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Twiggy

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10.09.2016
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Twiggy

Ich zählte die Scheine und Münzen durch, notierte alles auf einem Abreißzettel und legte ihn mit dem Stift zusammen in Mos blaue Eisenkassette. Er hatte mir den Ersatzschlüssel anvertraut, trotzdem wollte er, dass ich bei allem haargenau arbeitete.

Ich schloss den Laden ab, schaute aufs Handy und sah, dass sie mir eine SMS geschickt hatte, ja, eine SMS. Sie schrieb, dass sie Twiggy sei – ich kannte sie von der Schule – und dass sie die Nummer von Björn hätte. Ob wir uns treffen könnten. Es ginge um einen Gefallen. 


Für mich war Twiggy bis dahin das Mädchen mit den verrückten Klamotten. Ich erinnerte mich, dass sie einmal komplett in Gelb in die Schule gekommen war. Viele mochten sie, vor allem Jungs. Nicht wie Daniela oder solche Mädchen, mehr wie einen Kumpel. Twiggy hing ständig mit irgendwem herum. Ein oder zwei Mal hatten wir auch miteinander gesprochen, aber irgendetwas in mir hatte sie übersehen wollen. Mit den Partyleuten hatte ich ohnehin nicht viel zu tun. Ich glaube auch nicht, dass sie mich mochten; ich sie jedenfalls nicht übermäßig. Trotzdem wusste ich, dass diese Leute total auf Twiggy abfuhren. Ein oder zwei Mal hatte ich Herzen gesehen, mit ihrem und anderen Namen darin, auf die Toilettentür oder einen Tisch geschmiert.
Ein zweites Mal las ich mir die Nachricht durch. Plötzlich war ich ziemlich aufgeregt.

Ich beschloss, die Antwort aufzuschieben und lief nach Hause. Der Bezirk war etwas, dass ich meine Heimat nannte. Diese brütende Stimmung, die über allem lag. Etwas entwickelte sich hier, aber das kam nie zum Vorschein, und wenn ich ehrlich war, wusste ich, dass das bis in alle Zeiten so bleiben würde. Es gab kleine Nähereien, einen China-Imbiss, ein Schuhgeschäft für Kunden mit etwas mehr, aber nicht zu viel Geld, einen Dönerladen, bei dem es nicht schmeckte und einen Laden, der Blumen verkaufte und alte Sachen; aber wie bezahlte der seine Miete?
Meine Heimat war ein Ort, der augenblicklich die Frage aufwarf, was sich außerhalb davon befand.

Ich hatte Twiggys Nachricht nicht ausgeblendet. Es war wie ein Geschenk, dass man später auspackt, um länger etwas von der Überraschung zu haben. Wahrscheinlich machten nur manche Leute das so, wie es auch einige gibt, die immer zuerst den Kartoffelbrei und hinterher das Würstchen essen. Warum das überhaupt eine Überraschung war? Weil ich mit jemandem wie Twiggy abgehangen hätte, wenn ich nicht geglaubt hätte, dass diese Leute alle nichts für mich wären, und daran änderte sich auch gar nichts, aber allein, dass sie meine Nummer hatte, gab mir die Hoffnung, dass der Gefallen, von dem sie sprach, etwas mit mir zu tun hatte. Sie konnte mich ja schlecht nach Magic-Karten fragen; ich kannte kein Mädchen das Magic spielte. Und sonst gab es nichts. Wir hatten keine gemeinsamen Freunde. Wir hatten überhaupt nichts gemeinsam.


Im Abi-Buch schlug ich ihre Seite auf. Da hatte sie ein drittes Auge auf der Stirn und ihr Gesicht war grün angemalt. Hermann Hesses Steppenwolf und Haruki Murakamis Wilde Schafsjagd waren ihre Lieblingsbücher. Hesse kannte ich und konnte nichts damit anfangen. Twiggys Seite war eine einzige Auflistung von Insider-Jokes, die ich nicht begriff und die nicht klangen, als wollten sie von mir begriffen werden. Twiggy war jemand Besonderes, sonst hätte sie geschrieben, was alle schrieben, und sonst hätte sie nicht so verrückt und so schön und gleichzeitig wie ein Junge ausgesehen. 


Abends war die Zeit, in der ich mich allein fühlte. Egal ob jemand zu Hause war. Es gab keine Freunde, selbst meinen Bruder mochte ich nicht, dabei sagt man anderes von Zwillingen. Ich versuchte mich abzulenken, einfach in den nächsten Tag zu schlafen. Dabei half mir der Kassettenrekorder meiner Mutter. Ich hatte ein paar alte Aufnahmen mit Kinderliedern. Solche für Geburtstage und andere, um sich die Jahreszeiten zu merken, das Alphabet oder die Zahlen. Die Kassetten trösteten mich, inwiefern auch immer.
Das Handy lag neben meinem Kopf und jetzt schlug das Herz. Was für ein Gefallen?
„Klar, können wir uns treffen“, schrieb ich.

Ich wollte mir vorher noch einen Hotdog im Einkaufszentrum kaufen. Dort hatten wir uns verabredet, in einer Stunde. Frische Hotdogs waren mein Lieblingsgericht. Es war immer clever, einen Euro auf diese Weise zu investieren. Einen Hotdog für einen Euro. Vielleicht unterstützte die Einkaufspassage den Laden. Die Teile schmeckten jedenfalls. Aber es wurde nichts daraus. Twiggy stand bereits vor der Passage. Sie trug einen braunen Trenchcoat, wie ein Detektiv, und roten Lippenstift.
Sie umarmte mich und ich erschrak, weil es nicht oft vorkam, dass mich ein Mädchen umarmte.
»Wollen wir zur Kirche laufen?«, fragte sie.
Ich nickte. Das alles machte mich nervös. Vielleicht, weil ich sie nett fand oder weil ich das Gefühl hatte, dass wir uns bereits lange kannten, und ich mich fragte, warum ich die letzten Jahre meines Lebens mit Magic-Karten und Hotdogs verschwendet hatte und nicht mit jemandem wie ihr. Das klingt merkwürdig. Ich hatte sie ja gerade erst getroffen. Genau das aber verstärkte mein Gefühl. Wie konnte mich jemand, ohne etwas Besonderes gesagt oder gemacht zu haben, derart in Frage stellen, mich so klein und gleichzeitig groß fühlen lassen? Vielleicht lag es an mir und ich war in diesem Moment eben bereit für Veränderungen. Nur wieso war mir nicht klar.

Twiggy schlug vor, zur Kirche zu gehen, lief aber in die andere Richtung; Ich fragte nicht nach, es viel mir gar nicht ein, danach zu fragen.
»Wir gehen doch erst mal zur Schule«, erklärte Twiggy.
»Okay«, sagte ich. »Ich hab Zeit. Was ist das für ein Gefallen, von dem du geschrieben hast?«
»Das erzähle ich dir dann. Ich hab so Lust, mir die Schule anzusehen.«
»Okay.«
Ich bekam das Gefühl mit einem Kind oder einer Irren zu sprechen; mit dem Unterschied, dass es mir nicht auf die Nerven ging, sondern mich selbst dazu brachte, etwas Kindliches oder Irres in mir hervorzuholen, nur um zu sehen, wie Twiggy darauf reagierte.
»Ich mag, dass du nicht auf die Ritzen trittst«, sagte sie.
»Danke.«
Wir kamen zur alten Schule. Das Tor war verschlossen und Twiggy presste ihr Gesicht gegen die Gitterstäbe.
»Ganz schön toter Ort, oder?«
Ich nickte. »Habe ich nie gemocht.«
»Mit wem hast du eigentlich immer die Pausen verbracht?«
»Mit niemandem«, sagte ich. »Ich glaube, ich war nicht so der beliebte Typ.«
»Das wundert mich schon«, sagte sie.

Wir machten einen Schlenker, kamen am Schülercafé vorbei, einer kleinen italienischen Bäckerei, die Kaffee, süße Teilchen und Pizzastücke verkaufte.
»Heute ist Sonntag«, murmelte Twiggy.
»Ja.«
»Hast du Lust was zu essen?«, fragte sie.
»Nicht unbedingt. Aber wenn du Lust hast.«
»Du bist komisch.«
»Ja, so bin ich«, sagte ich. »Komische Leute sind die besten.«
»Ich hab eine Idee.« Sie stellte sich vor mich hin, schlug die Hände in die Taschen ihres Trenchcoats und verschloss ihn, sodass sie aussah wie ein breiter Baumstamm, aus dem ein Kopf mit blondem Vogelnest und einem weißen Gesicht mit rosa Wangen und roten Lippen ragte. Ich gab mir Mühe, sie nicht anzustarren.
»Wir könnten so tun, als wäre das ein Date«, sagte sie.
Meine Augen weiteten sich und gleichsam bewegte ich den Rest meines Gesichts in einer Weise, dass es aussehen musste, als wäre ich über den Vorschlag 'positiv überrascht'. Ich war froh, so professionell reagieren zu können, während in mir drin feste Organe wie Eiswürfel zerschmolzen. Meine Lippen formten eine Frage, die sich schon beim Aussprechen peinlich anfühlte und im Grunde nicht einmal echt war, nur ein So-tun-als-ob, um mich interessant zu machen, weil ich gerade in diesem Moment glaubte, Twiggys Tick verstanden zu haben.
»Aber was macht man bei einem Date so?«

»Zu einem Date gehört, dass man Eis essen geht.«
»Aber es ist Herbst.«
»Das macht nichts. Denn es ist ein Date.«
»Okay«, sagte ich. »Wo kriegen wir Eis her?«
»Vom Kino«, sagte sie.
»Aber müssen wir dann nicht auch noch einen Film schauen?«
Twiggy schüttelte den Kopf. »Das passiert nur bei jedem dritten Date.«
»Stimmt«, sagte ich und grinste kein bisschen, auch wenn die zerschmolzenen Organe in mir allesamt grinsten.
Twiggy balancierte auf den kniehohen Mauern der Grundstückgärten. Sie trug braune, spitz zulaufende Schuhe mit goldenen, abgewetzten Schnallen. Aus diesem Jahrhundert stammten die sicher nicht. Ich lief lässig neben ihr. Was konnte ich Ausgefallenes tun?

Das Kinoeis war teuer und wir beschlossen, Nachos zu nehmen. Die waren genauso teuer, aber mit flüssigem Käse und Jalapeños. Wir setzten uns hinter einen Iron-Man-Pappaufsteller, sodass der Typ beim Popcorn uns nicht sah. Twiggy nahm einen Nacho, tunkte ihn in den dampfenden, flüssigen Käse. Sie sah, dass ich es sah, also nahm sie den Nacho und fing an ein Flugzeuggeräusch zu imitieren. Der Nacho wurde zu einem gelben Segler mit geschwungenen Flügeln und hellgelbem Maschinenöl. Er flog ein Manöver, steuerte auf Twiggys geschlossene Lippen zu, entschied sich anders und flog in mehreren Pirouetten darüber hinweg, landete fast in ihren Haaren, kehrte auf der Stelle in den Sturzflug, raste von dort auf mich zu. Ich öffnete den Mund und der Flieger landete mit seiner Käsespitze darin.

»Hast du den neuen Alice im Wunderland gesehen«, fragte ich.
»Er ist von Tim Burton, aber trotzdem Schrott, glaube ich«, sagte sie. »Warum fragst du?«
»Vielleicht ist es eins von diesen dritten Dates ...«
»Sesam. Es gibt nichts Unromantischeres als eine schlechte Verfilmung von Alice im Wunderland. Vielleicht können wir Shutter Island schauen. Der ist von Scorcese, das Buch von Dennis Lehane. Scorcese nimmt sich Zeit fürs Erzählen. Mein Vater sagt, er wäre besser als Autor.«
»Du kennst dich mit Filmen aus, oder?«
»Bücher mag ich lieber«, sagte Twiggy. »Filme sind was für Leute, die nicht lesen können.«
»Ho, ho«, sagte ich. »Ganz schön arrogant.«
»Nein, so mein ich das nicht. Aber wenn wir ihn anschauen wollen, sollten wir jetzt gehen.«
Twiggy nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. Alle Filme liefen bereits und Kartenabreißer waren nicht zu sehen. Wir öffneten eine Tür und landeten bei Alice im Wunderland.

Als wir aus dem Kino kamen, war es dunkler geworden, aber nicht eben kalt.
»Was machen wir jetzt«, fragte sie.
Ich zuckte die Achseln.
»Komm schon, Sesam. Du bist dran mit Aussuchen.«
»Na gut«, sagte ich. »Wir ... lass uns zum Italiener gehen.«
»Sesam.«
»Was denn?«, fragte ich schnell.
»Du bist ja ein Experte in Dates.« Sie lachte. »Also zum Italiener können wir nicht gehen. Ich hab nicht so viel Geld und falls du jetzt denkst, dass du mich einladen könntest, vergiss es! So ein Date ist das nicht, was wir gerade haben.«
»Klar«, sagte ich. »Ich kenn' einen Spätkauf, wo wir Nudeln und passierte Tomaten bekommen.«
»Klingt schon besser«, sagte sie.

Twiggy war kein bisschen mager. Sie war auch nicht dick oder mopsig oder wie auch immer. Ich kannte keinen Begriff dafür, aber sie gefiel mir. Ich war mir nicht sicher, aber vermutete, dass sie mich im Armdrücken besiegen würde.
Ali, den Stammkunden Al nannten, machte große Augen, als er mich mit Twiggy in den Laden kommen sah. Ich glaube, wir mochten uns. Bei ihm kaufte ich Zigaretten oder Pepsi für Mo, wir hatten ein paar Mal miteinander gequatscht, aber ich denke, er wusste, dass ich nicht gerne viel redete. Er zwinkerte mir zu, während Twiggy verschiedene Sorten von Fischkonserven begutachtete, ich schaute ernst und schüttelte den Kopf.
Mit einer Packung Spaghetti und einer Dose gewürzter Tomatensoße verließen wir den Laden. Ich zahlte die Spaghetti und Twiggy die Tomatensoße. »Lass uns jetzt zur Kirche gehen«, sagte sie, und dann machten wir es beinahe wirklich.

»Nur noch einen Schlenker«, sagte Twiggy.
»Kommen wir heute noch zur Kirche?«, fragte ich. »Warum wollen wir eigentlich zur Kirche?«
»Unser Date ist jetzt übrigens wieder vorbei«, sagte Twiggy. »Hast du gut gemacht. Hundert Punkte.«
»Dankeschön«, sagte ich. Etwas kroch mir vom Hals in die Brust und kletterte zwischen den Rippen, bis es noch einmal Anlauf nahm und den Magen herunterrutschte. Es tat mir körperlich weh, dass unser Date zu Ende sein sollte.
»Willst du keinen Hauptgewinn?«, fragte Twiggy ungeduldig.
»Doch«, sagte ich. »Ich will den Hauptgewinn.«
Twiggy krempelte den Ärmel ihres Trenchcoats hoch. Da sah ich die Spuren der Rasierklingen das erste Mal.
»Das ist aus meiner Emo-Phase«, sagte sie. »Ich hab damals nur schwarzen Nagellack getragen, schwarzen Lippenstift und natürlich schwarze Klamotten.«
»Wegen einer Emo-Phase?«, fragte ich. Ich wollte sie in den Arm nehmen, aber ich ahnte, dass das nicht ihr Ding war.
»Ja. Das ist das erste Geheimnis. Hauptgewinn Nummer Eins.«
»Und Nummer zwei gibt es jetzt«, sagte ich.
»Sesam?«
»Ja?«
»Sehr gut.«

Ein einziges Mal habe ich jemandem die Geschichte von Twiggy erzählt, und zwar meinem Bruder. Als ich dazu kam, wie Twiggy auf ihren Dielen saß und Animal Collective hörte, fragte er nach, er wollte alles darüber wissen. Ich meinte: »Das geht dich nichts an.« Ich glaube, dass ich da bereits spürte, wie jedes Geheimnis, dadurch dass man es verrät, an Kraft und Magie einbüßt.
Auf unserem Umweg zur Kirche erzählte Twiggy mir das Geheimnis in aller Ausführlichkeit. Ich habe es am selben Abend aufgeschrieben und danach immer wieder, bis ich das Gefühl hatte, es aus ihren Augen sehen und fühlen zu können. Hier ist es:

Josh hatte braune, wuschelige Haare. Ich glaube, dass ich das erste Mädchen war, mit dem er jemals was hatte. Josh war so schüchtern. Wir saßen uns gegenüber, in der Wohnung seiner Eltern in Peterborough, auf dem Boden in seinem Zimmer, in dem eine Rakete hing, auf der ein Plastiksoldat stand oder geklebt war. Hätte ich Cedric und Josh nicht gehabt. In Peterborough gibt es ein Schiffshebewerk. Von Grill hatten sie Gras und Pilze. Cedric und seine Schwester haben nur kanadischen Goa gehört und Joshs Lieblingsband war Animal Collective. Seinen Eltern war sowieso alles egal. Das war mein Glück, sonst hätte ich sicher nicht jeden Tag bei ihm sein können. Heute hausen sie wie Junkies in der Wohnung von Cedrics Oma. Manchmal sehe ich ein Bild auf Facebook, auf dem Josh einen Hund in die Kamera hält. Er sitzt auf einem schimmligen Sofa in einer ausgeräumten Wohnung. Ich glaube, sie haben das falsche Zeug genommen.

Josh hat mir gezeigt, wie man in seinen Gefühlen schwimmt. Es ist einfach. Jeder kann es hinkriegen. Bei sich zu Hause. Alles, was man tun muss, ist, sich ein Handy zu besorgen und Kopfhörer. Dann macht man einen Song von Animal Collective an, das ganze Feels-Album ist einfach gut. Man schließt die Augen. Wenn man da sitzt, ist es wichtig, leichte Bewegungen mit dem Kopf zu machen. Am besten die Haare fallen ins Gesicht. Man nickt so lange zum Takt, bis man es automatisch tut. Dann kann man nicht mehr aufhören. Manche malen sich vorher roten Lippenstift auf und denken an eine Person, in die sie unglücklich verliebt sind. Drogen beschleunigen den Prozess. Es ist ratsam, sie einzunehmen; aber wenn man nichts hat, kann man nichts machen. Sich Zeit zu nehmen ist wichtig. Eine Stunde oder zwei. Wenn man einmal gelernt hat, in seinen Gefühlen zu schwimmen, dann kann man es nie wieder vergessen. Es gibt nichts Besseres. Von Zeit zu Zeit sollte man dankbar sein, dass Gott die Musik geschaffen hat.


Den restlichen Umweg zur Kirche schwiegen wir. Erst als wir ankamen, schien es wieder an der Zeit, zu reden.
»Björn hat erzählt, dass du tickst«, sagte Twiggy.
»Was bitte?«, fragte ich und spürte, wie mir Blut in die Wangen stieg.
»Er meinte, du hättest ihm auf dem Skateplatz Koks oder sowas verkauft. Ich wollte fragen, ob du mir auch was verkaufen kannst. Ich möchte das mal ausprobieren. Es kann auch nur eine kleine Menge sein. Und ich wollte dich fragen, was das so kosten würde. Also im Dreh. Ich hab jetzt nicht super viel, aber vielleicht so zwanzig Euro? Meinst du, das würde passen? Falls nicht, ist das auch nicht schlimm. Ich dachte nur, ich frag dich lieber mal persönlich.«
»Stopp«, sagte ich. »Ja, es stimmt. Ich habe das gemacht. Aber …«
»Okay. Wie viel kostet es?«
»Jetzt halt mal die Luft an. Ich hab es gefunden. Ich wollte ihn eigentlich nur fragen, was ich jetzt damit machen soll. Er wollte es mir abkaufen, er hat mir zehn Euro und dann fünfzig angeboten. Vielleicht hätte ich es besser liegen gelassen.«
Twiggy schaute enttäuscht. Dann zuckte sie die Schultern und ließ die Beine baumeln. Das war auf der niedrigen Mauer vor der Kirche.
»Ich könnte aber irgendwo etwas besorgen«, sagte ich.
Twiggy schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das war eine bescheuerte Idee. Egal.«
Eine Zeit lang saßen wir nur so da. Twiggy roch nach Parfüm. Etwas mit Blumen. Ich suchte Worte, wollte verhindern, dass sie geht.
»Ich hatte im Übrigen Lust, dich kennenzulernen«, sagte sie, ohne mich anzusehen.
»Mich? Warum?«
»Ich weiß nicht. Du wirkst nett. Außerdem habe ich das merkwürdige Gefühl, etwas verpasst zu haben, weil wir uns in der Schule nie wirklich über den Weg gelaufen sind.«

Schluss. An dieser Stelle wurde mir übel. Es war die Aufregung und natürlich jene Art spontaner Verliebtheit, wie sie manchmal auftritt. Diese Drogennummer klingt, wie an den Haaren herbeigezogen. Das weiß ich. Es war aber genau so, wie ich es beschrieben habe. Ich habe den Beutel im Gebüsch gefunden, als ich pinkeln war, und dachte, wow, das ist bestimmt was wert. Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht, was es bedeutet, Björn diesen Scheiß zu verkaufen.
»Warum heißt du eigentlich Twiggy«, fragte ich.
»Ich heiß eigentlich Martha, aber nenn mich bitte nicht so.«
»Wieso?«
»Weil ich Twiggy bin.«
»Aber gab ’s die nicht schon mal irgendwann?«
»Hm«, sagte Twiggy und schaute geradeaus, als hätte ich etwas Falsches gesagt.
»Kennst du eigentlich Magic?«, fragte ich.
»Nein.«
»Es ist das beste Spiel, das es gibt. Wizards of the Coast, falls dir das was sagt.«
»Nee. Sagt mir gar nichts«, sagte sie.
»Es läuft ungefähr so. Du sammelst Karten und dann triffst du dich mit anderen und trittst gegen sie an. Aber es sind die Karten. Sie sehen einfach schön aus.«
»Echt?«, fragte Twiggy.
»Ja, wirklich. Meine Lieblingskarte ist der Scion of Darkness. Eine ziemlich coole Karte.«
»Was ist denn so besonders daran?«
»Er kann tote Kreaturen wiederbeleben.«
»Oh, das klingt wirklich cool.«
»Außerdem mag ich, dass er so böse ist. Er ist im Grunde schlimmer als Satan. Also ungefähr …«, sagte ich.
Twiggy lachte und ich bekam ein gutes Gefühl, weil ich vielleicht etwas richtig gemacht hatte.

Es war merkwürdig. Während ich Twiggy vom Scion of Darkness erzählte, merkte ich selbst, wie bescheuert das klingen musste. Ich war kein kleiner Junge mehr und trotzdem erzählte ich ihr diesen ganzen Kram. Sie meinte daraufhin, dass sie sich ein paar Mal zu Hause mit Vodka besoffen hatte, nur weil ihr langweilig war. »Das ist doch irgendwie etwas ähnliches«, sagte sie. Ich stimmte ihr zu, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wovon sie eigentlich redete, und etwas gab mir zu verstehen, dass ich ihr nicht gewachsen war.
»Tut mir leid, dass ich mir deine Nummer besorgt hab«, meinte sie irgendwann.
Ich wollte ihr sagen, dass ich mich darüber freute, aber stattdessen nickte ich nur, wie zu allem.
»Ich kann sie ja einfach löschen.«
»Ja«, sagte ich.
»Also, dann geh ich jetzt auch.«
»Okay«, sagte ich. »Wollen mir mal auf ein Konzert gehen, oder sowas?«
»Ja, können wir machen.«

Twiggy wäre nicht Twiggy gewesen, wenn sie mich einfach so hätte gehen lassen. Schnell wurde klar, dass wir noch in die Kirche mussten und damit unser zweites Date begonnen hatte.
»Wenn alles gut läuft«, sagte sie, »dann heiraten wir einfach, okay?«
»Wenn du magst«, sagte ich und wünschte, ich hätte nur ein Mal die passenden Worte gehabt. Twiggy hüpfte von der Mauer und landete in der Hocke. Ich tat es ihr nach, versuchte im Stehen und ganz mühelos aufzukommen. Ich hoffte, dass sie noch einmal unvermittelt nach meiner Hand greifen würde. Durfte ich ihre einfach nehmen? Auf keinen Fall. Twiggys kühle, glatte Finger berührten meine Hand. Die Kirche war noch geöffnet und als wir sie betraten, hatte ich das Gefühl, dass sie allein Twiggy und mir gehörte.

Ich wusste, wie man Weihwasser benutzt. Man hält den Zeigefinger hinein und dann macht man sich ein Kreuz auf die Stirn. Twiggy tat das nicht. Sie stand im Chorraum und schaute staunend zum Altar. Eigentlich hatte ich mir die Kirche größer vorgestellt. Ich war noch nie hier gewesen. Einmal im Jahr, zu Weihnachten, ging ich mit meinen Eltern zum Gottesdienst. Warum wir das machten, wussten wir alle nicht so richtig. Mir aber gefiel es. Doch das war in einer anderen Kirche. Diese hier mochte ich weniger. Der Jesus sah schäbig aus. Nicht auf die Weise, dass es einen Sinn ergab, mehr verwahrlost, als kümmerte sich niemand um ihn. Die Schnitzerei war grob und unstimmig; er schien sogar leicht schief zu hängen. Die Fenstergläser erzählten keine Geschichten. Das einzig Kirchliche an diesem Ort war die Höhe des Raumes, die Anordnung der Sitzreihen zum Altar hin und der Weihrauchgeruch.

Twiggy hatte sich neben einem Tisch mit Kerzen auf den Boden gesetzt. Ich las: Eine Kerze für einen Euro. Darüber dachte ich gar nicht erst nach. Irgendwo musste es einen Luftzug geben, weil sich die Flammen der Kerzen zur Seite bogen. Ich setzte mich zu Twiggy. Im Schneidersitz, wie sie es tat.
»Zeit für eine Beichte«, sagte sie.
»Ich glaube, das ist eine evangelische Kirche.«
Twiggy legte den Kopf schräg.
»Eine Beichte«, sagte sie.
»Okay.«
Twiggy schaute mich eine Weile schmunzelnd an, bis ich begriff, dass ich beichten sollte.
Ich runzelte die Stirn.
»Ich hab mal jemanden umgebracht.«
Twiggys Augen wurden größer und ihr Lächeln schwand wie Wasser aus einem abgeknickten Gartenschlauch.
»Ein Scherz«, sagte ich.
Twiggy schloss die Augen. »Nicht witzig«, sagte sie. »Oder doch?«
»Ich höre jeden Abend Kinderlieder zum Einschlafen.«
»Wirklich? Aber das ist keine Sünde, Sesam.«
»Ich kann niemanden leiden und bin allein«, sagte ich. Das tat weh. Ich hätte es nicht gesagt, wenn ich gewusst hätte, dass es weh tut, aber es war mir so rausgerutscht.
Twiggy nickte.
»Jetzt bist du dran.«
»Ich habe nichts zu beichten«, sagte Twiggy. »Mein Herz ist rein.«

Ich glaubte ihr kein Wort. Trotzdem sagte ich dazu nichts.
»Meine Eltern haben mir vorgestern ein Foto von den Gebetsmühlen in Tibet geschickt.«
»Deine Eltern sind in Tibet?«
»Sie machen eine Weltreise. Aber ich wollte nicht mit.«
»Was?! Spinnst du?« Twiggys Stimme hallte im Kirchenraum wider.
»Ja, ja. Ich weiß«, sagte ich. Ich wollte nicht, dass Twiggy mich auf diese Weise ansah.
»Du hast wirklich ein Rad ab. Weißt du eigentlich, wie gern ich nach Tibet will?«
»Nein.«
»Gerne«, sagte Twiggy.
»Und was glaubst du, was du dort findest?«
»Erleuchtung. Keine Ahnung, was. Ist doch egal. Tibet! Checkst du es nicht? Das ist am anderen Ende der Welt, okay?« Wieder verteilten sich Twiggys Worte bis hinten zum Altar.
»Nee«, sagte ich. »Das ist eben das Problem. Ich checke es eben nicht.«

Eine Tür öffnete sich und heraus trat ein Mann in einem schwarzen Gewand mit weißem Kragen. Er sah uns an, sein Gesicht war aufgedunsen und alt, er trug eine eckige rahmenlose Brille. Sein Blick verweilte auf Twiggy, dann sah er mich an. Er hielt ein paar Blätter in der Hand; wie er da stand, hätte er uns an dieser Stelle gut etwas vorlesen können. Stattdessen ging er seitlich an den Sitzreihen vorbei zur Orgel, setzte sich hin, legte das Papier auf die Notenablage und begann zu spielen. Ich sah Twiggy an und grinste. Sie grinste gar nicht, schaute gebannt zur Orgel. Ich wunderte mich, dass so wenige Pfeifen einen so schönen Klang erzeugen konnten. Was er da spielte, wusste ich nicht; ob es etwas Kirchliches war. Die Töne waberten durch den Raum. Twiggy schloss die Augen und ich tat es ihr nach.

In der ganzen Zeit, die wir dort in der Kirche saßen, kam kein einziger Besucher. Der Mann mit dem schwammigen Gesicht hatte nicht aufgehört zu spielen und wir waren nicht müde geworden, ihm zuzuhören. Der Steinboden war zu kalt, um darauf sitzen zu bleiben, also hockten wir so da.
Mit einem langen Schlussakkord endete ein weiteres Stück. Der Mann drehte seinen Kopf zu uns, als hätte er lange darüber nachgedacht, wie er es tun würde.
»Das war Brahms«, sagte er. »Kennt ihr das?«
Es war irritierend, dass der Mann aussah und sprach, als wäre er ein Kotzbrocken, uns aber gleichzeitig als die privaten Gäste seines kleinen Konzertes behandelte, die wir ja auch waren.
»Es heißt 'Herzlich tut mich verlangen'«, sagte er.
»Kennen Sie Animal Collective?«, fragte Twiggy.

Ich hätte mich nicht sehr gewundert, wenn Rainer mit uns den Messwein getrunken hätte, aber dazu kam es nicht. Er erzählte uns, dass er Pfarrer in dieser Gemeinde sei und Organist. Es kämen kaum junge Leute her, das wundere ihn. Er bat uns, zu erzählen, was junge Leute heute so machten. Ich hatte das Gefühl, dass er sehr gut selbst eine Antwort auf diese Frage kannte, aber wir in diesem Moment so etwas wie die Repräsentanten der Jugendlichen im Allgemeinen darstellen sollten. Wir gaben Rainer befriedigende Antworten, denke ich. Dass wir nicht wüssten, was wir wollten; dass wir viele Dinge ausprobierten und offen seien. Er sagte, dass wir ihn duzen könnten.
»Würdest du uns verloben, Rainer?«, fragte Twiggy.
Rainer schmunzelte und antwortete wohl besser nichts darauf.

»Ich kauf uns Pizza«, sagte ich. Es war nun endgültig dunkel geworden und ich wünschte mir, mit Twiggy an einem hellen, warmen Ort zu sein.
»Wir haben doch schon was«, meinte Twiggy. Die Dosentomaten zeichneten sich eckig unter der Seitentasche ihres Trenchcoats ab.
»Ist mir egal«, sagte ich. »Ich habe Lust auf Pizza.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm ich mein Handy und suchte die Nummer von Pizza Jones heraus; das war ein schmutziger Laden mit billiger Pizza und Mos und mein Favorit.
»Artischocke«, sagte Twiggy.
»Hallo, Sesam hier«, sprach ich ins Telefon auf Verdacht, Twiggy könnte es witzig finden. »Zweimal Artischocke, bitte.« »Brabanter Platz fünf.« »Danke.«
»Okay«, sagte ich zu Twiggy. »Wenn wir uns beeilen, erwischen wir ihn an der Tür.«

Ich kannte den Pizzaboten, aber so verschwitzt hatte ich ihn noch nie gesehen. Er kam auf die Sekunde zeitgleich mit uns an.
»Die Pizzas sind verrutscht«, murmelte er.
Ich nahm die Pappkartons mit dem lächelnden Koch entgegen und öffnete sie vorsichtig.
»Was schlägst du vor?«, fragte ich.
»Ihr könntet sie so nehmen und den Käse verteilen«, sagte er.
»Ohne zu bezahlen?«
»Nein. Natürlich nicht.«
Twiggy stand daneben und der Pizzabote und ich uns gegenüber. Ich hatte das Gefühl, dass das meine Angelegenheit war. Während ich mit ihm sprach, fühlte ich etwas, dass sich ungefähr so beschreiben lässt: Du hast eigentlich keine Ahnung von dem, was im Leben des Menschen, mit dem du gerade verhandelst, vorgeht. Du bist nicht in der Position zu sagen: Das sind Pizzen, die meine verdienten zwanzig Euro plus Trinkgeld nicht wert sind; der Job im Kartenladen wurde dir geschenkt, wie alles andere auch in deinem Leben. Deine Eltern haben dich nach Nepal eingeladen. Sie haben das Geld, so etwas zu tun. Du siehst, dass der Pizzabote das denkt, das ist deine Rolle, du bist das Arschloch. So lange du bei deinen Eltern wohnst, so lange du Essen aus ihrem Kühlschrank und Geld aus ihrem Portmonee nimmst, wenn deines nicht reicht, so lange hast du kein Recht, eine Pizza zu beanstanden, die aussieht, als hätte jemand damit Frisbee gespielt. Aber genau das wollte ich tun. Ich wollte das Arschloch sein.
»Entweder wir bezahlen die Hälfte oder du nimmst die Pizzen wieder mit«, sagte ich.
Und so geschah es.

Ich hielt die warmen Kartons wie Trophäen in der einen Hand und schloss mit der anderen die Tür auf. Twiggy sagte nichts, ich wusste, dass ich mich unbeliebt gemacht hatte. Manchmal hilft es, nicht weiter über so eine Sache zu reden. Wenn man eine Entscheidung bewusst trifft, dann kann sie einem weh, aber niemals leid tun. Ich legte die Kartons auf den Küchentisch und zeigte Twiggy mein Zimmer. Die Stimmung war schlecht, vielleicht lag es auch am Hunger.
»Ich mag es«, sagte Twiggy. »Und das Hochbett«
»Danke«, sagte ich. »Ist das eigentlich noch unser Date?«
Twiggy schüttelte den Kopf.

Ich zeigte ihr noch die anderen Räume, während ich wünschte, meine zwanzig Euro einfach beim Pizzaboten gelassen zu haben. Das Zimmer meiner Eltern roch wie immer nach abgestandener Luft. Ich fand es nicht komisch, es Twiggy zu zeigen. Sowieso fühlten sich die letzten zwanzig Minuten wie das Planspiel unserer von Rainer nicht besiegelten unglücklichen Ehe an.
»Wow, es gibt zwei von dir?«, fragte sie, zeigte auf ein Foto mit meinen Eltern, mir und meinem Bruder.
»Ja«, sagte ich. »Er ist auf das Goethe gegangen.«
»Wirklich?«
»Normalerweise mögen Zwillinge sich, aber er ist mir fremd.«

Als nächstes zeigte ich Twiggy die Speisekammer und den Ort zwischen den Jacketts und Mänteln, an dem ich mich als kleiner Junge manchmal versteckt hatte. Ich spürte, dass ich sie trotz Hunger und allem wiedergewann.
»Deine Eltern haben Geld, oder?«, fragte sie.
»Es geht«, sagte ich und fühlte mich stolz und dann wieder wie ein Arschloch. »Ich will niemals so viel haben. Man kauft nur unnütze Dinge.«
»Das stimmt nicht«, sagte Twiggy. »Wenn ich Geld hätte, würde ich ganz viel Nützliches kaufen.«
»Na gut«, sagte ich. »Wollen wir Pizza essen?«
»Du sagst das nur, weil du nicht weißt, wie das ist, kein Geld zu haben.«
»Ja«, sagte ich.
»Okay, lass uns Pizza essen.«


Die Pizzen waren lauwarm. Wir setzten uns auf die Couch, Twiggy schien von den Büchern meiner Eltern beeindruckt zu sein. Ich schaltete den Fernseher ein, um nicht reden zu müssen. Twiggy setzte sich auf die andere Seite des Sofas; nicht weit genug, um behaupten zu können, dass sie sich von mir distanzierte, aber bei weitem nicht so nah, um es als Annäherung zu interpretieren. Wenn das der emotionale Abstand war, der sich gerade zwischen uns befand, dann betrug er ungefähr anderthalb Meter. Ich zappte die Kanäle durch, schaute nach vorne, aber konzentrierte mich auf das seitliche Blickfeld. Twiggy hatte die Beine angezogen und sich das erste Stück Pizza genommen. Meine Nachdenklichkeit und Aufmerksamkeit Twiggy gegenüber wich einem starken Hungergefühl. Liebe geht nicht durch den Magen, es ist umgekehrt.


»Ich schaue normalerweise kein Fernsehen«, sagte ich.
Twiggy sah mich an und dann wieder zum Fernseher.
Diesmal war es wirklich spannend. Weil ein Andreas Tölzer, den keiner von uns kannte, als Judokämpfer nach Tokio geschickt worden war, übertrugen sie die Weltmeisterschaft. Ich hätte nie gedacht, dass mich Judo interessieren könnte. Es war mir immer wie die harmlose Version von Karate vorgekommen, dabei kannte ich keines von beidem wirklich. Ich mochte, dass sie alle in Bademänteln kämpften. Ihre Bewegungen waren stark und gerade. Als würden sie Schnitzel ausklopfen.
»Mein Vater zeichnet Sumos«, meinte Twiggy. »Er ist Künstler.«
»Aber das ist Judo«, sagte ich.
»Ja. Aber er zeichnet Sumos«, sagte sie.

Von Andreas Tölzer war nicht mehr viel die Rede. Stattdessen kämpfte Tachimoto Megumi gegen Sugimoto Mika. Die Emotionen in den Gesichtern der Kämpferinnen fesselten mich; ich hatte das Gefühl, mein Leben wäre ein Witz gegen so viel geballten Ehrgeiz und so viel Leidenschaft. Das Sofa bewegte sich ein bisschen und mir fiel auf, dass sich der emotionale Abstand zwischen Twiggy und mir auf etwa fünfzig Zentimeter verkürzt hatte. Dabei hatte ich mich bislang nur ein bisschen in ihre Richtung bewegt. Tachimoto fiel und Sugimoto umschlang sie, aber es war nur ein Manöver. Im Fallen stellte Tachimoto, Sugimoto ein Bein, fing sie im Flug auf, sodass sie im Schwitzkasten landete. Es war einfach unfassbar.
»Wollen wir was trinken?«, fragte Twiggy.

Wir nahmen uns Bier aus dem Kühlschrank. Mein Vater hatte den Tick, Bier nur aus Dosen zu trinken. Er meinte, es sei frischer. Wir rissen die Dosen auf und Twiggy leerte ihre in einem Zug. Ich sah sie staunend an. Sie grinste, stellte die Dose auf den gläsernen Couchtisch und rülpste wie Homer Simpson. Wahrscheinlich war ihr der Schleichgang, in dem wir uns einander näherten, nun endgültig zu blöd. Sie setzte sich direkt neben mich. Ihr Bein unter einer rostfarbenen Strumpfhose berührte meines. Mit einem Mal schlug mir das Herz durch die Lungen in den Hals und aus meinem Gehirn regneten Endorphine. Ich grinste. Wieder schauten wir in Richtung Fernseher. Für heute kein Judo mehr. Ein Mann mit glänzenden, rot gefärbten Locken erklärte Anrufern ihre Zukunft und Probleme. Ich dachte ungefähr zehn Sekunden darüber nach. Dann legte ich meine Hand auf Twiggys Knie. Dort weilte sie weitere zehn Sekunden, in denen ich fühlen konnte, wie falsch sie dort war; bis Twiggy wortlos ihr Knie anzog, sodass die Hand aufs Sofa rutschte.

Es kam mir nicht wie eine Abweisung vor. Mehr wie ein vorsichtiger Hinweis auf ein Missgeschick. Ich schlug vor, einen Blick auf die Alkohol-Vorräte meiner Eltern zu werfen. Es gab verschiedene Sorten Gin, Brandy und einen besonderen Vodka, ein paar Liköre, die selbstgemacht aussahen und wenig attraktiv. Twiggy zeigte auf den Vodka. Ich holte zwei Gläser, schraubte die Flasche auf und goss die Gläser voll.
»Spinnst du?«, fragte sie.
»Ja«, sagte ich. Ich trank das Glas in einem Zug aus.
Twiggy nippte an ihrem Vodka und stellte ihn auf den Tisch. Ich goss mir Brandy ein.

Der Abend wurde nicht angenehmer, ich nicht weniger betrunken und Twiggy nicht mehr. Trotzdem hatte sich der emotionale Abstand zwischen uns aufgelöst. Ich legte eine Platte von den Rolling Stones auf und schlug Armdrücken vor. Twiggy war einverstanden. Wie ein Profi krempelte sie sich die Ärmel hoch. Ihre Arme waren weder dünn noch dick. Es waren Mädchenarme. Ich konnte nicht genau sagen, woran man das sah. Wieder war es der rechte, mit feinen Narben förmlich übersäte Arm. Das klingt sicher komisch, aber ich fand das kein bisschen hässlich. Ich wollte Twiggy berühren und an mich drücken. Wir waren auf den Teppichboden umgezogen. Twiggy lag auf dem Bauch. Ich griff ihre Hand und drückte, dachte, es würde leichtes Spiel werden. Ich bekam ihren Arm keinen Zentimeter bewegt. Kurz überlegte ich, ob sie einen Trick benutzte. Twiggy grinste und als mein Kopf rot wurde, schlug sie meinen Arm mit einem Dreh auf den Teppich.

Twiggy meinte, dass es spät und sie morgen mit einer Freundin im Museum verabredet sei. »Du kannst gerne mitkommen«, sagte sie, und wahrscheinlich war das für mich der erleichterndste Moment des Abends.
»Ich habe noch etwas für dich«, lallte ich. Wir gingen in mein Zimmer. Aus dem Regal nahm ich mein rotes limited Collectors Album. In der Mitte der ersten Seite, der Auswahl meiner Lieblingskarten, hatte ich einen Scion of Darkness mit der Unterschrift des Illustrators, Mark Zug. Mo hatte ihn mir von einer Messe mitgebracht. Ich nahm eine durchsichtige Hülle, atmete einmal tief durch, und nahm die Karte aus dem Album.
»Hier.« Ich hielt sie Twiggy hin.
»Danke«, sagte Twiggy. Es schien nicht nötig, noch einmal Begeisterung zu zeigen.
Twiggy nahm ihren Trenchcoat von der Garderobe und verabschiedete sich mit einer Umarmung.
Ich wollte heulen, aber wusste nicht genau weshalb und ob es am Alkohol lag.
Damit endete unser vielleicht drittes Date.


Am nächsten Tag rief ich bei Mo im Laden an, um ihm zu erklären, dass ich etwas Wichtiges zu erledigen hätte. Er fragte nicht weiter nach. Twiggys versprochene Freundin kam nicht mit ins Museum und der Tag endete mit meiner ersten Nacht in Twiggys Wohnung. Auf einer Gästematratze in ihrem Zimmer. Am nächsten Abend war ich zum Essen eingeladen. Es gab einen Fisch mit Salzkruste und Twiggys Eltern fragten mich über Dinge aus, über die ich vielleicht noch nie nachgedacht hatte. Es war klar, dass ich noch einmal übernachten würde. An diesem Abend hörten wir meine Kinderkassetten. Twiggy hatte es sich gewünscht und ich hatte nicht nein sagen können. Nach zwei weiteren Tagen gab ich meinen Job bei Mo auf; es gab ein trauriges Treffen. Er verstand nicht, weshalb, und ich konnte ihm nicht sagen, wieso. Wir tranken Pepsi und aßen Pizza. »Ich will jetzt Bücher schreiben«, sagte ich.

Twiggys Eltern waren tagsüber zu Hause. Es schien sie nicht zu stören, dass ich quasi über Nacht eingezogen war. Ich kümmerte mich um das Essen oder gab dem Hauskaninchen, James, frisches Heu und Möhren. Er war nicht ganz stubenrein; dafür war ich dankbar. So konnte ich mich durch ihn nützlich machen. Twiggy und ich redeten nicht viel. Da war eine stille Vertrautheit zwischen uns, von der ich nicht wusste, woher sie kam und ob ich sie verdient hatte. Wir dachten uns neue Spiele aus. Die Sache mit den Dates war irgendwann ausgelutscht.
Während sie Bewerbungen an Universitäten schickte, schrieb ich kleine Texte über uns und zeichnete dazu. Ich hatte weder Ahnung, dass ich so etwas schreiben, noch dass ich zeichnen konnte. Wenn ich sie sah, fielen mir lauter überzeugende Dinge ein. Solche, die mich von ihr überzeugten und solche, mit denen ich sie überzeugen wollte, dass ich genauso ungewöhnlich war wie Josh oder einer ihrer alten Freunde.

Nach dem fünften Tag zeigte ich Twiggys Vater eines meiner Gedichte. Er rollte mir eine Zigarette; den Tabak bewahrte er in einer Plätzchendose auf und benutzte dicke Filter, wie ich sie bislang noch nicht gesehen hatte. Die Zigaretten, die ich von da an mit ihm rauchte, wenn wir über meine Texte sprachen, schmeckten erdig und gaben mir das Gefühl, erwachsen zu sein und an einem Ort, an den ich wirklich gehörte. Manchmal redete ich mehr mit Twiggys Vater als mit ihr. Auch ihre Mutter hatte immer etwas für mich. Es ging nicht, dass wir uns nur in der Küche begegneten. Es waren einfache Geschenke, aber sie bedeuteten mir viel. Ein Glas Hollunderwasser, ein Stapel vergilbter Papiere zum Schreiben, ein Buch von Cesare Pavese. Später, als klar wurde, dass wir uns nicht wieder sehen würden, bekam ich die Lieblingsschallplatte des Vaters. Das war Astral Weeks von Van Morrison; Twiggys Vater meinte dazu, dass sie ihn durch seine schwierigste Zeit gebracht hatte.

Während Twiggy und ich zusammen im Raum saßen, arbeitete ich an der Geschichte über unseren ersten Kuss, den es bislang nicht gegeben hatte. Später war es genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich schrieb, man kenne das ja, man küsse irgendeinen Menschen zum ersten Mal; das wäre ja auch schön und alles, aber auch austauschbar. Nicht so mit Twiggy. Wie ein Song, in den man sich verliebt – ich war sehr stolz auf diesen Vergleich. Verdammt, man will ihn immer wieder hören. Wieder und wieder und wieder und wieder. Aber dann ist es doch nicht wie Musik. Man kann es nicht noch einmal fühlen. Man kann sich nur für den Rest seiner Tage daran erinnern, wie wunderschön es geklungen hat.


Twiggy hatte den Scion of Darkness mit Mark Zugs Unterschrift an die Bücher in ihrem Regal gelehnt. Neben den vielen Einbänden wirkte die Karte plötzlich wie ein intellektueller Gegenstand. Ich schrieb. Nicht nur Geschichten, auch Listen, die ich in einer Zigarrenkiste, die mir ihr Vater geschenkt hatte, sammelte. Wenn Twiggy noch schlief oder sich mit jemandem traf, dann schlich ich durch die Wohnung und dokumentierte alles haargenau. Es reichte nicht, nur Fotos davon zu machen. Wenn jemand mir diesen Ort wegnehmen würde, und dieses Gefühl hatte ich, dann blieben mir nur eine Handvoll Erinnerungen, die Fotos und eben diese Notizen. Mein neues Leben hatte begonnen und ich war neugierig wie ein Reh bei seinen ersten Gehversuchen. Literatur schien definitiv die Kategorie zu sein, die eine Chance versprach, Twiggy so für mich einzunehmen, dass ihr Interesse an mir nicht absterben und es weitergehen würde mit uns. Es war ein Startschuss; jemand hatte mich durch Zufall dazu gebracht, etwas zu wollen, und jetzt wollte ich es mit allen Mitteln.

Nach über einer Woche mit Twiggy, verbrachte ich ein paar Tage zu Hause. Warum hatte ich den Job bei Mo aufgegeben, konnte ich ihn vielleicht zurückbekommen? Aus Langeweile fing ich an, ein paar Texte über einzelne Karten zu schreiben. Wie es zum Wrath of God gekommen und wie sich der Goblin Chirurgeon aus seinen Feinden neue Freunde zusammenflickte. Ich las die Berge des Wahnsinns von Lovecraft und glaubte am Anfang einer Revolution zu stehen, die ich noch auslösen musste. Es lag alles in meinen Händen, alles zeigte auf mich und stellte mich dem großen Publikum mit den Worten vor: Das ist er. Er wird euch verändern, weil sie ihn verändert hat.

Twiggy mochte meine Texte.
»Ich würde das lesen«, sagte sie.
»Aber ich schreibe für mich«, antwortete ich stolz, obwohl das nicht stimmte.
»Das sagen sie alle am Anfang.«
Natürlich vermutete ich, dass es an meinen Texten lag. Die Gästematratze war nicht mehr da und als Twiggy fragte, ob ich blieb, war mir klar, dass ich in ihrem Bett schlafen würde. Wir hatten zwei Decken. Zusammen standen wir vorm Badezimmerspiegel und putzten Zähne. Ohne Schminke – ich hatte nicht gewusst, dass sie sonst welche trug, selbst als ich bei ihr schlief – sah Twiggy nicht schöner oder weniger schön aus. Mein Blick auf Twiggy veränderte sich nicht. Ich wollte sie in jeder Facette begreifen, es war wie eine Jagd nach Eindrücken; ich konnte gar nicht schnell genug sein, sie für die Zeit danach zu retten.
Als wir im Bett lagen, kam ich mir wie ein Stück Holz vor. Das Licht war aus und vielleicht wartete ich darauf, dass irgendetwas passierte. Das war nicht der Fall. Ich wartete und wartete, bis ich einschlief.

Es waren drei Nächte und sie änderten kaum etwas. Ich lag da, fühlte ihre Wärme dicht bei mir, atmete ihren Geruch. Das war nicht die Summe von Waschmittel und Deoresten auf ihrer Haut oder Shampoo in ihrem Haar. Es war Twiggys Geruch, der multiplizierte sich in mir zu schrägen Gefühlen, die mir Angst machten; vor mir selbst und davor, Twiggy zu verlieren. Ich konnte sie nicht berühren. Es stand mir nicht zu. Sie vergab das Geschenk ihrer Aufmerksamkeit, wann sie es wollte. Ich wartete auf etwas Großes; es musste immer größer sein als am Vortag. Twiggy war der spannendste Film. Jede Geste, jede Bewegung im Dunkeln ließ mich auf mehr hoffen und wurde nie erfüllt. Wenn sie wirklich ein Film war, dann musste es eine Auflösung geben. Aber erst zum Schluss; so lange hatte ich Zeit, die Sache zu dokumentieren.

Ohne Twiggy davon zu erzählen, kaufte ich an einem Nachmittag zwei Tickets nach Island. Ich vermutete, dass sie es interessant finden würde. Sie hatte mir ein Musikvideo von Björk gezeigt und weil bei Twiggy jeder Impuls zu einer Kehrtwende führen konnte, dachte ich, Island könnte unser gemeinsamer Plan werden. Die Tickets druckte ich uns aus und steckte sie in ein Kuvert. Eine Briefmarke klebte ich auch darauf. Nur so. Twiggy war nicht zu Hause, also nutzte ich die Zeit, um meine Magic-Geschichten in Island weiterzuschreiben. Lange saß ich nur vor leeren Blättern. Ich zeichnete einen Goblin, der einen anderen in Stücke sägte; um mich zu konzentrieren. Als es losging, setzte ich den Stift nicht mehr ab. Ich hatte alles im Kopf und eine fertig gedrehte Zigarette auf dem Tisch.

Shîwork, der Chirurg, hatte lange keine Sonne mehr gesehen. Er löffelte das Auge von Gromork, den er gestern geschlachtet hatte. Verträumt sah er aus dem Fenster in Gromorks Küche auf den glitzernden Fjord, der sich im Tal erstreckte. Zwei spitze Felsen bildeten das Tor zur weiten See. Shîwork musste Gromorks Überreste rationieren. Gab er nur seinem unbändigen Hunger nach, blieben nicht genug Teile übrig, um sich aus dem erbitterten Feind noch einen treuen Gefährten zu flicken, den er mit den Zaubersprüchen seines Großvaters zum Leben erwecken konnte. Shîwork hatte alles verloren, sie hatten ihm alles genommen; jetzt hatte er nur noch seine Erinnerungen. Wenn er fleißig war und sparsam mit dem Fleisch, dann konnte er sich ein Abbild von allem herstellen. Das war alles, was er in dieser Welt tun konnte.

Twiggy nahm mich nie zu ihren Freunden mit. »Nein«, sagte sie, und das Thema war vom Tisch. Ich wusste nicht, warum sie mich bei sich behielt. Vielleicht dachte sie, dass das nicht ihre Entscheidung wäre. Sie hatte mir Fotos gezeigt und Geschichten erzählt. Vor allem ein gewisser Paul schien interessant zu sein. Er band ihr Wunderkerzen ans Fahrrad und lieh ihr seine Jacke aus. Die roch gut und das machte mich fertig. Ihre Freunde fotografierten mit Analog-Kameras. Sie gingen auf Vernissagen, aßen Raclette zusammen, tranken Rotwein, wie man an Twiggys Zähnen sah, machten, wovon ich nichts wusste. Als Twiggy mir wieder von Josh erzählte, sagte ich, dass ich davon nichts mehr hören wolle. Kein einziges Mal erwähnte sie ihn noch und hörte seitdem ihre Musik mit Kopfhörern.

Shîwork, der Goblin-Chirurg, rächte sich an Twiggys Freunden. Er entführte Twiggy und verfütterte sie an einen Kraken, der im Fjord lebte, doch der Krake verschmähte sie. Diesen Text zeigte ich Twiggy nicht. Ich malte große Bilder; sie wirkte auch beeindruckt davon, aber es reichte mir nicht. Ich sagte ihr, dass ich ihre Freunde kennenlernen wollte oder sie sich andere suchen müsste. Twiggy lachte mich aus, ließ mich im Zimmer stehen und schlug die Haustür etwas fester zu als sonst. Ich rief bei Mo an, um mir meinen Job zurückzuholen, aber Mo legte einfach auf. Wahrscheinlich erwartete er, dass ich persönlich im Laden vorbeikam. Nach zehn Minuten hatte ich es mir anders überlegt. Meine Eltern schickten Bilder aus Kerala. Ich blockierte ihre Nummern. Für zwei Wochen, sagte ich mir.

Es war Winter geworden und James, das Hauskaninchen, war an einem Virus über Nacht gestorben. Die Island-Tickets hatte ich vorsichtshalber für mich behalten. Twiggy und ich hatten seit meinem Wiedereinzug vielleicht drei oder vier Worte miteinander geredet. Die Verbindung zwischen uns war nicht abgerissen, dafür aber bekam ich Twiggys Eltern kaum noch zu sehen. Als ich einen Zettel von Twiggy auf dem Schreibtisch fand, in dem sie erklärte, dass sie heute Abend bei Paul blieb, packte ich meine Sachen und ging. Für über eine Woche meldete ich mich nicht bei Twiggy und sie sich nicht bei mir. Ich lag im Bett und hörte meine Kassetten, um einschlafen zu können, als ich eine Nachricht von ihr bekam. »Möchtest du noch ein drittes Mal einziehen? Falls ja, komm morgen. Twiggy.«

Der Rest erzählt sich schnell. Klar zog ich ein drittes Mal bei Twiggy ein und von Paul und anderen Freunden hörte ich erst mal nichts. Wir gingen zu einem Konzert von Animal Collective. Ein paar Mal nahm sie meine Hand und ein Mal saßen wir uns eine Viertelstunde lang in ihrem Zimmer gegenüber und dann küsste sie mich. Als ich wieder alleine zu Hause war, bin ich ziemlich verrückt geworden. Alle fünf Minuten habe ich ihr eine Nachricht geschrieben und dann wurden ihre immer weniger. An einem furchtbaren Sonntag haben wir ein klärendes Gespräch geführt. Ich glaube, ich habe nie wieder so lange und so bitterlich geweint, aber ich denke auch, dass es das Richtige war. Noch heute setze ich mich manchmal auf den Boden in meinem Zimmer und mache ihren Song an. Dann schwimme ich für ein paar Minuten in ihren Gefühlen. Vielleicht sind es auch meine eigenen. Das weiß man nie so genau.

 
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Es war merkwürdig. Während ich Twiggy vom Scion of Darkness erzählte, merkte ich selbst, wie bescheuert das klingen musste. Ich war kein kleiner Junge mehr und trotzdem erzählte ich ihr diesen ganzen Kram.

Es gibt sie also noch – Twiggy, deren Original nur‘n halbes Jahr älter ist als mein Beatus , der ca. drei Jahre jünger war als das Frl. Ilsebil seinerzeits, und - die Abweichung sei mir erlaubt - da die meisten Rauschmittel in Flaschen legal abgefüllt zum Abfüllen bereitstanden - selbst den Wölflingen wurde in den Lagern der Pfadfinder - alles keine Kostverächter - der Riesentopf Tee mit Rum(verschnitt) angereichert und mit 13 bestellte ich in einem flämischen Restaurant auf die Getränkefrage des Kellners im Beisein von Bruder und Eltern ein großes Pils und bekam es ...,

lieber Carlo,

die Musik(er) ändert/(n) sich, Drogen bleiben und in der Dialektik der Aufklärung, unwesentlich älter als ich, wird ja auch die Ursache geklärt.

Aber was mir beim ersten Lesen auffällt, lässt sich am besten an diesem Satz festmachen, wenn es heißt

»Was bitte?«, fragte ich und spürte, wie mir Blut in die Wangen stieg.
spricht der heutige Teenager – und mit 19 gilt man ja jetzt als Volljährig – so kompliziert, wo die heutige „Risikogruppe“ – und gälte ich allein dafür 'n – nicht nur damals, vor fuffzig Jahren ein schlichtes „und spürte, dass ich rot wurde“ gesagt und geschrieben.

Gleichwohl leuchtet da für einen gerade Volljährigen auch Erkenntnis und Lebenserfahrung des "Alters" durch, wenn es etwa heißt

Man muss diese Momente festhalten und an sich drücken und darf sie niemals vergessen. Für andere sind es Kleinigkeiten, aber für einen selbst bedeuten sie einfach alles. Sie sind der emotionale Kern deiner Vergangenheit.

Bissken Flusenlese

Vielleicht[,] weil ich sie nett fand oder weil ich das Gefühl hatte, dass wir uns bereits lange kannten[,] und weil ich mich fragte, warum ich die letzten Jahre meines Lebens mit Magic-Karten und Hotdogs verschwendet hatte und nicht mit jemandem wie ihr.
besser: „… wie sie“

»Super. Wie[...]viel kostet es?«
»Ich hatte im Übrigen Lust, dich kennenzulernen«, sagte sie[,] ohne mich anzusehen.

So weit, so gut für einen ersten Eindruck vom

Friedel

 
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Lieber @Friedrichard

danke, dass du so schnell vorbeigeschaut, Flusen gelesen und angemerkt hast. Schön, dass es dir nicht müßig wird und du immer wieder meine Stories mitgestaltest :gelb:

selbst den Wölflingen wurde in den Lagern der Pfadfinder - alles keine Kostverächter - der Riesentopf Tee mit Rum(verschnitt) angereichert und mit 13 bestellte ich in einem flämischen Restaurant auf die Getränkefrage des Kellners im Beisein von Bruder und Eltern ein großes Pils und bekam es

Oje. Mein Vater hat mir mal erzählt, dass es in seinem Bekanntenkreis oder einfach schon auf der Schule viele Alkoholiker gab (unter den Schülern). Trotzdem klingt das hier von dir nicht schlecht. Und gewöhnlich ist das erste Bier ja auch eher ein abschreckendes Erlebnis. In südfranzösischen Orten, die ich besucht habe, haben die unter Vierzehnjährigen Weinschorle bekommen. Das gehört hier und dort eben zur Tradition. Kann und sollte man natürlich hinterfragen. Es gibt ja auch Traubensaft und Malzbier. Ist halt nicht ganz dasselbe.

die Musik(er) ändert/(n) sich, Drogen bleiben und in der Dialektik der Aufklärung, unwesentlich älter als ich, wird ja auch die Ursache geklärt.

Das klingt spannend. Habe ich rumstehen, aber nicht gelesen ...

spricht der heutige Teenager – und mit 19 gilt man ja jetzt als Volljährig – so kompliziert, wo die heutige „Risikogruppe“ – und gälte ich allein dafür 'n – nicht nur damals, vor fuffzig Jahren ein schlichtes „und spürte, dass ich rot wurde“ gesagt und geschrieben.

hm, er erzählt das ja mit 24. Außerdem versuche ich hier auch eine Art Komik aus der Reflektiertheit und gleichzeitigen Kindlichkeit der Figuren zu schlagen. Dein "spürte, dass ich rot wurde" passt hier wunderbar, also danke auf jeden Fall dafür. Trotzdem finde ich die Formulierung hier schon okay so. Behalte es aber im Hinterkopf. Danke dir.

Bissken Flusenlese

Wie könnte es auch ohne gehen? Habe ich ausgebessert und danke dir sehr dafür. Das habe ich auch schon ein paar Mal gesagt, dass ich von dir (aus Schule und angefangenem Germanistikstudium nicht) der Kommasetzung zu meinen beschränkten Fähigkeiten habhaft geworden bin. Trotzdem bleiben die Flusen. Wie kann das eigentlich sein, dass Leute, die sich wirklich intensiv mit Texten beschäftigen, immer wieder solche Fehler bauen? Was ist denn mit den ganzen Leuten, die sich mit völlig anderen Dingen befassen? Sind wir zu dumm oder ist die Kommasetzung einfach wirklich eine nicht zu unterschätzende Herausforderung? :lol:

So weit, so gut für einen ersten Eindruck vom

Und danke für den!

Liebe Grüße
Carlo


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Juchhu, gleich auch noch ein @AWM – Kommentar hinterher, so kann der Tag weitergehen ...
Danke für deine kritische Einschätzung des Textes. Ich verstehe die meisten Punkte, die du ansprichst.

Mag den Einstieg. Würde aber den Satz mit dem emotionalen Kern der Vergangenheit streichen. Das fügt sich stilistisch nicht in die restliche Sprache.

hm, ich könnte es streichen und das ginge wohl auch. Ich weiß, dass das ein bisschen an der Grenze zum Kitsch kratzt. Aber ich finde das auch wegen des Erzählers legitim. Er bringt ja an verschiedenen Stellen auch seine emotionale, subjektive Involviertheit zum Ausdruck, eben auch indem er die Kluft zwischen seinem Ausdruck und der Erzählbarkeit dieser Gefühle thematisiert ("das klingt alles merkwürdig";"Ich stelle mir das Wasser bunt vor und den Himmel schwarz"); dass das eben schon zum Ausdruck kommen soll, dass das für ihn etwas Großes ist.

Zudem geht es in der Geschichte für mich nicht um einen emotionalen Kern der Vergangenheit, sondern um einen Zufall, der ganz entscheidend für das Leben deines Protas ist.

Da hast du schon recht; trotzdem finde ich, es geht nicht nur um diesen Zufall. Klar kann man das als solchen interpretieren, aber man könnte ja auch deterministisch sagen, so etwas passiert einfach jedem. Und das checkt man, wenn man älter wird und sich mit anderen über solche Dinge austauscht. Ich finde die Betonung des 'Zufalls' gut, aber ich denke, es ist rückwirkend betrachtet genauso der 'emotionale Kern einer Jugend'.

Abgeschabte Dielen finde ich komisch. Kann natürlich sein, dass das ein Begriff ist, den ich nicht kenne.

Ich habe den schon mal in einer anderen Story verwendet, glaube ich. Ich habe da ein Bild vor Augen. Überstrichene Dielen, bei denen die Farbe durch das Herumrücken von Möbeln etc. abgeschabt wurde. Also nicht nur verkratzt, einfach in die Jahre gekommen. Aber ich schau mal. Kann ja sein, dass das so ein Begriff ist, den es nur bei mir gibt, und wenn der weiter negativ auffallen sollte, werden ich ihn rausnehmen.

Wollte das zuerst bemängeln. Dann sagt dein Prota selbst, dass er sie gerade erst getroffen hat. Für mich funktioniert das.

cool, freut mich. Ich habe so etwas ähnliches ein paar mal in Wolfgang Herndorfs Tschick gelesen. Kitschige Dinge, Unglaubwürdiges etc. werden noch einmal als solche deklariert; das geht auf die Rezeption der Leser ein und macht es (zumindest bei Herndorf) tatsächlich glaubwürdig, fast egal, worum es geht.

Seine Reaktion fand ich nicht so gut. Ich finde auch, dass die Redeanteile der beiden recht lang sind.

Bei dem ersten Redeanteil soll es so lang sein. Sie quatscht und lässt ihn gar nicht zu Wort kommen, was so im Mikrobereich eine Spannung auf seine Reaktion erhöhen und auch Twiggy und die ganze Situation charakterisieren soll. Es bekommt dadurch ja so etwas Comicartiges; so ein Gespräch ist eigentlich nicht denkbar. Das gefällt mir aber schon auch. Es ist in gewisser Weise ein künstlicher oder ironischer Dialog. Auch diese Unterhaltung über die Magic-Karte. Ich kann sehr verstehen, dass du das bemängelst. Aber es ist eben dieser Kontrast aus dem kindlichen und doch reflektiertem Denken und Handeln, um den es mir hier geht. Bei seiner Rechtfertigung gebe ich dir aber Recht. Da könnte ich sicher noch ein, zwei Sätze verschlanken. Ich hoffe, dass da zumindest auch etwas von dieser Ironie (dieses Comichafte) durchsickert.

Edit: habe da zwei Sätze gestrichen :read:

bisschen mehr in einen Wortwechsel gehen. Und ich dachte mir halt gleich, ob dein Prota wirklich so mit der Wahrheit rausrückt und nicht eher einen auf cool machen würde, um Twiggy zu beeindrucken.

Ich finde die Idee gut, möchte aber noch schauen, was andere so darüber schreiben. Gerade denke ich, dass er ja dadurch auch etwas Liebenswürdiges bekommt und das ist es ja auch, was Twiggy zum Schmunzeln bringt. Weil er eben kein Gespür für den Kontext hat. Gleichzeitig ist er auch kein Trottel, er reflektiert das. Der hat was, würde ich sagen, wenn ich mich mit dem unterhalten würde; eben weil ihm hier und da ein kleiner Baustein in seinem Umgang zu fehlen scheint – er wirkt nicht so ganz wie aus dieser Welt. Aber die Idee mit dem Beeindrucken gefällt mir trotzdem sehr.

Ich dachte zuerst, dass die Geschichte in eine ganz andere Richtung geht. Weil da ja eine Menge Konfliktpotential drinsteckt. Ich dachte, dein Prota versucht dann Koks zu besorgen, um den Schein aufrecht zu erhalten und verstrickt sich dabei in immer größere Probleme.

auch das hier finde ich nicht schlecht, führt mich aber zu einer anderen Geschichte. Ich finde so etwas eigentlich 'abgedroschen', das mit dem Koks und dem Skateplatz. Aber in dieser Form, wie das hier besprochen wir, gehört das für mich auch zu dieser Geschichte. Wenn ich das jetzt noch ausbauen würde, dann müsste ich mir schon sehr Gedanken machen, wie ich das anstelle, da nicht in so eine Drogenabenteuer-Story zu rutschen.

Ich finde, er kommt fast unfreundlich rüber. Dabei ist er ja zurückhaltend und schüchtern und findet sie toll. Gerade so was wie "Jetzt halt mal die Luft an" passt für mich nicht zu ihm.

Das stimmt. Ich will mich gar nicht rausreden, es ist dasselbe Argument :D Eben dieses Comichafte. Sie nimmt ihm das nicht übel. Man denkt sich vielleicht: warum ist der jetzt so bockig; aber sie scheint das überhaupt nicht zu bemerken. Gleichzeitig gefällt mir sehr, wie du ihn charakterisierst. Eben als sehr zurückhaltend und schüchtern, auch der Vorschlag, wie er das Magic-Spiel präsentieren könnte, wozu ich gleich noch etwas schreibe. Ich habe nur ein wenig die Angst, dass da am Ende ein anderer Sesam rauskommen könnte und dass dieses Ironische, das über dieser Begegnung oder diesem Gespräch liegt, verschwinden könnte und dafür für mich etwas sehr Wichtiges.

Ich finde, dass er das zu kindisch erzählt. Du hast das drin, dass er das selbst merkt. Sicher würde dein Prota davon erzählen. Aber ich glaube, er würde das geschickter machen. Weil er ja weiß, dass das nicht unbedingt ein Hobby ist, auf das Mädchen stehen.
Statt von einem Bösewicht zu erzählen, würde er vielleicht versuchen das alles zu verbrämen: Magic ist ein sehr taktisches Spiel, man trifft sich mit coolen Leuten und hat viel Kontakte, die Karten sind echt was wert etc

Die Idee muss ich förmlich aufgreifen, die ist einfach zu gut. Dass man quasi als Leser sofort mitschneidet, wie er sie damit beeindrucken will. Da lässt sich bestimmt etwas integrieren. Aber nicht sofort :D

Vielen Dank AWM, dass du einfach kommentiert hast. Hab mich über deinen Eindruck sehr gefreut.

Lieben Gruß
Carlo

 

Danke, @AWM , dass du das nochmal schreibst. Habe das auch nicht anders verstanden. Es ist ja ein Leseeindruck und keine Handlungsanweisung gewesen. Ich konnte dir da schon folgen. Lieben Gruß!

 

Fünf Jahre ist das her und mit Twiggy habe ich nichts mehr am Hut.

Das ist aber auch nicht entscheidend. Sie hat meinem Dasein eine Drehung verpasst.

Der Rest erzählt sich schnell.


Hey Carlo Zwei,

ich mochte die Atmosphäre deiner Geschichte. Erinnerte mich an meine Jugend. Da war dieser Kleinstadtbahnhof, wir saßen da, tranken Bier, kifften, dann kam ein Mofa vorbei, Mödchen stieg ab, Mofa fuhr weiter, sie uns beäugt, ich Joint in der Hand, sie setzt sich auf meinen Schoß, lässt ihre Arme baumeln, kifft, ihre Arminnenseiten fächerartig vernarbt. Später ging sie einfach und ich sah sie nie wieder.

Inwiefern hat die Twiggy dem Protagonisten eine Kehrtwendung verpasst? Worin verdeutlicht sich das?

fragt,
Analog

 

Hey @Analog ,

vielen Dank für deine Rückmeldung. Habe dich, glaube ich, noch nie unter einem meiner Texte gelesen. Um auf deine Fragen zu antworten: Es ist eben etwas subjektiv sehr Wichtiges für ihn. Dieses kurze Intermezzo hat dazu geführt, dass er sein bisheriges Dasein zwischen Magic und Hotdogs in Frage stellt. Es hat ihn aufgewühlt und etwas Neues in sein Leben gebracht. Vielleicht nur eine melancholische Erinnerung an einen gewichtigen Moment. Ich finde nicht, dass es mehr sein muss.
Freue mich, dass dir die Atmosphäre zusagt, und bedankte mich für deine Anekdote. Die hat mich wiederum an ganz andere Szenen und Begegnungen denken lassen :D

Bis dann!

 
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Hey Carlo

"Der Tag des Duells zwischen Lila und Enzo ist wichtig in unserer langen Geschichte. Viele schwer zu entschlüsselnde Verhaltensweisen nahmen hier ihren Anfang." (Elena Ferrante: Meine geniale Freundin, S. 57)

Diese Sätze, die ein neues Kapitel einleiten, habe ich etwa eine Stunde nach deiner Geschichte gelesen und mich gefragt, weshalb ich das besser annehmen konnte als den ersten Abschnitt deiner Geschichte. Beide heben die Relevanz einer Episode heraus, betonen die Wichtigkeit des geschilderten Geschehens. Vielleicht fällt es im Kontext eines Romans einfach weniger auf, da sind so viele Ereignisse dargestellt, da werden so viele kleine Szenen erzählt, dass ich als Leser gar nicht mal unfroh bin, wenn mir ab und zu gesagt wird, was weshalb wichtig ist. Vielleicht ist es auch, weil Ferrante diese Relevanz herausstreicht, ohne viel Aufhebens zu machen. "wichtig", "lange", "schwer" "Anfang". Das ist schlicht auf den Punkt gebracht. Bei dir aber: "emotionaler Kern deiner Vergangenheit". Uff.

Ich sehe die Funktion der Einleitung durchaus, sie bereitet gewissermassen vor, dass der Schluss der Geschichte so kurz und lakonisch ausfällt. Es geht nur um die erste Begegnung, das "Resultat" (Kuss, Beziehung) zählt nicht, sondern die innere Entwicklung, dieser eine Moment, der alles verändert, obwohl die Welt draussen dieselbe bleibt. Also, von der Erzählabsicht gefällt mir das schon sehr. Ich weiss nur nicht, ob du dich vielleicht stärker darauf verlassen könntest, dass die Leser das auch ohne entsprechende Behauptungen und Klarstellungen kapieren. Den magischen Moment beschreiben, ohne das Wort "Magie" zu benutzen. Du hast ja auch zwischendrin immer mal wieder so Kommentare auf der Metaebene. Das ist schon auch spannend, weil sie zeigen, wie der Erzähler das Geschehene im Nachhinein einordnet und interpretiert. Das ist reizvoll.

Wenn ich mich mal zu einer These durchringen will, dann zu folgender: Wenn diese zweite Ebene, der Erzähler als Sich-Erinnernder eine Rolle spielen soll, dann müsste der Text länger und diese zweite Ebene besser eingebettet sein. In der vorliegenden Form ist das ja auch ein wenig mit Pathos verbunden, emotionaler Kern, und dann der Schlusssatz, das ist die Geschichte von ...
Wenn aber tatsächlich nur der magische Moment gezeigt werden soll, dann würde ich in der Einleitung und Zwischendrin etwas abspecken, also alle Passagen, in denen die Bedeutung des Geschehens noch mal behauptet wird. Dann würdest du konsequenter zeigen. Wie du anhand der Kommentare siehst, triffst du da offensichlich auf die eigenen Erfahrungen der LeserInnen und damit auch auf Verständnis. (Bei mir: Nicole, die mich von meinem Skateboard schubst und sagt: "Ich will auch mal fahren!" Ich war sofort verliebt, obwohl/weil ich wusste, die ist unerreichbar)

Twiggy und der alte Sesam
Das hat mich etwas verwirrt, war eine ganze Weile auf der falschen Spur. Du meinst den "früheren" Sesam, sein altes Ich? Diese Assoziationen ergeben sich natürlich nicht, wenn man den Titel liest.
Fünf Jahre ist das her und mit Twiggy habe ich nichts mehr am Hut. Das ist aber auch nicht entscheidend. Sie hat meinem Dasein eine Drehung verpasst. Ja, so ist das. Ich schätze, allzu oft passieren solche Dinge nicht. Man muss diese Momente festhalten und an sich drücken und darf sie niemals vergessen. Für andere sind es Kleinigkeiten, aber für einen selbst bedeuten sie einfach alles. Sie sind der emotionale Kern deiner Vergangenheit. Okay, worum geht es hier eigentlich?
Das Fettgedruckte stellt das Minimum dessen dar, was ich streichen würde.
Das Schönste, was ich von Twiggy jemals erfahren habe, war, dass
Ich fand das nicht so gut, dass der erste Satz nach der vorbereitenden und kommentierenden Einleitung gleich wieder mit einer Bewertung beginnt. Ich würde hier einfach mit Twiggy beginnen und dann - wenn es sein muss - nachschieben, dass dies das Schönste an ihr war.
ie meinte, wenn sie dabei die Augen schloss und an Josh dachte, in den sie immer noch verliebt war, dann – und sie wählte genau diese Worte – fühlte es sich an, als würde sie in ihren eigenen Gefühlen schwimmen. Das gab mir jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich darüber nachdachte.
Das finde ich sehr geschickt. Bis zum Ende hat man das fast wieder vergessen, kann dann aber drauf zurückgreifen, wenn man rekonstruieren will, weshalb es nicht geklappt hat mit den beiden. (Obwohl Sesams Verhalten ja Erklärung genug bietet)
Ich fand das albern, weil sich doch niemand nur wegen so einer Oberflächlichkeit selbst verletzt, oder?
Hier fand ich das spannend, weil es zeigt, dass auch der neue Sesam noch nicht wirklich erwachsen ist.
Leute verzeihen einem so einiges, wenn sie einen für genial halten.
"dir ... dich ..." wäre eleganter, finde ich. Und würde doch durchaus zum Erzählton passen.
Ich wusste, dass sie damit in mein Leben getreten war, und auf einmal interessierte sie mich.
Ich würde hier "fühlte" o.ä. schreiben, weil in diesem Moment ja eher unbewusst und auf emotionaler Ebene.
Einen Hotdog für einen Euro.
Ein
Twiggy gab mir eine Umarmung und ich war fast erschrocken, weil es nicht oft vorkam, dass
Weshalb nicht eleganter, kürzer und bestimmter: "und ich erschrak"?
weil ich mich fragte, warum ich die letzten Jahre meines Lebens mit Magic-Karten und Hotdogs verschwendet hatte und nicht mit jemandem wie ihr.
Das geht so nicht. Weil du damit behauptest, er hätte lieber seine Zeit mit Twiggy verschwendet. Besser: verbracht
Das klingt alles merkwürdig. Ich hatte sie ja gerade erst getroffen. Genau das aber verstärkte mein Gefühl. Wie konnte jemand, ohne etwas Besonderes gesagt oder gemacht zu haben, mein Leben derartig in Frage stellen, mich so klein und gleichzeitig groß fühlen lassen? Vielleicht lag es an mir und ich war in diesem Moment eben bereit für Veränderungen, aber wie sie mir da vor der Einkaufspassage erschien, das war wie eine Offenbarung. Nur wieso wusste ich nicht.
Puh. "Klein und gleichzeitig gross" ist super, das würde ich unbedingt drin lassen. Aber "Offenbarung"? Das ist mir alles doch zu viel Tell, da wird mir die ganze Szene erklärt und damit auch entzaubert.
An dieser Stelle wurde mir übel. Es war die Aufregung und natürlich jene Art spontaner Verliebtheit, wie sie manchmal auftritt.
Hier gefällt mir das besser, vielleicht weil es etwas beiläufiger und verallgemeinernd daherkommt. Dieses "wie sie manchmal auftritt" stellt ja einen echten Mehrwert dar, der sich nicht zeigen lässt, sondern festgehalten werden muss.
»Es ist das beste Spiel, das es gibt. Wizards of the Coast, falls dir das was sagt.«
»Nee. Sagt mir gar nichts«, sagte sie.
»Es läuft ungefähr so. Du sammelst Karten und dann triffst du dich mit anderen und trittst gegen sie an. Aber es sind die Karten. Sie sehen einfach cool aus.«
»Echt?«, fragte Twiggy.
»Ja, wirklich. Meine Lieblingskarte ist Scion of Darkness. Eine ziemlich coole Karte.«
»Was ist denn so besonders daran?«
»Sie kann tote Kreaturen wiederbeleben.«
»Oh, das klingt wirklich cool.«
»Außerdem mag ich, dass der Scion so ein Bösewicht ist. Er ist im Prinzip schlimmer als der Teufel. Also ungefähr …«, sagte ich.
Twiggy lachte und ich bekam ein gutes Gefühl, weil ich vielleicht etwas richtig gemacht hatte.
War mir etwas zu lang. Wäre eventuell eine Gelegenheit, in zusammenfassende indirekte Rede zu wechseln: "Das beste Spiel auf Erden", sagte ich, erklärte das Prinzip des Spiels und schwärmte von meiner Lieblingsfigur." Und dann wieder in den Dialog rein
Ich hab ihr natürlich zugestimmt, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wovon sie eigentlich redete, und etwas gab mir zu verstehen, dass ich ihr nicht gewachsen war.
Auch dieser Kommentar gefällt mir ganz gut. Fasst nicht zusammen, sondern öffnet ein "je-ne-sais-quoi", das hier ganz gut funktioniert.
eine viertel Stunde
Viertelstunde
Alle fünf Minuten habe ich ihr eine Nachricht geschrieben und dann sind ihre immer weniger geworden.
"danach" klingt für mich hier besser.
Jedenfalls ist das die Geschichte von Twiggy und dem alten Sesam.
Würde ich streichen. Allerdings verlierst du da das "alte". Aber darüber wäre ich eh nicht traurig.

Hab jetzt viel gekrittelt und so. Aber der emotionale Kern der Geschichte :D hat mir wirklich sehr gut gefallen und ich habe den Text gerne gelesen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @Peeperkorn ,

danke, dass du mir so schnell eine Rückmeldung zu meinem Text gegeben hast. Kurzer Nachtrag: Glückwunsch zum Abschluss der Totentänze, was für ein langer Marsch. Viel Erfolg damit!
Dein Kommentar hat mich sehr gefreut und ich lese ihn sicher noch ein paar Mal durch.

Elena Ferrante

kannte ich noch nicht. Das Buch klingt in den Beschreibungen wie eine reizvolle Mischung aus Zwischendurchlektüre und guter Literatur. Verlockend.

Beide heben die Relevanz einer Episode heraus, betonen die Wichtigkeit des geschilderten Geschehens.

das ist ein spannender Vergleich und du hast das ja auch treffend analysiert.

Vielleicht fällt es im Kontext eines Romans einfach weniger auf

Das kann gut sein. Das ist natürlich schon ein großer Unterschied. Im Roman ist es dann ja wirklich auch ein bisschen wie eine Raffung. Das stellt die Kürze meiner Geschichte natürlich in Frage.

Vielleicht ist es auch, weil Ferrante diese Relevanz herausstreicht, ohne viel Aufhebens zu machen. "wichtig", "lange", "schwer" "Anfang". Das ist schlicht auf den Punkt gebracht.

und da ist sie mir natürlich im Vergleich überlegen. Aber ich finde schon, dass das eben auch zwei Welten sind. Die eine strict to the point und die andere verspielt.

Es geht nur um die erste Begegnung, das "Resultat" (Kuss, Beziehung) zählt nicht

schön runtergebrochen :D davon könnte und würde ich gerne immer wieder Geschichte schreiben.

von der Erzählabsicht gefällt mir das schon sehr. Ich weiss nur nicht, ob du dich vielleicht stärker darauf verlassen könntest, dass die Leser das auch ohne entsprechende Behauptungen

Das ist natürlich die entscheidende Frage. Ich habe etwas Angst, dass dieses Gefühl der Geschichte dann beim Lesen viel schwerer aufspürbar ist und die Reduziertheit des Ganzen mir dann zum Verhängnis wird.

Wenn diese zweite Ebene, der Erzähler als Sich-Erinnernder eine Rolle spielen soll, dann müsste der Text länger und diese zweite Ebene besser eingebettet sein

das klingt vernünftig. Kann mir gut vorstellen, dass das funktioniert

Pathos
emotionaler Kern deiner Vergangenheit
Offenbarung

ich habe da letzte Woche ein spannendes Gespräch mit einem Freund geführt, der Maler ist und viel mit Pathos arbeitet. Er hat unterschieden zwischen persönlichem Pathos und ... naja jedenfalls gab es den persönlichen Pathos, der einen Moment oder auch Objekte überhöht. Ich weiß nicht mehr, ob er das jetzt gut fand oder nicht, aber es ist ja erstmal eine interessante Beobachtung. Das andere war so ungefähr der Paukenschlag-Pathos, der Ritt der Walküren oder der erste Satz in Strauss Zarathustra etc. Er hat auch auf Speers Lichtdom verwiesen und meinte, dass er das großartig(!) findet. Ja, diese Künstler. Aber beeindruckend ist es wirklich, wie ja auch die übrige an Monumentalität schwer zu überbietende Nazi-Architektur. Er meinte Pathos ist, wenn es schafft, auf etwas zu verweisen, das größer ist als der/die Einzelne. Dagegen ist Kitsch, wenn es billig und schlecht gemacht ist. Ich würde sagen in dem Spannungsfeld bewegt sich das eher: zwischen Kitsch und Pathos. Ich möchte es erstmal drinlassen :D
Rumprobiert habe ich. Aber da ging für mich immer etwas verloren.

Wie du anhand der Kommentare siehst, triffst du da offensichlich auf die eigenen Erfahrungen der LeserInnen und damit auch auf Verständnis.

Das ist interessant. Aber ich sehe das anders als zum Beispiel in der Fußballgeschichte. Das Wiedererkennen ist da nicht auf derselben Ebene, finde ich.

Nicole, die mich von meinem Skateboard schubst und sagt: "Ich will auch mal fahren!"

sag bloß ... kannst du einen Olli?

Das hat mich etwas verwirrt, war eine ganze Weile auf der falschen Spur. Du meinst den "früheren" Sesam, sein altes Ich? Diese Assoziationen ergeben sich natürlich nicht, wenn man den Titel liest.

Ich habe nach deinem Kommentar den Titel umgestellt: Twiggy und der frühere Sesam.
Das klingt auf jeden Fall auch gut. Dann habe ich weiter rumgebastelt und irgendwann war ich wieder an dem Punkt, wo ich fand, dass das jetzt auch nicht viel ändert. So eine Titeländerung ist ja immer schon eine größere Sache. Da warte ich lieber noch einmal ein paar Momente. Aber die Anmerkung fand ich sehr gut.

Fünf Jahre ist das her und mit Twiggy habe ich nichts mehr am Hut. Das ist aber auch nicht entscheidend. Sie hat meinem Dasein eine Drehung verpasst. Ja, so ist das. Ich schätze, allzu oft passieren solche Dinge nicht. Man muss diese Momente festhalten und an sich drücken und darf sie niemals vergessen. Für andere sind es Kleinigkeiten, aber für einen selbst bedeuten sie einfach alles. Sie sind der emotionale Kern deiner Vergangenheit. Okay, worum geht es hier eigentlich?
Das Fettgedruckte stellt das Minimum dessen dar, was ich streichen würde.
Das Schönste, was ich von Twiggy jemals erfahren habe, war, dass
Ich fand das nicht so gut, dass der erste Satz nach der vorbereitenden und kommentierenden Einleitung gleich wieder mit einer Bewertung beginnt. Ich würde hier einfach mit Twiggy beginnen und dann - wenn es sein muss - nachschieben, dass dies das Schönste an ihr war.

habe ich rausgestrichen. Zuerst nur das untere. Dadurch wurde das "Ja, so ist das" viel geschmeidiger. Dann habe ich den zweiten Absatz mit Twiggy begonnen. Es wirkte alles viel runder, aber irgendwie verkraftet der Text das nicht.

Ich wusste, dass sie damit in mein Leben getreten war, und auf einmal interessierte sie mich.
Ich würde hier "fühlte" o.ä. schreiben, weil in diesem Moment ja eher unbewusst und auf emotionaler Ebene.

habe ich genommen. Danke dir.

Einen Hotdog für einen Euro.
Ein

wirklich jetzt? Geht das nicht beides?


Dieses "wie sie manchmal auftritt" stellt ja einen echten Mehrwert dar, der sich nicht zeigen lässt, sondern festgehalten werden muss.

das ist ein gutes Argument dafür, wann Tell immer berechtigt sein könnte.

War mir etwas zu lang. Wäre eventuell eine Gelegenheit, in zusammenfassende indirekte Rede zu wechseln: "Das beste Spiel auf Erden", sagte ich, erklärte das Prinzip des Spiels und schwärmte von meiner Lieblingsfigur." Und dann wieder in den Dialog rein

Habe ich gemacht. Gefällt mir gut, vielen Dank. Und es kommt auch AWMs Anmerkung entgegen.

Würde ich streichen. Allerdings verlierst du da das "alte". Aber darüber wäre ich eh nicht traurig.

Habe das Ende jetzt auch erstmal noch dringelassen. Ich weiß, wie du es meinst.

Aber der emotionale Kern der Geschichte :D hat mir wirklich sehr gut gefallen

Ach, das freut mich :gelb: (der "emotionale Kern" :D ;))

Vielen Dank und genieß diesen hoffentlich bei euch ebenso sonnigen Tag! (Und halt uns auf dem Laufenden!)
Liebe Grüße
Carlo

 

Lieber Carlo

Einen Hotdog für einen Euro.
wirklich jetzt? Geht das nicht beides?
Lass uns auf dem Glatteis tanzen:
Ich wollte mir vorher noch einen Hotdog im Einkaufszentrum kaufen. Dort hatten wir uns verabredet, aber erst in einer Stunde. Frische Hotdogs waren mein Lieblingsgericht. Es war immer clever, einen Euro auf diese Weise zu investieren. Einen Hotdog für einen Euro.
Du kannst das natürlich als Elipse bezeichnen und sagen, der Satz sei eine Abkürzung von "Ich bekomme einen Hotdog für einen Euro." Insofern geht glaub schon beides. Komplett aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass ich "einen Hotdog" nur dann schreiben würde, wenn das an den obersten Satz anschliesst. Also: "Ich wollte mir vorher noch einen Hotdog im Einkaufszentrum kaufen. Einen Hotdog für einen Euro." Da aber dazwischen ein Satz steht, in dem die Hotdogs im Nominativ stehen, würde ich auch hier den Nominativ verwenden: "Frische Hotdogs waren mein Lieblingsgericht. Ein Hotdog für einen Euro." Mal schauen, ob diese Ausführungen genügen, um offshore oder Friedel anzulocken, die das dann korrekt aufdröseln.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Mal schauen, ob diese Ausführungen genügen, um offshore oder Friedel anzulocken, die das dann korrekt aufdröseln.

:lol:

Ja, dein Kommentar hat auf jeden Fall den eingeschobenen Satz als Argument in die Wagschale gelegt. Gut, ich gebe mich auch ohne Friedel und offshore geschlagen. Beim nächsten Edit.
Danke für die Rückmeldung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Carlo Zwei, ich mache mal etwas, was ich sonst nie mache, mit Grund nie mache, weil der erste Eindruck oft verfälschend ist und ungenau. Dieses Mal aus Zeitgründen trotzdem so und entsprechend mit aller Vorsicht zu genießen.

Der Titel macht mich neugierig.

Fünf Jahre ist das her und mit Twiggy habe ich nichts mehr am Hut. Das ist aber auch nicht entscheidend. Sie hat meinem Dasein eine Drehung verpasst. Ja, so ist das. Ich schätze, allzu oft passieren solche Dinge nicht. Man muss diese Momente festhalten und an sich drücken und darf sie niemals vergessen. Für andere sind es Kleinigkeiten, aber für einen selbst bedeuten sie einfach alles. Sie sind der emotionale Kern deiner Vergangenheit. Okay, worum geht es hier eigentlich?
Oh nein, ich liebe ja solche Einleitungen, und eigentlich in einem wunderschönen lapidaren Stil, wie ich das nicht könnte, es aber furchtbar gerne lese. Nur dann ist ja alles doppelt und dreifach. Er würde es doch nicht erzählen, wenn es nicht unendlich wichtig wäre. Dem Dasein eine Drehung verpassen ist ein schönes Bild. Die Bekräftigung "ja, so ist das" mahhh, das brauchst du doch nicht. Und alle drei folgende Sätze danach erzählen dasselbe. Dem Erzähler der Geschichte ist etwas unendlich wichtig, man darf/soll diesen Moment nicht vergessen. Zwei Sätze davon kannst du echt streichen. Und der allerletzte Satz leitet über, aber so arg formell.
Mich als Leserin bremst das aus. Ich fühle mich wie überladen, als wäre ich zu doof, zu raffen, das jetzt etwas folgt, was sehr deutliche Spuren hinterlassen wird.

Das Schönste, was ich von Twiggy jemals erfahren habe, war, dass sie sich gerne auf die abgeschabten Dielen in ihrem Zimmer setzte und Loch Raven von Animal Collective hörte, das ganze Feels-Album ist einfach gut.
Hmmm, das Schönste???? Wieso das schönste? das soll das schönste sein? Die Twiggy setzt sich doch nur auf den Fußboden und hört die Musik. Das "Schönste" find ich komisch. Dann scheint ja viel nicht mehr zu folgen, ist für mich wie ein Widerspruch zu der Einleitung vorher. Und nicht nur das, jetzt ist es schon ein Widerspruch und du sagst mir gleich dazu, dass ich es als schön sehen soll. Das führt mich so bissel wie am Ring durch die Manege. ich hätte kein Problem, wenn sagen würdest das erste, woran ich denke oder mir fällt immer gleich ein, wie sie .... ich finde das Wort "schönste" schwierig.

Ich stellte mir das Wasser bunt vor und den Himmel schwarz.
Schön. Und ich ahne Bitteres, wenn sie eigentlich immer noch in jemand anderen verliebt ist. Und dann auch noch geritzt. Mal schauen, was kommt.

Ich fand das albern, weil sich doch niemand nur wegen so einer Oberflächlichkeit selbst verletzt, oder?
Der Satz fiel mir auf. Im Nachhinein bin ich ein wenig verblüfft. Als Jugendlicher denkt man vielleicht so, als 19jähriger vielleicht auch. Aber die Geschichte lebt ja von seinen Reflektionen, von der Einordnung dieser kurzen Begegnung, da fehlt mir vielleicht ein "damals". Klingt sonst so, als würde er heute noch so denken. Und das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Oder er wäre sehr sehr selbstbezogen. Naja, ist er ja vielleicht auch.

Ich war neunzehn und mein Spitzname Sesam.
Huch, er ist der alte Sesam? Ich hatte bei dem Titel an einen Opa gedacht. Du meinst mit dem alten Sesam sozusagen seine frühere Identität? Wie auch immer: Geiler Spitzname.
Aber vielleicht geht was anderes als alter Sesam?

Lehrer und Erwachsene hielten mich für einen Chaoten, wenn ich Glück hatte, gestanden sie mir etwas Geniales zu. Diesen Schein habe ich nicht selten ausgenutzt. Leute verzeihen einem so einiges, wenn sie einen für genial halten.
Sehr schön, aber du erklärst in meinen Augen zu viel, darum habe ich den Satz gestrichen. Der steckt in dem letzten mit drin. Ist nur viel subtiler gemacht als der gestrichene.


Ich war ziemlich aufgeregt, als ich das las. Ich hatte Twiggy nie wirklich wahrgenommen, aber jetzt, da sie mir schrieb, löste das etwas in mir aus. Ich fühlte, dass sie damit in mein Leben getreten war, und auf einmal interessierte sie mich. „Klar“, schrieb ich.
Das gefällt mir, eigentlich hat er ihr nie einen Blick zugeworfen, aber weil sie sich für ihn interessiert, interessiert er sich zurück. Manchmal ist das so. ich bin gespannt, wie das weitergeht. Aber - auch hier wittere ich als Redundanzspürhund Überflüssiges. ich hab mal die drei Halbsätze kursiv markiert, alle drei drehen sich um dasselbe. Mindestens einen wenn nicht gar zwei könnte man streichen.

Ich wollte mir vorher noch einen Hotdog im Einkaufszentrum kaufen. Dort hatten wir uns verabredet, aber erst in einer Stunde. Frische Hotdogs waren mein Lieblingsgericht. Es war immer clever, einen Euro auf diese Weise zu investieren. Einen Hotdog für einen Euro. Vielleicht unterstützte die Einkaufspassage den Laden. Die Teile schmeckten jedenfalls.
Ähhh, warum redet er denn nun so lange über Hotdogs? Na gut, du willst ihn durch Details charakterisieren. Und find ich ja auch gut, aber mir fällt auf, dass er sehr assoziativ wirkt und abschweifend, er denkt in dieser Situation über das Verhältnis von Einkaufspassage und Hotdogladen nach, das wirkt eigenartig auf mich. Die Verwunderung vorher, dass sie ihn angesimst hat, scheint so groß ja nicht zu sein. Wolltest du diese Wirkung erzeugen?

Twiggy gab mir eine Umarmung und ich war fast erschrocken, weil es nicht oft vorkam, dass mich ein Mädchen umarmte. Einfach so.
gab mir eine Umarmung - warum nicht einfach umarmte mich?
Du machst das gerne mit diesen kleinen Nachsätzen. Mag ich auch, nur hier will es mir nicht ganz passen.
Und warum ich war fast erschrocken? Ich erschrak ist kürzer und eindrucksvoller.

und weil ich mich fragte, warum ich die letzten Jahre meines Lebens mit Magic-Karten und Hotdogs verschwendet hatte und nicht mit jemandem wie ihr.
Heheh, du wolltest die Wirkung erzeugen, jetzt sehe ich das, aber ich finds trotzdem nicht ganz geschickt gemacht, der Übergang von dem Nachdenken über Hotdogs, was ich jetzt im Nachhinein recht cool finde, gerinnt jetzt völlig übergangslos in die Fragestellung, warum er nicht schon vorher mit jemandem wie ihr rumgehangen hat. Da fehlt mir was.
Und nochwas: ich weiß zwar, was du meinst, aber streng genommen sagst du so, er würde zeit mit ihr verschwenden. Müsstest also besser vielleicht verbracht hatte schreiben. Oder musst mal gucken: Vielleicht geht auch das: mit ... verschwendet hatte, statt mit jmd wie ihr rumzuhängen.

Wie konnte jemand, ohne etwas Besonderes gesagt oder gemacht zu haben, mein Leben derart in Frage stellen, mich so klein und gleichzeitig groß fühlen lassen?
Jetzt muss ich schimpfen. Du behauptest das alles, du zeigst es mir nicht, wie er, ohne zu kapieren, was da vor sich geht, auf einmal so eine irre Veränderung erfährt. Das wird mir hier als Leser zu sehr aufgeschrieben, wie ich es lesen soll.
ich gewinne den eindruck, dass da ein Erzähler im nachhinein auf einen Abschnitt seines Lebens schaut und den nicht nur zeigt und erzählt, sondern ihn auch immer mal wieder beurteilt, das mag ich eigentlich sehr, nur wirkt es mir zu übergangslos, ich lese ja nichts über eine Wahrnehmung, eine Beobachtung, einen fremdartigen Gedanken, der sich in ihn einschleicht, sondern es wird sehr abrupt mitgeteilt. Ach ich weiß nicht, ich hoffe, ich kann mich verständlich machen, ich glaube deine Intention zu verstehen, und finde das toll, dass du es machst, aber es ist mir hier zu knapp und zu wenig an seinen Gedanken, Gefühlen, Wahrnehmungen gezeigt.

Eine Zeit lang saßen wir schweigend da. Twiggy roch nach Parfüm. Etwas mit Blumen. Ich wollte dringend etwas sagen, verhindern, dass sie geht.
»Ich hatte im Übrigen Lust, dich kennenzulernen«, sagte sie, ohne mich anzusehen.
»Mich? Warum?«
»Ich weiß nicht. Du wirkst nett. Außerdem habe ich das merkwürdige Gefühl, etwas verpasst zu haben, weil wir uns in der Schule nie wirklich über den Weg gelaufen sind.«
Schön. Dann war das ganze Gespräch über den Kokskauf ein Vorwand? Spannend.

Schluss. An dieser Stelle wurde mir übel. Es war die Aufregung und natürlich jene Art spontaner Verliebtheit, wie sie manchmal auftritt.
das ist wieder so eine Stelle, wie ich sie vorher meinte, der Erzähler erzählt und bewertet im Nachhinein ein wichtiges Ereignis seines Lebens. Sortiert es ein, reflektiert mit der später erworbenen Erfahrung.

Diese Drogennummer klingt, wie an den Haaren herbeigezogen. Das weiß ich. Es war aber genau so, wie ich es beschrieben habe. Ich habe diesen Beutel im Gebüsch gefunden, als ich pinkeln war, und dachte, wow, das ist bestimmt was wert.
Ich fand diesen B. im Gebüsch.
Das machst du manchmal, du schreibst im Präsens, gehst in die Vergangenheit, benutzt dann Präteritum (dachte) und zwischendrin mogelt sich so ein blöder Perfektsatz rein. Der mag grammatikalisch passen, wenn man im Präsens schreibt, aber eben auch nur grammatikalisch. Es klingt einfach bremsend durch die Konstruktion mit dem Hilfsverb. warum nicht durchgängig Präteritum?

»Aber gab ’s die nicht schon mal irgendwann?«
»Hm«, sagte Twiggy und schaute geradeaus, als hätte ich etwas Falsches gesagt.
Oh weh.

»Kennst du eigentlich Magic?«, fragte ich.
hehe, er kann wohl nicht aus seiner Haut.


Twiggy lachte und ich bekam ein gutes Gefühl, weil ich vielleicht etwas richtig gemacht hatte.
Schön

Es war merkwürdig. Während ich Twiggy vom Scion of Darkness erzählte, merkte ich selbst, wie bescheuert das klingen musste. Ich war kein kleiner Junge mehr und trotzdem erzählte ich ihr diesen ganzen Kram.
Da finde ich es gut, wie du es machst. Ich meine dieses Reflektionsdingens. Hier kann ich es mit den damaligen Wahrnehmungen und Gefühlen in verbindung bringen.

Sie meinte darauf abschließend, dass sie sich ein paar Mal zu Hause mit Vodka besoffen hatte, nur weil ihr langweilig war. Irgendwie wäre das doch etwas ähnliches. Ich hab ihr natürlich zugestimmt,
Hier hätte ich direkte Rede besser gefunden. Wenigstens mal kurz. "Sie meinte abschließend", das klingt eh nicht gut.

auch wenn ich keine Ahnung hatte, wovon sie eigentlich redete, und etwas gab mir zu verstehen, dass ich ihr nicht gewachsen war.
sehr schön

Und dann kommt das Ende. Interessant, wie du das machst. Also mir gefällt das gut, wie du das von der Erzählung vorher abkoppelst. Es erhält dadurch ein anderes Gewicht als würdest du in die entsprechenden Szenen reingehen. Die Entscheidung gefällt mir, weil ich als Leserin seine Verliebtheit als eine Überspanntheit wahrnehme, die mehr mit ihm selbst zu tun hat als mit seiner Beziehung zu dem Mädchen. Um so mehr würde ich in dem Beginn dieser Überspanntheit, das erste Treffen und so, diese Abwendung und Relativierung seiner vorherigen Interessen (Magic-Cards) zeigen.

Noch heute setze ich mich manchmal auf den Boden in meinem Zimmer und mache ihren Song an. Dann schwimme ich für ein paar Minuten in ihren Gefühlen. Vielleicht sind es auch meine eigenen. Das weiß man nie so genau. Jedenfalls ist das die Geschichte von Twiggy und dem alten Sesam.
Ich würd mal wieder streichen. Zumindest den allerletzten Satz. Ansonsten sehr sehr schön. Ein passender Abschluss.
Im Nachhinein merke ich, wie du an einigen Stellen sehr geschickt eingebaut hast, dass man verstehen kann, warum nichts aus ihnen werden konnte. und auch, dass sesam mehr um sich selbst weint als um eine verlorene Liebe.

Bis die Tage, lieber Carlo, ist viel Gemecker, ich weiß, aber ich finde die Geschichte schön, sag ich extra mal dazu, weil das Gut gemachte oft untergeht in den Kommentaren. Die Erzählabsicht find ich sehr spannend und gar nicht so einfach. Also das was ich mit dem Reflektionsdingens meinte.
Macht et jut.
Novak


Ich hab auch noch was beizutragen zu eurer Hotdogdebatte, @Peeperkorn und @Carlo Zwei

Ich wollte mir vorher noch einen Hotdog im Einkaufszentrum kaufen. Dort hatten wir uns verabredet, aber erst in einer Stunde. Frische Hotdogs waren mein Lieblingsgericht. Es war immer clever, einen Euro auf diese Weise zu investieren. Einen Hotdog für einen Euro.

Solche Grammtiklogeleien mag ich immer.
Ich war nicht drüber gestolpert, weil der letzte Satz nicht direkt an Frische Hotdogs ... anschließt, da fände ich es auch falsch, sondern weil der Satz unmittelbar davor einen Akkusativ verlangt: ich investiere einen Euro in wen? In einen Burger. Ist also wie ein elliptischer Nachklapperer.

Tschüs denn

 

Hey Carlo Zwei.

Es ist eben etwas subjektiv sehr Wichtiges für ihn. Dieses kurze Intermezzo hat dazu geführt, dass er sein bisheriges Dasein zwischen Magic und Hotdogs in Frage stellt. Es hat ihn aufgewühlt und etwas Neues in sein Leben gebracht.

Aber nur für kurze Zeit. Dann ist sein Leben wieder wie vorher. (?)

Dem Dasein eine Drehung verpassen, darunter verstehe ich einen massiven Einschnitt, eine Kehrtwende. Ich habe deshalb die ganze Zeit erwartet, dass jetzt irgendwie noch das ganz dicke Ding kommt. Deshalb hob ich auch "Der Rest erzählt sich schnell." hervor, denn das steht sinnbildlich dafür, dass da halt einfach mal die versprochene Daseinsdrehung ausbleibt. Für Sesam mag das am Ende des Tages eine schöne Erinnerung sein, aber dass sich sein Leben großartig nachhaltig geändert hat, das sehe ich da nirgends in deinem Text.

Grundsätzlich hast du aber recht, mehr braucht es nicht. Genau die richtige Dosis.

Danke für deine Rückmeldung und Gruß,
Analog

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe @Novak ,

danke für den 'unplanmäßigen', aber sehr schönen Kommentar. So ein unmittelbarer Eindruck war genau das Richtige gestern. Ich habe es dir schon geschrieben: ich hab alles, was du meintest umgesetzt. Sofort. Und es war witzig. Nur jetzt hab ich viel wieder auf die alte Version zurückgesetzt. Trotzdem ist ein guter Anteil deiner Anmerkungen geblieben. Außerdem habe ich jetzt gute Argumente, um zu erklären, warum ich die wiedereingefügten Stellen mag.

Der Titel macht mich neugierig.

das hat mich nochmal überzeugt, ihn nicht in 'Twiggy und der frühere Sesam' zu ändern. Es ist vielleicht gar nicht schlecht, da etwas mit den Erwartungen zu spielen, weil das Alter und daraus folgende Distanz zum Geschehen ja hier eine Rolle spielt.

Oh nein, ich liebe ja solche Einleitungen, und eigentlich in einem wunderschönen lapidaren Stil, wie ich das nicht könnte, es aber furchtbar gerne lese. Nur dann ist ja alles doppelt und dreifach.

Das habe ich dann gestern alles schön gestrichen. Du hast ja recht, es ist wirklich doppelt. Aber es wirkt eben auch verstärkend dadurch. Es baut auch eine Spannung auf, die mit dem lakonischen Ende kontrastiert. Außerdem etablieren diese Sätze den Erzähler und ich glaube dieses den Moment Glorifizierende, während das große Ganze des Lebens eine Absage erhält, macht den Kern und die Nostalgie des Textes (wenn er denn so etwas hat) aus.

Mich als Leserin bremst das aus. Ich fühle mich wie überladen, als wäre ich zu doof, zu raffen, das jetzt etwas folgt, was sehr deutliche Spuren hinterlassen wird.

Das gibt mir natürlich sehr zu denken. Den sehr pathetischen Satz "Sie sind der emotionale Kern deiner Vergangenheit" habe ich jetzt rausgenommen. Ich denke, dass der die Passage schon sehr erleichtert und ohne sie zu stark auszudünnen.

Das Schönste, was ich von Twiggy jemals erfahren habe, war, dass sie sich gerne auf die abgeschabten Dielen in ihrem Zimmer setzte und Loch Raven von Animal Collective hörte, das ganze Feels-Album ist einfach gut.
Hmmm, das Schönste???? Wieso das schönste? das soll das schönste sein?

Als ich das gelesen habe, hat es mich sofort überzeugt, vor allem, weil Peeperkorn genau dasselbe meinte, und ich habe es rausgenommen. Ein bisschen schlecht, fühle ich mich schon, dass ich es wieder reingenommen habe, weil ihr beide mehr Ahnung von der Materie habt. Da fühlt es sich fast ein bisschen respektlos an. Aber das soll wirklich nicht so gemeint sein! Für mich bezieht sich ähnlich wie bei der elliptischen Hotdog-Nummer (hört sich wie ein Zaubertrick an) das 'Schönste' auf die Sache mit dem 'in den Gefühlen baden', die am Ende des kleinen Absatzes steht, bevor es noch einen Zeilenumbruch gibt. Es transportiert durch die Bewertung dieses eigentlich kummervollen Momentes als 'schön' eben auch eine Melancholie. Und die ist einfach wichtig für diesen Text.

Ich war neunzehn und mein Spitzname Sesam.
Huch, er ist der alte Sesam? Ich hatte bei dem Titel an einen Opa gedacht. Du meinst mit dem alten Sesam sozusagen seine frühere Identität?

Ja, genau. Ich hatte überlegt, den Titel zu ändern. Aber wenn ich über den Charakter von einem alten Bekannten sprechen würde, würde ich wahrscheinlich eher nicht sagen: Der frühere Willi hat mir besser gefallen, sondern der alte Willi hat mir besser gefallen.

Lehrer und Erwachsene hielten mich für einen Chaoten, wenn ich Glück hatte, gestanden sie mir etwas Geniales zu. Diesen Schein habe ich nicht selten ausgenutzt. Leute verzeihen einem so einiges, wenn sie einen für genial halten.
Sehr schön, aber du erklärst in meinen Augen zu viel, darum habe ich den Satz gestrichen. Der steckt in dem letzten mit drin.

Ist raus. Dankeschön

Ich war ziemlich aufgeregt, als ich das las. Ich hatte Twiggy nie wirklich wahrgenommen, aber jetzt, da sie mir schrieb, löste das etwas in mir aus. Ich fühlte, dass sie damit in mein Leben getreten war, und auf einmal interessierte sie mich. „Klar“, schrieb ich.
Das gefällt mir, eigentlich hat er ihr nie einen Blick zugeworfen, aber weil sie sich für ihn interessiert, interessiert er sich zurück. Manchmal ist das so. ich bin gespannt, wie das weitergeht. Aber - auch hier wittere ich als Redundanzspürhund Überflüssiges. ich hab mal die drei Halbsätze kursiv markiert, alle drei drehen sich um dasselbe. Mindestens einen wenn nicht gar zwei könnte man streichen.

Habe ich versucht. Das ist wie beim Anfang. Es ist mir dann einfach zu wenig von Sesam als Erzähler. Außerdem bekommt er dadurch etwas viel Berechnenderes, Analytischeres.

Ich hatte Twiggy nie wirklich wahrgenommen, aber jetzt, da sie mir schrieb, interessierte sie mich.

Das ist natürlich total geschärft und auch herrlich subtil, weil es diesen Effekt auf den Punkt bringt. Aber passt das zu diesem Sesam, der mitten im Gespräch von seinen Magic-Karten anfängt?

Ich wollte mir vorher noch einen Hotdog im Einkaufszentrum kaufen. Dort hatten wir uns verabredet, aber erst in einer Stunde. Frische Hotdogs waren mein Lieblingsgericht. Es war immer clever, einen Euro auf diese Weise zu investieren. Einen Hotdog für einen Euro. Vielleicht unterstützte die Einkaufspassage den Laden. Die Teile schmeckten jedenfalls.
Ähhh, warum redet er denn nun so lange über Hotdogs?
Ich hab auch noch was beizutragen zu eurer Hotdogdebatte

'Hotdogdebatte' :lol: :lol: endlich ist es gelungen, Peeperkorn von hochtrabenden Totentänzen und Tierethik auf die wirklich wichtigen Themen zu bringen :lol:

Ich wollte mir vorher noch einen Hotdog im Einkaufszentrum kaufen. Dort hatten wir uns verabredet, aber erst in einer Stunde. Frische Hotdogs waren mein Lieblingsgericht. Es war immer clever, einen Euro auf diese Weise zu investieren. Einen Hotdog für einen Euro.
Solche Grammtiklogeleien mag ich immer.

Ich glaube, deswegen hänge ich auch daran. Es ist dadurch mündlicher. Dieser dicke Satz ist wie in Gedankenstrichen dazwischen geschoben, aber eher wie in einem Gespräch.


Twiggy gab mir eine Umarmung und ich war fast erschrocken, weil es nicht oft vorkam, dass mich ein Mädchen umarmte. Einfach so.
gab mir eine Umarmung - warum nicht einfach umarmte mich?
Du machst das gerne mit diesen kleinen Nachsätzen. Mag ich auch, nur hier will es mir nicht ganz passen.
Und warum ich war fast erschrocken? Ich erschrak ist kürzer und eindrucksvoller.

das beknackte ist ja, dass ich so etwas gerne bei anderen kritisiere und es hier natürlich beim Schreiben sehe, nicht umsonst habe ich mir diesen ollen Wolf Schneider reingezogen und den (mir viel besser gefallenden) Roy Peter Clark (Werkzeuge für gutes Schreiben). Ich hätte gerne ein Verb, dass ein bisschen schwächer ist als erschrecken. Aber da gibt es dann immer nur noch das 'zusammenfahren' oder 'zusammenzucken', die auf ihre Weise ganz andere und falsche Bilder, finde ich, produzieren. Trotzdem habe ich das jetzt geändert, weil es einfach wirklich doof klingt. Danke also, dass du das nochmal rausgeschrieben hast.

Der kleine Nachsatz ist auch raus.

und weil ich mich fragte, warum ich die letzten Jahre meines Lebens mit Magic-Karten und Hotdogs verschwendet hatte und nicht mit jemandem wie ihr.
Heheh, du wolltest die Wirkung erzeugen, jetzt sehe ich das, aber ich finds trotzdem nicht ganz geschickt gemacht

zuerst habe ich es nach deiner Anmerkung rausgenommen. Dann habe ich gemerkt, es ist eine ähnliche Sache wie mit dem 'wegen so einer Oberflächlichkeit ...' und vor allem wie mit 'Das Schönste, was ich von Twiggy ...'. Es behauptet eigentlich, dass die Zeit so oder so verschwendet ist. Das ist pessimistisch, aber es hebt dieses Zelebrieren von Momenten nochmal an (dass er sich diesen Song anmacht und in ihren Gefühlen schwimmt und dass er das bei ihr als die 'Schönste' Sache bewertet). An diesem Pessimismus kann man sich gut reiben und man muss ihm nicht zustimmen. Es ist wie in einem Song von Sonic Youth, ein bisschen unfreundlich eben (also jetzt nur der Vergleich in der Sache). Ich habe es deswegen einfach noch ein bisschen deutlicher gemacht:

Vielleicht, weil ich sie nett fand oder weil ich das Gefühl hatte, dass wir uns bereits lange kannten, und weil ich mich fragte, warum ich die letzten Jahre meines Lebens mit Magic-Karten und Hotdogs verschwendet hatte und nicht stattdessen mit jemandem wie ihr.

Wie konnte jemand, ohne etwas Besonderes gesagt oder gemacht zu haben, mein Leben derart in Frage stellen, mich so klein und gleichzeitig groß fühlen lassen?
Jetzt muss ich schimpfen.

nicht schimpfen :heul:

Das wird mir hier als Leser zu sehr aufgeschrieben, wie ich es lesen soll.

och mann, das ist doch doof. Ich will natürlich, dass du das einfach annimmst, aber warum solltest du auch. Ich versteh, was du meinst. Das ist Tell. Aber gibt es nicht auch die seltene Möglichkeit Tell als rhetorisches Mittel einzusetzen?

Diese Drogennummer klingt, wie an den Haaren herbeigezogen. Das weiß ich. Es war aber genau so, wie ich es beschrieben habe. Ich habe diesen Beutel im Gebüsch gefunden, als ich pinkeln war, und dachte, wow, das ist bestimmt was wert.
Ich fand diesen B. im Gebüsch.
Das machst du manchmal, du schreibst im Präsens, gehst in die Vergangenheit, benutzt dann Präteritum (dachte) und zwischendrin mogelt sich so ein blöder Perfektsatz rein. Der mag grammatikalisch passen, wenn man im Präsens schreibt, aber eben auch nur grammatikalisch. Es klingt einfach bremsend durch die Konstruktion mit dem Hilfsverb. warum nicht durchgängig Präteritum?

Habe das ganze Perfekt rausgekickt. Dann ist mir aufgefallen, dass ich das bis auf eine Ausnahme (die du auch angekreidet hast) nur in den Momenten verwendet habe, in denen der Erzähler die Dinge einordnet und sortiert und auch wieder als Erzähler in Erscheinung tritt. An den übrigen Stellen ist es Präteritum. Im letzten Absatz folgt nach einer Perfekt-Konstruktion nochmal Präteritum, aber nur, weil das Perfekt nachwirkt, also klar ist, dass das immer noch Vorvergangenheit ist. Ich finde, das bietet einen Wechsel zwischen den Erzähler-Passagen und den szenischen Passagen. Außerdem distanziert der Erzähler sich durch das Perfekt ja nochmal von den Ereignissen, als ob er damit emotional kaum mehr was zu tun hätte und trotzdem macht er sich immer noch ab und zu ihren Song an. Er macht sich also etwas vor und das ist auch etwas Trauriges.

»Kennst du eigentlich Magic?«, fragte ich.
hehe, er kann wohl nicht aus seiner Haut.

haha, ja, freut mich, dass das so rüber kam

Sie meinte darauf abschließend, dass sie sich ein paar Mal zu Hause mit Vodka besoffen hatte, nur weil ihr langweilig war. Irgendwie wäre das doch etwas ähnliches. Ich hab ihr natürlich zugestimmt,
Hier hätte ich direkte Rede besser gefunden. Wenigstens mal kurz. "Sie meinte abschließend", das klingt eh nicht gut.

hab ich gemacht und bin ganz zufrieden damit. Danke!

Um so mehr würde ich in dem Beginn dieser Überspanntheit, das erste Treffen und so, diese Abwendung und Relativierung seiner vorherigen Interessen (Magic-Cards) zeigen.

Das ist das einzige, wo ich noch etwas stutzig bin. Momentan denke ich, es ist doch gerade so ein kleiner Schnipsel, so eine Praline. Aber vielleicht hast du auch recht. Da wüsste ich jedenfalls noch nicht, wie ich das anpacke.

Noch heute setze ich mich manchmal auf den Boden in meinem Zimmer und mache ihren Song an. Dann schwimme ich für ein paar Minuten in ihren Gefühlen. Vielleicht sind es auch meine eigenen. Das weiß man nie so genau. Jedenfalls ist das die Geschichte von Twiggy und dem alten Sesam.
Ich würd mal wieder streichen. Zumindest den allerletzten Satz. Ansonsten sehr sehr schön. Ein passender Abschluss.

puh. Das ist raus. Was für eine schwere Geburt, das loszuwerden. Aber so sind auch die von Peeperkorn und auch AWM (erster Satz) am meisten kritisierten zwei Sätze rausgeflogen und ich fühle mich etwas erleichtert, weil es klar ist, dass man sich daran stoßen wird und ich sie jetzt nicht mehr verteidigen muss. Danke dir, dass du dem gewissermaßen den Todesstoß versetzt hast :lol:

aber ich finde die Geschichte schön, sag ich extra mal dazu

:kuss:

Reflektionsdingens

Ja, so nenn ich das jetzt auch :D


Danke, liebe Novak! Ein sehr intensiver Kommentar, der mich richtig zum Tüfteln gebracht hat.


-----------

Hey @Analog ,

schön, dass du dich nochmal meldest.

Aber nur für kurze Zeit. Dann ist sein Leben wieder wie vorher. (?)

ja, da gebe ich dir schon recht. Ich habe das nicht gut erklärt. Das bleibt eine leere Behauptung abhängig davon, inwiefern man bereit ist, dass als Einschnitt zu begreifen oder nicht. @AWM meinte dazu:
Ein Nerd, der vielleicht weitere fünf Jahre keine Erfahrung mit Mädchen gesammelt hätte, reift durch Twiggy.
So in der Größenordnung meine ich das.

Dem Dasein eine Drehung verpassen, darunter verstehe ich einen massiven Einschnitt, eine Kehrtwende. Ich habe deshalb die ganze Zeit erwartet

Danke, dass du mir das nochmal so rückmeldest. Ja, das erzeugt eine große Erwartung, die das lakonische Ende durchkreuzt oder auch nicht. Ob das dann gut ist oder nicht, sollen andere sagen.

dass sich sein Leben großartig nachhaltig geändert hat, das sehe ich da nirgends

das kann ich vor dem Hintergrund dann auch verstehen.

Genau die richtige Dosis.

Das freut mich

LG, Analog, und bis bald!

 

Hallo @Carlo Zwei,

ich schleiche um diese Geschichte herum seit du sie eingestellt hast und habe mir immer noch keine abschließende Meinung gebildet.
Das liegt hauptsächlich daran, dass ich das Nerd-Umfeld sehr gut kenne, das Magic-Umfeld ebenfalls kenne, aber deine Geschichte mich dennoch nicht wirklich abholt.

Das liegt möglicherweise schlicht daran, dass in meinem aus Nerds bestehenden Freundeskreis, trotz deutlich überschrittener Jugendlicher-Grenze, alle immer noch Nerds sind und trotzdem "erwachsen" geworden sind mit Frau, Ex-Frau und Kind.
So ist zum Beispiel der Magic-Pro-Spieler inzwischen nicht einmal mehr ein Magic-Spieler, seine Hobbies enttarnen ihn jedoch schlicht weiterhin als gealterten Nerd. Mit Familie.
Vielleicht ist auch keiner davon einer Twiggy begegnet. Da sie jedoch alle ein normales Leben leben, ist mir dadurch unklar, was die Drehung sein könnte, die Sesams Leben durch Twiggy erhalten hat.

Abschließend habe ich mich dann gefragt, ob du selbst mal Magic gespielt hast, oder Scion of Darkness aus den Tiefen des Internets gezaubert hast, dessen obercoole Eigenschaft ist, dass er die gestorbenen Kreaturen des Gegners versklavt und unter deiner Kontrolle zurückbringt. :teach:

Ich hätte gerne ein Verb, dass ein bisschen schwächer ist als erschrecken. Aber da gibt es dann immer nur noch das 'zusammenfahren' oder 'zusammenzucken', die auf ihre Weise ganz andere und falsche Bilder, finde ich, produzieren.
Also aus eigener Erfahrung würde ich "erstarren" nehmen. Mein erster Gedanke war ja "versteifen", aber Ich kann verstehen, wenn du das nicht nehmen willst :)

 

Hey @feurig ,

schön, auch dir zum ersten Mal hier zu begegnen :gelb: vielen Dank für deine Zeit und deinen Kommentar.

ich schleiche um diese Geschichte herum seit du sie eingestellt hast

Cool. Erzähl mir mehr :D
Geht mir manchmal auch so. Am schlimmsten ist es, wenn der Punkt, wo man noch was sagen könnte, dann überschritten ist und man all die schönen Gedanken, die man sich gemacht hat, für sich behalten muss.

dass ich das Nerd-Umfeld sehr gut kenne, das Magic-Umfeld ebenfalls kenne, aber deine Geschichte mich dennoch nicht wirklich abholt.
dass in meinem aus Nerds bestehenden Freundeskreis, trotz deutlich überschrittener Jugendlicher-Grenze, alle immer noch Nerds sind und trotzdem "erwachsen" geworden sind mit Frau, Ex-Frau und Kind.

Naja, ich will mal so sagen. Es ist jetzt keine Milieustudie über Magic-Spieler oder Nerds. Die Figur ist kein Nerd-Prototyp. Vielleicht geht es dir auch eher um die Sprache und dass die Figur eben im Dialog zum Teil in kindlich überformter Weise spricht (also dass er ein später Teeny ist und sie mit kindlicher Begeisterung über das Magic-Spiel irgendwie beeindrucken will und dergleichen). Ich wünsche mir, wenn ich das schreibe natürlich, dass man die Figur trotzdem nicht unterschätzt, wie man eben auch Kinder und Kindgebliebene nicht unterschätzt. Weil ich das selbst nicht tue. Ich mag solche Figuren auf dem Papier und auch in der Realität, wenn das auch selten vorkommt.

Abschließend habe ich mich dann gefragt, ob du selbst mal Magic gespielt hast

Na klaro. Ich mag das Spiel auch. Mittlerweile gebe ich Schach den Vorzug, aber seinerzeit habe ich auch das gerne gespielt. Ich kenne auch diese typischen Leute, die in solchen Läden rumhängen. Ich erinnere mich an verschiedene Gerüche von Männerschweiß und dieses latente Goldgräber-Gier-Gefühl, wenn die Collectors-Alben rausgeholt wurden. Aber wie gesagt, das ist keine Milieustudie.

erstarren

Hm. Das ist für mich auch so wie zusammenfahren oder zucken. Einfach zu stark.

Danke für deinen Eindruck, Feurig, und bis bald
Carlo

 

Hallo @Carlo Zwei

ein Text mit hoher Seduktionskraft. Jugend, leicht kaputte Mädchen, die auf nerdige Jungs natürlich doppelt und dreifach anziehend wirken, aber es gibt eine seltsame Barriere, im Grunde leben beide in ihren eigenen Welten, und nur kurz gibt es einen Zugang zur jeweilig anderen. Coming of age, voll mein Ding. Die Konstellation gibt es in zwei meiner Lieblingsbücher, "Das Gedicht des Pornographen" und "Wie die Helden." Die Mädchen sind hier nicht nur Beiwerk, sondern im Grunde der heimliche Katalysator der Geschichte, sie sind Kollaborateure, Mitverschwörer, aber niemals die olle femme fatale, die nur und ausschließlich mit sexuellen Reizen spielt.

Die Distanz zur Erzählung ist weiter, aber nicht sehr weit weg. Ein paar Jahre. Dafür wirkt das sehr abgeklärt. Ich frage mich, wie und warum hat er das so auf durchgekaut, wie konnte er das so, auch sprachlich, klar vor sich sehen? Was hat ihn dazu gebracht, diese eine Situation so genau zu analysieren? Ich nehme an, zumindest suggeriert das der Text, dass es das erste Mal war, dass ihn ein Mädchen angesprochen hat. Aber er erwähnt lediglich, dass Twiggy ihm nie aufgefallen war. Diese Begegnung hat also doch im Vorfeld wenig Potential für mehr. Warum dann etwas anderes draus wird, wird im Text nie so ganz klar. Wenn sie jetzt der totale Crush für alle Jungs auf der Schule wäre, sie aber dann ausgerechnet ihn anruft, dann wäre das ja auch ein Konflikt, dem er und sie sich ausliefern: Was denken die anderen? Es wird im Text auch nie bewiesen, warum er ein Chaot ist oder wie er sich mit anderen Mädchen verhält. Wäre er jetzt der Typ sympathischer Loser, der aber trotzdem immer mal wieder eine abkriegt, dann stimmt da irgendetwas in der Relevanz der Charaktere nicht. Sagen wir es so: Dein Charakter, der Sesam, der brennt nicht. Er mag Hot Dogs und zockt gerne Spiele, aber im Grunde erfahren wir darüber hinaus nicht viel über ihn, und auch nicht über seine Interaktionen mit anderen. Er verhält sich ja auch im Zwiegespräch mit Twiggy nicht wie der erste Mensch, er konversiert, er erklärt ihr etwas Emotionales aus seinem Leben, er bringt sie zum Lachen ... er sagt und drückt nie aus, dass er sich nach Zuwendung, Anerkennung, sozialem Status sehnt. Er soll hier den Außenseiter präsentieren, qualifiziert sich aber dafür nicht. Dieser Dreh, von dem in der Einleitung gesprochen wird, den finde ich, lese ich nicht heraus. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu müde.

Länger. Der Text müsste dreißig Normseiten haben, eher mehr. Ich würde mir wünschen, dass solche Themen ergiebigst geschrieben werden, nach einer klassischen Struktur, wo der Autor verweilt, sich die Welt ansieht, die Welt beschreibt, den Charakter agieren lässt. Das Sujet bietet sich sehr dafür an, und du hast das Handwerkszeug dazu. Das lapidare Ende kann so stehenbleiben, kein Problem, nur das Dazwischen - alleine die Szene, wie sie auf den Dielen sitzt und diese Musik hört, wie er das sieht, das interessiert mich brennend. Also, die Ausgangslange, ich sage mal die Fallhöhe beider Charaktere, und auch ihre Distanz zueinander müsste vielleicht größer sein. Es muss nicht direkt Disney-Kitsch werden, er der picklige Quasimodo und sie die superheiße, leicht deblie Debbie, aber du weißt, was ich meine? Ich muss jetzt an eine Szene aus Freaks & Geeks denken, wo James Franco so den Obercoolen an der Highschool spielt, aber nachher dann sich trotzdem zu dem Nerds setzt um eines ihrer Spiele mitzuspielen, und das auch aus ehrlichem Interesse tut. Diese Sache, wie sie sich begegnen, das mit den Drogen, das ist natürlich gut konstruiert, aber warum kann er kein echter Drogendealer sein? Er ist Nerd und nach außen hin ein totaler Honk, und die einzige für ihn akzeptable Weise, mit anderen Menschen sozial zu interagieren, ist eben ihnen Drogen zu verkaufen. Dann würde der Charakter schon mal einen doppelten Boden bekommen, weißt du, was ich meine? Zufälle passieren, aber Zufälle, über die man erzählen möchte, brauchen doch eine Besonderheit, ein Risiko.

Zur Sprache ist schon viel gesagt worden. Peeperkorn beschrieb das mit Magie erzeugen, ohne Magie zu sagen, so in dem Sinne. Das würde ich unterschreiben. Weniger Meta-Ebene, mehr Fleisch anne Knochen. Ich habe das trotz meiner kritischen Worte gerne gelesen, Carlo, ich glaube allerdings auch, dass da noch mehr drin steckt.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @Carlo Zwei,

ich nochmal :)
Mein Kommentar war ja leider wenig mehr als ein bißchen rumstochern im Nebel meiner Gedankenwelt, aber manchmal purzelt da dann durch etwas Interaktion tatsächlich auch was mit Mehrwert raus. Hoffe ich zumindest.

Naja, ich will mal so sagen. Es ist jetzt keine Milieustudie über Magic-Spieler oder Nerds. Die Figur ist kein Nerd-Prototyp. Vielleicht geht es dir auch eher um die Sprache und dass die Figur eben im Dialog zum Teil in kindlich überformter Weise spricht (also dass er ein später Teeny ist und sie mit kindlicher Begeisterung über das Magic-Spiel irgendwie beeindrucken will und dergleichen).
Na ja, für eine Milieustudie bräuchtest du ja schon ein paar mehr Nerds, darum ging es mir eigentlich nicht. Eher darum, dass obwohl ich mich mit Nerds auskenne, er mir fremd bleibt.

Ich erinnere mich an verschiedene Gerüche von Männerschweiß und dieses latente Goldgräber-Gier-Gefühl, wenn die Collectors-Alben rausgeholt wurden.
Ich liebe diesen Kommentar von dir. Weil du mir hier mit wenigen Worten und ohne es direkt zu sagen, zeigst, dass du dich gerne an diese Zeit erinnerst. Sie ist vergangen, du ziehst jetzt Schach vor, aber in meiner Vorstellung lag ein Lächeln auf dem Gesicht, als du dich daran erinnert hast.

Und das ist vielleicht einer der Punkte, die es mir schwer machen, mir eine abschließende Meinung zu dieser Geschichte bilden.
Mir scheint es, dass du hier zwei Geschichten in einer Geschichte zu vereinen versuchst.
Die eine hat bereits AWM angesprochen. "Ein Nerd, der vielleicht weitere fünf Jahre keine Erfahrung mit Mädchen gesammelt hätte, reift durch Twiggy."
Die andere sieht man bei Analog und Peeperkorn aufblitzen, ich nenne sie mal: "Die erste Liebe."

Im Prinzip verkaufst du uns mit der Geschichte ja ein gewisses nostalgisches Gefühl der Erinnerung.
Sesam erinnert sich an seine erste Begegnung mit Twiggy. Dieses nostalgische Gefühl kannst du auch abrufen, aber dann ist sie mit "die erste Liebe" verknüpft. Hier triffst du zielsicher ins Herz, allerdings schrammt für für diese Geschichte der erste Absatz an Ziel vorbei, denn hier deklarierst du ja, dass es um die Drehung geht, die Twiggy Sesams Leben verpasst hat und nicht um seine erste Liebe.

Fünf Jahre ist das her und mit Twiggy habe ich nichts mehr am Hut. Das ist aber auch nicht entscheidend. Sie hat meinem Dasein eine Drehung verpasst. Ja, so ist das. Ich schätze, allzu oft passieren solche Dinge nicht. Man muss diese Momente festhalten und an sich drücken und darf sie niemals vergessen.

Wenn ich deine Geschichte dagegen mit "Ein Nerd, der vielleicht weitere fünf Jahre keine Erfahrung mit Mädchen gesammelt hätte, reift durch Twiggy." im Fokus lese - und das war bei mir der Fall - dann bleibt das Gefühl, das etwas fehlt.
Auch wenn du eigentlich keinen Nerd-Prototypen benutzen wolltest, ist diese Zusammenfassung sehr prototypisch. Es ist nicht so, dass Nerds grundsätzlich erst mit Mitte zwanzig ihre ersten Mädchenerfahrungen machen. Dazu muss man schon sehr viel des Nerd-Prototypen in sich haben und die meisten Nerds haben das nicht.
Zusätzlich wäre es für die Ausarbeitung dieser Zusammenfassung nötig darzustellen, in welcher Form Sesam denn durch sie gereift ist. Dieses Reifen bleibt eine reine Behauptung und hier wird es dann schwierig, denn du hast ja bereits gesagt, dass es eigentlich nicht um die Reifung geht. Warum aber thematisierst du dann ausgerechnet im ersten Absatz die Drehung, die Twiggy Sesam verpasst hat? Ist es dann nicht vielleicht doch einfach die erste Liebe, die Melancholie, die in dieser ersten Begegnung steckt? Die Melancholie des Rückblicks?

Vielleicht würde mich die Geschichte mehr abholen - mit "Ein Nerd, der vielleicht weitere fünf Jahre keine Erfahrung mit Mädchen gesammelt hätte, reift durch Twiggy." im Fokus - wenn du das erste Treffen mit Twiggy nicht aus der Perspektive des alten Sesams beschrieben hättest, sondern aus der Perspektive des neuen Sesams. Mit seinen Worten und seinem Abstand. Er kann über die Kindlichkeit seiner Begeisterung lächeln, den Kopf schütteln, in Erinnerungen schwelgen. Damit würdest du auch die Veränderung zeigen, die Sesam gemacht hat.

Womit ich zur letzten Frage komme: Wenn nur sein Zwillingsbruder und die Leute im Magic-Laden ihn Sesam nennen/nannten und er jetzt weiterhin den Spitznamen trägt, wer nennt ihn heute denn noch so? Vielleicht würde sogar die Beantwortung dieser Frage allein bereits die Drehung zeigen.

Lieben Gruß,
Feurig

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Carlo Zwei !

Ein schöner Text. Ein schöner Text, ich habe ihn gern gelesen, weil ich hier einen Menschen an der ominösen Schwelle Jugend/Erwachsenenleben sehe, angezeigt durch Abschluss ("Abitur"), dem Hinweis auf das Alter ("Ich war neunzehn") und dass er eine SMS schrieb ("Ja, eine SMS!" nach dem Motto: Das gab es damals, die Textnachricht). Aber dazu gleich mehr.

Was ich mich bei Texten wie Deinem, ich kategorisiere sie mal als "Erinnerungen aus der Ich-Perspektive" frage: Warum kommt der alte Sesam auf die Idee, das aufzuschreiben? Was ist seine Motivation? Wo steht der Typ, der die Investition eines Euros in ein Hotdog clever nennt? Ich neige schnell dazu, einen therapeutischen Kontext zu vermuten, Stuhlkreis, jetzt bist du dran, Sesam, erzähle mal, aber diese Vermutung ärgert mich selber. Kann ja noch zehntausend andere Gründe geben. Inneres Sprechen, Verarbeitung. Im Grunde hat dein Prota eine verdammt schwierige Aufgabe: Er muss seinen emotionalen/kognitiven Wirrwarr in schöne, lineare Zeilen bringen, ähnlich dem uralten Problem der Projektion einer kugeligen Erde auf eine zweidimensionale Landkarte. Das geht nicht ohne Verzerrungen und Abweichungen einher; je nach Funktion wird mal der eine, mal der andere Fehler für zulässig erklärt: Grönland darf gerne zehn Mal so groß wie Indien erscheinen, wenn ich meine Schifffahrtsroute als gerade Linie zeichnen kann. Ausgehend von einer solchen Analogie beginne ich mal mit dem Schluss, denn

Ich bin danach ziemlich verrückt geworden.

ist der einzige, emotionale Ausdruck. Alles andere, jetzt psychologisiere ich, sind ja Verhaltensweisen. Sind Fakten, die man ausgesprochen einfach beschreiben kann. Er schreibt alle fünf Minuten eine SMS. Er hat geweint. Ein Bild aus der Erinnerung, fertig. So sehe ich auch Sesam: Er orientiert sich praktisch an dem, was er sieht und nicht an einem langen, nach Ursachen suchendem, inneren Hineinhorchen, einer Introspektion, der Suche nach abstrakten Analogien. Von daher finde ich das Wort "Dasein" in Deinem (inzwischen auch abgeänderten) Anfang

Sie hat meinem Dasein eine Drehung verpasst. Ja, so ist das. Ich schätze, allzu oft passieren solche Dinge nicht. Man muss diese Momente festhalten und an sich drücken und darf sie niemals vergessen. Für andere sind es Kleinigkeiten, aber für einen selbst bedeuten sie einfach alles. Okay, worum geht es hier eigentlich?

etwas zu groß, "zu sehr zum Horizont greifend".

Ich wollte mir vorher noch einen Hotdog im Einkaufszentrum kaufen. Dort hatten wir uns verabredet, aber erst in einer Stunde. Frische Hotdogs waren mein Lieblingsgericht. Es war immer clever, einen Euro auf diese Weise zu investieren. Einen Hotdog für einen Euro. Vielleicht unterstützte die Einkaufspassage den Laden. Die Teile schmeckten jedenfalls.

Ein herrlicher Satz! Ein pfiffiger Typ, der Sesam. Bei Ikea gibts ja auch den "Pölser" für einen Euro. Und diese Typen, die ihren Pölser mit drei Lagen Trockenzwiebeln überdecken und reflektiert behaupten, sie seien nicht wegen den Pölsern zu Ikea gefahren und so toll finden sie das alles auch nicht und eigentlich ist das ein echtes Schrottessen, Pappbrötchen, ungesunde Fette, Fleisch, aber für EINEN Euro eine nahrhafte Mahlzeit mitnehmen, richtig, richtig toll und so ein raffiniertes Schnäppchen, klasse, da habe ich dem (schwedischen) Weltkapitalismus ein Schnippchen geschlagen!

Zurück zum Text:

Ich nickte. Das alles machte mich nervös. Vielleicht, weil ich sie nett fand oder weil ich das Gefühl hatte, dass wir uns bereits lange kannten, und weil ich mich fragte, warum ich die letzten Jahre meines Lebens mit Magic-Karten und Hotdogs verschwendet hatte und nicht mit jemandem wie ihr. Das klingt alles merkwürdig. Ich hatte sie ja gerade erst getroffen. Genau das aber verstärkte mein Gefühl. Wie konnte jemand, ohne etwas Besonderes gesagt oder gemacht zu haben, mein Leben derart in Frage stellen, mich so klein und gleichzeitig groß fühlen lassen?

Schon in der Hotdog-Szene lese ich eine Rechtfertigung heraus, hier schon wieder: Das klingt alles merkwürdig. Hier schreibt ein Typ an der Schwelle Jugend/Erwachsenalter, und plötzlich ist das, was man toll fand, eigentlich totaler Mist. Man denkt ja nicht, dass man keine Vernunft in der Jugend hatte, man hätte doch und dies und das. Zeit muss genutzt werden. Ich glaube, dass aus solchen Beobachtungen Dein Text eine hohe Kraft erhält: Sie schildern ja einen Entwicklungsprozess, denn von "irgendwo" muss ja Sesam den Wert seiner Erinnerungen neu einordnen. Aus seinen Gefühlen zu Twiggy? Oder weil er einfach erwachsener wird? Unsicherheit, Unsicherheit, vielleicht ist das auch seine Motivation, das alles aufzuschreiben. Ich will Sicherheit und Kontrolle erlangen. Ich bin Sesam. Ich muss etwas verarbeiten.

Wie konnte jemand, ohne etwas Besonderes gesagt oder gemacht zu haben, mein Leben derart in Frage stellen, mich so klein und gleichzeitig groß fühlen lassen?

Kurzer Einschub Anfang: Den letzten Satz könnte man etwas ausweiten, mehr das "Denken" einbauen, sonst wirkt er mMn wieder "zu sehr zum Horizont greifend", vielleicht:

Wie konnte jemand mein Leben derart in Frage stellen ... war irgendwie ganz klein und gleichzeitig ganz groß. Klingt wieder merkwürdig, ich weiß. Aber so sehe ich das.

Für mich wirkt Sesam wie einer, der bei allen diffusen, seltsamen Gefühlen sich rechtfertigen muss. Für was auch immer.

Kurzer Einschub Ende, zurück zur Unsicherheit. Identitätsdiffusion, Identitätssuche, wie auch immer die Entwicklungspsychologie das bezeichnen mag. Besonders gut, finde ich, zeigst du das bei Twiggy zu Beginn des Textes:

Was mich wirklich traurig machte, war der Umstand, dass sie sich ein paar Mal geritzt hatte. Sie schob es auf eine Emo-Phase, in der sie nur schwarzen Nagellack und Lidschatten trug und schwarze Sachen natürlich. Ich fand das albern, weil sich doch niemand nur wegen so einer Oberflächlichkeit selbst verletzt, oder?

Hat sie sich geritzt, weil sie in einer Emo-Phase war oder ist sie in einer Emo-Phase, weshalb sie sich ritzen muss? Nee, muss nicht beantwortet werden, sollte man auch unbeantwortet lassen. Oder will sie nicht zugeben, dass sie den Schub Endorphine beim Ritzen braucht, und schiebt es auf die Emo-Phase? Auch interessant: Eine offenbar akzeptable Begründung. Aber jetzt gehe ich vom Text weg.

»Kennst du eigentlich Magic?«, fragte ich.
»Nein.«
»Es ist das beste Spiel, das es gibt. Wizards of the Coast, falls dir das was sagt.«

Lieber Sesam, du hast ja nur zwei Themen, die in dieser hochemotionalen Situation, dem süßen Beinandersein mit Twiggy, dir Sicherheit vermitteln: Hotdogs und Magic. Hast dich für das richtige entschieden :-D

Ich weiß nicht. Du wirkst nett. Außerdem habe ich das merkwürdige Gefühl, etwas verpasst zu haben, weil wir uns in der Schule nie wirklich über den Weg gelaufen sind.«

Schluss. An dieser Stelle wurde mir übel. Es war die Aufregung und natürlich jene Art spontaner Verliebtheit, wie sie manchmal auftritt.


Mit dem Absatz lässt du Raum für Phantasie, die Leerzeile darf der Leser füllen und soll er auch. Im nächsten Absatz brichst du das ab, Schluss, jetzt keine Träumereien und Phantasien mehr, hier ist die Realität und sie schlägt auf den Verdauungstrakt. Kurz fragte ich mich, ob diese Konstruktion zu sehr auf die Wirkung beim Leser denn auf Sesam angelegt ist. Hm, ist wahrscheinlich zu detailliert und zu kompliziert gedacht. Ich würde es so lassen.

Zum Schluss: Das Ende wirkt abgedreht; das ist eben schnell erzählt. Hier sah ich kurz einen "imaginären Gesprächspartner", den Stuhlkreis: Sesam merkt, wie lange er schon erzählt und das erste unterdrückte Gähnen trat auf, also wird die Erinnerung schnell aberzählt. Vielleicht ist Sesam aber auch zur Erkenntnis gelangt, dass der emotionale Kern der ganzen Story erzählt ist: Es passierte eben nichts, was sein Leben weiter beeinflusst hätte. Da drückt sich eine Distanz, eine biographische Einordnung aus: Der Rest kann nur schnell erzählt werden, weil Twiggy sein weiteres Leben nicht beeinflusste, neue Erfahrungen verdrängten die Aufmerksamkeit auf Twiggy. Hier könnte der Text länger werden, könnten weitere Szenen folgen.

Dann schwimme ich für ein paar Minuten in ihren Gefühlen.

Hm hm, vielleicht auch hier wieder eine Reflexion einbauen? Findet Sesam nicht, dass das merkwürdig klingt?

***

Ich glaube, Carlo, dein Text könnte länger sein. Es ist ein schöner Text, aber irgendwo sehe ich da einfach das "Mehr". Deinem Text hätte ich auch länger gefolgt, viel länger, im Sinne einer Reihe, mehr Inhalte, vielleicht sogar Perspektiven. Die Mixtur stimmt, mische neue Szenen!

So, das war's!

Lg aus Leipzig,
kiroly

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Jimmy,

vielen Dank für deinen Kommentar. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, dass umzusetzen und erst danach zu antworten, aber daraus wird nichts. Einen 5 Seiten Text auf 30 zu ziehen ist ein Abenteuer. Ich habe schon angefangen und der Text ist jetzt ungefähr doppelt so lang. Es macht Spaß, aber mal schaun, wie das am Ende so aussieht. Hoffentlich wird es nicht zu schwammig. Er arbeitet jetzt im Magic-Laden und da geht es auch darum, dass es sein Job ist, aber ich will gar nicht zu viel sagen, versuche das mal in den nächsten Tagen fertig zu bekommen.

ein Text mit hoher Seduktionskraft

das hat mich natürlich gefreut. Seduktionskraft hört sich gut an.

"Das Gedicht des Pornographen" und "Wie die Helden."

Kannte ich beide nicht und hätte auch gar nicht unbedingt gedacht, dass Coming of Age dein Ding ist.

Die Distanz zur Erzählung ist weiter, aber nicht sehr weit weg.

fünf Jahre später. Aber ich habe dem nun noch einiges hinzugefügt. So ungefähr habe ich das jetzt in der Skizze (nicht Text) ausgearbeitet:

Er sitzt am Holzschreibtisch, der aussieht wie der Küchentisch in der Wohnung von Twiggys Eltern, den er deshalb gekauft hat. Es war nicht das erste Mal, dass er was mit einem Mädchen hatte. Aber es war das erste Mal, dass er einer 'wirklich besonderen' Person begegnet ist. Er hatte das Gefühl, dass alle die danach kommen, ihn nicht mehr auf diese Weise berühren könnten. Er hat es in Notizbüchern aufgeschrieben, jedes Detail für den Fall, dass er die Gelegenheit bekommt, es noch einmal nachzustellen. Er wusste, dass sie nicht lange zusammenbleiben würden und dass es nicht mehr lange hin wäre, also hat er vorgearbeitet.

In der Story ist das etwas ausführlicher. Ich bin mal gespannt, ob das alles so aufgeht.

leicht kaputte Mädchen, die auf nerdige Jungs natürlich doppelt und dreifach anziehend wirken

Das ist ein guter Punkt. Ja, so funktioniert das schon. Ich hoffe, das wird in der neuen Version deutlicher.

Mädchen sind hier nicht nur Beiwerk, sondern im Grunde der heimliche Katalysator der Geschichte, sie sind Kollaborateure, Mitverschwörer, aber niemals die olle femme fatale

ich weiß, was du meinst. Ich möchte in meinen Texten nicht reaktionär wirken, weil ich weiß, dass mir so ein Text dann eh um die Ohren fliegt. Es ist einfach nicht meine Sicht auf die Dinge. Trotzdem steckt da ja immer auch Sexismus mit drin. Egal wie man es dreht, wenn sich Frauen und Männer gegenüber stehen. Das wiederrum finde ich unwiderstehlich. Ich habe beim Schreiben 'Hey' und 'She's only 18' [Edit: habe mir den Text gerade nochmal genau angeschaut und auch die Geschichte dahinter :dozey: und möchte mich davon auch distanzieren. Es geht mir um das (musikalische) Gefühl, dass in den Songs von Stadium Arcadium steckt] von den Chili Peppers gehört. Da steckt dieses Gefühl für mich auch drin.

Aber er erwähnt lediglich, dass Twiggy ihm nie aufgefallen war. Diese Begegnung hat also doch im Vorfeld wenig Potential für mehr. Warum dann etwas anderes draus wird, wird im Text nie so ganz klar.

In der neuen Version ist es anders. Trotzdem ist das ein Widerspruch, den ich nur mit Mühe ausbügeln werde. Ich füge da viel mehr Text bei. Er recherchiert richtig nach Twiggy, bevor er sich bei ihr zurückmeldet. Das wirklich probate Mittel aber wird es sein, ihn das selbst nicht ganz verstehen zu lassen.

Dein Charakter, der Sesam, der brennt nicht. Er mag Hot Dogs und zockt gerne Spiele, aber im Grunde erfahren wir darüber hinaus nicht viel über ihn, und auch nicht über seine Interaktionen mit anderen

Ich versuche das mit meinen Mitteln in der neuen Version zu ändern. Nicht unbedingt, dass Sesam dann brennt, aber dass man ihn besser versteht. Das hier ist aus der neuen Version:

Meine Eltern machten eine Weltreise. Sie hatten angeboten, mich mitzunehmen, als Geschenk für den bestandenen Abschluss. Seit Tagen schickten sie mir Fotos vom Annapurna Base Camp, von Rododendronwäldern ... ... Ich fühlte, dass ich in Nepal nichts anderes finden konnte, ... ... Ich weiß, dass hört sich zynisch an. Aber so hat es sich nun einmal angefühlt

er konversiert, er erklärt ihr etwas Emotionales aus seinem Leben, er bringt sie zum Lachen ... er sagt und drückt nie aus, dass er sich nach Zuwendung, Anerkennung, sozialem Status sehnt.

Er arbeitet ja jetzt bei Mo (Moritz) im Magic-Laden. Jemand, der ihm vertraut und ihn wie seinen künftigen Partner behandelt.

Länger. Der Text müsste dreißig Normseiten haben, eher mehr.

:lol: :lol: hier musste ich sehr lachen. Das ist mittlerweile für mich der jimmysalaryman-Spruch schlechthin. Das musst du auswalzen. Das braucht mindestens hundert Seiten mehr.
Du hast, denke ich, recht damit. Zumindest probiere ich es gerade wieder aus. Dabei hatte ich mich vor deinem Kommentar gerade damit angefreundet mal wieder solche kurzen 7000 Zeichen Pralinen zu schreiben. Aber es ist natürlich auch etwas lazy, das sehe ich ein.

Das lapidare Ende kann so stehenbleiben, kein Problem,

Das freut mich. Es ist jetzt tatsächlich so, dass die alten Textbestandteile mehr und mehr zu Bojen werden, die zwischen den neuen Textblöcken rumschwimmen und die Progression der Geschichte markieren. Ich hoffe wirklich sehr, dass das aufgeht.

Ich muss jetzt an eine Szene aus Freaks & Geeks denken, wo James Franco so den Obercoolen an der Highschool spielt

oh, kannte ich auch nicht. Sieht aber nach etwas aus, was mir gefallen könnte.

Dann würde der Charakter schon mal einen doppelten Boden bekommen, weißt du, was ich meine? Zufälle passieren, aber Zufälle, über die man erzählen möchte, brauchen doch eine Besonderheit,

Ich finde die Idee mit dem Drogen-Dealen ziemlich cool. AWM hatte ja in eine ähnliche Richtung gedeutet. Gerade das Überraschende daran, klingt total anziehend. Es ist aber nicht die Geschichte, finde ich. Das geht zu sehr in eine andere Richtung. Ich schau mal, wie ich in der Überarbeitung damit umgehe. Bislang bin ich bei ihrem Treffen noch gar nicht angelangt. Vielleicht reitet es mich dann aber doch und ich mach es.

Peeperkorn beschrieb das mit Magie erzeugen, ohne Magie zu sagen, so in dem Sinne.

ich weiß, wie ihr das meint, habe ja auch ein paar solcher Stellen rausgenommen. Ich schätze, durch den größeren Textumfang wird sich das nochmal ändern.

Weniger Meta-Ebene, mehr Fleisch anne Knochen

hehe. Ja, wird gemacht

Ich habe das trotz meiner kritischen Worte gerne gelesen, Carlo, ich glaube allerdings auch, dass da noch mehr drin steckt

Freut mich, dass du es gern gelesen hast. Ich versuche, da jetzt mehr rauszuholen.

Viele Grüße und Danke dir!
Carlo

 

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