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Weihnachtskurzgeschichte

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24.12.2014
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Weihnachtskurzgeschichte

Ich stehe hier alleine am Straßenrand und schaue voller Sehnsucht zu den angrenzenden Häusern. Sie werden durchflutet von warm strahlendem Kerzenlicht, welches sich wiederspiegelt in dem Glanz der Weihnachtskugeln. Gelächter im Hintergrund und dazu diese Musik. Musik, die mich dazu bewegt zu tanzen, zu tanzen alleine hier am Straßenrand.
Langsam bewege ich mich weiter, Schritt für Schritt bildet sich im Schnee eine Spur, die meine Reise aufzeichnet, und zwischendurch ertappe ich mich dabei, wie ich meinen Schritt dem Rhythmus der Musik anpasse. Ein kleines Lächeln zaubert sich daraufhin in mein Gesicht, welches sonst nur von Narben, Trauer und Einsamkeit gezeichnet ist.
Ich laufe weiter die Straße entlang, bis ich zu einer Hütte gelange, die so gar nicht in das Gesamtbild der anderen passt. Dieses kleine Haus strahlt eine Wärme aus, obwohl es eher im Dunklen steht. Es scheint unbewohnt zu sein, wobei, da sehe ich einen Raum, der einzige Raum, der erleuchtet ist in diesem Haus. Ich trete etwas näher, da mich meine Neugierde packt, und schau vorsichtig zum Fenster hinein.
Ich sehe einen Raum, schlicht, mit wenigen Möbeln. Inmitten dieses Raumes ein Sessel, rechts daneben ein kleiner Tisch, worauf sich eine Dose mit Weihnachtskeksen befindet. Ich sehe auch Bilder, Bilder an der Wand, die viele glückliche Gesichter zeigen. Es müssen Familienfotos sein.
Eine Frau betritt diesen Raum, sie sieht glücklich aus. Ein Lächeln erstrahlt in ihrem Gesicht, sie wirkt sehr zufrieden und sie bewegt sich durch das Zimmer mit einer Leichtigkeit, die mich fasziniert. Dennoch scheint sie alleine zu sein. Sie singt und lacht. Ich kann niemand weiteres im Haus erkennen, nur sie. Woher die Fröhlichkeit, wenn sie doch so alleine ist? Fragen kommen in mir auf und ich starre durch das Fenster, eine gefühlte Ewigkeit.
Ich vergesse, dass ich nicht gebeten wurde, durch dieses Fenster zu schauen, und erst als ich merke, dass ich mich hier nicht aufhalten sollte, ist es bereits zu spät. Ich werde erwischt, erwischt von dieser einen Frau.
Ausgerechnet von der Frau, von der ich verzaubert und die ich voller Bewunderung beobachtete.
Ich spüre, wie sich eine ungewöhnliche Wärme in meinem völlig ausgekühlten Körper ausbreitet und ich erröte. Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, der bei etwas Verbotenem ertappt wird.
Was sie jetzt wohl von mir denkt? Bestimmt hält sie mich für einem Spanner, der nichts Besseres zu tun hat, als einsamen Frauen aufzulauern.
Die Eingangstüre öffnet sich. Meine Gedanken haben mich daran gehindert, das Grundstück zu verlassen. Nun muss ich mich wohl der Situation stellen und ich hoffe, dass es nicht allzu viel Ärger geben wird. Zuviel habe ich in den letzten Monaten mitgemacht.
Ich sehe sie, wie sie auf mich zukommt. Ihr Gesicht verrät mir, dass sie ängstlich ist. Kein Wunder, hat sie doch einen Mann entdeckt, der am Fenster ihres Hauses steht und sie beobachtet.
Sie kommt langsam auf mich zu und schaut mich fragend an. Ich selbst kann mich nicht bewegen, stehe wie angewurzelt da und versuche freundlich zu wirken, nicht allzu abschreckend, denn mein Gesicht ist gezeichnet von Narben. Narben, die mich täglich an das Unglück erinnern, welches mich am Anfang des Jahres heimgesucht hat.
Ich schließe die Augen und versuche Worte zu finden, Worte, die diese Situation erklären.
Ich höre ihre Schritte näher kommen. Mutig scheint sie zu sein und ich öffne, von Neugierde gepackt, meine Augen. Da steht sie vor mir. Ihr Gesicht ist mir ganz nah und ich kann spüren, dass die Anspannung in mir nachlässt. Ich fühle mich plötzlich nicht mehr wie ein erwischter Junge, sondern eher wie ein Häufchen Elend. Ob dieses Gefühl nun besser ist, diese Frage bleibt offen, denn ich habe keine Zeit, mir weiter darüber Gedanken zu machen, denn ihre Stimme reißt mich aus diesem Gedankengang.
Sie stellt sich mir vor. Ihr Name ist Anna. Anna… Anna, immer wieder hallt dieser Name durch meine Gedanken und ich selbst bekomme noch immer kein Wort über meine Lippen.
Ich starre sie voller Verwunderung und Bewunderung an.
„Mein Name ist David… David Miller… Entschuldigen Sie bitte… aber…“
Das sind die einzigen Worte, die aus meinem Mund kommen. Ich habe seit Monate nicht mehr gesprochen. Bin auf der Suche nach einem Ort, an dem ich mir ein neues Leben aufbauen kann, vor jedem geflüchtet. Zu groß war die Angst vor Fragen wegen meines Aussehens. Mein eigentliches Leben wurde vernichtet, vernichtet von den Flammen, die mir mein Heim, meine Frau und meine Kinder genommen hatten.
Erschrocken von meiner Stimme breche ich inmitten des Satzes ab und schaue beschämt zu Boden. Da spüre ich Annas wärmende und zarte Hand auf meiner Wange. Ich schaue verwundert auf und unsere Blicke treffen sich. Wir schauen uns an und es wird mir warm. Die Wärme breitet sich in meinem kompletten Körper aus und auch mein Herz fängt an schneller zu schlagen. Mein Herz, das sich die letzten Monate gebrochen und kalt angefühlt hat, füllt sich mit Leben. Vergessen ist in diesem Moment die eisige Kälte, meine Trauer und Angst.
Ohne viele Worte nimmt sie meine Hand und führt mich in ihr Haus. Sie führt mich in Richtung des Ofens, der zentral im Haus steht. Dort sitze ich nun und beobachte Anna dabei, wie sie für uns beiden in der Küche eine Suppe aufwärmt.
Es fühlt sich beinah so an wie früher, als mein Frau noch lebte und ich ihr dabei zusehen konnte, wie liebevoll sie unser Essen zubereitete. Aus diesem gewohnten Gefühl heraus stehe ich auf und beginne, in der Küche nach Teller und Besteck zu suchen, um dann den Tisch zu decken. Es ist komisch, aber das alles spielt sich ohne viele Worte ab und wenig später sitzen wir am gedeckten Tisch und unterhalten uns.
Diese Unterhaltung besteht nicht aus oberflächlichen Gesprächsthemen. Nein, wir unterhalten uns intensiv und bemerken ziemlich schnell, dass wir beide auf eine ähnliche Art und Weise unsere Familien verloren haben. Der einzige Unterschied zwischen uns ist, dass sie, im Gegensatz zu mir, versucht hat, ihr Leben weiter zu meistern. Sie hat gelernt, dankbar für das zu sein, was sie noch hat.
Sie hat ihr Leben selbst in die Hand genommen, hat ums Überleben gekämpft und dabei nie aufgegeben. Sie hat ihre Liebe zur Musik genutzt, um all die Sorgen zu überwinden. Ihr Strahlen, so erzählte sie mir, kam mit der Zeit zurück und sie feiert Weihnachten immer noch mit ihrer „Familie“.
Verwundert schaue ich sie bei diesen Worten an… Mit ihrer „Familie“ ? Diese Verwunderung hat Anna schnell bemerkt und erzählt mir von ihren alljährlichen Ritualen. Rituale, die sie gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann und ihrem Sohn über Jahre aufgebaut und gepflegt haben. Sie hat diese Rituale weiter aufrecht erhalten, was dazu führte, dass sie sich nur selten allein gefühlt hat. In ihrer allein erschaffenen kleinen Welt leben ihr Mann und ihr Sohn für sie weiter…
So liest sie z.B. jeden Abend am Bett ihres verstorbenen Sohn aus dessen Lieblingsbuch laut vor und kann dabei noch immer sein aufgeregtes Lachen hören. Das muntert sie jedes Mal aufs Neue auf und hält sie am Leben.
Wir reden und reden und die Zeit vergeht wie im Flug und ich merke, dass es auch für mich wieder an der Zeit ist weiter zu ziehen. Es wird dauern, bis ich wieder ein Versteck finde, wo ich unterschlüpfen und übernachten kann. Ich beginne, meine Jacke und meine kleine Tasche zu richten, und schaue noch einmal zu Anna, die mich bei meinem Vorhaben beobachtet.
Insgeheim hoffe ich ja, dass sie mich aufhält, dass ich bei ihr bleiben darf, aber das wäre dann wohl doch zu viel verlangt. Wir haben uns zwar in den letzten Stunden etwas kennengelernt, aber dennoch kann ich von ihr nicht verlangen, mir so viel Vertrauen entgegen zu bringen, dass sie mich hier bei sich aufnimmt.
Der Abschied schmerzt und so öffne ich, ohne etwas zu sagen, die Eingangstüre.
Es ist dunkel und schnell überrollt mich eine Flut der Kälte. Ich laufe wie gewohnt die Straße entlang, in geduckter Haltung, da ich jetzt noch trauriger bin als zuvor. So schön der Abend auch war, aber er hat mir nur noch einmal vor Augen gehalten, was ich alles verloren habe.
Ich laufe und laufe immer weiter in die Finsternis, gedankenverloren spielen sich die letzten Stunden in meinem Inneren noch einmal ab. Plötzlich höre ich hinter mir schnelle Schritte und eine Stimme, die bis zu mir vordringt. Eine Stimme, die mich in diesem Moment hoffen lässt. Es ist Anna, die mir gefolgt ist.
Ich bleibe stehen und schaue sie mit großen Augen an. Unsere Blicke treffen sich und dringen tief ineinander. Die Zeit scheint stehen zu bleiben und ich spüre wieder die Wärme, die sich in meinem Körper ausbreitet, und mein Herz schlägt schnell und füllt sich wieder mit Leben.
Wir reden nicht, sie nimmt einfach meine Hand und wir laufen nebeneinander durch die Finsternis der Nacht, bis hin zu ihrem Haus. Erst als wir dort ankommen, beginnt sie mir zu erklären, warum sie mir gefolgt ist.
Es stellt sich heraus, dass es ihr genauso geht wie mir. Wir haben beide dieselben Gefühle füreinander. Nicht zu erklären, was in dieser Nacht passiert ist, aber in einem sind wir uns einig. Die Vergangenheit gemeinsam als Freunde zu verarbeiten.
So kommt es dazu, das ich bei ihr bleibe.
***
Das, was in dieser einen Nacht passierte, war für uns ein Wunder… wie eine Fügung des Schicksals, das die Aufgabe hatte, uns beide zueinander zu führen.

 
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Hallo Ramona 1979

Willkommen hier im Forum. :)

Du hast Deine erste Geschichte nach klassischen Idealen aufgebaut, Weihnachten ein Tag, der von Verständnis und Liebe getragen sein soll. Dem spricht nichts entgegen, wenngleich solche eher beiläufig wahrgenommen werden, da die einfache Idealisierung bei dem Thema zu verbreitet ist, es sei denn, sie sind inhaltlich höchst ungewöhnlich. Inhaltlich hast Du schon erschütternde Schicksale angesprochen, aber sie werden nur erwähnt, der Leser erfährt nicht wesentlich Tieferes. Da ist der Ansatz, woran Du arbeiten solltest. Erzähle nicht einfach von den Beiden, dass sie angeregt miteinander sprechen, sondern lass den Leser an diesem Gespräch teilhaben. Also nicht einfach über sie reden (erzählen), sondern sie agieren und sprechen lassen, die Stimme des Erzählers eher leitend und ergänzend einbringen. Dann gewinnt es an Lebendigkeit. Ein paar Absätze, soweit von der Handlung angezeigt, würde die Lesbarkeit auch noch erhöhen.

Ein weiterer Punkt ist der Titel, der einfach wie eine Bezeichnung über dem Text prangt. Dass es ins Motiv Weihnachten passt, weiss der Leser bereits an der Stichwortwolke. Dass hier eine Kurzgeschichte vorliegt, ebenso. Angezeigt und passend ist ein Titel, wenn er auf den Inhalt selbst direkt Bezug nimmt, quasi ein Markenzeichen des Inhalts. [Titel ändern können nur die Moderatoren, der Inhalt selbst kann der Autor hingegen selbst bearbeiten mittels dem Bearbeitungs-Button am Ende der Geschichte.]

Auch wenn die Weihnacht bald vorüber ist, kannst Du weiter daran arbeiten, denn so kannst Du daran lernen. Falls Du Dich daran wagst, im Text sind mir beim Lesen vereinzelte Vertipper aufgefallen, die Du noch beheben kannst. Bei Auslassungspunkten gehört zwischen diesen und dem Wort übrigens immer ein Leerschlag. Einzige Ausnahme dabei ist, wenn ein Wort unvollendet bleibt, z. B. Verd… :sealed:

Den Inhalt an sich habe ich trotz meiner Einwände als sympathisch wahrgenommen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Ramona,

Deine Geschichte habe ich mit Spannung gelesen. Schnell führst Du den Leser in die Einsamkeit des Protagonisten hinein, verbindest diese mit einer Situation, die gleichermaßen einfach ist wie sie auch das Potenzial für eine ungewisse, konfliktträchtige Weiterentwicklung hat, und ich musste einfach an der Handlung dranbleiben. Insgesamt sehr schöne Bilder, ein stringenter, glaubwürdiger Plot, eine gut gemachte Erzählung in einer Sprache von natürlicher Schönheit.

Du könntest aber noch ein bisschen mehr von der erzählenden in die darstellende Beschreibung übergehen, Figuren wie der gesamten Situation mehr Tiefe verleihen. Lange Zeit wusste ich zum Beispiel nicht, ob ich es mit einem weiblichen oder einem männlichen Protagonisten zu tun habe. Deinem Foren (oder wirklichen?;) Namen nach hatte ich spontan auf eine Frau getippt. Überrascht war ich zwar nicht, dass es sich dann als ein Mann entpuppt hat, trotzdem finde ich, die Geschlechtszuscheibung wie auch andere identitätsskizzierungen sollten möglichst nah am Eingang der Geschichte erfolgen (meine persönliche (!) Faustregel: spätestens ab dem 3. Satz sollte es eindeutig sein. Damit muss ich aber noch lange nicht alles über meinen Helden/meine Heldin aus dem Sack lassen;).).
Desweiteren ist die Hintergrundgeschichte so gravierend, dass sie schon viel früher angedeutet werden müsste. Ein Feuer hat dem Erzähler alles genommen, auch seine geliebten Menschen... Da könnte ich mir vorstellen, dass beim Anblick des von Christbaumkugeln gespiegelten Kerzenlichtes sofort Bilder einer Feuerbrunst in seinem Kopf auflodern. Dass er eine Art körperlich-seelischen Schmerzes verspürt, ein Gefühl zu verbrennen... Solche Dinge. Nimm uns ein wenig mehr in Deine Figur hinein und halte sie gleichzeitig geheimnisvoll bis zu dem Gespräch mit Anna. Auch hier gebe ich Anakreon Recht: Das Schicksal, das Anna erlitten hat, wird am besten im Dialog bekannt. Auch interessiert mich, auf welche Weise sie ihren Mann und ihren Sohn verloren hat. Hier könntest Du eine Geschichte in aller Tiefe ausführen und danach die andere eher angedeutet lassen... so, dass der Leser selbst sich alles ausmalen und mit der Figur fühlen und leiden kann.

In der jetzigen Fassung bleiben die Charaktere noch ziemlich blass, sie wirken eher wie Allegorien auf verschiedene tragische Schicksale und die Erzählperspektive dadurch auktorial trotz der gewählten Ich-Perspektive. Eine sehr schöne, berührende Geschichte, in der weder die Schicksalsbegegung noch die Weihnachtsidealisierung in irgendeiner Weise kitschig oder sonstwie abgegriffen wirken, ist es allemal. Nun könnte die Feinarbeit beginnen... ;).

Viel Spaß beim Schreiben und Kommentieren wünscht Dir
Roger

 

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