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Verwischt (Kurzprosa)

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04.04.2007
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Verwischt (Kurzprosa)

Verwischt

Wir hatten uns beim Pokerspiel kennen gelernt und diesmal in einem Café getroffen, saßen uns gegenüber. Ich war fasziniert von ihm. Mir war klar, dass er mit Allerhand dealte und auch Zigaretten und geklauten Schmuck schmuggelte. Ein hartes Gesicht..., kommentierten andere Menschen. Mittlerweile nahm ich vor allem wahr, mich nicht fürchten zu müssen. Wir hatten uns bereits bei mir zu Hause gegenseitig mit den Fingern Spaghetti in Tomatensauce gefüttert, Whisky aus der Flasche getrunken – bei bis zum Anschlag aufgedrehter Stereo-Anlage. Und unsere Nächte waren in jeder Hinsicht fast verboten ausschweifend. Seine Worte: "Wer hätte gedacht, dass ich mich mal so hingezogen fühle zu einer wie Dir", begleitet von mir geltenden Attributen, hatten mich gleichermaßen belustigt wie befremdet.

An unserem Tisch saß sich noch ein Paar gegenüber, die Beiden schlürften wortlos ihren Pharisäer, während unsere Blicke miteinander vögelten. Es gab keine Bedienung in dieser Kaschemme, doch ich sah schemenhaft lauter Gäste, ein kurzes Zwischenmahl oder Getränke zu sich nehmend, dennoch interessierte mich das nicht sonderlich. Boris faltete ein postergroßes Papier auf, in dem sich wohl zirka 150 Gramm Schnee befanden. Er steckte den ganzen Kopf hinein, inhalierte geräuschvoll und hustete in das Plakat. Die Beiden am Tisch hoben träge die Köpfe zu ihm, zu mir, doch niemand sprach. Bald waren sie im flimmernden Bildschirm untergetaucht.

Als Boris sich vom Koks-behäuften Papier aufrichtete, sah ich sein Gesicht über und über rosa-weiß, fast ganz weiß, wie von einem Kind, das seinen Kopf in eine Mehlschüssel getaucht hatte. Wild lachend fegte er mit seiner großen Pranke in einem heftigen Stoß das Papier mit dem restlichen Soff vom Tisch. Er spuckte in die Hände, rieb sich das Gesicht, leckte sich das weiße Gestäub von seinen Händen. Dabei schaute er mich mich gierig an, seine Pupillen wirkten weit, sein fleischiger Mund spitzte sich mir entgegen. Seine Nasenlöcher waren weiß geblieben, sogar das Grübchen zwischen Unterlippe und Kinnspitze. Lachend beugte ich mich über den Tisch ihm entgegen, wurde von sicher sechs oder acht Händen umarmt, geküsst und liebkost. Ich fühlte mich gut aufgehoben, auch wenn ich manches Mal Angst hatte. "Eines Tages stirbst du noch in meiner Gegenwart", sagte ich, "vielleicht wirst du festgenommen vom Sondereinsatzkommando oder zusammengeschlagen von der Bande, die auf dein Zeug wartet. Es ist schließlich schon bezahlt. Sie werden es mit Milchzucker strecken und das vierfache des Preises herausholen". Lachend strich er mir über die Wange. "Darling, kümmre dich nicht um Dinge, die dich nicht angehen", brummte er hämisch. Der Wert des vom Tisch gewirbelten Schnees, staubfein verteilt... nichts als schnöder Mammon?

Er grinste, derweil ich versuchte wahrzunehmen, ob alle Anderen fortgegangen wären. Auf dem Weg zu mir hatte ich gesagt:
"Lass mich etwas ausruhen, ich muss auch noch Joey füttern".
"Ich hasse diesen vermaledeiten Kater, er ist nicht einmal ganz schwarz".
'Nein', dachte ich, 'weiße Pfoten hat er, eine weiße Kehle und über dem Maul noch einen weißen Strich, einen Doppel-Bart', wie ich es nannte. Genau so liebte ich ihn.

Ich lief durch die Straßen hinter Boris her, das kannte ich schon, er war ja drauf. Ich trug Pumps und einen engen Minirock mit Schlitz, konnte eh nur kleine Schritte tun. Alles war egal, auch dass er Fensterscheiben zerschlug mit bloßer Faust, seine Hände bluteten und er brüllte, zwischendurch rotzte und spuckte. Es kam nur vom Schnee. Sein Gang war lässiger und schlacksiger denn je, die enge Jeans war so blutig wie sein T-Shirt, sie umzauberten seinen knackigen Hintern.


Als wir an dem Laden des Tierpräparators vorbeikamen und den Stapel Hunde auf dem Bürgersteig überkletterten, kicherten wir. Ratten liefen neben uns und zwischen unseren Füßen, sie quiekten ein mazedonisches Liebeslied. Boris, stolz und sensibel, hart und sentimental? Ich fühlte seine klebrig-warme Hand um meine, wir liefen durch die Einfahrt bis in den zweiten Hinterhof, die Stiegen hinauf, glucksend und außer Atem. Drinnen rissen wir die Fenster auf. Von dem Viertel magischen Pilz vorhin hatte ich mich übergeben, der beißende Geruch hing in der Wohnung fest.
Nachdem Joey die Leber verputzt hatte, legte ich mich auf's Sofa, schloss die Augen. Boris verschwand schweigend ins Nebenraum. Joey lief maunzend durch das Zimmer, in dem ich träumte. Wahrscheinlich jagte er Motten. Ich war nur noch müde.

An der Decke sah ich zwischendurch die Schatten von Autoscheinwerfern und Laternen, aus den Nachbarwohnungen schienen die Spätnachrichten oder das Wort zum Sonntag zu klingen.
Ich war bereits im Halbschlaf, als ein Mann durch mein Fenster stieg. Einen Säbel in der Hand, bedeutete er mir mit aufgerissenem Blick, keinen Mucks von mir zu geben, ansonsten sei ich nicht mehr von dieser Welt. Paralysiert lag ich nun dort, Lichter blitzen im Säbel. Der Kerl wollte Boris. Mein Herz klopfte, ein wenig Urin tröpfelte in meinen Slip, meine Schläfen trommelten, Säure stieg aus meinem Magen. Ich musste an mich halten, mich nicht zu übergeben.

Ich nahm einen Messerschaft aus Joeys Kehle ragend wahr und wie sein Blut rhythmisch auf den zigarettenverbrannten, ehemals hellen Teppich spritzte. Ähnlich wie ich würgte und gluckerte er. Der Mann allerdings schlich sich ins Nebenzimmer, ein nächster Typ kletterte gerade in mein Zimmer. Er hatte eine eingefallene Wange, eigentlich nur eine wirkliche. Irre lachend hielt auch er mir die Spitze eines Messers entgegen. Ich wusste längst, ich hatte still zu sein, spürte voller Angst dem Trommeln im Hals und dem bebenden Rumpf nach, hoffte, meine Stimme drosseln zu können. Tränen liefen in meine Ohren, während ich an die Decke starrte und leise japste und wimmerte.

Die beiden Männer hingen gerade in den Fensterkreuzen, als die Angeln barsten. Langsam und leise schwebten sie durch die schwüle Sommerluft bis auf den Asphalt. Im Nebenzimmer blieb es still. Ich schaltete den Videorecorder aus, den Ventilator an und ging zur Toilette. Während ich mich übergab, sog mich der Abfluss mit sich. Kein Strampeln konnte sich diesem Vorgang entziehen.

Nun bin ich hier, liege auf euch und rieche das Formalin in eurem Fell. Boris kommt mich sicher eines Tages besuchen. Ich kann mich nicht bewegen, höre mein Herz nicht schlagen und bringe kein Wort aus mir heraus. Joey baumelt immer noch über mir an einer Kette von der Decke, auf ihm sitzt schaukelnd mein anderes Ich und lacht.

Ich halte die Augen geschlossen, bleibe steif, nicht weil ich es wollte, sondern weil nichts Anderes geht. Die Kunden hier halten mich für verstorben, gucken mich prüfend an, manche tasten an mir herum oder tätscheln meine Wangen, wollen meine Atemtätigkeit prüfen, aber sie fühlen weder warmen Hauch aus meiner Nase strömen, noch sehen sie gerötete Wangen oder ein Wimpernflimmern.

Ich mag mich jetzt noch nicht äußern, mich nicht bewegen, sie nicht ansehen oder lauthals beleidigen, selbst dann nicht, wenn ich es könnte. Doch ich nehme alles wahr durch meine Lider, ich höre jeden Laut, den sie tuscheln, weiß um ihre Nöte und Ängste, ihre verborgene Lust, ihre Geheimnisse und Perversionen. Der eine da im Smoking, mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau, die das Rubincollier trägt und den Brillantring, der Fettwanst, der ihr Anzüglichkeiten ins Ohr flüstert, die ich besser nicht gehört hätte, benimmt sich wie ein Nekrophiler. Er tastet mich hastig ab, als seine brünette Begleitung flink in ihr Handy tippt. Er hat große Ähnlichkeit mit Boris, seine Augen scheinen ihm verdammt verwandt.
Die Beiden wollen mich kaufen, sie unterhalten sich mit dem hageren, einwangigen Ladenbesitzer, würden in bar zahlen, sagen sie. Sie waren auch im Café, saßen an unserem Tisch. Ich muss dem alten Sack beizeiten die wahngeilen Augäpfel ausschälen.

 

Hallo Turtle,

und herzlich Willkommen auf KG.de.

Gemischte Gefühle hatte ich beim lesen Deines Erstlings. Sprachlich und vor allem bildlich teilweise sehr interessant, gelingt es Dir, eine dichte und seltsame Atmosphäre aufzubauen, das mag ich. Seltsame Begbenheiten, viel Unerklärliches, Realitäten und Charaktere wie in einem Lynch-Film, das ist starker Stoff und manchmal stark dargebracht.
Doch Du bist mir noch zu oft unpräzise in Deinen Bildern und Formulierungen, da ist mehr drin und rauszuholen. Und das lohnt sich ! :)

Wir hatten uns bereits bei mir zu Hause gegenseitig mit den Fingern Spaghetti in Tomatensauce gefüttert
entweder verfüttert oder den Satz umstellen, ...gegenseitig mit den Fingern gefüttert, Spaghetti...
Seine Worte: "Wer hätte gedacht, dass ich mich mal so hingezogen fühle zu einer wie Dir", begleitet von mir geltenden Attributen,
begleitet von mit geltenden Attributen ist sehr unpräzise und ungelenk formuliert. Wenn Du die Attribute bennenst kannst Du sie ggf. hinten anhängen, ich würde jedoch vorschlagen, es eher umzustellen : Seine Worte, begleitet von Anerkennung/Sehnsucht/Begierde (halt Attribute, die Prot betreffend)
während unsere Blicke miteinander vögelten.
schönes Bild !
Es gab keine Bedienung in dieser Kaschemme, doch ich sah schemenhaft lauter Gäste, ein kurzes Zwischenmahl oder Getränke zu sich nehmend, doch interessierte mich das nicht sonderlich.
Wortdoppelung, einfach vermeidbar : ...es interessierte micht nicht sonderlich.
Boris faltete ein postergroßes Papier auf, in dem sich wohl zirka 150 Gramm Schnee befanden.
Poster haben so DIN A 2 und größer. Das ist groß, wirklich groß. Und 150g Koks sind eine enorm große Menge, zumal wenn Boris von diesen nur eine kleine Menge konsumiert und den Rest in dem Etablisment schneien lässt. Passt nich zu dem Kleinkriminellen, der auch mal mit Zigaretten oder Schmuck dealt. Da wird die Szenerie unglaubwürdig, für das Bild würde auch ein kleines Briefchen reichen.
Von dem Viertel magischen Pilz vorhin hatte ich mich übergeben, der beißende Geruch hing in der Wohnung fest.
besser: von dem Viertes von dem magischen Pilz
Boris verschwand schweigend ins Nebenraum.
in den Nebenraum
An der Decke sah ich zwischendurch die Schatten von Autoscheinwerfern und Laternen, aus den Nachbarwohnungen schienen die Spätnachrichten oder das Wort zum Sonntag zu klingen.
das ist wieder so unkonkret schwammig formuliert, entweder kann sie hören, identifizieren, was läuft, dann scheint es nicht zu sein, sondern ist. Oder sie kann es eben nicht, dann scheint in der NAchbarwohnung ein TV zu laufen
Er hatte eine eingefallene Wange, eigentlich nur eine wirkliche.
der Mann hat nur eine Wange ? Dann solltest Du das präziser formulieren, z.B: Er hatte nur eine eingefallene Wange, die andere fehlte.
Kein Strampeln konnte sich diesem Vorgang entziehen.
will das Strampeln sich dem Vorgang entziehen ? Oder die Prot sich durch Strampeln ?
Die Kunden hier halten mich für verstorben, gucken mich prüfend an, manche tasten an mir herum oder tätscheln meine Wangen, wollen meine Atemtätigkeit prüfen, aber sie fühlen weder warmen Hauch aus meiner Nase strömen, noch sehen sie gerötete Wangen oder ein Wimpernflimmern.
eine Wange solltest Du rauseditieren

Grüße,
C. Seltsem

 

Hallo Turtle,

ja, so ein David Lynch-Ahnung kommt beim Lesen deiner Geshcichte streckenweise wirklich auf. Schließe mich in der Hinsicht Seltsem an. Du bietest einige starke Bilder und erschaffst seltsame Szenarien, die zwilichtig schummrige Atmosphäre erzeugen.
Dennoch schwächlt der Text an einigen Punkten.
Zum einen wirkt er schlicht nicht konstant durchgehalten auf mich. Am Anfang liest sich die Geshcichte wie jede andere, doch irgendwann driftest du immer weiter ins seltsame ab. Für mich las es sich so, als hättest du zu Beginn selbst nciht gewusst, wo dich deine Idee hinführen wird.
Von der Sache spricht sicher nichts dagegen, doch dann sollte man auf textlicher Ebene auf jeden Fall noch mal nachbessern.
Es sollte auch nachvollzogen werden können, weswegen sich die Realität deiner Prota verzerrt. Vielleicht erwähnst du an einer früheren Stelle die Pilze, die deine Prota genommen hat, dann wird es für den Leser verständlicher.
Aber generell würde ich noch einmal gucken, ob du nicht auh schon im ersten Viertel etwas mehr der surrealistischen Elemente einbringen kannst, die sich im weiteren Verlauf des Textes stärker anhäufen.
Ansonsten sind auch noch ein paar Rechtschreibfehler drinnen. zB:

Boris verschwand schweigend ins Nebenraum

auf jeden Fall ein Einstieg mit einer Menge Potential. Tu dir selbst den Gefallen und versuche noch mehr aus der Geshcichte herauszuholen!

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Ihr Beiden :)
oje, es scheint sich um eine unendliche Geschichte zu handeln :))
Ich hab schon ganz viel dran verändert.. naja, Recht habt Ihr ja sicher.
Vom Aufbau allerdings möchte ich nichts ändern, denn DASS die Geschichte erst klingt wie eine 'normale', das find' ich gerade gut. Komprimiert surreal klänge mir zu 'aufgesetzt' - ich weiß ja nicht, wie lange es dauert, bis so ein Pilz wirkt... kann sein, das ist viel zu lange bis dahin in der Story.. da hab ich nicht recherchiert.
Achso, die 'eine Wange': Kennt Ihr Menschen, die mal an der Wange operiert wurden, von innen... wegen eines Geschwürs oder so? So etwas meinte ich, also eine eingefallene, eine 'normale'. Und der Verkäufer/Tierpräparator ist ja der gleiche Typ wie der 'Einsteiger' in die Wohnung ... mit dem Säbel :)
Naja, etwas durchgedreht halt die junge Dame da - vielleicht aber auch nicht?
Was ist Fiktion, was ist Wirklichkeit, was ist Traum, was ist Realität, was ist Tod, was Leben, was Gefühl und was Verstand.. und wie läuft Wahrnehmung?
örks
Ich hör' schon auf ;)
Auch Euch
Österliche Grüße
Turtle

 

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