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Witwer

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14.08.2012
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Witwer

Liesi saust den Sandhügel hinauf und verschwindet in den Sträuchern, als er gerade mal den Teichgrund unter den Zehen spürt. Er kämpft sich die letzten Meter durchs Wasser, klettert das Ufer hoch und jagt hinter ihr her. Liesi flitzt durch den Wald, kurvt um die Bäume, dass Blätter und Rindenstücke nur so durch die Gegend fliegen, und er fühlt sich, als verfolgte er eine Antilope. Und keinen Augenblick kann die den Mund halten. Selbst jetzt, während sie rennt, kichert und quasselt sie in einem fort.
„… he, du Träumer, wo bleibst du denn, hast du dich verirrt? … Du willst Fußballer werden, du Schnecke? Hihi, Ich lach mich schief … ich hab schon geglaubt, du saufst mir ab im See … du lahme Ente, hihi …“
Und so weiter, so geht das ohne Pause. Wo nimmt die nur die Luft her, hat die überhaupt noch Zeit zum Atemholen? Er könnte sie manchmal erwürgen.
Er rennt wie ein Irrer und hat sie beinahe erwischt, da schlägt sie einen Haken und fegt durch ein Dickicht, als wäre das ein fadenscheiniger Vorhang, als wäre da gar nichts. Er lässt sich der Länge nach ins Gras plumpsen.
„Hast gewonnen, Liesi!“, ruft er und schnappt nach Luft.
Liesi taucht hinter einem Baum auf und grinst ihn an. Die feuchten Haare stehen ihr zu Berge, das ausgeleierte Badetrikot ist übersät mit Kletten und Brombeerranken. Wassertropfen zeichnen ein Muster in den Staub auf ihren Beinen und müssen da und dort einen frischen, rosigen Kratzer überqueren. Sie sieht aus wie eine Vogelscheuche, wie der leibhaftige Kobold aus einem Märchen.
„Ich geb‘ auf, Liesi.“
„Zwei zu null für mich, hihi.“
Sie lässt sich neben ihn fallen und tut dabei, als müsse sie nicht schnaufen, als wäre sie nicht genauso außer Atem wie er. So ein verrücktes Wiesel! Manchmal könnte er sie wirklich erwürgen.
„Da ist‘s so schön wie im richtigen Urwald“, flüstert sie.
„Das ist eh ein richtiger Urwald ... nur halt ohne Menschenfresser.“
Sie liegen nebeneinander auf dem Rücken, kneifen die Augen zusammen und schauen in das leuchtende Blätterdach. Was sehen sie dort oben? Papageien und Pfefferfresser mit riesigen Schnäbeln? Wirbeln Horden von schnatternden Klammeraffen durchs Geäst? Schnüffeln Tapire und Wasserschweine an ihren Fingern, schlängeln sich Anakondas über den Boden? Erstreckt sich der Dschungel endlos in alle Himmelsrichtungen?
„Wenn wir groß sind, fahren wir zum Amazonas, Franzl.“
„Wenn ich groß bin, werd‘ ich Traktoren reparieren wie der alte Horvath. So schaut’s aus.“
Liesi kichert. „Der Horvath ist plemplem, der hat zu mir gesagt, richtig schön ist‘s nur zu Hause. Der will ja nicht einmal über die Donau rüber in die Stadt, tut immer so, als wär‘ das eine Weltreise, der alte Depp.“
Sie dreht sich zu ihm und zupft Wasserlinsen aus seinen Haaren.
„Die Welt ist weit, die Welt ist bunt, die Welt ist groß und kugelrund …“, summt sie vor sich hin.
„Willst du wirklich nach Amerika, Liesi?“
„Nach Südamerika will ich und nach Grönland und nach Ägypten. Und nach Japan, nach Venedig, nach Sumatra, nach China, nach Ceylon, nach England, nach Paris, nach Feuerland, zum Kilimandscharo und zum Titicacasee, nach Madagaskar, nach Mexiko … überall will ich hin. Und Eisberge möchte ich sehen und die Pyramiden. Und Mammutbäume. Und Kokospalmen.“
Das ist ihr Lieblingslied, das kennt er, das hat endlos viele Strophen.
Sie schmiegt sich an ihn wie ein glatter, warmer Fischotter und ergreift seine Hand. Sie spielt mit seinen Fingern und ihre Haare kitzeln ihn an der Nase.
„Und dich nehm‘ ich mit“, haucht sie ihm ins Ohr.
Dann küsst sie ihn auf den Mund.

Franz blinzelt und fährt sich mit den Händen durch die Haare. Feuerland! Eisberge, lieber Himmel! Es ist drückend schwül, kein Windhauch regt sich, seit Tagen geht das so. Er starrt in die Baumkronen. Eine Armlänge über seiner Nase hängt eine Libelle in der Luft wie ein schwebendes blaues Streichholz, eine Azurjungfer. Papagei ist keiner zu sehen. Er rollt sich auf den Bauch, schnappt sich das Papier und den Bleistift und beginnt zu schreiben.

Liebste Liesi, die Welt wird von Tag zu Tag verrückter. Weißt du noch, wie stolz wir auf unsere Schrammen und Narben waren? Auf unsere blutigen Nasen? Auf die gestopften Risse und die aufgenähten Flicken auf unseren Hosen?
Die trugen wir wie Tapferkeitsmedaillen. Das waren die Orden für unseren täglichen Leichtsinn und Übermut, und manchmal bezahlten wir mit Tränen, aber meistens mit einem schiefen Grinsen. Unsere Heldentaten waren die Fahrradstürze und Raufereien, das Runterfliegen von Bäumen, das heimliche Eindringen in den Dachboden deiner Oma, in den mit Gerümpel vollgestopften Schuppen vom Horvath, das Durchstreifen und Entdecken unseres Urwaldes, das Erobern unserer ganzen Welt …
Und heute? Die Kinder kaufen sich für teures Geld kaputte, zerrissene Klamotten und nennen den Mist stolz „Designerjeans“. Was für ein Witz!

Franz spürt ein Kitzeln an der linken Hand. Ein Käfer erklimmt seinen Handrücken, überquert ihn, purzelt runter aufs Papier und krabbelt weiter. Behutsam folgt ihm Franz mit der Bleistiftspitze, malt eine graue, kurvige Linie auf das weiße Papier.
Der Käfer dreht eine Runde auf dem Brief und bleibt stehen. Er ist bläulichschwarz und glänzt wie ein Edelstein. Die Nase knapp über dem Papier beginnt Franz, ihn zu zeichnen. Die Rundungen der Deckflügel und des Halsschildes, drei filigrane Beinpaare, den Kopf mit den kleinen Zangen, die Fühler ganz dünn, beinahe nicht zu sehen.
Als das Bild fertig ist, winzig wie ein Hosenknopf, krabbelt der Käfer weiter, der Bleistift zeichnet seinen Weg bis zum Rand des Blattes nach. Der Käfer verschwindet im Gras.

Ich habe keine Ahnung, wo dieser Käfer her kommt und ich weiß auch nicht, wohin er will ... aber ich weiß, wo ich noch hin will mit dir, Liesi, ich will so gern nach Feuerland und dort mit dir das Kreuz des Südens anschauen. Vielleicht müssen wir erst einen Vorhang aus Polarlicht zur Seite ziehen, um die Sterne sehen zu können, mit ein bisschen Glück.
Ach Liesi.

Franz setzt sich auf und zerknüllt den Brief. Er wickelt ihn um ein Steinchen und rollt ihn zwischen den Handflächen zu einer kleinen, festen Kugel. Dann wirft er ihn in den Teich. Er steckt sich eine Zigarette an und starrt aufs Wasser. Langsam versinkt das Papier.
Er steht auf und drückt ächzend das Kreuz durch. Obsidian, jetzt fällt es ihm ein, Obsidian heißt der schwarze Edelstein. Er packt seinen Kram zusammen, steigt aufs Fahrrad und fährt durch den Auwald nach Hause.

 

Hallo ernst offshore,

ja, eine bezaubernde Geschichte, weich, farbig, lebendig und kraftvoll. Dabei noch flüssig zu lesen und gespickt mit wunderschönen Bildern. Ich habe sie ein paar Mal gelesen und dies mit Freude.
Da sollte ich mir eine Kritik verbieten, zumal sie an der Geschichte nichts ändert. Und dennoch:

Obsidian, jetzt fällt es ihm ein, Obsidian heißt der schwarze Edelstein.
Da möchte ich Einspruch erheben: Ein Obsidian ist eine vulkanische Glasschmelze, hat kein Kristallsystem und ist nicht mineralisch und daher fällt er nicht unter die Kategorie Edelstein. Ich würde daher einfach bei 'Stein' oder 'der glänzende Stein' bleiben.
Was aber passt: Der Stein wurde früher oft zu Kugeln geschliffen und dann als Trauerperlenkette getragen - oder als Rosenkranz für Trauernde.
Ich denk mir, ich erwähne es mal, nur so der Richtigkeit halber :)

Lieben Dank für die Geschichte und lieben Gruss,
Gisanne

 

Servus appo, servus Gisanne,

appo schrieb:
… und gedacht, da muss ich nichts zu schreiben und zwar auch deshalb, weil mir die Story sehr gut gefällt. Wenn man nichts Kritisches anzumerken hat, sieht ein Kommentar doch immer leicht nach Lobhudelei aus

Gisanne schrieb:
Ich habe sie ein paar Mal gelesen und dies mit Freude.

Keine Bange, appo, so abgeklärt bin ich noch lange nicht, dass ich mich nicht freute über jedes Lob, vielen Dank also, und auch dir, Gisanne, danke fürs freudvolle, mehrmalige(!) Lesen.

Wobei ich sagen muss, dass das nahezu einstimmige Lob der (kommentierenden) Leser zu dieser Geschichte und das weitgehende Ausbleiben von negativer Kritik dazu mich schön langsam verunsichern und mich die Geschichte immer skeptischer betrachten lassen.
Mit einem Text, den beinahe alle mögen, kann doch irgendwas nicht stimmen, denke ich mir, der ist einfach zu schön, zu gefällig, zu beliebig ... Irgendwas fehlt dem offenbar, irgendwas Verstörendes, Kontroverses, Widerborstiges, was weiß ich, keine Ahnung.
Aber was soll’s, ich will diese Zweifel einfach als Herausforderung sehen, mit einer eventuellen nächsten Geschichte mein Image ein wenig zu korrigieren und zu versuchen, wieder Anschluss zu finden an die Bande der Bösen Großen Buben.
Weil, bilde ich mir ein, es sollte doch das eigentliche Ziel jedes Schreibenden sein, die Leserschaft erbarmungslos zu spalten, leidenschaftliche Zustimmung hervorzurufen und gleichzeitig gnadenlose Verachtung, ein erbittertes Hickhack zwischen den Kritikern (Novak vs. Hank94 z.B., das wär‘ doch was) zu provozieren, eine Debatte auszulösen, in der man sich dann auch als der Autor gezwungen sieht, eindeutige Stellung zu beziehen und sich zu verteidigen. (Viel Feind, viel Ehr …)
Mal sehen, was mir als nächstes gelingt, sollte ich merken, dass es vielleicht wieder nur auf so einen konsensfähigen Wohlfühltext hinausläuft, werde ich mir einfach ein paar Jimmy-Geschichten um die Ohren hauen, wenn nötig mehrmals.


Gisanne schrieb:
Da möchte ich Einspruch erheben: Ein Obsidian ist eine vulkanische Glasschmelze, hat kein Kristallsystem und ist nicht mineralisch und daher fällt er nicht unter die Kategorie Edelstein.

Ein berechtigter Einspruch, liebe Gisanne,
aber um den „Fehler“ wusste ich schon, bevor ich die Geschichte hier einstellte.

B. schrieb:
Ein Stolperstein für mich ist der Obsidian, ein Vulkanglas, es hat meist hübsche Einschlüsse (Schneeflockenobsidian), nicht so ganz schwarz. Onyx. Der ist schwarz. Wähltest Du den Obsidian seiner geringen Bekanntheit wegen, oder weil das Wort schwer zu merken ist?

Das schrieb mir B., eine meiner liebsten Freundinnen seit Kindertagen, die als eine der ersten den Witwer zu lesen bekam. (Und der ich erst danach erzählte, dass sie - also sie als Dreizehnjährige - es sei, die mir Modell gestanden hat für die süße Liesi.)
Onyx vs. Obsidian?
Onyx heißt der schwarze Edelstein.
Obsidian heißt der schwarze Edelstein.
Beides sind wunderschöne Wörter und die Wahl fiel mir wirklich schwer. Letztlich entschied ich ganz pragmatisch zugunsten der Satzmelodie.
Und obendrein denkt das ja Franz, sagte ich mir, der muss ja nicht unbedingt Mineraloge sein.


Vielen Dank euch beiden,

offshore

 

Hallo ernst offshore,

mich hat an deiner Geschichte beeindruckt, dass du mit wenigen Worten Stimmungen erzeugst, für die andere Seitenlängen benötigen.

Wunderbar die lebendige Szene des jungen Pärchens. Da stimmt alles. Kein Wort zuviel, aber auch nichts ausgelassen. Man kann die beiden sehen, riechen, hört die Geräusche des Waldes und fühlt sich geradezu auf einer Decke liegend gleich nebenan, genauso atemlos wie dein Protagonist.

Da sind so viele Formulierungen, die ich perfekt fand. Deswegen, weil sie Atmosphäre ausdrücken, die Geschichte weiter treiben und so viel über die Zuneigung und die Sehnsucht mitteilen. Das ist eine romantische Geschichte geworden und das gefällt mir deswegen gerade gut, weil ich fürchte, dass es irgendwann keine solchen romantischen Momente mehr gibt.

Ich bin begeistert von dieser Geschichte.

Ich habe eher oberflächlich die Kritiken der anderen überflogen und frage mich, wieso niemand vorher eine Empfehlung ausgesprochen hat.
Das hol ich gleich nach.

Ein wenig irritierend fand ich, dass mir zu viel Deutung in puncto Alter des jungen Pärchens gelassen wurde. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie eigentlich noch Kinder waren oder schon herangereift. Der Kuss am Ende der Szene gibt mir keine Antwort dazu. Der Part des älteren Mannes ist mir da viel klarer. Ich überlege grad, wieso mir das Alter im ersten Teil der Geschichte wichtig erscheint.
Ich glaube, es liegt daran, dass ich gerne daran festmachen möchte, wie wichtig es der Liesi war, wie intensiv ihre Gefühle für ihn waren.

Den Titel, der festen Bezug zur Geschichte hat, finde ich hart. Das Wort Witwer hat etwas von einem Faustschlag. Ich wünschte, es wäre ein sanfterer, verspielterer Titel. Es brauht auch nicht des dringenden Hinweises auf den Inhalt der Geschichte durch den Titel, denn sie ist aus sich heraus verständlich.
Vielleicht verstehst du was ich meine.

Die Interpretation deiner Geschichte ist für mich jedenfalls geöffneter als es der Titel vielleicht vorhat. Klar könnte es sein, dass der zurückgelassene Partner aus einer Ehe oder sonstigen Lebensgemeinschaft durch das Briefeschreiben seiner Sehnsucht nach dem geliebten Wesen Ausdruck verleiht. Klar, könnte Liesi tot oder von ihm geschieden sein.

Aber es könnte auch ganz anders sein und man hat sich früh noch in der Jungend irgendwann entzweit, kein Leben zusammen geführt und es hat ihn die Liebe und zugleich Sehnsucht nach Liesis bunter Welt gepackt. Das würde sogar eher meine Interpretation sein, denn dann hätte das Briefeschreiben einen realistischen Sinn.
Aber seltsamerweise ist mir egal, wie man diese Geschichte deutet, es bleibt die wunderbare Atmosphäre erhalten, die sich einprägsam durch das ganze Geschehen zieht und mich eingehüllt hat.

Irgendwer unter den Kritikern macht dir das Kompliment, dass deine Art zu schreiben, bereits recht weit entwickelt sei. Den Eindruck habe ich auch.

Eine Kleinigkeit hat mich noch am Ende der Geschichte gestört. Dein Protagonist kaut auf dieser Papierkugel. Das fand ich ein wenig abstoßend, weil ich finde, dass Papier nicht mal ansatzweise schmeckt.

Vielleicht belässt du die Kugel weiterhin in der Hand des Protagonisten und er knetet sie, wobei du entscheiden kannst, wie er knetet, ob nun nachdenklich mechanisch oder wütend mit Druck oder liebevoll wie etwas Lebendiges oder oder ...


Lieben Gruß


lakita

 

Lieber ernst offshore,

so was Schönes! Und nur ein paar Minuten zu spät hab' ich geguckt, denn sonst hätte ich auch eine Empfehlung gegeben.
Die Stimmung am See, die Gefühle von Franz, hast du schlicht so genial eingefangen, dass ich mir die Geschichte ausdrucken werde :-)!

Ich finde übrigens nicht, dass die Intesität von Gefühlen am Alter hängt. Menschen, die noch nicht (ganz) erwachsen sind, können genau so intensiv (schwerwiegend) lieben wie alle anderen.

Schreib bald wieder was!

Schöne Grüße,

Eva

 
Zuletzt bearbeitet:

Lakita schrieb:
Ich bin begeistert von dieser Geschichte.

Und ich, liebe Lakita,
bin ehrlich berührt von deinem Kommentar, und ja, begeistert von deiner Empfehlung sind meine beiden Buben, die sind mächtig stolz auf mich ... („Respekt, alter Pöt!“)

Ein wenig irritierend fand ich, dass mir zu viel Deutung in puncto Alter des jungen Pärchens gelassen wurde. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie eigentlich noch Kinder waren oder schon herangereift. Der Kuss am Ende der Szene gibt mir keine Antwort dazu.

"Dann küsst sie ihn auf den Mund."
Das hab ich mir irgendwie als die Schlüsselszene der Geschichte gedacht, der allererste richtige Kuss, und ob die beiden jetzt dreizehn, vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sind, ist eigentlich egal, sich das auszudenken bleibt letztendlich den Lesern überlassen.
(Möglicherweise kommt die Geschichte gerade deshalb so gut an, weil es wahrscheinlich keinen Menschen gibt, der sich nicht an den ersten eigenen Kuss erinnern kann, und dafür, dass einem noch Jahrzehnte später der Gedanke daran ein Leuchten in die Augen zaubert, wird sich wohl niemand schämen.)

Aber es könnte auch ganz anders sein und man hat sich früh noch in der Jungend irgendwann entzweit, kein Leben zusammen geführt und es hat ihn die Liebe und zugleich Sehnsucht nach Liesis bunter Welt gepackt. Das würde sogar eher meine Interpretation sein, denn dann hätte das Briefeschreiben einen realistischen Sinn.

Diese Lesart hat außer dir eigentlich nur weltenläufer angesprochen:

weltenläufer schrieb:
Weiß nicht, ob das schon kam (…), aber eine Lesart wäre auch, dass dein Prot nie geheiratet hat, (…) und quasi mehr ein gefühlter Witwer ist.

Von den (kommentierenden) Lesern bist du der erste, glaube ich, dem diese Idee kam, und ich hoffe, auch der letzte, weil das eher nicht meine Erzählabsicht war. In meiner, zugegeben absurd romantischen Vorstellung, blickt Franz wirklich auf ein wunderbares Leben mit Liesi zurück und ist weniger ein trauernder, als vielmehr ein zufrieden Rückschau haltender alter Mann.

Und dann erwähnst du, Lakita, ohnehin noch:

Aber seltsamerweise ist mir egal, wie man diese Geschichte deutet, es bleibt die wunderbare Atmosphäre erhalten, die sich einprägsam durch das ganze Geschehen zieht und mich eingehüllt hat.

Und das finde ich natürlich schön, dass du von mir als Autor nicht die eine wahre, eindeutige Lesart einforderst, sondern dich allein schon von der Stimmung dazu verführen lässt, zwischen und hinter den Zeilen zu lesen und dir auszumalen, was mit Liesi und Franz möglicherweise geschehen ist.

Irgendwer unter den Kritikern macht dir das Kompliment, dass deine Art zu schreiben, bereits recht weit entwickelt sei. Den Eindruck habe ich auch.

An meine erste Geschichte wagte ich mich erst im Sommer letzten Jahres, ich bin sozusagen ein Spätberufener, umso mehr freut es mich, dass meine Art zu schreiben beinahe einhellig Anerkennung findet. Und zu meiner Rechtfertigung kann ich nur so viel sagen:

offshore schrieb:
Und dir, liebe Lina, will ich noch einen abschließenden Rat geben:
Solltest du bisher keinen „Schreib-und Stilratgeber“ in die Hand genommen haben, tu es auch weiterhin nicht. Schnapp dir stattdessen jedes Buch, das in deine Nähe kommt, und ich meine wirklich jedes, und lies und lies und lies. Sollte ein Buch Mist sein, hau es weg und schnapp dir das nächste. Und lies und lies, als ginge es ums Leben …

Das schrieb ich vor einigen Wochen hier im Forum unter den Debüttext einer Fünfzehnjährigen, dessen sprachliche Kraft und Unbekümmertheit mich wirklich beeindruckte.
Ich selbst nämlich zerbrach mir, bevor ich mich im August im Forum anmeldete, niemals im Leben den Kopf über die Theorie des Schreibhandwerks, ich habe immer nur gelesen und gelesen und gelesen …

Eine Kleinigkeit hat mich noch am Ende der Geschichte gestört. Dein Protagonist kaut auf dieser Papierkugel. Das fand ich ein wenig abstoßend, weil ich finde, dass Papier nicht mal ansatzweise schmeckt.

Ich wollte, dass Franz, während er eine Zigarette raucht, das langsame Versinken des Briefes beobachten kann.
Zerknüll mal ein Blatt Papier, Lakita, schmeiße es ins Wasser und warte drauf, dass es untergeht, da wartest du ewig und drei Tage, also musste ich mich dieses Kniffs bedienen und ließ Franz darauf herumkauen, nachdenklich, selbstvergessen, wie andere auf einem Grashalm oder Zündholz. Sonst säße der Arme ja noch heute am Ufer des Teiches.

Evaluisegroh schrieb:
so was Schönes! (…) Schreib bald wieder was!

Mal sehen, liebe Eva, motivierend ist euer Lob allemal.

Vielen Dank euch beiden!

offshore

 

Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen, was großteils an der sehr gelungenen Sprache liegt, die mehr impliziert als Gefühle beschreibt (und das ist gerade für einen emotionalen Text entscheidend).

An dieser Stelle hatte ich allerdings ein ambivalentes Gefühl:

Und so weiter, so geht das ohne Pause. Wo nimmt die nur die Luft her, hat die überhaupt noch Zeit zum Atemholen? Er könnte sie manchmal erwürgen.
Wieso erwürgen? Das hört sich vor allem nach dem vorhergehenden Satz unangemessen brutal an. Ist er hier wirklich aggressiv?

Solche Stellen gibt es einige, die das Gefühl von leichter Unstimmigkeit erzeugen, wiewohl sie stilistisch schön gemacht sind: Feinarbeit am Inhaltlichen/den Figuren? noch?

Viele Grüße

 

Servus FlicFlac,

FlicFlac schrieb:
An dieser Stelle hatte ich allerdings ein ambivalentes Gefühl:

Und so weiter, so geht das ohne Pause. Wo nimmt die nur die Luft her, hat die überhaupt noch Zeit zum Atemholen? Er könnte sie manchmal erwürgen.

Wieso erwürgen? Das hört sich vor allem nach dem vorhergehenden Satz unangemessen brutal an. Ist er hier wirklich aggressiv?

Von Aggressivität kann keine Rede sein, Franzl ist einfach in seinem Jungenstolz gekränkt, weil ihn Liesi beim Wettrennen wieder einmal hinter sich lässt, das kleine Luder, verdammt.
Das ist doch nur eine harmlose Redewendung wie: er könnte aus der Haut fahren, er könnte sie durch Sonne und Mond schießen, sowas halt und genauso wenig wortwörtlich zu verstehen.

appo z.B. hat diese Stelle ganz anders als du gelesen:

appo schrieb:
Und mittendrin eine ungewöhnliche und deshalb umso schönere Liebeserklärung:

Er könnte sie manchmal erwürgen.

Tja, eine Geschichte, viele Leser, viele Lesarten …

Feinarbeit am Inhaltlichen/den Figuren? noch?

Vergiss es, FlicFlac, das habe ich definitiv nicht vor.
Ich mag die Geschichte, natürlich, aber ich habe da schon mehr Arbeit reingesteckt, als man ihr ansieht (die hat gerade mal tausend Wörter, ich weiß), jetzt allerdings will ich nichts lieber, als sie wieder aus meinem Kopf raus zu kriegen, bevor die Melasse in meinem Hirn endgültig gerinnt. Ich glaube, ich brauche ein wenig Erholung vom Romantik-Overkill.
Und ehrlich gesagt wüsste ich auch nicht, wo ich noch herumbasteln könnte, ohne den extrem knappen Umfang der Geschichte, der mir von Anfang an ein Anliegen war, zu sprengen.

Es gibt ja noch so viele andere spannende Rubriken hier im Forum …

Vielen Dank, FlicFlac.

offshore

 

myisrael schrieb:
Aber die starken Stellen bleiben hängen, und mit etwas Arbeit würde ich diesem Text dann auch ein "fast großartig" attestieren.

Wenn ich dich recht verstehe, myisrael, dann hältst du die Geschichte jetzt schon für ziemlich beinahe fast großartig, was wiederum ich, ja, eigentlich auch fast ziemlich großartig finde, weil für einen Gelegenheitsschreiber wie mich ist das schon ein verdammt tolles Lob, ehrlich.
Besser kann und werde ich die Geschichte nicht machen, das hab ich in diversen Kommentarantworten schon begründet, ich habe für mein Gefühl (und mein jetziges schreiberisches Niveau) mein Bestes gegeben, momentan bin ich dabei, mich an einem etwas komplexeren Sujet zu versuchen, also mit Arbeit bin ich eigentlich eingedeckt bis über die Ohren…

Dann küsst sie ihn auf den Mund.

Dass dir gerade dieser Satz nicht gefiel, muss ich jetzt einfach mal so zur Kenntnis nehmen, von mehreren Kommentatoren wurde er explizit gelobt, weil sie seine Bedeutung offenbar erkannten.

Ich selbst schrieb Lakita dazu folgendes:

offshore schrieb:
Das hab ich mir irgendwie als die Schlüsselszene der Geschichte gedacht, der allererste richtige Kuss, und ob die beiden jetzt dreizehn, vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sind, ist eigentlich egal, sich das auszudenken bleibt letztendlich den Lesern überlassen.
(Möglicherweise kommt die Geschichte gerade deshalb so gut an, weil es wahrscheinlich keinen Menschen gibt, der sich nicht an den ersten eigenen Kuss erinnern kann, und dafür, dass einem noch Jahrzehnte später der Gedanke daran ein Leuchten in die Augen zaubert, wird sich wohl niemand schämen.)

Vielen Dank für dein Lob, myisrael!

offshore

 

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