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07.10.2018
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Zeitzeichen

Heute muss es funktionieren, nichts darf dazwischenkommen. Knut Bade fuhr 500 Kilometer in die Unternehmenszentrale, um an einem zweistündigen Meeting teilzunehmen. Zu gern hätte der Vierzigjährige den Termin abgesagt, denn er hatte seinem neunjährigen Sohn versprochen, an der Aufführung des Schultheaters teilzunehmen. Doch die Situation in der Firma war angespannt. Knut konnte der Termin nicht verschieben.

Das Meeting in der Zentrale war voller Entscheidungen. Knut machte sich auf den Rückweg, die Tasche voll mit neuen Aufträgen. Erst in letzter Minute erreichte er den ICE-Sprinter nach Hause. Nun lag der Feierabend und das Schultheater in greifbarer Nähe. Der Zug zuckelte aus dem mehrgeschossigen Hauptbahnhof. Zwischen Wohnhäusern und gläsernen Bürotürmen nahm er Fahrt auf und passierte später die Vororte, ohne anzuhalten.

Knut gähnte und wischte sich mit dem Handrücken über die Bartstoppeln. Die Ledersitze der Business Class waren bequem. „Ein Nickerchen wäre klasse“, denkt Knut. Doch wischte er den Gedanken schnell zur Seite. Im Zug kann er am besten arbeiten. Das Rascheln der Zeitungen der Nachbarn, die leisen Gespräche und das Klappern der Kaffeetassen der Mitreisenden stören ihn kaum. Wie er waren die meisten Schlipsträger. Einer blätterte im Time Magazin, ein anderer daddelte auf seinem Smartphone. Viele hatten ihre Rollkoffer im Gang geparkt. Der ICE Sprinter schoss wie ein rot-weißes Projektil durch Wald und Wiesen. Wenn der Zug Straßen oder Autobahnen passierte, schienen Porsche, Mercedes und Audi wie auf dem Asphalt zu kleben. Die Geschwindigkeitsanzeige über der gläsernen Schiebetür zeigte 320 km/h.

Doch dann, abseits der großen Städte wurde der Zug langsamer. Die vorbeifliegenden Landschaften erhielten Konturen. Dann bremste der Zug und kam nach einigen Kilometern zum stehen. Draußen auf der Weide, mampften Kühe und glotzten in die getönten Scheiben. Knut schaute aus dem Fenster, ein Signalmast versperrte die Sicht. Blechend schepperte die Durchsage des Zugbegleiters durch das Abteil. "Werte Fährgäste, wegen eines Personenschadens wird unser Zug umgeleitet. Die voraussichtliche Verspätung in Frankfurt beträgt 120 Minuten. Wir bitten um Ihr Verständnis“. Einige der Schlipsträger blickten müde von ihren Laptops auf. Andere fingen an, mit ihren Telefonen zu hantieren. Satzfetzen schwirrten durch die Luft: „Hallo Schatz, … ja, es wird wieder später. … nein, ich glaube nicht. … „Tut mir leid, ich kann nichts dafür …“. Einige entschuldigten sich bei ihrem unsichtbaren Gesprächspartner, andere schimpfen. Nur wenigen gelang es, ruhig zu bleiben.

Langsam setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Knuts Vordermann knöpfte erleichtert den obersten Knopf seines Hemdes auf und rollte die Ärmel hoch. Dann klappte er den Sitz zurück und schrieb auf seinem Laptop. Auf seiner Halbglatze funkelten Schweißperlen, immer wieder schaute er auf die Armbanduhr.

„Nie sind sie pünktlich“, schimpft Knut vor sich hin. Ein paar freie Tage, ohne Meetings, E-Mails oder Umsatzstatistiken“, träumte Knut mit offenen Augen. Als er vor Monaten einen Studienfreund besuchte, fragte er ihn, ob er sich kurz auf das Gästesofa legen dürfte. Nur für ein paar Minuten. Zum Abendessen wäre er dann wieder unten. Doch dazu kam es nicht. Knut wachte erst am nächsten Tag auf, entschuldigte sich wortreich und setzte sich verschlafen an den Mittagstisch.

Knut schreibt eine Whats-App Nachricht an seine Frau, dass es heute wieder später werden würde. Er versuchte erst gar nicht, sie anzurufen. „Was soll ich ihr denn sagen?“ Ihre Vorwürfe erträgt er nicht. Er würde zu wenig Zeit mit der Familie verbringen. Hätte immer nur die Arbeit im Kopf. Wie soll das weitergehen, zeterte sie. Er erträgt ihre Vorwürfe nicht mehr. „Du kannst nichts ändern“, verteidigt sich seine innere Stimme.

Knuts Smartphone brummte seit einigen Minuten. Im Display erschien die Nummer seines Chefs. „Hallo Knut“, dröhnte es aus dem winzigen Hörer. „Du bist meine letzte Hoffnung. Kannst Du mir den aktuellen Statusbericht zusammenstellen? Bis Montag früh, geht das?“. Natürlich geht das, dachte Knut und beruhigte seinen Chef. Zeit hat er ja genug hier im Zug. Auch die Mitreisenden hatten die Tische runtergeklappt und werkelten an ihren Laptops. Einmal klopfte der Chef Knut auf die Schulter und lobte ihn. „Du arbeitest für zwei.“ Knut war sehr stolz.

Draußen dämmerte es bereits, sie fuhren an einem kleinen beleuchteten Bahnhof vorbei. Die Zeiger der Bahnhofsuhr standen still. Jemand hatte in dessen Scheibe einen Stein geworfen. Auf dem Bahnsteig spielte Jungs mit einem Ball. Knuts Vater war es, der seinen Sohn ermahnte. „Du musst dich mehr um deine Familie kümmern. Dein Sohn braucht dich.“ Es gab Einträge des Lehrers ins Aufgabenheft. Die Zensuren wären schlecht. Knuts Frau schrieb, dass der neunjährige immer noch ins Bett macht. Auch würde er schlecht Freunde finden. Knut winkte ab. „Ich kann mich nicht zerteilen.“

Ein Zugbegleiter schiebt sein Wägelchen mit Erfrischungen durch den Gang: „Kleine Erfrischung? Kaffee, Bier oder Wasser?“ Knut ist von einer Kaffee-Duftwolke eingehüllt. „Alles hat seine Zeit, nichts kommt ein zweites Mal“, sagte der Vater. Knut träumt: „Mit der Businessclass fliegen, statt mit dem Zug durch die Republik zu zuckeln, dass wär’s“. Doch für seine Gehaltsklasse blieb nur die Bahncard 50. Durch die Schiebetür drängelte sich ein schwitzender Dicker. Knut kam der Geruch des Rasierwassers bekannt vor. „Saß der nicht heute früh auch im Zug?“. Offenbar geht es den anderen nicht besser.

Dann fuhren sie in den Heimatbahnhof ein. Knuts Rollkoffer holperte über das Pflaster, bis er endlich vor der Haustür stand. Der Gong der Tagesschau drang aus einem Wohnzimmerfenster zu ihm runter, der Bewegungsmelder schaltete das Licht an. Knut schloss die Wohnungstür auf und schlich zum Kinderbett. Aus der „Drachen-zähmen-leicht-gemacht-Bettwäsche“ blinzelten ihn Kinderaugen an.

„Schade, dass Du nicht kommen konntest“, flüstert der Kleine. „Aber es war so schön, alle haben geklatscht.“

Knuts Telefon schüttelt sich in der Hosentasche, gleichzeitig leuchtete das Display auf.

„Ich muss noch mal“, flüsterte Knut und strich dem Sohn über die Haare. Verschämt zog er leise die Tür zu. Dann ging er ran.

Zwei Wochen später stand ein Kollege in seinem im Büro. „Hast Du eine Minute?“

„Klar.“

Sie gingen in sein Büro. Dann sagte er: 'Wir müssen unsere Zusammenarbeit beenden. Es tut uns leid. Die Fusion mit den französischen Standorten lässt uns keine andere Wahl. Die doppelt besetzten Stellen sind zu teuer.“

Knut erstarrte. Hörte er richtig? Das musste ein Missverständnis sein. Nervös drehte er den Ehering am Finger. Kalter Wind blies durch das geöffnete Fenster einen Papierbogen von Tisch. Knut sank in den Bürosessel. Seine Hände umklammerten den kalten Stahl der Armlehne.

 

Eine Geschichte, wie ich sie auch im Deutschunterricht hätte vorgelegt bekommen können. Sehr interessanter Erzählstil, wobei mir die kurzen Sätze gut gefallen und auch an meine eigene Schreibweise erinnern. Die Gegenüberstellung von dem Vater und Knut ist dir gut gelungen, sowie auch die Einbindung sämtlicher rhetorischer Mittel. Die Geschichte lässt sich gut in einem Rutsch lesen und regt auch zum Nachdenken an, vor allem, wenn am Ende die gemeine Klatsche kommt und der Leser gleich dem Protagonisten nun vor die Frage gestellt wird, wie es jetzt weiter geht.
Bitte weiter solche Geschichten.
LG Bheniamyn

 

Hi, @Raspel

Und willkommen bei den Wortkriegern!

Das Jonglieren von Familie und Beruf ist ja ein zeitaktuelles Thema, bei dem immer mehr Leute mitreden. Frauen arbeiten jetzt auch, und Männer kümmern sich auch um die Familie. Kompliziert! Vor Jahren habe ich in der Fernsehzeitung einen Artikel gelesen, dessen wesentlicher Inhalt war, dass Männer heutzutage von ihren Söhnen als Versager wahrgenommen würden, weil von ihnen erwartet werde, all diesen Stress unter einen Hut zu bringen – und das könne ja nicht gut ausgehen. Na ja, seitdem weiß ich, warum man in der Fernsehzeitung nicht mehr als das Fernsehprogramm nachlesen sollte.

Was hat das mit Deinem Text zu tun? Nun ja, ich lese jeden Tag mehrere Kurzgeschichten, ich lese jeden Tag die Zeitung (nicht mehr die Fernsehzeitung!), und dabei kommen mir ziemlich viele Geschichten unter. Und während dieser Artikel aus der Fernsehzeitung wahrscheinlich für immer haften bleibt (leider), weiß ich ehrlich gesagt nicht, wie viel ich von Deiner Geschichte in zwei Wochen noch weiß.

Was Du Dich beim Schreiben einer Geschichte immer fragen solltest, ist: Ab welchem Zeitpunkt kann der/die Leser/in den Ausgang meiner Geschichte richtig vorausahnen? Was ist an meiner Geschichte besonders?

Mein Problem ist, dass Du extrem geradlinig erzählst. Wir lernen einen Businessmenschen kennen, der Zug verspätet sich, er kann nicht bei seinem Kind sein, von der Familie hat er sich entfremdet, und dann verliert er seinen Job. Bis auf das Verlieren des Jobs ist das extrem erwartbar. Und seien wir mal ehrlich, im Zusammenhang mit all den Geschichten, die über das Jonglieren von Familie und Beruf schon geschrieben wurden, ist es für den Prot vielleicht eine Überraschung, dass er am Ende gefeuert wird – ich als Leserin halte das für einen erwartbaren Ausgang der Geschichte.

Ich würde Dir empfehlen, das Ganze etwas zickzackmäßiger zu gestalten. Du könntest direkt am Anfang damit beginnen, dass der Prot etwas tut, um ganz sicher zu stellen, dass er es noch zur Schulaufführung schafft. Auch das ist ein Problem, finde ich, dass Dein Prot alles nur über sich ergehen lässt. Er macht gar nichts, ist komplett passiv. Er will doch ein Ziel erreichen! Jeder fünfte Fernverkehrszug ist verspätet. Also verlässt er vielleicht sein Meeting etwas früher und steigt ins Auto, anstatt den Zug zu nehmen, obwohl der/die Arbeitgeber/in vielleicht dagegen ist.

Jetzt musst Du Dich fragen: Womit rechnen meine Leser/innen als nächstes? Klar. Stau.

Ich glaube, dass Du Dich an mehreren Stellen Deiner Geschichte fragen solltest, was Deine Leserschaft als nächstes erwarten wird. Und daraufhin eine von zwei Möglichkeiten wählst: 1) Etwas anderes geschehen lassen als das, was erwartet wird, oder 2) das geschehen lassen, was erwartet wird, aber eine unerwartete Konsequenz zu ziehen. Zum Beispiel, Dein Prot steht im Stau, er schafft es aber auf eine Autobahnraststätte, wo er seine Frau anrufen will (denn am Steuer soll man ja nicht telefonieren). Auf der Raststätte trifft er einen Zeitreisenden, der ihm hilft, ans Ziel zu kommen – okay, das ist jetzt vielleicht übertrieben überraschend. :lol:

Wobei ich ja im Zusammenhang mit dem Titel und zerstörten Uhren und so mehrmals damit gerechnet habe, dass Zeitreisen irgendwie ins Spiel kommen. Das hat mich auch beim Lesen eine Weile bei der Stange gehalten. Wenn Du DAS ausbauen würdest (ohne dass es Zeitreisen wirklich gibt, Du Deine Leser/innen aber immer mehr aufs Glatteis führst und mit ihren Erwartungen spielst), dann könnte das wirklich umwerfend werden.

Das ist, worauf ich hinauswill. Wenn ich als Leserin nämlich jede Wendung problemlos vorhersehen kann, ist das Lesen nicht besonders spannend. Und ganz abgesehen von der Spannung sind es kleine Besonderheiten, die im Gedächtnis bleiben. Dein Prot zum Beispiel könnte mehr Details an sich haben, nicht nur stereotypische Businessmensch-Eigenschaften. Die meisten Menschen haben etwas an sich, was sie von Stereotypen abhebt.

Das klingt jetzt nach super viel Arbeit, aber ich glaube, das könnte sogar Spaß machen und Deinen Text stark voranbringen. Im Endeffekt bleibt mir noch zu sagen, dass das natürlich nur ein Vorschlag ist. Nimm davon, was Du brauchst und magst.

Außerdem könntest Du Deinen Text noch korrigieren. Ich finde da einige Fehler und Dinge, die nicht ganz so schön aussehen. Schauen wir uns die Details mal an:

Heute muss es funktionieren, nichts darf dazwischenkommen.

Den ersten Satz finde ich nicht so gut gewählt. Besser wäre es, Du würdest nicht mit der totalen Abstraktion einsteigen, sondern mit etwas, das mir als Leserin sofort die Situation sichtbar macht. Sonst ist das nur so eine Abstraktion im luftleeren Raum.

Knut Bade fuhr 500 Kilometer in die Unternehmenszentrale, um an einem zweistündigen Meeting teilzunehmen.

Das zum Beispiel wäre ein richtig guter erster Satz. Der ist sogar absolut hervorragend, charakterisiert Deinen Prot extrem gut und auf knackige Weise. Die „fünfhundert“ würde ich allerdings ausschreiben. Das sieht einfach schöner aus.

Zu gern hätte der Vierzigjährige den Termin abgesagt, denn er hatte seinem neunjährigen Sohn versprochen, an der Aufführung des Schultheaters teilzunehmen.

„Der Vierzigjährige“, „der Neunjährige“, klingt wie ein Zeitungsartikel. „Der Vierzigjährige Familienvater fuhr nach Hause, um die Theateraufführung seines Sohnes Simon (9) zu besuchen (Termine und Ticketpreise am Ende des Artikels.“ :p Das heißt, es klingt nicht organisch oder schön, sondern total so, als wäre Dir eingefallen, dass Du jetzt schnell das Alter mitteilen musst. Dabei ist das Alter auch an beiden Stellen komplett irrelevant. Dadurch, dass er ein Vater ist und einen schulpflichtigen Sohn hat, kann ich mir vorstellen, dass die beiden nicht achtzig und dreißig oder fünfundzwanzig und zwei Jahre alt sind, sondern irgendwas dazwischen. Und welches Alter das genau ist, ist nun wirklich nicht weiter wichtig.

Knut konnte der Termin nicht verschieben.

„den Termin“.

Das Meeting in der Zentrale war voller Entscheidungen. Knut machte sich auf den Rückweg, die Tasche voll mit neuen Aufträgen.

Die Situation der Firma und die Stimmung im Meeting ist, so behaupte ich mal ganz frech, für den weiteren Verlauf der Handlung vollkommen irrelevant. Das einzig Wichtige ist, dass der Knut auf einer langen Heimreise steht, sich für seinen Beruf aufopfert (was durch den phänomenalen zweiten Satz bereits sehr eindrucksvoll gezeigt wurde) und nichts dazwischen kommen darf. Der ganze Rest von dem, was in der Firma abgeht, ist erstmal irrelevant, und ich würde die Leser/innen nicht mit irrelevanten Details belästigen (schon gar nicht am Anfang der Geschichte).

Nun lag der Feierabend und das Schultheater in greifbarer Nähe.

„lagen“ statt „lag“.

Der Zug zuckelte aus dem mehrgeschossigen Hauptbahnhof.

Über das „mehrgeschossig“ bin ich auch gestolpert. Heißt das, dass die Züge auf mehreren Gleisen übereinander abfahren? So eine riesige Abfahrtshalle mit mehreren Ebenen und futuristischen Wegen, auf denen Reisende entlanggehen, während über ihren Köpfen Züge abfahren? Gibt es so was? Oder, wenn ich darüber nachdenke, ist das nicht völlig normal, dass in einem Hauptbahnhof ebenerdige Züge und unterirdische Züge (U-Bahnen meistens) abfahren? Wie auch immer es damit bestellt ist, es ist ein Detail, das mich zum Nachdenken bringt, aber eigentlich von der Handlung ablenkt. Denn wie viele Geschosse der blöde Bahnhof hat und ob das bedeutet, dass es ein ganz normaler oder ein außergewöhnlicher Bahnhof ist, ist völlig irrelevant und es lohnt sich überhaupt nicht, dass Du mich darüber nachdenken lässt.

Details sind gut und schön, wie ich oben sagte, wenn sie Eindruck hinterlassen, zum Nachdenken (über die Handlung und die Charaktere) anregen, allzu geradlinige Verläufe brechen. Aber wenn sie bloß vom Wesentlichen ablenken, solltest Du sie streichen. Frage Dich bei allen Details, ob diese für Handlung und Charaktere relevant sind. Wenn ja, bitte lass sie drin, mach sie phänomenal. Wenn nicht, dann lass sie erstmal weg.

Zwischen Wohnhäusern und gläsernen Bürotürmen nahm er Fahrt auf und passierte später die Vororte, ohne anzuhalten.

Auch hier wieder so ein Detail. Der ICE hält in den Vororten nicht an? Na, das ist aber … eigentlich gar keine Überraschung. Ich fahre immer mit dem Regionalzug von Hannover nach Braunschweig. Der Zug hält auch in Lehrte und Vechelde und solchen Orten und braucht fünfundvierzig Minuten. Einmal fiel ein Zug aus, und alle Pendler/innen durften in den ICE Richtung Cottbus einsteigen. Der fährt ohne einen einzigen Zwischenhalt nach Braunschweig und ist in zwanzig Minuten da. ICEs halten normalerweise nicht in Vororten.

Bei Details solltest Du Dich auch fragen, ob diese allgemein bekannt oder besonders sind. Wenn sie allgemein bekannt sind, lass sie weg. Wenn sie etwas Besonderes sind, zum Beispiel, es war ein Fußballspiel in der Gegend und zahlreiche andere Züge fielen wegen einem Baum auf einer Strecke aus, weshalb der ICE proppevoll war und in jedem Kaff anhielt, um den anderen Zügen auszuhelfen (habe ich auch schon erlebt), DANN wäre es eine gute Gelegenheit, dies den Leser/inne/n mitzuteilen. Übrigens auch eine gute Idee für einen nicht ganz so geradlinigen Verlauf. Aber „alles ist ganz normal, und das beschreibe ich jetzt megadetailreich …“ Nee. Du raubst Deiner Geschichte damit das Tempo. Stell Dir vor, jemand würde Dir die ganze Zeit Dinge erzählen, die Du schon weißt. Wie spannend wäre das für Dich?

Der ICE Sprinter schoss wie ein rot-weißes Projektil durch Wald und Wiesen.

Oben hieß es noch „ICE-Sprinter“, also mit Bindestrich. Bitte auf Konsistenz achten!

Doch dann, abseits der großen Städte wurde der Zug langsamer.

Du beginnst „abseits der großen Städte“ als Einschub, deshalb würde ich es auch als Einschub beenden, also ein zweites Komma dahinter setzen.

Draußen auf der Weide, mampften Kühe und glotzten in die getönten Scheiben.

Komma weg.

Blechend schepperte die Durchsage des Zugbegleiters durch das Abteil.

„Blechern“ statt „Blechend“.

"Werte Fährgäste, wegen eines Personenschadens wird unser Zug umgeleitet. Die voraussichtliche Verspätung in Frankfurt beträgt 120 Minuten. Wir bitten um Ihr Verständnis“.

Also, erstmal würde ich auch hier die Zahl wieder ausschreiben. Solange es nicht zweihundereinundfünfzigtausendsiebenhundertdreiundzwanzig ist, sehen ausgeschriebene Zahlen meistens schöner aus. Dann kommt der Punkt vor den letzten Anführungszeichen und nicht dahinter (ja, in Zeitungsartikeln wird das bei direkten Zitaten anders gemacht, aber das hier ist Literatur und kein Journalismus). Und dann verwendest Du die Anführungszeichen insgesamt inkonsistent:

Du hast ja eine Reihe von Anführungszeichen zur Auswahl. Englische oder Schreibmaschinenanführungszeichen: "", deutsche Anführungszeichen: „“ oder französische: »«, und bestimmt gibt es noch andere Möglichkeiten. Und im Endeffekt ist mir persönlich völlig egal, welche Art von Anführungszeichen Du wählst. Aber es zeugt von Sorgfalt und tut dem Auge gut, wenn Du in einem Text nur eine Sorte Anführungszeichen benutzt. Hier benutzt Du mal englische, mal deutsche, und das ist nicht so schön.

„Hallo Schatz, … ja, es wird wieder später. … nein, ich glaube nicht. … „Tut mir leid, ich kann nichts dafür …“.

Ich habe es schon ein bisschen anklingen lassen: Ein Text sollte auch abseits von Inhalt und Stil so aussehen, dass er dem Auge guttut. Ich würde deshalb folgende Form vorschlagen:

„Hallo, Schatz … Ja, es wird etwas später. … Nein, ich glaube nicht. … Tut mir leid, ich kann nichts dafür.“

Du setzt die drei Punkte hier ja als Auslassungszeichen ein für die Stellen, wo die Frau was sagt. Das heißt aber, dass das, was wie ein Satzanfang klingt, auch ein Satzanfang ist, ergo also groß geschrieben wird. Und der finale Punkt kommt wieder vor das Anführungszeichen und nicht dahinter.

Einige entschuldigten sich bei ihrem unsichtbaren Gesprächspartner, andere schimpfen.

„schimpften“ statt „schimpfen“

So, hier höre ich auf. Ich vermute mal, das reicht auch erstmal an Input. ;) Lass Dich nicht unterkriegen, gehe Deinen Text auch nochmal auf formale Fehler hin durch, und überleg Dir, was ihn besonders und überraschend macht oder machen könnte. Auf diese Weise könntest Du sicher eine ziemlich gute Geschichte zaubern. Make it work!

Und viel Spaß im Forum.

Überraschende Grüße,
Maria

 

Hallo @Bheniamyn, hallo @TeddyMaria, vielen Dank für das wertvolle Feedback welches ich sehr gern annehme. Beim Schreiben hat man ja manchmal die Filzbrille auf und dann ist es gut, Hinweise von außen zu bekommen.

Ich denke auch, dass meinen Geschichten mehr Unvorhersehbares gut tun würde. Auch würde ich gern den Protagonisten mehr durch seine Handlungen charakterisieren. Da muss ich noch üben.

Die Idee mit den Zeitreisenden finde ich gut. Aber ich traue ich mich nicht so richtig, meiner Phantasie freien Lauf zu lassen. Ich habe ständig Angst, lächerlich zu wirken oder unseriös weil die Dinge nicht stimmen können.

Und ich würde gern spannende Kurzgeschichten im Business Umfeld schreiben. Bin mir aber mittlerweile nicht mehr so sicher, ob ich meinen Aktionsradius zu eng fasse.

Grüße

Raspel

 

Moin @Raspel ,

Eine Geschichte, wie sie vermutlich viele so oder so ähnlich erlebt haben oder zumindest gut nachvollziehen können. Liest sich flüssig, endet aber recht vorhersehbar.

Ich finde, dass der zentrale Konflikt noch nicht stark genug schwelt. Denn letztendlich geht es ja um das Problem, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, wobei sich Knut für die Firma abrackert und sein Privatleben drunter leidet. Und ganz zum Schluss wird er vor die Tür gesetzt, hat also auf beiden Baustellen verloren.

Allerdings wird sehr viel über seine Situation im Job erzählt und zu wenig über die Konflikte, Diskussionen, Enttäuschungen etc. mit der Familie. Es taucht hier und da auf, aber seine Zerrissenheit würde vermutlich noch deutlicher werden, wenn man mehr über die Vorwürfe der Frau erfahren hätte oder mehr über ständig enttäuschte Kinderaugen gelesen hätte.

Stattdessen denkt er plötzlich daran, dass Business Class fliegen ganz nett wäre. Klar, solche Dinge gehen einem dann auch durch den Kopf, aber es hat ja mit dem eigentlichen Konflikt wenig zu tun.

Die Szene am Ende, wo er seinen Sohn wieder sieht, hättest du noch etwas ausführlicher gestalten können, dann wäre der Bruch am Ende vielleicht etwas krasser gewesen.

Soweit meine 2cent
gruss
philipp

 

Hallo @Raspel,

bevor ich etwas zum Inhalt schreibe …

Ich bin ein bisschen über Deine unterschiedlichen Zeiten gestolpert und habe Dir einfach mal wahllos ein paar Stellen markiert:

Knut schreibt eine Whats-App Nachricht an seine Frau, dass es heute wieder später werden würde. Er versuchte erst gar nicht, sie anzurufen. „Was soll ich ihr denn sagen?“ Ihre Vorwürfe erträgt er nicht. Er würde zu wenig Zeit mit der Familie verbringen. Hätte immer nur die Arbeit im Kopf. Wie soll das weitergehen, zeterte sie. Er erträgt ihre Vorwürfe nicht mehr. „Du kannst nichts ändern“, verteidigt sich seine innere Stimme.

( … )

Draußen dämmerte es bereits, sie fuhren an einem kleinen beleuchteten Bahnhof vorbei. Die Zeiger der Bahnhofsuhr standen still. Jemand hatte in dessen Scheibe einen Stein geworfen. Auf dem Bahnsteig spielte Jungs mit einem Ball. Knuts Vater war es, der seinen Sohn ermahnte. „Du musst dich mehr um deine Familie kümmern. Dein Sohn braucht dich.“ Es gab Einträge des Lehrers ins Aufgabenheft. Die Zensuren wären schlecht. Knuts Frau schrieb, dass der neunjährige immer noch ins Bett macht. Auch würde er schlecht Freunde finden. Knut winkte ab. „Ich kann mich nicht zerteilen.“

Ein Zugbegleiter schiebt sein Wägelchen mit Erfrischungen durch den Gang: „Kleine Erfrischung? Kaffee, Bier oder Wasser?“ Knut ist von einer Kaffee-Duftwolke eingehüllt. „Alles hat seine Zeit, nichts kommt ein zweites Mal“, sagte der Vater. Knut träumt: „Mit der Businessclass fliegen, statt mit dem Zug durch die Republik zu zuckeln, dass wär’s“. Doch für seine Gehaltsklasse blieb nur die Bahncard 50. Durch die Schiebetür drängelte sich ein schwitzender Dicker. Knut kam der Geruch des Rasierwassers bekannt vor.


Ich bin beim durchstöbern der neuen Kurzgeschichten auf Deine gestoßen.
Das zentrale Thema ähnelt witzigerweise ein bisschen meiner Geschichte.
Ein Vater, dem alles zu viel wird.
Ich selbst, als Mutter, kann auch gut die Not dieses Vaters verstehen. Er rackert sich ab und schuftet bis zum Umfallen und doch schafft er es nicht allen gerecht zu werden, am wenigsten seiner Familie. Der Dank ist am Ende die Kündigung und jetzt steht er da und hat erst mal nichts.

Mich würde interessieren, wie seine Frau darauf reagiert hat. Oder hat sie sich zwischenzeitlich sogar von ihm getrennt?
Oder vielleicht kommt er, nachdem er die Nachricht der Kündigung erhalten hat, nach Hause, viel zu früh, und erwischt seine Frau mit einem anderen Mann? Sie erklärt ihm, dass sie ihm nicht weh tun wolle, sie aber schon seit Jahren einsam sei.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Du die Zerrissenheit und ausweglose Situation Deines Protagonisten darlegen wolltest.
Allerdings kommt er ein bisschen unsympathisch rüber. (Ich weiß nicht, ob das gewollt war?)
Es werden die Probleme erwähnt, dass der Junge sich nachts noch einnässt und dass er schlechte Noten hat und keine Freunde findet.
Dein Protagonist wischt das weg und sagt sich, dass er sich nicht teilen könne.
Da hätte ich mir mehr Emotionen gewünscht. Ich hätte gerne gespürt, dass er sich Sorgen macht um sein Kind, aber es einfach nicht hinbekommt, mehr Zeit zu finden und er deshalb nicht weiß, wie er sich verhalten soll.

Insgesamt habe ich Deine Geschichte gerne gelesen und finde auch das Thema interessant.

Liebe Grüße
Sandra

 

Hi @Raspel,

eine schnelle Rückmeldung zu deiner Geschichte:

Dein Anfang ist bereits kritisiert worden, ich möchte mich da auch noch mal dranhängen: Drei Sätze, drei verschiedene Tempora ... Das fügt sich nicht gut. Dazu noch der Moduswechsel in den Irrealis. Das holpert in der Form.
Und es holpert, finde ich, auch im Inhalt. "Es" ist angesprochen, dann ein Termin und das Schultheater. Drei Referenzpunkte, in die sich der frisch angekommene Leser erst einmal einfinden muss. Und ich zumindest habe an der Stelle noch keine Ahnung, ob "es" überhaupt eines der beiden angesprochenen Dinge ist oder womöglich gar ein Drittes. (Ich bin - damit nerve ich immer wieder gerne - kein so großer Fan von freischwebenden Pronomen.)

-- "Das Meeting in der Zentrale war voller Entscheidungen. Knut machte sich auf den Rückweg, die Tasche voll mit neuen Aufträgen." - Viele mögen die zusammengesetzten Zeiten nicht so sehr; ich schätze sie, weil sie Orientierung schaffen. Hier fänd ich das besser: Das Meeting ist voller Entscheidungen gewesen, jetzt machte Knut sich auf den Rückweg.

Auch hier:
-- "Erst in letzter Minute erreichte er den ICE-Sprinter nach Hause."
bin ich nicht gut orientiert, denn Knut fuhr doch schon nach Hause, heißt es oben.

-- "Der ICE Sprinter schoss wie ein rot-weißes Projektil durch Wald und Wiesen."
Klingt spitzfindig, ist es vielleicht auch: Auf der Vergleichsseite sind zwei Infos: "rot-weiß" und "Projektil". Nur "Projektil" wäre besser, finde ich, denn das ist der eigentliche Vergleichspunkt.

Im folgenden habe ich den Eindruck, es verliert sich immer mehr die klare Linie. Das kann ein Kunstgriff sein, in diesem Fall erscheint es mir aber weniger gelungen. Natürlich kannst du sagen: Es spiegelt eben die Orientierungslosigkeit des Protagonisten. Schon, nur sollte natürlich die Geschichte dadurch nicht planlos wirken.

Deine Beschreibungen von Einzelszenen finde ich gut. Aber eine entschiedenere Führung würde mir mehr Genuss bringen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo @SaWiDu , besonders die Empfehlung, das Emotionale zu berücksichtigen, das ist mir neben den ganzen anderen Dinge, die ich im Kopf beim Schreiben hatte, zu kurz gekommen. Wertvoll! Danke. Es war nicht beabsichtigt, den Prot im negativen Licht erscheinen zu lassen.

Danke @erdbeerschorsch , manchmal geht es mir auch so, dass sich meine Texte, wenn ich sie später zur Hand nehme, holprig lesen. Ich bitte um Nachsicht für mein direktes Nachfragen, aber was meinst Du mit "Moduswechsel in den Irrealis"? Ich habe das Gefühl, das könnte ein grundlegendes Thema für mich sein.

Raspel

 

Hi @Raspel,

Mit "Moduswechsel in den Irrealis" meine ich nur: Er hätte den Termin gerne abgesagt, hat aber nicht. Es ist also nicht real, nicht wirklich geworden (sondern irreal geblieben). Das ist demnach wahrscheinlich doch kein grundlegendes Problem, sondern ich fand es nur im Zusammenhang mit den verschiedenen Zeiten etwas viel, halt eine große Menge von grammatischen Formen auf engem Raum. Fast so, als hätte sich jemand die Aufgabe gestellt, Beispielsätze für ein Lehrbuch zu finden.
:D

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

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