Hallo Sim
Ich denke nicht, dass aus dem Text selbst eine Wertung oder ein Urteil hervorgeht. Diese entnehme ich eher den Kommentaren der Leser.
Die Geschichte gefällt mir übrigens gerade deswegen so gut, weil sie alles offen lässt.
Der Zweite fragt den Ersten: „Wer bist du?“. Doch ist dies wirklich die Frage, die sich stellt, wenn jemand seine Spuren verwischt? Müsste er nicht fragen. „Woher kommst du?“ oder noch nahe liegender „Weshalb hast du deine Spuren verwischt?“
Vielleicht hat der Erste seine Spuren gerade deshalb verwischt. Weil andernfalls einer seinen Weg kreuzen würde und nur anhand seiner Spuren glaubte, er wisse, wem er da begegnet. Hier aber wird der Zweite überhaupt erst durch das Fehlen der Spuren motiviert, die Frage nach der Identität eines anderen zu stellen.
Und dass der Erste in der Folge keine Antwort findet, heisst ja weiter auch nicht, dass er keine weiss. Möglicherweise ist sie nur zu komplex. Oder vielleicht wüsste er auch keine zu geben, wenn er seine Spuren nicht verwischt hätte.
Auch ist das Motiv des Ersten unklar. Ist ihm unangenehm, was er selbst in den Spuren liest, oder was andere darin lesen könnten?
Vielleicht kann er die Frage nicht beantworten, weil er „niemand“ ist, aber vielleicht ist er auch zu viel, um es in Worte fassen zu können. Und er ist der Ansicht, dass die naive Frage des Zweiten nicht ausreicht, um seine Persönlichkeit zu ergründen.
Aber auch ganz andere Fragen ergeben sich aus der Geschichte. Was ist mit jenem, der seine Spuren stehen lässt? Geht er nur unversehens und selbstbewusst seinen Weg, wobei rein zufällig halt Spuren entstehen, oder will er ganz bewusst Spuren hinterlassen?
Braucht er selbst seine Spuren, um zu wissen wer er ist? Oder hofft er, dass andere daraus lesen können? Hinterlässt er sie am Ende gar, um ein Bild von sich selbst zu suggerieren und nicht danach gefragt zu werden, wer er sei? Weil er ebenfalls keine Antwort zu geben wüsste? Oder „schlimmer“: Die Antwort wüsste, aber nicht preisgeben will?
Das führt unversehens zu der Frage, ob der Zweite seine eigene Frage überhaupt beantworten könnte. Sofern er den Ersten nur fragt, weil er hinter diesem keine Spuren sieht, könnte man annehmen, dass er jemanden, der Spuren hinterlässt, nicht fragen würde. Dies folglich aus dem Grund, weil er dann aus den Spuren lesen würde, wer der andere ist.
Er selbst hinterlässt Spuren. Glaubt er also, seine eigenen Spuren geben eine Antwort darauf, wer er ist? Wenn der Zweite nach seiner Identität gefragt würde, wüsste er dann eine Antwort zu geben, die weiter geht, als man es alleine aus den Spuren bereits lesen kann? Und wenn nicht, ist er dann überhaupt jemand? Da er ja sein ganzes Leben nur in seinen Spuren sieht?