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Wie verschenkt man einen Stern?
Sie wusste nicht , wer die alte Frau war, der sie dieses Versprechen gegeben hatte. Sie hatte ihr nur helfen wollen die viel zu schweren Taschen zu tragen. Doch als sie bei ihrem Haus angekommen waren, da hat die Alte sie mit ihren seltsamen Worten völlig überrumpelt. "Du scheinst ein nettes Mädchen zu sein. Deshalb möchte ich dir ein großes Geschenk machen. Ich verrate dir, wie du den richtigen Mann zum heiraten findest." Zuerst dachte das Mädchen die Alte wollte sie verkuppeln, vielleicht mit einem ihrer Söhne. Doch statt dessen wollte sie, dass das Mädchen ihr ein Versprechen gab. Das Versprechen, keinen anderen zu heiraten, als den, der ihr bis Neujahr die Sterne vom Himmel holt. Überrascht von der Eindringlichkeit, mit der ihr die Alte dieses Versprechen abverlangte stimmte sie zu.
In den nächsten Monaten wollten sie einige junge Männer zur Frau nehmen. Doch eine innere Stimme sagte ihr, dass es wichtig wäre sich an das Versprechen zu halten. Und so gab sie jedem die gleiche Antwort: "Wenn du mir bis Neujahr die Sterne vom Himmel holst werde ich ja sagen".
Sie machte sich viele Gedanken, warum die alte Frau ausgerechnet auf so ein Versprechen gekommen war. Schon oft hatte sie gehört, dass ein Mann seiner Frau versprach die Sterne vom Himmel zu holen. Aber seltsamer Weise hatte sie noch nie gehört, dass es einer auch tatsächlich getan hätte. So wartete sie gespannt, ob am ersten Tag im neuen Jahr ihr tatsächlich jemand einen Stern bringen würde.
Und wirklich, schon kurz nach Sonnenaufgang stand ein Mann mit einem kleinen Paket vor ihrer Türe. Gespannt öffnete sie es - doch darin war nur ein Stück Papier. Eine Besitzurkunde für einen Stern. Enttäuscht gab sie ihm das Paket zurück. Denn ein Blatt Papier war einfach kein echter Stern. Es war nur ein weiteres Versprechen.
Kaum hatte sie die Türe geschlossen klopfte es erneut. Auch der nächste Verehrer überreichte ihr ein Paket, ein bisschen größer als das erste. Und als sie es öffnete, da sah sie tatsächlich einen Stern. Einen Stern aus Holz. Dachte er wirklich, dass sie das für einen echten Stern halten würde? Sie wollte keinen Mann, der für so leichtgläubig hielt.
Vielleicht hatte die alte Frau wirklich recht gehabt mit diesem Versprechen. Die falschen Sterne, sagten viel über ihren Überbringer aus. Im nächsten Paket war zum Beispiel ein Stein, der angeblich von einem Stern stammte. Aber bei genauerer Betrachtung den Kieselsteinen neben ihrem Blumenbeet auffällig ähnlich sah. Er hat einfach einen ihrer Steine gestohlen und ihr geschenkt. Bald wollte sie die Türe gar nicht mehr öffnen, sie hatte genug von den vielen Lügen und leeren Versprechungen.
Doch dann klopfte es ganz besonders beharrlich und sie öffnete Türe noch ein letztes Mal. Eigentlich wollte sie den Mann ja gleich wegzuschicken ohne sich den nächsten falschen Stern anzusehen. Aber gerade als sie tief Luft geholt hatte, um den Mann wegzuschicken, fiel ihr auf, dass etwas an diesem Mann anders war. Er hatte nämlich gar kein Paket dabei.
"Du bist keiner von denen , die mir einen Stern schenken wollen. Aber was machst du denn dann hier vor meiner Türe, mitten in der Nacht?"
"Doch, ich möchte dir einen Stern holen."
"Und du hast dir nicht die Mühe gemacht, so wie die anderen irgendetwas in eine Schachtel zu stecken und zu behaupten es wäre ein Stern? "
"Ich hab mir sogar viel Mühe gegeben. Das erste Sternenschiff, die ich gebaut habe um für dich zu den Sternen zu fliegen war wunderschön. Leider aber nicht so stabil, es ist mir gleich beim ersten Flugversuch um die Ohren geflogen. Die zweite hat es ein paar Meter geschafft, aber beim ersten Hügel ist sie schon hängen geblieben. Aber ich bin mir sicher, beim nächsten Versuch könnte ich es schaffen."
"Du hat für mich Schiff gebaut, das bis zu den Sternen fliegen kann? Sogar zwei?" die Stimme des Mädchen zitterte ein bisschen, so gerührt war sie.
"Ja, wie sonst sollte ich dir denn einen Stern holen? Aber ich wollte dich um mehr Zeit bitten. Bis Neujahr, das war einfach viel zu knapp. Wenn du möchtest werde ich aber gerne weiter versuchen. Bis ich dir deinen Stern bringen kann"
Sie wusste, diesen Mann wollte sie nie wieder gehen lassen. Kurz entschlossen nahm sie seine Hand und flüsterte in sein Ohr: "Wenn du mich noch einmal fragst, werde ich dir mit ja antworten."
"Und das Versprechen an diese Frau? Das Versprechen, das dir so wichtig war? Ich hab es doch noch nicht erfüllen können"
"Du hast mir mehr geschenkt, als ein glitzernden Gegenstand vom Himmel. Du hast mir das Gefühl gegeben jemanden an meiner Seite zu haben, der das Unmögliche für mich möglich machen würde. Und ich glaube, genau darum ging es dieser alten Frau. Mir zu zeigen, wer aus Liebe zu mir seine eigenen Grenzen überschreiten würde."
Und sie nahm sich vor, selbst eines Tages anderen Mädchen ein ähnliches Versprechen abzunehmen. Und ihnen zu helfen, den Mann zu erkennen, dessen Liebe heller leuchtet als jeder Stern.