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Warten auf Mitternacht

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20.10.2002
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Warten auf Mitternacht

Mit dem schweren Rucksack auf den Schultern fällt es mir immer schwerer, in der Spur zu bleiben, die Andi vor mir im frischen Tiefschnee zieht. Ja nicht abweichen oder stolpern und knietief versinken. Kalter Wind zerrt an meinen Haaren, vom Stirnband nur schlecht geschützt. Immer weiter, bevor die Sonne zu tief sinkt ...

Die Tour, immer bergan, ist anstrengend und die Schneeschuhe brechen wieder und wieder ein. Wir steigen höher. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt, Gespräche bleiben aus. Ich habe noch Glück, die Zelte tragen Hannes und Andi. Dennoch schwitze ich in meinen dicken Wintersachen von der körperlichen Anstrengung. Trotz der beißenden Kälte sind Hände und Füße warm durch die Bewegung.

Hannes blickt sich um „Bald simma oben. Suchma uns dann an gscheiten Platz. Aber Vorsicht, hat Lawinenwarnungen gegeben in den letzten Tagen, da heroben ... “ Als ich ihn ansehe, sein erhitztes und von der Kälte gerötetes Gesicht, die verschwitzten Haarsträhnen, den hellen Bart mit feinen Eiskristallen, muss ich lachen. Möchte nicht wissen, wie ich aussehe!

Die Sonne wirft ihre letzten Strahlen an den Hang gegenüber, taucht die weiße Landschaft in warme Pastelltöne. Auf unserem Hang hingegen schon eisigkaltes Blau, und es wird fühlbar kälter.

Andi blickt auf seine multifunktionale Uhr. „Minus dreizehn Grad“, verkündet er mit rauer Stimme, „gut zweitausend Meter“.

Als wir die letzte Steigung genommen haben, am Grat stehen: ein überwältigender Blick auf die Welt unter uns, den roten Sonnenuntergang, das gesamte verschneite Tal .

Wir müssen uns beeilen. Niemand hat Lust, im Dunkeln die Zelte aufschlagen. Matthias und Hannes fangen an, für die Zelte eine Grube auszuheben, Andi und ich treten mit den Schneeschuhen so gut es geht den lockeren Pulverschnee fest. Mit den kleinen Lawinenschaufeln geht es viel zu langsam ... schnell wird es immer finsterer, meine Zehen kann ich schon länger nicht mehr bewegen ...

Endlich können wir im letzten Licht beginnen, die Planen aufzulegen und die beiden Zelte aufzustellen. Kurz ziehe ich meine dicken Fäustlinge aus, anders bekomme ich die Stangen nicht zusammen. Die Finger frieren mir in Sekundenschnelle, ich kann sie kaum noch bewegen, steif, brennende Schmerzen. Die Füße spüre ich nicht mehr.
Matthias jammert auch schon grausig, mit dem kleinen Taschenwärmer in den Händen. Die Abspannseile noch festmachen ...

Endlich fertig! Eine gute Stelle haben wir uns ausgesucht, knapp unter dem Grat, windgeschützt. Trotzdem müssen wir unsere Rucksäcke und Skier erst unter einer durch die leichten Verwehungen entstandenen dünnen Schneeschicht ausgraben.

Hannes lässt mich zuerst ins Zelt, reicht mir Schlafsäcke und Thermo-Matten nach innen und ich beginne damit, alles, so gut es in der Enge möglich ist, aufzubauen und zu verstauen.
Endlich die harten, kalten Schuhe ausziehen können, zwei weitere Paar Wollsocken hervorsuchen!
Währenddessen versuchen Andi und Hannes mit ihrem alten Benzinkocher Schnee zu schmelzen, eine mühselige Aufgabe, aber Hunger haben wir nach dem Aufstieg alle. Unendlich lange dauert es, bis wir zu viert über den kleinen Topf mit Gulaschsuppe aus der Dose herfallen können, ein paar Scheiben Brot dazu, viel Schokolade danach. Endlich etwas Heißes im Magen.

Eine halbe Stunde später sitzen wir zusammen, es ist eng, aber das stört keinen von uns, alle brauchen wir die Wärme. Andi holt vier Bierflaschen aus seinem Rucksack. „Spinnst?!“ „Jetzt hab ich se raufgeschleppt, jetzt will ich se auch trinken!“ Als er die erste Flasche öffnet, steigt der Schaum nach oben, gefriert sofort, bleibt im Flaschenhals stecken wie frische Schlagsahne ...

Im trüben Schein der kleinen Laterne erwärmen sich bei Gesprächen langsam meine Füße wieder. Schmerzen beim Auftauen. Der vorher noch kochend heiße Tee macht die Runde in Thermoskannen, lauwarm, eine Wohltat. Müde werde ich, kuschle mich in die Arme von Hannes, der neben mir sitzt, die Augen fallen mir zu ...

Stunden vergehen. „Hey, Leute, es ist fast dreiviertel zwölf!“

Raus aus der Gemütlichkeit!! Rein in eisige, steifgefrorene Schuhe, die sich selbst mit roher Gewalt nur schlecht schnüren lassen. Die Füße tauen das vereiste Material schnell ab mit meiner kostbaren, hart erkämpften Körperwärme ... Parka drüber, Mütze, Fäustlinge ... eigentlich eine Qual, jetzt, nur mit ein paar LED-Lampen.

Andi kommt aus seinem Zelt, eine Flasche Sekt in den Händen. „Was zum Anstoßen“, meint er und lächelt, obwohl ihm, mit seiner schlechten Ausrüstung, sicher am kältesten ist von uns allen ...

Wir stapfen zum Grat hinauf, nur wenige Meter, schweigend. Ich blicke mich um, sehe die kalten, toten Formen, die bizarren Muster, Wechten, Überhänge und Senken, die Wetter und Wind die letzten Tage hindurch geschaffen haben, vom Mond schwach und geheimnisvoll angestrahlt.
Oben herrscht ein eisiger Wind, treibt mir Tränen in die Augen, die sofort an den Wimpern festfrieren.

Matthias und Hannes hantieren noch mit Söhnlein brillant, als im Tal tief unter uns die ersten Raketen empor steigen. Von hier oben aus, dem klaren Himmel so nahe, sehen wir nur bunte Pünktchen, rot, blau, grün - erst noch vereinzelt, dann immer mehr.

Ich drehe mich zu den anderen. Bewegungslos, die Kälte vergessend, stehen wir, und sehen, wie unter uns ein neues Jahr beginnt.

Hier steht die Zeit still.

Hannes nimmt mich in die Arme. „Ein wunderschönes neues Jahr“, flüstert er mir ins Ohr.

 

Ja, Maus so möchte ich auch mal sylvester verbringen, ich will aber raufgetragen werden.

Also ich denke, du hast den Aufstieg gut und klar und verständlich beschreiben können.

Im viertletzten absatz ist die die Beschreibung sehr gut gelungen. Das sticht heraus.

Zwei Ungereimtheiten sind mir aufgefallen. Ja, ich will meckern.

1. -13 Grad, steife finger. Empfindest du es wirklich als brennenden schmerz?

2. Müsste das Bier bei -13 Grad nicht gefroren sein. Und das der Schaum gefriert...na, na?

Aber heute will ich nicht zu schwer an deiner story, sägen. Morgen ist ja auch noch ein Tag, meine Liebe.

bis dann stefan

 
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Hey Stefan, Du ungläubiger!!

Ruhe mit zweifelhafter Kritik! Der Bierschaum ist gefroren, als er die Flasche aufgemacht hat.

-13 Grad auf der Uhr. Wie trägt man die Uhr? Am Handgelenk. Das ist von der Körpertemperatur aufgewärmt...und ausserdem können schon +10 Grad zum erfrieren reichen...

Danke für Deine Kritik...:)

Schöne Grüße, Anne

 

Ja Maus, da muss ich dir sagen, dass es sich höchstens, aber auch wirklich allerhöchstens um eine Indizienkette handelt.

Zu Foto 1. Das sehe ich als Wattebäuschchen, wahrscheinlich von dir für die Schminke, falls sie verläuft.

Zu Foto 2. sieht soon wenig aus, wie aussem Kalender...will aber nichts weiter andeuten.

zu Foto 3. ....na das ist wohl eher der Ausschnitt aus einme weisen Pelzmantel....tja

tut mir leid, aber......nunja, belassen wir es dabei;) :p

bis dann stefan, bessere dich;)

 

:gunfire: Liieeeeber Arche

Sooo...ich habs gar nicht nötig, auf diese Provokationen von einem Flachlandtiroler wie Dir auch nur mit einem Wort einzugehen...:)

mit freundlichen Grüßen, Anne :)

 
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Hallo Maus!

Also bei solchen Temperaturen auf 2000 m zu gehen, das hat was. :thumbsup:
Ich gehe auch gern auf Berge, aber bei diesen Graden bin ich dann doch lieber zu Hause. Dafür war ich bei der Sonnenfinsternis auf der Rax, auf 1800 m - das war verdammt toll.
Es ist schon ein eigenes Gefühl, so auf einem Berg zu stehen. Besonders, wenn unten die Wolken hängen und oben die Sonne scheint... ;)

Aber ich kann mir den Eindruck, wenn man die Feuerwerke über den kleinen Menschensiedlungen von oben sieht, gut vorstellen. Man fühlt sich weit weg von all dem...

Besonders angenehm ist es natürlich, wenn man gleich zwei Männer mit hat, die sowohl Zelt wie Getränke tragen... :lol: - Soviel zum Thema Emanzipation... *hüstel*

Eine Ungereimtheit ist aber auch drinnen, in Deiner Geschichte. Erst schreibst Du, Hände und Füße sind warm durch die Bewegung und später, als sie oben angekommen sind, sind sie so kalt, daß Du sie nicht mehr spürst? Mit den Händen geht das ja in Ordnung, da hast Du ja den Fäustling ausgezogen, aber die Füße müßten noch immer warm sein...

Nach "Hannes blickt sich um" gehört entweder ein Punkt oder ein Beistrich (Komma).

"Als wir die letzte Steigung .... verschneite Tal."
- Der Satz liest sich etwas schlecht, auch wenn er eigentlich richtig ist. Ich würde vielleicht sowas wie "am Grat stehen, werden wir mit einem überwältigenden Blick .... belohnt."

"Therm-a-Rest-Matten"
- besser wäre Isolier-Matten oder Thermo-Matten

"Der einstmals kochende Tee macht die Runde in Thermoskannen"
- Fand ich sehr belustigend, den Satz. :lol:
"Einstmals" klingt schon wirklich nach sehr lange her, war das noch ein Rest von Ötzis Tee? Und er macht die Runde in Thermoskannen? Von einer zur andern? - Würde das doch etwas umformulieren... ;)

"hart erkämpften Körperwärme..."
- Warum nach Körperwärme drei Punkte?

"jetzt, nur mit eine paar LED-Lampen."
- ein (ohne e)
- würde gern noch kurz was über die LED-Lampen hören, was für LED-Lampen? Wo kommen sie plötzlich her?

"sicher am kältesten ist von uns..."
- klingt abgeschnitten, würde noch ein "allen" dazuschreiben, evtl. auch umstellen: "sicher von uns allen am kältesten ist..."

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Susi!

Danke für Deine Antwort!

Man fühlt sich weit weg von all dem...
unendlich weit.:)
Soviel zum Thema Emanzipation
Du,die Jungs sind furchtbar emanzipiert, alle drei...:D

Während dem aufwärtssteigen ist alles gut durchblutet, wegen Bewegung und Anstrengung, oben dann, auf der Stelle treten, rumstehen, graben, bringt kaum Bewegung... die Füße kühlen tatsächlich seeeehr schnell ab.

Die LED-Lampen habe die 4 aus den Rucksäcken hervorgezaubert. Haben sie vorher nicht gebraucht, aber zum Schuhe schnüren dann doch.

Vielen Dank noch für die Fehlersuche, wird sofort erledigt...
Manche von Dir angesprochenen Stellen werde ich noch umschreiben, muss mir nur überlegen, wie...

Liebe Grüße, Anne :)

 

@ Maus

Das ist ja fast eine Abenteuergeschichte! Find ich bewundernswert, Sekt und Bier auf 2000 Meter raufzuschleppen, hehe. Na jedenfalls ist es eine gute Idee und mal was anderes. Bei deiner Gesichte ist mir fast ein bisserl kalt geworden ...

Auf jeden Fall ist sie gut geschrieben, deine Story:
Natur pur und Boys, die das ganze Zeugs hoch schleppen, das hat schon was! :)

Gruß
Liz

 

Ach Liz, vielen Dank für Deine Kritik, freut mich. :)

Boys, die das ganze Zeugs hoch schleppen
...leider nicht alles :drool:

liebe Grüße, Anne

 

hi maus,
schöne erlebnisgeschichte & wunderschöne bilder :) !

1. -13 Grad, steife finger. Empfindest du es wirklich als brennenden schmerz?

ja - nicht ohne grund existiert der ausdruck "gefrierbrandt"

mir ist kalt

barde

 

Hey, Barde, der Brandt war doch einer Eurer Politiker, Willi hieß er. ;)
Und der ist hoffentlich nicht gefroren...

 

öhm, ja - "t" zu viel - meinte doch tatsächlich NICHT unseren willi.

 

Guten Morgen Barde,

na, ganz ohne Tote, was sagt man dazu? :)

Danke Dir für Deine Antwort, freut mich, wenns Dir gefällt...

Brandt war Politiker? In Dt? Danke für die Aufklärung, Susi! :p


Liebe Grüße An Euch beide, Anne

 

Hallo Maus, mir ist sehr kalt geworden!
Mich hat sehr beeindruckt, wie du geschrieben hast. Es ist teilweise ein Bericht. Sehr spannend.
Ich glaube ich ziehe die Strände am Mittelmeer vor.

Lukasch

 

Hallo Lukasch,

danke für Deine Antwort... wärmer und gemütlicher ist es bestimmt am Mittelmeerstrand... und Danke Dir für Deine Lob, es freut mich.

Lieb Grüße, Anne :)

 

Hallo Anne,

mit Deiner Geschichte hast Du alte, vergrabene Erinnerungen bei mir geweckt, an die Zeiten in meiner Jugend, als ich mit Rucksack, Skiern und Fellen von Alpenvereinshütte zu Alpenvereinshütte skiwanderte und den herrlichen Blick von den Berggipfeln in die Täler genoß. Allerdings habe ich nie um Mitternacht von oben das Sylvesterfeuerwerk gesehen. Du hast es sehr schön beschrieben und meinen heißen Neid geweckt.....

Mir gefällt Deine Art zu erzählen sehr, sachlich und schlicht und dennoch fesselnd.

Ich werde gleich noch mehr Geschichten von Dir lesen!

Eine Kleinigkeit ist mir noch aufgefallen:

"Auf unserem Hang hingegen schon eisigkaltes blau" (das Blau (groß))

Liebe Grüße
Barbara

 

Hye Barbara!

Fein, dass Du auch mit dieser Geschichte etwas anfangen konntest. Ich freu mich, wenn Dir meine Art, diese Geschichte zu erzählen, gefallen hat, das ist gut.
Mit "Blau" dürftest Du recht haben, ich werdes ändern, danke.
Neid brauchst Du keinen haben, los, kram die Tourenskier raus, Silvester kommt bald...;)

schöne Grüße, Anne :)

 

Die überarbeitete Version gefällt mir viel besser. Auch wenn der Text an Tiefe nicht allzu viel zu bieten hat (mag an der Höhe der Berge liegen), halte ich ihn für gelungen: Sylvester in Eiseskälte auf 2000 Metern, Erzählt in Ereignisfetzen.

Vielleicht ließen sich noch einige nachdenkliche Gedanken einbauen. Was schießt einem durch den Kopf, da oben? So fern ab von allem. Wozu die Anstrengung, woraus speist sich die Tiefe des Erlebnisses?

 

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