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Was gerade noch war
Als Emma aufwacht, ist sie nicht mehr verliebt.
Bevor sie die Augen öffnet, der Restschlaf sie über die Schwelle treten lässt, weiß sie es. Fahles Morgenlicht, alles im Raum noch verwischt. Sie dreht sich auf den Rücken, legt die Hände auf den Bauch. Atmet ein. Aus. Übrig ist nur etwas Hohles.
Wie Hunger.
Das Handy liegt neben dem Bett. Kein Blinken.
Emma liest ihre Nachricht an ihn noch mal. Löscht sie, schiebt das Telefon unters Kissen. Sie setzt sich auf. Vor dem Fenster steht ein Baum, leuchtet gelb und orange, ab und an segelt ein Blatt zu Boden.
Für eine Weile sieht sie dabei zu.
Gestern Abend war es noch da.
Weil es sie dreht, wenn er sie küsst.
Weil sie mit ihm Superheldenfilme schaut, nur um sein Lachen zu hören. Dreckig ist es, frech. Manchmal blitzt darin der Junge auf, der damals Comics verschlang und noch nichts von Mädchen wusste.
Sie hat auf ein Klingeln gehofft. Ihn kurz durch den Spion beobachten, ehe sie die Tür öffnet. Je dunkler es wurde, umso mehr.
Jetzt, wo die Sonne durch den Morgennebel bricht, ist da nichts mehr.
Vielleicht eine Abwehrreaktion.
Damit es sich gar nicht erst ausbreitet.
Marvin liest ihre Nachricht zum dritten Mal. Genauso oft hat er angefangen, ne Antwort zu tippen.
Mittendrin blockiert was im Kopf.
Er wollte sie sehen gestern Nacht, wollte er echt. Bevor Phil mit der Party ankam. Hat sich vorgestellt, wie sie ihm aufmacht, Hand auf der Klinke, Kopf zur Seite geneigt, und wie sie lacht mit diesen heftig blauen Augen. Er umarmt sie, weiche Haare streifen seine Wange. Kein süßes Parfum.
Emma riecht eher wie Morgenluft.
Sie trägt ein bunt gestreiftes Kleid, als sie sich das erste Mal sehen. Grün, blau und gelb.
Ein heißer Abend, die Luft am Isarufer feucht.
Marvin hat die Zeit verpeilt, sie wartet schon fast ne halbe Stunde. Er wischt sich die Hände an den Jeans ab. Von der Brücke aus sieht er sie unten am Wasser auf den Steinstufen sitzen. Sie sieht auf, winkt, greift in ihre Tasche und hält zwei Bier in die Luft.
Phil lässt nicht locker. Komm schon, nur für ne Stunde, bisschen feiern, mal wieder mit den Jungs.
Emmas Nachricht.
Sie hat so was an sich, Dinge zu schreiben und zu sagen, straight, ohne viel Drumherum. Keine von denen, die auf Drama steht. Von Anfang an hat ihn das umgehauen. Wie sie ihm Fragen stellt, über die er noch nie so richtig nachgedacht hat.
Irgendwie macht ihn das fertig.
Er schlägt mit Phil ein, klar, bin dabei.
Trinkt, lacht, raucht.
Die U-Bahn fährt nicht mehr, als sie aus dem Hausflur auf die Straße stolpern. Zu spät, um Emma anzurufen.
Beim dritten Treffen sitzen sie auf den Stufen der Oper. Hinter der Häuserfront, die den Platz säumt, verfärbt sich der Himmel. Emmas Blick hängt in den Wolken. Sie glühen.
Seit ihrer Begrüßung will sie ihn küssen. Kostet jede Sekunde aus, in der es nicht dazu kommt. In der er näher an sie heranrutscht. Flüchtig ihre Hand berührt, als sie ihm die Flasche Rum gibt. Knie an Knie, Schulter an Schulter.
Die Worte leicht. Die Treppe noch immer aufgeheizt.
Er zeigt ihr Videos von seiner Band, spricht über Schlagzeuger, die für ihn Vorbilder sind. Emma erzählt, wie sie damals davon geträumt hat, in einem Stück von Pina Bausch zu tanzen, jedes Mal, wenn sie vom Ballettunterricht nach Hause fuhr.
Stück für Stück ergeben sie ein Bild.
Um sie herum gehen die Straßenlaternen an.
Seitdem sehen sie sich nur noch nachts.
Etwas Vages hängt zwischen ihnen. Manchmal kalt. Manchmal nah. So nah, dass es zurückkommt, das Ziehen, tief im Bauch.
Er lässt sie nicht los im Schlaf. Seine Lippen in ihrem Nacken.
Emma liegt in der Dunkelheit, ahnt den Morgen. Wie er wegwischt, was gerade noch ist. Dass Wochen vergehen. Sie auf dem Bett sitzt, die Äste des Baums vor dem Fenster kahl, und sie weiß, was es mit dem Hunger auf sich hat, dem Hohlraum. Ihr Herz ist nicht ausgelastet.
Sie holt das Handy unterm Kissen hervor, tippt ein paar Worte.
Schickt sie ab.
Marvin schließt WhatsApp, öffnet Insta. Scrollt durch Bilder, liest Kommentare, erwidert sie, wischt weiter, bis –
Ich bin raus. Mir is das zu wenig. Mach’s gut.
Die Bahn fährt in die nächste Station ein. Bremsen kreischen. Er schiebt das Handy in die Jackentasche, steht auf.
Nachher.
Ihm fällt schon was ein.
Letztes Mal hat sie ihn gefragt, ob sie mal zusammen zum Friedensengel spazieren. Da gibt’s eine Unterführung, voll mit Graffiti, Leuchtstäbe im Stein, wie so ne Galerie, hat sie gesagt. Er ist ausgewichen.
Nicht wegen Emma.
Einfach, weil er am Arsch ist. Bei ihr kommt er runter, schaut nicht mehr auf die Uhr, ist einfach da, mit ihr, muss nirgendwo hin, einfach da. Ohne Spaziergang und Engel und so was.
Sie hat gelacht, den Kopf geschüttelt und das Thema gewechselt.
War nicht ihr Lachen.
Die Wohnung ist still, ab und zu ne Windböe, die Regen gegen das Fenster schleudert. Wassertropfen laufen ineinander, rinnen an der Scheibe entlang, bis ihre Bahn am Rahmen endet.
Emma zu küssen ist anders. Davor war’s eher Mittel zum Zweck. Mit ihr ist es wie Zeit verlieren. Wie so’n Blackout. Marvin öffnet die App. Schreibt, wie gern er ihr zuschaut, wenn sie in ein Stück Pizza beißt, weil sie dabei aussieht, als wär sie high. Wie sie beim Zähneputzen die Füße so komisch verkrampft, damit die Zehen knacksen. Dass sie zu küssen –
Bullshit.
Was Emma lesen will, ist was anderes. Was sie hören will, kriegt Marvin nicht raus.
Also antwortet er: Schade. Pass auf dich auf.