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Walpar Tonnraffir: Wodka auf Eis und Io

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15.04.2002
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Walpar Tonnraffir: Wodka auf Eis und Io

»Zeit für den neuen Auftrag«, mahnte der geierförmige Terminkalender auf dem Schreibtisch und blinkte ungeduldig mit den Augen.
Walpar Tonnraffir riss vor Schreck seinen Zeigefinger aus dem Manikürograph und kreischte kurz, als er merkte, dass er mal wieder alles vermasselt hatte. Traurig begutachtete er das unfertige Muster eines Minidrachen auf seinem Nagel. Die Frauenstimme des digitalen Manikürographen erklärte angesäuert, dass der einmal unterbrochene Zeichenvorgang leider nicht fortgesetzt werden könne, er möge doch einfach zum Sonderpreis das nötige Upgrade erwerben.
Das kleine Gerät war ein Abschiedsgeschenk vom Chef des Senders. Als die Detektiv-Soap, in der Tonnraffir die Hauptrolle spielte, wegen zu geringen Ekelfaktors abgesetzt worden war, hatte GreenMarsTV versehentlich ein paar Formulare vertauscht. Sorgfalt hatte bei diesem Sender schon immer am anderen Ende der Prioritätenliste gestanden, deren Spitze der Begriff »Schlechter Geschmack« zierte, und zwar doppelt unterstrichen.
Deshalb war Tonnraffir immer noch Privatdetektiv mit Lizenz für's ganze Sonnensystem, bloß ohne die ganzen Kameras und mit wesentlich appetitlicheren Aufträgen. Dass Tonnraffirs Büro hauptsächlich aus Pappmaché-Fassaden bestand und die Aussicht auf den Park am Fuß des Mount Olympus nur eine Art Matte-Painting war, tat der Sache keinen Abbruch, solange der Kaffeeautomat anstandslos seinen Dienst versah. An schlechten Tagen beklagte der sich allerdings auch mal über zuviel Arbeit und faselte irgendwas von Koffeinabhängigkeit und Kochspiralenabnutzung. Außerdem kochte er den Kaffee manchmal zu heiß und kicherte albern, wenn der voreilige Trinker sich die Lippen verbrannte.
Tonnraffir prüfte das Haargummi am Ende seines weißen Zopfes. Seit dem Ende seiner Auftritte in der Realtime-Soap hatte er einige neue Outfits ausprobiert, um für einen eventuellen Beginn einer dritten Staffel gewappnet zu sein. Er hatte den meditativen Aspekt der stilistischen Selbstexperimente zu schätzen gelernt, gestatteten sie ihm doch mehr Abwechselung als seine Routinejobs.
So auch im aktuellen Fall. Pert da Pakonti, Mitglied der solaren Deregulierungsbehörde für Lobbyismussubventionen, wohnhaft in Nuovo Milan auf der anderen Seite des Mount Olympus, hatte gestern Vormittag angerufen. Jetzt spielte der Terminkalender-Geier die Aufnahme zur Erinnerung noch einmal auf seinem sechseckigen Bauchdisplay ab.
Pakontis Abbild, modisch mit einer knielangen Krawatte bekleidet, erklärte gerade: »Unverschämte Diebe! An den Galgen gehören die. Kein Respekt mehr vor einer ... Respektperson. Sollen sie doch den Armen was klauen, die sind es gewohnt, Dinge zu vermissen.«
Tonnraffir hörte seine eigene Stimme antworten: »Was genau wurde denn entwendet?« Das klang aufreizend gelangweilt, musste der Detektiv eingestehen.
»Meine Raumyacht«, sagte de Pakonti und machte eine Flugbewegung mit seiner Hand.
»Aha. Um was für einen Bautyp handelt es sich?«
»Eine Edmonton Flash von 73.«
Nach einem Zögern erklang erneut Tonnraffirs Stimme: »Wollen Sie sich nicht lieber eine neue kaufen?«
Langsam wurde dem Detektiv die Aufzeichnung peinlich, und er stoppte sie, indem er den Geier vom Tisch schubste.
Die Maniküre, drei Tassen Kaffee sowie ein langer Blick hinaus auf den gemalten Vulkan hatten Tonnraffir zu folgender Überlegung gebracht: Wenn man nicht wusste, wo man mit der Suche nach einem Gegenstand anfangen sollte, war jeder noch so abwegige Anhaltspunkt wertvoll. Mit anderen Worten: Da der uralte 73er Edmonton Flash es nicht mehr weiter schaffen würde als bis Io, war der terraformierte Jupitermond zweifellos der beste Ort, um mit der Suche zu beginnen.


»... nicht zuletzt aufgrund des persönlichen Einsatzes von Pert da Pakonti war die Lobbyarbeit der Antarktischen Wirtschaftsunion von Erfolg gekrönt. Die polaren Wärmetransmitter wurden rekonfiguriert, so dass nicht der Südpol, sondern das ohnehin unbewohnbare Nordpolarmeer zwecks Gegensteuern zum Treibhauseffekt wieder mit einer Eiskappe versehen wurde, um zusätzliche Wärme nach Io zu transferieren, wo das Terraforming ...«
Tonnraffir gähnte und stellte die leiernde Sprech-Wiki aus, was diese mit einem pikierten »Doofmann« quittierte.
Auch Tonnraffirs Dienstfahrzeug war nach dem Ende der TV-Serie in seinem Besitz geblieben, allerdings hatte er ein bisschen nachgeholfen, indem er die Fahrgastzelle innen mit unzähligen Fotos von sich selbst beklebt hatte, um den Wiederverkaufswert unter die Rentabilitätsgrenze zu drücken.
Ein Blick auf das seitliche Display, wo ein hübscher Elfen-Avatar mit Seifenblasen die Ziffern des Countdowns auspustete, ergab, dass der Landeanflug auf Io so gut wie abgeschlossen war.
Der Detektiv förderte eine Infrarot-Fernbedienung aus seiner Westentasche zutage, zielte auf sein Gesicht und drückte eine Taste. Seine goldfarbenen Kontaktlinsen blendeten gehorsam die Transkription des Jupiter-Polizeifunks ein. Auch dieses Spielzeug war ein Erbstück aus der alten TV-Serie, für das der Sender einem Hacker einen Lohn in Höhe der Kosten von mindestens dreimal Klonen gezahlt hatte. Die Laufschrift brachte Informationen über Kapitalverbrechen, kleinere Delikte und ab und zu ziemlich flache Alienwitze, über welche die quallenähnlichen Ureinwohner von Europa sicher nicht lachen konnten. Falls es überhaupt noch welche gab, abgesehen von denen in der Space Soap Opera, die 24 Stunden live über ihr Aussterben berichtete.
Es dauerte eine Weile, bis der in die Kontaktlinsen integrierte Highend-Computer, auf dem auch die meisten aktuellen Egoshooter noch fast ruckelfrei liefen, relevante Informationen extrahiert hatte. Nach der Einblendung des Software-Sponsors, »die folgenden Ergebnisse werden Ihnen präsentiert von Abramovitsch, dem einzigen Wodka mit garantiert katerfreiem Synthohol«, erschien eine Liste von Raumyacht-Schwarzmarkthändlern, fein säuberlich sortiert nach dem Umsatz des letzten Quartals.
»Diese Liste ist mir zu lang«, maulte Tonnraffir.
»Dreizehn Minuten«, säuselte in diesem Moment der Elf, weil ihm die Seifenblasen-Flüssigkeit ausgegangen war.
Lustigerweise stand auf Platz Dreizehn der Liste ein Abschleppunternehmen namens C. Elbing GmbH.


Tonnraffir ging vor der spärlich beleuchteten Bürotür des Abschleppunternehmens Elbing auf und ab, weil er Angst hatte, es könnte seinem selbstbewussten Auftreten schaden, wenn er als erstes nach dem Weg zum Klo fragen würde.
Kurz bevor er sich in die Hose machte, traute er sich dann doch hinein.
»Haben Sie einen Edmonton Flash von 73, Mr. Elbing?«, fragte er, nachdem erledigt war, was erledigt werden musste. Er hatte es abgelehnt, Platz zu nehmen, um auf sein Gegenüber herabsehen zu können. Seine Ellenbogen lagen lässig oben auf dem angebotenen Ledersessel.
»Herr Elbing, bitte. Oder haben sie draußen ein Sternenbanner gesehen?« Elbing zog ein beleidigtes Gesicht, was auf seinem tonnenförmigen Körper irgendwie clownig wirkte.
Tonnraffir klammerte sich an die Lehne des ledernen Kundensessels und versuchte fieberhaft, sich eine schlagkräftige Entgegnung einfallen zu lassen, die sein bescheidenes Auftreten nicht noch näher an das Niveau einer DumbTV-Comedy brachte.
»Nein«, schüttelte Elbing derweil den Kopf.
Tonnraffir zögerte. Sollten ihn seine methodisch konsequenten Ermittlungen an den falschen Ort geführt haben? »Nicht? Kein Edmonton Flash von 73? Sind Sie sicher?«, hakte er daher nach, aber Elbing fuhr lediglich damit fort, den Kopf zu schütteln.
»Ja dann«, sagte Tonnraffir und wandte sich zum Gehen. Dabei zögerte er für eine genau berechnete Zeitspanne.
»Es sei denn«, sprach Elbing in seinem Rücken, »Sie sind an den Sonderkonditionen interessiert, die für Raumfahrzeuge gelten, deren Aufbewahrungsfrist noch nicht abgelaufen ist.«
Tonnraffir setzte ein halbgesichtiges Lächeln auf, das laut seinem früheren Regisseur von 95 Prozent der Zuschauer als »verschwörerisch« wahrgenommen wurde. Dann drehte er sich um. »Ja«, antwortete er mit ausgesucht warmer Stimme, »daran wäre ich in der Tat unter Umständen interessiert.«
Elbing erhob sich keuchend. »Kommen Sie mit«, winkte er und ging voran, aus dem Büro hinaus, dann quer über den Parkplatz. Gerade riss die Bewölkung auf, und Jupiter linste mit seinem roten Auge durch die Lücke.
Mehrere Scheinwerfer tauchten den Parkplatz in sonnenähnliches, schattenloses Licht. Die Sonne selbst war zu weit weg, um etwas zu erzeugen, was man auf Erde oder Mars als Tageslicht bezeichnet hätte. Raumschiffe aller Größen standen unsortiert herum – vom schnittigen Einsitzer bis zum klobigen Familien-Van mit Strampel-Stabilisatoren und Micky-Maus-Design. Elbing hielt vor einem unauffälligen, blassgrünen Flitzer an und machte eine Geste, als sei er ein Showmaster und der Edmonton Flash der Star des Abends.
»Ah«, machte Tonnraffir und merkte, dass er sich mal wieder vorher nicht überlegt hatte, wie sein nächster Schritt aussah.
»Allerdings«, streichelte Elbing die seitliche Navigationsdüse des Fahrzeugs, »kommen zu den üblichen Kosten noch die Parkscheingebühren.«
»Wieso Parkscheingebühren?«, erkundigte sich Tonnraffir, während er so tat, als begutachte er fachmännisch etwas, von dem er glaubte, es könne der Asteroidensensor sein.
»Nun«, machte Elbing, »als man mich beauftragte, das Objekt abzuschleppen, parkte es schon drei Tage lang auf einem VIP-Stellplatz vor dem Lucky Io.«
»Lucky Io? Klingt extravagant«, entgegnete Tonnraffir und dachte an ein High-Society-Bordell.
»Allerdings«, sagte Elbing. »Das Lucky Io ist das exklusivste No-Limit-Casino aller Jupitermonde. Sogar die Toilettendame nimmt nur Scheine.«
Tonnraffir hörte schon gar nicht mehr zu, denn ihm war klar, dass er den Fall im Grunde gelöst hatte, weil er das corpus delicti lokalisiert hatte. Allerdings war ihm gerade eingefallen, wie er die Spesenrechnung ein wenig aufbessern konnte.


Das Lucky Io war nicht nur das exklusivste, sondern auch das prunkvollste Casino auf den terraformierten Jupitermonden. Das massive Eingangstor und die dunkelgrauen Wandvertäfelungen stammten aus Steinbrüchen auf Adrastea, dem zweitinnersten Mond, der inzwischen komplett zu Gebäudeverzierungen, noblen Küchenarbeitsplatten und Denkmälern für die Ausbeutung des Weltalls verarbeitet worden war.
Aber auch der Service war nicht ohne. Als besondere Attraktion konnte man sich an der Bar mit James-Bond-Klonen fotografieren lassen. Für Leute, die keinerlei Spielregeln kannten und auch keine Lust hatten, sich welche zu merken, war eigens ein neues Kartenspiel namens 17+Fear erfunden worden, bei dem die Spieler nichts anderes tun mussten, als am Tisch zu sitzen und Spaß zu haben. Man konnte sich sogar nach Belieben mit Sitznachbarn, Amüsierrobotern oder James-Bond-Klonen unterhalten, während sich die Jetons auf kleinen Beinchen von selbst einsetzten und zufällig gezogene Monsterkarten einander mit irrelevanten Ergebnissen bekämpften.
Walpar Tonnraffir strich seinen geliehenen Smoking glatt und suchte sich nach dem bewährten Enemenemu-Prinzip eine junge Frau an einem Spieltisch aus. Er stellte sich hinter sie und tat so, als würde er sie kennen, indem er immer lächelte, wenn Jetons zu ihr gekrabbelt kamen und lautlos fluchte, wenn sie ausblieben.
Gleichzeitig hielt er unauffällig Ausschau nach einem potenziell auskunftsfreudigen Gesprächspartner. Der vierarmige Croupier kam anscheinend nicht in Frage, weil er genauso mechanisch aufgebaut war wie die Jetons und die Karten, allerdings spendierte er gelegentlich einsamen Spielern ein warmes Lächeln oder fragte, ob jemand noch ein Getränk wünsche.
Tonnraffir bekam Durst auf einen Wodka auf Eis und tat so, als würde er der Unbekannten vor ihm »bis nachher, Darling« ins Ohr flüstern. Dann wanderte er lässig zur Bar und wählte einen Hocker direkt neben der Spüle. Er bestellte seinen Drink bei dem grün uniformierten Barkeeper und überlegte, ob er noch ein wenig an seinem eigentlich abgeschlossenen Fall arbeiten konnte. Je dicker der Bericht ausfiel, umso höher die Rechnung.
Da der Dieb das gestohlene Raumschiff hier zurückgelassen hatte, gab es nicht viele Möglichkeiten. Am naheliegendsten fand der Detektiv, dass der Übeltäter keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, den Edmonton Flash wieder zu besteigen. Vielleicht war ihm etwas unangenehmes zugestoßen – in einem Casino war das genaugenommen nicht einmal besonders unwahrscheinlich.
Als Tonnraffirs Drink kam, schob er dem Barkeeper einen Schein zuviel rüber und fragte, ob vielleicht in letzter Zeit Leute abhanden gekommen waren.
»Weil sie ihre Körper verspielt haben?«, antwortete der Barkeeper und steckte in aller Ruhe die Scheine ein. »Nein, letzte Woche nicht. Was ist mit Ihrem Ohr?«
Tonnraffir griff sich automatisch an seine linke Kopfseite. »Es fehlt«, sagte er.
»Verspielt?«
»Natürlich nicht. Hab mal in einer Band gespielt, und mein Kollege Thor hat mir das Ohr mit dem elektrischen Digderidoo abgeschlagen. Versehentlich, versteht sich.«
»Das tut mir Leid«, erwiderte der Barkeeper betroffen.
»Ist ja nur die Muschel, die fehlt. In Stereo hören kann ich trotzdem, bloß handelsübliche Kopfhörer bereiten mir Schwierigkeiten.« Parallel zum Smalltalk dachte Tonnraffir weiter nach. Eine Möglichkeit war, dass der Dieb mit einem anderen Gefährt von hier verschwunden war – der Parkplatz bot schließlich eine nicht geringe Anzahl verlockender Alternativen. Tonnraffir fragte: »Wie ist es mit Raumschiffen? Wurden hier in letzter Zeit welche gestohlen?«
»Schwer zu sagen«, erklärte der Barkeeper. »Ich meine: Viele kommen mit dem einen Fahrzeug und gehen mit dem anderen. Zum Beispiel, weil sie eins gewinnen oder verlieren. Wir haben hier keine Limits, wie Sie sicher wissen.«
Tonnraffir grinste und legte einen weiteren Schein auf die Bar aus extraschwarzem Original Adrastea-Gestein. Vielleicht war der Dieb mit dem Edmonton hierher gekommen und hatte so viel gewonnen, dass er sich ein neues Raumschiff leisten konnte. Und vielleicht war er auch heute wieder hier, denn wer einmal etwas gewonnen hatte, ging stets davon aus, dass das wieder geschah – so funktionierte die Spielsucht nun einmal.
Mit seinem Wodka auf Eis machte Tonnraffir sich auf die Suche nach jemandem, der viel gewann. Als erfolgversprechendste Strategie nahm er sich vor, eine Menge Spesengelder zu verlieren, während er gelegentlich einen Blick auf seine über den Tisch krabbelnden Jetons warf und ansonsten hübschen Spielsüchtigen schöne Augen machte. Seit einer unglücklichen Liaison mit einem erstaunlich lebendigen Leichenbestatter namens Lund hatte Tonnraffirs Liebesleben praktisch nicht mehr stattgefunden.
Eine ganze Stunde lang war der Croupier die einzige Person gewesen, die seine Blicke erwiderte. Tonnraffirs Jetons hatten sich derweil fast alle zur gegenüberliegenden Seite des Tisches begeben, wo sie sich vor einem dicken Japaner stapelten, der ein Bier nach dem anderen trank.
Der Detektiv beschloss, in die Offensive zu gehen. »Ich habe nicht mehr genug Geld, aber ich setze mein Raumschiff.« Er zog seine Zündschlüssel hervor und legte sie auf den Tisch.
Der Japaner trank seelenruhig von seinem Bier. »Nein danke«, sagte er dann. »Beim letzten Mal war das ein unbrauchbarer Schrotthaufen.«
»Aber Sie haben darum gespielt«, klammerte Tonnraffir sich an seine Idee.
»Das trifft zu«, gab der Japaner zurück. »Allerdings war es eine Frau, die mir gegenüber saß, kein weißzopfiger Marsianer. Ja, das sehe ich am roten Staub auf ihrem Hemd. Ich hoffte, dass sie, wenn sie ihr Raumschiff verloren haben würde, als nächstes ihren Körper einsetzen würde.« Er hob sein Bierglas zum Mund. »Leider kam es nicht dazu.«
»Warum nicht?«
Tonnraffir musste auf die Antwort warten, weil der Japaner zunächst den verbliebenen viertel Liter Bier in sich hinein gießen musste. »Sie sah auf ihre Uhr«, berichtete er dann, »und sagte, huch, so spät schon, jetzt muss ich aber gehen.«
Während Tonnraffir überlegte, was er darauf entgegnen sollte, sammelte er unauffällig seine Zündschlüssel wieder ein. Gleichzeitig schob ihm der Croupier eine Karte zu.
Seufzend hob der Detektiv sie hoch. Statt eines Monsters zeigte die Karte einen kurzen Text, der lautete: »Triff mich in einer Stunde im Herren-WC.«
Fassungslos starrte Tonnraffir den mechanischen Croupier an, der ihm klickend zuzwinkerte.


Frauenfinger befummelten nervös ein dicht beschriebenes Formular. Das Kleingedruckte war so winzig, dass es unmöglich war, es zu entziffern.
»Und sie sind bei Ihnen auch sicher in guten Händen?«, fragte die Frau mit beinahe brechender Stimme. Ihr Gesicht zeigte ehemalige Schönheit, vage instandgehalten durch routinierte aber uninspirierte Chirurgie.
»Selbstverständlich, Signora«, sabberte das Grinsen auf der anderen Seite des mit Papieren überquellenden Schreibtischs. Es wurde nach oben von einer behaarkranzten Glatze und nach unten von einem kugelförmigen Wanst begrenzt.
Das Düdeln des Telefons übertönte das Schluchzen der Dame.
Das Grinsen hielt sich den Hörer ins Gesicht. »Si? Si.« Der Mann erhob sich aus seinem Schreibtischsessel und wirkte danach überraschenderweise ein Stück kleiner. »Entschuldigen Sie mich, Signora, ich bin gleich wieder da.« Mit diesen Worten verließ er das Büro durch eine Tür zwischen pompös gerahmten Escher-Drucken.
Die Frau blieb allein zurück, legte das Papier mit den unmoralischen Vereinbarungen, die sie zu unterschreiben im Begriff war, auf den Tisch und putzte sich lautstark die Nase. Dadurch hörte sie nicht, dass jemand eintrat.
»Ich wusste, dass ich Sie hier finde, Frau da Pakonti.«
Die Dame schrak auf. »Wer sind ... was wollen Sie?«
Der Neuankömmling grinste und schwenkte den Werbeprospekt der Firma, den er im Wartezimmer gefunden hatte. »Salvatores Gen-Leihhaus«, las er vor. »Machen Sie Ihre inneren Reichtümer zu barem Geld.« Der Mann schüttelte den Kopf. Dann zerknüllte er den Prospekt, zielte und warf ihn in Richtung Mülleimer, freilich ohne zu treffen.
»Ich bin Walpar Tonnraffir, Privatdetektiv. Und Sie sind verzweifelt, spielsüchtig und pleite«, erklärte er brachial. »Sie waren einmal eine schöne Frau und jetzt geben Sie das einzige in Zahlung, was Sie noch haben. Ihre Gene.« Tonnraffir schüttelte den Kopf und ging im Raum auf und ab, während Frau da Pakonti ihm mit staunendem Blick folgte. »Sie haben das Raumschiff Ihres Mannes verspielt, und jetzt versuchen Sie, zu Geld zu kommen, um Ihre Schulden zu begleichen.«
»Nein, um weiter zu spielen«, entgegnete die Pakonti.
»Wie auch immer.«
Die Frau putzte sich erneut die Nase. »Wie haben Sie das überhaupt herausgefunden?«
Tonnraffir verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Die Croupiers im Lucky Io haben eingebaute Kameras. Aus Sicherheitsgründen, wissen Sie. Und um Falschspieler entlarven zu können. Einer dieser Croupiers hat Sie dabei beobachtet, wie Sie den Edmonton Flash Ihres Mannes verloren haben.«
»Und das hat er Ihnen einfach so gesagt?«
»Das tut nichts zur Sache«, entgegnete Tonnraffir gepresst. Er zog einen kleinen Pinguin aus der Jackentasche.
»Was ist das?«, erschrak da Pakonti.
»Mein Telefon. Ich würde vorschlagen, dass Sie jetzt Ihren Mann anrufen und ihm erklären, was passiert ist. Ach ja, und grüßen Sie ihn von mir.«
Walpar Tonnraffir überreichte der überführten Diebin seinen Pinguin und setzte sich gemütlich und mit verschränkten Armen auf die Ecke des Schreibtischs.
Die Tischplatte kippte und brach zusammen.

 

Slapstick pünktlich zu Karneval von einem vielleicht baldigen Düsseldorfer
Helau!
:xmas:

 

Helau Uwe

Sehr schön comichafte Unterhaltung, auch wenn es im Hintergrung einige Male "damDAM!" gemacht hat:D .
Wenn's nicht ganz so albern gewesen wäre, hätte ich mich jetzt zu meiner ersten Empfehlung durchgerungen... aber ich hätte auch viel weniger Spaß gehabt:lol: .

Noch was kleines:

abgesehen von denen in der Space Soap Opera, die 24 Stunden live
Space Soap Opera ist ja unaussprechlich <speichelvombildschirmwisch>! Lass doch die Seife raus und verbuch's unter "kleiner Seitenhieb Nr 87" in deinem oevre.

»die folgenden Ergebnisse werden Ihnen präsentiert von Abramovitsch, dem einzigen Wodka mit garantiert katerfreiem Synthohol«
Du hörst dann von meinem Anwalt. Mach dich schon mal drauf gefasst, dass für den Rest deines biologischen Lebens dein gesamtes zentrales Nervensystem mir gehört (muhahahaHA:D )

Ach ja, es tut zwar nichts zur Sache, aber auf welchem Planeten befindet sich Tonnraffirs Pappmachebüro jetzt eigentlich?

Viele Grüße aus dem (gottseidank) wieder Karnewalsfreien Berlin in die rheinischen Hochburgen!

omno

 

Keine Empfehlung wegen zuviel Spaß :susp: Pah! :D

Ach ja, es tut zwar nichts zur Sache, aber auf welchem Planeten befindet sich Tonnraffirs Pappmachebüro jetzt eigentlich?

Mars, allerdings irgendwo in einem ehemaligen Hinterhofstudio, nicht mit besonders schöner Aussicht.

Space Soap Opera bleibt, ich habe nämlich einen Vertrag mit Clearplay, dem reinigendsten Bildschirmschwamm unserer Zivilisation!

Danke fürs Lesen und Amüsierthaben!

 

Danke! ;)

Du hast völlig richtig erkannt, dass Walpar Tonnraffir sein Handwerk mit den Büchern über Dirk Gently gelernt hat.

 

Salü Uwe

Mir hats gefallen, ich fands total amüsant.

Nur, weil ich mich trotz der Absurdität der Geschichte dabei ertappte, solche Sachen zu hinterfragen: Hast du die "Gegenwarts-Assessoirs" absichtlich so gesetzt?
(Zum Beispiel: Zündschlüssel statt Raumgleiterchipkarte, oder so.)

17+Fear
Da muss man erst mal drauf kommen.

»Und das hat er Ihnen einfach so gesagt?«
»Das tut nichts zur Sache«, entgegnete Tonnraffir gepresst.
Mit einem Croupierbot aufm Herrenklo, abartig!:lol:

Geschichte schon empfohlen?
Zurecht meine ich.

Gruss dot

 

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