Allem voran wurde die Nische "Comics" aufgebrochen.
Comics waren nie eine Nische. Vielleicht in Deutschland, aber nicht in Frankreich, Belgien, Japan, den USA. Künstler wie Robert Crumb zum Beispiel waren schon seit den 1960ern Teil einer mehr oder weniger intellektuellen "Gegenbewegung", die sich mit dieser Kunstform ausgedrückt hat; das waren dann allerdings keine Superhelden in Stretch. Oder Japaner wie Yoshiharu Tsuge, die schon in den späten 50ern klassische Geschichten erzählt haben. Nur weil wir hier in Deutschland jahrelang YPS-Hefte und Superheldenschund gelesen haben, muss das in anderen Kulturen nicht genauso sein.
Warum fragt man sich so etwas eigentlich: Was ist Hochliteratur? Mit welcher Motivation? Und wer legt fest, was Hochliteratur ist? Wer legitimiert das dann? Irgendwelche Professoren? Germanisten? Literaten? Kritiker? Mit welchen Kriterien wird da gearbeitet? Sind das harte Faktoren oder doch eher weiche? Kann sich das auch wieder ändern? Was ist mit all den vergessenen Autoren, die heute kein Mensch mehr liest, die aber doch Klassiker verfasst haben; sind die auf einmal nicht mehr gültig? Bei solchen Fragestellungen schwingt immer etws Dünkelhaftes mit. Der eine ist arriviert und ein Klassiker, der andere darf da aber nicht mitspielen, aus welchen Gründen auch immer. Wer legt schlussendlich diese Qualitäten fest? Diese scharfe Trennlinie zwischen Hochliteratur und Trivialem, ähnlich wie U und E Musik, das ist so eine sehr deutsche Angelegenheit. In den USA ist das etwas anderes; ist es ein gutes Buch?, wäre da eher die Frage. Nun kann man sagen, die USA hat nicht so eine lange kulturelle Tradition, aber selbstverständlich werden dort auch Klassiker anerkannt, die eine Allgemeingültigkeit haben, nur ist das System an sich viel durchlässiger. Das Publikum geht anders mit solchen Fragen um: nun ist es so, dass Europäer auch oft die Nase rümpfen und monieren, dass die "Amerikaner an sich" ja gar keinen Geschmack haben, was natürlich elitär und auch reichlich dumm ist. Aber das geht in die ähnliche Richtung:
Ich will sozial ja nur soweit aufsteigen, dass Leute mich verstehen, wenn ich auf den Satz „Du siehst aber jung aus.“ mit „Ich hab ein Portrait im Dachboden, das für mich altert.“ antworte.
Da geht es um Distinktion. "Wie, du verstehst das Meme nicht?", sagt ja: Du kennst diesen Klassiker nicht, du bist nicht ausreichend gebildet, du gehörst nicht dazu.
Du kennst das betreffende Buch um das es hier geht gar nicht, hahaha, du Dummkopf! Lies das erstmal, dann nehme ich dich ernst. Das ist Klassismus in Reinform. Ein paar Typen, die glauben, sie wissen genau Bescheid, ernennen irgendwelche Werke, die sie für wichtig und richtig halten, in den Status der Hochliteratur und alle anderen müssen das abnicken. Es ist eine elitäre Veranstaltung, wie die ganze Kunstwelt eine ist.
Was ich eigentlich sagen will: Man sollte all diesen Legitimationssystemen nicht zu viel Glauben und Beachtung schenken, weil man sonst eben diesen Systeme ihre Macht verleiht. Man sollte sich fragen: cui bono? Wem nutzt eine solche Unterscheidung, wer hat etwas von diesem Herrschaftswissen, wer darf diese Entscheidungen fällen, was Hochliteratur und was trivial ist, und was hat er davon? Weil worum geht es hier? Es geht doch um eine persönliche Richtschnur; was sind denn individuelle Klassiker? Die individuelle "Hochliteratur", die mir etwas über eine Person sagt, und die nicht über eine imaginäre Qualitätslinie entschieden wird? Ich kann sagen, Susan E. Hinton war sicher bedeutender in ihrer Wirkung auf mich als Günter Grass. Ich habe auch sonst kaum Klassiker gelesen; weil ich da nie den Sinn drin gesehen habe, aber das bin nur ich. Sicher gibt es Bücher, in die man mehr investieren muss, durch die man sich durcharbeitet, und das aus unterschiedlichsten Gründen, aber das müssen nicht die hochliterarischen Klassiker sein. Man sollte Bücher lesen, weil man der Überzeugung ist, dass sie einen persönlich bereichern, unabhängig davon, was irgendein Kritiker sagt, wie die Meinung da ausffällt.