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Wo der Wolf wohnt.
Aus seinem Zimmer konnte er das Beet sehen. Mickrig, fast blattlos standen die Sträucher beeinander, ohne Blüte, halbtrocken. Der Sommer war heiß gewesen und die Läuse hatten seinen Stöcken den Rest gegeben. Er hatte nichts tun können. Man erlaubte ihm nicht mehr sie zu wässern oder zu pflegen.
Er durfte dabei zuschauen, wie das leuchtende Grün langsam aus den Blättern wich, die Dornen gummiartig wurden. Zuerst trockneten sie an, dann gab der kümmerliche Rest Feuchtigkeit des Bodens den Widerhaken eine letzte ölige Salbung, sodass sie nicht richtig austrocken konnten, sondern von innen klamm vergammelten. Nun stanken sie erbärmlich.
Ab und zu besorgte er für die Leidensgenossen Rosenöl, sie bestanden drauf, auf ihre eigene Weise, um dann weibisch herumzuhopsen, angetörnt vom Süßen. So lange sie auf die Spielchen standen, umso besser. Als Kontakter hatte er sich wehren können, erfolgreich. Er wollte nicht wie seine Rosen weich werden und vergammeln, aufgesogen voll Brackwasser, bis oben hin, dann lieber brutal verdorren, wie ein ausgelutschtes Insekt.
Er hatte mal einen Kampf zwischen einer Kreuzspinne und einer Gottesanbeterin auf einem Rosenblatt beobachtet. Die Spinne konnte sich nur noch winden in den dornigen Raubbeinen. Und der Leib der Spinne zog sich mehr und mehr zusammen, wie etwas vakuumverpacktes. Das hatte ihn beeindruckt. Zweimal hatte er auf die Gottesanbeterin treten müssen, weil seine Arbeitsschuhe keine glatten Schuhsohlen hatten.
Er musste selbst in Acht nehmen vor weibischen Insassen, doppelt so stark, wie er und vor herrischen Wärtern, mindestens so brutal, wie er.
Zwar war er von mäßiger körperlicher Statur aber zielorientiert im Geist.
Er saß nicht in seinem Zimmer, sondern in der Kantine zwischen zwei Schichten zu je drei Euro fünfzig. Wenn er hier rauskäme, würde er etwa fünftausend Euro bekommen. Das war alles. Nichts weiter außer seinen Hosen. Und vielleicht einem kleinen Geschenk.
Darüber dachte er nach, als ein kleiner, untersetzter Mann sich zu ihm an den Tisch setzte, das Tablett möglichst gerade haltend, da sich die Suppe bereits darauf verteilt hatte. Ein Neuer, denn offenbar hatten sich die Küchenjungs ihn bereits ausgesucht, mit ihren großen Kellen und den Frechheiten, die sie sich erlaubten. Für sie war der kleine Mann Frischfleisch, Freiwild, Blutjunge, eindeutig ein Idiot, der sich gerade zu ihm setzte. „Den Küchenjungs schmeckt alles“, dachte sich Wolfgang.
Der kleine Mann schob, nun, da seine Hände frei waren, mit vielen kleinen, unsicheren Gesten immerzu eine Brille den steilen Nasenrücken herauf. Kurz unter seinen Augenbrauen hatte sich schon eine Vertiefung gebildet.
So oft Wolfgang Brillen bei Neulingen sah, Wolfgang wunderte sich immer noch, wie sehr ein bebrillter Neuling hier ins Auge stach.
Dann fiel ihm etwas erstaunlich leuchtendes auf. Der kleine Mann hatte blondes, lockiges Haar, das ihm lang bis fast auf die Schultern fiel. Und dazu eine glänzende Glatze. Das gab ihm das Aussehen eines gefallenen und irdisch gealternden Engel.
"Armer Kerl", dachte Wolfgang bei sich, "den werden sie ins Herz schließen." Mit einem Lächeln schaut er wieder auf, dem kleinen Mann direkt in die Augen.
„Hallo, ich hoffe, ich störe nicht. Mein Name ist Emil Hermann.", der kleine Mann begann einen Redeschwall, leicht hysterisch,"…aber was ich fragen wollte, haben Sie Rosenöl?“, fragte er, leicht nach vorne gebeugt, die Augen unruhig und der Finger, der die Brille immer wieder vor sich herschiebt, in der Hoffnung irgendwann würde sie einfach dort bleiben. Der Nasenrücken rächte sich immer wieder an diesem Finger und schickte die Brille zur Nasenspitze runter.
„Nein.“, kein strenger Ton. Ein sachliches „Nein.“.
„Mir wurde aber gesagt, Sie hätten Rosenöl.“, fragte der kleine Mann ungeschickt. Seine Augen flackerten.
Wolfgangs Augen funkelten. Er wusste wofür, aber der kleine Mann ließ ihm keine andere Wahl zu fragen.
„Wofür, wenn ich fragen darf? Habe gehört, das ist kein Supermarkt. Hier gibt es nur Geschenke gegen andere. Mal größere gegen kleinere, mal kleinere gegen größere. Was würdest Du mir schenken wollen?“ sagte er langsam, vor sich hinkauend, als hätte er es schon immer so vor sich hingekaut, routiniert, gefährlich routiniert. Dahinter lauerte der Wolf.
Der kleine Mann schaute vorsichtig strinrunzelnd in die Augen des Mannes vor ihm. Sie waren nicht blutunterlaufen, sondern glasig-rot, als hätte er Fässer mit Korrekturtinte statt Augäpfel mit kleinen schwarzen Punkten in der Mitte.
„Was möchtest Du mir nächstes Mal mitbringen, wenn Du von mir beschenkt wurdest?“ formulierte Wolfgang um.
„Weiß nicht. Was kostet denn so ein“, unsicher, zaghaft suchend, „Liter z.B.?“, dabei hatte er schnell auf seine Hände geschaut und bereute.
„Ist Dir klar, wieviel Rosenöl aus einer Blüte hergestellt werden kann. Ungestreckt?“, fragte Wolfgang ohne Regung. Der Wolf war da.
Der kleine Mann ging allmählich in die Falle. Er sackte zusammen, schaute sich nervös um und gnibbelte an seinen Fingern. Die Küchenjungs hatten sich auf ihre Fäuste abgestüzt und schauten zu. Abwartend.
„Ich schenke Dir Dein Wasser, ein wenig für den Anfang. Bring Du mir eine Locke Deines Haars.“ Verständnislos schaute der kleine Mann durch seine kleinen Brillengläser.
Ein Küchenjunge rief: „Engelchen, bist Du soweit?“
„Was?“, der kleine Mann war in der Falle. Er war entsetzt. Er verstand.
Ein halbes Jahr später war Wolfgang draußen. Keine Justizvollzugsanstalt, kein Zimmer mit Blick auf die Rosen, aber um eine Strähne Engelshaar reicher, zuzüglich einer Erinnerung an einen zertretenen Gottesanbeter und der wiederentdeckte Geiz bei seinen kleinen Geschenken.
Was ist schon ein Liter Rosenöl im Vergleich zu der befriedigend aufblühenden Rose des kleinen Mannes und einer nie ersetzten Brille?
Die Rosenblätter verwelkten nach einem guten Sommer und starben, wie Rosen sterben. Trocken raschelnd die Blüten und Blätter, kräftig die Wurzeln und der Stamm für den nächsten Sommer. Denn der kleine Mann war nun Herr der Rosen. Ein kleines Geschenk.
sim zeichnet verantwortlich für diese Worte: Geiz, Rose, Engelshaar, Gottesanbeterin, Justizvollzugsanstalt.