Was ist neu

Spinnefeind

Mitglied
Beitritt
14.10.2001
Beiträge
330
Zuletzt bearbeitet:

Spinnefeind

„Robert?“
Er holte tief Luft und schloss für einen Moment die Augen. „Ich komme!“
„Schnell!“
Er stieß die Wohnzimmertür auf. Kein Zweifel: An diesem Vormittag sah sie sehr krank aus. Noch viel kränker als sonst.
„Mein armer Liebling, macht dir das Herz wieder zu schaffen?“
Ihr Atem ging stoßweise. „Ich brauche meine Tabletten.“
Er holte die Schachtel vom Nachttisch und drückte zwei Kapseln aus der Folie.
Hannah schluckte sie und ließ sich aufs Sofa zurücksinken. „Danke, Schatz“, flüsterte sie. Sicher dachte sie nun wieder: ‚Wenn ich ihn nicht hätte!’ Ein Glück, dass sie keine Ahnung hatte, was er gerade dachte: ‚Wenn sie das Geld nicht hätte!’
Er lächelte sie an. „Bleib liegen, bis es dir besser geht. Soll ich dir eine Decke holen?“
Sie nickte und streckte die Hand nach ihm aus. „Du bist immer so lieb zu mir!“
Er berührte ihre Fingerspitzen.

Später ging er in den Keller. Ziemlich viele Spinnen hatten in dunklen Ecken ihre Netze gewebt.
‚Spinnen am Morgen Kummer und Sorgen.’ Sagte man nicht so?
‚Spinnen am Abend erquickend und labend.’ Er lachte in sich hinein. Es kam eben immer auf den Blickwinkel an.

„Robert, ich bin wach.“
Nach dem Mittagsschlaf servierte er ihr immer Tee und Gebäck ans Bett. Er trug das Tablett mit der dampfenden Tasse und der verschlossenen Gebäckdose nach oben.
Hannahs Lippen waren bläulich verfärbt und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen.
„Danke“, seufzte sie. „Der Tee wird mir gut tun.“
Sie schloss die Augen und führte die Tasse mit beiden Händen zum Mund.
Jetzt! Er griff er nach der Spraydose auf dem Nachttisch und steckte sie in seine Jackentasche.
Dabei ließ er Hannah nicht aus den Augen.

Sie nahm einen Schluck und setzte die Tasse ab. Ihre Hände näherten sich der Plätzchendose. Sie hob den Deckel hoch und legte ihn beiseite.
Noch hatte sie nichts gemerkt.
Ihr Blick fiel in die Dose und sie erstarrte mitten in der Bewegung. Sie hatte die dicke schwarze Spinne entdeckt, die oben auf dem Gebäck hockte.
Besser konnte die Sache gar nicht laufen. Die Spinne war entkommen und krabbelte auf langen dünnen Beinen geradewegs auf Hannah zu.
Gleich würde die Alte den Mund aufreißen, schreien und sich nach hinten werfen.
Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Sie würde sich ans Herz fassen und röcheln: „Mein Spray!“
Doch er würde es ihr nicht geben.

Hannah richtete sich auf. Sie lächelte. Gelassen nahm sie die Spinne, die gerade im Ärmel ihres Nachthemdes verschwinden wollte, und setzte sie zurück in die Dose.
„Aber ...“
Hannah strahlte ihn an. „Da staunst du, was?“
„Aber da war doch ... “
„Du meinst die Spinne? Das macht mir nichts mehr aus.“ Ein Hauch von Farbe stieg in ihr Gesicht. „Nicht umsonst habe ich dir neulich vorgeschlagen, ohne mich in Urlaub zu fahren.“
Warum erwähnte sie das jetzt?
„Ich war während dieser Zeit in einer Tagesklinik“, fuhr sie fort, „und dort habe ich gelernt, wie ich meine Angst vor Spinnen loswerden kann.“
„Warum ... hast du mir nichts gesagt?“
Hannah stand auf, umhalste ihn und presste sich an ihn. „Ich wusste doch gar nicht, ob ich es schaffen würde. Und als ich es geschafft hatte, wollte ich auf eine gute Gelegenheit warten, um dich zu überraschen.“
Eigentlich müsste er jetzt seine Arme um sie legen.
„Freust du dich denn gar nicht?“
„Doch.“

Plötzlich löste Hannah ihre Umarmung und trat einen Schritt zurück.
„Wieso hast du mir eigentlich nicht geholfen, als die Spinne über meine Bettdecke lief?“
„Ich – war vor Schreck wie gelähmt.“
Ihr Atem ging schwerer. Suchend sah sie sich um. „Wo ist mein Nitro-Spray?“
Er wich zurück. Zu dumm! Diese Bewegung hatte ihn verraten.
„Du hast die Dose genommen! Ich habe eben etwas Hartes in deiner Jackentasche gespürt.“
Was sollte er darauf antworten?
Sie streckte die Hand aus. „Gib mir das Spray!“
Es hatte sowieso keinen Zweck mehr. Er reichte es ihr.
Mit zitternden Fingern sprühte sie sich das Medikament in den Mund. Sie schnappte ein paar Mal nach Luft, ehe sie weitersprach. „Robert! Hast du etwa auch die Spinne auf die Kekse gesetzt?“
„Natürlich nicht!“
Würde sie ihm glauben?
Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie taumelte. „Geh!“, stieß sie hervor.
„Warte! Lass uns doch ... Wir müssen ...“.
Hannah rang stärker nach Luft. „Halt den Mund!“
Sie ließ sich aufs Bett fallen. „Geh!“, sagte sie wieder. In ihrer Stimme klang Zorn.

Das Spray wirkte wieder mal nicht. Hannah ging es zusehends schlechter. Sie keuchte, ihr Gesicht war schweißnass. Dann verlor sie das Bewusstsein. Reglos lag sie da. Er beugte sich über sie. War sie ...? Nein, sie atmete noch, aber nur ganz schwach.
Er sah bereits alles vor sich: den blumengeschmückten Sarg, sich selbst im schwarzen Anzug inmitten der Trauergäste. Ihr Testament hatte sie beim Notar hinterlegt. Er blickte aus dem Fenster auf den Park. Dieser ganze Reichtum würde ihm gehören. Ihm allein. Und nie wieder müsste er sie bedienen.

Hannah stöhnte leise. Sie bewegte sich, öffnete die Augen und sah ihn an.
Mit einem Ruck zog er das Daunenkissen unter ihrem Kopf weg und presste es auf ihr Gesicht.

 

Eine super Geschichte!
Vor allem, weil du neu hier bist!

Der Schreibstil war spitze!

Das Ende hat mich getroffen wie ein Faustschlag!

Geile Geschichte!
Eigentlich hätte sie auch fast in Horror stehen können.

Mfg: Uffmucker

 

Jepp, die Geschichte ist richtig fies und schön! Aber ich glaube, mir ist aufgefallen, daß Du zwischen Vergangenheit und Gegenwart immer hin und her springst... Vielleicht solltest Du Dich da mal auf eine Form einigen... ;)

Griasle
stephy

 

Naja, den Schluss fand ich ein wenig unrealistisch. Hat mich nicht sehr angesprochen. Aber gut geschrieben, und lustig. Und auch spannend.

 

Arrrrrrrgh!

Ich teile diese Geschichte in zwei Hälften.

Der erste Teil geht bis...

Robert verzieht keine Miene. Doch dann bricht unvermittelt sein ganzer Hass aus ihm hervor. "Wenn du es haben willst, Alte, dann hol es dir doch selbst!“ zischt er.

Diesen Teil fand ich schwer in Ordnung! Doch dann...

Ja, was? Hat dich da der Mumm verlassen, oder warum kommst du dann mit so einem sülzigen Ende rüber?

Argh! Schade, die gesamte Story wird durch den Schlußteil dermaßen "abgewertet"... das hat "Spinnefeind" gar nicht verdient!

Sodele!

Poncher

 

Danke euch allen für eure Kritik!

Zu Stephy: Ich habe die Zeiten bewusst gewählt. Ungefähr in der Mitte der Geschichte erreicht der Spannungsbogen seinen Höhnepunkt. Um dies zu unterstreichen, bin ich ins sogenannte "historische Präsens" übergewechselt. Außerdem wollte ich dem Leser das Gefühl vermitteln, als könnte er das Geschehen unmittelbar beobachten. Ein weiterer Grund ist, dass ich den Satz "Er erlebte alles wie in Zeitlupe" auf diese Weise auch sprachlich darstellen wollte.

Zu Pain: Ich glaube nicht, dass der Schluss unrealistisch ist, denn man kann eine Phobie mit speziellen Methoden tatsachlich zum Verschwinden bringen. Und dass die Frau ihren Mann vor die Tür setzt, ist doch verständlich, oder?

Zu Poncher: Kannst du mir bitte noch erläutern, warum du das Ende so schlecht und sülzig findest? Danke!

 

NAja unrealistisch ist vieleicht nicht ganz richtig... aber komisch kommt mir das schon vor:

"Da staunst du“, sagte seine Frau und verschloss die Dose. Dann sah sie ihm voll ins Gesicht. "Warum, glaubst du wohl, bin ich in der letzten Zeit so häufig mit dem Taxi in die Stadt gefahren? Du dachtest, ich ginge zu einem Herzspezialisten, aber tatsächlich war ich bei einem Psychotherapeuten und habe eine Angsttherapie gemacht. Spinnen versetzen mich jetzt nicht mehr in Panik, Robert. Und nun geh und pack deine Sachen!“

Kommt irgendwie nicht "richtig" rüber. Hmm, ich weiß selbst nicht warum... Naja aber sonst ganz gut.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, Jakobe

Ich fand deine Geschichte bis zu einem gewissen Punkt ebenfalls höchst interessant, aber an der Stelle, wo sie einfach die Spinnen einsammelt, in die Dose zurück legt und einen Schlusstrich zieht, war ich etwas enttäuscht. Die Idee find ich zwar ziemlich gut, aber auch ich finde, dass der zweite Teil der Geschichte, halt der, wo die Geschichte plötzlich umschlägt, noch etwas überarbeitet werden könnte, sodass du dir Zeit lässt bis du zum Höhepunkt kommst und so ein wenig mehr Spannung aufbaust. Denn für meinen Geschmack ging das am Schluss einen Tick zu schnell, ich fand das etwas schade. Und ich versteh nicht so recht, warum du sie in Spannung gepostet hast; sie würde in einer anderen Rubrik vielleicht besser aufgehoben sein.

Liebe Grüße,
Zangan86

 

Hallo Zangan86,
ich habe die ganze Geschichte noch mal überarbeitet und auch das Ende noch etwas ausgebaut. Vielleicht gefällt es dir ja so besser.
Vielen Dank und viele Grüße!
Jakobe

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom