Was ist neu
  • Challenge: Der Ort, der aus dem Rahmen fällt
    Lest, kommentiert und stimmt in Kürze für eure Lieblingsgeschichten aus der Challenge Der Ort, der aus dem Rahmen fällt ab.

Zwei Zimmer, Küche, Bad

Mitglied
Beitritt
12.02.2020
Beiträge
445
Zuletzt bearbeitet:
Anmerkungen zum Text

Das Zitat "Leben ist immer lebensgefährlich" stammt von Erich Kästner.

Zwei Zimmer, Küche, Bad

Ich wache auf und weiß, dass die Nacht vorbei ist. Ich bewege mich nicht und halte die Augen geschlossen. Ich weiß, dass das Licht grau ist. Der Regen hat aufgehört, die Hexe hockt noch immer schwer auf meiner Brust. Ich weiß, bis wohin der Tag reichen wird. Bis zur Tür. Nicht bis zur Straße und nicht bis zum Hauptbahnhof und schon gar nicht bis nach Hannover zum halbjährlichen Mitarbeitergespräch. Ab sofort wieder in Präsenz. Ich weiß, dass ich eine Ausrede brauche.

Ich muss aufs Klo. Vom Bettende sind es drei Schritte bis zum Flur, vier Schritte über den Flur bis zum Bad, dann drei zur Toilette. Das Bad ist klein, wenn ich will, kann ich gleichzeitig pinkeln, Hände waschen und die Füße duschen. Drei Schritte zum Flur, vier zum Schlafzimmer, noch drei und ich bin wieder im Bett. Die Kastanie vor dem Fenster. Für mich ist es kein Fenster. Es ist ein Bild: dunkle, kahle Äste vor einem asphaltgrauen Himmel. Titel: Kastanie im Herbst.

Drei Schritte bis zum Flur, zwei zum Wohnraum, fünf bis zum Schreibtisch. Ich setze mich, fahre den Rechner hoch, an der Wand vor dem Schreibtisch hängt: Blick auf Häuserwand. Ich schreibe Clemens eine Mail. Dass ich heute nicht komme, dass ich mir einen fiesen Virus eingefangen habe, dass wir den Termin verschieben müssen. Fünf Schritte vom Schreibtisch zum Flur, vier zur Küche, drei zum Wasserkocher. Während das Wasser kocht, fülle ich losen Darjeeling in einen Teefilter. Vor mir im Türformat: Balkon vor Kastanie. Zwei Schritte und ich kann nach draußen sehen. Der Innenhof umgeben von den Rückseiten der Häuser, der Kobel in einer Astgabel, ein, zwei Meter unter mir. Kälte dringt durch das Glas der Balkontür. Sie ist aus Holz, einfachverglast, mit einem schönen, alten Metallgriff, dessen Lack an einigen Stellen abgeplatzt ist. Ich lege die Hand auf den Griff. Kalt schmiegt er sich in meine Handfläche. Ein Schritt nur. Draußen hat es wieder zu regnen begonnen. Das Wasser kocht. Ich gieße den Tee auf und setze mich an den kleinen, quadratischen Küchentisch. Balkon vor Kastanie im Blick.

Der Tee schmeckt nach nichts. Ich schaufle zwei Teelöffel Zucker rein und frage mich, ob ein ruhiges Leben nicht genug ist. Vielleicht ist still auf einem Stuhl zu sitzen mehr wert, als all die Hektik draußen. Ja, ein ruhiges Leben. Ein Drinnenleben. Es klingelt. Fünf Schritte bis zum Summer. Mein Herz rast. Wie immer, wenn ich die Tür öffnen muss. Ich schaue durch den Spion. Ein Mann kommt die Treppe hoch. Er ist noch jung und ich würde gerne die Tür öffnen, ihn anlächeln, mich bedanken, sein Aftershave riechen oder seinen Schweiß. Aber durch die geschlossene Tür sage ich: Stell die Kiste einfach vor die Tür! Ich warte, bis ich ihn nicht mehr sehe und unten die Haustür zufällt. Sobald ich die Wohnungstür öffne, bricht der Schweiß aus. Zu!, kreischt es in mir. Immer nur: Zu! Ich zerre die Kiste rein. Ich atme. Mein Herzschlag beruhigt sich. Alles ist okay, wenn sie kriegt, was sie will.

Die Hexe will, dass ich in der Wohnung bleibe, und ich bleibe. Der Lieferdienst stellt mir die Einkäufe direkt vor die Tür. Man kann sich wirklich alles liefern lassen. Außer Mitarbeitergespräche in Präsenz. Den Schritt vor die Tür gibt es nicht im Angebot. Er kostet mehr Mut, als ich habe. Ich sacke zusammen, direkt hier im Flur, weine. Ich weiß, wann es angefangen hat. Aber wie ist es so geworden? Mehr Mut, als ich habe. Ich schlage meinen Hinterkopf gegen die Wand, aber der Schmerz hilft nicht. Aus mir kommt ein Laut, den ich nicht kenne. Alles in mir vibriert, das Schluchzen schüttelt mich durch, lässt mich nur stoßweise atmen. Ich kriege kaum Luft. Weine oder ersticke ich? Mir wird schwindelig, meine Finger kribbeln. Nicht ohnmächtig werden! Ich lege mich auf den Rücken. In meinen Ohren nur Rauschen.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort liege, im Flur, neben der Kiste mit den Einkäufen. Ich denke an das Buch, das meine Mutter mir gegeben hat. Leben ist immer lebensgefährlich, steht darin. Fuck you very much! Seit einem Jahr liegt es irgendwo herum. Ich setze mich auf. Fünf Schritte bis zum Bücherregal und ich finde es sofort. Es ist viel dünner, als ich es in Erinnerung habe. Mit dem Buch setze ich mich aufs Sofa, schlage es nicht auf. Mein Kopf dröhnt, meine Augen brennen. Im Treppenhaus höre ich jemanden lachen und denke an Luisa. Wir sind in die gleiche Klasse gegangen. In der Neunten hat sie mir hinter der Sporthalle das Rauchen beigebracht. Keine Ahnung, warum ich in diesem Moment an sie denke, Luisa hat ganz anders gelacht und nach dem Abi habe ich sie nie wieder gesehen. Ich lege das Buch zur Seite, setze mich an den Rechner, suche im Internet nach: Luisa Niemann.

Es gibt einige Luisa Niemanns, keine ist meine alte Schulfreundin. Ich tippe weitere Namen ein. Thorben Schilling ist Moderator beim Radiosender Bremen Eins. Unerwartet, der war früher immer so still. Von mir dachten alle, dass ich Illustration studiere, aber nach meinem Jahr als Au-pair habe ich mich für Informatik entschieden. Ich suche nach Julia Bickel, früher ein zierliches Mädchen mit Haaren auf den Zähnen, und während ich mir die Suchergebnisse anschaue, trifft mich unvermittelt ein Gedanke: Habe ich wirklich geglaubt, ich würde heute nach Hannover fahren? Ich bin seit fast zwei Jahren nicht mehr draußen gewesen. Natürlich fahre ich heute nicht nach Hannover. Und morgen auch nicht. Oder nächste Woche. Wenn es so weitergeht, fahre ich nie wieder nach Hannover. Muss ich auch nicht, wenn ich meinen Job verliere. Dabei ist er alles, was ich noch habe. Ich will kein Drinnenleben, kein beschissenes Stillleben. Die Hexe will das, aber nicht ich. Ich will wieder Bäume sehen. Den Dreck in der Luft riechen, wenn es im Sommer zu regnen beginnt. So geht es nicht weiter! Sage ich zu ihr. Zu mir. Weil es stimmt. Und ich mache Nägel mit Köpfen, um ihr zu zeigen, wie ernst es mir ist. Lieber Clemens, schreibe ich, ich will meine Mail von heute früh korrigieren. Ich habe nicht wegen eines Virus abgesagt, sondern wegen meiner Agoraphobie.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Corwin ,

danke für deine Mühe, ich hab auch einen Hintergrund in Phantastik, LitWiss / Linguistik und - deine Haltung zum Text vollkommen unbenommen - sehe es eben, wie ich es dargelegt habe.

Nur, weil du neu im Forum bist: Die Kommentare dienen dazu, den Erstellern einen Eindruck zu vermitteln, wie ihre Texte mit fremden Augen gelesen werden können. (Wg. Wald/Bäume-Problem). Abgesehen von RS, Grammatik und ggfs. Semantik besteht kein Zwang, irgendetwas am Text zu ändern. Änderungen und Spielereien (man ändert und ändert dann wieder auf die Vorfassung zurück) sind aber extrem wichtige Mittel, das Handwerk des Schreibens besser zu erlernen - und dies unabhängig davon, wie erfahren oder unerfahren ein Ersteller ist.

Es hat sich über die Jahre immer und immer wieder gezeigt, dass Schreibende, die keine Angst haben zeitweise oder bleibend in ihre Texte einzugreifen, um verschiedene Sachen zu probieren, sich sehr viel schneller und nachhaltiger verbessern als jene, die eine Teflonhaltung an den Tag legen (womit ich jetzt keinesfalls Katta meine!).

Da die Vielfältigkeit der Leseweisen und Haltungen zu einem Text wichtig sind, wird hier im Forum - anders als vllt. in SoMe - nicht angestrebt, einen Konsens zu erreichen oder bis zu einem Konsens / Kompromiss zu diskutieren. (Ausnahme höchstens, wenn ein Komm nachweislich faktisch falsche Tipps anbringt).

Ich sehe keinerlei Verbindungen zw. - sagen wir - Shining und diesem Text. Also, in der Art wie die Realität, die Psyche / Störung und das Motiv (das aus der Phantastik und teils Folklore stammt, aber hier nicht phantastisch eingesetzt wird) miteinander in Verbindung gesetzt werden. Das ist schon schwierig, weil es einmal Opfer, einmal Täter ist und damit andere - ich sag mal - Bildlichkeiten / Symboliken / Externalisierungen verwendet werden können. Shining hat nicht unbedingt mit realen Störungen zu tun, das ist nicht Kings Ansatz; Katta verbindet - auch in anderen Texten - aber reale Zustände und Störungen mit Elementen aus der Phantastik oder angrenzenden Genres wie Surrealismus. Will mich auch absolut nicht an dem eingeworfenen Bsp. aufhängen, aber man muss ja schauen, wie es der vorliegende Text macht.

Wenn ich mal dreist ignoriere, dass Katta ihren Text ja schließlich mit Alltag getaggt hat, würde ich ihre generelle Herangehensweise eher mit R. Ostermeier vergleichen. Nicht nur, aber auch weil er genau denselben Ansatz hat, realistische Therapiesituationen / psychische Probleme oder private Konfliktsituationen seiner Protas mit den Mitteln des Contemporary Weird zu erzählen.
Und selbst wenn es (ist mir so noch nicht untergekommen und hab ich keine Zeit sinnvoll tief genug zu recherchieren) eine solche Abstraktion & Abspaltung in akuten Angstmomenten bei eben dieser Agoraphobie geben sollte, überzeugen mich Kattas Herangehensweise und einfach Konzeption / Darstellung / Ausarbeitung hier nicht. Punkt.

Nur, weil Tolkien ein extrem komplexes, gut durchdachtes Werk verfasst hat, in dem Elben vorkommen, ist damit nicht jede Geschichte um einen Elben genauso gut und komplex (platt gesagt). Daher ist es schwierig zu sagen: Ja, bei King funzt es aber auch. Usw.

Sorry, mir läuft die Zeit davon. Jedenfalls denke ich, @Katta hat mich (so wie ich sie kenne) bereits gut genug verstanden und kann entscheiden, was sie mit meinen Hinweisen anfangen möchte. Oder ob. ;-)

Herzlichst,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katla,
danke dir fürs Lesen und deine Gedanken zum Text. Ich geh auf viele deiner Anmerkungen hier nicht ein, weil sie mit der Überarbeitung obsolet geworden sind.

Ich wäre gespannt, wie der Text klingen würde, wenn du das Hexenbild rausnimmst, die damit auch als zweite Figur (bei der Anlage hier ist es letztlich egal, ob die Hexe in der narrativen Logik physisch existiert oder nicht).
Das Gute bei einem so kurzen Text ist ja, dass man all das relativ leicht ausprobieren kann. Tatsächlich habe ich genau das getan und ja, das verändert schon die Statik des Textes, weil - wie du sagst - die zweite Figur dann natürlich fehlt und irgendwie gefällt mir der Text mit der zweiten Figur besser. Ich habe auch überlegt, ob ich das Kind einfach überall beim Namen nenne. Statt also: Die Hexe hockt auf mir. Die Angst hockt auf mir. Am Ende, glaube ich, ist hier der Unterschied nicht so sehr groß, ob Angst oder Hexe, weil die Dynamik die gleiche bleibt und sich nur der Begriff ändert. Als erstes habe ich all die "Hexenbilder" gekillt, die ich später zum Text hinzugefügt hatte, und wo ich schon beim Einfügen das Gefühlt hatte, ich nehme hier irgendwie ne Abkürzung. Und dann hab ich gestern auch noch den Anfang geändert, weil mir der zum einen irgendwie zu sehr auf Effekt gebürstet war, aber vor allem, weil die Lesart des Textes durch die Bank weg der war, dass die gute Frau da die ganze Zeit panisch ist, und dass sie da im Flur eine PA hat, weil sie die Tür öffnet, und darum hab ich mir noch mal ganz genau angeschaut, wie das mit der Angst eigentlich ist und hatte auch so Anmerkungen (von dir und anderen) im Kopf, wie, dass sie doch nicht wirklich geglaubt hat, heute nach Hannover zu fahren. Ursprünglich ist sie ja tatsächlich mit einer PA aufgewacht, aber so richtig Sinn hat das eigentlich nicht gemacht. Klar ist da Erwartungsangst, aber solange sie in der Wohnung ist, hält sich die Angst eigentlich in Grenzen und tatsächlich ist es so, dass Menschen mit Agoraphobie ein recht ausgeprägtes Vermeidungsverhalten an den Tag legen (können) und darum gar nicht so viel Angst erleben, weswegen es die Agoraphobie mit Panikstörung und ohne Panikstörung gibt.

Kennst du meine Wohnung? :confused::lol:
Ich hab mal in einer Wohnung mit genau so einem Bad gewohnt :lol:

„Zu!“, kreischt die Hexe. „Zu! Zu! Zu!“
Slapstick. Da hättest du Gelegenheit gehabt, die Angst zum ersten Mal akut zu zeigen. Nix davon kommt rüber. Das Nachgeschobene mit dem Weinen erreicht mich dann nicht mehr (obwohl die Szene dann an sich okay ist).
Slapstickig sollte das natürlich nicht wirken, darum hab ich es noch mal etwas umgearbeitet, aber tatsächlich zeigt das für mich ganz gut die Angst, dieses eingeengte Denken: Zu! Zu! Zu! Mehr ist da eigentlich nicht, außer: Zu! Das nachgeschobene Weinen hat, glaube ich, niemand so verstanden, wie es von mir gemeint war und selbst nach der Überarbeitung bin ich mir da immer noch nicht sicher, dass es jetzt in meinem Sinne verstanden wird.

Schnell nehme ich das Paket, schließe die Tür, sacke zusammen, direkt hier im Flur, und weine. Ich weiß, wann es angefangen hat, aber nicht, wie es so geworden ist.
Das ist gut - das ist auch spannend für mich als Leser: Sie reflektiert, findet aber den Ansatz zur Änderung nicht. Da ist doch der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, oder?
Obwohl ich das eigentlich einen wichtigen Satz fande, ist auch er jetzt nicht mehr drin, es gab irgendwie keine Stelle, an der er für mich gepasst hat. Aber ja, die Antwort auf die Frage: Wie bin ich eigentlich hier gelandet?, würde natürlich schon mal einen Ansatz für mögliche Veränderung liefern.

Mich nerven Mikrohandlungen. Ich denke, wenn man - z.B. - irgendwo sagt, dass die Figur sich einen Kaffee gekocht hat, kann sie fünf Zeilen später einfach Kaffee trinken, ohne zu sagen: Sie geht auf den Tisch zu, bleibt vor dem Tisch stehen, streckt die Hand aus. umfasst den Henkel, hebt die Tasse zum Mund, öffnet die Lippen ...
Ja, das hab ich versucht ein bisschen auszudünnen, wobei es an ein paar Stellen für mich auch notwendig ist und ich es nach dem ausmerzen dann doch wieder eingefügt habe.

„So geht es nicht weiter!“, sage ich. Zu ihr. Zu mir. Weil es stimmt.
Damit würde ich rausgehen. Dieses Treffen ist doch eigentlich Latte, es ist ein Aufhänger, um diese Geschichte zu erzählen. Das mit dem Treffen benötigt keinen Abschluss, ihre Lage kann keinen Abschluss haben (weil er nur in der Zukunft, außerhalb der Geschichte liegen kann, Therapie und so), und dann entlasse den Leser besser mit einem Spannungsmoment. Erkenntnis ist ja durchaus ein Abschluss, sie ist hier an anderer Stelle als anfangs.
Auch das hab ich probiert und sogar hier stehen gehabt und dann hat @Fliege gesagt: Echt jetzt? Und Fliege hat das dann auch so hingenommen, d.h. ich hätte es auch so lassen können, aber für mich ist irgendwie wirklich diese Öffnung nach außen wichtig, diese erste Handlung, mit der sie sich quasi selbst unter Druck setzt. Ich habe aber diese Mail jetzt weniger ausgeführt und auch das Mikromanagement: ich nehme die Maus, mache eine Rechtsklick auf "Neue Mail", lege die Hände über die Tastatur, tippe ... das war in der Tat ziemlich unnötig :Pfeif:

Lügst du den Leser hier aus Gründen der Spannung an?
Vielleicht mal so ganz grundsätzlich: Ich lüge den Leser nie aus Gründen der Spannung an (vielleicht werde ich das mal in ZUkunft tun, wenn ich einen Krimi/Thriller schreibe, was eher unwahrscheinlich ist) und ich verhülle auch nichts aus solchen Gründen oder lasse irgendwas im Vagen. Ich glaube, mir war ihr Innenleben noch nicht so 100%ig klar ... und siehe oben, den Anfang habe ich überarbeitet. Grundsätzlich, ist es aber schon so (d.h. möglich und auch realistisch), dass Menschen die ganze Zeit hoffen, dass es in zwei Wochen, nächste Woche, übermorgen, morgen ... anders ist, dass alles doch gar nicht so unglaublich schwierig ist (andere Leute machen das ja schließlich auch) und dann ist aber auf einmal heute da und man hat schlecht geschlafen (klar, wegen der Erwartungsangst) und ja, also so, d.h. in dieser Verfassung, kann man dann wirklich nicht fahren, hätte man besser geschlafen, wäre ausgeruhter, dann wäre es vielleicht nicht leicht gewesen, aber möglich ... ist alles nicht drin im Text, ich weiß, aber darum finde ich das nicht unrealistisch oder unplausibel, was aber unplausibel war, war dass sie mit PA aufwacht, darum ist die rausgeflogen.

Den Satz schnalle ich null, rein von der Semantik her. Rechner / Wand / hängt Häuserzeile? Hä?
:heul: Der Schreibtisch mit Rechner steht vor einem Fenster, das zur Straße hinzeigt. Ich hab da noch minimal gefummelt, aber fürchte, den ulitmativen Durchbruch hat das jetzt auch nicht gebracht ...


Hey @Corwin,
danke fürs noch mal nachlegen.

Für mich ist die Hexe nicht nur ein erzählerischer Kniff, sondern tatsächlich der zentrale USP deines Textes. Ich würde sogar sagen: Sie ist das Element, das deine Geschichte aus der Masse ähnlicher Angst- und Agoraphobie-Texte heraushebt.
Vermutlich kenne ich die Masse ähnlicher Angst- und Agoraphobie Texte nicht. Hast du da mal einen Lesetipp für mich? Das interessiert mich jetzt natürlich, wie andere Leute das literarisch angehen.
Ohne die Hexe rutscht die Erzählung (für mich) viel stärker in das rein realistische Feld – und dort gibt es unendlich viel Konkurrenz. Dann stünde der Text plötzlich im Wettbewerb mit der Frage: Wie akkurat, wie psychologisch differenziert, wie „korrekt“ ist die Darstellung der Angststörung?
Dann wirst du vielleicht mit der Überarbeitung nicht so zufrieden sein und der alte Text wird dir möglicherweise besser gefallen haben. Das Ding ist, dass das für mich ein absolut realitstischer Text ist, sein soll. Nur muss ja die Ich-Erzählerin deswegen nicht gleich furchtbar langweilig erzählen, sondern kann ja ihre Angst durchaus externalisieren, wie du ja auch weiter unten in deinem Kommentar schreibst und in dem späteren dann auch. Dass also Externalisierung durchaus ein realistisches, psychologisches Phänomen ist, oder wie @Fliege geschrieben hat, es gibt auch Leute, die geben ihrem Krebs einen Namen. Ich habe oben an Katla auch noch mal was zur Hexe geschrieben, falls es dich interessiert.

Hallo @linktofink,
auch dir danke für deinen Kommentar und das Lesen. Bzgl der Hexe verweise ich dich auch einfach mal an meine Antwort an Katla, auch in Bezug auf das "Glaub ich nicht, dass sie glaubt, nach Hannover zu fahren". Ich denke, ihr beide stoßt da ins selbe Horn und dass meine Antwort an sie auch auf deine passt. Auch bei dir gehe ich auf die Anmerkungen, die durch die Überarbeitung obsolet geworden sind, nicht mehr ein. Sie waren natürlich trotzdem wichtig im ganzen Prozess, wie deine, @Katla, natürlich auch. Aber macht ja keinen Sinn, da noch so viel Worte drüber zu verlieren, darum gehts jetzt hier nur im Dinge, die anders sehe oder eben nicht geändert habe.

Der Tee schmeckt nach nichts. Ich schaufle zwei Teelöffel Zucker rein und rühre. Ich frage mich, ob ein ruhiges Leben nicht auch okay ist. Ein Drinnenleben. Vielleicht ist still auf einem Stuhl zu sitzen viel mehr wert als das ganze außerhäusige Herumgerenne.
Sich selbst vorzumachen, das Drinnenleben wäre mehr wert als die Außenwelt, halte ich für plausibel. Aber auch hier geht es mir zu schnell, für mich ist das ein ganz wichtiger Punkt, der ausführlicher dargestellt werden könnte/müsste.
Das habe ich ausprobiert, aber es war wirklich nicht besser. Nicht so, wie ich es gemacht hatte, jedenfalls. Ich habe aber darüber einfach die Sätze noch mal umgestellt, sodass das Drinnenleben jetzt am Ende ist und quasi das Ergebnis der Überlegung.
Schnell nehme ich das Paket, schließe die Tür, sacke zusammen, direkt hier im Flur, und weine. Ich weiß, wann es angefangen hat, aber nicht, wie es so geworden ist.
Es geht ihr schlecht, aber sofort kommt die Analyse. Das geht zu schnell. Auch hier eine Gelegenheit, das Problem so auseinander zu falten, dass ich als Leser mitfühlen kann.
Die ganze Flurszene war total unklar und da habe ich noch mal etwas sortiert. Ich bin wirklich nicht sicher, dass jetzt klar wird, wie ich das meine, aber ich denke, ich nähere mich langsam an.
Ich suche nach Julia Bickel, früher ein zierliches Mädchen mit Haaren auf den Zähnen, und während ich mir die Suchergebnisse anschaue, ist auf einmal dieser Gedanke da: Habe ich wirklich vier Wochen lang geglaubt, ich würde heute nach Hannover fahren? Ich bin seit zwei Jahren nicht mehr draußen gewesen. Natürlich fahre ich heute nicht nach Hannover. Und morgen auch nicht. Oder nächste Woche. Wenn es so weitergeht, fahre ich nie wieder nach Hannover. Dieser Gedanke macht mir mindestens genauso viel Angst wie das, was mein Körper draußen tut.
Gut, auch wenn die Erkenntnis scheinbar vom Himmel fällt und nicht durch einen Twist, ein Ereignis oder sonst wie erarbeitet wird.
Wo wir wieder bei der Flurszene sind, die das hier eigentlich vorbereiten soll ...
Und nein, ich will kein Drinnenleben, kein beschissenes Stillleben. Ich will wieder Bäume sehen. Den Dreck in der Luft riechen, wenn es im Sommer zu regnen beginnt.
Da fehlt mir die Entwicklungsschritte hin zu der Erkenntnis. Was hat die ausgelöst, das Gogglen alter Schulkameraden? Wohl kaum, aber was dann?
Es ist seltsam, dass du es nicht verwunderlich findest, dass sie in der Küche sitzt und denkt: Hmm, vielleicht ist so ein Drinnenleben ja ganz okay. Aber wenn sie jetzt hier ihren Blick weitet und mal in die Welt (des Internets) hinausschaut und denkt: Hmm, nee, ich will kein beschissenes Drinnenleben, dann findest du das unmotiviert. Keine Ahnung, der Geist ist halt ein flatterhaftes Ding, für mich hat sich das beim Schreiben stimmig angefühlt, aber ich nehme zur Kenntnis, dass diese Erkenntnis für dich vom Himmel fällt und damit bist du ja auch nicht der Einzige - also dies ist überhaupt gar keine Kritik an deiner Lesart oder deinen Fragen, ganz im Gegenteil, ich bin ja froh, wenn ihr mir sagt, wie es euch mit dem Text geht. Ich hakle da nur, weil ich das Problem zwar zur Kenntnis nehmen kann, für mich sich dieses Denken aber ganz natürlich hergleitet hat :sicko:

Durch das klare Benennen werden alle Fragen beantwortet und du machst den Deckel auf die Geschichte. Würde ich gerne anders gelöst lesen, weniger auserzählt.
Ja, das scheint ein Problem zu sein, ich lösch das immer und wieder rein und wieder raus. Im Moment ist es aber so, dass ich einfach will, dass sie etwas tut und der Text nicht nur mit der Erkenntnis endet.
Viele gute Ansätze sind vorhanden und könnten durch ein tieferes Eintauchen ausgebaut werden, statt schnell drüber weg zu huschen. Auch der Sound sollte der Angststörung mMn gerechter werden.
Hmm, ich bin jetzt nicht sicher, was du mit tieferem Eintauchen meinst. Klar ist, es soll bei diesem Moment bleiben. Und was genau meinst du mit Sound, um der Angststörung gerechter zu werden? Redest du hier über die Hexe?


Was mir auch fehlt, ist ein glaubhafter Twist, die Erkenntnis und der Schritt, die Phobie publik zu machen, kommen mir zu sehr aus dem off. Wenn das so einfach ist, warum hat sie das nicht schon viel früher getan? Warum jetzt? Wäre es nicht realistischer, wenn der Impuls von außen käme? Ich weiß nicht, ob du "Ein Mann namens Ove" gelesen hast, da ist es die Nachbarin, die den Briefkasten umfährt und so den Anfangspunkt für eine langsame Veränderung setzt, die den Prota aus seiner Isolation reißt.
Nope, hab ich nicht gelesen. Dort fährt die Nachbarin den Briefkasten um. Hier muss die Prota zum Mitarbeitergespräch. Ich denke, der Marker "Ab sofort wieder in Präsenz" markiert Post-Pandemie, aber muss man natürlich nicht so lesen. Ist das nicht ein Impuls von außen? Natürlich war oder ist genau das die Herausforderung des Textes. Kann ich die Erkenntnis und den Schritt mit der Mail plausibel herleiten. Wie gesagt, ich nehme zur Kenntnis, dass das nicht nur für dich nicht so gut funktioniert, was nicht bedeutet, dass ich da jetzt schon eine Lösung hab, aber ich überlege.

Heyho @Fliege,
ja, schön, dass auch du hier unter meinem Text dabei bist. Wegen des Endes habe ich jetzt noch mal die Mail wieder eingefügt, die sie schreibt, weil das eigentlich das Ende der Veränderung markieren soll und der Text zu dieser Mail hinleiten soll. Was aber offenbar nur so mittelgut funktioniert hat.

Und für den Spannungsbogen hätte man drüber nachdenken können, dass es der Tag sein sollte, an dem sie sich stellt und dann doch versagt, aber eben der Tag im Kalender, weil es da wirklich mal wichtig wäre rauszugehen.
Das versteh ich jetzt nicht so richtig oder ist jetzt gar nicht mehr deutlich geworden, dass heute dieser Tag ist? Heute hätte sie dieses Mitarbeitergespräch. Wird das nicht deutlich? Das wäre natürlich richtig blöd ...

 

Upsi, zu früh abgeschickt.

Und vielleicht wäre das sogar zu viel, weil eigentlich liebe ich diese unglaubliche Monotonie, dieses Nichtgeschehen, weil das eben ihr Alltag ist, deshalb wirkt das ja so krass authentisch. Frage mich gerade, was sie bei Zahnschmerzen machen würde? Also, so richtig fiese ...
Heute hat sie ja abgesagt, weil krank, normalerweise arbeitet sie, aber ja, die Gänge usw die sind immer gleich. Vermutlich würde sie bei Zahnschmerzen erst mal Ibuprofen einschmeißen und dann ... ?

Aus meiner Sicht wirklich hilfreich, ich habe davon nichts vermisst, das war alles mehr die Autorin, weniger die Figur, die da gesprochen hat.
Ja, ja, genauso ...

Was die Hexe betrifft, ich hatte mit ihr keine Probleme, habe die mehr so gelesen wie den"Schwarzen Hund" für Depressionen. Andere Leute geben ihren Krebsgeschwüren Vornamen; irgendwie so in der Linie hatte ich für mich die Hexe verankert und konnte gut mit ihr als Bild, man fühlt sich ja durch die Ängste fremdbestimmt, ferngesteuert und ihnen ausgeliefert. Für mich passt das Bild. Sie ist verhext worden. So jedenfalls meine Lesart.
Super. Danke, dass du dazu was sagst und genauso ist es gemeint.

Ja, ich mag den Text. Habe ich sehr gern gelesen!
Und das freut mich natürlich sehr.

Jedenfalls euch allen noch mal vielen lieben Dank
und einen guten Start in die Woche, Katta

 

Moin, moin @Katta,

ich habe jetzt Ene mene muh mit mir selbst gespielt, denn so ganz will das Zeitfenster der Challenge wiedermal nicht reichen. Herausgekommen ist: zwei Kommentare schreiben, mindestens einen beantworten und vielleicht überarbeiten. Letzteres wird wohl hinten runterfallen, aber noch ist etwas Abstand zum Text herstellen sehr hilfreich. So wie es scheint, ist aber auch schon ein paar anderen Challengeteilnehmern die Luft ausgegangen, das verkleinert dann die nötigen Kommentare.
Wenn ich es richtig sehe, hast Du schon hart überarbeitet, das ist viel kompakter geworden, oder?

Der Regen hat aufgehört, die Hexe hockt noch immer schwer auf meiner Brust.
Um es hier gleich deutlich zu sagen, manchmal "meckert" man ja gefühlt nur, weil man nur die Stellen markiert, zu denen einem Hilfestellungen einfallen ... Ich finde das Bild mit der Hexe gut, kann die Phobie als Hexe personalisiert gut verstehen. Etwas, was man ansprechen, ihm die Schuld geben, es hassen kann.

Ich weiß, dass das Licht grau ist. Der Regen hat aufgehört, die Hexe hockt noch immer schwer auf meiner Brust. Ich weiß, bis wohin der Tag reichen wird. Bis zur Tür. Nicht bis zur Straße und nicht bis zum Hauptbahnhof und schon gar nicht bis nach Hannover zum halbjährlichen Mitarbeitergespräch. Ab sofort wieder in Präsenz. Ich weiß, dass ich eine Ausrede brauche.
Mir gefällt der Erzählrythmus mit den gleichen Satzanfängen, mochte ich bei Erdbeerschorsch auch sehr.

Die Kastanie vor dem Fenster. Für mich ist es kein Fenster. Es ist ein Bild: dunkle, kahle Äste vor einem asphaltgrauen Himmel. Titel: Kastanie im Herbst.
Nun bin ich gerade sehr Bilderlastig im Kopf, daher überlege ich hier, ob die Namen nicht Kursiv sollten, sie benennt die Bilder ja mehrfach so.
Bei "im Herbst" habe ich grinsend überlegt, dass dieses "Bild" dann jahreszeitlich seinen Namen wechselt.

Ich setze mich, fahre den Rechner hoch, an der Wand vor dem Schreibtisch hängt: Blick auf Häuserwand
Den Bildertitel habe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht gerafft, weil ich Häuserwand als Außenwand lese. Daher nachgefragt, ist dort ein Fenster?

Vor mir im Türformat: Balkon vor Kastanie.
Ja, ich plädiere für Kursiv

Kalt schmiegt er sich in meine Handfläche. Ein Schritt nur.
Ah, hin und her gerissen. Nur als Meinungsbild, denn es ist ja richtig so. Mein erstes Lesen rutschte hier auf ein "es wäre nur ein Schritt" Vielleicht ist mir aber auch nur der Übergang zum nächsten Satz zu hart. (sorry fürs stottern, ich kriege gerade nicht ausgedrückt, was ich meine :confused:)

Er ist noch jung und ich würde gerne die Tür öffnen, ihn anlächeln, mich bedanken, sein Aftershave riechen oder seinen Schweiß.
Eventuell die Reihenfolge noch einmal überdenken? Ich lese, da kommt ein Mann und dann will sie sich bedanken? Wofür? Wird dann geklärt, aber ich holpere etwas.

Mein Herzschlag beruhigt sich. Alles ist okay, wenn sie kriegt, was sie will.
Ich finde diese "Panik" Stellen hast Du gut gelöst, sie lesen sich hektisch, abgehakt, für mich glaubhaft.

Außer Mitarbeitergespräche in Präsenz. Den Schritt vor die Tür gibt es nicht im Angebot. Er kostet mehr Mut, als ich habe
Ist nicht verkehrt, fiel mir nur auf: hier zoomst Du raus, gehst auf recht großen Abstand, im Verhältnis zu den anderen Szene, sind das hier eher so Allgemeinplätze. Könnte man bei näher bei ihr bleiben, aber wahrscheinlich willst Du es genau so, dann passt es.

So geht es nicht weiter! Sage ich zu ihr. Zu mir.
Für mich ist das googlen der ehemaligen Mitschüler und deren Lebenswege ein glaubhafter Auslöser ffür den Willen zur Veränderung.

Lieber Clemens, schreibe ich, ich will meine Mail von heute früh korrigieren. Ich habe nicht wegen eines Virus abgesagt, sondern wegen meiner Agoraphobie.
Und ja, ehrlich und laut sagen, was das Problem ist, wäre der erste Schritt!
Aus meiner Sicht eine glaubhafte Geschichte, Ihrem Ort (der definitiv aus dem Rahmen fällt) hättest Du aus meiner Sicht durchaus ein, zwei Sätze mehr gönne dürfen, aber das ist hier halt kein Wunschkonzert.
Interessante Geschichte, schön, mal wieder von Dir zu lesen
Herzliche Grüße
witch

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom