Schweigen
Tränen fielen auf den weißen Tisch. Sie weinte. Keiner nahm Notiz davon. Im Hintergrund lief irgendwo Musik.
Die ganze Klasse hatte sich in Gruppen aufgeteilt. War zum Teil aus dem Raum gegangen. Nur sie nicht. Sie saß immer noch an ihrem Tisch. Warum? War sie vergessen worden? Nein, das konnte nicht sein. Eben noch waren Anjalena und Karin bei ihr gewesen, hatten gefragt, ob sie mitmachen wolle. Keine Reaktion. Scheinbar wollte sie nicht. Wieder die Frage: Warum?
Die beiden kümmerten sich nicht weiter darum. Sollte sie doch bleiben, wo sie saß. Die Gruppenarbeit war wichtiger, als sich um eine weinende Kameradin zu kümmern.
Gleich würde die Lehrerin auf sie aufmerksam werden. Das wollte sie nicht. Sie wollte nicht weinen. Nicht zeigen, wie dreckig es ihr ging. Keine Fragen beantworten. Niemanden verpetzen.
Nicht, dass es das erste Mal gewesen wäre, dass alle Gruppenarbeit machten, nur sie nicht. Nein, es war immer so.
Sie hatte Recht gehabt. Die Lehrerin kam zu ihr, strich ihr über den Rücken, wollte wissen, was los war, warum sie nicht mitmachte. Das Schluchzen wurde heftiger. Gerne hätte sie die Hand abgeschüttelt. Sie wollte nicht sagen, was los war.
Das sie am Anfang übergangen worden war. Nicht nachträglich einer Gruppe zugeteilt werden. Das war noch schlimmer, als gleich zu Anfang zugeteilt zu werden. Mitlaufen, keine eigenen Ideen vorschlagen, bloß nicht auffallen, nichts sagen.
Trotzdem ließ sie sich irgendwann von ihrer Lehrerin in den Nebenraum führen. Einsilbig beantwortete sie die Fragen. Zum Teil nur mit einem Schulterzucken. Weil sie es nicht wusste? Weil sie niemanden verraten wollte? Keiner wusste es, auch sie selbst nicht.
Dann gab die Lehrerin auf. Sie durfte erst noch einmal aufs Klo gehen, ihre Tränen trocknen, ihre Nase putzen. Als sie zurückkam, sahen die anderen noch, dass sie geweint hatte. Keiner sprach sie darauf an. Es war alltäglich, aber trotzdem würde man sich hinterher über sie lustig machen.