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Spiegelgericht

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18.04.2013
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Spiegelgericht

Da stand er mitten im Raum.
„Ich dachte...“
Er fing von neuem an.
„Es sah so aus, als wäre alles voller Spiegel und...“, er stockte, nestelte nervös an seinem Kravattenknoten rum, „und da säßen sie dann. Deswegen trat ich ein.“
Von denen, zu welchen er sprach, gab es keine Reaktion und unbeholfen machte er noch zwei Schritte in den Raum hinein.
„Ich... Ich bin begeistert. Ich meine, wie sie das machen.“
Er drehte sich ein wenig, und wieder machte er ein paar Schritte. Seine Füße benutzte er wie Fühler, die langsam über den Boden tasteten.
„Darf ich denn etwa nicht hier sein? Ich meine... also die Tür stand ja offen und ich bin einfach, ich meine, ... sie sind mir doch nicht böse. Oder?“
Er stand direkt vor einem der Männer und versuchte, sich zu rechtfertigen. Seine Unsicherheit wuchs noch, denn irgendwie schienen sie alle ihn anzustarren. Aber seine Neugier trieb ihn wieder ein Stückchen in eine andere Richtung.
„Wenn, ... wenn ich gehen sollte, dann würden sie ... doch sicher etwas sagen.“
Hinter ihm saßen zwei weitere Männer, doch sobald er sich zu ihnen umdrehte, erstarrten und verstummten sie. Mit weit aufgerissenen Augen glotzte er sie an. Er zupfte an seinem rechten Jackenzipfel, machte ein paar Schritte zurück und suchte eine neue Richtung, aus der er vielleicht eine Antwort bekäme.
„Hören sie! Hören sie mich? Vor mir brau... brauchen sie keine Angst haben. Ich... ich werde kein... kein Geheimnis verraten!
Versprochen!“
Nervös drehte er sich im Kreis, suchte nach Orientierung. Tat wieder ein paar Schritte in eine neue Richtung.
Und plötzlich saßen sie alle im Kreis um ihn herum und starrten ihn an. Der Boden schwankte unter seinen Füßen, er taumelte umher, wollte sich halten, doch jedesmal griffen seine Hände daneben und dann kippte er in eine andere Richtung. Noch immer mit seinen schlupenden, langsamen Schritten.
„Was? WAS? Machen sie mit mir?“
Nervös.
„Das! DAS! Dürfen sie nicht!“
Angstvoll.
„Die. DIE. Tür war offen.“
Verzweifelt.
„Ich. ICH. Hab‘ doch nichts gemacht.“
Hysterisch.
„Das. DAS. Muss aufhören.“
Mit seinen Handballen schlug er sich oberhalb der Augenhöhlen gegen die Schläfen. Drückte fest zu.
Dann nochmal.
Und nochmal.
Und alles stand still, er in einem schmalen Gang. Aber er konnte seine Position nicht definieren. Er erkannte weder das Weiter, noch den Ausgang.
Langsam drehte er sich im Kreis. Eine ganze Runde. Plötzlich stand da ein Stuhl, direkt hinter ihm. Erschöpft ließ er sich darauf fallen. Die Beine von sich gestreckt, Kopf und Schultern hingen schmerzhaft nach hinten über die Lehne.
Nach einer Weile fasste er sich, setzte sich aufrecht hin, schaute sich suchend um. Manchmal waren die Männer da, zu denen er gesprochen hatte, dann wieder nicht. In jede Richtung schien es Wege zu geben, doch er kam sich verloren vor, nicht mehr in der Lage, eine Entscheidung zu treffen.
Kein Vor, kein Zurück!
Dann erkannte er in jeder Richtung, in die er schaute, sein Gesicht. Klar und groß das eigene Gesicht.
Scharfe Züge, ausgeprägte Wangenknochen, frisch rasiert, am Kinn ein Grübchen, keine Falten, weicher Bartschatten. Die Augen alles andere als schön.
Angstvoll suchten sie umher, waren trübe, wie verschmutzt und kamen nicht zur Ruhe.
Wieder schaute er sich um. Langsam senkte er den Kopf und legte die Stirn in seine Hände. Seine Arme standen auf den Oberschenkeln.
Dann fing er ein letztes Mal an zu sprechen.
„Sie hatte so schöne rote Haare.“ Vorsichtig.
„Und dazu so liebliche Sommersprossen auf ihrer zarten Haut. Klar wie Pergament.“ Immernoch ein wenig zögernd.
„Ich hatte mich wirklich in sie verliebt. Jeden Tag hab’ ich sie beobachtet.“ Jetzt musste er die ganze Geschichte erzählen.
„Wenn sie lachte, dann konnte man ihre Zahnlücke sehen.
Irgendwann haben wir gemeinsam einen Ausflug gemacht. Ich war einfach vor ihren Eltern an der Schule gewesen. Ich sagte ihr, das ginge schon in Ordnung. Dann waren wir Eis essen, und im Zoo. Später brachte ich sie nach Hause.
Und als sie die bekannten Straßen erblickte, da erzählte ich ihr von meinem Kätzchen. Es hatte sich im Wald verlaufen. Ob sie mir nicht helfen wolle, es zu suchen.“
Seine Stimme war jetzt monoton und ruhig.
„Das hatte bisher immer funktioniert. Und es funktionierte wieder.
Sie war ein aufgewecktes Mädchen, aber noch zu jung, um an meiner Geschichte zu zweifeln.
Begeistert stimmte sie zu und winkte im Vorbeifahren nach ihrem Elternhaus, durch die getönten Scheiben war sie unmöglich zu sehen.
Sie stellte viele Fragen zu meinem Kätzchen.
Und sie glauben nicht, wie detailliert man eine Katze beschreiben kann, die man nie besessen hat.
Ich fuhr noch eine Weile durch die Gegend, um die Zeit mit ihr auszudehnen. Fast eine Stunde.
Dann gingen wir in den Wald.“
Bei diesem Teil der Erinnerung erhellten sich seine Augen.
„Es dämmerte.
Vogelgezwitscher.
Ein schöner Maiabend.
Wir liefen nebeneinander, als würden wir uns schon ewig kennen. Dabei führte ich uns beide immer tiefer in den Wald.
Es wurde dunkler und irgendwann fragte sie, ob es nicht besser sei, umzukehren.
Behutsam griff ich nach ihrer Hand. Ich hockte mich vor sie hin, um in ihre Augen schauen zu können.
‚Du bist sehr hübsch‘, sagte ich zu ihr. Sie schaute mich irritiert an. ‚Und ich habe dich sehr gern.‘ Sie begriff nicht. ‚Aber wir können erst gehen, wenn ich gefunden habe, wonach ich suche.‘ Ich hielt ihre Hand und wir gingen weiter.
‚Ich will zurück!‘ Sie sagte diesen Satz, trocken und deutlich. Das gefiel mir sehr gut. Ich griff ihre Hand jetzt fester, ging weiter und sie folgte widerstrebend, noch.
Von dem, was ich suchte, hatte ich jetzt zumindest eine Spur. Von da an dauerte es nicht mehr lange.
‚Halt an!‘, ‚Ich will nach Hause!‘, ‚Laß mich los!‘, ‚Du tust mir weh!‘, ‚Ich habe Angst!‘ Da hatte sie es gesagt.
Ein wundervoller Satz; Ich! Habe! Angst!; Aus dem Mund eines Kindes.
Ich hielt ihre Hand bereits so fest, daß es ihr schrecklich weh tun mußte. Sie schimpfte, trat mir vors Schienbein, schubste mich und biß in meine Hand.“
Ohne es zu merken, und freudig in die Spiegel starrend, strich er sich über die Narbe am Ballen seines rechten Daumens.
„Sie hatte Angst. Sie fing an, zu weinen. Sie brach zusammen. Und nur noch ihr Arm ragte auf. Weil ich ihn nicht losließ.
Es schien noch immer ein wenig Licht durch die Baumreihen.
Irgendwann fing sie an, zu schreien. Lauter und lauter.
Als ich genug davon hatte, schlug ich sie bewußtlos.
Dann liebte ich sie.
Meine schlafende Schönheit.
Ich war sehr zärtlich zu ihr.
Am Ende habe ich sie im Wald vergraben.“
Er erhob sich und sprang mit gesenktem Kopf durch einen der großen Spiegel. Das war sein Ende.

 

Hallo Kinski,

dein Text ist spannend, aber auch psychologisch interessant. Im Nachhinein musste ich in mich gehen. Was empfinde ich für deinen Prot, dem Inbegriff des Bösen? Verachtung oder Mitleid?
Dein Text funktioniert, auch wenn mir der Pädophile und das Mädchen weitgehend fremd bleiben. Ich kenne nur den Trieb des Täters und die Angst des Mädchens, aber dadurch schaffst du diese verstörende Atmosphäre.
Alles wirkt eh mehr wie ein Traum. Dieses Spiegelkabinett sehe ich als Reflexion der kranken Seele des Täters. Erst sieht er lauter fremde Gesichter, anklagende Blicke. Daraufhin versucht er, sich zurechtfertigen. Natürlich weiß er, dass das, was er da tut, krank ist. Deshalb hat er auch solche Angst vor sich selbst, vor dem eigenen Gericht. Aber am Ende siegt dann doch der Wahnsinn. Da ist nur er selbst in den Spiegeln zu sehen, die Bestie. Ihm wird klar, dass dieses Verlangen nach der Angst eines Kindes, Sex und Tod ein Teil von ihm ist. So bleibt ihn nur der Freitod. Ob er nun wirklich durch einen Spiegel springt, weiß ich nicht. Für mich sind das eher die letzten wahnsinnigen Gedanken eines Teufels, bevor der sich vor einen ICE wirft oder sich eine Kugel durch den Kopf jagt.

Es hat mich zum Nachdenken angeregt. Und ich habe es gern gelesen.

Ein schöner Maitabend.
Siehste selbst;)

Servus, machs gut

Hacke

 

WAS?

Noch nie von einem "Maitabend" gehört? *entsetzt kopfschüttelt*

Ne, danke! Hab's korrigiert. Freut mich, daß dir die Geschichte gefallen hat.


Grüße
Gilead

 
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Hallo Gilead Kinski

Du wolltest die Gedanken eines verrückten Psychopathen authentisch rüber bringen. Was Dir leider nicht gelungen ist, weil du den Anfang des Textes mit banalen Entwicklungen überfüllt hast. Du beschreibst aktiv, was gerade geschieht, dabei hättest Du, nur einfache und klare Gedankengänge, des Protagonisten beschreiben sollen. Auch wenn er ein verrückter ist, fehlt mir hier der menschliche Widerspruch, und es entsteht kein Konflikt durch Gefühle und Gedanken, die mir als Leser eine gewisse Nachvollziehbarkeit eröffnen. Dein Text enthält keine persönliche Note, sozusagen der rote Faden, auf den der Protagonist und Autor immer zugreifen kann. Falls er nicht weiß, in welche Richtung er muss. z.B. Haare. Rote duftende Haare. Der süße Geruch weckt in mir eine Erinnerung.

Wenn das Mädchen, nachdem er sie bewusstlos gewürgt hatte, Tod in seinen Armen lag und er sie anschließend innig und zärtlich geliebt hat. Könnte man daraus eine weitere Perversion ziehen, um den Protagonisten, die Reue und Verzweiflung näher zu bringen. Als er erkennt, welche Abscheulichkeit er doch ist.

Grüße
Life4Back

 

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