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Wie eine ansteckende Kinderkrankheit

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13.02.2008
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Wie eine ansteckende Kinderkrankheit

„Sag’ nicht, du hast was Besseres vor!“, sagt Marie, worauf ich mich in meiner Wohnung nach Besserem umsehe. Und natürlich habe ich Dinge vor. Schon lange. Ich will meinen Esstisch auf dem Hof weiß lackieren, damit die Küche heller wirkt – trotz Nordseite und Glasbausteinfenster. Das hat Marie schließlich selbst immer wieder angemahnt. Und ich habe mir auch schon alles vorgestellt: wie ich den Tisch durch’s Treppenhaus schleppe, ohne wie beim Einzug tiefe Furchen in den gelben Strukturputz zu ziehen; wie ich den Farbtopf auf die grüne Mülltonne stelle, weil der Deckel der grauen zerbeult ist und wie ich zum Schluss mit der Schuhspitze Dreck über die weißen Tropfen auf den Steinplatten schubse und mir die Schweißperlen der Produktivität von der Stirn wische.
Ich will außerdem mit einem Trichter Wodka in eine Wassermelone füllen. Das war natürlich nicht Maries Idee.
Ich könnte also mit Fug behaupten: „Doch ja, leider, habe total wichtige und diverse Dinge vor.“
Doch wenn ich über’s Wochenende nur fünf Melonen füllen und nicht dazu kommen sollte, den Tisch zu streichen oder wenigstens die Glühbirne im Flur zu wechseln, dann wird Marie nach ihrer Rückkehr giftige Blicke auf Tisch und Melonenschalen werfen und im finsteren Flur absichtlich über leere Flaschen stolpern.
Ich antworte also: „Na ja, dieses Wochenende ist eigentlich schlecht, aber wenn du dir Montag schon frei genommen hast, krieg’ ich das schon irgendwie hin.“
Daraufhin sagt sie: „Danke! Sag’ Bescheid, wenn ich dir vorher noch was erledigen helfen kann“, sagt es so unironisch, dass es mich ganz warm überspült und ich mich auf ein Wochenende in Frankreich mit ihrem Exfreund und seiner schwangeren Frau freue.

Es ist bereits dunkel, als wir die Schottereinfahrt zu dem geduckten Häuschen hinabfahren, das Holger und Susanne für die Ferien gemietet haben. Die Kegel der Scheinwerfer huschen über das angrenzende Gestrüpp, ohne dass viel von der Umgebung auszumachen ist. Als ich das Auto neben Holgers Kombi parke, wird die Tür geöffnet und warmes Licht fällt auf den Rasen des Vorgartens. Holger kommt heraus und umarmt Marie, die sich lange an ihm festhält. Das liegt wohl an der langen Fahrt. Dann kommt er zu mir herüber, gibt mir die Hand und umarmt mich.
„Na, gut gefunden?“, fragt er und ich sehe nur das Blitzen seiner Zähne und Augen.

Er hilft uns, das Gepäck ins Haus zu tragen. Es riecht fremd. Er zeigt uns Bad, Küche und Wohnzimmer im Erdgeschoss. Es ist ferienhaushübsch mit viel zum Gucken, Tigerfell und staubige Trockenblumenarrangements.
Holger führt uns die Treppe hinauf und flüstert: „Susanne schläft schon“, dann öffnet er eine Tür und tätschelt den Türsturz wie den Hals eines sehr schartigen Pferdes. „Vorsicht: Kopf!“
Ich bücke mich tief unter dem Balken hindurch und stelle fest, dass ich mich auch im dahinterliegenden Zimmer nicht vollständig aufrichten kann. Holger knipst das Licht an und eilt zum Fenster, um es zu schließen. „Ich hoffe, es sind keine Mücken reingekommen.“
Alles ist mit Vogelstoff bezogen, Vogelsilhouetten auf himmelblauem Grund: der Einbauschrank, das Betthaupt, die Wände. An der linken Bettseite fliegen die Vögel sogar kopfüber.
„Oh, Vögelchen!“, sagt Marie.
Und hinter den Vögelchen ist es wattiert, wie ich beim Betasten der Wand feststelle. Sie fühlt sich klamm an, aber klamm ist immer nah an der Wahnvorstellung, denke ich mir und drücke nicht weiter auf der Wandbespannung herum, um nicht unnötig Sporen aufzuwirbeln.
Holger lacht. „Bittesehr, eure Gummizelle. Hier könnt ihr euch quasi hemmungslos austoben. Noch Fragen? Ich geh’ sonst auch schon ins Bett.“
„Alles klar“, antworte ich.
„Schlaf gut“, sagt Marie und dann schließt Holger die mit Vögelchen bespannte Tür hinter sich.
Ich setze mich aufs Bett. Es fühlt sich an, als würde die Matratze über mir zusammenschlagen.
„So, jetzt austoben?“, fragt Marie und lupft die Vögelchentagesdecke vorsichtig, als fürchte sie, ein Schwarm Tauben könne plötzlich darunter hervorstieben und sich in ihrem Haar verfangen. Ich rolle die Steppdecke zu einer strammen Wurst und deponiere sie auf der Kommode.
„Ich bin schon ziemlich ausgetobt.“ Ich blicke zu Marie hinab, die sich quer über’s Bett rollt und die Sandalen von den Füßen schleudert. Sie hat die letzten zwei Stunden im Auto geschlafen.
„Außerdem ist diese Gummizelle nicht schallisoliert“, füge ich hinzu, als ich höre, wie Holger im Nebenzimmer das Licht ausschaltet.
„Was glaubst du, was die denken, was wir an einem freien Wochenende in Frankreich tun?“, fragt Marie und dreht sich bäuchlings, um vom Bett aus in ihrem Koffer zu kramen.
„Außerdem: Susanne schläft und Holger weiß sowieso, wie ich mich anhöre.“
Sie spricht dies in den Koffer, doch dann hebt sie den Kopf, um mir in die Augen zu blicken.
„Ich muss was trinken gehen“, sage ich und verlasse die Vögelchenhöhle, um meinen heißen Kopf in den Kühlschrank zu stecken.
Als ich zurückkomme, ist Marie im Bad und ich gebe mir Mühe, eingeschlafen zu sein, bevor sie zurückkehrt.

Am nächsten Morgen erwachen wir trotz vormittäglicher Hitze eng aneinandergedrängt in der Mitte des breiten Bettes. Die Matratze hängt durch. Marie hat einen Kissenabdruck auf der Wange. „Zum Glück kein Vögelchen“, denke ich und küsse die roten Furchen.
„Du kratzt“, sagt sie und reibt sich vorwurfsvoll die geschundene Haut.
„Ich dachte, das macht’s irgendwie französischer“, antworte ich, weil mir schon auf der Fahrt klar geworden ist, dass ich meinen Rasierer auf dem unlackierten Küchentisch vergessen habe.
In diesem Moment trommelt es einen Dreivierteltakt gegen die Tür und Holger ruft: „Frühstück?“

Als ich noch feucht von der Dusche aus der Dunkelheit des Hauses trete, dauert es eine Weile, bis ich überhaupt etwas ausmachen kann, doch dann sehe ich Susanne am blendend weiß gedeckten Frühstückstisch sitzen, ihre schwarzen Haare hochgesteckt, ihre Lippen wie immer tiefrot bemalt, ein nacktes Bein auf einem der Holzstühle.
„Na endlich“, sagt sie und lächelt, „ich war schon fast verhungert.“
Sie hebt ihr Bein vom Stuhl, steht rasch auf und kommt auf mich zu. Ich bemühe mich, nicht auf ihren Bauch zu starren, der bei unserem letzten Treffen noch kaum zu sehen war. Sie umarmt mich fest und ich fühle ihre Schwangerschaft am ganzen Körper, versuche mich an den entsprechenden Stellen konkav zu wölben.
Holger tritt hinter mir ins Freie und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Marie ist noch im Bad? Dann können wir zwei ja schon mal Baguettes jagen gehen.“

Mit französischem Rap aus den Boxen geht es im klimatisierten Wagen in den nächsten Ort, in die „Boulangerie“, wie ich mehrmals heimlich vor mich hinmurmele.
„Bonjour“, sagt Holger in das Türklingeln hinein und dann noch einiges mehr, was ich aber nicht mehr verstehe, bis auf einiges „oui, oui“ und „bon“. Und natürlich „baguette.“ Der Bäcker lacht mit gelben Zähnen und dreht kuriose Kreise mit beiden Händen auf seinem Bauch. Ich versuche, für seine Teenager-Tochter, die gelangweilt Haarsträhnen zwirbelt, verwegen und schweigsam auszusehen. Wenn ich nun schon mal den Bart habe und neben dem parlierenden Holger stehe, der mir gerade bis zur Nasenspitze reicht. Ich wäre nicht der Erste, von dem sie sich an die mehlstaubige Wand der Vorratskammer nageln lässt, aber der erste, für den sie davor ihr Kaugummi ausspucken würde. Oui, oui, Monsieur.

Wir frühstücken unter Pappeln, wie Marie behauptet, nachdem sie eine längere botanische Diskussion für gewonnen erklärt hat. Marie, Holger und ich essen Rohmilchkäse und Susanne Foie Gras. Ich warte darauf, dass das Fett ihr Lippenrot auflöst, doch es geschieht nicht. Es strahlt genauso blendend wie am Morgen.
Holger fragt, ob wir uns heute ein Schloss ansehen wollen. Marie und ich blicken einander an, um uns gegenseitig unserer Faulheit zu versichern und schnell auszufechten, wer sie zugeben muss.
„Vielleicht morgen“, antwortet ich, weil man von mir nichts anderes erwartet, und so lungern wir schließlich den ganzen Tag auf Sonnenstühlen herum und jeder erscheint glücklich. Aktivitäten wie Federball und Frisbee werden in der Hitze schnell wieder einvernehmlich eingestellt. Die Dichte der Luft bremst jede Bewegung.
Marie und Holger reden über ihre Arbeit in der Kunsthalle, die Leihverträge und die Katalogtexte. Holger und ich reden über in Polen maßgeschneiderte Sprossenfenster für das Fachwerkhaus, das Susanne und er restaurieren. Ich soll eine Spezialtür bauen, die trotz schiefen Bodens unten dicht abschließt. Ich skizziere ihm eine Spezialkonstruktion mit Rollen und Zügen auf eine Serviette, die Marie später rahmen will, weil die Linienführung so filigran ist.

Susanne könnte natürlich mitreden, nicht über das Tagesgeschäft der Kunsthalle, aber über den städtischen Kulturbetrieb und Türen, doch sie tut es nicht. Sie tut eigentlich gar nichts. Manchmal liest sie eine Seite in ihrem Krimi, empfängt hin und wieder ein Glas Wasser oder einen Kuss von Holger, aber meistens liegt sie einfach nur da und betrachtet das Schattenspiel der Pappelblätter auf ihrem Busen und ihrem Bauch. Also betrachte auch ich meistens nur das Schattenspiel der Pappelblätter auf ihrem Busen und ihrem Bauch. Und das Rot auf ihren Lippen, das mir immer wieder als das Rot ihrer Lippen erscheinen will.

Als die Dämmerung hereinbricht, fühlen Marie und ich uns verpflichtet, zumindest das zum gemieteten Grundstück gehörende Gelände etwas zu erkunden und einen Spaziergang um den See zu machen. Wir folgen dem Pfad durch das trockene Gestrüpp und erreichen nach fünf Minuten einen grünen Tümpel, um den herum es hypnotisch surrt und brummt. Das Wasser hat sich in die Mitte zurückgezogen und an den Rändern schwarzen Schlamm mit schlierigen Brutpfützen hinterlassen. Überhaupt ist das gesamte Tal in diesem Jahr wegen der Hitzewelle nicht so lieblich wie sonst, hat mir Holger erklärt und ich erzähle es jetzt Marie.
„Wir waren schon mal hier in der Nähe,“ sagt sie und stochert mit einem Schilfhalm in der trüben Suppe, dann nehme ich ihre Hand und wir spazieren um den See, bis uns genug Mücken gebissen haben und wir die Flucht ergreifen. Doch der Ausflug hat sich gelohnt, denn als wir zurückkommen, wird uns bewusst, dass der Duft der Kletterrosen am Haus schwer in der Luft hängt.

Holger kocht Gemüseeintopf mit Huhn und weist jedem ein Gemüse zu, mit dem man sich zum Schälen und Schnibbeln an den runden Esstisch setzen darf. Dort schneidet Marie das Thema zum ersten Mal an. „Und dir geht es gut hier, auch mit der Hitze und so?“
Susanne lächelt, nicht für uns, sondern für sich. „Es geht mir ganz ausgezeichnet. So könnte ich gerne noch länger bleiben.“
Sie lässt eine Hand auf ihren Bauch sinken und ich senke meinen Blick auf die Karotten. Auch mein Hören richte ich geflissentlich auf das Schaben und Hacken des Putzmessers, bis Holger mich gnädig in den Garten schickt, um Rosmarin und anderes Kraut zu pflücken.
„Alles, was dir essbar erscheint“, sagt er und klopft mir hilfreich auf die Schulter.

Während des Essens wird wieder über andere Dinge gesprochen – über den Kulturetat der Stadt. Ich erzähle, wie ich dem Oberbürgermeister bei der Eröffnungsfeier ein Becks Gold servieren durfte und mich dabei fragte, ob er vor versammelter Presse nicht lokales Bier trinken müsse. Außerdem beobachte ich, wie Susanne Spuren an ihrem Glas hinterlässt. Sie scheint sich Mühe zu geben, ihre Kussmünder gleichmäßig am Rand zu verteilen. Und obwohl sie auf diese Weise viel Fläche färbt, bleibt das Rot ihres Munds das gleiche, als blute es aus einem Reservoir im weichen Gewebe ihrer Lippen durch unsichtbare Poren nach außen.
Marie sagt, man sehe Susanne an, dass es ihr gut geht, gute Durchblutung, Prallheit, Haare und alles, und dass sie auch so einen Busen möchte. Daraufhin melde mich freiwillig zum Spülen.

Ich hebe Susannes Glas aus dem Becken, wo die anderen Gläser klingend gegeneinandertreiben, hebe es am Stiel hoch, betrachte den rotverzierten und schaumbekränzten Rand und atme aus. Mit der dunkelgrünen Seite des Schwamms fahre ich an Innen- und Außenseite des Glases entlang. Der erste Umlauf verschmiert die roten Münder, die einzeln sichtbaren Lippenfurchen, zu einer hellroten Schliere mit Schrubbseitenstruktur. Der zweite Umlauf und ein erneutes Eintauchen ins Wasser lassen das Glas blank zurück. Als ich mit der gelben Seite nachreibe, quietscht es beruhigend.

Ich spüle versunken die restlichen Gläser, die Teller und den Topf, dann bringe ich den Müll raus. Zumindest versuche ich es, denn auf dem Weg zur Haustür geht mir die Mülltüte kaputt. Einen schrecklichen Augenblick lang spüre ich den Plastikbeutel reißen und weiß, ich kann nicht mehr verhindern, dass mir der ganze Mist gleich auf die Füße fällt. Und dann spüre ich auch schon den feuchten Kaffeesatz zwischen den Zehen. Die anderen lachen, aber mir ist flau.

Holger hilft mir, die Folgen des Unfalls zu beseitigen und ich gehe rauchen, um mich zu beruhigen.
Ich sitze auf der Bank und pule Späne aus dem verwitterten Holz zwischen meinen Beinen. Dann tritt Susanne neben mir aus dem Haus. Ich sehe ihre Silhouette nur aus dem Augenwinkel, spüre ihr Gravitationsfeld in Höhe meines Kopfes. Sie atmet tief ein, schwere Luft und nahezu flüssigen Rosendunst, und spreizt Zeige- und Ringfinger der linken Hand zu einem V. Ich lasse Asche auf die Bodenplatten fallen und übergebe ihr meine Zigarette. Susanne lehnt sich gegen die Hauswand und inhaliert drei mal in kurzen Abständen. Ich zerreibe währenddessen die Asche unter meinen Sohlen und denke an die roten Läuse, die ich auf dem grobporigen Stein der Hauswand beobachtet habe.
Als sie mir die Zigarette zurückreicht, sehe ich nicht auf, sondern betrachte nur den fettglänzenden Ring um den Filter. Die Tür fällt neben mir ins Schloss und ich kann das elastische Federn der weiß lackierten Bretter fühlen. Ich drehe die Kippe auf der Bank aus und beerdige sie im Rosenbeet.

Als Marie aus dem Haus tritt und sich vor mich stellt, schiebe ich ihr T-Shirt hoch und berge mein Gesicht an der kühlen Haut ihres Bauches. Summend fährt sie mit den Fingern durch mein Haar, vom Nacken bis zum Wirbel und fragt dann: „Kommst du mit ins Bett?“

Im Bett küsse ich sie, bis ihr Mund rot ist. Ihr Körper ist noch immer kühl und vielleicht sogar etwas feucht. Ich weiß es nicht, vielleicht sind es auch meine eigenen Hände. Sie schlingt ihre Arme um meinen Hals und haucht warme Luft an mein Ohr, doch dann höre ich etwas aus dem Nebenzimmer.
Ich lege Marie zwei Finger auf den Mund und halte selbst den Atem an.
Sobald sie hört, was ich höre, kichert sie, doch als sie den Ausdruck auf meinem Gesicht sieht, verschwindet schlagartig alles Schalkhafte aus ihren Augen.
Ich lasse mich lautlos neben ihr aufs Bett sinken. Sie zieht das Laken unters Kinn und verschränkt die Arme über der Brust. So liegen wir nebeneinander, ohne uns zu berühren, starren an die Vögelchendecke und lauschen, wie Susanne und Holger miteinander schlafen.
Es ist effizienter Sex. Es wird nicht gesprochen und sie sind nicht laut – sie müssen weder uns noch sich selbst etwas beweisen – trotzdem kann ich jeden Atemzug, jedes Härchen, das sich unter einer Berühung aufrichtet, hören und stelle mir vor, wie Susanne rote Flecken auf Holgers Gesicht, auf den Geheimratsecken, den Ohren und seinem Körper verteilt, wie eine ansteckende Kinderkrankheit.
Als es nichts mehr zu hören gibt, knipst Marie das Licht aus und dreht mir den Rücken zu.

Das Laken ist zusammengedreht um meinen Körper gewunden. Ich habe schlecht geschlafen, wohl von Vögeln und Mülltüten geträumt, und Marie hat mich nicht geweckt.
Als ich in den Garten hinaustrete, ist der Frühstückstisch bereits abgeräumt. Holger sitzt auf der Bank, aber die Rosen duften tagsüber nicht. Er trägt ein beiges Fischerhütchen und liest französische Zeitung.
„Gut geschlafen?“, fragt er. Ich nicke.
„Wo sind denn die Frauen?“
Er bedeutet es mir mit einer Bewegung des Kopfes.
Ich finde sie im Schatten der Bäume hinterm Haus. Sie liegt mit angezogenen Beinen auf dem Sonnenstuhl und Marie sitzt im gelben Mädchenkleid im hohen Gras neben ihr. Sie hat ihren kleinen, blonden Kopf auf Susannes Bauch gelegt, auch ihre Hände, mit gespreizten Fingern, als wolle sie ihn ganz umfassen.
Marie strahlt, als sie mich erblickt und winkt mich aufgeregt heran. „Komm doch mal! Fühl doch mal!“
Susanne fängt eine gelockte Haarsträhne, die eine Brise ihr ins Gesicht weht, wo sie auf der Lippe haften bleibt, und streicht sie sich hinters Ohr. Sie lächelt mich ruhig an.
Ich sehe mich mein struppiges Gesicht auf diese schimmernde Kugel legen und als ich mir vorstelle, dass es dort eine Bewegung zu fühlen gibt, rauscht das Blut so laut in meinen Ohren, dass es mir scheint, als würden die Pappeln von einem heftigen Windstoß geschüttelt.
„Ich glaube, wir müssen jetzt los, wenn wir das Schloss heute noch sehen wollen.“

Wir fahren an Maisfeldern mit Mohnblumen entlang und halten kurz, um ein paar Kolben zu brechen, aber es ist nur Futtermais.
Trotz geöffneter Fenster ist es jetzt sehr heiß im Auto. Marie hat ihre nackten Füße gegen das Handschuhfach gestemmt, so dass ihr Kleid die Oberschenkel bis zum Unterleib entblößt. Sie rollt ihren Kopf träge auf der Nackenstütze, wenn sie ihren Blick von der Landschaft zu mir wendet.
Ich ziehe mein T-shirt aus, während sie das Lenkrad festhält. Dann gieße ich mir französisches Wasser aus edler Quelle über den Kopf und denke mit Unbehagen darüber nach, wie der Schaumstoff des Fahrersitzes meinen Schweiß in sich aufsaugt. Endlich tauchen wir in den Schatten des dichten Jagdwaldes ein und ich halte nach Hirschen Ausschau.

Im Schloss versuche ich lange, die doppelte Wendeltreppe zu denken und Marie macht tausend Fotos von tausend verschiedenen Winkeln der wunderlichen Stadt auf dem Schlossdach.
Der Garten ist geometrisch und das Gras gelb und so lagern wir ein paar Kilometer weiter neben einer Betonbrücke am Flussufer. Marie sitzt, die Hände hinter sich in den Kies gestützt und sucht im glitzernden Wasser nach Fischschatten. Ich liege auf dem Rücken und habe meinen Kopf in ihren Schoß gebettet.
„Holger hat den Hausmenschen gefragt, was das für Bäume sind. Es sind wirklich Pappeln.“
„Glückwunsch“, antworte ich und schließe die Augen.
„Hast du nicht gesagt, du wolltest dich anmelden, für einen Französischkurs? Das ist jetzt bestimmt auch schon ein Jahr her.“ Sie bewegt ihr Becken, weil es ihr unbequem ist.
„Schon möglich“, sage ich und richte meinen Oberkörper wieder auf.
Sie blickt mich an, als warte sie, dass ich noch mehr dazu sage, doch dann setzt sie sich zurecht und drückt meine Schultern sanft herunter, bis mein Kopf wieder in ihrem Schoß zu liegen kommt.
„Erzähl mir, wie wir uns zum ersten Mal geküsst haben.“ Sie streicht mir die Haare aus der Stirn.
Ich bin kooperativ und erzähle ihr, wie wir uns am Abend der Vernissage zum ersten Mal geküsst haben und dass ich mir damals nicht sicher war, ob es in mir toste, weil wir unter der tonnenschweren, mit Echtfell bezogenen Pferdekadaverplastik standen, die von der Decke baumelnd „kreatürliche Präsenz“ erzeugte, oder ob es die kreatürliche Präsenz von Maries kleinem Körper war, der sich an meinen drängte. Und ich erzählte ihr, wie ich Wochen zuvor geflucht hatte, als wir die Kadaverskulptur in unser Spezialgerüst einhängen mussten. "Muss Kunst so schwer sein?", hat mein Chef geschimpft.
„Mein kleiner Kunstbanause“, sagt Marie, nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich.
Ich streiche ihr eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht geweht ist, hinters Ohr und drehe mich auf die Seite, damit ich, das Ohr im Tal zwischen ihren Hüftknochen, Verdauungsgeräuschen lauschen kann.

Nach dem mehrgängigen Abendessen, das Holger in unserer Abwesenheit vorbereitet hat, trinken wir noch mehr Wein aus dem Kanister und gucken einen französischen Film, in dem zarte Knaben und noch zartere Mädchen nackt in großen weißen Betten liegen und miteinander reden.
„Macht es dir wirklich nichts aus? Wenn du dich langweilst, können wir auch Skat spielen“, bietet Holger an.
Doch es macht mir wirklich nichts aus. Ich kann nicht Skat spielen und ich langweile mich auch nicht, denn ich lese Susannes Schwangerschaftsbuch. Ich sehe mir Bilder von halbierten Frauen mit ganzen Föten an und vermeide die letzten Kapitel mit den Bildern über Geburt und hässlichen, roten Babys. Ich lese über die Veränderungen des Körpers. Das mit den Brüsten sehe ich selbst, doch ich erfahre auch, dass sich die Brustwarzen dunkler färben und dass ein Schleimpfropf den Gebärmutterhals verschließt. Ich lese mehrmals Schleim, Schleim und pfropfpfropfpfropf und erhoffe mir therapeutische Wirkung davon. Dann steht Susanne auf und macht sich einen Tee aus geheimen Kräutern.
„Lass mich mal probieren“, sagt Marie und als ich darüber nachdenke, dass sich das Rot von Susannes Tasse an Maries Lippen heften könnte, muss ich wieder an den Müllsack denken. Es fühlt sich an, als würde ich selbst unten aufreißen und alles Lebenswichtige fiele aus mir heraus, ohne dass ich etwas dagegen ausrichten kann. Doch Marie trinkt von der anderen Seite der Tasse und ich lasse das Buch erleichtert sinken.

Susanne sitzt wieder neben Holger, der jetzt die linke Hand auf ihren Bauch gelegt hat. Der Schein des Fernsehers fängt sich bläulich in ihrem Haar und flackert in ihren Augen. Holger legt seinen rechten Arm um ihre Schulter, zieht sanft die zarten Locken, die sich am Nacken aus ihrer Frisur gelöst haben, zwischen den Fingern glatt. Dann lässt er die Hand auf ihren vollen Oberarm sinken, wo er mit den Fingern die Impfnarbe streichelt. Diese Narbe sieht mit dem horizontalen Strich in der Mitte und den radialen Fältchen selbst aus wie ein kleiner Kussmund. Sie schillert silbrig und manchmal ist sie dunkel wie ein Loch. Ich frage mich, ob man sie spüren kann, wenn man mit den Lippen oder mit der Zunge darüberfährt.
Susanne schiebt den enganliegenden Stoff ihres Oberteils bis unter den Busen hoch und Holger massiert Öl auf ihren Bauch, der nun ebenfalls von blauen Lichtreflexen bekrönt wird. Mein Blick folgt der dunklen Linie vom Nabel bis zu der Stelle, wo sie im weichen Bund der Hose verschwindet, dann blicke ich mich zu Marie um, die neben mir im Sessel sitzt und sehe, dass sie dasselbe betrachtet. Als sie sich zu mir wendet, senke ich den Blick schnell in das Schwangerschaftsbuch.

Als wir wieder in der Vögelchenhöhle liegen, schmiege ich mich von hinten eng an Marie, so wie ich es auf einem Bild im Schwangerschaftsbuch gesehen habe, und umfasse ihre kleinen Brüste. Ich küsse ihren Nacken und ihren makellosen Arm und wir schlafen ein, noch bevor die Geräusche aus dem Nebenzimmer verstummen.

Am Morgen werfe ich unser Gepäck in den Kofferraum und Marie ordnet die CD-Sammlung im Handschuhfach, als Susanne und Holger aus dem Haus zu uns herüber kommen. Holger reicht mir einen Leinenbeutel. „Ich hab’ euch Proviant eingepackt.“
Ich sage „danke“ und umarme ihn, dann lasse ich mich von Susanne umarmen, spüre ihre warmen Brüste und ihren Bauch und rieche den süßen Duft des Massageöls. Ich hatte gehofft, so früh am Morgen wäre das Lippenrot noch nicht da, dann könnte ich mir sicher sein, dass es doch nur aufgemalt ist.
„Danke für alles und ... alles Gute“, sage ich.
Holger und Susanne umarmen Marie und dann sitzen wir auch schon im Auto.
„Alles bereit?“, fragt Marie und auf ihrer Wange prangt ein roter Striemen, der aussieht wie eine Prellung. Ich wische den Lippenstift erst mit dem Daumen und dann mit dem Handballen ab.
„Hm“, sage ich und starte den Motor.

 
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Hi,

die Geschichte fand ich cool, sie verkörpert im Grunde etwas das ich niemals an der Gesellschaft verstehe, dass Ex Freunde und Ex Freundinnen miteinander auskommen( aber es ist möglich, ich weiß nicht wie die das machen, aber das sieht man immer wieder ) Dann höre ich schon Stimmen in meinen Kopf wie: " Werd erwachsen!" - ich find das nicht erwachsen ich fand das pervers. Wie auch immer. Besonders hat mir gefallen, die Szene, wo Marie in Richtung Koffer meinte: " Holger weiß sowieso wie ich mich anhöre!" in dieser Szene steckt soviel Suggestionskraft. Es ist ein beklemmendes Gefühl, das du dort zurücklässt, man hat das Gefühl, dass es nicht gut ausgeht und man liest weiter und weiter und dann gibt es eine offenes Ende. Ich hätte mir gewünscht dass etwas Krasses passiert. Auch das Blut, das Susanne anhaftet, signalisiert, dass etwas im Kommen begriffen ist, das nicht gerade ein gutes Ende hat.
Aber ein offenes Ende ist vielleicht auch gar keine schlechte Wahl, wenn auch nicht meine erste.
Gut gefallen hat mir außerdem der Besuch bei dem französischen Becker, der kuriose Bewegungen an seinem Bauch vollführt hat. Ich fand das sehr witzig, auch die Reaktion des Hauptprotagonisten fand ich witzig. Es war ja wenn ich es richtig verstanden habe, ein Bezug auf die Schwangerschaft seiner Freundin, die ihm nicht besonders behagte.
Sehr stark fiel mir noch auf, dass du gerne von Männern schreibst, die ziemlich angenervt sind von ihren Beziehungen zu ihren Partnerinnen. Letzten endlich hast du auch damit ein Gesellschaftsphänomen erfasst, das mir niemals einleuchten wird, das aber durchaus vorhanden ist.
Diese Geschichte hat mich also insgesamt angesprochen! Ich fand sie war sogar besser als Prototyp.

Gruss
ARKADIUS

 

Hallo feirefiz,

erzählerisch und sprachlich ist die Geschichte ziemlich groß, die Charakterzeichnungen sind mit vielen feinen Linien zu einem filigranen Bild gemalt. Auch wenn mir ebenfalls der Spannungsbogen zu sehr in Bodennähe verläuft und dort nur kleine Wellen schlägt (ich mag es durchaus, den Kopf anheben zu müssen), handwerklich finde ich Deine Erzählabsicht gut, sehr gut umgesetzt, Kompliment !

Daß ich sie dennoch anstrengend fand, braucht Dich also nicht anfechten, geht es doch einher mit Deinem gewählten und konsequent gut umgesetzten Absicht, die Geschichte eben genau _so_ zu erzählen. Das ist Dir gelungen, die Stimmung erreicht mich, das Unaussprechliche, Unausgesprochene, die Schwüle und der Lippenstift.

Intensive Geschichte auf ihre leise Art.

Bittesehr, nur aus einem Winkel, (hier war ein langer link und sah sehr doof aus, wenn man mir erklaert wie ich statt langem ling ein huebsches blaues Wort einfuegen kann tu ich's, bis dahin soll jeder selber Chambord googeln)
das Schwierige ist das hübsche Wort zu finden, der Rest ist einfach.
Du markierst das identifizierte Wort (oder auch mehrere), so als ob Du es kopieren willst zum zitieren, dann nimmst Du statt des Symbols für Zitieren einfach die blaugrüne stilisierte Erdkugel mit der liegenden 8 davor, die sich direkt neben dem Zitieren-Symbol befindet, dann geht ein Fensterchen auf, in das Du den Link reinkopierst. OK und Vorschau und *tusch* der Link ist aufgehübscht und passt sich nun auch formell besser an den restlichen Text an :)

Grüße
C. Seltsem

 

Hallo Arkadius,

schoen, dass Dir die Geschichte insgesamt gefaellt, auch wenn es natuerlich an Krassheit mangelt.

sie verkörpert im Grunde etwas das ich niemals an der Gesellschaft verstehe, dass Ex Freunde und Ex Freundinnen miteinander auskommen [...] Dann höre ich schon Stimmen in meinen Kopf wie: " Werd erwachsen!
Genau so geht es den meisten Beteiligten in der Geschichte auch. Natuerlich wollen sie alle ganz entspannt miteinander umgehen und dafuer moeglicherweise natuerlichere Gefuehle unterdruecken, aber manchmal kommt es eben doch hoch, wie in der Kofferszene, die Du zitiert hast. Da muss heftig verdraengt werden.

Gut gefallen hat mir außerdem der Besuch bei dem französischen Becker, der kuriose Bewegungen an seinem Bauch vollführt hat. Ich fand das sehr witzig, auch die Reaktion des Hauptprotagonisten fand ich witzig. Es war ja wenn ich es richtig verstanden habe, ein Bezug auf die Schwangerschaft seiner Freundin, die ihm nicht besonders behagte.
Wow, da hast Du jetzt was gefunden, was ich gar nicht bewusst reinsymbolisiert habe, was aber trotzdem super zur Geschichte passt - insofern absolut zulaessige Interpretation.

sehr stark fiel mir noch auf, dass du gerne von Männern schreibst, die ziemlich angenervt sind von ihren Beziehungen zu ihren Partnerinnen.
Da musste ich erstmal drueber nachdenken. Das stimmt doch eigentlich nur fuer "dann ist es Liebe" und da ist es ja eher durch Genervtheit kompensierte Angst. In dieser Geschichte, stand fuer mich auch eher die Angst des Helden im Vordergrund, ich fand eher Marie etwas genervt-stichelig, aber so einem Phelgmatiker muss man ja auch ganz schoen sticheln - und dann passiert trotzdem nix.

Hallo Herr Seltsem,

ich muss jetzt ganz konzentriert der Versuchung widerstehen, hauptsaechlich mir selbst noch mal alle diese wunderbaren Komplimente hierhin zu zitieren: gross und filigran und intensiv-leise. Mein Herz huepft, auch weil die Stimmung bei Dir ankam. Das mit dem Spannungsbogen kann ich nach wie vor nicht leugnen, freue mich aber wenn es als Erzaehlabsicht akzeptiert wird. Demnaechst werde ich hoere Wellen schlagen.

Das mit der link-Aufhuebschung habe ich sofort ausprobiert und es hat geklappt. Ewiger Dank fuer diesen Gnadenakt.

Euch beiden vielen Dank, fuer die Kommentare.

Feirefiz

 
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Ich hab die Geschichte gelesen und gelesen, dann ausgedruckt und nochmal in der Herbstsonne gelesen. Die gibt das her. Es machte schon beim ersten Lesen ne Menge Spaß und ich muss dir widersprechen: Da passiert ne ganze Menge, innert dieser Ferienhauswelt, die einzelnen Szenen sind so genau ausgemalt und deine Figuren finden in immer neuen Konstellationen zueinander.
Aber da steckt so viel drin, dass ich mir die freudig ein zweites und drittes Mal reinziehen konnte. Da konnt ich dann in Ruhe die Lupe rausholen und mir manche Sätze genauer anschauen. Von denen sind da echt so drei, vier Dinger drin, die lassen sich verdammt gut lesen, aber so richtig entfalten die sich erst, wenn man die in Ruhe wirken lässt. Aber dazu später.
Das ist ja schon super, wenn die Details stimmen (und die fügen sich fast immer perfekt ins Ganze - ob er jetzt von kreatürlicher Präsenz oder der Spezialtür spricht. Allein schon die Beschreibungen verschiedener Strukturen!), aber noch viel wichtiger und das nenn ich mal ne echte Leistung: Die Charakterisierungen und vor allem diesen Figuren-Tanz.
Marie und der Ich-Erzähler; Marie und Holger; Holger und die beiden Hauptfiguren; jeder mit der prallen Susanne, der vom Erzähler ja schon ein eigenes Gravitationsfeld zugesprochen wird ... und wirklich kreisen die alle um sie, die Kussmünder macht und mit ihrer schwangerschaftlichen Präsenz jedesmal die Szenerie beherrscht, wenn sie auftaucht. Ich hab schon angefangen, die Namen aufzuschreiben und ihre Beziehungen mittels verschiedener Pfeile darzustellen, vllt stell ich die Szenen auch mit Figürchen nach - bahnbrechende Erkenntnisse werden dann nachgereicht. :D
Sie macht vor allem den Ich-Erzähler kirre, der nur knapp an ihrer Atmosphäre vorbeizuschrammen scheint, obwohl, das ist ja das Spannende, realiter nichts geschieht. Aber in ihm, es ist immer, als wäre er kurz davor, aus dem Gleichgewicht zu geraten. Auch weil er noch an der Holger-Marie-Beziehung zu knabbern hat - die raffinierte oder naive Bemerkung Maries bringt ihn ja völlig aus dem Konzept -, aber vor allem wohl wegen Susanne. Dabei entzieht sich der Erzähler den Verortungsversuchen. Mit Marie wirds irgendwie nie was, zuerst will er nicht, dann will er, hört dann aber doch lieber den anderen zu. Susanne bestaunt er, kommt jedoch über das Geheimnis einer geteilten Zigarette nicht hinaus. Aber schlecht läufts mit Marie nun auch nicht, das Zusammensein wirkt stimmig - hey, er lauscht zufrieden ihren Verdauungsgeräuschen! (Hehe. feirefiz'scher Wagemut!) Also wenn ich zu einer Interpretation gezwungen würde, machte ich innerhalb dieses ganzen Geflechts ihn und vorübergehend von Schwangerschaft, Erdbeermund und Rosenduft verpeilte Triebe als bestimmendes und wiederkehrendes Erzählmotiv aus. Aus seiner hochpoetischen Verzückung rettet ihn erst der eher prosaische Schleimpfropfen. Scheußlich gut gesetzt. Na, aber eigentlich will ich das nicht gesagt haben, denn die Geschichte lässt mit Sicherheit andere Lesarten zu, du hältst die vier Bälle stets in der Luft, die sind immer in Bewegung. Der Schluss wirkt, als wäre der Erzähler irgendeiner Gefahr entronnen, ohne dass die sich anders als in Schemen gezeigt hätte.

En Detail!

„So, jetzt austoben?“, fragt Marie und lupft die Vögelchentagesdecke vorsichtig, als fürchte sie, ein Schwarm Tauben könne plötzlich darunter hervorstieben und sich in ihrem Haar verfangen.
Überall diese Vögelchen! In dieser Höhle, wo man nicht mal gerade stehen kann.
„Ich muss was trinken gehen“, sage ich und verlasse die Vögelchenhöhle, um meinen heissen Kopf in den Kühlschrank zu stecken.
Großartig.
Am nächsten Morgen erwachen wir trotz vormittäglicher Hitze eng aneinandergedrängt in der Mitte des breiten Bettes. Die Matratze hängt in der Mitte durch.
Und gleich der nächste. Da könnt man was reininterpretieren, der macht aber auch so Spaß. Herrlich trocken.
Ich versuche, für seine Teenager-Tochter, die gelangweilt Haarsträhnen zwirbelt, verwegen und schweigsam auszusehen.
An der Stelle belam ich den Eindruck, der Erzähler wolle nur spielen. Dass ihm vllt die Beziehung zu Marie zu definitiv und einengend ist. Na, zumindest nachts.
(Susanne) empfängt hin und wieder ein Glas Wasser oder einen Kuss von Holger
Genaue, unaufgeregte Charakterisierung.
Und das Rot auf ihren Lippen, das mir immer wieder als das Rot ihrer Lippen erscheinen will.
Geiler Satz!
ihre Lippen wie immer tiefrot bemalt
bemalt weglassen? Er sinniert mindestens einmal, ob ihre Lippen bemalt sind oder nicht. Das kommt besser, wenn er sie vorher nicht als bemalt behaupten würde.
Marie sagt, man sehe Susanne an, dass es ihr gut geht, gute Durchblutung, Prallheit, Haare und alles, und dass sie auch so einen Busen möchte. Daraufhin melde mich freiwillig zum Spülen.
Hehe. Was hat er denn? Das würd ich übrigens by the way als typisch männlich bezeichnen. ;)
Der erste Umlauf verschmiert die roten Münder, die einzeln sichtbaren Lippenfurchen, zu einer hellroten Schliere mit Schrubbseitenstruktur. Der zweite Umlauf und ein erneutes Eintauchen ins Wasser lassen das Glas blank zurück. Als ich mit der gelben Seite nachreibe, quietscht es beruhigend.
Also das würd ich auch gern können. Das ist trotz Lippenfurchen und Schrubbseitenstruktur richtig zum Anfassen. Wow.
auf dem Weg zur Haustür geht mir die Mülltüte kaputt. Einen schrecklichen Augenblick lang spüre ich den Plastikbeutel reißen und weiß, ich kann nicht mehr verhindern, dass mir der ganze Mist gleich auf die Füße fällt. Und dann spüre ich auch schon den feuchten Kaffeesatz zwischen den Zehen. Ich kann nur noch einen kleinen, erschrockenen Quietschlaut ausstoßen.
Hier klink ich mich aus. Ich weiß nicht, wer das sagt. Wieso geht denn da die Welt unter? Nimms mir bitte nicht übel, fiz, aber das krieg ich nicht in den Kopf. Fällt umso mehr auf, weil es der einzig echte Stolperstein ist.
Sie atmet tief ein, schwere Luft und nahezu flüssigen Rosendunst, und spreizt Zeige- und Ringfinger der linken Hand zu einem V. Ich lasse Asche auf die Bodenplatten fallen und übergebe ihr meine Zigarette. Susanne lehnt sich gegen die Hauswand und inhaliert drei mal in kurzen Abständen.
Schau her. So ganz ruhig beschrieben, mit viel Raum für zwischenzeiliges.
Es wird nicht gesprochen und sie sind nicht laut – sie müssen weder uns noch sich selbst etwas beweisen –
Es wird ja aus der Ich-Perspektive in der Gegenwart erzählt. Funktioniert ja auch hervoragend. Aber die Behauptung in der Parenthese stört mir den Eindruck, reißt mich aus dieser sinnlichen Situation.
Ansonsten sind hier alle Protagonisten am direktesten zusammen, obwohl von einer Wand getrennt. Marie findets glaub ich nicht so cool, verschränkt erst die Arme und dreht ihm dann den Rücken zu. Die Gebärerin lässt sich von Maries Ex begatten. Und der Ich-Erzähler imaginiert sie dabei, während seine Freundin daneben liegt. Unglaublich starke Szene. Und - da haben wir ja auch den Titelgeber!
wie Susanne rote Flecken auf Holgers Gesicht, auf den Geheimratsecken, den Ohren und seinem Körper verteilt, wie eine ansteckende Kinderkrankheit.
Auch an so prominenter Stelle platziert. Das schreit geradezu nach einer Interpretation.
Susanne fängt eine gelockte Haarsträhne, die eine Brise ihr ins Gesicht weht, wo sie auf der Lippe haften bleibt, und streicht sie sich hinters Ohr. Sie lächelt mich ruhig an.
Das ist auch fein beschrieben. Erst wird der Erzähler von der detailliert beschriebenen Momentaufnahme mitgenommen, dann fängt ihn ein ruhiges Lächeln ab. Ja, die Susanne. Lächelt halbmündig?
Im Schloss versuche ich lange, die doppelte Wendeltreppe zu denken
Das find ich toll! Na, und danach sind sich die beiden nah wie die ganze Zeit nicht, aber wenn ich richtig im Bilde bin, sind sie auch das erste Mal allein.
Und kreatürliche Präsenz ebenso einem Kadaver wie der Marie-Freundin zuzuschreiben ... ! Aber das passt auch zum Erzähler, ohne dass ihn das negativ charakterisiert. Seinem zufriedenen Lauschen an ihrem Verdauungstrakt. Schlechthin alles ist romantisch, wenns durch die richtigen Linsen gesehen wird. Sag ich mal so.
in dem zarte Knaben und noch zartere Mädchen nackt in großen weißen Betten liegen und miteinander reden.
„Macht es dir wirklich nichts aus? Wenn du dich langweilst, können wir auch nackt in großen Betten liegen und reden“, bietet Holger an.
Das fällt aus dem Rahmen, fiz!
wo er mit den Fingern die Impfnarbe streichelt. Diese Narbe sieht mit dem horizontalen Strich in der Mitte und den radialen Fältchen selbst aus wie ein kleiner Kussmund. Sie schillert silbrig und manchmal ist sie dunkel wie ein Loch. Ich frage mich, ob man sie spüren kann, wenn man mit den Lippen oder mit der Zunge darüberfährt.
Susanne schiebt den enganliegenden Stoff ihres Oberteils bis unter den Busen hoch und Holger massiert Öl auf ihren Bauch, der nun ebenfalls von blauen Lichtreflexen bekrönt wird. Mein Blick folgt der dunklen Linie vom Nabel bis zu der Stelle, wo sie im weichen Bund der Hose verschwindet, dann blicke ich mich zu Marie um, die neben mir im Sessel sitzt und sehe, dass sie dasselbe betrachtet
Das muss ich mal komplett quoten. Der ganze Absatz ist so was von! Das hast du drauf, ich denk grad ans Maulwurffell. Also das sind ja alles so Sachen, die ich noch nie gelesen habe und alle Welt sucht doch nach kreativen Beschreibungen für Erotik alla Art, ich auch. Du hast die hier am Start. Die Erotik des Schauens und Hörens, das Angedeutete - hier darf der Leser das Werk vollenden. Da staun ich.

 
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Hallo Kubus,

weisst Du eigentlich, wie gluecklich mich diese Kritik macht? Ich hoffe, Du weisst es, denn ich habe noch immer nur Standard smileys auf diesem Fremdcomputer und dann sieht es so aus, wenn ich mich freue: :) Das wird der Gefuehlslage nicht wirklich gerecht.
Das ist so eine Freude, wenn jemand genau das liest, was man in so eine Herzensgeschichte ganz genau reindetailliert hat, und noch etwas mehr. Zum Beispiel war mir nicht bewusst, dass alle Figuren da um Susanne kreisen wie um eine Sonne. Aber das stimmt natuerlich exakt. Uebrigens kann ich vom Familienstellen nur abraten - ich wurde da mal mitgeschleift und kam traumatisierter raus als ich reinging. Aber gut, mit literarischen Figuren kann man dabei vielleicht unbeschadet bleiben.

Interessant weil anders fand ich Deine Lesart der Bettszenen. Ich hatte mir eher vorgestellt, dass er ihnen beim Sex eigentlich nicht zuhoeren will und sofort erschlafft, weil ihn das voellig ueberfordert. Also halb will er natuerlich doch zuhoeren. Ebenso wie er Susanne beobachten will und sich zugleich vor ihr fuerchtet. Aber das bleibt natuerlich offen, welchen Ausdruck Marie da in seinem Gesicht sieht. Du liest anscheinend generell etwas mehr Anziehung als Angst, abgesehen vom Schluss. In all diesen widerspruechlichen Gefuehlen bleibt ja viel Raum fuers persoenliche Feintuning des Lesers.

An der Stelle belam ich den Eindruck, der Erzähler wolle nur spielen. Dass ihm vllt die Beziehung zu Marie zu definitiv und einengend ist. Na, zumindest nachts.
Ja, es ist ihm manchmal bestimmt eng, gerade in der Voegelchenhoehle, aber den Versuch einen Teenager zu beeindrucken, wuerde ich nicht ganz so streng bewerten. Verwegen wirken wollen ist doch urmenschlich, unabhaengig vom Beziehungsstatus.

Auch an so prominenter Stelle platziert. Das schreit geradezu nach einer Interpretation.
Ja, das kraeht sich schon seit Jahren die Seele aus dem Hals. Vielleicht sogar etwas zu laut, aber na ja.

Hier klink ich mich aus. Ich weiß nicht, wer das sagt. Wieso geht denn da die Welt unter? Nimms mir bitte nicht übel, fiz, aber das krieg ich nicht in den Kopf. Fällt umso mehr auf, weil es der einzig echte Stolperstein ist.
Ich dachte hier an sowas Angstvorkontrollverlustaehnliches. Ursprueglich stand da auch "gefuehlsechter" Muellbeutel, aber das war mir dann doch zu plump. Ich finde es eigentlich auch ganz gut, wenn es da fuer Dich etwas Widerstaendiges im Text gibt, das nicht so geschmeidig in die Interpretation hineingleitet. Ich reib mich an sowas eigentlich immer ganz gern. Bleibt also drin :D

bemalt weglassen? Er sinniert mindestens einmal, ob ihre Lippen bemalt sind oder nicht. Das kommt besser, wenn er sie vorher nicht als bemalt behaupten würde.
Ja, da denk ich mal drueber nach.

Es wird ja aus der Ich-Perspektive in der Gegenwart erzählt. Funktioniert ja auch hervoragend. Aber die Behauptung in der Parenthese stört mir den Eindruck, reißt mich aus dieser sinnlichen Situation.
Hm, natuerlich kann er das nicht wissen, aber er behauptet es einfach. Imaginiert ja auch sonst alles moegliche auf die zwei drauf. Ist mir eigentlich wichtig, dieser Gedanke, dass sie eben keine (Hoer-)Show draus machen und trotzdem quasi zusammen im Bett liegen. Ich denke...

Das fällt aus dem Rahmen, fiz!
:lol: Ich hab da fast nochmal nachgelesen, ey! Das waer ja mal was gewesen.

Auf jeden Fall vielen vielen Dank fuer diese ausfuehliche Kritik, besonders fuer das Auflesen der Feinheiten vom Wegesrand. Es ist schoen, wenn jemand die findet und Freude dran hat.

liebe Gruesse,

fiz

update: Ich hab mir alles nochmal angeguckt, aber irgendwie kann ich nichts aendern, obwohl ich verstehe, was Du meinst. Er weiss ja, dass es Lippenstift ist, und erst dann verschwimmt ihm alles - ich glaube die Tatsachen muessen erstmal festgestellt werden, damit der Leser sehen kann, wo es wahnhaft wird. Ja und mit der Bettszene, da muss ich noch mehr dran rumdenken.
Dafuer werde ich aber jetzt das Quietschen beim Beutelriss rausnehmen, das ist zu doll!

 

Hey feirefiz,

was für eine feine Geschichte! Was für eine schöne Sprache und für großartige Details. Ich verspüre Neid, jawohl!

„Sag’ nicht, du hast was Besseres vor!“, sagt Marie, worauf ich mich in meiner Wohnung nach Besserem umsehe.

:lol:, was hab ich gelacht

Ich habe mir schon alles vorgestellt: wie ich den Tisch durch’s Treppenhaus schleppe, ohne wie beim Einzug tiefe Furchen in den gelben Strukturputz zu ziehen; wie ich den Farbtopf auf die grüne Mülltonne stelle, weil der Deckel der grauen zerbeult ist und wie ich zum Schluss mit der Schuhspitze Dreck über die weißen Tropfen auf den Steinplatten schubse und mir die Schweißperlen der Produktivität von der Stirn wische.

Sehr schöner Satz. Und schon hier beginnen die Details ... der verbeulte Deckel und Dreck drüber schieben sind toll. Und eigentlich ist es die perfekte Charakterisierung Deines Protagonisten.

zu dem geduckten Häuschen herabfahren ... Holger kommt heraus und umarmt Marie, die sich lange an ihm festhält ... ich sehe nur das Blitzen seiner Zähne und Augen.

Das bringt doch Spannung. Da will man doch weiterlesen.

ferienhaushübsch

Wort aufschreiben und merken und merken und ...

„Bittesehr,

Soll das vereint sein?

Als ich zurückkomme, ist Marie im Bad und ich gebe mir Mühe, eingeschlafen zu sein, bevor sie zurückkehrt.

Ja, in einer Vögelhölle (ich hatte tatsächlich Hölle statt Höhle gelesen), mit dem Ex im Rücken will man das wahrscheinlich wirklich nicht. Nicht mal in Frankreich.

In diesem Moment trommelt es einen Dreivierteltakt gegen die Tür ...

ich freu mich so ... an diesen kleinen Dingen

Sie umarmt mich fest und ich fühle ihre Schwangerschaft am ganzen Körper, versuche mich an den entsprechenden Stellen konkav zu wölben.

:)

Ich zeichne ihm eine Spezialkonstruktion mit Rollen und Zügen auf eine Serviette.

eine sehr männliche Lösung gegen undichte Türen :)

Mit der dunkelgrünen Seite des Schwamms fahre ich an Innen- und Außenseite des Glases entlang. Der erste Umlauf verschmiert die roten Münder, die einzeln sichtbaren Lippenfurchen, zu einer hellroten Schliere mit Schrubbseitenstruktur. Der zweite Umlauf und ein erneutes Eintauchen ins Wasser lassen das Glas blank zurück. Als ich mit der gelben Seite nachreibe, quietscht es beruhigend.

Na endlich kann er mal aktiv was gegen die Omnipräsenz einer Schwangeren tun.

... und gucken einen französischen Film, in dem zarte Knaben und noch zartere Mädchen nackt in großen weißen Betten liegen und miteinander reden.

:)

Ich sage „danke“ und umarme ihn, dann lasse ich mich von Susanne umarmen, spüre ihre warmen Brüste und ihren Bauch und rieche den süßen Duft des Massageöls, der noch immer an ihr haftet.

Das fühlt sich jetzt dann doch anders an, als die Begrüßungsumarmung. Schön, wie die Schwangerschaft ihn fasziniert und zugleich unheimlich erscheint. Ihn aber mit einem warmen Gefühl und guten Duft entlässt.

Ich wische den Lippenstift erst mit dem Daumen und dann mit dem Handballen ab.

Aber besser ist dann doch, wenn nicht Marie davon betroffen ist ;).

Und obwohl es doch alles ganz gut zu laufen scheint, hatte ich immer dieses schleichende, ungute Gefühl; die Umgebung - der umgekippte See, der geometrische Garten mit dem verbrannten Gras und die Rosen, die nur abends duften. Diese kleine, leise Diskrepanz, habe ich geliebt.

Was soll ich sagen? Sehr gern gelesen!
Schönes Ensemble und feine Akteure.

Beste Grüße Fliege

 

Hallo Fliege,

Du hast auf jeden Fall die Fuehler, die man fuer diesen Text braucht.

Zitat:
zu dem geduckten Häuschen herabfahren ... Holger kommt heraus und umarmt Marie, die sich lange an ihm festhält ... ich sehe nur das Blitzen seiner Zähne und Augen.

Das bringt doch Spannung. Da will man doch weiterlesen.

hehe, ich glaube, da ist mir schon der ein oder andere Leser weggeschnarcht.

„Bittesehr,

Soll das vereint sein?

Abernatuerlich. Ebenso wie Holger auch mit Doppelpunkt spricht.

eine sehr männliche Lösung gegen undichte Türen
Die Tuer ist tatsaechlich neu hinzugefuegt. Ich habe Alex naemlich vom unenthusiastischen Kunstgeschichtsstudenten zum Schreiner gemacht. Fuer den Sexappeal und die Spannung. Diese Tuer hat mein Stiefvater tatsaechlich fuer unser extrem schiefes Fachwerkhaus gebaut. Mit einer Katzenklappe drin ueber der ein "Herren"-Toilettenschild haengt.

Und obwohl es doch alles ganz gut zu laufen scheint, hatte ich immer dieses schleichende, ungute Gefühl; die Umgebung - der umgekippte See, der geometrische Garten mit dem verbrannten Gras und die Rosen, die nur abends duften. Diese kleine, leise Diskrepanz, habe ich geliebt.
Boah Fliege, du Profileser! Mir wird ganz warm.

Also ich kann gar nicht so viel antworten, weil ich das Gefuehl habe, Du liest es so, wie ich es mir immer gewuenscht habe. Vielen Dank dafuer.

fiz

 

Bonjour!
Hab diese Geschichte mal vor einiger Zeit gelesen, und nun is sie mir die letzten Tage durch den Kopf gegangen. Also beschloss ich, sie heut mal zu suchen, was erst ein Problem war, da ich mir weder Titel, noch Autor gemerkt hatte. Nur der Plot war noch da.
Also zur Sprache kann man nichts sagen, was nicht schon gesagt worden wäre (die Kommentare habe ich auch mal überflogen). Grandios.

Zum Inhalt, der ja viel offen lässt: Ich hatte die ganze Zeit beim Lesen das Gefühl, als fühlte sich der Protagonist extrem hingezogen zu der schwangeren Frau, vielleicht schon aus der Zeit vor ihrer Schwangerschaft, und versucht sich nun so viel wie möglich ihre Verführungskraft zu mindern, wie durch das Lesen über Schleimpfropf und co.
Teilweise fragte ich mich, ob er und Susanne nicht ein Geheimnis teilten, so wie sie still ihre Zigarette teilen (ein Verbot für eine Schwangere, die Grenzübertretung durch ihn, vielleicht vor ihrer Schwangerschaft mit ihm?)
Also, das war meine Lesart. Keine Ahnung ob die Welt, oder du diesen Kommentar zu dieser bereits vielbesprochenen Geschichte noch braucht, aber ich fühlte diesen Drang, das hier noch mal zu suchen, lesen und kommetieren. Dieser Magnet, diese Susanne, das verruchte Stück...
Timo

 
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Hallo TimoKatze,

Keine Ahnung ob die Welt, oder du diesen Kommentar zu dieser bereits vielbesprochenen Geschichte noch braucht, aber ich fühlte diesen Drang, das hier noch mal zu suchen, lesen und kommetieren.
auf jeden Fall braucht es diesen Kommentar. Da kann ich sowieso nie genug von bekommen, egal was die Welt davon haelt, zumal dies meine persoenliche Lieblingsgeschichte ist. Und ausserdem dies:
Nur der Plot war noch da.
freut mich um so mehr, als ja einige boese Zungen behaupten, diese Geschichte habe gar keinen Plot :D Also, das ist ein sehr schoenes Kompliment, dass Dich die Geschichte so zurueckziehen konnte.

Zum Inhalt, der ja viel offen lässt: Ich hatte die ganze Zeit beim Lesen das Gefühl, als fühlte sich der Protagonist extrem hingezogen zu der schwangeren Frau, vielleicht schon aus der Zeit vor ihrer Schwangerschaft, und versucht sich nun so viel wie möglich ihre Verführungskraft zu mindern, wie durch das Lesen über Schleimpfropf und co.
Also so viel wird da anscheinend doch nicht offengelassen, denn Du hast hier die Quintessenz der Geschichte schon gut getroffen: Anziehung und Angst. Obwohl ich das doch hauptsaechlich auf den jetzt schwangeren Zustand bezogen meinte, aber das steht tatsaechlich nicht so drin.

Teilweise fragte ich mich, ob er und Susanne nicht ein Geheimnis teilten, so wie sie still ihre Zigarette teilen (ein Verbot für eine Schwangere, die Grenzübertretung durch ihn, vielleicht vor ihrer Schwangerschaft mit ihm?)
Wow! Waere ich da mal selbst drauf gekommen. An so ein Kuckuckskind habe ich eigentlich nicht gedacht, scheint mir aber eine berechtigte Lesart. Allerdings kaeme ich mir dem Leser gegenueber ein bisschen schaebig vor, wenn ich ihm in dieser Geschichte der Ungesagtheiten auch noch so eine wichtige Tatsache vorenthalten wuerde.

Vielen Dank fuer Deinen Kommentar und liebe Gruesse,

fiz

 
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Hallo Feirefiz,


Ich les das so:

Der Ich-Erzähler fühlt sich stark zu Suzanne hingezogen, und stark von Holger bedroht, der nicht nur Suzanne fickt, sondern seine Freundin eigentlich auch.

„Holger weiß sowieso, wie ich mich anhöre.“

Ist natürlich ein absolutes No-go sowas. Frauen, die sowas zu dir sagen … da müsste man eigentlich gleich losziehen und fremdgehen. Nur so fürs Ego. Oder aus Prinzip. Die Geschichte lebt von der sexuellen Spannung, die hier ständig präsent ist, das finde ich gut.


Also das Problem ist hier folgendes: Kein normaler Mann geht mit dem Exfreund und der Freundin irgendwohin in Urlaub. Es gibt Grenzen, was ein Mann alles ertragen muss, und das ist eine.
Aber diese Leute hier... die sind so fein und edel und "zivilisiert", dass sie meinen, so 0815 Triebe einfach unterdrücken und ignorieren zu können.
Sie verstehen ganz viel von Kunst und Architektur und Kochen, aber jeder Straßenkanake wüsste sofort, dass man sich nicht auf einen solchen Urlaub einlassen kann, dass das nicht gut geht. So ist es doch.


Während des Essens wird wieder über andere Dinge gesprochen – über den Kulturetat der Stadt –

Wir frühstücken unter Pappeln, wie Marie behauptet, nachdem sie eine längere botanische Diskussion für gewonnen erklärt hat. Marie, Holger und ich essen Rohmilchkäse und Susanne Foie Gras. Ich warte darauf, dass das Fett ihr Lippenrot auflöst, doch es geschieht nicht. Es strahlt genauso blendend wie am Morgen.
Holger fragt, ob wir uns heute ein Schloss ansehen wollen.

Ich mag ja auch gutes Essen und so ... trotzdem sehe hier die ganze Zeit Match Point von Woody Allen und irgendwelche Aristokraten vor mir.

Es ist effizienter Sex. Es wird nicht gesprochen und sie sind nicht laut – sie müssen weder uns noch sich selbst etwas beweisen – trotzdem kann ich jeden Atemzug, jedes Härchen, das sich unter einer Berühung aufrichtet, hören und stelle mir vor, wie Susanne rote Flecken auf Holgers Gesicht, auf den Geheimratsecken, den Ohren und seinem Körper verteilt, wie eine ansteckende Kinderkrankheit.

Natürlich nicht. Der Ich-Erzähler hätte sich selbst und den anderen was zu beweisen. Da fühlt er sich ja massiv bedroht. Ich hab hier auch mal ne Geschichte geschrieben mit einer ganz ähnlichen Situation, dieses Lauschen der anderen im Bett.

Ich sehe mir Bilder von halbierten Frauen mit ganzen Föten an und vermeide die letzten Kapitel mit den Bildern über Geburt und hässlichen, roten Babys. Ich lese über die Veränderungen des Körpers.

Diese Schwangerschaft ist auch nichts "Geheimnisvolles", sondern nur der Beweis für Holgers Potenz, bzw. Suzannes Fruchtbarkeit. Ich glaube, der Ich-Erzähler macht sich da was vor. Oder er checkts halt nicht. Wenn ich mit einem süßen Baby im Arm herumlaufe, und es nur so gluckst und lacht, habe ich auch etwas Geheimnisvolles an mir ...
Die Schwangerschaft ist quasi symbolisch für die "echte Welt", die triebhafte, darwinistische, und sie greift in die ihre ein, wo man nur über Kunst redet oder sich wegen Blumen streitet, und so tut, als könnte man mit dem Typ, der früher deine Freundin gebumst hat, abhängen und Spaß haben. Das ist schon witzig auch.
Und das alles bedroht den Ich-Erzähler nur zusätzlich. Und am Ende ist er einfach nur wahnsinnig erleichtert.


„Alles bereit!“, sage ich, beuge mich zu ihr hinüber und gebe ihr einen Kuss.

Die ganzen schönen Details haben einen quälenden Effekt auf den Leser, weil hier etwas krass Unausgesprochenes im Raum steht, und sie immer nur "subtil" drauf hindeuten. Man ist auch selbst ein bisschen erleichtert, wenn die Geschichte zu Ende ist. Das klingt vielleicht negativ, aber so meine ich das nicht, man spürt diese Spannung halt die ganze Zeit, das ist gut.

Mir wäre es aber auch lieber gewesen, wenn es ausartet. Wenn es richtig sexuell und verrückt werden würde. Das ist natürlich schwieriger und vielleicht unschöner, so ist das alles glatt ... aber hier leistest du bereits so gute Vorarbeit – eigentlich müsste hier noch ein Partnertausch mit krassen Sexszenen kommen. Unsere Augen würden da am echt am Bildschirm kleben. Und das ist doch irgendwo auch Ziel eines Autors, oder nicht?
Solche Sachen muss man einfach mal wagen, glaube ich. So wird das Wasser immer nur angehitzt, aber nie zum Kochen gebracht.

Wen ich noch nicht ganz zum Greifen bekomme, ist Marie. Wie stellt sie sich das hier alles vor? Warum will sie überhaupt dahin? Ist sie wirklich so naiv? Checkt sie hier gar nichts?
Ich muss es glaub nochmal lesen … mach ich auch gerne, interessanter Text auf jeden Fall, gute Empfehlung.

MfG,

JuJu


Ps...


Hab ich irgendwie grad dran denken müssen. Hier ein Kommentar von Quinn zu Flieges Geschichte, das Bild des Tigers.

Also in der ersten Szene, da ist sie ja grade dabei den Penis ihres Freundes zu bearbeiten und das endet mit:
Zitat:
Platsch! Pauls Rute im Wasser.
Und eine zweite Komponente spielt mit rein, die Erzählerin wird als Frau abgelehnt, in ihrer Sexualität.

Und die schrebst hier:

Überhaupt ist das gesamte Tal in diesem Jahr wegen der Hitzewelle nicht so lieblich wie sonst, hat mir Holger erklärt und ich erzähle es jetzt Marie.
„Wir waren schon mal hier in der Nähe,“ sagt sie und stochert mit einem Schilfhalm in der trüben Suppe,

Finde ich ganz interessant, diese Paralelle. Überhaupt, die beiden Geschichten, da gibts Parallelen.
Sie fühlt sich zu Holger hingezogen, und wird jetzt von beiden Männern abgelehnt.
Marie sollte fremdgehen. Irgendwer sollte in dieser Geschichte fremdgehen.

Ansonsten, ja, der Text macht mich schon auch ein bisschen fertig:

und gucken einen französischen Film, in dem zarte Knaben und noch zartere Mädchen nackt in großen weißen Betten liegen und miteinander reden.
„Macht es dir wirklich nichts aus? Wenn du dich langweilst, können wir auch Skat spielen“, bietet Holger an.

„Erzähl mir, wie wir uns zum ersten Mal geküsst haben.“ Sie streicht mir die Haare aus der Stirn.
Ich bin kooperativ und erzähle ihr, wie wir uns am Abend der Vernissage zum ersten Mal geküsst haben und dass ich mir damals nicht sicher war, ob es in mir toste, weil wir unter der tonnenschweren, mit Echtfell bezogenen Pferdekadaverplastik standen, die von der Decke baumelnd „kreatürliche Präsenz“ erzeugte, oder ob es die kreatürliche Präsenz von Maries kleinem Körper war, der sich an meinen drängte. Und ich erzählte ihr, wie ich Wochen zuvor geflucht hatte, als wir die Kadaverskulptur in unser Spezialgerüst einhängen mussten. "Muss Kunst so schwer sein?", hat mein Chef geschimpft.
„Mein kleiner Kunstbanause“, sagt Marie, nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich.

Da will man ja schreien. :)

 

Hallo feirefiz,

das ist ein Text "der feinen Klinge" mit vielen Zwischentönen. Die Personenkonstellation ist theaterreif gewählt, mit dem Quartett kann viel machen, muss man aber nicht, und es bleibt trotzdem genug - wenn man die Kunst der Zwischentöne beherrscht.

Ich finde, das ist dir gut gelungen, stimmungsvoll und atmosphärisch und mit passenden, authentischen Dialogen. Wobei es bei deinen Figuren Ecken und kannten nur zu erahnen gibt. Besonders spannend ist natürlich die Haltung deines Prots gegenüber Susanne, dieses fast schamhafte Beobachten einer in sich ruhenden Frau und werdenden Mutter, die einen tiefe erotische Faszination auf ihn ausübt, gegen die er sich immer wieder zur Wehr setzen muss etwas Sündhaftes & Symbolisches, das (wie ich finde) schwangere Frauen oft ausstrahlen.

Deine Personen bewegen sich zwar recht konfliktscheu in ihren Rollen, ab du lieferst durch feine Beobachtungen sehr viel Hinweise, dass da unter den Oberflächen viel mehr zu vermuten ist. Daraus bezieht der Text eine besondere Spannung.

Rund um gelungen und die Empfehlung kann ich nur unterstreichen.

Rick

 
Zuletzt bearbeitet:

So, jetzt aber:

Wie kann ich mich nun angemessen vor Euch in den Staub werfen und meine aufrichtig empfundene Beschaemung zum Ausdruck bringen? Ich habe es erst vor ein paar Tagen gesehen. Ich war unregelmaessig und unaufmerksam und es ist mir durch die Lappen gegangen. Das ist unhoeflich und nachlaessig. Ich bitte um Entschuldigung.

Lieber Kubus,

vielen herzlichen Dank fuer die Empfehlung dieser meiner Lieblingsgeschichte. Sie hat nicht den meisten Plot, aber dafuer die meisten interessanten Figuren aller meiner Geschichten und ist mir besonders voegelchenatmosphaerisch noch immer sehr nahe.

Lieber Juju,

vielen Dank fuer Deinen Kommentar. Der hat mich echt nochmal zum Denken und Nachlesen gebracht.

Der Ich-Erzähler fühlt sich stark zu Suzanne hingezogen, und stark von Holger bedroht, der nicht nur Suzanne fickt, sondern seine Freundin eigentlich auch.
Ja, aber das ist ja nur gerecht, denn Ich fickt ja auch irgendwie Holgers Frau. Und Holger selbst ist es wohl von allen am wenigsten schuld. Im Nachhinein fand ich es schon lustig, dass die Figur des alpha-male hier von so einem geheimratseckigen und betont harmlosen Intelektuellen gespielt wird. Dagegen habe ich mir den Erzaehler als den deutlich juengeren und mit seinem Handwerkertum ausserlich maennlicheren Part gedacht. Aber der kneift halt staendig den Schwanz ein, also konterkarieren sich die Maennlichkeitsbilder hier ganz huebsch. Das war schon auch ein wichtiges Thema fuer mich beim Schreiben. Ich ueberlege grad, ob ich eine Winzszene hinzufuege, in der Ich zumindest mal groben, maennlichen Sex imaginieren darf.

Also das Problem ist hier folgendes: Kein normaler Mann geht mit dem Exfreund und der Freundin irgendwohin in Urlaub. Es gibt Grenzen, was ein Mann alles ertragen muss, und das ist eine.
Aber diese Leute hier... die sind so fein und edel und "zivilisiert", dass sie meinen, so 0815 Triebe einfach unterdrücken und ignorieren zu können.
Sie verstehen ganz viel von Kunst und Architektur und Kochen, aber jeder Straßenkanake wüsste sofort, dass man sich nicht auf einen solchen Urlaub einlassen kann, dass das nicht gut geht. So ist es doch.
:D Das hast Du schoen gesagt. Dieses Ueberzivilisierte gegen jeden Instinkt. Ja, so ist das hier. Und das kommt so auch tatsaechlich in der realen Welt vor. Match Point habe ich schon mal gesehen, aber ich erinnere mich nur noch schemenhaft, aber Aristokratie klingt schon mal gut.

Ich hab hier auch mal ne Geschichte geschrieben mit einer ganz ähnlichen Situation, dieses Lauschen der anderen im Bett.
Die habe ich auch gelesen und gut gefunden. Aber nach Quinns Kommentar gab's da einfach nichts mehr zu zu sagen. Treffender Vergleich. Die Geschichten koennte man gut mal gegeneinander analysieren.

Wen ich noch nicht ganz zum Greifen bekomme, ist Marie. Wie stellt sie sich das hier alles vor? Warum will sie überhaupt dahin? Ist sie wirklich so naiv? Checkt sie hier gar nichts?
Besonders diese Fragen haben mich nochmal zum Nachdenken gebracht. Marie provoziert ihn ja absichtlich immer wieder zur Eifersucht. Es muss auch hart sein, mit so einem Phelegmatiker, denn zumindest nach aussen laesst er sich ja nichts anmerken, deshalb piekt sie immer weiter. Wahrscheinlich haette sie es auch besser gefunden, wenn er auf den Tisch gehauen und gesagt haette "mit deinem Ex nach Frankreich, ich glaube es hackt". Natuerlich haette sie das nie zugegeben, sondern ihn dafuer beschimpft.
Und auch fuer sie muss die Situation ja aehnlich schwierig sein. Ihren Ex da gluecklich mit diesem schwangeren Ueberweib zu sehen. Das haette sie ja auch sein koennen. Sie hat jetzt zwar nen juengeren und garantiert extrem gutaussehenden Handwerker (das muss man wissen, dass meine Protagonisten ihren leichten Autismus durch umwerfende Attraktivitaet ausgleichen :D), und wuerde Holger und Susanne bestimmt auch gerne hoeren lassen, wie potent der ist, but alas!

stochert mit einem Schilfhalm in der trüben Suppe
Ja, stimmt. Mir sind da ganz viele solche Dinger reingeraten. Am krassesten das verwitterte Holz zwischen den Beinen. Das war nicht so richtig geplant, also diese Brutpfuetze natuerlich schon, aber das Stochern nicht so bewusst. Passt aber super.

Mir wäre es aber auch lieber gewesen, wenn es ausartet. Wenn es richtig sexuell und verrückt werden würde. Das ist natürlich schwieriger und vielleicht unschöner, so ist das alles glatt ... aber hier leistest du bereits so gute Vorarbeit – eigentlich müsste hier noch ein Partnertausch mit krassen Sexszenen kommen. Unsere Augen würden da am echt am Bildschirm kleben. Und das ist doch irgendwo auch Ziel eines Autors, oder nicht?
Solche Sachen muss man einfach mal wagen, glaube ich. So wird das Wasser immer nur angehitzt, aber nie zum Kochen gebracht.
Ich bin selbst etwas hin- und hergerissen. Einerseits mag ich das Untergruendige, das Unausgesprochene und finde es irgendwie auch authentischer. Andererseits hast Du natuerlich recht, dass man es irgendwann einfach knallen sehen will und das koennte man bei dem Aufbau wohl auch ohne grosse psychologische Erklaerungsschwierigkeiten tun. Das ist eben so ne Grundsatzentscheidung. Es reizt mich schon auch, so ein Ende mit Peng zu schreiben. Und da ich im Moment eh keine andere Inspiration habe, tue ich das vielleicht sogar, aber nur als zweite Version, denn diese leisere liegt mir auch am Herzen. Und wenn man den Leser durch unaufgeloeste Spannung mal so richtig Quaelen und zum Schreien bringen kann, ist das ja auch schoen.

Also nochmal vielen Dank. Durch Deinen Kommentar beschaeftigt mich der Text jetzt echt nochmal sehr.

Lieber Rick,

es freut mich, dass Du die Figurenkonstellation magst. Das hat mir erst bewusst gemacht, wie stark die eigentlich ist. Und das man, vielleicht auch in anderen Texten, mal mehr damit rumexperimentieren koennte. Yours truly hat mal gesagt, bei meinen Protagonisten seinen alle anderen Figuren nur so Schemen. Das stimmt natuerlich, aber hier kann man am ehesten ahnen, dass in diesen Schemen viel drinsteckt, so'n richtiger Experte der Figurenkonstellation bin ich sonst glaube ich nicht. Ich mach mir da beim Schreiben zumindest selten bewusst Gedanken drueber.

Besonders spannend ist natürlich die Haltung deines Prots gegenüber Susanne, dieses fast schamhafte Beobachten einer in sich ruhenden Frau und werdenden Mutter, die einen tiefe erotische Faszination auf ihn ausübt, gegen die er sich immer wieder zur Wehr setzen muss etwas Sündhaftes & Symbolisches, das (wie ich finde) schwangere Frauen oft ausstrahlen.
Schoen, dass das authentisch rueberkommt. Ein Aspekt der sich da natuerlich auch reinmischt, ist die ganz pragmatische Angst des jungen Mannes, seine aeltere Freundin koennte sich nun auch mit Kinderwunsch anstecken.

Vielen Dank fuer Deinen Kommentar und fuer's Gutfinden.

lg,
fiz

 

Hallo feirefiz,

ich mag deine Geschichte. "Wie eine ansteckende Kinderkrankheit" betitelst du die Erzählung um Susanne und ihren Lippen, die nur darauf warten, Marie mit Kinderwunsch zu infizieren. Susanne, das ist von Anfang an die schwangere Frau von Maries Exfreund.

und lupft die Vögelchentagesdecke vorsichtig, als fürchte sie, ein Schwarm Tauben könne plötzlich darunter hervorstieben und sich in ihrem Haar verfangen.
Wunderbar!

„Außerdem: Susanne schläft und Holger weiß sowieso, wie ich mich anhöre.“
Das ist mies! Aber: Gut geschrieben. Schön finde ich dann auch, wie sie das in den Koffer spricht und eigentlich schon wieder bereut. Den Satz hätte sie nicht auspacken dürfen.

Überhaupt die Spannung zwischen Holger und dem Ich-Erzähler. Mit dem Exfreund seiner Freundin/ Frau abzuhängen hat immer einen komischen Beigeschmack. Aber du kritzelst hier eine stille Aggression zwischen die beiden, eine angestrengte Annäherung. Hier zum Beispiel:

Holger tritt hinter mir ins Freie und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Marie ist noch im Bad? Dann können wir zwei ja schon mal Baguettes jagen gehen.“
Zwischendurch eine kleine Anmerkung: statt "schon mal" "noch schnell"?

Wie der Erzähler Susanne sieht, hast du sehr interessant dargestellt. Eine seltsame Mischung ist das, er fühlt sich angezogen und abgestoßen zugleich.

Sie umarmt mich fest und ich fühle ihre Schwangerschaft am ganzen Körper, versuche mich an den entsprechenden Stellen konkav zu wölben.

aber meistens liegt sie einfach nur da und betrachtet das Schattenspiel der Pappelblätter auf ihrem Busen und ihrem Bauch. Also betrachte auch ich meistens nur das Schattenspiel der Pappelblätter auf ihrem Busen und ihrem Bauch. Und das Rot auf ihren Lippen, das mir immer wieder als das Rot ihrer Lippen erscheinen will.
Gefällt mir außerordentlich gut! Selten hören sich Wiederholungen so schön an.

Ich hebe Susannes Glas aus dem Becken, wo die anderen Gläser klingend gegeneinandertreiben, hebe es am Stiel hoch, betrachte den rotverzierten und schaumbekränzten Rand und atme aus. Mit der dunkelgrünen Seite des Schwamms fahre ich an Innen- und Außenseite des Glases entlang. Der erste Umlauf verschmiert die roten Münder, die einzeln sichtbaren Lippenfurchen, zu einer hellroten Schliere mit Schrubbseitenstruktur. Der zweite Umlauf und ein erneutes Eintauchen ins Wasser lassen das Glas blank zurück. Als ich mit der gelben Seite nachreibe, quietscht es beruhigend.
Das ist auch so eine Szene. Als könnte man damit die ansteckende Kinderkrankheit wegdesinfizieren. Die feine Bildsprache gefällt mir sehr gut, nur das "Innen- und Außenseite" will mir irgendwie rauspurzeln.

Als es nichts mehr zu hören gibt, knipst Marie das Licht aus und dreht mir den Rücken zu.
Synästhesie!

Das Vogelmotiv drängt sich mir irgendwie so auf. Lass sie doch vögeln ohne ständig von Vögeln zu sprechen. Ich sehe dahinter keine besondere Bedeutung.

Deine ganze Erzählung ist so subtil, hin und wieder erscheinen mir Stellen wie Metaphern und dann die ansteckende Kinderkrankheit, die vier Figuren, die wie Gläser im Spülbecken aneinander treiben. Man weiß nicht viel mehr, wenn man deine Zeilen liest, aber man hat viel gespürt.

Wirklich gut gelungen!

Beste Grüße
markus.

 
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Hallo Markus,

es freut mich wirklich, dass jetzt wieder ein paar neue Leser in diesem betagten Text auf Schatzsuche gehen, sich Lieblingsbilder herauspicken, die Figuren sezieren und immer wieder was finden, was ich selbst noch gar nicht gesehen hatte. Da huepft das Autorenherz.

z.B.

Das ist mies! Aber: Gut geschrieben. Schön finde ich dann auch, wie sie das in den Koffer spricht und eigentlich schon wieder bereut. Den Satz hätte sie nicht auspacken dürfen.
Das ist eine schoene und sehr treffende Koffersymbolik. Also ich hab sie extra von ihm weg sprechen lassen, aber Du hast Recht, da steckt mehr in dem Bild als nur das.

Überhaupt die Spannung zwischen Holger und dem Ich-Erzähler. Mit dem Exfreund seiner Freundin/ Frau abzuhängen hat immer einen komischen Beigeschmack. Aber du kritzelst hier eine stille Aggression zwischen die beiden, eine angestrengte Annäherung.
Ja, "angestrengte Annaeherung" trifft es ganz gut. Holger bemueht sich da ja die ganze Zeit, so eine Art Maennerbund, auch durch gemeinsame Baguettejagd, aufzubauen. Das ist absurd und fast schon ein wenig anbiedernd, trotzdem ist er teilweise der einzige Verbuendete des Helden, der genau weiss, wann dieser mal zum Krauterpfluecken an die frische Luft geschickt werden muss.

Das ist auch so eine Szene. Als könnte man damit die ansteckende Kinderkrankheit wegdesinfizieren. Die feine Bildsprache gefällt mir sehr gut, nur das "Innen- und Außenseite" will mir irgendwie rauspurzeln.
Ja, so war das gedacht, als Desinfektion. Stimmt auch, dass diese Bindestrichformulierung da rausfaellt. Hast Du mir aehnliche Formulierungen nicht schon mal im "Fuks" angestrichen? Ich weiss nicht, irgendwie stehe ich auf so sperrige Worthaken, so als Bruch, aber ich denk auf jeden Fall noch mal drueber nach.

Das Vogelmotiv drängt sich mir irgendwie so auf. Lass sie doch vögeln ohne ständig von Vögeln zu sprechen. Ich sehe dahinter keine besondere Bedeutung.
Also darum geht es ja, um diese bedrueckende Voegelerwartung oder -pflicht, der sie eben nicht entsprechen koennen. Das ist ja eins der zentralen Probleme hier, der inoffizielle Wettstreit der Maenner, der Frauen, der Paare.

Deine ganze Erzählung ist so subtil, hin und wieder erscheinen mir Stellen wie Metaphern und dann die ansteckende Kinderkrankheit, die vier Figuren, die wie Gläser im Spülbecken aneinander treiben. Man weiß nicht viel mehr, wenn man deine Zeilen liest, aber man hat viel gespürt.

Wirklich gut gelungen!


Also vielen Dank dafuer, besonders weil Du meine Bilder so schoen weiterspinnst. Im Spuelbecken aneinandertreibende Figuren ist echt grossartig, und es stimmt auch noch genau! Danke fuer's Zeigen!

lg,
fiz

 

Hey fiz,

ich kann diese Geschichte immer und immer und immer und immer wieder lesen, ohne, dass sie langweilig wird, das ist echt erstaunlich, ich werde irgendwann dahinter kommen (bin ich schon längst) und werde es besser machen. :P Die motiviert mich richtig.

JoBlack

P.S.: Die Geschichte hab ich dank der Empfehlung wahrgenommen, die ich hiermit auch unterschreibe. Der Titel schreckt ab. Kinder und Krankheit und dann auch noch Kinderkrankheit sind Sachen, über die ich nicht unbedingt lesen möchte. ;P

 

Hey Jo,

das ist ein schönes Kompliment: mehrfaches Lesen und Übertrumpfungsmotivation. Das freut mich.

Der Titel schreckt ab. Kinder und Krankheit und dann auch noch Kinderkrankheit sind Sachen, über die ich nicht unbedingt lesen möchte. ;P
Seit wann bist Du denn so empfindlich? "Marshmallows, Kätzchen und Mojitos" wäre doch auch kein anziehender Titel. Ursprünglich hiess die Geschichte ja "Lippenstift und Schleimpfropf". Das wurde auch gerügt, und da konnte ich das Abschreckungspotential sogar nachvollziehen.

lg,
fiz

 

Hallo firefiz, diese Geschichte hat mir außerordentlich gut gefallen. Der Titel hatte mich zuerst abgeschreckt, aber nachdem ich angefangen hatte zu lesen, zog mich die Sprache in ihren Bann. Die Geschichte bleibt bei mir haften. Bonjour Tristesse. GD

 

Hallo Goldene Dame,

schön, dass es Dir gefallen hat. Der Vergleich mit "Bonjour Tristesse" gefällt mir sehr gut. Ich hab den nämlich auch als Text mit sehr dichter, fast schneidbarer Atmosphäre, viel Figurenbeziehungen und kaum Oberflächenhandlung im Gedächtnis. Sowas gefällt mir beim Lesen und wenn es mir beim Schreiben auch gelingt, bin ich glücklich.

Vielen Dank und liebe Grüße,

fiz

 

hallo feirefiz,

eine auf allen ebenen hervorragende geschichte; inhaltlich, formal, stilistisch. Spannend, ironisch, subtil.

mehr gibt es nicht zu sagen.

petdays

 

Hallo petdays,

vielen Dank fuer Dein Lob. ich war jetzt laenger nicht da, aber es war ne nette Ueberaschung bei der Rueckkehr.

Liebe Gruesse,

fiz

 

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