir vorzustellen habe, muss schon 100% klar sein, für mich zumindest und wie ich mir Texte auch von mir selbst vorstelle.

Also, zigga, ich fand das eine sehr, sehr eindrückliche Erfahrung. Man kann den Text hassen, wenn man will, ohne Frage, er bietet nämliche eine Menge Angriffsfläche für das "geschulte Leser-/Schreiberauge". Aber wenn man Lust hat, dahinterzublicken, dann findet man eine fast klaustrophobisch und super spannende Kreis-und-Fleckgeschichte, die einen so unwohl fühlen lässt, weil sie einen einlullt und beruhigt, obwohl in Wahrheit der Mistkerl Dr. Wahnsinn mit seiner Pistole um der Ecke lauert. Fazit: Nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr gerne gelesen!
Ja super! Danke dir fürs Lesen und ausführliche Kommentieren, hat mich gefreut. Auch deine Detailanmerkungen sind nicht untergegangen, sondern fließen direkt hier in die Überarbeitung ein. Danke dir dafür.

Beste Grüße
zigga

 

Hey-ho zigga,

komisch: ich finde deinen Text gar nicht zu ausladend oder zu langsam oder so. Es geht ja um diese Beobachtungen von schwarzen Flecken an verschiedenen Orten und wie sie - die Beobachtungen und die Flecken - wachsen, mehr Raum einnehmen. Das braucht Zeit, passt. Allerdings hat sich die Geschichte wohl auch seit dem ersten Hochladen verändert. Kann sein, dass es daran liegt.

Ich hab insgesamt wenig zu mosern, aber hier und wird ich was anders machen. Z.B. hier:
-- "Kurz dachte ich nach, dann wurde mir klar, dass es diese unglaubliche Stille war, die dort draußen herrschte und die der Schnee immer mit sich brachte, die eine solche Faszination auf mich ausübte;"
- das würd ich rausnehmen. "Stille" kehrt im folgenden Satz als "geräuschlos" wieder, das reicht eigentlich. Und ich meine, das Unwetter wirkt stärker, wenn es ohne die Einleitung daherkommt.

Oder hier mal eine wirklich ganz spitzfindige Kleinigkeit:
-- "Ich las Willkommen in Wellville von T.C. Boyle, ich war ungefähr in der Mitte"
- den zweiten Satz (nach dem Komma) würde ich umstellen. An einigen Stellen hat der Text etwas Reihendes, aufzählendes, so wie man schreibt, wenn man keine wichtige Info auslassen will (gleich mehr dazu), und das empfinde ich hier auch ansatzweise so. Ich las - und schnell noch dazu gesagt, wie weit ich gekommen bin. Man sieht ja daran, dass der Ich weiß, wovon der Roman handelt, dass er schon ein Stück weit darin gekommen sein muss. Dagegen könnte es interessant sein, wo sich der Fleck befindet. Möglich - und evtl. besser - erschiene mir deshalb:
--"Sexualität hielt Dr. Kellogg für die Ursache aller geistiger und leiblicher Übel. Ich war ungefähr in der Mitte. Ich trank wieder vom Kaffee, als mir plötzlich dieser Fleck rechts oben auf der Buchseite auffiel." (oder so)

-- "Es war ein schwarzer, kleiner, punktförmiger Fleck, wie Tinte, aber doch anders, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wieso."
- "wieso" klingt komisch, weil die Antwort so entfach erschient: Weil es keine Tinte ist?! Vielleicht eher: obwohl ich nicht erkennen konnte, was es war oder worin der Unterschied bestand oder so was.

-- "und dann sagte sie: »Ich liebe Schnee«"
- find ich gut, wie sie den Schnee anders sieht, konträr, aber doch nicht voll aufs Auge gedrückt, sondern auch irgendwo ähnlich: beide sind fasziniert, aber anders. Schön gemacht - und als Motiv schön durchgehalten, find ich.

-- "Später saßen wir wieder am Küchentisch"
- Hier: "Später" - das hat wieder was Aufzählendes. Das wäre allein nicht weiter auffällig, aber im folgenden Absatz heißt es "Nachts" und dann "als ich aufwachte". Könntest du vielleicht ein bisschen ausdünnen.
Ich würd ja "nachts" rausnehmen, und das irgendwo einflechten, ungefhär so::
Ich hörte sie wieder atmen. Das Fenster war gekippt und die Heizung aufgedreht. Sie lag mit der Decke umschlungen neben mir, und draußen im Dunkeln sah ich den Schnee fallen."

Und dann kommt öfter so ein "Als ich". "Als ich Aufwachte" - dagegen ist ja so nichts zu sagen. Aber insgesamt fand ich das etwas gehäuft.
Gut verzichtbar z.B. hier:
-- "Als ich mein Buch neben der Wasserkaraffe liegen sah, nahm ich es in die Hand und blätterte darin herum" (Neben der Wasserkaraffe lag mein Buch, ich nahm es in die Hand usw.)

(Übrigens: Doktorandenstelle. Hat @AWM schon gesagt, aber du hast die Korrektur offensichtlich nur auf den Bindestrich bezogen.)

Und inzwischen nimmt auch der Fleck Gestalt an. Das finde ich im Allgemeinen gut, wie du den inszenierst. Aber etwas gewollt kommt es mir hier und da vor, im Sinne von: Man hat den Eindruck, du wolltest eine hübsche Idee ausführen und man sieht dann mehr dich mit deiner Idee als den Typ mit seiner Beobachtung. Wenn du verstehst, was ich in etwa meine. Genauer fällt es mir im Moment leider nicht ein.
Na, vielleicht doch, aber ohne Garantie, dass das eine richtige Spur ist. Am Beispiel von dieser Stelle:
"Als ich mein Buch neben der Wasserkaraffe liegen sah, nahm ich es in die Hand und blätterte darin herum, bis ich den Fleck wieder rechts oben auf der Seite entdeckte. Ich hielt das Buch mit der aufgeschlagenen Seite in verschiedenen Winkeln, drückte ein Auge zu und besah es von der Diagonalen. Er war größer geworden, der Fleck, nur um Haaresbreite, aber dennoch war er von einem kleinen Punkt zu einem winzigen Kreis angewachsen; ich hatte das Gefühl, dass der Rand dunkler wäre als der Rest, und dass sich in der Mitte irgendetwas bewegte. Ich besah das Blatt von der Rückseite. Ich fuhr mit dem Finger über den Fleck, ließ ihn einen Moment darauf liegen. Er war etwas wärmer als der Rest des Blattes, und ich hatte das Gefühl, eine leichte Bewegung unter meiner Fingerkuppe zu spüren."
- Hier könnte ich mir eine Straffung dann doch ganz gut vorstellen. Vielleicht ist es das nämlich, dass du deinen Fleck hier eine Spur zu genüsslich ausbreitest. Es ginge auch gut so was in der Art:
Ich sah mein Buch neben der Wasserkaraffe liegen, nahm es in die Hand und blätterte darin. Der Fleck war größer geworden, um Haaresbreite; ich hatte das Gefühl, dass der Rand dunkler wäre als der Rest. Ich besah das Blatt von der Rückseite. Ich fuhr mit dem Finger über den Fleck, ließ ihn einen Moment darauf liegen. Er war etwas wärmer als der Rest des Blattes, und ich hatte das Gefühl, eine leichte Bewegung unter meiner Fingerkuppe zu spüren.

Und für den Rest habe ich habe ich eigentlich nur noch einen Kritikpunkt: Dieses "andere Ich", das klingt ungelenk. Mein Ich - mein anderes Ich, immer dieser Wechsel, das ist nicht schön. Also, die Idee schon, dagegen sage ich nichts. Aber diese Formulierung, das ist dann doch zu viel Gebrauchsanweisung.

Ach, und a propos Gebrauchsanweisung: "TV" - das klingt auch danach.

Schöner Schluss, wieder mit dem Schnee.

Ich würde ja fast sagen: Mir gefällt der Text von den Texten, die ich von dir kenne, mit am besten. Und das will was heißen, musst du wissen. Sonst fand ich diese Gewalteffekte zwar immer wieder auf eine Art beeindruckend, aber auch zwiespältig, hab mich dann immer so halb gefragt: Schön und gut, aber kann der auch ohne Gewalt Aufmerksamkeit erregen? Nicht dass ich daran echt gezweifelt hätte, aber eben so heimlich im Hintergrund hat das gestichelt. Und siehe da: Er kann (natürlich!). Der Fleck, könnte man sagen, ist zwar auch ein Kunstgriff, auch ein Baustein, der zur Irritation da ist. Aber irgendwas muss ja auch zur Irritation da sein. Gewöhnlich hab ich schließlich selbst, das brauch ich nicht zu lesen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Ich sprang vom Bett und lief den Gang entlang. Ich fuhr mir durch die Haare. Ich ging in die Küche, nahm mir ein Glas, hielt es unter den Wasserhahn und trank ein paar kräftige Schlücke. Ich fragte mich, was nicht mit mir stimmte, aber ich fühlte mich seltsam ruhig. Draußen fiel der Schnee. Der Kühlschrank brummte. Meine Füße waren kalt auf dem Linoleumboden. Ich ging ins Schlafzimmer, sah noch einen Augenblick in den Kreis, sah Maya und mich dort in der Dunkelheit im Bett liegen, dann zog ich das Bettlaken von der Matratze, zerknüllte es und warf es auf den Boden. Ich sah die dunkle Stelle im Stoff wie in das Laken eingezogene, schwarze Tinte, aber nichts bewegte sich mehr dort.

Tach, zigga,

interessanter Lehrstuhl, an dem Dein erzählendes Ich arbeitet (keine Bange, ich schreib gleich nicht Mitelhochdeutsch)! Klar, dass unter sieben Mrd. Köpfen mehr oder weniger abweichende Vorstellungen existieren über die Welt und was darinnen sei, macht es schon notwendig, sein eigenes Ich entwickeln und bewahren zu können. Unabhängig wird man da nie sein.

Aber als ich Dein neues Werk das erste Mal sah, wirkte es auf mich sehr ich-lastig, dem sich dann das entsprechende Possessivpronomen zugesellte. Der Anfang wirkte da beim jetzigen Durchgang schon etwas überarbeitet, um mit dem zitierten Absatz förmlich zu explodieren. Dabei ließe sich aufs „ich“ gefahrlos verzichten in dem Block (und gelegentlich auch im Text). Die ellipsoiden Konstruktionen hätten die Wirkung eines Brandbeschleunigers – schau mal

„Ich sprang vom Bett und lief den Gang entlang, fuhr mir durch die Haare, ging in die Küche, nahm ein Glas, hielt es unter den Wasserhahn und trank ein paar kräftige Schlücke. Fragte, was nicht mit mir stimmte, aber fühlte mich seltsam ruhig. Draußen fiel der Schnee. Der Kühlschrank brummte. Die Füße waren kalt auf dem Linoleumboden. Ich ging ins Schlafzimmer, sah noch einen Augenblick in den Kreis, sah Maya und mich dort in der Dunkelheit im Bett liegen, zog dann das Bettlaken von der Matratze, zerknüllte es und warf es auf den Boden. Sah die dunkle Stelle im Stoff wie in das Laken eingezogene, schwarze Tinte, aber nichts bewegte sich mehr dort.“

Probleme könnte nur eine andere Person im 3. Fall Singular erzeugen, etwa wenn Maya auch in die Küche käme (das Haar, durch das sie „sich“ fuhr, wäre dagegen unproblematisch.) Versuch mal selber, wo‘s gelegentlich noch gelingen kann. Nicht gerade hier

Ich stand oben an der Balkontür und sah den Rohbau, die Bagger, Betonmischer und den Aushub des Fundaments der Baustelle gegenüber unter einer weißen Schicht versinken.
Aber auch der Satz trägt Ballast. Bin von überzeugt, dass ein Fünfjähriger den Aushub schon richtig einordnen kann und nicht für einen Sandkasten hält ... obwohl, da bin ich bei einem Vierjährigen sehr sicher, der Aushub sehr verführerisch wäre ...

Aus den anderen Wohnhäusern links und rechts der Siedlung sah ich …
„Andere“ kann weg, das eigene Haus wird ja nicht rechts und links von sich selbst sein …
Vllt. interessiert es dich: Bis in die Lutherzeit hinein war „ander“ ein Zahlwort, ein Überbleibsel des Duals (wie auch heute noch Paar und beide), bis es durch „zwei“ ersetzt wurde. Kurioserweise lebt es fort im „anderthalb“, das mehr als eins aber weniger als zwo ist.

und dann wieder leise ein und aus atmete, ganz ….
„ein- und ausatmen“

Dr. Kellogg für die Ursache aller geistiger und leiblicher Übel.
„aller geistigen und leiblichen“

Ich saß am kleinen Küchentisch, gegenüber der Spüle, und aß eine Scheibe Brot, mit dem Buch aufgeschlagen vor mir.
Klar, hat unser Held das Brot nicht ohne Buch gegessen, warum nicht „aß eine Scheibe Brot, das Buch aufgeschlagen vor mir“?

»Mhm«, machte ich, …
Dann mach mal vor – hört sich ein „mhm“ [m:] anders an als ein unbetontes m [m] ? Welche Funktion hat da noch das Dehnungs-h, außer zwischen ms unterzugehen [m:]. Der Gourmet sagt „hm“ [hm:], dass der Hauch des h mit herüberweht

Sie ging an mir vorbei, fuhr mir durch die Haare, und als ich mich umdrehte, stand sie schon am Fenster; ich sah ihre nackten Beine, ihre nackten Füße. Ihre kastanienbraunen, welligen Haare waren zerzaust. »Was für ein Schnee«, sagte sie und stand am Fenster

..., und kurz hatte ich das Gefühl, all den Schnee, all die Masse dort draußen auf eine seltsame Art spüren zu können; als sei das ich dort draußen, der sich auf das Viertel legte.
Besser „als sei ich das dort draußen“

»Du hast da was«, sagte ich, sah sie an und tippte mir leicht an die Stirn, an einer Stelle über meinem rechten Auge.
Warum das Komma zwischen Stirn und Stelle?

Klingt arg verzwirbelt, weg mit Ballast

Man hatte mich acht Wochen krankgeschrieben. Es war mir unangenehm gewesen, acht Wochen krankgeschrieben worden zu sein; …

Als sie mich ansprach[,] war mein erster Gedanke, dass sie ein viel zu hübsches Mädchen sei, …
Sie nannte mich »mein[en] Träumer«, und
ich hatte das Gefühl, dass der Rand dunkler wäre als der Rest, und dass sich in der Mitte irgendetwas bewegte.
Das zwote Komma weg!, das „und“ ersetzt es ganz hervorragend zwischen gleichrangigen Nebensätzen

Da ist noch‘n Satz voller Verlustängste von Bademantel bis Sessel

Ich setzte mich im Bademantel in meinen Sessel, trank von meinem Kaffee und schlug mein Buch auf.
Ich hielt mein eines Auge so nah an den schwarzen Fleck oder Kreis, …
Besser „hielt ein Auge“

..., aber ich hörte nichts davon, als ob jemand den Ton abgeschalte[t] hätte.
..., aber plötzlich versuchte ich, mich mit de[m] Fuß in den Kreis zu stellen, und ...

… erschrak, als ich dort keinen Boden mehr fühlte, sondern wie hinabzusteigen schien.
...; nicht aufgeregt oder erschrocken, sondern so wie man jemanden anstarrt,
... schwarzen Hocker gesessen, die Beine über[einanderge]schlagen.
Den Überschlag macht der Turner, der Kassenwart überschlägt im übertragenen Sinn die Barschaft

Mein anderes Ich winkte mich zu sich ans Pult, er saß dort noch auf dem Stuhl und packte den Laptop und seine Unterlagen in seinen Koffer. Er sagte etwas zu mir, …
„das“ andere Ich = es!, „es saß dort noch“, beim Satzanfang musstu selbst entscheiden, Emanzipation des Ichs oder Versachlichung …

Gegen Ende vermeinte ich Konzentrationschwächen zu entdecken ... Wie ddem auch sei,

einen schönen Restsonntag wünscht der

Friedel

 

Lieber @erdbeerschorsch,

zehnmal Schande über mich, weil ich jetzt so lange gebraucht habe, um dir zu antworten. Nicht falsch verstehen, hat weder etwas mit deinem Kommentar noch mit dir zu tun - ich hab's schlichtweg nicht auf die Reihe gebracht, dir adäquat zu antworten. Und einfach eine Antwort auf deinen tollen Kommentar hinschmieren wollte ich auf keinen Fall.

komisch: ich finde deinen Text gar nicht zu ausladend oder zu langsam oder so.
Das freut mich! Insgesamt scheinst du mit dem Text sehr viel anfangen zu können, was mich natürlich freut. Wahrscheinlich braucht er schon eine gewisse Art von Leser, bzw. ist etwas spezifischer

Es geht ja um diese Beobachtungen von schwarzen Flecken an verschiedenen Orten und wie sie - die Beobachtungen und die Flecken - wachsen, mehr Raum einnehmen. Das braucht Zeit, passt. Allerdings hat sich die Geschichte wohl auch seit dem ersten Hochladen verändert. Kann sein, dass es daran liegt.
Gar nicht mal allzu viel verändert in der Fassung hier, würde ich sagen. Ich hab einen ganzen Zettel voller eurer Kritiken und werde da auf jeden Fall alles noch mal durchgehen, aber insgesamt ist das hier nicht allzu viel in seinem Grundkörper verändert

Ich hab insgesamt wenig zu mosern, aber hier und wird ich was anders machen. Z.B. hier:
nur her damit!

"Stille" kehrt im folgenden Satz als "geräuschlos" wieder, das reicht eigentlich. Und ich meine, das Unwetter wirkt stärker, wenn es ohne die Einleitung daherkommt.
Du hast wohl recht.

Oder hier mal eine wirklich ganz spitzfindige Kleinigkeit:
-- "Ich las Willkommen in Wellville von T.C. Boyle, ich war ungefähr in der Mitte"
- den zweiten Satz (nach dem Komma) würde ich umstellen. An einigen Stellen hat der Text etwas Reihendes, aufzählendes, so wie man schreibt, wenn man keine wichtige Info auslassen will (gleich mehr dazu), und das empfinde ich hier auch ansatzweise so.
Das Aufreihende stimmt! Ich will mich hier nicht rausreden, und wenn es für den Text scheiße ist, werde ich das killen, aber ich hatte eben einen "Akademiker" bzw. Doktoranden (sic!) vor Augen, der möglicherweise ein wenig etwas Roboterhaftes an sich hat, und das natürlich dann auch in seiner Erzählstimme so intus hat ... aber ich denke mal drüber nach

-- "Es war ein schwarzer, kleiner, punktförmiger Fleck, wie Tinte, aber doch anders, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wieso."
- "wieso" klingt komisch, weil die Antwort so entfach erschient: Weil es keine Tinte ist?! Vielleicht eher: obwohl ich nicht erkennen konnte, was es war oder worin der Unterschied bestand oder so was.
da hast du wohl auch recht, ist notiert

-- "und dann sagte sie: »Ich liebe Schnee«"
- find ich gut, wie sie den Schnee anders sieht, konträr, aber doch nicht voll aufs Auge gedrückt, sondern auch irgendwo ähnlich: beide sind fasziniert, aber anders. Schön gemacht - und als Motiv schön durchgehalten, find ich.
super!

(Übrigens: Doktorandenstelle. Hat @AWM schon gesagt, aber du hast die Korrektur offensichtlich nur auf den Bindestrich bezogen.)
Gut beobachtet! ;)

Und inzwischen nimmt auch der Fleck Gestalt an. Das finde ich im Allgemeinen gut, wie du den inszenierst. Aber etwas gewollt kommt es mir hier und da vor, im Sinne von: Man hat den Eindruck, du wolltest eine hübsche Idee ausführen und man sieht dann mehr dich mit deiner Idee als den Typ mit seiner Beobachtung. Wenn du verstehst, was ich in etwa meine. Genauer fällt es mir im Moment leider nicht ein.
Na, vielleicht doch, aber ohne Garantie, dass das eine richtige Spur ist. Am Beispiel von dieser Stelle:
"Als ich mein Buch neben der Wasserkaraffe liegen sah, nahm ich es in die Hand und blätterte darin herum, bis ich den Fleck wieder rechts oben auf der Seite entdeckte. Ich hielt das Buch mit der aufgeschlagenen Seite in verschiedenen Winkeln, drückte ein Auge zu und besah es von der Diagonalen. Er war größer geworden, der Fleck, nur um Haaresbreite, aber dennoch war er von einem kleinen Punkt zu einem winzigen Kreis angewachsen; ich hatte das Gefühl, dass der Rand dunkler wäre als der Rest, und dass sich in der Mitte irgendetwas bewegte. Ich besah das Blatt von der Rückseite. Ich fuhr mit dem Finger über den Fleck, ließ ihn einen Moment darauf liegen. Er war etwas wärmer als der Rest des Blattes, und ich hatte das Gefühl, eine leichte Bewegung unter meiner Fingerkuppe zu spüren."
- Hier könnte ich mir eine Straffung dann doch ganz gut vorstellen. Vielleicht ist es das nämlich, dass du deinen Fleck hier eine Spur zu genüsslich ausbreitest. Es ginge auch gut so was in der Art:
Ich sah mein Buch neben der Wasserkaraffe liegen, nahm es in die Hand und blätterte darin. Der Fleck war größer geworden, um Haaresbreite; ich hatte das Gefühl, dass der Rand dunkler wäre als der Rest. Ich besah das Blatt von der Rückseite. Ich fuhr mit dem Finger über den Fleck, ließ ihn einen Moment darauf liegen. Er war etwas wärmer als der Rest des Blattes, und ich hatte das Gefühl, eine leichte Bewegung unter meiner Fingerkuppe zu spüren.

Ich denke, hier sprichst du einen wahren Punkt an. Ich werde mal schauen, wie ich das straffen kann. Merci dafür. "Vielleicht ist es das nämlich, dass du deinen Fleck hier eine Spur zu genüsslich ausbreitest." - :D

Und für den Rest habe ich habe ich eigentlich nur noch einen Kritikpunkt: Dieses "andere Ich", das klingt ungelenk. Mein Ich - mein anderes Ich, immer dieser Wechsel, das ist nicht schön. Also, die Idee schon, dagegen sage ich nichts. Aber diese Formulierung, das ist dann doch zu viel Gebrauchsanweisung.
Das ist auch etwas, bei dem ich mir nicht sicher war und bin. Manchmal hat man seinen eigenen Film im Kopf und versucht ihn, auf Papier zu bringen, aber wenn man es dann runtergeschrieben hat, kann man einfach überhaupt nicht einschätze, ob das Geschriebene den gleichen Film in den Köpfen anderer Leser erzeugt ... ich hoffe du weißt, was ich meine ... hier ging mir das extrem so. Deswegen danke für dein Feedback. Ich muss echt mal überlegen, ob und was ich hier verändere. Dein Leseeindruck ist jedenfalls wertvoll.

Ich würde ja fast sagen: Mir gefällt der Text von den Texten, die ich von dir kenne, mit am besten. Und das will was heißen, musst du wissen.
Ja cool, danke. Hätte ich nicht erwartet, dass das kommt. Ich meine, allgemein. Ich mag die Geschichte schon gerne, aber sie ist jetzt nichts Safes, wo ich mir irgendwo "sicher" bin, dass ich damit Leser catchen könnte. Ich hab das Gefühl, Leute, die für eine gewisse Ruhe im Text und etwas "Magisches" affin sind, bei denen kann die Story richtig punkten. Erschließe ich mir mal so aus den Kommentaren. Leute, die das eben nicht so mögen und bisschen Action und große Gefühle usw. in Geschichten mögen haben Fragezeichen über dem Kopf. Kann ich auch absolut verstehen. Immer wieder interessant für mich!

Sonst fand ich diese Gewalteffekte zwar immer wieder auf eine Art beeindruckend, aber auch zwiespältig, hab mich dann immer so halb gefragt: Schön und gut, aber kann der auch ohne Gewalt Aufmerksamkeit erregen? Nicht dass ich daran echt gezweifelt hätte, aber eben so heimlich im Hintergrund hat das gestichelt. Und siehe da: Er kann (natürlich!). Der Fleck, könnte man sagen, ist zwar auch ein Kunstgriff, auch ein Baustein, der zur Irritation da ist. Aber irgendwas muss ja auch zur Irritation da sein. Gewöhnlich hab ich schließlich selbst, das brauch ich nicht zu lesen.
Ja, die Gewalt, irgendwo war das natürlich auch ein Mittel, um sicher zu gehen, dass sie Leser nicht langweilen, irgendwo auch ein sicheres Pferd, mehr oder weniger, auf das man setzen kann - zumindest dachte oder denke ich das manchmal ... ist wahrscheinlich wie beim Kochen: Ohne Salz schmeckt es grausig, mit zuviel genauso. Stimmt schon, dass jemandem diese Kreise erscheinen war meine Ursprungsidee, aus der ich dann was spinnen wollte - irgendwas braucht es immer, da bin ich schon bei dir. Meine Grundangst ist glaube ich beim Schreiben, dass Leser gähnen und es kein Schwein liest oder gefällt. Nun ja.

Danke dir nochmals für deinen ausführlichen Kommentar, erdbeerschorsch, du weißt, es war mir eine Freude!

Lieber @Friedrichard!

Auch dir erstmal ein großes Dankeschön fürs Lesen und Kommentieren und eine Entschuldigung, weil meine Antwort jetzt wirklich lange gebraucht hat. Hatte nichts mit euren Kommentaren o.ä. zu tun.

interessanter Lehrstuhl, an dem Dein erzählendes Ich arbeitet (keine Bange, ich schreib gleich nicht Mitelhochdeutsch)!
:D

Aber als ich Dein neues Werk das erste Mal sah, wirkte es auf mich sehr ich-lastig, dem sich dann das entsprechende Possessivpronomen zugesellte. Der Anfang wirkte da beim jetzigen Durchgang schon etwas überarbeitet, um mit dem zitierten Absatz förmlich zu explodieren. Dabei ließe sich aufs „ich“ gefahrlos verzichten in dem Block (und gelegentlich auch im Text). Die ellipsoiden Konstruktionen hätten die Wirkung eines Brandbeschleunigers – schau mal

„Ich sprang vom Bett und lief den Gang entlang, fuhr mir durch die Haare, ging in die Küche, nahm ein Glas, hielt es unter den Wasserhahn und trank ein paar kräftige Schlücke. Fragte, was nicht mit mir stimmte, aber fühlte mich seltsam ruhig. Draußen fiel der Schnee. Der Kühlschrank brummte. Die Füße waren kalt auf dem Linoleumboden. Ich ging ins Schlafzimmer, sah noch einen Augenblick in den Kreis, sah Maya und mich dort in der Dunkelheit im Bett liegen, zog dann das Bettlaken von der Matratze, zerknüllte es und warf es auf den Boden. Sah die dunkle Stelle im Stoff wie in das Laken eingezogene, schwarze Tinte, aber nichts bewegte sich mehr dort.“

Das ist ein wirklich krasser Vorschlag von dir, Friedel, über den ich in den letzten Wochen öfters mal nachgedacht habe. Es wirkt wirklich wie Brandbeschleuniger. Ich bin auch stark am Überlegen, ob ich den Text probeweise mal in die Richtung umbaue und schaue, wie es mir gefällt. Es ist nur so - und das ist das Manko! -. dass ich aus welchem Grund auch immer total allergisch darauf reagiere, wenn Personalpronomen in Sätzen fehlen. Ich hasse das! :D Also ich weiß, dass das absolut mein eigenes Geschmacksempfinden ist, aber bei Sätzen wie: Sah die dunkle Stelle im Stoff wie in das Laken eingezogene, schwarze Tinte, aber nichts bewegte sich mehr dort. - ich weiß, objektiv betrachtet ist das wirklich gut und nichts dran auszusetzen, aber in mir steigt da ein seltsamer Widerstand auf, weil ich mir denke: Er! Er! Schreib doch einfach Er dazu!! :gelb: (Ich hoffe, du nimmst mir meine ehrlichen Wort nicht übel)
Andererseits - und das ist der Zwiespalt, in dem ich mich seit deinem Kommentar etwas befinde - merke ich, dass der von dir geschriebene und optimierte Absatz wirklich gut ist und sich absolut runterliest. Als ob man Schmiermittel zwischen die Zeilen gekippt hätte.

Also, Friedel, danke dir auf jeden Fall für die Anmerkung bzw. Idee. Ich hab das Gefühl, dass ich in die Richtung vielleicht wirklich mal was probieren werde. Ich bin mir noch nicht sicher, was ich davon halten soll. Aber sicher wertvoll, soviel bin ich mir sicher.

Vllt. interessiert es dich: Bis in die Lutherzeit hinein war „ander“ ein Zahlwort, ein Überbleibsel des Duals (wie auch heute noch Paar und beide), bis es durch „zwei“ ersetzt wurde. Kurioserweise lebt es fort im „anderthalb“, das mehr als eins aber weniger als zwo ist.
Damit werde ich auf irgendeiner Party einmal klugscheißen, danke dir! :D

Auch tausend Dank für deine genaue Rechtschreibanalyse, ich habe soweit all deine Anmerkungen einmal eingebaut. Ohne dich würden wir hier wahrscheinlich alle früher oder später in einem Sumpf aus Rechtschreibfehlern untergehen! :D

„das“ andere Ich = es!, „es saß dort noch“, beim Satzanfang musstu selbst entscheiden, Emanzipation des Ichs oder Versachlichung …
Da hast du recht! Ich werde mal darüber nachdenken, Friedel, ist ein guter Punkt!

Friedel, danke dir für deinen Kommentar.


Beste Grüße
zigga

 

Hallo @zigga,
ein Text, der einen beklommen zurück lässt. Wo du etwas Neues ausprobiert hast. Das kommt mir alles sehr dicht, fast intim vor, was vielleicht auch daran liegt, dass du uns so intensiv an den Empfindungen und Gedanken deines Protagonisten teilhaben läßt, während er für seine Umgebung, auch für seine Freundin ein Rätsel bleibt, verschlossen und still. Als Leserin sitze ich mit ihm wie in einem schalldichten Raum und das Bild vom Schnee passt dazu hervorragend.

und ich dachte, dass Schneefall das einzige Unwetter ist, das vollkommen geräuschlos daherkommen und eine ganze Stadt lahmlegen und ersticken kann.

Es gelingt dir gut, mich in diese Stimmung hineinzuziehen. Tatsächlich fühle ich im Verlauf des Textes so etwas Ersticktes. Selbst sein Zusammenbruch wird keine Erlösung bieten.

Der Roman handelte von Dr. Kellogg, der mit seinem Bruder die berühmten Cornflakes erfand, allerdings mit der Intention, sie würden sämtliche Verstopfung und somit auch jegliche sexuelle Impulse im menschlichen Körper beseitigen; Sexualität hielt Dr. Kellogg für die Ursache aller geistigen und leiblichen Übel. Ich trank wieder vom Kaffee, als mir plötzlich dieser Fleck rechts oben auf der Buchseite auffiel.
Mir gefällt das, wie du solche Einschübe einflechtest. Man spürt, dass das was mit dem zu tun hat, was mit ihm passiert und dennoch ist das subtil, läßt verschiedene Deutungen, Assoziationen zu. Da scheint etwas auseinanderzudriften. Ich tendiere dazu, das als langsamen Weg in die Psychose aufzufassen, was dein Text aber offen lässt. Vielleicht ist es auch ein surreales Geschehen, etwas Übernatürliches, was ihm widerfährt.

»Mhm«, machte ich, lächelte sie an und sah wieder in mein Buch. Sie ging an mir vorbei, fuhr mir durch die Haare, und als ich mich umdrehte, stand sie schon am Fenster; ich sah ihre nackten Beine, ihre nackten Füße. Ihre kastanienbraunen, welligen Haare waren zerzaust. »Was für ein Schnee«, sagte sie und stand am Fenster. Sie sagte: »Sowas hab ich ja noch nie gesehen.«
Ich legte mein Brot auf den Teller und ging auch zum Fenster. »Geht schon die ganze Zeit so«, sagte ich und kaute. Wir schauten hinaus, auf das Viertel und die Baustelle, und dann sagte sie: »Ich liebe Schnee«, und aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie sich zu mir drehte. Ich blickte noch einen Moment aus dem Fenster, und kurz hatte ich das Gefühl, all den Schnee, all die Masse dort draußen auf eine seltsame Art spüren zu können; als sei das ich dort draußen, der sich auf das Viertel legte. Ich drehte mich um zu ihr, fuhr ihr über die Wange. Ich sah die kleine Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen, wir lächelten uns an, und dann küsste ich sie.
Wunderschön. Da ist so etwas wir Glück und darunter etwas Bedrohliches.

»Jetzt mach mir keine Angst«, sagte sie, setzte sich steif zurück in den Stuhl, warf mir einen Blick zu, und stand dann auf und lief hinaus.
Sowas mag ich gerne, so etwas fein Beobachtetes

Vor acht Monaten zog sie bei mir ein. Ich war nie woanders gewesen; ich zog mit Anfang zwanzig in diese Stadt. Ich hatte das Studium beendet, und dann die Doktoranden-Stelle angeboten bekommen. Man empfahl mir, die Doktoranden-Stelle anzunehmen, und wir waren erst seit kurzem zusammengezogen.
Das kommt mir ein bisschen wirr vor, zweimal mit dem Zusammenziehen. Ist das Absicht?

Sie sagten, ich solle jemanden aufsuchen. Meine Freundin sagte, ich solle jemanden aufsuchen.
Wie sich das so immer mehr in deinen Text schleicht, dass da was mit ihm ist, das ist echt gut.

ich hatte das Gefühl, dass der Rand dunkler wäre als der Rest, und dass sich in der Mitte irgendetwas bewegte.
Gut, wie du das immer wiederholst.

Der Arzt des psychiatrischen Notdienstes war in einem seltsamen Arbeitszimmer auf einem lehnenlosen, schwarzen Hocker gesessen, die Beine übereinandergeschlagen.
"Schlücke" "war gesessen", das ist beides eher süddeutscher Sprachgebrauch, oder?

»Du hast da was«,
Hier hast du jetzt das Motiv der Spiegelung. Auf jeden Fall schient er von seinem "Alter Ego" genauso getrennt zu sein, wie von allen anderen. Hier kommt auch keine Hilfe.

Nach einiger Zeit sagte ich: »Herrgott, warum hilfst du mir nicht?«
Er meint wirklich den Herrgott, oder?

Ihr Gesicht vom Kinn bis zum Haaransatz von einem einzigen, großen Kreis überzogen.
Auch wenn er sie in dem Kreis sieht, spürt man, dass er sie verliert. Ich musste an Michael Ende denken, das Nichts, dass sich immer weiter ausbreitet. Wobei M.Ende sehr moralisch ist, das nehme ich hier nicht so war. Und an den "Horla" von Guy de Maupassant muss ich auch denken.
Das sind sehr intensive Bilder und am Ende löst du das Rätsel nicht, was unbefriedigend und verstörend ist. Interessant, was du da ausprobierst.

Liebe Grüße von Chutney

 

Liebe @Chutney!

Ich danke dir vielmals fürs Vorbeischauen, Lesen und Kommentieren.

ein Text, der einen beklommen zurück lässt. Wo du etwas Neues ausprobiert hast. Das kommt mir alles sehr dicht, fast intim vor, was vielleicht auch daran liegt, dass du uns so intensiv an den Empfindungen und Gedanken deines Protagonisten teilhaben läßt, während er für seine Umgebung, auch für seine Freundin ein Rätsel bleibt, verschlossen und still. Als Leserin sitze ich mit ihm wie in einem schalldichten Raum und das Bild vom Schnee passt dazu hervorragend.
Danke! Das freut mich :-)

Es gelingt dir gut, mich in diese Stimmung hineinzuziehen. Tatsächlich fühle ich im Verlauf des Textes so etwas Ersticktes. Selbst sein Zusammenbruch wird keine Erlösung bieten.
Das freut mich wirklich, dass es dir so ging (ok das klingt etwas schräg) - ich hatte den Text ein wenig in die Richtung intendiert, ein paar spürten das überhaupt nicht, da freut es natürlich, wenn es bei dir so aufging!

Mir gefällt das, wie du solche Einschübe einflechtest. Man spürt, dass das was mit dem zu tun hat, was mit ihm passiert und dennoch ist das subtil, läßt verschiedene Deutungen, Assoziationen zu. Da scheint etwas auseinanderzudriften. Ich tendiere dazu, das als langsamen Weg in die Psychose aufzufassen, was dein Text aber offen lässt. Vielleicht ist es auch ein surreales Geschehen, etwas Übernatürliches, was ihm widerfährt.
Super, super, super, ich kann mich nur für dein Feedback bedanken. Man kann einen Text natürlich auf hundert Arten lesen, man versucht natürlich etwas damit zu sagen, und wenn das bei einer Leserin aufgeht und sie die Dinge so sieht, wie man es selbst beim Schreiben vor Augen hatte, ist das natürlich ein gutes Gefühl!

Wunderschön. Da ist so etwas wir Glück und darunter etwas Bedrohliches.
danke

Vor acht Monaten zog sie bei mir ein. Ich war nie woanders gewesen; ich zog mit Anfang zwanzig in diese Stadt. Ich hatte das Studium beendet, und dann die Doktoranden-Stelle angeboten bekommen. Man empfahl mir, die Doktoranden-Stelle anzunehmen, und wir waren erst seit kurzem zusammengezogen.

Das kommt mir ein bisschen wirr vor, zweimal mit dem Zusammenziehen. Ist das Absicht?
Ja, es war Absicht. Ist er nicht selbst ein wirrer Mensch? :D
Ich weiß, dass solche sprachlichen Mätzchen auf andere oft wie schlampig geschrieben o.ä. wirkt; ich will da auch nicht selbst zuviel hinein interpretieren, aber ich finde, an Stellen, wo jemand seltsam denkt bzw. einem selbst auffällt: Das ist irgendwie wirr - dahinter verbergen sich oftmals die Dinge, die wirklich drücken. Ist zumindest meine Auffassung und so lese ich das - wenn das natürlich nicht den Effekt auf Leser hat, ist das der Fehler des Textes ... ich denke mal drüber nach

Wie sich das so immer mehr in deinen Text schleicht, dass da was mit ihm ist, das ist echt gut.
Danke schön!

"Schlücke" "war gesessen", das ist beides eher süddeutscher Sprachgebrauch, oder?
Jepp, ich komme aus Süddeutschland. Seit ich im Online Duden mal gesehen habe, dass man statt Schlucke tatsächlich auch Schlücke sagen darf, benutze ich es so - ich habe das tatsächlich als "Schlücke" gelernt
- sagt man "war gesessen" anderswo nicht? :D

Er meint wirklich den Herrgott, oder?
Ja, meint er. Ich hatte in einer früheren Version mal "Gott", aber das hat mir irgendwie nicht gefallen. Bei Herrgott bin ich auch nicht ganz zufrieden, weil man es nicht explizit auf Gott bezieht beim Lesen, es könnte auch eine Floskel sein ... Gottvater klänge irgendwie aufgesetzt ... ich bin noch am überlegen!


Auch wenn er sie in dem Kreis sieht, spürt man, dass er sie verliert. Ich musste an Michael Ende denken, das Nichts, dass sich immer weiter ausbreitet. Wobei M.Ende sehr moralisch ist, das nehme ich hier nicht so war. Und an den "Horla" von Guy de Maupassant muss ich auch denken.
Die beiden Bücher kenne ich tatsächlich nicht, aber ich hab mir hier gleich mal notiert, dass ich mal reinschaue!

Das sind sehr intensive Bilder und am Ende löst du das Rätsel nicht, was unbefriedigend und verstörend ist. Interessant, was du da ausprobierst.
Ja, ich weiß schon, dass es nicht ganz klar wird bzw. auserzählt wird. Die Frage ist vielleicht: Könnte einer wie der Prot das auserzählen? Freut mich jedenfalls, dass der Text eine Wirkung auf dich hatte, @Chutney !


Besten Gruß
zigga

 

Hallo @zigga,

Die beiden Bücher kenne ich tatsächlich nicht, aber ich hab mir hier gleich mal notiert, dass ich mal reinschaue!

"Die unendliche Geschichte" von Michael Ende kennst du bestimmt. Wobei ich jetzt denke, dass ich da zu wild assoziiert habe. Es gibt dort das "Nichts", das sich immer weiter ausbreitet. Den Horla habe ich mal als Film gesehen. Jemand, der in einen Wahn abgleitet, bzw. wo es auch bis zum Schluss nicht aufgelöst wird, was echt ist und was Wahn. So habe ich es jedenfalls in Erinnerung. Vielleicht noch eher interessant für dich, weil ich den Eindruck habe, dass dich Menschen in extremen psychischen Verfassungen interessieren.

Herzliche Grüße von Chutney

 

Liebe @Chutney,

danke für deinen Nachtrag!

Ich bin leider schrecklich ungebildet und habe nie die Unendliche Geschichte gelesen (habe aber tatsächlich schon mehrmals mit dem Gedanken gespielt, mir das Teil zu holen - vielleicht ja jetzt ;) )
Horla klingt gut, ich hab ein paar Trailer gefunden. Das stimmt, das ist etwas, was mich stark interessiert und was sich öfters mal in meinem Schreiben einschleicht. Da das evtl. etwas off topic wird: Wenn du Lust hast, könntest du mir als PN schreiben, welche Verfilmung du von Horla gesehen hast? Würde ihn mir direkt ansehen.

Beste Grüße
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Hei @zigga,

neulich hab ich mich noch mokiert, dass sich hier kaum noch jemand was (stilistisch) traut und zu vieles in den gleichen Bahnen läuft. Und wie froh ich bin, dass du auch sowas hier schreiben kannst – und ich das zu lesen bekomme, denn ich kann ja Alltagstexte nicht gut ab, (ich mag einfach in Fiktion nicht das lesen/hören, was ich selbst erleben kann, sondern will eine Welt / Weltsicht gezeigt bekommen, die mir fremd ist).

Das Lesen ging so: Ich sitze hier mit viel Zeit, um mich auf den Text einzulassen, weil ich ihn neulich schon überflogen hatte. Schon in den ersten Sätzen werde ich in die story gesogen, zücke immer wieder den imaginären Rotstift, denke, Naja, beim nächsten Satz notiere ich was, beim nächsten und nächsten, stolpere immer wieder über ein paar Formulierungen, bin dabei aber so fasziniert, dass ich nach dem zweiten Absatz denke, Ach, scheiß der Hund drauf!, und hab erstmal nur die Geschichte genossen. Die Irritationen hörten nicht auf, aber ich hätte mir gewünscht, dass der Text 10 Seiten länger wäre. Wahrscheinlich würde ich immer noch sitzen und lesen, bis morgen früh oder so.

Ich wär mal interessiert, warum du in der Vergangenheitsform erzählst, eigentlich schreit der Text nach Präsens. Allerdings gibt es einen tollen kühl-bedächtigen Abstand. Und noch allerdings kann das nur heißen, dass der Prot am Ende nicht komplett abgedreht ist, denn er kann ja noch halbwegs analytisch erzählen, das wieder ist fast schade (dass man denkt, noch sei nicht alles zu spät).

Im ersten und zweiten Absatz sind ein paar schräge Sachen, dazu gleich. Danach wird es aber problematisch – ich hab sonst überhaupt keine Scheu, einen Text zu sezieren, aber diese ganzen Wiederholungen, die diesen irren Sog ausmachen (und in dem man sich genauso verliert wie der Prot in diesen eigenartigen Spiegelwelten), scheinen mir echt fragil zu sein. Und ich zögere, hier Streichungen vorzuschlagen, obwohl der Text ein paar Schnitte braucht - also, von einzelnen Worten, nicht ganzen Sätzen/Absätzen.

Was wirklich extrem ist: die Häufung von ich. Und danach von sie, ihr, mir … Ohne v.a. die Satzanfänge mit ich funktioniert der Klang nicht, mit so vielen davon lese ich aber mehr die Hand des Autors, als dass ich die Stimme des Prots höre.
Würde ich den Text editieren, würde ich ca. 10-20% davon durch Ellipsen ersetzen. Unasked for advice: Auf jeden Fall nicht überschreiben, sondern in in neues word.doc, und dann gucken, ob es noch klingt, ob da wieder was zurückgesetzt werden muss. Ich weiß halt nicht, ob du Ellipsen schreiben magst. Falls du selbst zu sehr in den Rhythmus fällst, könnte es helfen, wenn du außerhalb der Chronologie kleine Abschnitte auf ein neues Blatt rauskopierst, und pro Tag nur einen davon editierst, dann kommt man selbst nicht so in den Klangstrudel.

Und bevor du was kaputt machst, lass es lieber so. :D
Was mir einfach irrsinnig gut gefällt, sind die Beschreibungen des Schnees. Weil viel Schnee wirklich seltsame Dinge mit der Wahrnehmung und dem eigenen Körpergefühl macht, und das ist schwer greifbar und dafür – vor allem über eine so relativ lange Strecke – so schön und so passend beschrieben. Und eben immer mit so einem Hauch von Schrägheit, dass man sich fragen muss, ob es so ist, oder der Prot das nur so sieht.

Diese sich ausbreitenden Flecke sind wirklich fies, eklig (auch im Sinne von Bodyhorror), und doch will man hingucken und anfassen, obwohl man doch am liebsten weglaufen möchte. Und so wenig ich Geschichten als gruselig oder bedrohlich empfinde, wenn die Prots da alle rumschreien und hysterisch werden, umso beunruhigender finde ich, wenn die Prots unangemessen gelassen sind. Das ist auch ganz toll beschrieben, und da würde ich auf keinen Fall eine der Wiederholungen („ich bin seltsam ruhig, obwohl …“) streichen.

Mir gefallen alle Beschreibungen, wie sich die Flecke anfassen (oder besser: die Abwesenheit von ‚Haptik‘), wie die sich entwickeln, und dass der Prot dann diese andere Welt betreten kann – und perfekt, dass du nicht auflöst ob das in der internen Logik deiner story wirklich physisch passiert, oder das seine zunehmende Verwirrung zeigt, oder nur Symbolik ist.

Ich meine ja, die Wohnungswelt sei die irreale / wahnhafte, und die Welten, die er durch die Flecken sieht bzw. betritt, wären die Realität. Aber das kann man auch noch zehn Mal brechen und verschachteln, evt. auch unter dem Aspekt einer nicht-linear verlaufenden Zeit, bzw. verschiedener Möglichkeiten von Realitäten. Ich fand es auch spannend, ob der Prot versucht, sein anderes Ich vor dem Zusammenbruch zu bewahren; dann wieder scheint der Prot der Auslöser dafür gewesen zu sein - das ist schon echt cool gemacht, vor allem weil die beiden da so passiv und sprachunfähig im Café sitzen. Ein irrer Spannungsmoment - und das Scheitern der Kommunikation wirkt tragisch, wie eine letzte, aber vertane Chance.
Und ich brauche auch keine Bestätigung irgendeiner dieser Vermutungen, die Gedankenspiele machen einfach Spaß.
Texte brauchen solche Ambivalenzen, um spannend zu sein, solange man merkt, dass der Autor sich etwas dabei gedacht hat. Dann möchte ich nicht an die Hand genommen werden und alles gezeigt bekommen, sondern – wie hier möglich – diese möglichen Welten eben selbst erkunden.

Ich hab deine kurze Erklärung gelesen, und war - wie gesagt - zu einer ganz anderen Interpretation gekommen, allerdings glaube ich, dass der Text das aushält, da du sicher keine Parabel mit festgelegter Aussage schreiben wolltest. Mir gefällt beides, deine und meine Interpretation.
Also, ich hoffe, die anderen ‚missglückten‘ Geschichten in deiner Schublade sind auch solche tollen Experimente!

Wenn ich jetzt mit etwas klarerem Kopf rangehe, würd ich den ersten Absatz etwas entfusseln. Da hab ich ein paar Sachen drei Mal lesen müssen. Vllt etwas zu penibel, but here we go:

Nachmittags fiel wieder Schnee. Ich stand oben an der Balkontür
-> Ich meine, ‚oben‘ fällt aus der Perspektive – sagt das nicht eher ein 3.Pers.-Erzähler? Wenn man selbst oben steht, sagt man das doch nicht. (Außer in ‚ich sehe von hier oben‘ etc, hier ist das wie Draufsicht von außen.)
und sah den Rohbau, die Bagger, Betonmischer und den Aushub des Fundaments der Baustelle gegenüber unter einer weißen Schicht versinken.
-> Als ich das auseinanderklamüsert hatte, fand ich das wunderschön, vor allem mit dem ausgehobenen Fundament. Aber der Satz ist sehr umständlich, weil Bagger, Betonmischer und Aushub (das Wort kannte ich nicht) irgendwie nicht in eine Aufzählung/Reihe gehören, und dazu der Aushub so lang erklärt wird, bevor man – ich hatte da schnell zum Satzende geschielt, wo das denn alles hinführt – zum Schnee kommt. Außerdem – ich bin kein Freund von Stilbüchern, aber einiges setzt sich fest – sind Aufzählungen besser in einer Art gehalten, also: (-), ein, der/die/das. Nicht einmal ohne Artikel, dann doch, dann mal Singular mal Plural. Diese Aufzählung um Ecken haut dir das Bild kaputt. Also vllt sowas wie:
Nachmittags fiel wieder Schnee. Ich stand an der Balkontür und sah gegenüber die Baustelle, den Aushub des Fundaments, den Rohbau, die Bagger und Betonmischer unter einer weißen Schicht versinken.
Dann hat man in all dem eine Position und eine konstante Blickführung, und eigentlich ist kaum etwas geändert.
Aus den anderen Wohnhäusern links und rechts der Siedlung sah ich Fenster leuchten, ihre Umrisse vage hinter all dem fallenden Weiß verschwinden.
Hier hab ich durch das links und rechts auch wieder plötzlich eine Außenaufsicht auf das Haus, in dem der Prot steht – ‚andere‘ sagt doch alles, das links & rechts denkt man sich schon, weil in Siedlungen Häuser meist in einer Reihe stehen.
Der Himmel war wie aus einem einzigen Stück dicker, nasser Watte. Kurz dachte ich nach, dann wurde mir klar, dass es diese unglaubliche Stille war, die dort draußen herrschte und die der Schnee immer mit sich brachte, die eine solche Faszination auf mich ausübte; und ich dachte, dass Schneefall das einzige Unwetter ist, das vollkommen geräuschlos daherkommen und eine ganze Stadt lahmlegen und ersticken kann.
Eigentlich finde ich ‚unglaublich‘ ungeschickt, aber hier ist es genau richtig für die Stimme des Prots, das ist endlich mal glaubhaft. Warum ‚Unwetter‘ kursiv?

Ich ging in die Küche und setzte Kaffee auf. Ich war acht Wochen krankgeschrieben, und ein Austauschdoktorand aus der Elfenbeinküste übernahm meine beiden quellenkundlichen Seminare montags und mittwochs.
-> Hm, das klingt wie ein Quotenausländer, das ist doch irrelevant (oder?). Oder … hat das was mit dem anderen Ich zu tun? Weiß/Schwarz, oder ist der Prot das selbst? Ich meine, nicht. Hm … Ach: von der Elfenbeinküste.
Drüben im Schlafzimmer hörte ich Maya atmen, leise und gleichmäßig, und als ich etwas Milch im Topf erhitzt hatte und mit der fertigen Tasse Kaffee im Gang stand, hörte ich, wie sie sich drehte, im Bett, wie sie etwas murmelte, und dann wieder leise ein- und ausatmete, ganz gleichmäßig und still.
-> Extrem cool! Hier wird schon klar (wegen des Atmens), dass da was nicht stimmen kann, und so geschickt gemacht, weil eigentlich nichts tatsächlich Irreales auftritt.
Im Wohnzimmer setzte ich mich in meinen Sessel, nahm mein Buch in die Hand und sah einen Moment lang wieder aus dem Fenster, auf all den herabfallenden Schnee, auf all die Masse, die sich dort oben, im Himmel, angesammelt hatte.
-> EIN Buch wäre schmerzfrei, finde ich. Mir gefällt diese Ruhe total gut, weil das so zwischen Gemütlichkeit und Bedrohung schwankt.
Ich trank vom Kaffee und schlug mein Buch auf. Ich las Willkommen in Wellville von T.C. Boyle, ich war ungefähr in der Mitte. Der Roman handelte von Dr. Kellogg, der mit seinem Bruder die berühmten Cornflakes erfand, allerdings mit der Intention, sie würden sämtliche Verstopfung und somit auch jegliche sexuelle Impulse im menschlichen Körper beseitigen; Sexualität hielt Dr. Kellogg für die Ursache aller geistigen und leiblichen Übel.
-> Hm, auf der einen Seite eine sehr rationale, kühle Stelle, auf die dann diese Sache mit dem Fleck trifft, ein guter Kontrast – aber: kriegst du das bissl weniger referiert hin? Das müsste mehr so klingen, als reflektiert der Leser über sein Buch (also SoC), weniger wie der Autor, der seinem Leser das sagt. Und ja, Dr. Kellogg hat für einiges Übel gestanden, auch für Beschneidung von Frauen. (Jetzt, wo ich das schreibe, frage ich mich, ob der Dozent von der Elfenbeinküste mit dieser Kelloggsache zusammenhängt, aber das hab ich beim Lesen nicht gedacht, und ich glaube, ich verrenne mich gerade.)
Ich trank wieder vom Kaffee, als mir plötzlich dieser Fleck rechts oben auf der Buchseite auffiel. Erst schenkte ich ihm keine Beachtung, wollte schon umblättern, aber er kam mir seltsam vor, dieser Fleck; ich kratzte an ihm herum, aber er ließ sich weder entfernen noch verwischen. Das Papier fühlte sich glatt an. Es war ein schwarzer, kleiner, punktförmiger Fleck, wie Tinte, aber doch anders, obwohl ich mir nicht erklären konnte, wieso.
-> Es ist echt irre schwer, einen spannenden Erzähler zu schreiben, der sich selbst was nicht erklären kann, aber das ist wunderbar gelöst. Es passt gut zu dieser Ruhe, es macht den Fleck geheimnisvoll, ich hab dennoch den Eindruck, der Autor weiß genau, wie das aussieht, Man möchte den Prot hier schütteln und retten.
Sie streckte sich, als sie in die Küche kam. »Ah«, stöhnte sie, und fuhr sich durch die Haare. Ich saß am kleinen Küchentisch, gegenüber der Spüle, und aß eine Scheibe Brot, mit dem Buch aufgeschlagen vor mir. Sie trug meinen grauen, weiten Oxford-Pulli, der ihr fast bis zu den Knien ging, ansonsten nichts. »Ich liebe Sonntage«, sagte sie, mit dem Blick an mir vorbei, in Richtung Fenster.
-> Zu viele ‚sie’s etc. und zu wenig Fluss/Rhythmus. Vllt: „Ah“, sie streckte sich, als sie in die Küche kam, und fuhr … (- das mag falsche Zeichensetzung sein, aber so ähnlich.) Mit dem aufgeschlagenen Buch saß ich am Küchentisch gegenüber der Spüle, und aß eine Scheibe Brot. Sie trug meinen grauen Oxfordpulli, der ihr fast bis zu den Knien ging, ansonsten nichts. »Ich liebe Sonntage«, sagte sie, mit dem Blick an mir vorbei in Richtung Fenster. Dass der Pulli weit ist, geht daraus hervor, dass er über die Knie reicht, und die Bindestriche hier wie auch woanders finde ich extrem störend – hier hat mein Programm auch einen Fehler angezeigt.
»Mhm«, machte ich, lächelte sie an und sah wieder in mein Buch.
-> ‚Machen‘ klingt nicht so schön. Gefällt dir das?: »Mhm.« Ich, lächelte sie an und sah wieder ins Buch. Nach dem Prinzip könnte man vorsichtig den ganzen Text durchgehen.

Meine Lieblingsstelle:

Ich interessierte mich für mittelalterliche Geschichte, und ich liebte meine Freundin. Man hatte mich acht Wochen krankgeschrieben. Es war mir unangenehm gewesen, acht Wochen krankgeschrieben worden zu sein; ich wollte es nicht, aber die Universitäts-Leitung ließ nicht mit sich reden. Sie sagten, ich solle jemanden aufsuchen. Meine Freundin sagte, ich solle jemanden aufsuchen.
Das ist in diesem lakonischen Tonfall erst sympatisch-witzig, dann überläuft es einen kalt, weil hier zum ersten Mal deutlich wird, dass der Prot aufhört, auch bei Alltagsdingen in kohärenten Bahnen zu denken. Und diese kurzen Sätze sind wie ein Versuch, das in kleinen Schritten unter Kontrolle zu bringen. Ich hab echt den Eindruck, der Prot müsse gleich anfangen zu schreien, das ist bedrückend, und doch gut, dass keine 'Action', keine Gefühlsausbruch kommt.
(Wenn die Doppelung von nicht ungewollt ist, könntest du sagen: aber die Universitätsleitung [ein Wort] war standhaft geblieben.)

Weiter will ich den Text gar nicht auseinandernehmen, denn im Laufe der Zeit war ich immer mehr bereit, über Stolpersteine hinwegzusehen. (Irgendwo beugt sich der Prot über sie im Bett, da ist noch so ein ich/sie/mir/ihr-Overkill.) Aber vielleicht kannst du einiges davon als Anregung oder ‚fremden‘ Blick nehmen, wenn du noch was dran frickeln magst. Einen erneuten Editierschritt könnte es noch vertragen, aber wie gesagt: wirklich extrem gern gelesen, und ich hoffe, du traust dich öfter was! Solche Stimmen - bzw. mehr davon - fehlen mir hier.

Ach ja: Die drei Farben, die sich in immer verschiedenen Kontexten / Welten wiederholen, fand ich auch total klasse. Und ganz unaufdringlich.
Wie so andere Sachen: der Psychiater ohne Schuhe und der Prot in der Uni auf Socken - ich glaube, ich muss den Text noch ein paar Mal lesen, dann fallen mir noch zehn Leserichtungen ein. Oder stelle ich Zusammenhänge her, die du gar nicht schreiben wolltest? :sconf::lol:

Liebe Grüße,
Katla

 

Liebe @Katla!

Tausend dank für deinen großartigen Kommentar. Nicht wegen des großen Lobs, sondern weil er mir viel gebracht hat.

neulich hab ich mich noch mokiert, dass sich hier kaum noch jemand was (stilistisch) traut und zu vieles in den gleichen Bahnen läuft. Und wie froh ich bin, dass du auch sowas hier schreiben kannst – und ich das zu lesen bekomme, denn ich kann ja Alltagstexte nicht gut ab, (ich mag einfach in Fiktion nicht das lesen/hören, was ich selbst erleben kann, sondern will eine Welt / Weltsicht gezeigt bekommen, die mir fremd ist).
danke!

Das Lesen ging so: Ich sitze hier mit viel Zeit, um mich auf den Text einzulassen, weil ich ihn neulich schon überflogen hatte. Schon in den ersten Sätzen werde ich in die story gesogen, zücke immer wieder den imaginären Rotstift, denke, Naja, beim nächsten Satz notiere ich was, beim nächsten und nächsten, stolpere immer wieder über ein paar Formulierungen, bin dabei aber so fasziniert, dass ich nach dem zweiten Absatz denke, Ach, scheiß der Hund drauf!, und hab erstmal nur die Geschichte genossen. Die Irritationen hörten nicht auf, aber ich hätte mir gewünscht, dass der Text 10 Seiten länger wäre. Wahrscheinlich würde ich immer noch sitzen und lesen, bis morgen früh oder so.
:D Das ist schön zu hören.

Ich wär mal interessiert, warum du in der Vergangenheitsform erzählst, eigentlich schreit der Text nach Präsens. Allerdings gibt es einen tollen kühl-bedächtigen Abstand. Und noch allerdings kann das nur heißen, dass der Prot am Ende nicht komplett abgedreht ist, denn er kann ja noch halbwegs analytisch erzählen, das wieder ist fast schade (dass man denkt, noch sei nicht alles zu spät).
Stimmt, dass er aus der Logik heraus wieder "gesund" sein müsste. Schwierig, ich hab das Perfekt einfach aus Intuition gewählt. Vielleicht versuche ich Präsens noch mal. Ich denke, dass man im Perfekt schön "analytisch" erzählen kann; der Erzähler war für mich ein analytisch denkender, der gerne reflektiert. Ich bilde mir ein, auch so einen abgeklärteren Sound haben zu können; aber ich kann falsch liegen.

Im ersten und zweiten Absatz sind ein paar schräge Sachen, dazu gleich. Danach wird es aber problematisch – ich hab sonst überhaupt keine Scheu, einen Text zu sezieren, aber diese ganzen Wiederholungen, die diesen irren Sog ausmachen (und in dem man sich genauso verliert wie der Prot in diesen eigenartigen Spiegelwelten), scheinen mir echt fragil zu sein. Und ich zögere, hier Streichungen vorzuschlagen, obwohl der Text ein paar Schnitte braucht - also, von einzelnen Worten, nicht ganzen Sätzen/Absätzen.
ok!

Was wirklich extrem ist: die Häufung von ich. Und danach von sie, ihr, mir … Ohne v.a. die Satzanfänge mit ich funktioniert der Klang nicht, mit so vielen davon lese ich aber mehr die Hand des Autors, als dass ich die Stimme des Prots höre.
Würde ich den Text editieren, würde ich ca. 10-20% davon durch Ellipsen ersetzen. Unasked for advice: Auf jeden Fall nicht überschreiben, sondern in in neues word.doc, und dann gucken, ob es noch klingt, ob da wieder was zurückgesetzt werden muss. Ich weiß halt nicht, ob du Ellipsen schreiben magst. Falls du selbst zu sehr in den Rhythmus fällst, könnte es helfen, wenn du außerhalb der Chronologie kleine Abschnitte auf ein neues Blatt rauskopierst, und pro Tag nur einen davon editierst, dann kommt man selbst nicht so in den Klangstrudel.
Ja also keine Angst, mir ist mein PC mal abgeschmiert vor ein paar Jahren, und all meine Sachen waren weg. Auch Texte, die ich nie wieder rekonstruieren konnte. Das war schon depremierend. Seitdem kann mir das nicht mehr passieren, sag ich mal (auch auf einzelne Arbeitsschritte bezogen, die speichere ich fast wahnhaft einzeln ab.)
@Friedrichard hatte dazu, also zu den Ellipsen, auch einen krassen Vorschlag, den ich sehr gut fand, aber für dessen Umsetzung mir noch so ein wenig der Mumm fehlt. Bzw. bin ich als Leser so, dass ich manchmal Erzählstimmen mit großflächiger Auslassung an Personalpronomen wirklich HASSE, also es macht für mich manchmal den halben Roman kaputt. Deswegen bin ich da wohl etwas vorgeeicht, ich muss es mir mal überlegen und mal ausprobieren, schätze ich. Ich bin ein kleiner Fanboy von ein, zwei Autoren, die wirklich massig Sie/Er-Satzkonstruktionen verwenden, aber bei deren Storys geht das so im Sound unter, dass (zumindest ich) das überhaupt nicht merke, deswegen bin ich da wohl etwas abgehärtet, also, ich finde das nicht per se schlimm - aber ich kann mich natürlich bei meinen eigenen Sachen irren. Man liest keinen Text so verschroben und subjektiv, wie den eigenen

Was mir einfach irrsinnig gut gefällt, sind die Beschreibungen des Schnees. Weil viel Schnee wirklich seltsame Dinge mit der Wahrnehmung und dem eigenen Körpergefühl macht, und das ist schwer greifbar und dafür – vor allem über eine so relativ lange Strecke – so schön und so passend beschrieben. Und eben immer mit so einem Hauch von Schrägheit, dass man sich fragen muss, ob es so ist, oder der Prot das nur so sieht.
Das freut mich! :)

Diese sich ausbreitenden Flecke sind wirklich fies, eklig (auch im Sinne von Bodyhorror), und doch will man hingucken und anfassen, obwohl man doch am liebsten weglaufen möchte. Und so wenig ich Geschichten als gruselig oder bedrohlich empfinde, wenn die Prots da alle rumschreien und hysterisch werden, umso beunruhigender finde ich, wenn die Prots unangemessen gelassen sind. Das ist auch ganz toll beschrieben, und da würde ich auf keinen Fall eine der Wiederholungen („ich bin seltsam ruhig, obwohl …“) streichen.

Mir gefallen alle Beschreibungen, wie sich die Flecke anfassen (oder besser: die Abwesenheit von ‚Haptik‘), wie die sich entwickeln, und dass der Prot dann diese andere Welt betreten kann – und perfekt, dass du nicht auflöst ob das in der internen Logik deiner story wirklich physisch passiert, oder das seine zunehmende Verwirrung zeigt, oder nur Symbolik ist.

Super!

Ich meine ja, die Wohnungswelt sei die irreale / wahnhafte, und die Welten, die er durch die Flecken sieht bzw. betritt, wären die Realität. Aber das kann man auch noch zehn Mal brechen und verschachteln, evt. auch unter dem Aspekt einer nicht-linear verlaufenden Zeit, bzw. verschiedener Möglichkeiten von Realitäten. Ich fand es auch spannend, ob der Prot versucht, sein anderes Ich vor dem Zusammenbruch zu bewahren; dann wieder scheint der Prot der Auslöser dafür gewesen zu sein - das ist schon echt cool gemacht, vor allem weil die beiden da so passiv und sprachunfähig im Café sitzen. Ein irrer Spannungsmoment - und das Scheitern der Kommunikation wirkt tragisch, wie eine letzte, aber vertane Chance.
Und ich brauche auch keine Bestätigung irgendeiner dieser Vermutungen, die Gedankenspiele machen einfach Spaß.

Texte brauchen solche Ambivalenzen, um spannend zu sein, solange man merkt, dass der Autor sich etwas dabei gedacht hat. Dann möchte ich nicht an die Hand genommen werden und alles gezeigt bekommen, sondern – wie hier möglich – diese möglichen Welten eben selbst erkunden.

Ich hab deine kurze Erklärung gelesen, und war - wie gesagt - zu einer ganz anderen Interpretation gekommen, allerdings glaube ich, dass der Text das aushält, da du sicher keine Parabel mit festgelegter Aussage schreiben wolltest. Mir gefällt beides, deine und meine Interpretation.

Das ist eine krasse Deutung! Immer wieder erstaunlich auch, wie unterschiedlich Leute Storys deuten bzw. was sie darin sehen. Das finde ich gerade mit einem magischen Element spannend, weil da viel "Hineindeutungspotential" für den Leser aufgemacht wird. Das ist auch etwas, weswegen ich den Magischen Realismus so cool finde (ich persönlich würde die eigene Story hier da einordnen): Das ist keine Ork- oder Vampir-Welt, sondern die Realität, und dann kommt da ein "magisches" Element in den Alltag; was bedeutet es? Prosa ist ja - im Gegensatz zum Film - nie eine fertige Geschichte, sondern vielmehr ein Skelett, das Fleisch kann der Leser in seiner Fantasie aus seinem eigenen Unbewussten zusammenklauben.
Also, ich lese von Zeit zu Zeit auch gerne magische Realisten, und klar gibt es da immer ein, zwei eindeutige Deutungen für das oder die magische Element(e), aber immer wieder spannend, was verschiedene Leute darin sehen.

Also, ich hoffe, die anderen ‚missglückten‘ Geschichten in deiner Schublade sind auch solche tollen Experimente!
Keine zu großen Hoffnungen, die Schublade trägt nicht umsonst den Namen! :D

Danke dir auch für die tollen Detailanmerkungen! Ich habe das meiste schon umgesetzt. Gerade der erste Satz, ich musste da echt zweimal hin und her lesen, weil ich mir dachte: Hä, das ist doch mein Satz? Aber du hast ihn tatsächlich so umgestellt, wie ich ihn wahrscheinlich immer gerne gehabt hatte. Danke dir dafür!

Ich hoffe es geht klar, wenn ich jetzt nicht auf alle einzelnen Details eingehe. Gerade, was ich übernommen habe, gebe ich dir uneingeschränkt recht.

Zum "rational klingenden Erzähler": Für mich war der Prot ein sehr analytisch denkender, verkopfter Kerl; er ist ja auch Dozent bzw. Doktorand, da fand ich etwas "Dozierendes" gar nicht so verkehrt; ist natürlich immer die Frage, ob das den Lesefluss stört oder gar langwierig wirkt, dann hat es in einer Story natürlich nichts zu suchen.

Die "Oben-Perspektive" ist auch ein interessanter Punkt, den du ansprichst. Wahrscheinlich das so zu 4% tatsächlich ein Perspektiv-Fehler, weil da minimal eben ein allwissender Erzähler sich einschleicht in der eigentlichen Ich-Perspektive. Habe das überarbeitet an genannten Stellen und werde den Text noch mal daraufhin durchkämmen.

Zu Dr. Kellogg: Den Bezug zur weiblichen Beschneidung hatte ich nicht im Kopf, aber wie gesagt, wenn dir das eine Assoziation ist, dann ist das nicht verkehrt. Dieser Gedanke, Beschneidung würde für weniger sexuelle Impulse sorgen und diese würden wiederum für weniger Krankheiten sorgen, zieht sich praktisch bis heute durch, gerade in den USA. Es hat sich daraufhin verschoben, dass viele Leute tatsächlich überzeugt sind, Beschneidungen der Vorhaut würden gesund sein - man fokussiert sich heute auf andere Themen als die Geilheit (beschnitten=weniger Feeling), aber es kommt von jenem Kern.


Katla, ich danke dir fürs Lesen, kommentieren und deine Zeit! Habe mich sehr gefreut.

Alles Beste
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @zigga ,

ich freue mich natürlich, wenn du damit was anfangen konntest! Lieben Dank für die spannende Antwort.

Hrhr und wie super, mit dem zweiten Satz! Das hatte ich auch schonmal, wenn man bei einem Komm denkt, Hey, Frechheit, wieso streicht der mir das an, genauso hab ich's doch geschrieben!, und als ich nachguckte, war meine Version eben doch anders, und Murks. :D

Zum "rational klingenden Erzähler": Für mich war der Prot ein sehr analytisch denkender, verkopfter Kerl; er ist ja auch Dozent bzw. Doktorand, da fand ich etwas "Dozierendes" gar nicht so verkehrt; ist natürlich immer die Frage, ob das den Lesefluss stört oder gar langwierig wirkt, dann hat es in einer Story natürlich nichts zu suchen.
Ja, das hast du für mich absolut erreicht: ein analytischer, kühl-denkender Erzähler (auch etwas lethargisch, aber das ist schon ein Teil des Ungewöhnlichen/Irrealen), und trotzdem nicht langweilig also: 'Sound' stimmt, check!

Stimmt, dass er aus der Logik heraus wieder "gesund" sein müsste. Schwierig, ich hab das Perfekt einfach aus Intuition gewählt. Vielleicht versuche ich Präsens noch mal. Ich denke, dass man im Perfekt schön "analytisch" erzählen kann; der Erzähler war für mich ein analytisch denkender, der gerne reflektiert. Ich bilde mir ein, auch so einen abgeklärteren Sound haben zu können; aber ich kann falsch liegen.
Genau genommen befindet sich die Sache mit der Erzählzeit aber auf einer anderen Ebene als die Charakterisierung und der 'Sound':
- Die Erzählstimme des Prots und damit seine Charakterisierung liegen auf der Ebene Erzähler-Protagonist | Handlung: Wie steht der Prot/Erzähler dem Geschehen gegenüber? Was sagt das über ihn, seine Persönlichkeit und seinen geistigen Zustand aus, etc.
- Die Erzählzeit ist das Verhältnis, in das der Autor seinen Prot zur Handlung setzt i.e. Ebene Autor | Erzähler-Protagonist. Es geht jetzt darum, aus welcher Position und welcher zeitlichen und/oder räumlichen Distanz der Erzähler über sich und das Geschehen berichtet (nicht, wie er das tut).

Die beiden Varianten Präsens bzw. Präteritum haben eine Auswirkung auf das implizierte Ende der Geschichte.

Präsens: Die Fragen setzen quasi nahtlos an das erzählte Geschehen an: Was wird aus dem Prot? Was, wenn die Löcher so groß werden, dass die Grenzen zwischen den Welten/Realitäten aufgehoben werden? Dreht der Prot total ab, oder gibt es eine „Rettung“? Wird die Freundin auch davon betroffen werden (i.e. ist das alles Wahn oder Realität)? Man bleibt in der Logik des Erzählten, in der fiktiven Welt, und folgt der Interpretation des Prots.
Präteritum: Wo befindet sich der Prot nun? Noch in der Wohnung => ist das Phänomen beendet oder warum wird die Geschichte sonst abrupt abgebrochen? In der Psychiatrie => Wie ist er dorthin gekommen und bedeutet es, dass er auf dem Weg der Heilung ist? Wie viel Distanz hat der Prot zum Geschehen und wie viel Zeit (Stunden, Jahre?) sind seit dem Erzählten eigentlich vergangen? Man steigt also zum Schluß aus der Erzähl-Logik aus und betrachtet alles als Konstrukt eines Autors.

Die Wahl der Zeit hat jetzt damit zu tun, welche Fragen und Eindrücke du beim Leser auslösen, mit welchen Ideen du ihn aus dem Text entlassen willst.
Präsens fände ich die bessere Wahl, weil es einfach mehr im Sinne dieses Genres ist, gibt Interpretationsfreiheit, ist unbequemer / bedrohlicher (für den Prot) und damit spannender. Hier ist die einzige Distanz der (angenehm befremdliche) analytische Umgang des Prots mit dem Geschehen – aber der Prot steckt am Ende noch mitten im Geschehen, und damit auch der Leser.
Präteritum wirft eher kritische Fragen zur story auf und kann auch den Eindruck eines plot holes wecken: Was ist in der Zwischenzeit passiert, und warum wird das nicht auch erzählt? Was für einen Grund hat es, die momentane Situation des Prots zu verschweigen? Warum bleiben die Konsequenzen, die das Erlebte für den Prot hatte, völlig unerwähnt? Ich jedenfalls sehe keinen sinnvollen strukturellen Grund, in der Vergangenheitsform erzählen zu lassen. Hier entsteht nicht nur Distanz zwischen Prot und Geschehen, sondern auch zwischen Leser und Prot.
Aber du magst das ja auch ganz anders sehen. ;)

Ehrlich gesagt hab ich alles ab irgendwann im Präsens gelesen, also, all diese Gedanken sind mir erst am Ende, nicht beim Lesen selbst gekommen.

Und ja, sehe ich auch so: Das ist Magischer Realismus par excellance. Für mich das Genre mit den größten Möglichkeiten, wirklich innovative, spannende Geschichten zu erzählen.

Liebe Grüße nochmal, ahoi,
Katla

 

@Katla

Präsens: Die Fragen setzen quasi nahtlos an das erzählte Geschehen an: Was wird aus dem Prot? Was, wenn die Löcher so groß werden, dass die Grenzen zwischen den Welten/Realitäten aufgehoben werden? Dreht der Prot total ab, oder gibt es eine „Rettung“? Wird die Freundin auch davon betroffen werden (i.e. ist das alles Wahn oder Realität)? Man bleibt in der Logik des Erzählten, in der fiktiven Welt, und folgt der Interpretation des Prots.
Präteritum: Wo befindet sich der Prot nun? Noch in der Wohnung => ist das Phänomen beendet oder warum wird die Geschichte sonst abrupt abgebrochen? In der Psychiatrie => Wie ist er dorthin gekommen und bedeutet es, dass er auf dem Weg der Heilung ist? Wie viel Distanz hat der Prot zum Geschehen und wie viel Zeit (Stunden, Jahre?) sind seit dem Erzählten eigentlich vergangen? Man steigt also erstmal aus der Erzähl-Logik aus und betrachtet alles als Konstrukt eines Autors.
Ahh, ich habe bei meiner Antwort was vergessen, ich krieche zu Kreuze!! :D (Ist mir einfach entgangen ...)

Also, was ich mir bei der Story gedacht habe, ist mir wieder eingefallen. Und zwar ist dir die Zeit-Frage vllt. erst am Ende der Story aufgefallen, weil das Ende im Präsens geschrieben ist? :p Ist nicht nachträglich verändert oder so, sondern war schon immer im Präsens, die letzte Schlafzimmer-Szene, während der Rest Präteritum ist ... das war auch meine Intention beim Schreiben damals. Ich will das natürlich nicht überdeuten, der Text soll für sich selbst stehen und wenn ich mich nachträglich mit Zeigestock neben ihn stelle und den Text erkläre, ist das nicht das Verständnis von Text, das ich habe. Also, er sollte aus sich selbst sprechen. Für mich war das Ende auch ein Endpunkt der bislang fortgeschrittenen Zeit und der Punkt, an dem der Erzähler womöglich das im Präteritum Geschriebene "erzählt".

Macht das Sinn? Gefällt das? :p

Danke für deine erneute Antwort! (ich hoffe ist ok, wenn ich nicht auf einzelne Punkte deiner Antwort antworte, weil der Punkt, der mir wieder eingefallen (und auch die ganze Zeit schon im Text stand) die ganze Zeit-Frage ja in einem völlig neuem bzw. anderen Licht dastehen lässt!)

Und ja, sehe ich auch so: Das ist Magischer Realismus par excellance, für mich das Genre mit den größten Möglichkeiten, wirklich innovative, spannende Geschichten zu erzählen.
Hey, danke dafür! Wie gesagt, ich mag das Genre/Gattung auch gerne

Danke jedenfalls für deine Einschätzung!

 

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