Sklave
Niels konnte nicht mehr still stehen, bald würde er beginnen. Sein erster Film. Das Studio hatte sich schon Tage zuvor in einen amerikanischen Gutshof der vierziger Jahre verwandelt, die Kameras waren richtig platziert und die Schauspieler standen bereit. Er wartete nur noch auf das Geräusch der zuknallenden Klappe, das ihn endgültig in die Welt bringen sollte, nach der er sich so lange gesehnt hatte.
Knall!
„Den nehme ich!“, sagte der beleibte Herr im dunkelgrünen, samtenen Umhang, während er mit seinen klobigen Fingern auf einen jungen, kräftigen Mann zeigte. Einen mehr konnte er gut gebrauchen, es gab viel zu erledigen. Der auserwählte junge Mann schien sich darüber zu freuen, endlich war die lange Reise von Gutshof zu Gutshof vorbei, endlich hatte er ein Zuhause gefunden.
Schnitt.
„Niels, ich brauche Sie!“, die Stimme des Mannes mit der dunkelgrünen Krawatte riss den Praktikanten in die Realität zurück. Verwirrt ging er auf den Mann mit der barschen Stimme zu. Er solle Kaffee besorgen. Noch immer aufgeregt und verwirrt tat er, was ihm gesagt wurde, obwohl sein Feierabend schon längst begonnen hätte.
Knall!
Die Schweissperlen rannen über seinen nackten Oberkörper, jeder einzelne Muskel seines Körpers schmerzte. So hatte er es sich nicht vorgestellt. Seit Sonnenaufgang war er am Baumwolle pflücken – ohne Essen, ohne Pause, ohne Wasser. War er nicht schnell genug, versuchte er mit den anderen zu sprechen, oder blickte er auf, wurde ihm mit Peitschenhieben gedroht. Erst als die Sonne unterging, wurde er wie ein Pferd zurück zum Stall getrieben, der als Schlafplatz für die 60 Sklaven diente.
Schnitt.
Schon 30 Drehtage waren vergangen. Niels hatte kaum geschlafen in dieser Zeit. Er wollte Regisseur werden und dafür musste er seinen Praktikumsjob behalten, auch wenn er nicht seinen Erwartungen entsprach. Um fünf Uhr morgens begann er zu arbeiten. Aufräumen, Kaffee holenTelefonate erledigen – all dies musste bis sieben Uhr gemacht sein, dann kam sein Chef. Dieser war um die sieben Stunden anwesend – die schlimmsten sieben Stunden. Ununterbrochen wurde er von A nach Z geschickt, es konnte nicht schnell genug gehen, ständig wurde er ermahnt. Sobald dieser Feierabend machte, musste der Drehplan überprüft werden und es musste organisiert werden, dass am nächsten Tag jeder zur richtigen Zeit am rechten Ort sein würde. Gegen acht Uhr verliess er als Letzter das Set. Zwei Stunden Busfahrt zu dem schäbigen Zimmer, das das einzige war, das er sich mit seinem mickrigen Lohn leisten konnte, standen ihm noch bevor.
Knall!
Seit drei Tagen hat der junge Mann nichts mehr gegessen. Er hatte nicht genügend hart gearbeitet, um seine Ration zu erhalten. Sein einst kräftiger Körper bestand nur noch aus Haut und Knochen, sein Rücken war mit Narben übersäht und seine Lebensfreude war der ständigen Angst vor Peitschenhieben gewichen. Noch am Morgen brach der Sklave bei der Arbeit zusammen.
Schnitt.
Endlich hatte Niels den Mut gefasst, sich zu wehren. Er wusste genau, was zu sagen war. Sein Filmstudium sollte nicht vergebens gewesen sein, er hatte nicht fünf Jahre lang gelernt, um 15 Stunden am Tag Kaffee zu besorgen. Heute war sein Tag. Heute würde sich alles ändern.
Knall!
Als der Sklave wieder zu sich kam, wusste er, was zu tun war. Er würde zu dem Herren im grünen Umhang gehen, ihm erzählen, wie sie ausgenutzt wurden. Er würde es verstehen. Der Sklave stand auf, lief zum Gutshof und begann mit seiner Rede.
Schnitt.
Seit der Entlassung am Tag seiner Hoffnung hatte Niels sein Zimmer nicht mehr verlassen. Alle Kraft und alle Hoffnung hatten ihn verlassen.
Knall!
Der Mann im grünen Samtumhang sah den Sklaven an. Seine Züge wurden für den Bruchteil einer Sekunde warm. Der Sklave drehe sich zu seinen Mitleidenden um, er war sich seines Triumphes sicher. Als er sich wieder dem Samtmann widmete, war es zu spät. Dieser hatte sein kurzes Aufkommen von Mitleid unterdrückt. Er packte den Sklaven, nun mit einem vor Wut roten Gesicht, und schlug wie wild mit einer Peitsche auf ihn ein.
Schnitt.
Niels zitterte, klammerte sich am Messer fest, das sich immer schneller auf seine Hauptschschlagader zubewegte.
Knall!
Rot der Kopf, tot das Herz schlug der Herr weiter auf ihn ein, bis er sich nicht mehr wehrte, nicht mehr schrie und nicht mehr atmete. Wertloser als ein totes Pferd blieb der leblose, von der Peitsche zerfetzte Körper liegen.
Schnitt.
Von der bedrückten Stimmung, die an diesem Tag am Set herrschte, bekam Niels nichts mehr mit. Zum Glück, so dachten sie alle, ist dieser traurige Teil unserer Geschichte vorbei.
Niels‘ toter Körper wurde nur wenige Stunden später entdeckt.