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Susi

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29.10.2004
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Susi

Susi lag bäuchlings auf dem Teppich und spielte mit einem Spielzeug, einem kleinen Auto, das sie von links nach rechts und wieder zurück schubste. Ihr Vater schlief laut schnarchend –von gelegentlichen Atemaussetzern unterbrochen, wiederaufgenommen durch ein lautes Gurgeln- auf dem Sofa.

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Er war auch früher schon häufig betrunken gewesen, aber seit Susis Mutter eines Tages gegangen und nicht mehr wiedergekommen war, wurde dieser Zustand permanent. Susis Eltern hatten sich oft angebrüllt. Sie saß dann jedes Mal in einer Ecke der Wohnung, versteckte sich hinter dem Sofa oder in einem ihrer anderen Verstecke, völlig verängstigt und verstand nie, worum es dabei ging. Susi hatte viele solcher Verstecke in der Wohnung, in die
sie sich zurückzog, auch zum Spielen oder einfach nur, um allein zu sein.

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Früher, als Mutti noch da war, hat Vati sogar manchmal mit mir gespielt oder wir saßen zusammen auf dem Sofa -ich auf seinem Schoß- und wir haben zusammen Fernsehen geschaut. Mich hat das, was dort im Fernseher lief, nie besondern interessiert, aber mir gefiel, dass Vati und ich Zeit zusammen verbracht haben; es war einfach schön, so da zu liegen. Als Mutti noch da war, da hat sie sich immer um mich gekümmert und ich musste nie hungrig schlafen gehen. Seit Mutti aber weg ist, kriege ich manchmal lange nichts zu essen. Gestern wollte ich zu Vati ins Bett kriechen, um mit ihm zu schmusen, es war früh morgens, und ich konnte nicht mehr schlafen, weil der Hund von nebenan gebellt hat; dieses riesige, hässliche Ungeheuer. Ich glaube, der hasst mich. Jedes Mal, wenn er mich am Fenster sieht, ist er wie verrückt, springt auf und ab und bellt so laut, dass ich mich verstecke. Na ja, als ich mich dann auf Vatis Bauch gelegt habe, hat er sich auf die Seite gedreht und ich bin vom Bett geplumpst. Ich habe es dann noch einmal versucht, weil ich dachte es sei keine Absicht. Vati ist dadurch aufgewacht und hat mich dann aber mit der Hand weggeschubst und so laut gebrüllt, dass ich Angst bekommen habe und ich rausgelaufen bin und in eines meiner Versteck gelaufen bin und dort gewartet habe, bis er Mittags aufgestanden ist, aber Essen gab es dann immer noch nicht. Ich habe dann einfach die Reste vom seinem Teller genommen. Das ist gefährlich. Wenn Vati das sieht, wird er böse und schlägt mich, wie er es neulich schon getan hat. Aber ich war doch so hungrig, dass ich an sein Essen gegangen bin als er kurz im Badezimmer war. Als er zurückkam hat er geflucht und nach mir geschlagen, mich aber nur knapp erwischt. Ich habe mich danach stundenlang unter dem Bett im Schlafzimmer versteckt und bin erst rausgekommen als Vati gegen Abend die Wohnung verlassen hat. Er kam dann erst spät in der Nacht wieder.

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Susis Mutti war vor rund drei Monaten aus der Wohnung verschwunden und seitdem hat sich nicht nur Susis Situation verschlimmert. Ihr Vater, sowieso schon dem Alkohol zugetan, fing das regelmäßigen Trinken an. Auf dem Weg von der Arbeit stoppte er jeden Abend an einer Tankstelle und kaufte anfangs nur Bier und später auch andere Spirituosen. Er vernachlässigte die Körperpflege und lies langsam die Wohnung verkommen, um Susi kümmerte er sich immer weniger, wenn das überhaupt möglich gewesen wäre; Susi hatte dementsprechend an Gewicht verloren, man konnte ihre Rippen sehen. Auch schon vorher, als seine Frau noch da war, hat er sich wenig um Susi gekümmert. Er wollte Susi sowieso nie haben. Die Wohnung war in entsprechend schlechtem Zustand. Überall lagen leere Bierdosen und -flaschen herum.

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Die Küche war ein Paradies für Schimmelpilze. So ein murcor murcoris verfügt ebenso wie der Mensch über ein endoplasmatisches Reticulum und unterscheidet sich dadurch vom Bakterium. Die weit über tausend Arten von Schimmelpilzen, die sich bezüglich ihres makroskopischen und mikroskopischen Aussehens stark unterscheiden - von denen aber nur eine einzige Art die Küche in dieser Wohnung für sich beansprucht hatte - besitzen auch unterschiedliche, teilweise sogar verschiedene Vermehrungsarten. Man könnte sogar von einem eigenen Sexualleben sprechen, dass über die jeweilige Umgebung ihrer Umwelt angesprochen wird - diese Küche übte dementsprechend eine starke sexuelle Anziehungskraft aus.

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Es stapelten sich offene Konservendosen und dreckiges Geschirr in verschiedenen Winkeln der Wohnung, vermehrt jedoch in der Küche. Das Badezimmer war ebenfalls eine hygienische Katastrophe, und wäre wahrscheinlich von jedem Gesundheitsamt großräumig abgesperrt worden. Susi hasste es sie zu benutzen, aber sie war nicht in der Lage dementsprechend selbst für Sauberkeit zu sorgen. Sie konnte sich selber waschen, aber nicht die Toilette sauber machen.

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Susi schubst immer noch ihr Spielzeugauto hin und her als ihr Vater mit einem lauten Grunzen aufwachte und vom Sofa aufstand. Ängstlich blickte Susi zu ihm hinauf. Von ihrer Position aus, auf dem Teppich liegend, erschien ihr Vati wie ein riesiger Turm, sie konnte kaum sein Gesicht sehen. Und so schlurfte er an ihr vorbei ins Badezimmer, gab einige Laute von sich, die Susi nicht interpretieren konnte und nach einigen Sekunden hört sie das Wasser rauschen.

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Früher, als ihre Mutter noch da war, haben beide - Susi und sie - oft zusammen Freunde von ihr besucht, die eine Tochter hatte, mit der Susi spielen konnte. Seitdem Susis Mutter aber gegangen war, hatte sie das Haus nicht mehr verlassen. Einmal hatte ihr Vater als er betrunken war die Türe offen stehen lassen, aber Susi traute sich nicht weit raus, denn der böse Hund von nebenan war dort draußen; sie konnte ihn zwar nicht sehen, sie wusste aber, dass er dort war. Susis Vater kam mit offener Hose aus dem Badezimmer, schlurfte wankend in die Küche und nahm einen Schluck aus einer offenen Flasche Bier. Susi hörte einige Glasflaschen klappern und dann ein Fluchen, betreffend eines akuten Mangels an Spirituosen. Susis Vater kam zurück ins Wohnzimmer und schlurfte erneut an Susi vorbei. Als er sie aber schon passiert hatte, drehte er sich um - überraschend flink für einen angetrunkenen - und versuchte, nach Susi zu treten. "Verschwinde, Drecksstück!". Susi machte einen Satz zurück. Nach einigen Sekunden, die er wohl brauchte, um zu realisieren, dass er Susi verfehlt hatte, drehte er sich ebenso flink wieder zurück - der Haustür entgegen. Er schlüpfte in seine alten Turnschuhe – der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, dass es ihn unzählige Versuche kostete, die Schuhe anzuziehen, denn seine Füße verfehlten immer wieder die Schuhe; wie zwei Magneten, die man am selben Pol zusammenführen möchte; hier allerdings stießen sich zwei gleich starke Gerüche ab -, ging durch die Tür und knallte diese hinter sich zu.

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Susi war wieder alleine. Sie hatte Hunger, und niemand spielte mit ihr, und so verbrachte sie den Tag damit, die Wohnung zu erkunden. Nicht, dass es noch irgendeinen Winkel gab, den sie nicht schon in- auswendig kannte; eine Erkundungstour durch die Zimmer war aber allemal besser als herumzusitzen. Nachdem sie durch die Zimmer gestreift war und ein wenig Zeit mit ihren Spielzeugen verbracht hatte, ging sie zum Fenster und schaute hinaus. Susi verbrachte viel Zeit am Fenster, wenn sie allein zu Hause war. Sie schaute sich die Bäume an, die riesig auf sie wirkten. Sie wollte nach draußen und auf ihnen herumklettern. Sie schaute den Vögeln und den Wolken hinterher. Einfach alles, war dort draußen zu sehen war, faszinierte sie. Sie starrte gerade wieder einem Vogel hinterher, als sich die Wohnungstür nebenan öffnete und der Nachbarshund herauslief. Sofort bemerkte dieser, dass Susi am Fenster stand und rannte laut bellend auf sie zu. Susi sprang in Panik zurück und verkroch sich im Schlafzimmer. Nachdem das Bellen abgeebbt war, beruhigte sie sich wieder und entschied, dass es Zeit für ein Nickerchen sei. Später am Nachmittag wurde sie durch ein Gewitter aufgeschreckt. Das Donnern und Grollen eines Gewitters jagte ihr jedes Mal Angst ein, fast noch mehr als manchmal ihr Vater. Als ihre Mutter noch da war, ist sie immer zu ihr gelaufen, wenn es ein Gewitter gab. Sie hat dann immer auf ihrem Schoß gesessen und das hat sie ungemein beruhigt. Susi hatte sich immer so geborgen gefühlt bei ihrer Mutti, doch nun war sie weg, und Susi hatte Angst, und es gab niemanden, der sie beruhigte. Susi versteckte sich unter dem Bett.

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Es war draußen schon dunkel, als Susi plötzlich durch das Zuschlagen der Haustür aufschreckte. Sie war unter dem Bett eingeschlafen und ihr Magen schmerzte vor Hunger. Susi kroch also langsam unter dem Bett hervor und ging ins Wohnzimmer, dort lag ihr Vater in Unterwäsche wieder auf dem Sofa mit einer Flasche Bier in der Hand und schaute in den Fernseher. Susi lief auf ihrem Vater zu, denn sie war hungrig, sehr hungrig. Sie kam zum Sofa und blickte an ihren Vater hinauf. Auf Susi wirkte er immer so riesig. Obwohl sie Angst hatte musste sie ihm dennoch sagen, dass sie sehr hungrig war. „Vati, Vati, ich habe Hunger!“, sagte sie und schaute ihn mit großen Augen an. Er reagierte nicht. "Vati, Vati, Hungerrrrrrr!". "Verschwinde, Miststück, du nervst!", fauchte er sie an. Sie machte einen Schritt zurück schaute ihm aber weiterhin an. Nach einigen Sekunden kam Susi wieder näher heran. "Vati, Hunger!".

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Der Tritt kam mit unglaublicher Wucht und völlig unerwartet. Susi flog durch den Raum und knallte mit dem Rücken gegen die Wohnungstür. Die Welt um sie herum war wie in weißes Licht gehüllt. Im ersten Moment spürte sie nichts, es war als sei sie nicht mehr in ihrem Körper. Erst einige Sekunden später als sie auf dem Boden lag, durchfuhren die Schmerzen ihren Körper wie Blitze den Himmel; wie jene Blitze des Gewitters einige Stunden zuvor. Es dauerte weitere Sekunden, bis Susi sich wieder gefangen hatte und wusste, was passiert war. Sie lag auf der Seite und sah ihrem Vater auf sie zutorkeln mit einer Bierflasche in der Hand. Noch etwas benommen sprang sie auf die Beine, lief zurück ins Schlafzimmer und verkroch sich unter dem Bett. "Wo bist du ...du kleines Miststück? Ich habe endgültig genug von deinem rumgenerve!", hörte sie ihn schreien, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Er hatte das Gleichgewicht verloren, lag nun bäuchlings auf dem Teppich und schlief. Susi war völlig verstört und ihr Inneres schmerzte. Es waren nicht nur die Schmerzen als Folge des Trittes, es war auch ihre Seele, die verletzt war. Ihr Vater hasste sie und sie wusste nicht wieso. Es dauerte Stunden, bis sich Susi wieder beruhigt hatte. Ihr Hunger war zunächst vergessen, aber er meldete sich wieder. Susi kroch unter dem Bett hervor und blickte ängstlich durch die halboffenen Tür in das Wohnzimmer, dort lag ihr Vati schlafend auf dem Teppich, bäuchlings wie schon Stunden zuvor. Susi schlich auf leisen Sohlen an ihrem Vater vorbei in die Küche, auf der Suche nach etwas essbaren, irgendetwas, das ihren Hunger stillen sollte. Sie würde alles essen, wirklich alles. Dies irgendetwas erblickte sie auf dem Küchentisch, in Form einiger offener Konservendosen, welche leer sein konnten - Susi vermochte das von ihrer Position natürlich nicht beurteilen. Die Konservendosen konnten aber auch Reste am Boden enthalten, oder " ... wenigsten könnte ich die Dosen auslecken", dachte Susi. Sie kletterte auf den Stuhl, der am Küchentisch stand und streckte sich, so dass sie gerade über die Tischkante blicken konnte. Susis Blick streifte über die Ebene des Tisches; all die Dosen und schmutzigen Tassen auf dem Tisch erschienen ihr beinahe wie eine kleine Armee, die zwischen ihr und dem verheißungsvollen Inhalt standen, eine Armee, die es zu zunächst zu besiegen galt. Susi zog langsam an der Tischdecke und die Armee der Esswaren rückte langsam gegen sie vor. Die Soldaten kamen näher, immer näher und bereits nach wenigen Sekunden gab es die ersten Verluste auf der Gegenseite zu beklagen, denn ein Ravioli-Soldat der ersten Reihe streckte die Waffen und fiel mit lautem Scheppern vom Tisch; ein Kriegsheld, ohne Zweifel, gefallen in der Schlacht. Susi störte sich nicht an dem Radau, den die – wie sie bemerken musste, leider leere - Konservendose bei ihrem Auftreffen auf den Fußboden verursachte. Susi hatte die Gier gepackt. Sie zog weiter, und nach wenigen Augenblicken stand der nächste Soldat direkt vor ihr und mit einem Schlag streckte auch dieser tapfere Soldat die Waffen, und sein leckerer Inhalt lief über den Tisch und tropfte an der Tischdecke auf den Boden. Susi fing sofort an, gierig zu essen.

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Auch dieser Schlag kam völlig unerwartet, genauso wie jener wenige Stunden zuvor. Während ihres kurzen Fluges, der ihr aber wie eine Ewigkeit vorkam - sah Susi nur die Beine ihres Vaters. Sie prallte mit dem Kopf auf den harten Küchenfußboden und blieb regungslos liegen. Er versetzte ihr noch einen Tritt gegen den Kopf und beschimpfte sie als einen Parasiten, der nur Geld kostet und die Wohnung beschmutzt.

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Susi starb wenige Minuten später. Am nächsten Tag stoppte Thomas auf dem Weg zur Arbeit an einem Abfallcontainer und schmiss seine tote Katze, die er in zwei große Plastiktüten eingewickelt hatte, hinein.

 

Mein Gott,

was eine Geschichte!!

Mir ist es so schwergefallen, zu Ende zu lesen.

Ich habe drei kleine Kinder und dachte nur, naja, ist ja hoffentlich nur erfunden.

Und dann der letzte Satz! Also, ich war total erleichtert. Auch wenn es sehr ungerecht gegenüber der Katze ist!

Prima Geschichte.

Gruss Kardinal :thumbsup:

 

Hallo El Fisico!

Ich finde solche "Ätsch, es ist gar kein Mensch!"-Pointen einfach nur geschmacklos und billig. Als Leser fühle ich mich so richtig verarscht. Ist es das, was Du damit bezwecken wolltest?

Wenn es Dir darum geht, Leid zu schildern, dann tu das doch in einer dem Opfer würdigen Form, hm? Und dazu paßt so eine Pointe nicht, denn so sagt man sich doch am Ende "ach, es ging nur um eine Katze...".
Abgesehen davon paßt es auch nicht so ganz, daß die Katze "mein Vati" usw. denkt.
Zudem nervt es mich beim Lesen, wie oft Du den Namen "Susi" wiederholst, womit ich sagen will, daß sie mir auch stilistisch nicht gefällt. Im Schnitt kommt der Name in jedem Satz vor, denn wenn er einmal nicht vorkommt, wiegst Du das mit Sätzen, in denen er zweimal vorkommt, auf.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Ich möchte Susi zustimmen.
Was wolltest Du schreiben?
1. Eine Schlusspointen-Story?
Dann muss ich Dich enttäuschen: Niemand findet es witzig, erstaunlich oder genial, wenn man ihn seitenlang auf die falsche Fährte führt und am Ende die Lösung erfährt. Die Pointe entsteht nur, weil Du dem Leser etwas wichtiges verschweigst. Es ist also eine völlig künstliche Pointe, die nicht einmal witzig ist.
2. Eine Story über Leiden?
Gut, das hast Du getan, allerdings hast Du weder Hintergründe reingebracht noch eine spannende Handlung erzählt (wie auch, wo Du die ganze Zeit auf Handlungselemente beschränkt warst, die die Natur der Hauptfigur nicht verraten) - nur eine Serie von Leidenserlebnissen aneinander gereiht. Das ist dann doch eher langweilig.

Die Mischung hat nicht funktioniert. Du hättest Dich entscheiden sollen: Eine Pointen-Story - dann aber bitte mit witzigem Gag - oder eine Geschichte über Leiden. Dann aber bitte mit Tiefgang.

 

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