Wahrheit
Jetzt sitze ich hier allein bei Kerzenschein und ich weiß bereits die Wahrheit. Sie wird nicht kommen. Niemals wird sie kommen, um zu schauen, wie es mir geht. Und ich weiß auch, dass ich ein elender Feigling bin, während ich die Wände betrachte, an denen Schatten tanzen. Ich hatte mir alles so schön vorgestellt, doch es gab keine Zukunft. Das ganze Haus ist still und leer und ich kann mein Herz schlagen hören, wie es sich in meiner Brust zusammenzieht, als wollte es hinaus. Hinaus zu ihr. Als wollte es mich verlassen, weil ich so bin wie ich bin. Jedesmal wenn ich sie sah konnte ich die Stimme meines Verstandes vernehmen, wie sie dem Herz befahl doch endlich still zu sein und sich nicht zu regen. Und ich ertappte mich stets dabei, wie ich in Kreisen um sie zog. Sie die Sonne, ich die Erde. Doch wenn wir uns berührten, so beschwor mich der Verstand, wäre dies fatal, denn nichts würde so bleiben wie es war- für keinen von uns beiden. Ich hatte Angst vor der Veränderung, Angst um mein leidliches kleines Leben, das ich bisher geführt hatte, in dem ich alles so sicher glaubte, in dem alles so rational und greifbar war. Ich war es nicht gewohnt, auf Menschen zuzugehen und zu erkennen, dass ich liebte. Ein großes Wort: Liebe. Doch auch irgendwie kitschig und verbraucht. Wo doch die Welt sonst voll Zorn und Argwohn ist. Es gibt keinen Romeo und keine Julia und es hat sie vermutlich auch zu keiner Zeit gegeben, weil es keine Liebe gibt. Sie ist kein Nehmen und Geben, sondern nur das Geben des einen und das Nehmen des anderen. Das ist mir jetzt bewusst. Ich brauche sie, doch sie - sie braucht mich nicht. Wenn wir uns sehen komme ich auf sie zu und spüre ihre Nähe und bin geborgen für einen Augenblick. Ich tauche ein in ihre Augen, so tief und geheimnisvoll und schwebe nur auf der Woge des Moments. Möchte nie wieder zurück, von wo ich kam. Ich hänge an ihren Lippen, wenn sie spricht und sehe ihr Haar, das in der Sonne glänzt, wie Fäden von Sonnenlicht. Sie nimmt mich gefangen nur dadurch, dass sie da ist und ich lasse es geschehn. Reglos. Dann ist sie fort und ich gehe weiter, mein Geist noch immer wie gelähmt. Ich gehe vorbei und kann meine Beine nicht mehr bändigen, auch die Gedanken nicht, denn der Verstand reisst sie mit sich fort. Dann bin ich sicher, dass eine weitere Gelegenheit ungenützt verstrichen ist, vielleicht die letzte und ich stürze in das tiefe Loch der Wirklichkeit. Und in der Ferne verschwindet sie Arm in Arm mit einem anderen. Und ich bleibe zurück und wünsch ihr das Glück, das sie verdient.