Was ist neu

Vibrationen

Seniors
Beitritt
20.11.2001
Beiträge
7.591
Zuletzt bearbeitet:

Vibrationen

Sie fährt für ihr Leben gern Auto. Am liebsten lenkt sie einfach so aus der Stadt hinaus, ohne Ziel, nur raus. Weg von den belebten Straßen, wo alle ihr immer nachschauen, weil sie so auffällt.
Nicht selten schimpfen Passanten hinter ihr her, so wie eben gerade ein älterer Herr mit Goldbrille. Er blieb extra stehen und drehte sich um, damit er ihr besser hinterherrufen kann: „Saubangad, elendigs!“ Sie sieht ihn im Rückspiegel in seiner verkrampften Haltung und dreht die Musik noch lauter als zuvor. „Leck mich am Arsch...“, denkt sie dabei. Sie läßt sich nicht davon abhalten, in ihrer Music-Box dahinzugleiten, in den Sphären der Musik zu schweben, wenn das ganze Auto ein einziger Klangkörper ist und im Rhythmus vibriert. Hardrock liebt sie besonders, da spürt sie die Bässe am allerbesten. Im Magen. Die Höhen spürt sie nicht so gut. Sie konnte das ja noch nie wahrnehmen, wie es sich tatsächlich anhört, wenn man alles hört - mit den Ohren statt dem Bauch.

 

@Klaus: Keine schlechte Frage, habe ich mir auch gestell, als ich die Geschichte gerade gelesen habe. Ich denke nämlich nicht, da sie ja Warnsignale wie Hupen oder Martinshorn nicht hören. Wenn ich mich da irre, dann entschuldige ich mich schon jetzt dafür.

Davon mal abgesehen finde ich die Geschichte ziemlich gut, das Unverständnis der Menschen gegenüber Andersartigen, in jeder Hinsicht, kommt gut zu Ausdruck. Es zeigt, dass Menschen etwas das sie nicht verstehen oftmals als Beleidigung oder Angriff auf sie selbst interpretieren.
Kurzum: Klasse Geschichte.

Gruß Roman

 

Eine Frage aus Neugierde und Wissensmangel: Dürfen Taube eigentlich Auto fahren?
Gehörlose können den Führerschein machen. Ich glaube, sie sind sogar die besseren Autofahrer, weil sie sich mehr auf den Verkehr konzentrieren als "normale" Verkehrsteilnehmer. (Hab ich neulich mal gesehen irgendwo...)

 

Also entschuldige ich mich einfach nochmal... einfach nur damit ich mich besser fühle ;)! Wollte niemandem zu nahe treten. Aber was ist denn mit den Warnsignalen (Sorry für offtopic)?

 

Genau, Poncher. Ein Bekannter (arbeitet in der Telefonzentrale <hehe>) von mir ist taub und ich hab mal auf einer Homepage dazu die er mir empfahl nachgelesen ... da stand auch, dass Gehörlose oft aufmerksamer den Verkehr verfolgen. Das Problem läge eigentlich darin, dass sie sich während er Fahrt nicht verständigen können weil sie dafür ja die Hände frei haben müssen.

Die Geschichte ist sehr kurz, aber für mich trotzdem vollständig. Eben so ein kleiner Moment der einen Einblick in den Alltag und in die Situation von jemandem gibt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Siegbert!

Danke Dir fürs Lesen und Deine Kritik.

Machen nicht die Autos an sich schon Lärm genug? Warum regt sich darüber niemand auf? Warum sollte sie erst warten, bis sie vor der Stadt ist? Es ist ihr Leben und so sieht es aus: laut.
Neulich habe ich gesehen und gehört, wie sie mit einem Hubschrauber zwei Tage lang vom Westbahnhof direkt vom Zug Betonplatten auf ein ca. 300 m entferntes Hausdach (für die Wiener: Stafa) geflogen haben. Das war ein Ohrenschmaus für die Bewohner dort. Ewiges Hin- und Herfliegen des Hubschraubers, um sich Arbeit zu sparen... Das haben die Leute aber hingenommen...

Also ich stehe weiter auf dem Standpunkt, daß es die Sache des Passanten ist, sich aufzuregen oder nicht. Die Menschen sein zu lassen, wie sie sind oder die eigenen Nerven ruinieren - das hat er ganz alleine in der Hand...

Bei "sie lenkt" will ich kein Fahrzeug schreiben, weil sie ja nicht nur das Fahrzeug aus der Stadt lenkt, sondern auch sich selbst und ihre Musik. Sie lenkt. ;)

"wo alle ihr" - Vielleicht ist es ein anderes Sprachempfinden, das weiß ich nicht. Aber wenn ich es auf beide Arten sage, klingt "wo alle ihr" für mich linear, "wo ihr alle" klingt hingegen eckig. - Ist das jetzt ein anderes Sprachempfinden? :susp:

Alles liebe,
Susi

@Sternenkratzer, ich kenne vier Taubstumme und alle vier zähle ich zu den besten Autofahrern. ;)

Danke allen anderen fürs Aufklären... :)

Besonderes Danke auch an @Ginny, Deine Kritik sah ich erst jetzt. ;)

 

Hallo susi,

das mit dem „ihr“ ist so eine Sache. Deshalb habe ich es ja mit dem subjektiven Begriff `Sprachempfinden´ beschrieben. Du mußt da als Autor entscheiden. Sprache ist halt auch etwas sehr persönliches, es geht ja auch nicht um Regelverstöße.
Ich weiß schon, worum es Dir in Deiner Geschichte geht. Doch im Allgemeinen halte ich es für problematisch, wenn man so argumentiert, daß man ein kleines Unrecht tun kann (aus Spaß laute Musik produzieren), weil irgendwo ein größeres Unrecht (Baulärm – wahrscheinlich sogar unvermeidlich) geschieht. Eigentlich wäre das schon wieder eine Geschichte. Das Thema wäre dann die persönliche Freiheit usw.

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Lieber Siegbert!

Allgemeinen halte ich es für problematisch, wenn man so argumentiert, daß man ein kleines Unrecht tun kann (aus Spaß laute Musik produzieren), weil irgendwo ein größeres Unrecht (Baulärm – wahrscheinlich sogar unvermeidlich) geschieht. Eigentlich wäre das schon wieder eine Geschichte. Das Thema wäre dann die persönliche Freiheit usw.
Ich sehe nirgends ein Unrecht und ich sehe auch nicht, wessen persönliche Freiheit sie einschränkt. Sie steht ja nicht mit ihrem Auto unter einem geöffneten Fenster im Hochsommer, und läßt die Musik stundenlang laufen, sondern sie fährt doch.
Ich fühle mich nicht persönlich eingeschränkt, wenn jemand mit lauter Musik an mir vorbeifährt...
Hingegen wäre ihre Freiheit, die Freiheit Musik zu empfinden, eingeschränkt, würde man es ihr verbieten.

Alles liebe
Susi

 

hallo häferl!

eine starke geschichte!
man macht sich ja im alltag nicht so viele gedanken über andere menschen die es vielleicht nicht so einfach wie wir "normalen" und gesunden haben.
danke, dass du mich angeregt hast, meine mitmenschen wieder etwas näher und tiefgründiger zu betrachten!
man vergisst es ja mit der zeit und in der alltagshektik manchmal.

kennst du vielleicht den film "the dancer"?
es geht um ein taubstummes mädchen, die sich durchs tanzen ausdrück. deine protagonistin erinnert mich sehr sehr stark an die darstellerin in diesem film. jetzt nicht nur weil sie auch taub ist, sondern weil man sogar aus diesem wenigen zeilen deutlich herausliest, dass sie zu sich steht und sich nicht unterdrücken und einschüchtern lässt.

liebe grüße

insomnia (die immer gerne deine geschichten liest)

 

Hallo Häferl,

auch mir kam sofort die Assoziation zum Grönemeyer-Song in den Kopf. So kurz sie sein mag, deine Geschichte, sie liefert doch, wie man hier sehen kann, reichlich Stoff zum Diskutieren / Nachdenken, und das ist schon ein Indiz dafür, dass der Inhalt den Leser erreicht. Mich jedenfalls hat sie auch berührt.
Erinnerte mich an eine Szene, als ich einen Blinden, der mich anrempelte, anmeckerte und erst dann seine Behinderung wahrnahm. Daraufhin war mir mein Benehmen peinlich und ich entschuldigte mich. Warum hätte ich bei einem normalen Menschen nicht genauso denken können und mich für meine rüde Reaktion entschuldigen? Toleranz braucht einen Anschubser. Ich bemühe mich seitdem ohne Anschubser auszukommen.

Gruß vom querkopp

 

Hallo susi,

es ist durchaus verständlich, daß jemand, der weniger Möglichkeiten Freude zu empfinden hat, als andere Leute, die vorhandenen ausschöpfen will.
Die davon `betroffenen´ Mitmenschen werden je nach Charakter und Hintergrundinformation mehr oder weniger Verständnisvoll sein. Schön wäre es nun, wenn man öfters, gewissermaßen auf Vorschuß, seinen Mitmenschen etwas mehr Verständnis entgegenbringen würde. (Siehe Anmerkung querkopp).

Können wir uns darauf einigen?

Liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 

Hi Susi,

so wenige Zeilen und trotzdem so viel Inhalt!

Deine Protagonistin hat geschafft, was sich viele wünschen. Sie kümmert sich nicht um den Haß und die dumpfe Verachtung "der Anderen". Sie weiß, was für sie selbst gut ist und sie nimmt es sich. Ich bewundere sie.

Obwohl die Geschichte so kurz ist, war sie spannend. Da sie in der Rubrik "Jahr der Behinderten" steht, suchte ich natürlich sofort nach dem Handicap der Heldin. Erst im letzten Satz ging mir ein Licht auf.

Gut gemacht!

Liebe Grüße
Barbara

 

Hi!
Ich finde die Story auch super! So kurz und trotzdem gut und mit Inhalt. Man muss echt über seinen eigenen Schatten springen, wenn man es ignorieren will, wenn andere einem nachschauen oder gar nachschreien.
Liebe Grüße
Judy

 

Liebe Barbara, liebe Judy!

Ich danke Euch beiden für Eure zustimmenden Worte! :)

Freut mich, Barbara, daß es für Dich bis zum letzten Satz spannend war!

Alle liebe,
Susi

 

Hallo Häferl,
eine kurze aber dennoch sehr schöne Geschichte.
Dass du erst im letzten Satz aufzeigst, dass deine Figur Hörgeschädigt ist steigert meiner Meinung nach nicht nur die Spannung, sondern lässt dem Leser auch genug Zeit sich die beschriebenen Eindrücke vorzustellen, ohne dass er gleich in die Richtung "Behinderung" gelenkt wird.
So ist es auch Lesern mit Vorurteilen, wenn es solche Leser denn hier gibt, möglich sich einzufühlen ohne die Erlebnisse als für sich unbedeutend abzuweisen.
Ich hoffe du verstehst was ich meine.
Gruß
Birger

 

Hallo Häferl,
Ich bin selbst mit meiner gehörlosen Oma und mit meinem gehörlosen Opa groß geworden. Der Umgang mit ihnen war mir selbstverständlich. Ich meiner naiven kindlichen Welt dachte ich sogar, alle Omis und Opis grunzen komisch und klappern mit den Zähnen :D.
Ich wusste sofort worauf du hinauswillst, deine meine Oma liebte die Vibrationen des Fernsehers, wenn er megalaut war. Die Nachbarn fanden es nicht so toll. Aber meine Oma konnte das an die Wandklopfen ja nicht hören:D
Taubstumme Menschen sind Menschen wie wir. Auch sie haben Wünsche und Träume. Du hast einen Teil davon in deiner Geschichte dargestellt. Sicher kann man mehr in die Tiefe gehen. Dennoch denke ich, kann das nur ein Gehörloser oder ein Hörender, der sich mit Gehörlosen verständigen kann.

Lieben Gruß
Goldene Dame

 

Liebe Susi,
Deine Story ist mir zu kurz. Du beschreibst eine Szene aus dem Leben einer Gehörlosen. Ist sie immer so drauf? Oder hat sie auch mal bessere Tage? Nur sauer sein, nur stinkig auf die lieben Mitmenschen, das kann ich mir nicht vorstellen. Wie wäre es mit noch ein paar Zeilen?
Grüße Heidi

 

Hallo Birger, Goldene Dame und Heidi!

Danke Euch fürs Lesen und Kommentieren meiner Geschichte! :)

@Birger - Ich versteh schon, was Du meinst, bin mir aber nicht sicher, ob meine Geschichte tatsächlich so eine Wirkung auf eventuelle Leser mit Vorurteilen hat bzw. haben kann. Aber wenn Lesern ohne Vorurteile mehr bewußt wird, auf wie viele Dinge es ankommt, wenn man Behinderte tatsächlich akzeptieren und integrieren will, dann bin ich schon zufrieden.
- Allerdings wäre es natürlich schon schön, wenn das, was Du in Deinem Posting schreibst, auch zutreffen würde. :)

@Goldene Dame - das war sicher eine interessante Erfahrung für Dich als Kind mit gehörlosen Großeltern. Da könntest Du sicher auch eine Geschichte drüber schreiben... ;)

Sicher kann man mehr in die Tiefe gehen. Dennoch denke ich, kann das nur ein Gehörloser oder ein Hörender, der sich mit Gehörlosen verständigen kann.
Ich kenne zwar vier Gehörlose näher, das sind zwei Paare, die auch bereits je zwei Kinder haben :), und ich hatte noch nie richtige Probleme, mich mit ihnen zu verständigen. Mit ein bisschen Bemühen geht das schon. Trotzdem hätte ich aber gar nicht mehr Tiefe in die Geschichte einbauen wollen. Als Passant auf der Straße sollte man es ja auch dann akzeptieren, wenn man gar nichts über die Protagonistin weiß - was auf eine allgemein größere Toleranz hinauslaufen müßte, sodaß man nicht immer erst ein Hinweisschild "Achtung soundsobehindert" sucht, bevor man Menschen, die sich anders verhalten, so akzeptiert, wie sie sind. :)

@Liebe Heidi, meine Protagonistin ist doch gar nicht schlecht drauf - ganz im Gegenteil, sie freut sich über die Musik, die sie gerade genießen will. ;) - Zumindest in meinen Augen und so wie ich es schreiben wollte, ist der Passant ein bisserl schlecht drauf. Er steht auf der lauten Straße und ärgert sich, weil jemand Musik hört... Aber zum Glück läßt sich meine Protagonistin nicht auf den Ärger ein, zeigt ihm nur den Stinkefinger und flucht vier Wörter lang, dann genießt sie weiter die Musik (sie ist recht selbstbewußt, und das ist auch gut so, sonst würde sie depressiv und müßte am Ende alle Hörenden verfluchen ...) ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom