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Wer zum Teufel ist Uli?

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14.08.2012
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Wer zum Teufel ist Uli?

Gut eine Stunde hatte ich geschrieben und dabei Glas auf Glas gekippt. Ich war nun einigermaßen blau und natürlich ging es mir keinen Deut besser. Wie auch? Ich wusste nur zu gut, dass die Nacht draußen sich nicht von der Stelle gerührt hatte, die wartete nach wie vor auf mich. Zumindest sollte ich heute einschlafen können, redete ich mir ein. Den Versuch war‘s wert. Ich zerknüllte die vollgekritzelten Seiten und warf sie in den Mülleimer hinter der Theke. Dann schob ich Heinrich einen Zwanziger hin und wollte mich endgültig aus dem Staub machen.
Ich schlüpfte in den Mantel, doch eben als ich mein Glas leerte, erklangen die ersten Takte von Borodins Requiem. Beinahe verschluckte ich mich.
Am Musikautomaten stand ein Typ und raufte sich die Haare. Das war eins von diesen modernen Dingern, die ein paar zigtausend Titel drauf haben, die gesamte Musikgeschichte rauf und runter. Womöglich wollte der Schlaumeier Boney M. hören oder DJ Bobo und hatte sich schlicht vertippt. Solche Genies soll’s ja geben. Oder das Ding war einfach hin, zur Strecke gebracht von einem Software-Fehler, keine Ahnung. Der Spinner drückte wie blöde an den Knöpfen, aber das änderte nichts, die Kiste war eindeutig hinüber. Die anderen Gäste fanden das gar nicht lustig, die wollten chillen, die wollten verdammt noch mal Popmusik hören, keinen schwermütigen russischen Kram. Es fehlte nicht viel, dass die ersten Gläser durch die Luft flogen. Auch wenn sich die Härchen auf meinen Unterarmen aufstellten, das Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Nach sechs Minuten wäre der Spuk ohnehin vorbei. Die hatten doch keine Ahnung, diese Banausen.
Heinrich tat, als ginge ihn das alles nichts an, der hatte auch seinen Spaß. Hingebungsvoll polierte er die Chromteile der Espressomaschine und zwinkerte mir zu.
„Weißt du, was Tolstoi gesagt hat?“, fragte er mich.
„Na ja, so einiges, vermute ich.“ Heinrich immer mit seinen Zitaten. Ich rechnete mit dem Schlimmsten.
Nirgends kann das Leben so roh wirken wie dort, wo es mit edler Musik konfrontiert ist. Also ich glaub zumindest, dass es von Tolstoi ist“, sagte er und schenkte uns zwei Gläser ein.
„Die gehen auf mich, Luis.“
Die Musik ist eines der Mittel, Gut und Böse zu unterscheiden. Ist auch von Tolstoi“, sagte ich und hob mein Glas. „Auf die alten Russen, Heinrich.“
Jedenfalls war das der Augenblick, in dem ich sie sah. Mit geschlossenen Augen stand sie am anderen Ende der Bar und in ihrem schwarzen Kleid und mit der Perlenkette um den Hals wirkte sie hier vollkommen fehl am Platz, als hätte sie sich verirrt. Sie klammerte sich an ein Fläschchen Heineken und war so blass im Gesicht, dass ich fürchtete, sie könnte jeden Moment umkippen. Kurzerhand ging ich zu ihr rüber und sprach sie an. Mich musste der Teufel geritten haben.
„Verzeihen Sie, ist Ihnen nicht gut?“
Zuerst schien sie mich nicht gehört zu haben. Doch dann drehte sie sich um, ganz langsam, als hätte ich sie aus einem Traum geweckt, als holte ich sie aus der Umlaufbahn um einen fernen Planeten, und ich hatte währenddessen alle Zeit der Welt, ihren Nacken zu betrachten. Ihr Haar war hochgesteckt, und das war schon immer eine Sache, die mich schwach werden ließ, die ich an Frauen einfach liebte, den Haaransatz hinter dem Ohr, diese zarte Stelle, die man nur sehen konnte, wenn sie das Haar hoch trugen. Es konnte kein Zufall sein, dass sie sich genau dorthin das Parfum tupften, als wüssten sie um den Zauber dieses magischen Stückchens Haut.
„Ich weiß nicht recht, wie soll’s mir denn gehen, wenn es mir gerade das Herz zerreißt?“
Als sie das sagte, lächelte sie kein bisschen, sie meinte das offenbar ernst, ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mich auf den Arm nahm. Allerdings schaute sie auch nicht drein, als müsste sie gerade furchtbar leiden. Ich war mir nicht ganz sicher, vielleicht verarschte sie mich ja doch.
„Und Sie? Mögen Sie Borodin?“, fragte sie mich.
„Sehen Sie nicht, dass ich mich gerade anschicke, ohnmächtig zu werden?“ Auch ich blieb ernst.
Jetzt stahl sich ein Grinsen in ihr Gesicht.
„Dann sollten Sie sich besser hinsetzen, meinen Sie nicht?“
Sie wartete meine Antwort nicht ab, sondern schnappte sich meine Hand und steuerte ein Tischchen an, ganz hinten in der letzten Ecke, und das war mir nur recht, auf diese Spaßvögel an der Bar konnte ich gerne verzichten.
Solange die Musik lief, sprachen wir kein Wort, wir sahen uns nur an und ihre Finger ließ ich auch nicht los. Was die da vorne mit dem Musikautomaten anstellten, bekam ich nicht mehr mit, es war mir herzlich egal. Ganz gleich, ob sie den nun zertrümmerten oder einfach den Stecker zogen.
„Wie heißt du?“
„Luis.“
„Witzig. Ich heiße Uli. Ist fast ein Anagramm.“
Meine Güte, konnte die lächeln!
„Deine Stammkneipe scheint das nicht gerade zu sein, Uli, was?“
„Nein. Aber im Winter komm ich manchmal rüber, um mich aufzuwärmen.“
„Sag bloß, die haben dir die Heizung abgedreht. Genauso schaust du aus. Als wärst du vollkommen verarmt.“
Sie lachte.
Die übliche Drecksmusik fing wieder an und Uli ließ meine Hand los.
„Komm, lass uns abhauen, Luis.“ Sie leerte ihre Flasche und stand auf. „Ich würde dir gerne was zeigen. Also wenn du magst.“
„Wird es wehtun?“ Ich grinste sie an.
Wieder lachte sie und ich lachte auch. Dabei war das alles andere als ein Witz. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass mir noch irgendwas passieren sollte, was nicht wehtäte. Seit der Sache mit Mona war’s vorbei mit meiner Überzeugung, ich sei unverwundbar, nun ja, ich will’s mal so sagen, ich hing einigermaßen ramponiert in den Seilen. Zwar hielt ich mich noch halbwegs auf den Beinen und steckte wacker Schlag auf Schlag weg, aber dass ich die meiste Zeit die Zähne zusammenbiss, fiel mir schon gar nicht mehr auf.
„Lass dich überraschen“, sagte Uli.
Wir verließen das Henriques. Nach wie vor lungerte die Nacht vor der Tür, bitterkalt und finster wie zuvor, aber ich dachte mir, die könne mich mal kreuzweise, diese Scheißnacht, zumindest heute. Ich schlug den Mantelkragen hoch und steckte die Fäuste in die Taschen, Uli schlang sich ihren Schal um den Hals. Unsere Atemwölkchen ließen ein leises Klirren hören, als sie zusammenstießen.
„Und jetzt?“
„Ist nicht weit“, sagte sie und hakte sich bei mir unter. „Nur zweimal um die Ecke.“
Wir stapften durch den Schnee und ehrlich gesagt, ich dachte dabei an gar nichts. Allerhöchstens daran, dass mir mein verfluchtes Bett nie und nimmer davonliefe. Das wartete unerbittlich auf mich. Hämisch grinsend oder mit gefletschten Zähnen, wie es ihm gerade gefiel. Da konnte ich genauso gut noch ein wenig durch die Gegend laufen, sagte ich mir. Und sollte Uli eine Verrückte sein, womöglich eine Waffe in der Handtasche mit rumschleppen und mir ans Leben wollen, wäre das auch kein Beinbruch. Vielleicht wäre das sogar das Beste, was mir passieren konnte.
Wir bogen in eines dieser schmalen Innenstadtgässchen ein. Vor einer unscheinbaren Holztür blieb Uli stehen.
„Da sind wir.“
Ich blickte die Fassade hoch. Eindeutig gotisch, das musste die Rückseite der kleinen St. Lucrezia-Kirche sein. Na großartig, ich war tatsächlich an eine Irre geraten. Uli kramte in der Handtasche und ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. Sie holte einen Schlüsselbund hervor und schloss auf.
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“
„Lass dich überraschen.“
Wir betraten einen dunklen Raum, vermutlich die Sakristei, viel konnte ich nicht erkennen. In Wahrheit war ich mittlerweile so fertig, dass es mir kaum noch gelang, die Augen offen zu halten. Uli machte sich in einer Ecke an ein paar Schaltern zu schaffen und ich nahm unterdessen einen kräftigen Schluck aus dem Flachmann. Keinesfalls wollte ich nüchtern sterben.
Sie griff nach meiner Hand und zog mich durch einen verwinkelten Gang ins Kirchenschiff. Vor einem Seitenaltar funkelte ein Meer von unzähligen Kerzen und ich starrte auf die Flämmchen, bis das Bild vor meinen Augen zu verschwimmen begann. Tatsächlich spürte ich eine Träne über meine Wange kullern, obwohl das beileibe kein trauriger Anblick war.
„Darf man hier rauchen?“
„Setz dich hin, Luis. Ich bin gleich so weit.“ Dann war sie weg. Offenbar hatte sie mich nicht gehört. Ich hockte mich auf eine Bank, steckte mir eine an und verkroch mich in meinem Mantel. Mir war leidlich warm und an der Brust spürte ich die tröstliche Berührung des Flachmanns. Zigaretten hatte ich auch noch genug. Überdies liebte ich schon immer diesen eigentümlichen, mystischen Geruch, wie er nur Kirchen zu eigen ist. Beinahe fühlte ich mich wohl. Ich war in den letzten Monaten schon weit schlimmer dran gewesen.
Ganz leise erklangen Orgeltöne und ich war mir anfangs nicht sicher, ob ich sie wirklich hörte. Ging der Zirkus schon wieder los? Erst vor wenigen Tagen hatte ich mitten in der Nacht verzückt Bruchs Oratorium gelauscht, minutenlang, bis mir einfiel, dass ich die Schallplatte ja schon längst zertrümmert und ins Kaminfeuer geschmissen hatte, vor mehr als einem halben Jahr, an Monas Geburtstag. Ich war aus dem Bett gekrochen, hatte den Kopf unters kalte Wasser gesteckt und mich dabei gefragt, ob ich’s in der letzten Zeit mit dem Trinken nicht doch ein wenig übertrieb.
Andererseits, sollte ich nächtelang an die Decke starren?
Bildete ich mir die Musik jetzt auch nur ein? Mir sträubten sich alle Härchen. Ausgerechnet dieses Stück musste sie spielen ... Ich schloss die Augen und summte die Melodie mit, ich fürchtete, jeden Moment aus einem Traum aufgeweckt zu werden, ich meinte, Monas Haar zu riechen.
„Schenkst du mir eine, Luis?“
„Hä?“
„Eine Zigarette.“
Ich öffnete die Augen. Ein Typ stand neben der Bank und blickte mich treuherzig an. Der Pfarrer schien das nicht zu sein. Zuerst dachte ich, es wäre Kurt Cobain. Mit der abgewetzten Lederjacke und den wirren blonden Strähnen sah er haargenau so aus. Na ja, eine Spur lebendiger vielleicht.
„Müsste ich dich kennen?“ Ich hielt ihm mein Päckchen hin.
„Kommt drauf an. Rutsch mal rüber.“
Ich machte ihm Platz und er setzte sich neben mich. Ich reichte ihm den Flachmann.
„Aber sei ja still“, flüsterte ich ihm zu, obwohl das Präludium mittlerweile wie ein Orkan durch die Kirche brauste. Kaum zu glauben, dass Ulis zarte Finger dieses Wunder erschufen.
„Danke. Auf deine Mona“, sagte er und nahm einen Schluck.
Mir fiel beinahe die Zigarette aus dem Mund.
„Äh, hast du eben Mona gesagt?“
„Die Kleine spielt echt gut, was?"
„Sag mal, was soll der Scheiß? Du hast Mona gesagt, ich hab’s doch gehört. Wer bist du überhaupt? Wir kennen uns doch gar nicht, oder?“
„Kannst dir’s aussuchen. Du vermisst sie sehr, stimmt’s?“
„Hör mal, wenn du mich nerven willst, vergiss es. Lass mich einfach die Musik hören.“
„Ich mein’s ernst. Ist deine Entscheidung.“
„Was ist meine Entscheidung? Ob du mir auf die Eier gehst?“
„Nein, wer ich bin.“
Der Witzbold ließ nicht locker. Vermutlich war er nur ein einsamer Penner, der jemanden zum Quatschen suchte. Aber, Himmel noch mal, er war nicht der einzige, den das Leben verarschte, dass Einsamkeit die lausigste Sache auf der Welt ist, das brauchte mir niemand erzählen. Millionen von Typen ging‘s nicht anders, erwartete er sich ein Wunder? Hatte nicht ein jeder sein Kreuz zu tragen? Ich verspürte im Augenblick wahrlich keine Lust, den Seelentröster zu spielen.
„Ich möchte dir einen Vorschlag machen, Luis.“
„Vergiss es. Ich hab echt keine Lust zum Quatschen. Und woher du meinen Namen weißt, ist mir eigentlich auch egal. Ehrlich. Lass mich einfach in Ruhe.“ Ich nahm einen kräftigen Schluck.
„Na komm, Luis, reg‘ dich nicht auf. Ich mein’s gut mit dir.“
War das etwa doch ein Pfaffe? Wollte mir der jetzt was erzählen vom Wunder der Welt, von den Freuden dieses Jammertals? Vom Sinn des Leidens? Das fehlte mir gerade noch.
„Ich denke, ich könnte dir helfen, Luis.“
Herrjemine, ich war schon wieder an einen Bekloppten geraten.
„Wobei willst du mir helfen? Etwa beim Totlachen? Glaub mir, das klappt nicht. Das versuch ich schon seit Jahren.“
Nein, in letzter Zeit hatte ich wahrhaftig keinen Grund gehabt, mich kaputtzulachen. Hätte ich etwa darüber lachen sollen, dass ich nach Monas Verschwinden rein gar nichts mehr auf die Reihe bekam? Dass ich meine Tage damit verplemperte, stapelweise Schreibhefte vollzukritzeln, zu saufen und einer Frau nachzuweinen? Und dass ich gleichzeitig vom Mitgefühl meiner Umwelt fast erdrückt wurde? Das nämlich war sowieso der allerschlechteste Witz, weil Mona mich in Wahrheit ja schon drei Wochen vor ihrem Unfall endgültig verlassen hatte. Aber davon wusste kein Mensch, niemand ahnte was von meinen allerletzten Worten an sie: „Dann hau doch endlich ab, du Verrückte.“ Das Übliche eben und ich hatte keine Sekunde daran gezweifelt, dass sie spätestens am nächsten Tag wieder vor meiner Tür stünde. Wie so oft, wie immer. Aber dieses eine Mal war es ihr offenbar ernst. Zwischen unserem Zuhause und dem Tunnelportal, an dem ihr Wagen zerschellte, lagen zwei Staatsgrenzen und gut tausend Kilometer Fahrt. Nein, das war kein Tagesausflug gewesen.
Bis heute wusste ich nicht zu sagen, ob ich um meine Freundin trauerte oder um meine Exfreundin. Als ob das irgendeinen Unterschied machte. Und der Spinner meinte im Ernst, mir wäre zu helfen?
„Also da gäb’s schon ein paar Möglichkeiten, Luis.“
„Alter, bitte!“
„Jetzt hör mir doch einfach mal zu. Meinst du etwa, du wärst der erste, mit dem ich ins Geschäft komme? Ist im Grunde die einfachste Sache der Welt. Ein simpler Tauschhandel. Du bekommst von mir Zeit mit deiner Mona und gibst mir dafür was von dir. Was weiß ich, irgendein Dings halt.“
Ich hatte es geahnt, der Typ war wirklich übergeschnappt.
„Ach, um diesen Hokuspokus geht‘s. Ich nehme mal an, du redest von meiner Seele. Und den Vertrag besiegeln wir mit meinem Blut, stimmt’s? Sag mal, wo haben sie denn dich ausgelassen?“ Schön langsam begann der Kerl, mir Spaß zu machen.
„Vergiss diesen Quatsch, Luis. Seele … meine Güte, das ist doch Märchenkram. Ich hätte dich für schlauer gehalten. Was fang ich denn mit Scheißseelen an? Meinst du, ich kleb mir die in ein Sammelalbum, oder was?“
„Ehrlich, darüber hab ich mir noch nie den Kopf zerbrochen.“ Ich trank und reichte ihm neuerlich die Flasche. Beinahe mochte ich ihn schon.
„Die Seele gibt’s nicht, Luis, die ist eine Illusion. Nicht mehr als ein tröstliches Konstrukt, um die Vergänglichkeit des Lebens leichter zu ertragen. Nein, ich will schon was Handfestes. Also irgendwas, wo’s richtig wehtut, wenn du es hergibst. Ich meine, immerhin kriegst du ja was dafür, was den Schmerz dann wieder aufwiegt. Ist im Grunde eine reine Ermessenssache. Eine Frage des Abwägens sozusagen. Quid pro quo, wie es so schön heißt.“ Er kicherte und grinste mich an.
„Dein Ernst? Ich soll jetzt echt handeln mit dir? Was soll ich dir denn bieten? Tun's ein paar Zwanziger?“
„Es muss schon wehtun, hab ich gesagt.“
„Jessas, ein paar Hunderter?“
„So richtig wehtun.“
„Hmm … ich könnte mir zum Beispiel ein Ohr abschneiden, was meinst du? Oder eine Zehe.“
„Genau. So was in der Art.“
Ich lachte. „Na dann. Auf mein Ohr“, sagte ich und nahm einen Schluck.
„Prost, Luis. Auf deine Nase.“ Er lachte auch und der Flachmann wanderte hin und her.
„Aber jetzt im Ernst, Luis. Je mehr du mir gibst, umso länger gebe ich dir Mona. Ein Ohr ist natürlich ein Witz. Das reicht gerade mal für eine Woche.“
„Sag mal, wer von uns beiden ist besoffener, du oder ich?“
„Ist doch egal, oder? … Tja, ist deine Entscheidung. Aber du bist wohl einer von den Skeptikern, die für alles einen Beweis brauchen, was? Willst du einen Beweis?“
„Na ja, eigentlich schon, bevor ich mir ein Ohr absäble. Oder einen Finger.“ Ich lachte in mich hinein, der Typ war echt witzig und Uli spielte wie eine Göttin. Was für eine verrückte Nacht. Ich hielt ihm die Schachtel hin.
„Magst du noch eine?"
„Ja, gerne“, sagte er, nahm sich eine Zigarette und rammte mir im selben Augenblick ein Messer durch die Hand, und es stimmt, im ersten Moment spürt man überhaupt nichts, höchstens ein bisschen kalt fühlte sich das an. Ich vergaß zu atmen, keinen Ton brachte ich über die Lippen, doch dann explodierte der Schmerz und raubte mir beinahe die Sinne, ich meinte, mich jeden Moment übergeben zu müssen, ich presste die Knie zusammen, ich war knapp dran, mir in die Hose zu pinkeln, ich drückte die Hand an meinen Bauch und krümmte mich, mir schoss das Wasser aus den Augen.
„Luis, um Himmels Willen, was ist passiert?“
„Der verdammte Rasenmäher. Ich hab’s doch gewusst, dass diesem Drecksding nicht zu trauen ist.“ Ich lehnte an der Terrassentür und hechelte, ich bekam kaum Luft. Mona bugsierte mich zum Sofa und mein Blut hinterließ eine glitzernde Spur auf dem Boden. Das Hemd, das ich um die Hand gewickelt hatte, konnte ich vergessen. Den Teppich auch.
„Was bin ich nur für ein dämlicher Hund, ich könnte mich ohrfeigen. Oh Gott, oh Gott, was für eine Scheiße. Dieses Scheißding. Tut mir leid wegen des Teppichs. So ein Mist.“
„Jessasmaria, Luis, vergiss den Teppich. Werd mir ja nicht ohnmächtig, mein armer Liebling.“ Mona drückte mir einen Kuss auf die Wange und rannte ins Badezimmer. Aber so schnell konnte sie gar nicht verschwinden, dass nicht trotzdem ein Teil von ihr zurückblieb, ihr Duft hing im Wohnzimmer und hüllte mich ein, und dagegen waren die rasenden Schmerzen in meiner Hand ein Witz. Hätte ich mir für Mona nicht ein Bein ausgerissen? Und dabei noch gelacht? Sie kam mit dem Verbandszeug zurück und setzte sich neben mich. Ich lehnte mich an sie und vergrub meine Nase in ihrem Haar.
„Mona, Mona, was täte ich ohne dich?“, flüsterte ich in ihre Haare. „Vermutlich müsste ich verbluten und sterben … verrecken, krepieren, elendiglich zugrunde gehen … und leiden wie ein Hund … ach Mona, du hältst mich am Leben … ohne dich wäre ich schon längst hin, ehrlich … das weißt du, Mona, das ist kein Witz. Oh Gott, wie ich dich liebe … was täte ich nur ohne dich …“
Ich redete und redete, ganz blöd war ich von ihrem Geruch, ich konnte nicht aufhören zu quasseln und meine Lippen wanderten unterdessen langsam zu ihrem Hals, nicht ohne vorher ein wenig bei ihrem Ohr verweilt zu haben. Meine unverletzte Hand blieb auch nicht untätig. Mona wand sich.
„Hör auf damit, Dummkopf, sonst schaff ich das nie“, sagte sie. Aber ihre Stimme klang, als würde sie sagen: „Hör um Himmels Willen nicht auf, Luis, sonst muss ich auch gleich sterben.“
Der Verband wurde alles andere als ein Kunstwerk.
„Wie fühlst du dich?“, fragte sie, als sie fertig war. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und presste die andere Hand zwischen die Beine, ein feiner Schweißfilm glänzte auf ihren Schläfen und ganz rote Wangen hatte sie. „Was meinst du, Luis, sollen wir gleich zum Arzt, oder hat das noch ein paar Minuten Zeit?“
Ich streckte mich auf dem Sofa aus. „Vergiss den Arzt. Ich glaube, ich werde gerade ohnmächtig“, sagte ich und verdrehte die Augen.
„Ach, Luis, mein Armer“, sagte Mona und schlüpfte aus ihrem Kleid.

Ich riss die Augen auf. Zusammengekrümmt hing ich in der Kirchenbank, ein höllischer Schmerz tobte in meiner linken Hand, der zog sich rauf bis zur Schulter, und ich wusste nur eines mit Sicherheit: So etwas konnte man sich nicht einbilden. Ich knirschte mit den Zähnen.
„Das waren jetzt dreißig Minuten, Luis. Reicht dir das als Beweis? Gib mal deine Hand her. Ich hab ein sauberes Taschentuch.“
Der Wahnsinnige saß tatsächlich noch neben mir.
Besonders witzig fand ich ihn jetzt nicht mehr. Überhaupt fand ich im Augenblick gar nichts witzig, ich fühlte mich, als wachte ich aus einer Narkose auf, ich konnte mich kaum bewegen. Mit Müh und Not bekam ich die Flasche an die Lippen.
„Hör mal“, stöhnte ich, „ich hab keine Ahnung wer du bist und was diese Scheiße soll. Machst du das öfter? Bist du krank oder was? Rennst herum und stichst Leute ab?“
Er griff nach meiner Hand und wickelte das Taschentuch herum.
„Du wolltest doch einen Beweis, oder? Und war’s das nicht wert? Der lächerliche Kratzer für diesen göttlichen Fick?“
„Verdammt, was redest du da?“
„Ach, Luis. Meinst du, ich weiß nicht, was du eben erlebt hast? Wo du die letzte halbe Stunde warst? Hier in der Kirche warst du jedenfalls nicht. Quid pro quo, hab ich doch gesagt, oder? Meinst du, ich mach Witze?“
Ich starrte auf die Kerzenflammen. Dann hob ich die rechte Hand an die Nase und schnupperte an den Fingern. Eindeutig Mona. Konnte man so etwas träumen?
„Du brauchst nichts überstürzen, Luis. Lass dir Zeit. Denk einfach in Ruhe drüber nach, was es dir wert ist. Muss ja nicht gleich ein ganzes Bein sein. Und, im Vertrauen gesagt, nicht mal dein eigenes muss es sein, wenn du weißt was ich meine.“
Er zwinkerte mir zu, tätschelte meine Wange und stand auf.
„Du hörst von mir, Luis. Und vielen Dank für die Zigaretten und den Schnaps.“ Er grinste mich noch einmal an, dann wandte er sich ab.
„He, warte“, stieß ich hervor und wollte ihm nach. Doch ein Schwindel erfasste mich und ich sank zurück auf die Bank. Der Irre verschwand in dem Durchgang zur Sakristei.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es mittlerweile still in der Kirche war. Uli hatte zu spielen aufgehört.
Ich versuchte, mich an die letzten Töne zu erinnern, ich bemühte mich verzweifelt, die Melodie festzuhalten, die in meinen Ohren nachzuklingen schien wie das Echo aus einer fernen Zeit, ich zermarterte mir das Hirn, was da eben mit mir passiert war. Aber der Schmerz in der Hand machte mich schier verrückt, der ließ einfach keinen Platz in meinem Kopf für einen klaren Gedanken. Gleichzeitig ahnte ich, dass die Wunde mein geringstes Problem war, irgendwas stimmte nicht mit mir, das wusste ich, irgendwas stimmte ganz und gar nicht, am liebsten hätte ich das alles vergessen, am liebsten hätte ich laut gebrüllt.
Da hörte ich schon Schritte hinter mir und rasch ließ ich die Linke in der Manteltasche verschwinden, ich konnte Uli ja nicht gut was von heftigem Nasenbluten erzählen. Beinahe hätte ich aufgeheult, als meine Finger den kalten Stahl berührten. Das durfte ja nicht wahr sein, der Dreckskerl hatte sein Messer da reingetan.
Uli setzte sich neben mich. Ganz atemlos war sie.
Ich ließ den Kopf an ihre Schulter sinken.
„Das war unglaublich schön. Ich fürchte, du hast mich verzaubert, Uli. Ehrlich."
„Sag bloß, du weinst.“
Ich schüttelte schwach den Kopf.
„Du lässt mich jetzt nicht alleine nach Hause gehen, oder?“
„Na ja, ich weiß nicht recht.“
„Komm, sag nicht nein, Uli. Bitte.“
„Also, ich weiß nicht … nein, Luis, ich glaub, das wäre keine gute Idee … aber weißt du was? Ich geb' dir meine Nummer und du rufst mich an. Was meinst du? Ehrlich, ich würde dich gerne wiedersehen.“

***​

Ich erwachte. Noch bevor ich die Augen auf bekam, war die Erinnerung an einen Traum da, an einen Traum, der nicht und nicht hatte aufhören wollen, als hätte ich ihn stundenlang geträumt, ein ums andere Mal: Ich hatte mich böse an der Hand verletzt und Mona verband die Wunde, während meine andere Hand sich auf Entdeckungsreise unter ihrem Kleid befand. Dann zog sich Mona das blutbefleckte Kleid aus und sie war so schön, dass ich hätte heulen mögen. Aber immer wieder, gerade in dem Augenblick, wenn sie sich zu mir legte und sich nackt an mich schmiegte, begann der Zirkus von Neuem und ich stand wieder an der Terrassentür und fluchte. Und immerzu diese Musik. Es war zum Verrücktwerden.
Draußen graute der Morgen und ich brauchte einige Zeit, bis mir klar wurde, dass ich nicht in meinem Bett lag. Wenige Zentimeter vor meiner Nase sah ich eine Flasche und ein zerbrochenes Glas, daneben eine Hand, eingewickelt in ein Tuch, und die Hand ragte aus einem Mantelärmel und unter dem wiederum glaubte ich meinen Wohnzimmerteppich zu erkennen. Ich rührte mich nicht, ich starrte minutenlang auf dieses Bild und bemühte mich, es zu begreifen.
War ich gestern Abend im Henriques gewesen? Ja, und ich hatte tüchtig gebechert, daran erinnerte ich mich. Irgendwas war mit dem Musikautomaten, der hatte Faxen gemacht. Und dann war da noch diese Frau und dann … kurz blitzte in meinem Kopf die Erinnerung an eine verschneite Straße auf, an eine quälend langsame Taxifahrt … verdammt, was für ein Tag war heute überhaupt? Ich rollte mich auf den Rücken und setzte mich endlich auf. Ich hob die Linke und drückte vorsichtig daran herum. Fast hätte ich aufgejault. Oh Gott, jetzt hatte ich den Schlamassel, es war so weit, ich hatte mich endgültig um den Verstand gesoffen. Ich zerdepperte Gläser, ruinierte meine Hand, und am nächsten Tag hatte ich keinen blassen Schimmer mehr davon. Was war ich nur für ein erbärmlicher Scheißkerl ...
Lisa hatte die Frau geheißen, genau, jetzt fiel's mir wieder ein, unsere Namen seien fast ein Anagramm, hatte sie gemeint … nein, nicht Lisa, Uli. Uli hieß sie. Luis und Uli, das klang wirklich hübsch. Wir waren gemeinsam aus dem Henriques raus und ich fragte sie, ob sie mit mir käme, und tatsächlich saßen wir dann gemeinsam in einem Taxi … hatten wir uns nicht sogar geküsst? Aber ... war das überhaupt gestern gewesen? Himmel, ich bekam's einfach nicht auf die Reihe. Kein Wunder, ich hatte schreckliche Kopfschmerzen ... zu mir war Uli offenbar nicht mitgekommen und das konnte ich ihr schwerlich verübeln, ich ginge auch nicht freiwillig mit mir nachhause. Die Frau konnte ich wohl vergessen. Scheiß drauf.
Ich mühte mich hoch, warf den Mantel aufs Sofa, schlurfte in die Küche und setzte Kaffee auf. Dann stellte ich mich ans Fenster und löste vorsichtig das Tuch von meiner Hand. Auf dem Handrücken klaffte eine blutverkrustete Wunde. Junge, Junge, das sah wirklich böse aus. Vermutlich war ich mit dem Glas gestürzt und hatte mir eine Scherbe rein gerammt. Besser gesagt, hindurch gerammt, auf der Handfläche war auch ein Schnitt, genau gegenüber. Ich fasste es nicht, ich hatte mir echt ein Loch da rein gehaut, quer durch. Und mich dann schlafen gelegt? Wie ein vollkommen Verblödeter?
Behutsam bewegte ich die Finger, sie funktionierten tadellos, nur der Ringfinger wollte sich nicht recht krümmen lassen. Wenn ich ihn zu beugen versuchte, schoss ein Schmerz bis in den Ellbogen. Was war ich nur für ein Schwachkopf. Aber recht besehen, schien ich ein Riesenglück gehabt zu haben. Die Art von Glück, wie sie nur Kindern, Narren und Besoffenen zuteil wird.
Endlich war der Kaffee fertig, tiefschwarz und bitter, und ich kippte eine gehörige Portion Zucker in die Tasse. Den üblichen Schuss Gin ließ ich heute bleiben, mir war beileibe nicht zum Feiern. Andererseits, wem wollte ich was beweisen? Ich war auf dem besten Wege, vor die Hunde zu gehen, daran gab's nichts zu rütteln, lohnte es sich überhaupt, noch einen Umweg zu machen?
Schon stand ich am Schrank und kramte nach einer Flasche, nur einen Fingerbreit wollte ich mir gönnen, gegen die Schmerzen. Jessasmaria, ich war wirklich am Arsch. Ich goss Gin zum Kaffee und schon der Geruch ließ mich lächeln. Das war Medizin, nichts anderes.
Ich nahm ein paar Schlucke und in diesem Augenblick war plötzlich die gesamte Erinnerung an die letzte Nacht da, schlagartig erinnerte ich mich, ich erinnerte mich an alles. An den Taxifahrer, der dahingekrochen war wie der allerdämlichste Fahrschüler, daran, wie ich auf der vereisten Treppe vor der Haustür auf die Fresse flog, an Heinrichs blöde Zitate, an die Lucrezia-Kirche, an Ulis Orgelspiel, an diesen irren Penner … und was für Unsinn dieser Kerl gequatscht hatte, meine Güte, was es mir wert sei, quid pro quo, lauter so Scheiß. An jedes Wort erinnerte ich mich und starrte dabei auf meine Hand. Hatte mir der wirklich ein Messer da rein gehaut? War ich daraufhin bewusstlos geworden und hatte dieses wirre Zeug von Mona geträumt, halluziniert, mir eingebildet? Erlebt?
Ich drückte vorsichtig an der Wunde herum und ich meinte, wieder Monas Duft zu riechen, und ich erinnerte mich wieder, wie zart sich ihre Haut angefühlt hatte, ich erinnerte mich an dieses wahnsinnige Glücksgefühl, als ich mit meinem Kopf zwischen ihren Schenkeln lag, das war, wie nach einer langen Irrfahrt nach Hause zurückzukehren, das war wie das Aufwachen aus einem Alptraum. Das sollte doch mein wahres Leben sein, oder? Mona war doch mein Leben, nicht das Saufen, nicht dieses ununterbrochene Elend.
Ich goss mir Kaffee nach, ich goss mir Gin nach. Als der Kaffee aus war, trank ich den Gin pur und in meinem Kopf lief dabei der Traum von Mona in einer Endlosschleife, wie in der Nacht. Binnen einer Stunde leerte ich die Flasche und erbrach mich danach in die Spüle. Mittlerweile waren die Kopfschmerzen fast unerträglich. Ich ballte meine Linke zur Faust und drosch sie mir gegen die Stirn, dann an die Wand, immer und immer wieder, Blutspritzer schwirrten durch die Luft wie Sternschnuppen und sprenkelten die Fliesen. Aber ich konnte nicht aufhören, weil mit jedem Schlag Monas Gesicht deutlicher vor mir erschien, lächelnd, strahlend, so voller Liebe. „Mona!“, brüllte ich, „Mona!“ Ich schluchzte, ich heulte, ich winselte. Ich war am Durchdrehen. Ich wusste, was jetzt kam, ich ahnte das Ende. Und hatte schreckliche Angst davor. Ich riss die Kiste mit dem Werkzeug aus dem Wandschrank und wühlte darin wie ein Irrer, dann hatte ich es endlich gefunden, dieses sauteure Wunderding mit dem idiotischen Namen, Razorback, oder Scorpion, so was in der Art, als wär's eine Nahkampfwaffe, egal, verdammt, jetzt wollte ich es wissen. Ich streifte den linken Schuh ab und fetzte die Socke vom Fuß. Die kleine Zehe krümmte sich, als wüsste sie, dass ihr Übles bevorstand, ich meinte sogar, einen spitzen Schrei zu hören.
"Ja, heul nur, du kleines Scheißding", schrie ich, "gleich kannst du zeigen, was du wert bist."
Ich öffnete eine neue Flasche und schluckte das Zeug wie Wasser. Dabei starrte ich unentwegt auf die Zehe. So ein hässliches Ding. Ich wusste echt nicht, wie oft ich mir die schon gebrochen hatte, also dreimal mindestens, vermissen würde ich die nicht.
Es knackste, als zerbräche ein dürres Zweiglein, es tat nicht mal besonders weh, und viel Blut kam auch nicht raus. Aber auch sonst geschah nichts. Gar nichts.
„Mona, wo bist du?“, brüllte ich, „Mona, Mona, du verdammtes Miststück!“
Ich pfefferte die Gartenschere in die Spüle, kotzte bei der Gelegenheit noch ein wenig und kroch dann wimmernd ins Wohnzimmer aufs Sofa. Ich zog mir den Mantel über den Kopf.

***​

Gut eine Woche brauchte ich, um nach diesem Irrsinn wieder halbwegs auf die Beine zu kommen. Eine große Hilfe dabei war mir das Wetter. Seit jener Nacht im Henriques hatte es beinahe drei Tage ununterbrochen geschneit, im Radio hieß es, so was habe es seit fünfzig Jahren nicht mehr gegeben, kurzum, sie bezeichneten als Schneechaos und Katastrophenwinter, was in Wahrheit nur Ruhe, Friede und pure Schönheit war. Stundenlang stapfte ich durch tiefverschneite Vorortestraßen und es gelang mir, dabei nicht allzu viel nachzudenken. In den Bergstiefeln war der Verlust der Zehe kaum zu spüren und wenn sich bisweilen doch der Schmerz meldete, biss ich mir auf die Zunge und versuchte, ihn als eine Art angemessene Buße für meine Wahnsinnstat zu begreifen.
Das gleißende Weiß schien meinen Kopf und meine Seele zu reinigen und am dritten Tag schaffte ich es tatsächlich, den Flachmann zu Hause zu lassen. Nach einer siebenstündigen Wanderung durch die Weinberge am Stadtrand kehrte ich heim, kochte mir einen Topf Hühnersuppe und schlief anschließend zwölf Stunden am Stück. Am nächsten Morgen würdigte ich den Flachmann keines Blickes und rannte wieder los. Ich glaubte ernsthaft, einen Wendepunkt in meinem Leben erreichen zu können, zumal ich mir eingestehen musste, während des ziellosen Marschierens weit öfter an Uli zu denken, als an Mona. Sollte das Opfern der Zehe gar meine Katharsis gewesen sein? War ich doch noch nicht verloren?

Eines Abends, ich war gerade dabei, mir tapfer eine Kanne Tee zu brühen, beschloss ich, Uli anzurufen.
Der graue Mantel lag seit Tagen zusammengeknüllt in einer Ecke des Vorzimmers und wartete darauf, in die Reinigung gebracht zu werden. Ich bückte mich und begann, in den Taschen nach dem Zettel mit Ulis Nummer zu suchen. Ich fühlte mich prächtig und fast wünschte ich mir, ihn nicht zu finden. Das würde die ganze Sache noch spannender machen, ich malte mir aus, wo ich meine Suche nach Uli begänne. Heinrich wäre mir vermutlich keine große Hilfe, auf jeden Fall aber könnte ich beim Pfarrer von Sankt Lucrezia nachfragen. In Wahrheit, musste ich mir eingestehen, wusste ich beinahe nichts von Uli.
Die Innentaschen waren leer. Aus der rechten Außentasche fischte ich eine zerknüllte Zigarettenpackung und ein Feuerzeug, Pfefferminzdrops und ein paar Münzen, aber keine Telefonnummer. Blieb noch die linke. Ich steckte die Hand rein und ein Schmerz durchzuckte meinen Daumen.
„Herrgott nochmal, nicht schon wieder!“
Mona kicherte. „Wenn ich gewusst hätte, dass du sogar zum Apfelschälen zu dämlich bist, also ich weiß nicht, ob ich mich dann auch in dich verliebt hätte.“
„He, das ist nicht lustig, Mona. Verdammt, ich blute.“
„Verdammt, er blutet! Hilfe! Hilfe!“, rief Mona und schlang lachend die Arme um mich. Ihr gelbes Sommerkleidchen zwischen uns war so gut wie nichts.
„Mein kleiner Tollpatsch, ich liebe dich so sehr“, flüsterte sie mir ins Ohr und Ihr Unterleib drängte sich an mich und das fühlte sich an, als drückte wer einen Gummiball gegen meinen Schenkel, einen Gummiball, der in der Mittagssonne gelegen hatte, in der Sahara.
Ich hockte im Vorzimmer und zitterte am ganzen Körper. Ich war so nüchtern, wie man es nur sein konnte, seit zehn Tagen hatte ich nichts getrunken, nicht einen Tropfen, nicht einmal ein klitzekleines Bier. Nein, ich war nicht besoffen, ich war verrückt. Eindeutig krank im Kopf. Geistesgestört. Vollkommen irre. Schlicht übergeschnappt. An dem Messer in meiner Hand war nichts Außergewöhnliches, ein besseres Küchenmesser, und der Schnitt an meinem Daumen war in Wahrheit ein Witz.
Ich schloss die Augen und stach mir die Messerspitze in den Handballen, nicht sehr fest, ganz behutsam nur und der zarte Geruch von Monas Haar raubte mir fast den Atem, ich drückte fester und spürte Monas Zunge an meinem Ohr und ihre Finger unter meinem Hemd ließen mich erschauern. Ich riss die Augen auf und schleuderte das Messer von mir.
„Das war nicht mal eine Minute, du Arschloch. Das war kein Beweis. Für gar nichts“, wollte ich brüllen, aber was mir über die Lippen kam, war nicht mehr als ein erbärmliches Krächzen. Ich leckte das Blut von der Hand.
„Siehst du? Es funktioniert ja doch. Also mit dem richtigen Werkzeug.“
Ich fuhr herum. Der Dreckskerl aus der Kirche. Kurt Cobain. Der Irre. Mein persönlicher Jack the Ripper. Mein Alptraum. Er lehnte lässig am Türrahmen und grinste mich an.
„Na, Luis, wie geht’s dir so? Das mit deiner Zehe tut mir leid.“
„Verschwinde, du Hurensohn“, wimmerte ich, „du bist gar nicht da.“
„Na ja, wenn du meinst. Und mein Messer bildest du dir vermutlich auch nur ein." Mit der Stiefelspitze schob er das Messer zu mir. "Und das Herummachen mit Mona bildest du dir wohl auch nur ein. Du scheinst mir eine sehr lebhafte Phantasie zu haben, Luis. Was hockst du dann da auf dem Boden und heulst, ha? Kannst du mir das sagen? Bilde dir doch einfach ein tolles, schönes Leben ein, wenn dir das Einbilden eh so leicht fällt, du Schlaumeier.“
„Du verfluchtes Arschloch. Du bist gar nicht da, du bist gar nicht da, du bist gar nicht da ...“, murmelte ich vor mich hin und presste die Hände auf die Ohren.
„In Wahrheit ist doch alles eine Illusion, Luis. Was du für die Wirklichkeit hältst, gibt es in der Form gar nicht. Das ist nicht mehr als ein willkürliches Ergebnis, wenn dein Gehirn versucht, das bescheuerte Herumflitzen von Elementarteilchen zu interpretieren. Ein überwiegend zufälliges Ergebnis. Und der Witz dabei ist, selbst dein Gehirn, oder meinetwegen dein Ich, scheißegal wie du's nennen willst, ist nur eine Chimäre, ...“
„... du bist gar nicht da, du bist gar nicht da ...“
„... weil es ja auch nicht mehr ist als ein nichtdeterminiertes Herumflitzen von Elementarteilchen, nichts als reinste Entropie, besser gesagt, das Bild, das du dir davon zu machen versuchst, also von deinem Gehirn und den Vorgängen darin, na ja, und da wird’s jetzt kompliziert, das ist eine bisschen wie die Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Schrödingers Schlange quasi, wenn du weißt, was ich meine. Egal, was ich sagen will ...“
„Was willst du von mir?“, brüllte ich.
„Kapiere es doch endlich, Luis. Im selben Maß, wie deine, was weiß ich, deine Gehirnzellen, deine Zehen, deine Finger, egal was, Illusion sind, oder lass es mich so sagen, im selben Maß, wie deren Existenz eine beinahe unendlich hohe Unwahrscheinlichkeit hat, ist auch Mona nur eine Unwahrscheinlichkeit unter zahllosen anderen. Und das kann man jetzt in eine ganz einfache Gleichung einsetzen und dann ...“
„... du bist gar nicht da, du bist gar nicht da, du bist gar nicht da ...“
„Verdammt, hörst du mir überhaupt zu? Jessas, manchmal kotzt ihr Spinner mich so richtig an.“
„Was willst du von mir?“, winselte ich.
„Heul nicht, Luis!“, schrie der Irre, „Tu's einfach. Quid pro quo. Dieses für das. Nichts für nichts. Scheiß doch drauf!“
Und im selben Augenblick hörte ich die Musik, anfangs ganz leise, und eine tiefe Ruhe erfasste mich. Ich griff nach dem Messer und starrte auf meine linke Hand, die neben mir auf den Dielen lag, auf diesen wunderschönen Eichenholzdielen, die ich mit Mona vor vielen Jahren aus dem Boden einer stillgelegten Fabrik gerissen hatte, in einer Sommernacht, die so schwül war, dass wir uns während des Schuftens Stück für Stück die Klamotten auszogen, um nicht zu krepieren. Bis wir schließlich fast nackt waren und lachend übereinander herfielen, mit unseren schweißnassen Körpern, unseren glitschigen, heißen Leibern, wie tollwütige Delfine … ich betrachtete die Hand, ich lauschte der Musik, ich war ruhig, ich war nüchtern, ich war vollkommen klar im Kopf.
Die linke Hand. Meine linke Hand ... den Ringfinger konnte ich sowieso vergessen, der ließ sich nach wie vor nicht bewegen, der würde vermutlich steif bleiben. Ich setzte die Klinge an, ganz oben, gleich unter dem Knöchel ...
„Hab keine Angst, Luis, tu es einfach“, hörte ich Mona flüstern.

 
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Ich weiß nicht, ob es besonders schlau ist, eine Geschichte, die man selbst - trotz offenen Endes - für abgeschlossen hält, sich noch einmal vorzunehmen und weiterzuschreiben. Egal, ich hab's getan, weil es da ja einen beinahe einhelligen Tenor in den Kommentaren gab:

Anakreon schrieb:
Das Ende erfüllt sich mir dann allerdings etwas zu seicht, eine Wandlung, die dem Ganzen dann noch einen überraschenden Touch verliehen hätte, erwartete ich von Dir da schon.

Schwups schrieb:
Andererseits finde ich aber auch, dass die Geschichte an ihrem interessantesten Punkt aufhört. Echt schade, dass es nicht mehr weitergeht, denn der eigentliche Horror beginnt ja jetzt erst.
[…] Vielleicht müsstest du wirklich noch weitererzählen. Das hätte natürlich eine besondere Tragik, wenn er anfängt, eigene (oder fremde) Körperteile zu opfern und dann erst merkt, dass er sich das Gespräch nur eingebildet hat ...

Kerkyra schrieb:
Das Ende finde ich etwas seltsam, weil es irgendwie impliziert, dass er das alles nur geträumt hat.

jimmysalaryman schrieb:
Du endest ja auf so einer Art Antiklimax, einer Abschwächung, und da würde ich die "Fallhöhe" anders gestalten, dass es für den Leser wie ein Schlag in die Magengrube wird. Nur so eine Idee.

Novak schrieb:
So als Hauch eines beginnenden Wahnsinns im Luis.

Hacke schrieb:
So bleibe ich etwas unbefriedigt zurück, nicht weil mir die Geschichte nicht gefallen hätte, sondern einfach, weil ich gern wüsste, wie es jetzt weitergeht.

Die Geschichte ist jetzt beinahe doppelt so lang wie in der ursprünglichen Fassung, der erste Teil ist - abgesehen von ein paar stilistische Bereinigungen und dem Schlusssatz - unverändert geblieben und an meiner Erzähllintention hat sich auch nichts geändert, ich habe nur versucht, diese ein bisschen deutlicher darzustellen. Und ja, ein offenes Ende gibt es auch diesmal wieder.

Na ja, ihr wolltet es ja so.

offshore

PS
Ich werde überdies versuchen, das Stichwort Horror gegen Seltsam zu tauschen.

 

Hallo offshore

Ich weiß nicht, ob es besonders schlau ist, eine Geschichte, die man selbst - trotz offenen Endes - für abgeschlossen hält, sich noch einmal vorzunehmen und weiterzuschreiben. Egal, ich hab's getan,

Und ich hab sie erneut und vollständig gelesen. Deine Zweifel kann ich nachvollziehen, die Ungewissheit, ob bei einem solchen Akt die eigene Intention nicht in die Brüche geht, ist allzu präsent.

Nun, meine Meinung soll nicht ein sakrosanktes Urteil sein, mehr der Ausdruck des Gefühls, welcher mich beim Lesen überkam. Die Ergänzung verändert zweifellos das Bild, das Vage welches ich unter dem Vorzeichen Horror empfand, hat sich geklärt. Dies finde ich soweit gut. Mit den neuen Passagen sind auch weitere eindrückliche Bilder dazugekommen, allerdings meinte ich auch einen Bruch zu erkennen, da sowohl Heinrich als auch Uli in den Hintergrund traten. Insofern ermöglichte dies m. E., dass sich gefühlte Längen einschlichen, bis es gegen das Ende hin wieder kräftig zulegte.

Das Ende war es auch, welches mir eine Nähe zu Van Gogh verdeutlichte, mehr als die Erwähnung eines Ohrs in der Kirche oder des abgetrennten Zehs. Dieser letzte Akt der Selbstverstümmelung inszenierte seinen Wahnsinn mit aller Härte.

Ich bin nun also auch etwas gespalten, welche Version mich nun besser dünkt. Vielleicht etwas reduzierter ergänzt wäre mehr.

Den üblichen Schuss Gin ließ ich heute bleiben, mit war beileibe nicht zum Feiern.

mir / Aber nicht, dass Junior für Deinen Vertipper oder mein Anmerken wieder büssen muss. :D

Trotz nuancierter Einwendung gern gelesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hey offshore,

die längere Version ist besser. Ich hab die vorige auch schon gelesen, aber da hatte ich, wie die anderen, das Gefühl, dass etwas fehlen würde, dass die Geschichte nicht abgeschlossen ist - jetzt hat die Story zwar auch ein offenes Ende, aber insgesamt passt das besser, ich habe das Gefühl, dass da etwas auserzählt ist.
Was ich schade finde: jetzt kommt Uli nicht mehr vor in der Geschichte, also in keiner Szene, wenn dann in Gedanken. Ja, das geht, du lenkst die komplette Aufmerksamkeit deines Leser jetzt in die Richtung Selbstverstümmelung, Pakt mit dem Teufel und Trauer um die tote Frau, aber irgendwie hätte ich mir gewünscht, dass Uli da auch noch einen Part mitspielen würde, gerade weil die Geschichte ja damit anfängt, wie der Prot Uli kennenlernt - da ist man als Leser natürlich daran interessiert, wie das weitergeht mit den beiden. Das ist jetzt natürlich bloß kleines Meckern, dass ich Uli vermisst habe in den neuen Szenen, dass ich mir da gewünscht hätte, der innere Konflikt des Prots spitzt sich so zu, dass er die sich anbahnende Beziehung mit Uli zerstören könnte, und Luis entscheidet sich dann vollkommen verstümmelt für Uli und entsagt sich seinem satanischen Traumland - aber das ist wahrscheinlich nur so etwas von mir Weitergesponnenes, wie ich es gerne gelesen hätte.
Zum eigentlichen Thema und den Figuren kann ich nur sagen, dass mir das alles sehr gut gefallen hat, die Erzählart, die Figuren, das hat sich für mich echt runtergelesen und hat wirklich Spaß gemacht. Ich habe das Gefühl, je mehr du dich mit dem Text auseinandergesetzt hast, desto intensiver ist er auch geworden; am Anfang ist das ja sehr flapsig erzählt, sehr locker, cool, aber das wandelt sich irgendwie im Laufe der Story, da schleicht sich eine Ernsthaftigkeit ein, die mir sehr gefällt; klar, du kannst Geschichten in einem lockeren Erzählton erzählen, fast witzig, mit den Dialogen, obwohl das ein ernstes Thema ist, aber ich muss sagen, diese Ernsthaftigkeit, gerade was den Tod der Exfrau und das Verarbeiten davon angeht, das fand ich passend und auch gut, das hat mich irgendwie gepackt.
Ja, hey, ich habe das sehr gerne gelesen, ich mochte Luis und Uli, ich hätte zwar gerne gesehen, wie sich das weiter mit ihnen entwickelt/zuspitzt, gerade, weil Mona noch zwischen den beiden zu stehen scheint und der Prot nicht über seine Frau hinweg zu sein scheint, aber es war mir trotzdem ein großes Lesevergnüge.

Grüße

 
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Vielen Dank, Anakreon, dass du dir die Geschichte, die mittlerweile ja doch recht umfangreich ist, noch einmal vorgenommen hast.

Anakreon schrieb:
Ich bin nun also auch etwas gespalten, welche Version mich nun besser dünkt. Vielleicht etwas reduzierter ergänzt wäre mehr.
Dein Resümee bestätigt mir meine eigenen Zweifel. Ich selbst nämlich bin momentan noch alles andere als glücklich mit der Geschichte, ich weiß aber nicht recht, wo und wie ich da noch mal ansetzen könnte, um sie zu verbessern.

Anakreon schrieb:
Mit den neuen Passagen sind auch weitere eindrückliche Bilder dazugekommen, allerdings meinte ich auch einen Bruch zu erkennen, da sowohl Heinrich als auch Uli in den Hintergrund traten. Insofern ermöglichte dies m. E., dass sich gefühlte Längen einschlichen, bis es gegen das Ende hin wieder kräftig zulegte.
Vielleicht hat der Text einfach ein ganz grundsätzliches Problem, nämlich seine etwas konfuse Entstehungsgeschichte. (Ich hab das schon in früheren Kommentarantworten angesprochen.) Ursprünglich hab ich ja begonnen, die Geschichte um Vinc herum zu schreiben, den Protagonisten aus „Noch lebst du“, dessen Charakterzeichnung mir dort offenbar wirklich ganz gut gelungen ist. (Das wurde mir ja auch in vielen Kommentaren bestätigt.) Das heißt, ich hatte schon eine fertig entwickelte Hauptfigur, die die Leser auch kannten, einen Typen, der mit dem Tod seiner Frau nicht fertig wird, einen desillusionierten, resignierten, etwas zynischen, aber doch liebenswerten Romantiker. Und dem wollte ich jetzt einfach eine schöne Vorgeschichte mit seiner Elsie gönnen.
Aber irgendwann eben merkte ich, wie sich die Prämisse der neuen Geschichte zu verschieben begann, und offenbar reicht es nicht, einer Figur, deren Charakter sich schon in einer anderen Geschichte entwickelt hat, einfach einen anderen Namen zu geben. Und mit dieser Erweiterung jetzt wollte ich einfach dem Luis sein ganz eigenes Profil (Leben?) geben.

Mittlerweile habe ich aber erkannt, dass ich mit der neuen Fassung den eigentlich unmöglichen Versuch mache, den Stoff für eine wirklich lange Erzählung in eine Kurzgeschichte zu pressen. Die plausible Darstellung - noch dazu aus der Ich-Perspektive erzählt - wie ein vermeintlich normaler Mann dem Wahnsinn verfällt, erfordert einfach viel mehr Raum. Sehr viel mehr. Ich hab ja gemerkt, wie schwer mir die Szene gefallen ist, in der sich Luis die erste Zehe abschneidet. Die Szene haut für mein Gefühl überhaupt noch nicht hin, auch stilistisch gefällt mir das alles noch nicht so richtig, auf mich wirkt das irgendwie überhaupt noch nicht rund, also wie Luis sich da während des Kaffeetrinkens immer mehr in seinen Wahn hineinsteigert, so was kann man beim besten Willen nicht in ein paar Zeilen beschreiben, das bräuchte mindestens ein paar Seiten, um halbwegs glaubwürdig und für den Leser nachvollziehbar zu wirken.
Und obendrein wäre es meinem - und offshore-Juniors*) - Plan nach mit der nunmehrigen letzten Szene, in der Luis endgültig zusammenbricht, ja noch lange nicht getan gewesen. Hier sollte es dann eigentlich erst so richtig losgehen. Je aberwitziger Luis' Selbstverletzungen (seine Opfer?) werden, umso intensivere Wahnvorstellungen lösen sie aus, was wiederum mehr (und längere) Szenen mit Mona erfordert hätte, ein Teufelskreis nicht nur für den armen Luis, sondern auch für mich, den Autor.
Na ja, und irgendwann wären dann dem Luis natürlich die Körperteile, deren Verlust er mit Müh und Not noch verschmerzen kann, ausgegangen, aber gleichzeitig wäre er mittlerweile richtiggehend süchtig nach der Traumwelt mit Mona, so dass er sich schließlich gezwungen sieht, … na ja, und da käme eben wieder Uli ins Spiel.
Merkst du was, Anakreon? Das ist wirklich Stoff nicht für eine 8000-Wörter-Kurzgeschichte, sondern für ein paar hundert Seiten, deshalb hab ich sozusagen ein zweites Mal die Reißleine in Form eines neuerlichen offenen Endes gezogen.
Aber so wirklich abgeschlossen ist das Projekt „Luis & Uli“ für mich immer noch nicht.

Vielen Dank, Anakreon, ich wünsche dir einen schönen Jahreswechsel und ein tolles nächstes Jahr.
(Und allen anderen, die das lesen, auch.)

offshore

*)

Anakreon schrieb:
Aber nicht, dass Junior für Deinen Vertipper oder mein Anmerken wieder büssen muss. :D
Keine Bange, Anakreon, ganz im Gegenteil, offshore Junior gehört diesmal mein ganzer Dank, war doch er es, der während der gemeinsamen Fahrt zu einer Familienfeier maßgeblich an der Plotentwicklung beteiligt war. (Wirklich haarsträubend, wozu die Fantasie von Fünfzehnjährigen imstande ist.)


Auch dir, zigga, vielen Dank für deinen Kommentar.
Den möchte ich auch sehr ausführlich beantworten, das schaffe ich heute allerdings nicht mehr. Ich muss dich leider auf nächstes Jahr vertrösten.

Zumindest ein Bier werde ich heute auf dich trinken. Oder zwei.

Alles Gute.

 
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zigga schrieb:
die längere Version ist besser.

Puh, da ist mir echt ein Stein vom Herzen gefallen, wie ich das gelesen hab, zigga.
Ich selbst bin ja mit der Fortsetzung wie gesagt momentan noch nicht wirklich zufrieden, ich bin mir nach wie vor unsicher, ob ich der Geschichte damit nicht einen Bärendienst erwiesen habe. Aber wenn sie zumindest für einen Leser funktioniert, bin ich schon mal beruhigt.

Ich hab die vorige auch schon gelesen, aber da hatte ich, wie die anderen, das Gefühl, dass etwas fehlen würde, dass die Geschichte nicht abgeschlossen ist - jetzt hat die Story zwar auch ein offenes Ende, aber insgesamt passt das besser, ich habe das Gefühl, dass da etwas auserzählt ist.
Was ich schade finde: jetzt kommt Uli nicht mehr vor in der Geschichte, also in keiner Szene, wenn dann in Gedanken.
Klar, deine Enttäuschung kann ich verstehen, zigga, nicht nur weil Uli als interessante, beim Leser zurecht Neugier weckende Figur eingeführt wird, die dann sang und klanglos von der Bildfläche verschwindet, sondern weil obendrein ja auch das Stichwort Romantik über der Geschichte steht, abgesehen davon, dass auch offshore drüber steht, was möglicherweise schon gewisse Erwartungen beim Leser weckt. Aber wie ich schon in meiner Antwort an Anakreon schrieb, ich hab mir da wohl ein viel zu großes Fass aufgemacht, das ist einfach ein viel zu umfangreicher Stoff für eine Kurzgeschichte. Ich musste mich also auf ein Thema beschränken, in diesem Fall eben auf Luis Wahnsinn und seine Obsession für die tote Mona. Die Auflösung des Konflikts mittels einer Romanze mit Uli, gar ein Happyend, hätte ich weiß nicht wie viele Seiten benötigt.

Ja, das geht, du lenkst die komplette Aufmerksamkeit deines Leser jetzt in die Richtung Selbstverstümmelung, Pakt mit dem Teufel und Trauer um die tote Frau,
Genau. Aber trotz der Beschränkung nur auf dieses Thema ist es mir für mein Gefühl noch nicht wirklich gelungen, es ausreichend auszuarbeiten.

… dass ich mir da gewünscht hätte, der innere Konflikt des Prots spitzt sich so zu, dass er die sich anbahnende Beziehung mit Uli zerstören könnte, und Luis entscheidet sich dann vollkommen verstümmelt für Uli und entsagt sich seinem satanischen Traumland - aber das ist wahrscheinlich nur so etwas von mir Weitergesponnenes, wie ich es gerne gelesen hätte.
Du würdest dich gut mit offshore Junior verstehen, zigga, kann ich mir vorstellen. Der nämlich hat ein wahrlich bizarres Ende vorgeschlagen, ein Ende, mit dem du vermutlich deine helle Freude gehabt hättest. Er schlug nämlich allen Ernstes vor, dass am Schluss ein aberwitzig verstümmelter, quasi nur noch als Torso vorhandener Luis auf seinem Rollstuhl in den Sonnenuntergang rollt, geschoben natürlich von der selbstlosen, aufopferungsvollen Uli, die ihm ab und zu eine angezündete Zigarette in den Mund steckt. Ein Happyend? Na ich weiß nicht recht.

Zum eigentlichen Thema und den Figuren kann ich nur sagen, dass mir das alles sehr gut gefallen hat, die Erzählart, die Figuren, das hat sich für mich echt runtergelesen und hat wirklich Spaß gemacht. Ich habe das Gefühl, je mehr du dich mit dem Text auseinandergesetzt hast, desto intensiver ist er auch geworden; am Anfang ist das ja sehr flapsig erzählt, sehr locker, cool, aber das wandelt sich irgendwie im Laufe der Story, da schleicht sich eine Ernsthaftigkeit ein, die mir sehr gefällt;
Das ist natürlich ein schönes Lob, zigga. Trotzdem hat die Geschichte für mein Gefühl noch erhebliche Schwächen. Nach wie vor empfinde ich persönlich einen Bruch zwischen dem ersten Teil, also den Szenen in der Bar und in der Kirche, und dem neuen Teil. Ja, vor allem auch sprachlich. Irgendwie erscheint mir das noch zu wenig konsistent, zu unharmonisch, obwohl ich beinahe täglich im Editor zugange bin und immer wieder sprachliche Details verändere.

Ja, hey, ich habe das sehr gerne gelesen, ich mochte Luis und Uli, ich hätte zwar gerne gesehen, wie sich das weiter mit ihnen entwickelt/zuspitzt, gerade, weil Mona noch zwischen den beiden zu stehen scheint und der Prot nicht über seine Frau hinweg zu sein scheint, aber es war mir trotzdem ein großes Lesevergnügen.
Das höre ich gerne, danke. Mal sehen, vielleicht nehme ich mir die Story tatsächlich noch ein weiteres Mal vor, versuche dabei die Klassifizierung als Kurzgeschichte zu vergessen und schreibe einfach weiter und weiter und weiter ...
Vielleicht wird’s ja wirklich offshores erster Roman. (by the way, Hallo Fliege)

Also, zigga, noch mal vielen Dank. Fürs zweimalige Lesen, für dein Lob, na ja, für alles halt.
Und ein tolles (schreiberisch produktives) neues Jahr wünsche ich dir natürlich auch.


offshore

 

Hallo ernst,

Zunächst mal möchte ich Protest einlegen gegen die Entfernung des "Horror"-Tags!
Ich hätte die Geschichte deshalb beinahe nicht mehr wiedergefunden und hätte sie nicht kommentieren können, weil ich doch immer in die Genre-Rubriken reinschaue und nicht unter Romantik.

Außerdem ist die Geschichte für mich sehr wohl eine Horrorgeschichte. Wenn die Idee, Selbstverstümmlung als Preis für das Wiedersehen mit der toten Frau zu zahlen, dafür noch nicht gereicht hätte, dann hätte es spätestens dieser Satz getan:

Und, im Vertrauen gesagt, nicht mal dein eigenes muss es sein, wenn du weißt was ich meine.“
Da hat mein Gehirn von ganz allein ganz fürchterliche Horrorgeschichten geschrieben, auch wenn Luis in der Geschichte (noch?) nicht entsprechend handelt.

Gut, und nachdem ich die Beschwerde losgeworden bin, kann ich die Geschichte ganz uneingeschränkt loben. :)

Die Idee gefällt mir sehr gut. Ich finde, das ist eine Variante dieses alten Motivs vom Handel mit dem Teufel, die sehr gut in die heutige Zeit passt. Ist doch klar, dass der keinen Bock mehr hat, Seelen einzutauschen. Kein Mensch schert sich da heute noch drum, das wäre praktisch als ob man jemandem seine geheimsten Wünsche erfüllt und dem dafür auch noch seinen Kaffeesatz abnimmt, oder irgendwas anderes wofür er keine Verwendung hat.
Früher hatten die Leute noch richtig Angst um ihr Seelenheil, da war das tatsächlich ein hoher Preis, da hätte es in gewisser Weise auch weh getan, das aufzugeben.
Aber heute interessieren sich die meisten Leute vor allem für ihren Körper. Und wenn der nicht vollständig und perfekt ist, dann ist man auch richtig beschissen dran. Das ist heutzutage doch ein viel höherer Preis als eine Seele, an die die meisten gar nicht mehr glauben.

Zur Sprache muss man bei dir eigentlich nichts sagen, das sitzt einfach. Du hast echt ein Talent dafür, dass Figuren schnell lebendig werden und man Mitgefühl hat mit denen.

Ob die längere Fassung besser ist als die vorherige, kann ich nicht sagen - ich fand die kurze Fassung eigentlich gut, wie sie war. Aber auf der anderen Seite folge ich deinen Figuren auch gerne ein bisschen länger.

Grüße von Perdita

 

Perdita schrieb:
Zunächst mal möchte ich Protest einlegen gegen die Entfernung des "Horror"-Tags!
Jetzt verunsicherst du mich auch noch, Perdita, nachdem sich schon Novak beklagt hatte, als ich mich zähneklappernd aus der gruseligen Horrorecke davongestohlen habe. Andererseits, die Horrorexperten seid ja allemal ihr. Vielleicht sollte ich meine Stichwortwahl wirklich noch einmal überdenken.
Und darüber hinaus sollte ich mich wohl schön langsam auch damit abfinden, dass meine Ansicht, um nicht zu sagen meine Erzählintention, der Teufel komme in der Geschichte gar nicht vor, er sei in Wahrheit nur eine Wahnvorstellung des übergeschnappten Luis, von den Lesern einfach nicht geteilt werden will. Was eigentlich egal ist, horrormäßig scheint die Geschichte so oder so geworden zu sein. Immerhin sagst ja auch du

Gut, und nachdem ich die Beschwerde losgeworden bin, kann ich die Geschichte ganz uneingeschränkt loben.
Uneingeschränkt gelobt werden, ist natürlich immer cool.

Vielen Dank dafür, Perdita.

offshore

 
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Lieber offshore,

ich steig gleich in den Text ein:


Die wartete nach wie vor auf mich. Zumindest sollte ich heute einschlafen können, redete ich mir ein. Den Versuch war‘s wert.
das mit dem Einschlafen ist für mich nicht ganz deutlich: war es den Versuch wert, heimzugehen, in der Hoffnung, dass er einschläft - was die letzten Tagen oder Wochen ein Problem war - weil er einigermaßen blau war?

Oder das Ding war einfach hin, zur Strecke gebracht von einem winzigen Software-Fehler, keine Ahnung. Der Spinner drückte wie blöde an den Knöpfen, aber das änderte nichts, die Kiste war eindeutig hinüber.
Fast eine Wortdoppelung. Vielleicht statt hin ein kaputt oder am Arsch oder tot


Ganz leise erklang ein Mollakkord und ich war mir anfangs nicht sicher, ob ich ihn wirklich hörte.
das sieht so komisch aus in einem Wort, wie wäre denn: ein Akkord in Moll, das wäre auch der Situation viel angemessener, weil eleganter.

„Wobei willst du mir helfen? Etwa beim Totlachen? Glaub mir, das klappt nicht. Das versuch ich schon seit Jahren.“
Tatsächlich konnte ich mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geheult hatte.
Gehst du davon aus, dass man beim Lachen immer weint? Der Satz mit dem Geheule kommt etwas aus dem Nichts für mich.


Vermutlich vor gut dreißig Jahren, als ich das erste und einzige Mal von meinem Vater geschlagen wurde. Sie hatten mich von der Schule geworfen, weil mir Felix in der Mathestunde seine Füllfeder in den Oberarm bohrte. Na ja, Grund dazu hatte er gehabt, immerhin war ich mit dem Ellbogen auf seine Tischseite geraten und hatte versehentlich eine Heftseite von ihm umgeknickt. Da durfte einer wie Felix schon ausrasten und mein hellrotes Blut mit seiner dunkelblauen Tinte mischen. Dass ich daraufhin aufsprang und meinen Stuhl an seinem Schädel zertrümmerte, war reine Notwehr, aber von der Schule flog nicht Felix, sondern ich. Jedenfalls hatte ich schon damals dem Glauben an Gerechtigkeit in dieser Welt abgeschworen, grinsend und mit einem Achselzucken. Heute war Felix ein berühmter Schönheitschirurg, der nicht wusste, was tun mit seinem Geld,

diesen Absatz bräuchte es für mich nicht

Sag mal, wo haben sie denn dich ausgelassen?“
Das ist mir zu österreicherisch. Das versteht kein Mensch in Deutschland oder der Schweiz.



„Mona, Mona, was täte ich ohne dich?“, flüsterte ich in Ihre Haare.
ihre

„Vermutlich müsste ich verbluten und sterben … verrecken, krepieren, elendiglich zugrunde gehen … und leiden wie ein Hund … ach Mona, du hältst mich am Leben … ohne dich wäre ich schon längst hin, ehrlich … das weißt du Mona, das ist kein Witz.
das weißt du, Mona,


Ich redete und redete, ganz blöd war ich von ihrem Geruch, ich konnte nicht aufhören, zu quasseln und mein Mund wanderte unterdessen langsam zu ihrem Hals, nicht ohne vorher ein wenig bei ihrem Ohr verweilt zu haben.
ich konnte nicht aufhören zu quasseln und


Wenige Zentimeter vor meiner Nase sah ich eine Flasche und ein zerbrochenes Glas, daneben eine Hand, eingewickelt in ein Tuch, und die Hand ragte aus einem Mantelärmel und unter dem Mantelärmel wiederum glaubte ich meinen Wohnzimmerteppich zu erkennen.
viele u und dann noch der Mantelärmel doppelt, also das ist alles andere als elegant gelöst


Ich rollte mich auf den Rücken und setzte mich endlich auf.
Wieso das endlich? Gibt es eine Notwendigkeit dafür?

Zu mir war Uli offenbar nicht mitgekommen und das konnte ich ihr schwerlich verübeln, ich ginge auch nicht freiwillig mit mir nachhause.

:D

Ich fasste es nicht, ich hatte mir echt ein Loch da rein gehaut, quer durch.
da rein gehauen - gehaut hört sich an, als würde ein dreijähriges Kind sprechen

„Ach, Luis, mein kleiner Tolpatsch, ich liebe dich so sehr“, flüsterte sie in mein Ohr und Ihr Unterleib drängte sich an mich und das war, als drückte wer einen Gummiball gegen meinen Schenkel, einen Gummiball, der in der Mittagssonne gelegen hatte, in der Sahara.

wie tollwütige Delfine …
da verlässt mich meine Phantasie, offshore. Zumal der Schaum ja gleich weggespült wäre, wie soll man dann erkennen, dass sie tollwütig sind? :D

Muss ja nicht gleich ein ganzes Bein sein. Und, im Vertrauen gesagt, nicht mal dein eigenes muss es sein, wenn du weißt was ich meine.“
Das habe ich irgendwie nicht ganz verstanden - könnte der auch jemanden anderen verletzen?

Eine spannende Idee, für ein paar Minuten Mona den Luis so zum Leiden zu bringen. Was muss das für eine Liebe gewesen sein, dass er sich vor Sehnsucht so zerstümmelt. Der Arme.
Und wie man herauslesen konnte, waren sie ja eigentlich kein Paar mehr. Noch dramatischer.


Mir hat die Uli dann später in der Geschichte etwas gefehlt, aber gut, sie war ja nur der attraktive Lockvogel, diese Eingangsszene in der Kneipe ist dann auch üppig von der Länge (übrigens ein toller Titel), aber der Anfang der Geschichte hat mich einfach ein paar Erwartungen an die zwei entstehen lassen, deren Einlösung in der Geschichte wie die Orgeltöne einfach verschwunden sind.

Deine Tonart beim Erzählen mochte ich ja schon immer, das ist ein typischer offshore-text mit leicht skurrilen Leuten, bei dem man besonders dem Protagonisten sehr nahe kommt. Das macht sie mir sympathisch, auch wenn sie vielleicht Chaoten oder Irre sind.

Manchmal ist mir der Ausdruck "kein Witz" zuviel, nun ja, wenn das die Österreicher halt gerne sagen, kann ich damit leben.

Ich habe die Geschichte mit Neugierde gelesen und mir dann doch einige Gedanken zu dem "was wäre wenn" gemacht.


Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

bernadette schrieb:
wie tollwütige Delfine …
da verlässt mich meine Phantasie, offshore.

Das ist aber nicht dein Ernst, bernadette, oder?
Wie auch immer, ich freue mich, dass du auch hier vorbeischaust.

Obendrein, wo du zielsicher die Stellen rausgepickt hast, mit denen ich selber unzufrieden bin.
Zum einen das:

Ganz leise erklang ein Mollakkord und ich war mir anfangs nicht sicher, ob ich ihn wirklich hörte.
das sieht so komisch aus in einem Wort, wie wäre denn: ein Akkord in Moll, das wäre auch der Situation viel angemessener, weil eleganter.

Eigentlich wollte ich ursprünglich in der Geschichte ja viel mehr Gewicht auf Ulis Orgelspiel legen und ließ mir sogar quasi für Recherchezwecke von einer Freundin ein privates nächtliches Orgelkonzert in einer Wiener Kirche geben. Ich merkte dann aber sehr bald, dass es mir einfach nicht gelingen wollte, über meine Eindrücke während des Musikerlebens zu schreiben. Deshalb ist diese Passage dann für mein Gefühl eher halbherzig ausgefallen.

Und auch das:

diesen Absatz bräuchte es für mich nicht
Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht mehr, warum ich diesen Absatz zu brauchen glaubte. Der passt mir nämlich auch nicht mehr recht. Vermutlich werde ich den rauswerfen.

Über deine sonstigen sprachlichen Anmerkungen werde ich zumindest nachdenken.

da rein gehauen - gehaut hört sich an, als würde ein dreijähriges Kind sprechen

Da bleibe ich allerdings (österreichisch) stur. Ich bin mit dem Partizip gehaut aufgewachsen, und nach wie vor klingt gehauen für mich einfach, na ja, falsch irgendwie. Das sagt und schreibt man bei uns einfach nicht. (Abgesehen von diesen oberschlauen Zeitungsschreiberlingen, die mittlerweile auch bei uns in Österreich z.B. ab und an statt ab und zu schreiben.)

Und schon gar nicht werde ich über die paar Fehlerchen, die du entdeckt hast, diskutieren. Die werde ich einfach klammheimlich und zutiefst beschämt ausbessern.

(Allerhöchstens werde ich meinen Anwalt beauftragen, ein geharnischtes Schreiben an Friedel aufzusetzen.

Friedrichard schrieb:
Ärgerlich – ich hab nix zu bemäkeln, außer vielleicht, dass niemand Dich auf die zwo Schnitzer, die zumindest in der gestrigen Variante drin steckten (Flüchtigkeit, nix aufregendes) aufmerksam machte.

Weil diese Schnitzer hatte ich ja längst ausgebessert. Der alte Haudegen scheint zu schwächeln.)

Deine Tonart beim Erzählen mochte ich ja schon immer, das ist ein typischer offshore-text

Darüber habe ich mich wahnsinnig gefreut. Vielen Dank, bernadette.

offshore

 

Luis und Uli. Ist immer komisch: Wenn eine Geschichte wirklich gut ist, hab ich dazu wenig zu sagen. Zumindest viel weniger als bei einer üblen.
Zu Deiner Geschichte, offshore, hab ich sehr wenig zu sagen ;).

Hab gerade eine Fuß-OP hinter mir (Tipp: Das bringt viel Zeit zum Schreiben) und kann die Schmerzen Deines Protagonisten nachvollziehen.
Von vorne: Tolstoi, der Name packt mich immer, nebenher mag ich neben dem allseits bekannten Lew Nikolajewitsch (1828-1910) auch den Schöpfer des Wells-schen Werkes „Aelita“: Alexei Nikolajewitsch (1883-1945).

Die Frau im schwarzen Kleid erscheint so, wie es sich in einer guten Geschichte gehört, der Leser bekommt einen Blick in ihren Nacken geschenkt, das ist fein (mich persönlich irritieren noch viel mehr Schulterblätter ;)).
Dann Kurt Cobain, ich sehe ihn praktisch vor mir.
Zu Deiner Idee: Schmerz gegen Sex – das ist gut, das ist doch mal ein Plot, gefällt mir. Und die Umsetzung ist Dir gelungen, wenn ich auch mit Deinen Sprüngen hin und zurück zur Kirchenbank stellenweise überfordert war.

Danke für die Horror-Romanze,

nastro.

http://freedomandjustice4all.weebly.com/uploads/2/5/6/3/25633208/7754762_orig.jpeg

 

nastroazzurro schrieb:
Tolstoi […] die Frau im schwarzen Kleid […] dann Kurt Cobain […] das ist gut, das ist doch mal ein Plot, gefällt mir.
usw.

Scheint so, als hätte ich genau die richtigen Ingredienzien für deinen Geschmack zusammengemischt, nastro.

Und die Umsetzung ist Dir gelungen, wenn ich auch mit Deinen Sprüngen hin und zurück zur Kirchenbank stellenweise überfordert war.

Nun ja, gerade diese abrupten Wechsel - stellenweise sogar innerhalb eines Satzes - von der realen in die von Luis imaginierte Ebene, waren mir sehr wichtig. In einem Film wären da halt einfach Schnitte (oder Überblendungen) gewesen.

Es freut mich wirklich, dass dir meine „Horror-Romanze“ gefallen hat.*)
Vielen Dank, nastro.

offshore


*) Obwohl mich das ehrlich gesagt nicht überrascht. Nichts anderes nämlich hab ich mir von einem Mann, der sich immerhin seinen Nickname von einer italienischen Biermarke leiht, erwartet, als dass er erkennen kann, wenn er eine gute Geschichte vor sich hat. :D

 

Zuviel des Lobes ;), ich mein ja nur, das die Geschichte nicht schlecht ist.

Das viele Bier macht, ähnlich wie polnischer Bisongraswodka, ja auch jede Geschichte besser und das fällt somit schon wieder unter unlauteren Wettbewerb.

Frohes Schreiben nach Wien, wo Gustav Klimt goldene Frauen malte ...

 

Lieber offshore,

"Wer zum Teufel ist Uli?"
Ein Teufelsweib, wie es sich hier darstellt, wäre meine Vermutung. Oder doch eher niemand? Eine unglücklich-glückliche Begegnung,

die zu einer noch unglücklich-glücklicheren Verkettung von Umständen führt? Oder ein Katalysator, der den Vorgang des Verstand-Verlierens deines Protagonisten vorantreibt?
Ich bin mir noch nicht sicher ... Werde es mir wahrscheinlich auch nie sein und das ist gut so, finde ich. ;) Denn darüber am Ende nachzudenken macht fast so viel Spaß wie deine Geschichte zu lesen.

Als einer dieser total neurotischen Weiber, die hysterisch werden wenn sie bei über 1,70 Meter Körpergröße über 50 kg wiegen stand ich schon immer auf diese kalorienarme Wurst von "Du darfst" (das ist jetzt keine Schleichwerbung, ich werde nicht von der Firma bezahlt). Da hieß es in der Werbung: "Paul findet meinen Busen zu klein. Und meinen Bauch zu dick." - "Paul? Wer ist eigentlich Paul?"
Wer Paul ist, hab ich dann irgendwann rausgefunden - ein echt süßer, cooler Typ in den ich mich in jugendlicher Dämlichkeit natürlich Hals über Kopf verliebt habe ... und heute mag ich den Namen Paul nicht mehr.
Warum erzähle ich das? - Wäre der Titel "Wer zum Teufel ist Paul?" gewesen, hätte ich die Geschichte nicht gelesen. Und mich kein zweites Mal verliebt. Denn das habe ich mich, total!

In deiner Art zu schreiben finde ich die liebevoll sympathisch Art wieder, die ich schon aus deinen Kommentaren kenne und du zeichnest so authentisch das Bild deines Protagonisten, ohne dabei jemals Gefahr zu laufen, plakativ zu werden (Alkoholsucht etc.). All diese Verzweiflung und das am-Ende-sein ist in deiner Geschichte so omnipräsend und überwältigend, aber gleichzeitig leise und unaufdringlich, dass es einen hineinzieht.

Ihr Haar war hochgesteckt, und das war schon immer eine Sache, die mich schwach werden ließ, die ich an Frauen einfach liebte, den Haaransatz hinter dem Ohr, diese zarte Stelle, die man nur sehen konnte, wenn sie das Haar hoch trugen.

Danke für diese Stelle!! Da war für mich eigentlich schon alles klar, dass ich den guten Luis nur mögen kann.

Irgendetwas in Richtung "konstruktive Kritik" habe ich nicht beizutragen, sorry. Aber da man hier ja auch einfach sagen darf "Das ist super!", tue ich das hiermit.

Viele Grüße
Tell

 
Zuletzt bearbeitet:

Tell schrieb:
Warum erzähle ich das? - Wäre der Titel "Wer zum Teufel ist Paul?" gewesen, hätte ich die Geschichte nicht gelesen. Und mich kein zweites Mal verliebt. Denn das habe ich mich, total!
Du scheinst meinen Luis zu mögen, was?

In deiner Art zu schreiben finde ich die liebevoll sympathische Art wieder, die ich schon aus deinen Kommentaren kenne und du zeichnest so authentisch das Bild deines Protagonisten, ohne dabei jemals Gefahr zu laufen, plakativ zu werden

Äh, … willst du meine Frau werden, liebe Tell?
Wir würden gut zusammenpassen, glaub ich, weil … also wenn ich mir deine Kommentare und Geschichten so anschau, so ein wirklich seelenloses Miststück scheinst du ja auch nicht gerade zu sein.
Genau. Lass uns ein glückliches Paar werden, gemeinsam herzzerreißende Geschichten schreiben und damit berühmt und unermesslich reich werden, wär das nicht was?
Komm, Tell, sag ja.


Vielen Dank für deinen schönen Kommentar.

offshore

(Momentan bin ich in Italien. Zwar inshore, aber allerbester Laune und entsprechend unernst. Man möge es mir nachsehen.)

 

Äh, … willst du meine Frau werden, liebe Tell?
:D
Das ist jetzt bald ein Harem. Mindestens drei Frauen und zwei Männer hast du an deiner Seite, Tell.

Ach ja, ich bin ja Moderatorin und darf nicht so rumalbern. Schade, eigentlich.

 

Ach offshore, nun muss ich mein zwölfjähriges Ich zitieren, die da meinte: "Ich glaube nicht an die bourgeoise Einrichtung der Ehe" (ich hab' damals zu viele Schnulzenserien gesehen), aber wenn du mich nimmst, dann mit Haut und Haaren und nicht als Frau, sondern als Tell.
Denn, du Schmeichler, ich herzloses Miststück, das ich ja doch bin, habe nur gerade neue bunte Pillen verschrieben bekommen, die wirken die ersten paar Tage immer etwas komisch. ;)

Selbst wenn es keine produktive Literaten-Beziehung wird, die in herzzereißenden Geschichten endet, so bin ich mir sicher, dass wir zu tragisch-skandalösen Geschichte an sich werden und so in die Geschichte der Menschheit eingehen (wenn ich das mit den ganzen Wortwiederholungen in den Griff bekommen habe ... So oft "Geschichte, tz zt, das geht ja nicht!).

Also: JA!
Novak The more the merrier! Für eine Orgie braucht man ja mind. sechs Leute, hab ich gehört, dann wären wir ja genug für eine dolle ... äh tolle (Schreib-)Orgie. ;)
Aber um deine Moderatoren-Stellung nicht zu gefähren: Du hast hier nie etwas dazu geschrieben und wir haben hier nie etwas dazu gelesen. ;)

 

Hallo Ernst,
ich habe mir das männliche Leiden mal angeschaut. Und muss sagen, es hat mir insgesamt sehr gut gefallen. Den Beginn fand ich ziemlich langweilig. Ich habe einige Anläufe gebraucht und musste mich selber überredet, weiter zu lesen. Die Beschreibung der besonderen Stelle einer Frau, fand ich dann wirklich liebreizend.
Fahrt nahm die Geschichte für mich ab dem Dialog mit dem modernen Teufel auf. Dialoge sind klar Deine Stärke. Typischer Offshore-Sound. Unverwechselbar. Vielleicht liegt da auch ein bisschen die Gefahr, Deine Protagonisten reden immer gleich.

Dann gab es eine Metapher, die mich richtig glücklich gemacht hat:

flüsterte sie in mein Ohr und Ihr Unterleib drängte sich an mich und das war, als drückte wer einen Gummiball gegen meinen Schenkel, einen Gummiball, der in der Mittagssonne gelegen hatte, in der Sahara.

Wunderschön, echt. Und gar nicht abgegriffen. Das muss einem erst einmal einfallen. Die ganze Passage des Erwachens und Rekapitulierens war mir persönlich wieder eine Spur zu langatmig, ich bin aber einfach ein ungeduldiger Mensch.
Aber wie oben geschrieben, die Geschichte ist sehr gelungen und rund, hat mich wirklich unterhalten.
Du magst Männer mit Liebeskummer, gell?

Liebste Grüße aus der schwäbischen Sahara,
Gretha

 
Zuletzt bearbeitet:

Gretha schrieb:
Ich habe einige Anläufe gebraucht und musste mich selber überreden, weiter zu lesen.
[…]
Die ganze Passage des Erwachens und Rekapitulierens war mir persönlich wieder eine Spur zu langatmig, ich bin aber einfach ein ungeduldiger Mensch.

Dass du, liebe Gretha, nicht unbedingt zur Zielgruppe meiner meist heilllos romantischen Geschichten gehörst, ahnte ich ja. Und dass die sich meist etwas neben der Spur befindlichen, desillusionierten und vom Leben durchgebeutelten Männerfiguren darin nicht gerade deinem Idealbild vom Mann entsprechen, war mir eigentlich auch klar.
Umso mehr freut es mich, dass es dir

insgesamt sehr gut gefallen
hat und ich dich sogar kurzfristig glücklich machen konnte:

Dann gab es eine Metapher, die mich richtig glücklich gemacht hat:

Was will ich mehr?

(Wenn z.B. rehla mit einer Geschichte von mir nicht restlos zufrieden ist, verspreche ich ihr einfach, beim nächsten Mal wieder eine Berggeschichte für sie zu schreiben.
Womit ich dich um den Finger wickeln könnte, weiß ich natürlich auch. Gleichzeitig weiß ich allerdings, dass es mich beim Versuch, so ein … na ja, so ein Dings halt zu schreiben, furchtbar auf die Fresse legen würde.)

Vielen Dank, Gretha.

offshore

 

So ein "Dings" musst Du für mich nicht schreiben, obwohl, dann könnte ich Dich mal richtig fundiert kritisieren.
Aber was Luis-Trenkeresques macht mich auch immer glücklich. Dies ist doch unsere Schnittstelle.

 

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