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verpasste Pfade

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16.09.2004
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verpasste Pfade

Gesichter im Nebel des Molochs

Die U-Bahn Nummer 142 läuft quietschend in die unterirdische Station ein. Lautlos öffnen sich die Türen und ein Menschenstrom schwappt über den Bahnsteig. Empfangen wird er von einer wartenden Meute. Sie versucht, gegen den Strom ankämpfend, in die Bahn zu gelangen.
Kurze Zeit später ertönt ein schriller Pfiff und das riesige Gefährt setzt sich schwerfällig wieder in Bewegung. Die roten Rücklichter sehen aus wie hässlich glühende Augen in einem dunklen Schlund. Noch lange starren sie mich an. Aber auch sie verschwinden, irgendwann. Allmählich wird der Lärm, den die Räder auf den Schienen verursachen, leiser. Die Station verwandelt sich innerhalb weniger Augenblicke von einem pulsierenden Lebenszentrum, in dem wir Menschen wie kleine Blutkörperchen umherwuseln, in ein totes Monument menschlicher Vegetation und Technik.
Manch ein Reisender, wie ich, bleibt zurück und wartet im Neonlicht auf eine Anschlussbahn. Ich stelle mich ans Gleis. Obwohl es nicht kalt ist, friere ich und begebe mich, meine Jacke zuziehend, ein paar Meter zurück an ein Geländer. Aber auch dieser Platz ist nicht angenehm und es entsteht ein dumpfes Gefühl von Fremdartigkeit , Ungewissheit und Panik. Es fließt aus mir heraus und erstickt jede Regung des Lebens in den Weiten der Station.
Am Geländer ist mir immer noch kalt, nur das Neonlicht ist um einiges greller geworden. Es erinnert an eine Lampe in einem Verhör. Beinahe höre ich eine gefühlslose Stimme zischen: „Gestehe! Gestehe! Dein Leben ist eine endlose Aneinanderreihung sinnloser, immer zu vermeidender Fehler. Gestehe es! Verdammt!“
Dann ertönt ein schallendes Geräusch - Turnschuhe auf Betonboden. Eigentlich kann es während der ständigen Lärmexplosionen nicht mehr wahrgenommen werden. Hier wird es unerträglich laut.
Ich sehe in die Richtung der Schritte und erkenne eine junge Frau. Ich blicke sie also an, diese Person. Unsere Blicke kreuzen sich. Sie mustert mich ernst, aus dunklen Augen. Dieser Kontakt berührt mich irgendwie auf eine peinliche Art und Weise. Ich lasse den eigenen Blick weiterwandern. Irgendwie habe ich aus Versehen eine Grenze überschritten. Irgendwie bin ich in eine Intimsphäre eingedrungen.
Ihre geheimnisvollen Augen sind wie ein Magnet, so dass ich sie gleich wieder verstohlen ansehen muss. Wie durch Zufall blickt sie zurück. Hilflos wende ich den Blick ab. Aber einen Moment zu spät. Es ist nicht mehr so, als ob ich einfach nur die Umgebung beobachtet hätte, sondern mein Gegenüber hat genau erkannt, dass ich sie gemustert habe. Nur sie! Was denkt diese Person nun? Denkt sie überhaupt? Als ich das nächste Mal in ihre Richtung spähe, erkenne ich, dass auch sie mich heimlich mustert.
Plötzlich jagt ein gellendes Greischen durch die Station. Es sind die Bremsen der nächsten Bahn, die mittlerweile beinahe eingefahren ist. Ich habe es nicht bemerkt, mein Herz rast. Wieder beginnt der Lebensquell der unterirdischen Station zu sprudeln.
Seufzend steige ich in die ankommende Bahn ein und suche mir einen Platz. Die geheimnisvolle Person vom Bahnsteig setzt sich mir schräg gegenüber. Unsere Blicke kreuzen sich wieder flüchtig. Um diesen aus dem Weg zu gehen, hole ich ein Buch aus meinem Rucksack, welches eigentlich viel zu langweilig zum Lesen ist und beginne damit.
Eine Reihe weiter beginnt ein Mobiltelefon einen albernen, polyphonen Klingelton auszuspeien. Der Besitzer nimmt ab und beginnt in einer mir fremden Sprache laut zu diskutieren. Ich muss wieder Willen grinsen und schau in seine Richtung. Allerdings erreichen meine Blicke ihr Ziel nie, sondern werde von der jungen Frau angezogen. Sie bleiben hungrig an ihr hängen. Auch sie lächelt sanftmütig über die komische Situation.
Einige Augenblick bleibe ich an ihren lachenden Augen heften, dann blicke ich schüchtern wieder zur Seite. Einen Herzschlag länger und ich hätte mit irgendwelchen sinnlosen Floskeln ein Gespräch anfangen müssen. Das wäre unangenehm gewesen. Zwei weitere fremde Personen sitzen nämlich neben uns.
Obwohl wir beide nicht der zwischenmenschlichen Verbindung wegen gelächelt haben, sondern auf Grund einer eigentlich überhaupt nicht lustigen Situation, war es irgendwie ein bizarrer, unvergesslicher Moment. Ich wünsche verzweifelt einen weiteren dieser Art herbei. Es ist schön mit ihr über irgendeine Belanglosigkeit zu lachen.
Es ertönt eine blecherne Stimme aus dem Lautsprecher, welche die nächste Haltestelle ankündigt. Die Person packt ihre Sachen und steht auf. Es kreuzen sich ein letztes Mal die Blicke, flüchtig lächelt man sich zu, dann geht sie aus dem Abteil und verschwindet aus der Bahn. Ich hoffe, sie noch einmal am Zug vorbeilaufen zu sehen, aber sie verschwindet in eine andere Richtung und wird von der fremden Stadt verschluckt.
Einsam fahre ich weiter einem ungewissen Ende, das gleichzeitig ein Anfang sein wird, entgegen. Dabei denke ich darüber nach, was sich alles hätte entwickeln können, wenn ich sie angesprochen hätte. Aber die Chance ist verpasst, das Leben nimmt einen anderen Pfad. Vielleicht, überlege ich, habe ich auf diese Person aber auch nur persönliche Bedürfnisse transferiert. In ihr das gesehen, was ich sehen wollte. Ein verzerrtes Bild, welches der Realität nicht gleicht. Vielleicht hätte sie sogar ganz anders ausgesehen, hätte ich sie unter anderen Umständen getroffen. Vielleicht aber auch nicht.
Die quäkende Lautsprecherstimme ertönt ein weiteres Mal. Nun wird es nicht mehr lange dauern, dann werde auch ich aussteigen und mich auf den Weg machen. Hinauf in eine dunkle, nasskalte Stadt, die trotz der späten Stunde im Takt ferner, dumpfer Trommeln pulsiert.

 

Hallo Tommy,

Im Großen und Ganzen ist die Geschichte gar nicht schlecht. Es gibt aber ein paar Dinge, die mich beim Lesen sehr gestört haben. Du beschreibst in der Ich-Person den Reiseweg eines verzagten, jungen Mannes in einer fremden Stadt. Er begegnet dabei zwei Frauen, zu denen er sich hingezogen fühlt. Die eine ist schon nach kurzer Zeit in der Fremde verschwunden, die andere sitzt mit ihm im U-Bahn Abteil zusammen. Trotzdem entwickelt sich kein Gespräch zwischen den beiden, und man trennt sich bald. Du schilderst eine lebensfeindliche, fremde Umgebung, die den empfindsamen Mann daran hindert, sowohl emotionale als auch körperliche Nähe zu einen Mitmenschen aufzubauen. Das ist aber auch der Schwachpunkt an der Geschichte. Die Bilder sind meiner Meinung nach sehr aufdringlich und überzogen. Intentionsgemäß willst du damit eine unbehagliche Stimmung generieren. Beinahe der gesamte Text ist aus bildlichen Beschreibungen zusammengesetzt, und liest sich dementsprechend schwer. Mir persönlich fehlt es an Dynamik in der Handlung. Ich hätte mir gewünscht, dass der Mann sich in ein Gespräch mit einem unbekannten Menschen verwickelt. An dieser Stelle hättest du dann seinen Gefühlen Ausdruck verleihen können. Dadurch erreichst du, dass das Ende weniger vorhersehbar ist, und mehr Spannung aufkeimt. Sprachlich gesehen vergallopierst du dich in manchen Ausdrücken. Der letzte Absatz der Geschichte leidet darunter ein wenig.
Korrekturvorschläge im Einzelnen:

Lautlos öffnen sich die Türen und ein Menschenstrom ergießt sich auf den Bahnsteig.
... ein Menschenstrom schwappt/spült/überflutet (auf) den Bahnsteig.

Empfangen wird er von einer wartenden Meute.
Bleibe beim Wasser!
... Der Menschenstrom zerschäumt in der felsigen Brandung der wartenden Fahrgäste.
... Klippen türmen sich gegen ihn auf.

Kurze Zeit später ertönt ein nervtötender Pfiff und das riesige Gefährt setzt sich schwerfällig wieder in Bewegung.
nervtötender wegstreichen

Die roten Rücklichter sehen aus wie hässlich glühende Augen in einem dunklen Schlund. Noch lange kann ich sie beobachten.
... Noch lange starren sie mich an
... verfolgen mich.
rot glühende Augen = Schuldvorwürfe ?

Allmählich wird der Lärm, den die Räder auf den Schienen verursachen, leiser.
Satz liest sich zäh.
... Der Lärm des riesigen Gefährts verhallt in der finsteren Röhre/im Schlund/Schachht. Ich höre ihn (den Krach) nur noch leise, aber das könnte auch schon die herannahende/nächste U-Bahn sein. Der Station ist keine Atempause vergönnt.

Manch ein Reisender, wie ich, bleibt zurück und wartet im fahlen Neonlicht auf eine Anschlussbahn.
Neonlicht ist nicht fahl.

Obwohl es nicht kalt ist, fröstele ich und begebe mich, meine Jacke zuziehend, ein paar Meter zurück an ein Geländer.
... , friere ich
... ziehe ich mir den Kragen meiner Jacke tief ins Gesicht

Aber auch dieser Platz ist nicht angenehm und es entsteht ein dumpfes Gefühl von Fremdartigkeit , Ungewissheit und Panik. Es fließt aus mir heraus und scheint die Weiten der Station auszufüllen.
... es macht sich ein Gefühl von Unbehaglichkeit in mir breit
... es strömt (grau) von mir aus, und erstickt jede Regung des Lebens in den Weiten der Station

Am Geländer hat sich die Kälte aus meinem Inneren nicht gemäßigt
... mir ist immer noch kalt

Die Intensität erinnert an eine Lampe in einem Verhör.
Fremdwörter stören das Lesen.
... Das (grelle) Licht erinnert mich an ein Verhör
... Angstschweiß perlt von meiner Stirn, und läuft in den Falten meiner Stirn zu rasenden Bächen heran

Hier wird es unerträglich laut.
... mir dröhnen sie (die Schritte) in den Ohren

Ich sehe in die Richtung der Schritte und erkenne eine junge Frau zu sein.
:D
zu sein wegstreichen

Plötzlich ertönt lautes Greischen.
... ein lautes Klirren unterbricht unseren Flirt

Es sind die Bremsen der nächsten Bahn, die mittlerweile beinahe eingelaufen ist.
Die Bremsen sind geschrumpft? ;)
... Bremsen einer einfahrenden Bahn

Ich habe es nicht bemerkt.
... mein Herz rast (vor Schreck)

Wenig später befinde ich mich im Inneren einer alten Bahn auf dem Weg durch eine unbekannte Stadt.
Der Übergang ist zu abrupt. Finde eine Überleitung.
... mit gesenkten Kopf schleiche ich zum Bahnsteig, steige bedächtig ein
... überprüfe mein Gepäck, helfe einem älteren Mann in die Bahn, mache einer alten Damen Platz

Eine Reihe weiter beginnt ein Mobiltelefon zu grunzen.
Grunzen finde ich unpassend.
... zu klingeln.

Allerdings erreiche sie nie, sondern werde von der jungen Frau angezogen.
... erreichen sie (die Blicke) nicht ihr Ziel, sondern werden

Mein Blick bleibt triefend an ihr hängen. Auch sie lächelt leicht über die komische Situation.
Triefend ist unpassend.
... Sie lächelt sanftmütig

Die Person packt ihre Sachen und steht auf.
Ich kann nicht nachvollziehen, warum sie immer noch eine bloße Person ist. Die Ich-Person hat sie doch ein wenig kennengelernt, und für ihn eine herausragende Bedeutung innerhalb der übrigen Personen gewonnen.

Liebe Grüße,
moonaY

 

Im Großen und Ganzen ist die Geschichte gar nicht schlecht.
So fange ich auch immer an, wenn ich danach die Geschichte total zerreissen möchte :D
Ich mache das normalerweise zwar nie, dass ich "Selbsterfahrungsberichte" schreibe, aber sowas ist mir doch auch schon passiert. Natürlich stehe ich nicht so paranoid am der Station herum und denke in solchen Bildern, aber kennst du das nicht, dass man jemanden in der Bahn sieht, sich anblickt über eine längere Zeit, es aber nicht zu einen Gespräch kommt? Die Person steht dann auf und man denkt verschmitzt, was wohl gewesen wäre, wenn man sie angesprochen hätte. Das wollte ich irgendwie einfach nur schreiben.
Du müsstest mir nochma den Punkt erklären, warum der Erzähler in ein Gespäch verwickelt werden würde. Ich meine, natürlich, man hätte sicherlich eine "süßere" KG draus machen könne, wenn er zaghaft versucht hätte mit der Person zu sprechen oder sie mit ihm. Das würde mir glaube ich auch gefallen. Aber es ist eben so, dass genau der Witz darin liegt, dass es nicht passiert und er nicht seine Gefühle zeigt. Oder hab ich deinen Kommentar irgendwie falsch verstanden? Ich meine mit jemanden anderen als dieser Person hätte er doch sowieso nicht geredet.
Dass er sie am Ende immer noch Person nennt, zeigt unsere verschiedenen Ansätze. Er ist eben so reserviert, dass er sich nicht mal wirklich aus der Menge heraushebt. Würde er es anders machen, dann würde es mehr so in deine Richtung gehen. Aber dann würde das ganze Bild gleich wärmer werden!
Punkto der bildhaften Sprache: Ich mag sowas gerne, leider kann ich es noch nicht so ganz. Daher bin ich etwas am üben. Vielleicht klappt es ja mal irgendwann:-). Aus diesem Grund freue ich mich auch immer sehr, wenn mich jemand verbessert!!! Danke:-)
Manche deiner Kritiken hab ich übernommen, manche nicht. Eigentlich logisch. Aber eine fand ich so gut, die musste ich einfach wortwörtlich übernehmen. Ich hoffe, du verzeihst mir!!!

 

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