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Wenn das Licht angeht
Die Größe ihrer Pupillen ließ mich ihre Augenfarbe nur erahnen, aber ihre Haare waren da wo sie hingehörten und der Rest scheinbar auch.
„Mal abgesehen davon, dass ich in diesem Moment sowieso nicht allzu viel erkennen kann, macht es mir die Tatsache nicht einfacher, dass, äh ...“ Das MDMA hatte seine Fahrt durch meine Blutbahnen aufgenommen und das erste Mal mein Gehirn passiert.
„Neurotransmitter! Neuurootraansmitter ...“
„Hä?“
„Jetzt schau doch mal, eins grün, das andere blau!“ Sie kam mir mit ihrem Gesicht so nahe, dass es sich in sanft wabernden Flecken vor meinen Augen verteilte.
Ich versuchte in sie hineinzukriechen, war aber wohl zu weich, oder elastisch, fast schon flüssig.
„Warum kannst du eigentlich so schnell sprechen?“ Ich war mir nicht so ganz sicher, wo diese Frage nun her kam.
Wir saßen im Vorraum des Clubs auf einem alten Ledersofa. Diese Frau mit den zwei verschiedenfarbigen Augen und noch so ein paar Leute, die ich nie zuvor gesehen hatte.
Die Musik drang nur gefiltert durch die geschlossenen Türen, die uns vom Inneren des Workers trennten, wo die Menge zum Sound von DJ Durst abging. Was bei uns ankam war Bass, der unsere Magengruben sanft massierte.
Der Filter öffnete die Hüllkurven synchron zum Aufschwung des Einganges, ließ Gäste passieren, Nebel und Blitze entweichen, euphorisches Kreischen und Pfeifen übertönte in Intervallen die Musik.
„Oh Mann, bin ich dicht!“
„Ich auch.“
„Schweinedicht!“
"Ganz schön heiß hier, heiß." Warmer Schweiß drückte sich zäh wie Honig durch meine Poren.
Es war unmöglich meinen Mund unter Kontrolle zu bekommen, also versuchte ich es gar nicht. Ich kaute nicht vorhandene Kaugummis, dehnte meine Kiefer bis an die Grenzen der Biegsamkeit, erforschte die trockenen Mundhöhlen mit meiner belegten Zunge und leckte meine rissigen Lippen.
„Neeeuuuurotransmitter ....!“
„Was ist das eigentlich?“
„Weiß auch nicht ...“
Ein juckend warmes Gefühl breitete sich in meinem Unterleib aus, gipfelnd in meinem Pimmel, der sich ähnlich einer erschrockenen Schildkröte zurückgezogen hatte.
Schauderstürme überkamen mich im Sekundentakt. Willenlos sank ich immer tiefer in die geschmeidigen Sofakissen, die mich gierig schluckten, wie Treibsand.
Der Zweiäugigen schien es nicht anders zu gehen als mir. Ihr Kopf war auf meine Schulter gesunken und sie wand sich in ihrem Zustand, ihre Beine aneinander reibend.
Die Tür wurde aufgerissen und Thommy, der Veranstalter hielt sein schwitzendes Gesicht direkt vor meines.
„Du bist gleich an der Reihe, der Durst ist durch.“ Sein Atem roch nach einer Mischung aus Alkohol, Gummibärchen und Zigarettenrauch. In seinen Mundwinkeln klebten weißliche Ablagerungen, von was auch immer.
Ich versuchte meine Augen zu öffnen, was nur unter kräftigem Schielen möglich war.
„Ich glaub, ich kann nicht, bin zu dicht.“
„Du musst Alter, die anderen sind noch nicht da! Der Durst muss weiter.“
Er zog an meinen schlaffen Armen, um mich aus den Kissen zu befreien, doch meine Verwandlung in Mister Fantastic war schon vollzogen.
So dachte ich jedenfalls, bis ich merkte, dass ich auf meinen eigenen, wackligen Beinen stand.
Meine Zustandsgenossin war ohne den Halt meiner Schulter auf die Couch gesunken und richtete sich erschrocken auf.
„Was ...?“ Thommys Blick ging an mir vorbei und blieb an der schönen Dichten kleben.
„Du hast ja zwei verschiedenfarbige Augen, geil!“, sagte er.
„Aber nur wenn ich Pillen genommen habe!“, hauchte sie und ich bemerkte, dass auch sie Schwierigkeiten hatte, ihre Lider offen zu halten. Wie Schmetterlinge in Slowmotion, flatterten sie auf und ab.
„So, du haust jetzt ab und legst Platten auf, ich kümmere mich in der Zeit um deine Freundin hier.“ Er öffnete die Pforte und schob mich hinaus ins Gewitter.
Verloren wankte ich durch den Sumpf aus Drogendampf und Energie. Weit aufgerissene Augenpaare kreischten mich exstatisch an, zuckend im Intervall des grell aufleuchtenden Lichts, das den dichten Nebel durchschnitt, wie luftgetrocknete Salami.
Der Gedanke an Salami und die Trockeneisschwaden, die in meine Atemwege eindrangen, lösten ein leichtes Würgen aus, was mich in meinem Wohlbefinden aber nicht weiter störte.
Eigentlich störte mich überhaupt nichts, nicht einmal meine absolute Orientierungslosigkeit.
Obwohl ich schon häufig an diesem Ort war, konnte ich den Weg zum Pult einfach nicht finden. Dicht aneinander gedrängt tanzte die Menge zu den pulsierenden Rhythmen des Sets.
Kurzzeitig schienen meine Füße den Boden zu verlassen. Getragen durch die heiße Enge, schien ich einfach nicht von der Stelle zu kommen. Ich musste kichern.
Zwei riesige Pranken ergriffen meine Schultern, und zogen mich wie einen Gekenterten an Land.
„Hey Pork, alles klar? Bist du jetzt dran? Hast du Pep?" Psycho.
"Wo muss ich lang, Alter? Ich kann das Pult nicht finden und die Salami ...!“
„Wir müssen Pep besorgen, Mann!“
„Ich muss zum Pult, ich bin dran!“
"Wir müssen nach Kassel!"
„ ... ist Curt Kobain aber doch der Größte gewesen.“
„Der lebt doch nicht mehr Mann, der ist jetzt schon fast ein Jahr tot!“
„Vergesst Gitarrenmucke, es gibt nur noch Techno!“
„Was ist das denn für ein blödes Statement? Musik ist Musik!“
„Das Statement ist jawohl noch beknackter!“
„Ich glaube, heute war ich richtig scheiße.“
Psycho und ich saßen auf dem Rücksitz von seinem Kadett, Mandel saß am Steuer und fuhr uns. Der Beifahrersitz war nach vorne geklappt, sodass wir unsere Beine bequem darauf ablegen konnten. Aus den Boxen dröhnte Voodoochilds Demon, ein 20 Minuten Acidkracher.
„Natürlich warst du scheiße, Mann. Du hast ständig die laufende Platte vom Deck genommen und den Crossfader mit dem Lautstärkeregler verwechselt! Du warst einfach zu dicht.“
Vor ungefähr einer Stunde hatte ich mein Set beendet, die Zahl der Clubgäste hatte sich während meiner Zeit auf drei tanzende und ein Dutzend abhängende Gäste reduziert.
Ich war nicht mehr ganz so breit, meine Lippen bluteten.
„Was sind denn das für Leute in Kassel?“
„Die hab ich im Hanomag kennen gelernt, krasse Typen!“
„Mac Würstchen.“ Wir lachten.
„Wir müssen um drei da sein!“
Die Sonne schien ins Wageninnere, Landschaften schossen in Lichtgeschwindigkeit an uns vorbei.
Psycho legte drei Nasen auf der Nackenstütze des Vordersitzes und reichte den Geldschein an Mandel.
„Gut, dass ich noch was gefunden habe.“
„Wie soll ich denn ziehen, wenn ich fahren muss?“ Mandel war eine ziemlich junge Chinesin, ihren echten Namen konnte sich keiner merken. Sie hatte zwar keinen Führerschein, konnte aber ganz gut fahren.
Psycho lehnte sich über den Fahrersitz und ergriff das Lenkrad.
„Ich übernehme!“
Das wütende Hupen der anderen Autos arrangierte sich perfekt mit der Musik. 50 Kilometer die Stunde ist einfach zu langsam für die Autobahn.
„Ich glaube, Thommy ist sauer.“
„Ist doch egal, Mann!“
„Stimmt!“ Schließlich war er mit der Augenfrau abgezogen.
„Fahr mal nicht so schnell!“
Das Speed kroch bitter meinen Rachen hinab.
„Guck mal, die winken alle.“ Wir legten unsere Beine wieder auf die Lehne und winkten zurück.
„Hast du noch Hoffmänner?“
„Klar!“
„Na, dann her damit!“
Mandel reichte mir einen halben Hoffmann Jubiläumstrip, den ich mir gleich auf der Zunge zergehen ließ.
„Wir müssen um drei da sein!“
„Mac Würstchen“, sagte Psycho.
Wir lachten.
„Wer seid ihr!“ Ein südländisch wirkender Schirmützentyp öffnete uns die Tür im siebten Stock eines Sozialwohnblocks irgendwo in Kassel.
„Wer seid ihr, ihr ..!“, wiederholte ich und lachte.
„Was ist mit dem?“
„Voll auf Zündung, der ist DJ.“
„Wir wollen zu Smuggles wegen dem Pep!“
„Pep! p...p.“ Ich ließ meine Lippen zweimal ploppen.
„Wenn man das E weglässt, heißt es p...p.“ Ich ploppte weiter.
Wortlos wies uns der Mützenträger an sich vorbei in die durch schwarze Tücher abgedunkelte Wohnung.
„Hier ist dunkel.“
„Halts Maul jetzt Pork!“ Ich musste wieder lachen und ploppen.
Die Dunkelheit ließ einen Blick in mein Innerstes zu: Ich sah mein Gehirn als großen dunklen Raum, wie eine riesige leere Lagerhalle.
Eine winzige Tür am anderen Ende der Halle öffnete sich einen Spalt und ließ Sonnenlicht einfallen. Zögernd betrat ein kleiner Mann die Dunkelheit, seine Schritte hallten in der Leere. Er zückte einen Besen und begann zu fegen.
Ich rief ihm zu, aber er schien nicht zu hören.
„.. und das ist Pork, er ist DJ.“
Vor mir stand der Typ, der wohl Smuggles sein musste.
„Warum willst du hier fegen, Alter?“ Smuggles schaute mich verwirrt an.
„Wie?“
Komische, trancige Breakbeats mit dämlichen Vocals drangen durch abgenutzte Membranen und verwirrten mich noch zusätzlich.
„Ist das der Kasselsound?“ 909 Hi-Hats flogen durch den Raum und fanden keinen Platz zum Landen.
Überall im Zimmer verteilt saßen diese Mützenträger und ihre Tussen. Einige betrachteten uns skeptisch, einige kifften, andere fummelten an Brüsten herum.
Auf dem Tisch vor uns lag neben Bröselschalen und Pornos eine mächtige Wumme.
Ich entdeckte einen Becher Zitronenjoghurt und fing fasziniert an darin rumzurühren.
„Diese Konsistenz, geil. So cremig.“
„Wir brauchen Pep!“
„Wie viel?“
„Tausie!“
„Geht klar! Ich gebe dir zwanzig Gramm ungestreckt und zehn von den neuen roten Himbeeren zum Testen.“
„Plus drei für jetzt!“ Psycho konnte verhandeln, da gab es nichts.
Smuggles gab uns die Pillen, die wir sofort mit Red Bull runterspülten. Er selber genehmigte sich auch eine.
Ich war glücklich etwas zu trinken zu bekommen; leichtsinnigerweise hatte ich von dem Zitronenjoghurt gekostet, der in meinem Mund schlagartig einen betonierten Eindruck hinterließ.
Wir besiegelten das Geschäft mit ein paar Runden Bong und machten uns wieder auf dem Weg zum Wagen.
Der Kappenträger, der uns reingelassen hatte, kam uns im Hausflur entgegen.
„Adios Amigo!“, sagte ich.
Mütze antwortete nicht.
„Mac Würstchen“, sagte ich.
Wir lachten.
Die Abendsonne ließ die heruntergekommene Gegend in einem wohligen Licht erscheinen.
Die Himbeere dockte an und wir fuhren auf zerstochenen Reifen Richtung Heimat.
Wir saßen im Vorraum des Clubs auf einem alten Ledersofa. Die Sonne war schon hinter den Häusern aufgetaucht und erinnerte mich neben den Resten des sich zersetzenden Kaugummis, an den nahenden Arbeitsbeginn.
DJ Hanselmann ließ seine letzte Scheibe ausklingen. Fahles Licht deckte den Dreck der vergangen Tage, sowohl auf dem Boden, als auch auf den Gesichtern der Übriggebliebenen, auf.
Thommy und die Frau mit den Augen durchschritten wild debattierend den Ausgang, sie sah gar nicht mehr so toll aus wie Freitag Abend.
Psycho schaute zu mir rüber. Sein rot beflecktes Gesicht, beschäftigt mit unfreiwilligen Zuckungen, erschien unwirklich.
Lange hatten wir schweigend, aber trocken hustend auf dem Sofa zugebracht. Ich glaube, er ist zwischendurch mal eingeschlafen. Er schien lange nachzudenken, aber dann schaffte er endlich den finalen Satz:
„Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr ...“ Die Tür ging auf.
„Plop!“