Weihnacht´ naht mit großen Schritten
HEILIGABEND IN DER INNENSTADT
Die Weihnachtszeit rückt unaufhaltsam näher.
Mit gewaltigen Schritten versucht sie, die Menschheit zu überholen, einzig dem Ziele verbunden, in ihrer absoluten Unchristlich- und Gehässigkeit dafür zu sorgen, das Abertausende gepeinigte Seelen den heiligen Morgen nicht etwa im Kreise ihrer Lieben, den Weihnachtsbaum schmückend und selig das drollige Fernsehprogramm mit selig-debilem Lächeln verfolgend, verbringen, sondern alptraumgepeinigt morgens um halb sieben aufwachen und sich übellaunig durch völlig überfüllte Einkaufspassagen quälen, um mit der Herde der anderen Schafe durch die Schlachtbänke des Kommerzes, im Volksmund auch “Galeria Horten”, “Kaufhof”, ect. genannt, getrieben zu werden, in denen man ihnen die Eingeweide ( sprich: Geldscheine und Kreditkarten ) herausreißt und sie dann gegen Mittag derart abgekauft... äh... gekämpft... wieder in das heimische Gehege entläßt, wo sie eben noch schnell jene abgenagten Knochen mit grellbuntem Papier und jeder Menge Plastikfolie als Geschenke zu tarnen versuchen.
Man selber sieht dem ganzen Viehtrieb eher gelassen zu, weil man entweder in weiser Voraussicht mit den Freunden, Feinden ( Familie) und anderen Bekannten abgemacht hat, sich dieses Jahr mal nichts zu schenken oder noch genügend Krempel vom letzten Fest zuhause hat, bei dem man nur noch die Geschenkkärtchen austauschen muß.
Doch wird solche Cleverneß, solch derartig souverän zur Schau getragene Geschicktheit, gleichsam der Beweis für Darwins Theorie zur Entkrampfung der Innenstädte an Heiligabend durch soziale Evolution, etwa belohnt?
Nein!
Und es sind exakt fünf Worte, die einem vor Augen halten, das es da oben einen Gott gibt, der nur dafür zuständig ist, einem das Leben zu vermiesen.
“Schatz! Laß uns bummeln gehen!” sind die satanischen Gesänge, welche die Herzallerliebste anstimmt, die sich, offenbar unter dem Einfluß des Höllenfürsten persönlich stehend, in Schale geworfen hat und “noch eben schnell ein paar Kleinigkeiten” für die Nachbarin, mit der sie normalerweise kein Wort wechselt, die Kollegin, die immer aus ihrem Kaffeebecher trinkt und Tante Paula, von der man nicht mal gewußt hat, daß es sie gibt und die wahrscheinlich vom Rest der Sippschaft das ganze Jahr ausgestopft ans Fenster gestellt wird, weil man die Rente nicht missen will, zu holen gedenkt.
Man erhebt den Blick. Müde schon und resigniert, weil man weiß, daß man keine Chance hat.
Auch die spontan angestimmte, und mühsam durch wiederholtes Vor- und Zurückspulen der Deep Space Nine Folge 4.5 erlernte, klingonische Totenhymne kann die Besessene nicht umstimmen.
Und gleich jenen Soldaten, die im zweiten Weltkrieg auf Helgoland zurückgelassen wurden, weil ja irgend jemand dieses wichtige Kriegsziel in die Luft sprengen mußte, nickt man still, neigt demütig sein Haupt, salutiert vor den Kameraden Fernseher, PC und Stereoanlage, streicht ein letztes Mal wehmütig über die “Drei Fragezeichen”- Sammlung und vermeint, von irgendwoher leis´ eine Mundharmonika zu vernehmen.
Doch plötzlich klart sich der Blick auf und neues Leben, neue Zuversicht durchströmt den Leib und es ist ein Licht am dunklen Horizont zu sehen.
“Geh doch schon mal zum Auto!” ,flötet man der Herzallerliebsten nach einem sanften Kuß ins Ohr. “ich muß mir nur schnell was Passendes anziehen!”
Widerwillig gehorcht sie dem süßen Druck, strebt zur Tür und dreht sich dort noch ein letztes Mal um.
“Du wirst doch nicht etwa einen rauchen wollen?” ,fragt sie lauernd und ihre Pupillen verengen sich zu schmalen Schlitzen, während ihre Stimme gefährlich leise wird.
Nun kommt die Gelegenheit, den kleinen Schauspieler, der in uns allen wohnt, freizulassen.
“Niemals!” erklärt man vollmundig und spielt gekonnt den aufrecht Empörten.
Wie sie das wohl denken könne, setzt man dann noch einen drauf. Schließlich sei doch Weihnachten und obwohl ja schon das Christuskind mit Weihrauch .... Die Blicke der Herzallerliebsten warnen rechtzeitig! Nein, nein; beeilt man sich zu sagen, weil einem spontan die eigene Sterblichkeit bewußt wird; der einzige exotische Duft, der einem an Weihnachten in die Nase stiege, sei der von Räucherwerk und Bienenwachskerzen.
Ein leichtes, offenherziges Lächeln, ein angedeuteter Kuß und man hat es geschafft.
Sie geht!
Fünf Minuten später tritt man beschwingten Schrittes den Weg in den Weihnachtswahnsinn an, sich sorgsam anschnallend und innerlich den besten Freund preisend, der es sich wieder einmal nicht hatte nehmen lassen, sein “Geschenk” zwei Tage zuvor vorbeizubringen.
Ach Afghanistan! Land der süßen Träume! Heimat für die Heimatlosen. Du bist gut zu Deinen Kindern!
“Mach jetzt endlich die verdammte Musik leiser. Ich versuche einzuparken!!!!”
Jäh wird man weggerissen von Adam Duritz, der so seelenvoll “Colorblind” singt, daß einem das Herz aufgeht und man alle Menschen liebt und sich ernsthaft vornimmt, im nächsten Januar AUF JEDEN FALL ins Fitneß- Studio zu gehen, und in die Wirklichkeit zurückkatapultiert, die sich dergestalt manifestiert, daß die Herzallerliebste seit einer Viertelstunde versucht, durch yogaähnliche Verrenkungen der Arme am Lenkrad, den Wagen in eine Parklücke zu pressen, die man nach lächerlichen zwei Stunden irgendwo in einem Vorort entdeckt und für parkenswert erachtet hat.
Als hätte man eine andere Chance gehabt!
Als wenig konstruktiv wird der Einwurf, ein “Kett-Car” fände ja vielleicht Platz, vorausgesetzt es würde von Michael Schuhmacher gelenkt, von der sichtlich genervten Herzallerliebsten mit harschen Worten kommentiert, die man in ähnlicher Form sonst nur aus dem HEISSEN STUHL kannte, einer Sendung, die Gott sei Dank, dem guten Geschmack anheim fiel.
Diesbezügliche Hinweise werden sofort abgewürgt. “Dein heißer Stuhl kann mich mal. Steig lieber aus und schau nach, wie viel Platz noch ist!”
Ah! Einparkhilfe.
Des Mannes ureigenstes Territorium; seine Domäne; sein Reservat. Das moderne Pendant zur Ritterlichkeit vergangener Zeiten, als die Mantelhersteller sich eigene Burgen leisten konnten, weil ihre Erzeugnisse mehr über irgendwelchen Pfützen lagen, als über Heldenschultern zu hängen.
Mit stolzgeschwellter Brust und einem gönnerhaften Augenzwinkern, was soviel heißen soll wie “Alles wird gut!” stellt man sich hinter den Wagen und beginnt mit traumwandlerischer Sicherheit jene alten, mystischen und magischen Bewegungen zu machen, deren Kenntnis seit Generationen vom Vater auf den Sohn übergehen und die keinesfalls niedergeschrieben werden dürfen, weil sie sonst an Zauberkraft verlieren.
Doch bei guten Taten ist das Böse nicht fern.
Und so tritt auch hier der ewige Versucher auf; dieses mal in Form eines alten Mannes mit Gehilfen, der sich offensichtlich auf der Flucht aus seiner Verwahranstalt befindet und noch mal die Stadt unsicher machen will.
“Wenns kracht, nochn Meter!” ruft Satan, wobei ihm vor Lachen das Gebiß verrutscht.
Unwillkürlich blickt man zur Seite um ihn zu bannen und dieser Moment reicht schon!
Knirschend beweist die Stoßstange des hinteren parkenden Wagens ihren Unwillen, sich stauchen zu lassen und man hört die Vorväter entsetzt aufschreien, bevor sie sich zitternd abwenden von der Schande, die der Nachkomme über die Söhne Adams gebracht hat.
Das anschließend die Herzallerliebste erneut den HEISSEN STUHL zitiert, braucht hier nicht extra erwähnt zu werden.
Nach einem ca. zweitägigen Fußmarsch erreicht man schließlich die Pforte zur Hölle: Das “Einkaufsparadies in der Innenstadt!”
Satans Atem manifestiert sich in Form des heißen und trockenen Gebläses, das einem sofort die Augen austrocknet und an die endlose Wüste denken läßt, wo die Leute wohnen, für die angeblich jene buckligen und pickligen Schergen sammeln, die einem ihre Blechbüchsen um die Ohren rasseln; augenscheinlich in dem versuch, einen zu hypnotisieren.
Aber Afghanistan im Hinterkopf... und den Beinen, und einen erneuten Menschlichkeitsschub bekommend, der wohl eher davon herrührt, das man die Sammler bemitleidet, die mit Sicherheit keine Freunde haben und deren Familie sie verstoßen hat, greift man in die Tasche und zückt den ersten Schein, den man findet.
Natürlich, und Dank jenem Gott, der oben bereits erwähnt wurde, ist es ein Zwanziger und urplötzlich verändert sich die Szenerie.
Tausend Augen starren einen an! Die aufgerissenen Augen der Herzallerliebsten, die im Geiste schon wieder nach der Nummer des Nervenarztes sucht, der “Cousine Elfie auch so gut geholfen hat”; der gierige Blick der Spendeneintreiber; das sardonische Grinsen der anderen Passanten, die auch schon Ähnliches erlebt haben und einen nur zu gerne im Club der Idioten begrüßen möchten;... all dies stürmt auf einen ein, während man dasteht; den zerknitterten Schein in der Hand! WAS TUN?
Zwanzig Mark ärmer und mit der sicheren Gewißheit, daß irgendwo in diesem Moment ein buckliger und pickliger Kerl sich daran macht, eine Spendenbüchse erneut zu versiegeln, und von der Herzallerliebsten mit strafendem Kopfschütteln bedacht, fügt man sich in sein Schicksal und hebt wieder den Kopf.
Ein böser Fehler, denn man hat über all der Trauer um die soeben verschenkte große Pizza mit Artischocken und Schinken vergessen, was ein Einkaufszentrum zu Weihnachtszeit mit geweiteten Pupillen und geschärften Sinnen von uns Afghanen anstellen können!
Es leuchtet, glitzert, funkelt, schreit, stinkt, qualmt ,blendet, verstört, quält und sorgt dafür, daß sich die Hoden auf Erbsengröße zusammenziehen.
Und während einen die Herzallerliebste an der Hand nimmt und im Stechschritt über die Korridore zerrt, ist man vollständig damit beschäftigt, zu versuchen, vierzehn verschiedene Weihnachtslieder auseinander zu halten, tausend Gerüche zu differenzieren, deren Ursprünge man meist lieber im Dunkeln lassen möchte und “Bunte Zettel- Verteilern” auszuweichen , die allesamt rote Mützen tragen (warum bloß?) und für Saunaclubs, Schülernachhilfe und den neuen Änderungsschneider werben, der nach zwei Monaten sowieso wieder verschwunden ist.
Stehen bleibt man nur am Stand des örtlichen Tierheims, verwickelt die dort stehende nette ältere Dame in langatmige Gespräche über die eigenen beiden Katzen, gibt großzügig und klärt nebenbei die Herzallerliebste, während man mit ihr bei DOUGLAS steht und vergeblich versucht, sein Nasenbluten, das man seit dem BODYSHOP- Besuch hat, zu bekämpfen, darüber auf, das Tiere sowieso und überhaupt die besseren Menschen sind.
Währenddessen versucht man, nicht von wildfremden Menschen tot getrampelt oder erdrückt zu werden, was sich als gar nicht so einfach erweist, weil man ja beide Hände und die Zähne voller Einkaufstüten hat, die einem Irgendwer aufgedrückt hat.
Das einzige, was einen noch aufrechterhält, ist der Blick, den man ab und zu ganz verstohlen auf die eigene Tüte wirft, in der sich Maronen neben Fischbrötchen und der Grill- Krakauer von diesem einarmigen Bratknecht gleich zwischen BIJOU BRIGITTE und H & M tummeln.
In trauter Einigkeit präsentieren sich hier allerlei Köstlichkeiten, an denen man sich erstklassig laben und nebenbei auch noch seine kosmopolitische Grundüberzeugung darstellen kann.
“Oh Mann!”, erklärt man dann in einem Anflug von Übermut. “Und davor ein Tütchen! Das schmeckt!”
Was die Herzallerliebste natürlich nicht auf sich beruhen lassen kann und prompt mit einem Besuch bei PEEK & CLOPPENBURG touchiert, wo man vierzehn Tage lang viel zu enge Hosen anprobieren muß, wobei der genervt- mitleidsvolle Blick der Verkäuferin, die jetzt viel lieber “Peter Alexanders schönste Weihnachtslieder” hören und ihren Mann quälen würde, als immer wieder zu versichern, das es DIESE Hose nur noch in DIESER Größe gäbe.
Vier, fünf Tage später ist man dann wieder bei seinem Auto, versucht, die tausend Tüten irgendwie in den Kofferraum neben das Altpapier zu verfrachten, daß man laut der Herzallerliebsten schon vor Wochen entsorgen wollte, steigt auf den Fahrersitz ( die grausame Nüchternheit hat einen irgendwann im einsetzenden Nieselregen eingeholt ) und verbringt die nächste halbe Stunde damit, den Wagen aus der Parklücke zu bugsieren; immer begleitet von dem weiblichen Pendant des Einwinkens”, dem “Tippgeben”, was weniger mit der männlichen Höflichkeit als einer verbalen Form des Kastrierens zu tun hat.
Viel.... viel später....
... ist man Zuhause angekommen, zieht die durchgelaufenen Schuhe aus und macht sich erst mal lang.
Die Couch umarmt einen wie einen lang vermißten Freund, die Fernbedienung schmiegt sich in die Innenseite der Hand. Man läßt den Morgen Revue passieren, beschließt, ihn unter “schlechtes Gras” abzulegen und beginnt mit der Zapp- Routine. Heimatgefühle kommen auf und einem wird schon fast weihnachtlich zumute.
“Leg Dich nicht lange hin! Zieh Dich um; wir fahren in einer halben Stunde zur Bescherung bei meinen Eltern!” sagt die Herzallerliebste die Worte, die mit Sicherheit die Ursache für viele Selbstmorde oder Familientragödien zur Weihnachtszeit sind.
Doch der Schock wirkt nur kurz. Wozu hat man schließlich Freunde!
“Klar!”, sagt man und lächelt still. “Geh schon mal ins Bad. Ich muß hier noch was einpacken.”
Hallo Afghanistan! Dein Sohn kehrt heim. FRÖHLICHE WEINACHTEN!!!