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SheepWars - Weihnachten im Stall
"Moin Jungs... ja, und Dörte, dir natürlich auch." Zur Feier des Tages hatte Bauer Hansen heute nicht nur beschlossen, seine Schafe ausnahmsweise mal ein wenig länger schlafen zu lassen, sondern ihnen zudem auch etwas Gutes zu tun. Nun stapfte er also um halb acht Uhr morgens mit einem dick geschmückten Weihnachtsbaum durch den Stall und stellte das Monstrum genau vor der Box des Oberschafes ab.
"Dat freut mich aber bannig, dat euch der Baum am gefallen is." Die Tiere verstanden kein Wort ihres Bauern - zum Einen, weil Schafe und Menschen sich generell niemals verstehen und zum Anderen, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt waren, sich totzulachen. Der Baum war nämlich nicht nur mit den üblichen Kugeln, Kerzen und Lametta geschmückt, sondern auch mit Keksen, auf denen jeweils der Name eines Schafes stand. Dörtes Keks war mit rosaroter Glasur überzogen, was angesichts ihre weiblichen Geschlechts noch recht angemessen war. Nicht ganz so passend war die rosane Glasur auf Mariannes Keks - und deshalb lachten die Schafe.
"So, Kinners. Dann feiert man schön. Frohe Weihnachten."
"Ruhe im Stall!", brüllte Marianne, das männliche Oberhaupt der Schafherde, nachdem der Bauer gegangen war. "Da gibt's nichts zu lachen!"
"Doch Boss... ich finde... ich finde das saukomisch..." Herbert lag auf auf dem Boden und schlug vor Lachen mit den Hufen immer wieder gegen einen Strohballen. "Echt, das ist cool."
"Bin ich da gedanklich derangiert, oder... oder ist dein Teigerzeugnis herzförmig?", jappste Paul. Dörte machte sich Sorgen, daß ihr Herzallerliebster vor lauter Lachen vielleicht keine Luft mehr bekommen könnte. So schritt sie energisch zur Tat und beatmete ihn kurzerhuf Mund zu Mund.
"Ey, krass ne. Baum und so... geil irgendwie. So grün... hehe."
"Wenn hier nicht gleich Ruhe ist, dann hol ich die Schere!" Marianne wurde rot im Gesicht, wobei unklar war, ob aus Scham oder aus Wut. Wer ihn kannte, wußte, daß man sich in beiden Fällen lieber nicht in seiner Nähe aufhalten sollte.
"Grün, irgendwie genau wie meine Nase, ne... a propos, wo ist die eigentlich schon wieder hin hier?" Helge drehte sich ein paarmal unschlüssig im Kreis, vergaß dann aber irgendwann den Grund für sein Treiben und legte sich schlafen. Sanfte Rauchwölkchen kamen aus seinen Nasenlöchern.
"Beim Barte des ewigen Blökfilz! Jetzt ist hier aber mal Ruhe, verdammt!" Das magische Wort. Der letzte Trumpf, um eine Schafherde ruhig zu bekommen. Kein Schaf auf der Welt wagte es, angesichts eines Blökfilz zu widersprechen. Und so hielten jetzt auch alle mitten in ihren Bewegungen inne. Auch Paul und Dörte.
"Na also, geht doch", sagte Marianne zufrieden. "Also, wie ihr alle spätestens seit Hansens Auftritt wißt, ist heute Wolligabend. Eigentlich wollte ich deshalb heute eine Weihnachtsfeier veranstalten, aber wenn ihr hier so respektlos seid, muß ich mir das wohl noch mal gründlich überlegen."
"Och nein... bitte, Boss. Wir sind auch ruhig."
"Ja, tut mir auch voll leid irgendwie... hui, grün..."
"Mmmpf mhh mpff mmmh..."
"Was hat er gesagt? Ich versteh kein Wort. Dörte, nimm mal deine Zunge da raus!"
"Also, ich meinte, daß wir der prätentiösen Lage entkommen können, indem sich einer von uns unforciert dazu bereit erklärt, dem schändlichen Naschwerk auf natürlichem Verdauungswege ein Ende zu bereiten."
"Dörte, du kannst die Zunge ruhig wieder zurückstecken. Es lag doch nicht an dir, daß ich Paul nicht verstanden habe", sagte Marianne.
"Ja nu... wat is denn nu midde Weihnachtsfeier? Gibt das auch Schnaps mit dabei?"
"Na gut. Ich will mal nicht so sein. Also, heute Abend feiern wir Weihnachten."
"Au ja!" Kuddel klatschte vor Freude in die Hufe. "Können wir auch wichteln?"
...
"Bonjour, Maman."
"Francois... Welsch eine Freude, disch zu se'en!"
"Nun, isch dachte, 'eute ist nun mal Noelle und da ge'ört es sisch, seine Eltern zu besuchen."
"Das ist tres... tres... äh..."
"Lieb?"
"Lieb von dir, oui. 'ast du extra den weiten Weg von dir zu'ause bis nach Frankreisch gemacht?"
"Oui. Isch bin einfach per An'alter gereist. Da 'abe isch Erfahrung mit. Wo ist Papa?"
"Jean Claude? Der ist im Waisen'aus und beschenkt die Lämmer."
"Aber isch dachte, er 'aßt Noelle."
"'at er auch. Aber vor einer Woche sind ihm drei Geister erschienen und seitdem denkt er anders darüber."
"Schon wieder Nawolleon?"
"Oui. Dreimal."
"Er ist immer noch der Alte, mon Papa..."
"Oui. Komm doch rein, Francois. Phillippe, Chantal, Jaqcueline et Kurt sind drinnen und warten mit dem Essen."
"Kurt?"
"Dein Vater und isch wollten einfach noch einen Sohn."
"Isch 'abe einen Bruder, der Kurt 'eißt?"
"Er ist ein kluges Lamm. Puhlt seine Entenflügelschen schon ganz alleine und kann auch schon spreschen. Wie ein Wasserfall."
...
Am Abend saßen die Schafe um eine reich gedeckte Tafel in ihrem Stall und ließen es sich gut gehen. Den ganzen Tag hatten sie damit verbracht, die Feier vorzubereiten: Sie hatten aus der geheimen Vorratskammer getrockneten Löwenzahn geholt und ihn nach einem von Paul erfundenen Verfahren mit Schnee dehydriert. Abraham van Fellsing hatte seinen weltberühmten mit Eierlikör verdünnten Kartoffelschnaps gebrannt, Helge hatte sich des rosanen Kekses angenommen und Kuddel hatte einen großen Topf Brennesselsuppe gekocht. Und genau das war das Problem.
"Schmeckts euch nicht?", fragte er besorgt und blickte in dreißig verschüchterte Augenpaare und ebensoviele randvolle Schüsseln mit Suppe. Man hätte die einsetzende Stille mit einem Messer schneiden können - ebenso wie die Suppe übrigens.
"Doch, ist total lecker", bemühte Herbert sich um eine Antwort. "Aber... aber, naja... noch so heiß..."
"Ja, genau. Heiß... aber bestimmt lecker."
"Du kannst die Wärme durch kontinuierliches Pusten über deine kühle Atemluft abführen." Herbert knuffte Paul in die Rippen.
"Daß du auch nie die Schnauze halten kannst", zischte er.
"Was denn? Ist doch lecker, die Suppe." Paul war wirklich das einzige Schaf, dem von Kuddels Brennesselsuppe nicht die Tränen kamen. Ihm kamen höchstens Blähungen. Gierig versenkte er nun sein Maul in der Schüssel und gab recht seltsame Schlürfgeräusche von sich, während die anderen ihn mit einer Mischung aus Abscheu und purer Bewunderung sprachlos ansahen. "Kann ich noch eine Portion bekommen bitte?"
"Du kannst meine kriegen!"
"Hier, ich hab auch noch..."
"Ich hab in meine Schüssel noch nicht reingeschlabbert."
"Ruhe im Stall! Ich bin hier der Chef und darum kriegt der Paul natürlich meine Portion."
"Wie großmütig", murmelte Herbert.
Kuddel bekam von alledem nicht viel mit. Er war einfach viel zu aufgeregt, denn er liebte Weihnachten. "Ich geh mal kurz raus und nachsehen, ob das Weihnachtsschaf schon da ist." Kaum hatte er die Stalltür hinter sich geschlossen, schütteten die Schafe ihre Suppe erleichtert zurück in den Topf.
"Schade, daß Francois nicht da ist."
"Vermißt du ihn? Warte, ich kann ihn gut imitieren... Tres bien, isch finde Weihnachten einfach tres bien. Mit Fromage und Pommes de Terres und so... Salut."
"Herbert, laß das!"
"Isch bin untröstlich, Patron."
Noch bevor Marianne antworten konnte, schwang die Stalltür erneut auf und... etwas trat ein. Es sah aus wie Kuddel, nur mit mehr Rot. Und es trug einen Sack auf dem Rücken.
"Ho ho ho", begann Kuddel, der sich einen roten Anzug gestrickt hatte. "Na, wart ihr denn auch alle schön brav?"
"Das ist jetzt ein Witz, oder?"
"Nein, kein Witz", sagte Marianne. "Das war die einzige Möglichkeit, ihn vom Wichteln abzuhalten."
"Na, Kleiner, wie heißt du denn?"
"Herbert und wenn du mich noch einmal Kleiner nennst, dann kriegst du eine geschallert, daß die Heidschnucken wackeln."
"Soso, Herbert also. Was wünscht du dir denn vom Weihnachtsschaf?"
"Im Moment Boxhufschuhe, wenn du so fragst."
"Nana... wer wird denn gleich aufbrausend, junger Mann."
"Ich hab dich gewarnt, Kuddel! Hab ich ihn gewarnt? Ja, ich hab ihn gewarnt... jetzt gibt's Zunder."
"Herbert, spiel doch einfach mit", grummelte Marianne. "Laß ihn doch, wenn es ihm so einen Spaß macht."
"Ja gut... also liebes Christkind, ich wünsche..."
"Weihnachtsschaf! Ich bin das Weihnachtsschaf."
"Auch gut. Ich wünsche mir eine Eisenbahn."
"Na, dann wollen wir doch mal sehen, was dir das Weihnachtsschaf mitgebracht hat..." Kuddel öffnete den Sack und griff mit seinem Maul hinein.
"Wenn du da jetzt tatsächlich ne Eisenbahn drinhast, dann wirst du auf ewig ein Held für mich sein."
"Nicht ganz. Es ist ein Topflappen. Vom Weihnachtsschaf selbst gehäkelt. Und dein Name steht sogar drauf."
"Ui, toll... nein echt, das stand gleich auf Platz zwei in meiner Liste. Woher hast du das nur gewußt?" Herbert war kein besonders guter Schauspieler, aber diese Vorstellung gelang ihm komischerweise ganz gut.
"Ich bin immerhin das Weihnachtsschaf."
Auf diese Art ging es weiter. Jedes der Schafe trat einzeln vor und bekam von Kuddel einen Topflappen mit seinem Namen drauf. Paul bestand darauf, ein Gedicht vorzutragen, aber als nach der dreizehnten Strophe die anderen gelangweilt dazu übergingen, mit ihren neuen Topflappen und einer Styroporkugel im Stall Hockey zu spielen, gab er auf.
"So, dann ist der Boss dran. Wie heißt du denn... nein, die Frage lassen wir lieber. Was wünscht du dir denn?"
"Ich wünsche mir gar nichts", antwortete Marianne. "Aber dir wünsche ich, daß auf dem nächsten Topflappen nicht mein Name steht."
"Ja... also... nun, wie wäre es, wenn wir jetzt stattdessen was singen oder so?"
"Dat is endlich mal ne bannig gute Idee is dat! Ihr Schäflein so kommet, ach kommet doch alle... ja, wohin eigentlich? Na, issauch egal... jawoll! Ihr Schäflein so kommet, ach kommet... ne wadde, dat hatte ick schon... dat is aber auch wat tüddelich hier. Ich fang nochmal an... Ihr Kinderlein... ne, dat war ja nu ganz falsch... Och schiet."
"Abraham hat schon einen im Kahn", sagte Herbert.
"Einen? Das ist eine ganze Mannschaft. Steinhäger, Oldesloer, Sellerieköhm und Jägermeister."
"Hauptsache, er kommt nicht auf die Idee, gleich die Kerzen am Baum auszupusten... oh, zu spät."
"Geil, Feuer, ne... krass, wie das leuchtet..." Helge freute sich sehr und grinste.
"Kinners, ich bin hier am brennen und so... tut doch hicks wat hier!"
Herbert reagierte als erster. Todesmutig warf er den vollen Topf mit der Brennesselsuppe um, dessen Inhalt sich über den sich am Boden wälzenden van Fellsing ergoß und die Flammen löschte. Lob und Anerkennung aus dreißig Schafkehlen war ihm dafür sicher. Nur Kuddel war nicht begeistert.
"Ich glaube fast, ihr mögt meine Suppe nicht, Jungs."
"Doch, und wie. Sehr sogar. Aber die ist zum Essen doch jetzt schon viel zu kalt..."