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Vibrationen

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20.11.2001
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Vibrationen

Sie fährt für ihr Leben gern Auto. Am liebsten lenkt sie einfach so aus der Stadt hinaus, ohne Ziel, nur raus. Weg von den belebten Straßen, wo alle ihr immer nachschauen, weil sie so auffällt.
Nicht selten schimpfen Passanten hinter ihr her, so wie eben gerade ein älterer Herr mit Goldbrille. Er blieb extra stehen und drehte sich um, damit er ihr besser hinterherrufen kann: „Saubangad, elendigs!“ Sie sieht ihn im Rückspiegel in seiner verkrampften Haltung und dreht die Musik noch lauter als zuvor. „Leck mich am Arsch...“, denkt sie dabei. Sie läßt sich nicht davon abhalten, in ihrer Music-Box dahinzugleiten, in den Sphären der Musik zu schweben, wenn das ganze Auto ein einziger Klangkörper ist und im Rhythmus vibriert. Hardrock liebt sie besonders, da spürt sie die Bässe am allerbesten. Im Magen. Die Höhen spürt sie nicht so gut. Sie konnte das ja noch nie wahrnehmen, wie es sich tatsächlich anhört, wenn man alles hört - mit den Ohren statt dem Bauch.

 

Ich dachte, ich hätte hier schon lange geantwortet ;)

also liebe Häferl, ich fand diese Geschichte weder zu kurz, noch fand ich, dass deine Heldin schlecht drauf ist. Ich fand es einfach schön, wie sie voller Lebensfreude genießt, was ihr etwas gibt.
Über das Wummern der Bässe im Bauch Musik genießen, ist eine tolle Möglichkeit.
Also so kurz und knapp, wie deine Geschichte ist, so gut ist sie auch.

Eine Frage muss ich aus Unwissenheit allerdings los werden. Ein Bekannter von mir hier in Hamburg ist von einem taubstummen Elternpaar großgezogen worden. Beide hatten keinen Führerschein, und ich hatte es bei ihm immer so verstanden, dass sie auf Grund der Taubheit auch keinen machen durften? Ich hoffe ich irre mich.

Lieben Gruß, sim

 

Lieber sim!

Danke für Deine doppelte Antwort (einmal geistig, einmal schriftlich :D ;))! Freut mich sehr, daß Du sie gut findest! :)

Bei uns in Österreich können Gehörlose jedenfalls den Führerschein machen - denn die vier, die ich kenne, haben ihn alle. Kann mir aber kaum vorstellen, daß wir da Unterschiede haben...?
Allerdings kann ich mir vorstellen, daß sich manche (z.B. die Eltern Deines Bekannten) vielleicht doch etwas unsicher fühlen, und das der Grund ist, warum sie den Führerschein nicht machen können?

Alles liebe,
Susi

 

Liebe Susi,

na dann wollen wir deine alte Geschichte mal wieder aus der Versenkung holen. ;) :D

Allgemein stehe ich solchen ultrakurzen Geschichten eher skeptisch gegenüber, da ihnen meist die notwendige Tiefe fehlt – du hast mit "Vibrationen" allerdings das Gegenteil bewiesen. :thumbsup:

Ich hab die anderen Kritiken, nachdem ich meine eigenen Notizen aufgeschrieben habe, um mich nicht beeinflussen zu lassen, nur überflogen – daher schon mal sorry für eventuelle Wiederholungen. :rolleyes: Vieles wurde ja bereits gesagt.

Die Geschichte kommt ohne viel Handlung aus, sie lebt vielmehr von der Atmosphäre. Und das finde ich als Selbst-eher-Atmosphäre-erzeug-anstatt-viel-passieren-lass-Autor natürlich gut. :D
Du hast die Stimmung, als deine Protagonistin die Musik im Auto hörte, sehr gut in den wenigen Zeilen eingefangen, und da ich ebenfalls gerne Musik zum Autofahren höre, konnte ich mir den vibrierenden Rhythmus mit den Bässen sehr gut vor Augen führen.

Der Titel passt, er trifft den Kern ohne allzu viel vorweg zu nehmen. Das Ende war unvorhersehbar für mich. Den erklärenden Schlusssatz finde ich, ebenfalls wie die Sätze zuvor, sehr gut zu Papier gebracht.

Die Idee an sich mag nicht neu sein, störte mich beim Lesen aber nicht. Welcher Autor kann von sich schon behaupten, etwas vollkommen Neues geschrieben zu haben?

Gefragt habe ich mich, warum die Passanten oft über deine Protagonistin schimpfen – es liegt wohl, wie du selbst in einem Posting erklärst, an die oft zu laute Musik.

Allgemein haben es Taubstumme sicherlich nicht einfach und "Vibrationen" könnte sehr gut der Realität entsprechen.

Kennst du den Film "Mr. Hollands Opus"?
Als angehender Komponist träumt der Hauptcharakter davon, eine große Symphonie zu komponieren – doch wie das Leben so spielt, wird er eben "nur" Musiklehrer.
Als er einen Sohn bekommt, stellt er fest, dass dieser taubstumm ist und, wie die Frau in deiner Geschichte, ebenfalls nicht hören kann. Für den Musik über alles liebenden Vater natürlich ein großer Schock.
Was mich an dem Film fasziniert: Auch er baut Atmosphäre auf, die Geschichte ist wunderbar einfühlsam erzählt, von den Schauspielern gut gespielt, ...
Ohne allzu sehr von deiner Kurzgeschichte abschweifen zu wollen, kann ich dir den Film sehr ans Herz legen. Absolut sehenswert.

Die Geschichte zeigt, dass Musik auch Taubstummen kein Fremdwort ist und sie zumindest die Bässe spüren können. Selbst Beethoven war am Ende seines Lebens taub und hat trotzdem weiterhin komponiert.

Im Allgemeinen sollte die Länge einer Kritik wohl nicht die Länge der dazugehörigen Kurzgeschichte überschreiten – aber Ausnahmen bestätigen eben immer wieder mal die Regel. :D
Ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen was anfangen. Hab die Geschichte gerne gelesen.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Lieber Michael!

Danke fürs Lesen und Dein so ausführliches Lob! :) Und daß Du die Geschichte ausgegraben hast, freut mich natürlich ganz besonders!


Gefragt habe ich mich, warum die Passanten oft über deine Protagonistin schimpfen – es liegt wohl, wie du selbst in einem Posting erklärst, an die oft zu laute Musik.
Manche regen sich ja immer auf, wenn irgendetwas nicht so ist, wie es in ihrem Kopf richtig ist. Selten fragt dann jemand nach dem Grund – Rücksicht oder Verständnis gibt es nur da, wo die Behinderung offensichtlich ist. Geistig sieht der Passant vermutlich irgendeinen wilden Rowdie, der (in seinen Augen) nichts als provozieren will, und daher nimmt er sich das Recht, hintennachzuschimpfen.

Allgemein haben es Taubstumme sicherlich nicht einfach und "Vibrationen" könnte sehr gut der Realität entsprechen.
Darum ging es mir ja eigentlich: Sie haben es einfacher, je weniger »Rücksicht« sie auf Gesunde nehmen. Ein Taubstummer, der ständig nur darauf achtet, ob er auch leise genug ist, legt sich selbst die Ketten an. – Ich meine damit falsch verstandene Rücksicht. Die Protagonistin nimmt ja insofern auch Rücksicht, daß sie nicht zuhause die Musik so laut aufdreht, bis sie sie spürt und sich die Nachbarn ärgern, sondern sie nimmt es auf sich, dafür extra mit dem Auto herumzufahren, aus der Stadt hinaus.
Der Mann, der an der Straße steht, kann aber von gestörter Ruhe nicht wirklich sprechen, da ja der Autoverkehr an sich schon Lärm ist (hinter ihr drei LKW…). Worüber er sich aufregt, ist nur ein anderer Lärm, als der, den er bereit ist, einfach so zu akzeptieren.

Irgendwie schaff ich es heute glaub ich nicht wirklich, das rüberzubringen, was ich eigentlich aussagen will, mittlerweile hab ich einen Knoten im Hirn…:hmm: :D

Für den Filmtip bedanke ich mich – aber es ging mir ja wie gesagt weniger darum, nur aufzuzeigen, daß Taube Musik »hören« können, sondern viel mehr um den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderungen, die man nicht auf den ersten Blick erkennt, und wollte zeigen, daß das Problem eigentlich eine allgemein niedrige Toleranzgrenze ist.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi Häferl,

ich bin dabei, mich durch bekannten Grund durch deine Geschichten zu wühlen (wieso gerade ich - du hast mit Abstand sicher die meisten ;) ) - aber ich werde sicher auch nur punktuell vorgehen.

Mir war durch den Titel sofort klar, auf was du hinaus willst - und Grönemyer war auch sehr schnell da. Aber wie schon jemand bemerkte, kann man ja nicht immer Themen behandeln, die es gar nicht gibt.

Ein Zitat von dir möchte ich noch herausgreifen:

Ich fühle mich nicht persönlich eingeschränkt, wenn jemand mit lauter Musik an mir vorbeifährt...

Ich bin im Sommer oft am Bodensee an einer Promenade: Es macht mir Spaß, die Menschen und den See zu beobachten. Einige Meter dahinter ist eine kleine Straße, durch die sich - hauptsächlich junge Menschen mit Cabrios oder Autos mit offenen Fenster - quälen. Sehen und gesehen werden.
Mit ihrem unverschämt lauten Beat beschallen sie dadurch die ganze Unterstadt, der durch die hohen Mauern auch noch toll laut wird und Echos erzeugt.
DAS geht mir tierisch auf den Keks.

Die kurze Kurzgeschichte ist für mich auch nur ein Ausriss, der mir aber genügt, um es als KG durchgehen zu lassen, mich aber durch die Kürze nicht vom Hocker reißt, weil ich gar nicht reinkommen kann. Für das Thema dJdB natürlich passend.

Lieber Gruß
bernadette

 

Liebe Bernadette!

Auch hier sag ich erst einmal danke fürs Lesen! :)

ich bin dabei, mich durch bekannten Grund durch deine Geschichten zu wühlen
Morgen geht hier die Schule wieder los, dann muß ich mich durch Nauts Geschichten wühlen… :D
wieso gerade ich - du hast mit Abstand sicher die meisten
Naja, da kann ich Dich trösten: Wenigstens liegen meine Geschichten in Deinen Genres. ;) Naut hat so viel Science-Fiction … :heul: (Ich hätte lieber Dich imitiert. :))

Ich bin im Sommer oft am Bodensee an einer Promenade: Es macht mir Spaß, die Menschen und den See zu beobachten. Einige Meter dahinter ist eine kleine Straße, durch die sich - hauptsächlich junge Menschen mit Cabrios oder Autos mit offenen Fenster - quälen. Sehen und gesehen werden.
Das trifft aber auf meine Protagonistin nicht zu. Sie fährt nicht durch ein Erholungsgebiet, sondern durch eine ohnehin laute Straße und dann raus aus der Stadt, sie fährt auch nicht im Cabrio und sie macht das nicht, um aufzufallen. Sie will nur Musik hören, was sie leise nicht kann. Wahrscheinlich hat sie auch nicht einmal halb so starke Boxen wie die Schicki-Mickis, von denen Du erzählst – die die Musik ja auch leiser hören könnten und vor allem nicht genau da fahren müßten, wo andere Erholung suchen, sowas würde meine Protagonistin nie tun, sie fährt extra dahin, wo niemand ist, den sie stört – der Alte gehört zu der Sorte Menschen, die sich über alles aufregen. ;)

mich aber durch die Kürze nicht vom Hocker reißt
Mein Tip dagegen: die längeren Geschichten lesen, wie zum Beispiel das Gänseblümchen … ;)

Alles Liebe,
Susi :)

 

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