Hallo @Michael Weikerstorfer ,
interessant, ich glaube, in dieser Richtung hab ich mir nie Gedanken gemacht. 
Ich muss zugeben, dass ich als Leser manche Geschichten nicht verstehe – das kann von einem kleinen Detail bis zur Hauptaussage reichen. Das wird spätestens dann problematisch, wenn man einen kritischen Kommentar dazu verfasst und die eigene Interpretation dazu äußern möchte.
Ja ... naja. Das kommt drauf an, inwieweit der Schreibende das Handwerk beherrscht. Wenn ich - subjektiv - den Eindruck hab, jemand hätte schon einen Plan, was genau er da machen will und ich kapiere den Text nicht, muss ich wohl bissl mehr nachdenken. Aber wenn jemand einen konfusen, schnell runtergetippten Text einstellt, sich keine Gedanken zum Aufbau gemacht hat oder aber gewollt schwurbelt, um Schwächen zu vertuschen, liegt das Problem echt nicht bei mir - in dem Fall wäre es durchaus wichtig und hilfreich zu kommentieren, dass der Text für einen unverständlich ist. Ggfs. guckt sich der Ersteller noch mal an, wie er das was aufgezogen hat.
Für mich als Erstellerin ist es auch wichtig, wenn Leute eine 'versteckte' oder intendierte indirekte Sache nicht erkennen - oder sie gegenläufig zu meinem Plan deuten (das kann ich interessant oder störend finden). Da kann mich immer noch entscheiden, das zu riskieren (weil ich nicht deutlicher werden will) oder das umzuschreiben (wenn ich einsehe, zu kryptisch gewesen zu sein).
Da finde ich es wichtig, die tatsächliche Sicht des Kritikers zu hören, der sich nicht scheut zu sagen, er habe das nicht verstanden.
Wenn es aber eine Geschichte ist, die mir zusagt (dazu muss ich sie nicht einmal gut finden), dann halte ich es für angemessen, eine fundierte und gut überlegte Meinung dazulassen. Jede zusätzliche Perspektive kann wertvoll sein.
(Die dir zusagt, die du aber nicht gut findest?

)
Genau das meinte ich mit der Fremdsicht, der anderen Perspektive - die bekomme ich ja nicht als Rückmeldung, wenn der Kommentierende nicht zugeben mag, dass er was nicht kapiert.
Am wichtigsten ist, den Text ruhig und aufmerksam durchzulesen.
Auch ja ... naja: Wenn es offensichtlich ist, dass jemand einen Text mal schnell im Bus am Handy runtergerotzt und nicht noch mal durchgesehen hat, mag es sein, dass ich ihn nicht so lese. Ein bissl 'Einladung' muss da schon für mich gegeben sein.
Mit einer schon von Anfang an festgelegten Meinung schränkt man sich selbst ein.
Sehe ich anders.
Ich kann keinen Text interpretieren, wenn ich selbst keine Haltung dazu habe. Eigentlich mixe ich ungern Text & Film, aber ich nehme mal Tarkowskis
Stalker. Ich kann bis ganz zum Schluss meinen, es ginge um Selbsterkenntnis. Am Schluss kann ich diese Sicht ändern: Es geht um etwas Religiöses, von mir aus die Begegnung mit einer spekulativen Entität (Gottheit), oder aber dem Scheitern dessen. Das kann man rauslesen, weil dort eine Ikone gezeigt wird, die nicht in der Buchvorlage vorkommt und ganz vor allem, wenn man Tarkowskis Hintergrund kennt. Ich kann das ausserfilmische aber auch ignorieren und meine Leseweise / Interpretation bis zum Schluss durchhalten. Ich sehe nicht, dass ich mich dadurch einschränke, weil ich ja auch etwas aus dem Film mitnehme, mich dadurch vllt. weiterentwickle - nur wohl nicht so, wie der Regisseur es wollte.
Es ist zu vermeiden, Sätze einzeln isoliert zu betrachten. Ohne einen Zusammenhang kann die Aufforderung „Komm rüber!“ zum Beispiel als freundlich, spottend oder wütend gedeutet werden.
Das ist klar, aber hat ja nix mit 'zwischen den Zeilen lesen' zu tun. Das ist Bedeutung im Kontext.
Aber wie interpretiert man jetzt eigentlich richtig? Auf diese Frage gibt es wohl keine einzig wahre Antwort.
Ich sehe es so, dass ein Prosatext (Film) eine Unabhängigkeit bekommt und ausser Kontrolle des Erstellers gerät, sobald er gelesen wird. Ich kann letztlich mit einem Text machen, was ich als Leser will. (In den USA zitieren Impfgegner Orwells
1984 - aber es ist stark zu bezweifeln, dass dies im Sinne des Autors / Buches ist.) Ist die Frage, ob man einen Text erst werkimmanent liest oder nicht - also: versuche ich, ausschliesslich die Intention des Erstellers zu berücksichtigen, oder gehe ich über eigene Assoziationen?
Ich gehe erstmal entlang meiner eigenen Ideen, was gesagt werden sollte. Daher finde ich es aber auch immer spannend, wenn der Ersteller später erklärt, was er vorhatte - dann kann ich meine Sicht schärfen, mir überlegen, woran ich beim näxten Text mit-denken kann.
Problematisch wird es - wie im verlinkten Faden angesprochen - wenn ein Ersteller meint: "Ja, wenn du mein Werk aufmerksamer / besser gelesen hättest, würdest du erkennen, was ich sagen wollte; man muss schon mitdenken" (Implikation, man hätte das nicht), etc. Aber in dem Fall liegt der Schaden beim Ersteller, der nicht mit Kritik umgehen kann und sich nicht verbessern kann.
Wie lest ihr zwischen den Zeilen? Kann man das erlernen oder sich bewusst verbessern?
Ich hab das nicht bewusst gelernt. Das kommt wohl auch drauf an, was man sich im Laufe der Zeit für Wissen aneignet. Ich erinnere mich noch, Strugatzkis
Das Märchen von der Troika (->
Montag beginnt am Samstag +
Troika) zum ersten Mal als junge Teenie gelesen zu haben. Da fand ich es auf eine dunkle Art absurd und durchaus humorvoll. Dann erfuhr ich mehr über die Nachkriegs-Sowjetunion und mir ging auf, dass es eine scharfzüngige Kritik an der menschenverachtenenden Bürokratie ist. Und noch mal Jahre später las ich ein paar Dutzend Bücher zu GULAGs und Stalins Schauprozessen und da ging mir auf, warum der eine Teil in der SU verboten und der zweite zensiert worden war: Es ist nicht nur eine Kritik an der Bürokratie, sondern extrem harte, sogar überaus deutliche, am stalinistischen System bzw. dessen Fortsetzung.
Das Buch - ich habs vier- oder fünfmal gelesen - hat also verschiedene Ebenen, von denen keine konkret 'falsch' ist. Der absurde Humor ist das Mittel und nicht der Sinn, die Politik lässt sich quasi aufblättern, wenn man die Infos aus der realen Welt hat.
Ein befreundeter Pastor meinte mal, wenn er vor 100 Leuten Predigt, dann hält er 100 Predigten.
Das ist aber nicht seine Schuld, sondern eindeutig die der
Vorlage.
Zusätzlich ist dann auch eine gewisse Tiefe vorhanden, die man genauer deuten kann und die von Person zu Person umso verschiedener sein wird, je mehr man ins Detail geht. Wir haben eben alle andere Erfahrungen im Leben gemacht, die sich beim Interpretieren abfärben.
Genau so sehe ich das auch. Da beantwortet sich auch deine Frage mit dem 'Erlernen': Das ist weniger ein Lernen, wie man liest, sondern, was in der Welt los ist und wie sie funktioniert - und das kann nie eine vollendete Erkenntnis sein, sondern nur Stückelwerk, das eben vom Tod beendet wird.
ich will auch nicht alles mitbekommen und schon gar nicht verstehen.
Echt?
und ein wichtiges Argument ist, dass Subtexte einen guten Dialog ausmachen. Damit ist genau das gemeint, was du mit zwischen den Zeilen lesen bzw. platzieren meintest: Durch das, was nicht gesagt wird, entsteht Bedeutung und ich kann das als Leser herauslesen.
Ja, ich gehe voll mit und das gilt nicht nur für Dialog, sondern auch erzählten Text (Handlung/Action).
Im Alltag bemühe ich mich oft, möglichst direkt und mit zusätzlichem Kontext zu sagen, wovon ich rede. Das machen aber wohl die wenigsten.
Aber Alltag ist ja nicht Schreiben. Im Alltag verstehe ich auch gern Leute direkt, und bemühe mich - oft vergeblich *gn* - um eine klare, eindeutige Sprache. Aber in Literatur und Film möchte ich nachdenken müssen, sonst interessiert mich ein Text nicht (ggfs. macht er mich aggressiv, wie es bei platten 'Ich erzähle mal einen Schwank, wie Frauen einkaufen gehen' etc.-Blogtexten passiert).
Eine simple Geschichte, die echt nur das eine Level hat (das, was dort auserzählt wird), die genau ausbuchstabiert, was sie sagen will, rückt ggfs. sogar in Richtung gutgemeinter Propaganda. Jedenfalls finde ich das totlangweilig. Ich wünsche mir aber, dass ein Text mir einen guten Grund gibt, nachzudenken: also eine Art Belohnung, wobei ich etwas erkenne (möglicherweise rein subjektiv), was ich vorher so nicht gesehen habe. Ob der Autor das so wollte, ist ggfs. eine andere Frage. Dafür gibt es ja Interviews bzw. hier die Komms. Oder man ignoriert die Intention (so wie ich Tarkowskis in Stalker ignoriere).
Und umgekehrt verlange ich auch vom Leser, mal ein bissl hinter die Zeilen zu schauen: Wenn ich einen Serienmörder, Sexualstraftäter, Erpresser ... schreibe, ohne eine Moral in die Geschichte zu setzen (das klingt eben oft wie der Wachturm), muss die Aussage der Geschichte nicht sein, dass ich die Täter / Taten fangirle - auch, wenn manche Autoren das sicher tun. Ich gehe aber von Lesern aus, die am Plot, an der Charakterzeichnung, der Frage, wer was gewinnt oder verliert, rauslesen können, wie es aussertextlich gemeint ist. Da z.B. würde ich mich keiner Forderung beugen, mich klarer / deutlicher auszudrücken, sodass sich ein Zwischen-den-Zeilen-Lesen erübrigen würde. IMA ergäbe das nur einen schlechten Text.
Obwohl ich jetzt ziemlich viel geschrieben hab, möchte ich eigentlich sagen -
-, dass du die Sache ruhig gelassener angehen könntest. Deinem Blick trauen und ihn einfach als einen Abgleich / Gegenpol / Zusatz zu der Meinung des Texterstellers sehen kannst.
Sonnige Grüsse,
Katla