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- 12.02.2004
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T.
Zur großen Verwunderung der Eroberer war die gefürchtetste Spezies des Sektors eine, die sie in ihrem taxonomischen Eifer „Breitnasen-Kragenaffen“ nannten. Es waren dünne Wesen mit behaarten Körpern, langen Schnurrbärten und auffällig dichtem Fell rund um den Hals. Sie waren behäbig und friedfertig, und bewohnten eine große Zahl von Welten, die sie ihren Bedürfnissen anpassten. Technisch schienen diese Wesen kaum auf dem Stand der Zeit zu sein, ihre Welten verfügten selten über Streitkräfte, und manche waren sehr reich. Dennoch wagte keine der großen alten Zivilisationen, diese Wesen anzugreifen, denn in vielen Aufzeichnungen hieß es, dass sie unbesiegbar waren...
Katherine di Gris, die Präsidentin des Terranischen Imperiums gehörte nicht zu den Menschen, die sich von alten Sagen abschrecken lassen. Sie war eine beeindruckende Frauengestalt, ähnlich den englischen Königinnen in einer fernen Vergangenheit. In ihrer Generation wuchs die Macht der vereinigten Menschheit in ihrer kosmischen Nachbarschaft schneller als die der europäischen Nationalstaaten vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Wir alle wissen, was für ein Niedergang auf eine große Zeit der Triumphe folgen kann; doch auch solange die Triumphe andauern, geschehen sie nicht von selbst: Die Präsidentin lenkte das terranische Imperium mit großem diplomatischen Geschick, hinter dem sich eine eiserne Faust verbarg.
Ähnliche Epochen bringen ähnliche Menschen und ähnliche Gedanken hervor. In den führenden Köpfen des Terranischen Imperiums gelangte René Descartes zu neuen Ehren: Wir können die Welt erkennen, nur aus unserem Denken heraus, und die Erkenntnis macht uns mächtig. Eine Generation von Wissenschaftlern vom Schlage eines Charles Darwin ordnete mit grenzenloser Neugier die Erscheinungen der neuen Welten. Physiker kreierten den Hyperraumantrieb, und menschliche Augen sahen Dinge, von denen die Vorfahren nicht einmal geträumt hätten. Mit ihrer Neugier und ihrem Optimismus brachten sie den Willen zu herrschen, und schufen eine große Macht, als sie (wieder zu ihrem Erstaunen) feststellten, dass ihre kosmische Nachbarschaft ihrem Willen zur Macht nicht allzu viel entgegenzusetzen hatte.
In den Augen der Anderen freilich, relativierte sich das Bild von der großen ordnenden Macht: Die Menschen erschienen beispielsweise den Breitnasen-Kragenaffen als unbehaarte Wesen, die sich geschlechtlich fortpflanzten, und auf den Hinterbeinen gingen, und sie betrachteten sie ein wenig abschätzig, wie einst die Griechen die römischen Barbaren. Dann geschah es, dass die Menschen die ersten Welten kolonisierten, auf denen die Breitnasen-Kragenaffen (im folgenden BreK genannt) die dominante Spezies waren...
Präsidentin di Gris ließ es sich nicht nehmen, höchstpersönlich zu diesem entlegenen Planeten zu reisen, der nun Teil des Imperiums werden sollte. Sie erschien gerade auf der Brücke des Flaggschiffs, als mehrere hundert Bomber in die Atmosphäre eintraten, und Kurs auf ihre Ziele nahmen. Die Truppentransporter verharrten als reglose Armee von Containern im schwarzen Nichts. Weit hinter ihnen lag ein Raumtransporter riesig und dunkel wie ein Gebirge. Ein Dutzend Kampfschiffe umkreiste den Planeten, und machte sich bereit, gegen die Verteidiger vorzugehen. Es gab allerdings keine Gegenwehr.
Der kommandierende General salutierte lässig, und sagte: „Ich finde das Schauspiel jedes Mal eindrucksvoll. Jeder planetare Angriff ist eine perfekt einstudierte Choreographie.“
Die Präsidentin lächelte. Sie erwiderte: „Es hat lange gedauert, bis der Senat die Aktion bewilligt hat. Umso mehr genieße ich den heutigen Tag.“
Dürre Worte für ein jahrzehntelanges Drücken und Zerren und all die Intrigen gegen die Widerstände, die sich denen an allen Ecken und Enden zeigten, die etwas voranbringen wollten, notfalls mit der Waffe in der Hand und mit dem Einsatz des eigenen Lebens.
Eine Ordonnanz erschien mit Champagner. Sie stießen gerade an, als unten auf dem Planeten Lichtpunkte von den Detonationen der Bomben aufleuchteten. Langsam setzten sich die Truppentransporter in Bewegung.
Die Spezies, die in diesen Momenten zu Hunderttausenden zusammengeschossen wurde, hatte eine besondere Begabung für Literaturwissenschaft und Genetik – Wissenschaften, deren Errungenschaften dem Fremden nicht sofort ins Auge fallen. Als höchste Form der Wissenschaft galt ihnen eine Art Kybernetik, die auch Kriegsführung in einer weichen, vergeistigten Form umfasste. Unbeeindruckt metzelten die Eroberer die Meister dieser Kriegskunst des Geistes nieder.
Es gibt viel, von dem wir nichts wissen. Es gibt übergeordnete Formen von Bewusstsein, die ihren Trägern nicht unmittelbar zugänglich sind. Es gibt Gedanken, von denen die einzelne Gehirnzelle nichts weiß, obwohl gerade sie es ist, die sie erschafft.
In den folgenden Jahren der Besatzung erwachte im Geflecht der Nachrichtenströme der BreK etwas, das etwas erzeugen sollte, das dem Hammer Mjölnir in der nordischen Mythologie entspricht: eine Waffe, der nichts widerstehen kann. Wie so vieles entstand es in einer Gruppe visionärer Spinner, man könnte sie als „militante Jagdgesellschaft ortsungebundener Eleaten, Lauscher, Nachrichtenübermittler und interpersonaler Revolutionäre“ bezeichnen. Wonach suchten die Gedanken in dieser Gruppe von Verrückten, die in ihren verängstigten Völkern operierte? Zunächst einmal nach einem Einzelnen, der als Katalysator dienen sollte für die Manifestation Mjölnirs in einem realen Gegenstand, der in der Lage sein konnte, die Zivilisation des Feindes zu vernichten.
Wie bei jeder Spezies gab es bei den BreK eine große Zahl von Spinnern, die sich berufen fühlten, die Missionen einer höheren Macht auszuführen. Viele redeten mit ihren Affenhänden wild gestikulierend auf öffentlichen Plätzen. Die Eroberer pflegten solche Aufwiegler ohne Vorwarnung zu erschießen, und ihre ausgestopften Köpfe mit Plaketten, die die jeweilige Irrlehre beschrieben, als Trophäen an die Wand zu hängen. In Folge bildeten sich viele geheime Zirkel auf den besetzten Welten. Wenige davon verübten Anschläge auf Energieleitungen, Raumflughäfen und Kasernen, denn nach jedem Anschlag töteten die Eroberer viele BreK als „Vergeltung“.
Das, was die Theologen „Pneuma“ nennen, suchte sich einen gewissen BreK aus, dem es nie in den Sinn gekommen wäre, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Mangels einer besseren Entsprechung in unserem Erfahrungsbereich wollen wir ihn als Buchhalter bezeichnen: Er manipulierte Daten, die mit der Verteilung von Gütern zusammenhingen. Er hieß T. (der wirkliche Name lässt sich nicht in unser Zeichensystem transkribieren).
T. lebte allein, und niemand in seiner Umgebung wusste beispielsweise, dass er ein nahezu vollkommenes Gedächtnis besaß. Was wäre aus ihm geworden, wenn er in einem anderen Zeitalter gelebt hätte? Vermutlich nichts besonderes. Wie die Dinge lagen, war er es, der den Verlauf einer ganzen kosmischen Epoche bestimmte.
Die Schicht war zu Ende. In dem Raum, in dem T. seine Arbeitszeit verbrachte, war die Luft verbraucht. Im Hintergrund murmelten Dutzende von Stimmen. Jemand legte ihm die Hand auf die Schulter, tätschelte ihn, verabschiedete sich bis morgen. An diesem Feierabend war nichts besonderes. Alle waren in Sorge und doch unterschied sich ihr Alltag in nichts von dem was sie kannten. Umso mehr fürchteten sie sich nach all den Gerüchten über die Pläne der fremden Eroberer. Behaarte Hände packten Sachen und deaktivierten Rechenanlagen. Jemand öffnete ein Fenster. T. trat durch die Tür, da traf es ihn wie ein Schlag: Er war auserwählt! Der Gegenstand meldete den Wunsch an, geboren zu werden. Geboren durch ihn. Er lehnte sich gegen eine Wand und nickte schicksalsergeben...
Wie willst du einen allmächtigen Feind angreifen, wenn du nur zwei haarige Hände, ein Häuschen, ein paar Freunde und ein paar Kenntnisse der Datenmanipulation hast, die gerade recht und schlecht ausreichen, dich zu ernähren? Willst du ihnen Steine nachwerfen, wenn sie in ihren Panzerwägen durch unsere Siedlungen fahren, oder dich ihnen in den Weg stellen, wenn sie ihre Truppen über unsere Straßen verschieben?
T. lachte leise, wenn ihm solche Gedanken kamen, denn er spürte genau was in ihm war. Er begann, in einem Hinterzimmer seines Häuschens etwas zu schaffen, und er tat es in jedem Augenblick mit der Gewissheit, dass er damit den Lebensnerv der Eroberer durchtrennen konnte.
Seltsame Dinge geschahen! Besucher kamen unangekündigt, teilten ihr Wissen mit ihm, und gingen wieder. Er lernte den inneren Bauplan der Eroberer kennen, erforschte ihre Erbmasse, rekonstruierte Wünsche, Gefühle und Sehnsüchte. Seine Heimatwelt machte zehn volle Runden um die Sonne, bis sein Werk die erforderliche destruktive Kraft in sich trug. Nie zuvor in der Geschichte seiner Welt war so viel Wissen in einen einzigen Gegenstand geflossen!
Die besiedelte Landmasse seiner Heimatwelt war in den letzten zehn Jahren immer mehr in zwei Teile zerfallen. Der eine kannte riesige Fabriken, weitläufige Farmen, kleine Siedlungen, aus deren Architektur das Selbstbewusstsein eines Kolonialreichs sprach, schnurgerade Fernstraßen zwischen ihnen, Nachrichtenzentren mit direkten Verbindungen zu einem weit entfernten Zentrum, Raumhäfen und gut gesicherte Militärbasen.
Im anderen Teil lebten zusammengedrängt die BreK in sehr eingeschränkter Weise.
Du kannst nicht mehr gut sehen. Du verlässt dein Haus, und reihst dich in die Menge der Passanten ein, die sich überall so sehr gleicht: Sie besteht aus Einzelnen, die zu Zielen eilen und ihre Umgebung ausblenden, und verhält sich insgesamt wie Marmelade. In diesem Fall besteht die Menge aus dünnen, behaarten Individuen mit Krägen aus Fell. Du bist einer davon. Lass Dich treiben, und beobachte deine eigenen Gedanken, die immer wieder zu dem Gegenstand wandern, den Du geschaffen hast! Hunderte von Augenpaaren sehen Dich auf Deinen Wegen, wenn Du einkaufst, zur Arbeit gehst und Freunde triffst; und doch sehen sie dich nicht. Sie wissen nicht, dass Du die stärkste schöpferische Kraft in einem riesengroßen Stück von Raum und Zeit bist. Du selbst nimmst es hin, setzt weiter Deine Schritte, und gehst in Gedanken noch einmal eine Einkaufsliste durch. Bald tun Dir die Füße weh. Geistesabwesend schwingst Du Deinen Beutel aus Stoff und blickst freundlich in all die Gesichter, die dir entgegenkommen. Warum sind die bloß alle so in Eile?
Hoch über den Köpfen der wuselnden Affenmenge in engen Straßen zogen sehr langsam Transportschiffe der Eroberer ihre Bahnen. Am Fenster von einem stand der General, der vor Jahren die Ehre gehabt hatte, im Beisein der Präsidentin die Invasion zu leiten. Mittlerweile war er zum Statthalter der Kolonie aufgestiegen, und die Landschaften, die sich weit unter seinen Füßen hinzogen, waren sein Reich. Der Statthalter war voller Bewunderung für die perfekte Maschinerie aus Verwaltung, Militär und Technologie, die den Kolonien ihre Ordnung gab. Gerade in diesen Tagen wurde eine direkte Nachrichtenverbindung zur Heimatwelt installiert – zur guten alten Erde.
Ahnte er nicht, dass gerade diese Perfektion das bevorstehende Ende ankündigte? Man kann nicht sagen, dass es in der Kultur der Eroberer keine Hinweise auf die Gefahren gegeben hätte, die eine bis auf die Spitze getriebene Macht mit sich bringt. Lao-Tse sagte:
Es ist besser,
ein Glas nur halb zu füllen
und nicht bis zum Rand
Wenn die Klinge zu scharf ist,
ist sie schnell wieder stumpf,
wenn ein Laden voller Gold und
Edelsteine ist
Ist es fast unmöglich, ihn zu schützen;
Wer nach Titeln und Reichtum strebt,
dem folgt das Unglück ganz von selbst.
Einige Monate später wird dieser Mann ein Buch erhalten, das ihn immer mehr in seinen Bann ziehen wird. Er wird über diesem bestimmten Buch alles um sich herum vergessen, und ein großes Erlebnis genießen, wie es den Menschen nur durch ganz wenige Kunstwerke zuteil wird...
T. ging in ein Gasthaus und bestellte den belebenden Saft einer roten Beere, der das Getriebe seiner Gesellschaft am Laufen hielt. Ein Freund, der in der Steuerbehörde tätig war, las ihm die Nachrichten des Tages aus seinem Lesegerät vor: Propaganda.
Es gibt nichts Gefährlicheres als die richtige Information an der falschen Stelle! Die Wirtin jammerte, weil die indirekten Verkaufssteuern im kommenden Jahr um drei Prozent stiegen. Wie gerne hätte T. von dem bevorstehenden Befreiungsschlag erzählt.
Doch Reden war tödlich. Die Suchmaschinen der Eroberer fahndeten nach verdächtigen Worten. Wer schwieg, blieb unsichtbar. Wir aber, lieber Leser, die wir in dieser Welt nicht existieren, dürfen auf Antwort hoffen...
T. hätte einem Fragenden vielleicht erklärt: „Ich habe herausgefunden, dass sie in Widersprüchen denken, mit Thesen und Antithesen, aus denen manchmal Synthesen folgen. Sie bilden Muster aus ihren Erfahrungen, und allem, was sie in ihrem Gedächtnis herumtragen. Und was ist das für ein wüstes Durcheinander, in ihrem Inneren! Einer ihrer großen Denker hat behauptet, es gebe eine Struktur aus Ich, Es und Über-Ich, aber das war eher der Versuch, eine einfache Ordnung zu sehen, wo höchste Komplexität herrscht, und viele Kräfte wirken, die miteinander ringen. Eines aber ist sicher: Sie können es nicht ertragen, ohne das Gefühl zu leben, dass sie Teil einer höheren Ordnung sind. Nur leider waren ihre Konzepte für eine solche Ordnung bisher sehr dürftig. Ich habe eine Welt geschaffen, in der alles einen Sinn hat!“
„Wie?“ könnte man fragen, „Sie haben eine ganze Welt entwickelt, die Sie als Waffe einsetzen können?“
Im folgenden würde das Gespräch zur Erläuterung auf einen bestimmten Typus des Romans kommen: Die handelnden Personen entsprechen den Arten von Menschen, und was sie durchleben sind die häufigsten Situationen, in die der Mensch kommen kann. Alle Personen in den Erzählungen sind intelligent und handeln strategisch klug. Solche Werke können genauso gut als Sammlung von Präzedenzfällen dienen, wie man den Wechselfällen des Lebens klug begegnen kann. Würde diese Unterhaltung zu etwas führen? Wo liegt der Bezug zu einer angeblichen Superwaffe?
Die Utilitaristen und nach ihnen Leute wie Adam Smith und David Ricardo sagten, das Glück des Einzelnen sei letztlich auch das Glück der Gesellschaft. Gesetzt den Fall, sie hatten Unrecht: Was passiert, wenn Verhaltensweisen, die den Einzelnen glücklich machen, dazu führen, dass die Gesellschaft als Ganze in den Abgrund stürzt?
T.s Waffe basierte auf inversen Denkvorgängen wie diesem, und sie WAR schrecklich!
Plagten den sonst so liebenswürdigen Buchhalter T., der im Begriff war, etwas zu schaffen, was eine ganze Spezies ruinierte, keine Gewissensbisse? Nach so einem Vorwurf würde er uns wohl treuherzig in die Augen schauen, und entgegnen: „Sie haben uns besetzt, uns zu Sklaven gemacht und gedemütigt. Das hätten sie eben nicht tun sollen...“
Wir befinden uns in einer gut bestückten Bibliothek. Eine aparte junge Journalistin befragt einen großen alten Mann der Politik nach seinem liebsten Buch:
„Warum lieben Sie dieses Buch so sehr, Herr S.?“
„Weil es wunderbare Geschichten sind. Sie handeln natürlich vom Leben reicher Leute. Nur konnte der Autor sicher sein, dass sich alle Menschen damit identifizieren können.“
(Der alte Mann lächelt. Die Interviewerin bittet ihn stumm, weiter zu erzählen. )
„Die Menschen in den Geschichten erwerben riesige Vermögen, verlieren sie wieder, haben gefährliche Liebschaften, kommen mit List, Verrat und harter Arbeit ganz nach oben, oder stürzen tief. Niemals aber geben sie auf, und am Ende haben alle Erfolg, wobei sich der Erfolg meistens in schönen Dingen, einem attraktiven Partner und gesellschaftlichem Ansehen äußert. Ich glaube, es liegt an diesem Optimismus, dass ich dieses Buch so liebe.“
„Sie sagten, sie hörten an einem bestimmten Punkt Ihres Lebens auf, sich als Opfer zu fühlen...“
„Es war die Zeit, nachdem ich das Buch zum ersten Mal gelesen hatte. Es befreite mich von der Vorstellung, man müsse Opfer bringen, um etwas zu erreichen. Die provozierende Aussage dieses Werkes war, die eigenen Interessen um jeden Preis durchzusetzen. Man muss auch nicht alles selbst erledigen! Ich habe durch dieses Buch auch die Eingeborenen meines Herrschaftsbereichs, die sogenannten BreK als loyale Untergebene schätzen gelernt. Sie tauchen in allen Geschichten als Vertraute und treue Diener auf, die einem auch schwierigste Arbeiten abnehmen, und ich muss sagen, die Geschichten versprechen nicht zuviel.“
(Die Interviewerin lauscht begierig den Worten des Erfolgreichen. Woher nur kommt unsere Bewunderung für den Erfolg? Vielleicht, weil wir, wenn wir ein Rezept für den Erfolg hätten, endlich mit Zahnpastalächeln, der neuesten Mode, und vielen Parties in schönen Häusern unser Leben genießen könnten.)
Sie fragen vielleicht (und das zu Recht) was diese Szene mit der schrecklichen Waffe zu tun hat, die die Spezies Mensch zur Strecke brachte. Nur soviel: Man erkennt die Art der Waffe an den Wunden, die sie schlägt...
Das höhere Bewusstsein greift nach dir, und tut mit dir was es will. Sein Werkzeug zu sein, fühlt sich an, als wäre man ein Pinsel, den eine unsichtbare Hand in Tusche taucht, und über eine Leinwand führt, während man selbst staunend beobachtet, was da passiert.
Die Kraft, die das tat, war weg, als T. den Gegenstand weitergab. Ihn betraf er von da an nicht mehr. Er verbrachte den Rest seiner Tage sorglos, nahm sich ein junges Weibchen und kümmerte sich um nichts mehr. Mochten die Dinge ihren Lauf nehmen...
“Fiat voluntas tua, domine!” hätte er zu dem höheren Bewusstsein gesagt, wenn es eine Person gewesen wäre.
Es ist nicht wichtig, in welcher Form die auf die Kultur der Eroberer traf, ob als Projektil, als Datei, als biologische Massenvernichtungswaffe, oder gar als Enzyklopädiestab. Mehrere BreK, die in den Bauten der Militärverwaltung niedere Arbeiten verrichteten, schleusten einige Exemplare in die Bibliotheken und Aufenthaltsräume ein. (Der Gegenstand war also reproduzierbar.)
Um uns vor Augen zu führen, wie die Waffe wirkte, ist es vielleicht hilfreich, uns anzuschauen, welches Schicksal dem Neuen generell wiederfährt. Nehmen wir zum Beispiel ein neues Buch, oder einen neuen Film: Ist es nicht unwahrscheinlich, dass ein Buch, so gut es auch sein mag, den Kontakt mit den natürlichen Feinden neuer Bücher, den Lektoren und Literaturkritikern, unbeschadet übersteht, und sich durchsetzt? Nun, auch solche Leute sind Menschen mit spezifisch menschlichen Eigenheiten. Wenn das Buch so eine Eigenheit anspricht, zum Beispiel die immerwährende Suche des Menschen nach dem Sinn, steigen seine Überlebenschancen.
Falls ihm dieser Weg verschlossen bleibt: Oft genügen wenige Exemplare in Aufenthaltsräumen und Bibliotheken, um ein Buch zu verbreiten. Es liegt vielleicht, nachts neben einem heimwehkranken Soldaten im Bett, und tröstet ihn. Vielleicht lehrt es ihn sogar etwas. Zum Beispiel gesellschaftlichen Aufstieg, oder eine bestimmte Weisheit. Wenn es ein ganz besonderes Buch ist, wird die Öffentlichkeit irgendwann danach fragen, was es mit dem Werk auf sich hat, das diesem oder jenem so viel bedeutet.
Eine größere Gefahr für ein Buch besteht darin, dass es in Mode kommt, dass jeder es liest, und jeder es nach einer Weile beiseite legt. Aber das war nicht sehr wahrscheinlich, wenn das Buch in seinen Lesern nur tief genug Wurzeln schlägt.
(Natürlich stellt sich noch immer die Frage, wo der Zusammenhang zur Entwicklung der ultimativen Superwaffe besteht. Nur Geduld...)
Der Gegenstand entfaltete sein volles Zerstörungswerk.
Das Buch galt, metaphorisch gesprochen, nach wenigen Jahrzehnten als Klassiker.
Eine der verheerenden Wirkungen der Waffe: Das Kollektive Unterbewusstsein der Eroberer bekam ein neues Betriebssystem, ohne dass sie etwas davon merkten.
Gesetzt den Fall, die Waffe ähnelte mehr einem biologischen Kampfstoff als einem Buch: Die Ansteckung gelang, die Inkubationszeit begann, und kaum tausend Jahre später waren die Auswirkungen gravierend.
Wir haben es also mit einer Waffe zu tun, die sehr lange braucht, um zu wirken. Die folgende Szene soll die Wirkung verdeutlichen. Sie spielte sich in ähnlicher Weise millionenmal auf Dutzenden von Welten ab:
In der Mitte des Schlafzimmers stand ein großzügig ausgelegtes Doppelbett, bezogen mit Samt. Es war früher Morgen, und die Jalousien öffneten sich leise, als die Sensoren genug Tageslicht registrierten. An der Tür standen zwei livrierte Breitnasen-Kragenaffen. Aus den Deckenbergen im Bett ragten ein behaartes Bein, und am anderen Ende der hoch toupierte Haarschopf einer Frau. Das Paar, das sich eben anschickte, zu erwachen, war in den Sechzigern, aber die Medizin hatte so große Fortschritte gemacht, dass sie keine Alterserscheinungen aufwiesen.
Das Bett begann, sanft zu vibrieren. Zeit, aufzustehen! Das Fenster gab den Blick auf einen schönen Blumengarten frei. „Guten Morgen,“ murmelte der Mann.
Die Frau schlug die Augen auf. Ein BreK trat zum Bett, und sagte: „Guten Morgen, euer Gnaden! Was darf ich Ihnen zum Frühstück bringen?“
„Nicht jetzt, es ist noch zu früh. Wartet noch!“
„Sehr wohl.“
Im Umkreis gab es viele Häuser wie dieses. Die meisten standen leer. Die wenigen Menschen, die hier noch lebten, hielten sich zahlreiche Diener. Die militärische Technik war so weit fortgeschritten, dass die nahe Garnison auch mit einer Handvoll Soldaten ihre Aufgabe erfüllen konnte, und zahlreiches BreK-Personal erledigte die nichtmilitärischen Aufgaben. Soeben hatten allerdings letztere die ersteren überwältigt.
Ein junger BreK stürzte ins Schlafzimmer und flüsterte dem Kammerdiener etwas ins Ohr. Dieser wandte sich zum Bett, und sagte laut: „Wir übernehmen jetzt das Haus. Sie dürfen so viele persönliche Sachen mitnehmen, wie Sie tragen können. Aber in einer Stunde sind Sie bitte weg.“
Der Mann sprang auf, und rief: „Unverschämter Kerl, du bist wohl verrückt geworden!“
Die Frau rieb sich die Augen. Er Mann wollte den Kammerdiener am Kragen fassen. Das veranlasste den jungen BreK, ihn zu erschießen.
In Summe gab es bei der Machtübernahme aber sehr wenige Todesopfer.
Weitere tausend Jahre später waren die Menschen in allen Welten, die sie einst beherrscht hatten, nur mehr eine marginalisierte Minderheit, die in wenigen Berufen (etwa Leibwächter und Bauarbeiter) ihre Nische fand. Sie waren die Aborigines des neuen Zeitalters, die die Gesellschaften, in denen sie leben mussten, nicht mehr verstanden. Ihre Heimatwelten fügten sich nahtlos in die Föderation der BreK ein. Zu den Resten der Traditionen, die sie sich bewahrten, gehörte auch ein gewisses Buch...
Und ebendieses Buch aus T.s Feder war die Superwaffe: Es hatte die Menschen gelehrt, ihr Glück zu finden, doch leider auf eine Weise, die ihre Gemeinschaften ruinierte. Es hatte lange gedauert, doch keine Bombe und kein Krankheitserreger hätte das vermocht: Am Ende der Menschheit stand kein Massensterben wie bei den Dinosauriern, nur Mutlosigkeit und Schwäche.
In den letzten Tagen des Homo Sapiens waren T.s Reste längst zu Staub zerfallen, aber die Auswirkungen seines Werkes lebten noch immer. Es ist seltsam, dass unsere Taten wie Geister noch lange Zeit durch die Welt wandeln können, wenn wir die Bühne längst verlassen haben...