Interessanter Thread, den es sich durchzulesen lohnt!
Allgemein stimme ich vielen hier geäußerten Aussagen zu, unpassende und subjektive Adjektive mag ich auch nicht.
Aber genau hier will ich (mit meiner bescheidenen Meinung, das heißt ab jetzt ist alles mMn) mit meinem Post ansetzen (will ja auch etwas, in dieser Ausführlichkeit, Neues beitragen
): »[...] Adjektive mag ich auch nicht.«
Das bringt mich zur Frage nach der Zielgruppe, welche ich für sehr wichtig halte. Verallgemeinert: Wir als Autoren sind allgemein eine andere Zielgruppe als beispielsweise die Leser dieser Adjektivoverkillhefte, haben andere Ansprüche und entwickeln auch ganz andere Bewertungsprinzipien als andere Lesergruppen (von extremen Viellesern und professionellen Kritikern mal abgesehen).
Beispiel: Vor Jahren mußte ich in der Schule ›Effi Briest‹ lesen, und fand es einfach nur komplett (zensiert). Heute hingegen finde ich es interessant, wie es dem Buch mit ausufernden und überflüssigen Beschreibungen, überlangen Satzkonstruktionen und einem absolut vorhersehbaren Plot möglich ist, dauernd als Literaturempfehlung von professionellen Kritikern ausgegeben zu werden. Und obschon ein gutes Jahrhundert veraltet immer noch in Schulen gelesen zu werden. Diese Bewertungskriterien hatte ich damals noch nicht.
Andererseits finden andere Leser tatsächlich ›Effi Briest‹ gut - und zwar aus genau den Gründen, deretwegen ich das Buch hasse.
Worauf wollte ich mit diesem Beispiel hinaus? Nun, es gibt genauso viele Lesevorlieben wie es Leser gibt, und nicht für alle gelten unsere (bzw., noch genauer, meine) Vorgaben.
Hier werden Adjektive, aus durchaus berechtigten Gründen, abgelehnt. Gilt das auch für alle Leser? An dieser Stelle möchte ich ein Beispiel aus dem Thread aufgreifen:
SHOW: Er hatte damals als einziger gewagt, dem Chef ins Gesicht zu sagen, daß der Betriebsrat lediglich ein Marionettentheater war, das die Arbeiter ruhigstellen sollte. Die Kollegen applaudierten, Chef feuerte ihn.
TELL: Er hatte seinen Job recht schnell durch zwar mutige und wahre aber nichtsdestotrotz unbedachte Äußerungen gegenüber seinem Chef verloren.
›SHOW‹ klingt hier wesentlich besser als ›TELL‹. Ist es deshalb immer besser? Ich denke nicht. Das hängt wieder von der Zielgruppe ab. Jemand, der nur mit halber Aufmerksamkeit, ohne ›Autorengespür‹ etc liest, könnte das reine ›SHOW‹ fehldeuten, oder schlimmer noch, gar nicht deuten.
Wieder möchte ich es mit einem persönlichen Beispiel veranschaulichen. Vor einigen Monaten gab ich einen Text meinen Probelesern. In Text traf der Prot auf zwei Personen, die miteinander reisten. Für die meisten Leser (3 von 4) nun war nach dem Lesen klar, daß die neuen Bekanntschaften des Prots eine tiefe Freundschaft verband. Es gab eine Ausnahme: Jener vierte Probeleser hielt die beiden nur für zwei Personen, die zusammen reisen. Nicht mehr.
Letztgenannter Probeleser las den besagten Ausschnitt auf dem Weg zur Arbeit, also nicht mit voller Aufmerksamkeit. Im Text wurde, wie er richtig feststellte, nie gesagt, in welcher Beziehung die beiden Bekanntschaften miteinander standen. Es wurde nur gezeigt, und er erkannte es nicht.
Wenn meine Zielgruppe nun er gewesen wäre, müßte ich meinen Schreibstil darauf einstellen. Genau dasselbe Phänomen trifft auch auf die Heftchen zu, wo an fast jedem Nomen (mindestens) ein Adjektiv klebt. Würden sie besser, wenn die Adjektive gestrichen werden? In unseren Augen schon, aber auch in den Augen der Leser jener Literatur? Was, wenn sie genau diesen adjektivlastigen Stil tatsächlich mögen?
Worauf ich hinaus möchte: Selbst wenn die Mehrheit (oder, wie bei den Verkaufszahlen der Hefte, eher eine Minderheit) etwas nicht mag, muß die Alternative nicht notwendigerweise allgemein besser sein. Veränderungen, oder Stiländerungen allgemein, würde es nur für spezielle Zielgruppen besser machen - und für andere schlechter. Auf Adjektive trifft das ebenso zu wie auf andere Bereiche, die ich aber nicht abhandeln will (z.B. das Erinnern eines Plotteils in längeren Geschichten vs diesen Aussparen und die Erinnerung beim Leser voraussetzen). Alles eine Frage der Zielgruppe. Und auch des Ermessens des Autors, wenn jeder ›optimal‹ schreiben würde, wäre es doch langweiliger Einheitsbrei
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Der Autor schreibt für den Leser - aber es gibt nicht den Leser, sondern viele Leser. Alle kann man nicht ansprechen, und das sieht man an der Adjektivdiskussion sehr gut. Je nach gesetzter Zielgruppe mögen auch schreckliche Adjektive (›Am dunklen Nachthimmel zogen finstere Wolken entlang, verdeckten die Sterne und stahlen die sonst blasse Nachtbeleuchtung‹ + ein paar subjektive Adjektive, die mir grad nicht einfallen wollen) sinnvoll sein. Es kommt auf die Zielgruppe an.
Aber: Es kommt ebenso auch auf den Einsatz an, ein mißbrauchtes Adjektiv ist ebenso falsch wie jedes andere mißbrauchte Stilmittel.
Statt sich also zu fragen, ob dieses und jenes Adjektiv (objektive und subjektive sind gemeint) unbedingt notwendig sei, wäre die passende Frage also: »Ist dieses Adjektiv für meine Zielgruppe geeignet?« Wenn ja, drinlassen, wenn nein: Streichen.
Was ich mit diesem viel zu lang gewordenen Post sagen will: Adjektive sind Stilmittel. Die Verwendung von Stilmitteln ist Moden unterworfen und nicht allgemeingültig, sondern hängt von der Größe der Zielgruppe ab. Anstatt also mit Allgemeinplätzen drauflos zu schlagen, sollten sich Autoren und Kritiker fragen, welche Zielgruppe der Text ansprechen will - das erspart dann auch Diskussionen über faustgroße Kiesel und die Sinnhaftigkeit der Blondheit von Haarsträhnen
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PS: Ups, soviel wollte ich gar nicht schreiben...